Die koloniale Vergangenheit Nigerias im Werk von Chinua Achebe. Die Romane "Alles zerfällt" und "Der Pfeil Gottes"


Hausarbeit, 2020

26 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Überblick über die europäische Expansion in Nigeria

3. Überblick über die Schriftkultur Nigerias

4. Inwieweit hat die koloniale Vergangenheit Nigerias Einfluss auf das Werk Chinua Achebes?

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In meiner Arbeit über die Einflüsse der kolonialen Vergangenheit Nigerias im Werk Chinua Achebes, möchte ich vor allem anhand seiner Romane „Alles zerfällt“ und „Der Pfeil Gottes“, herausarbeiten, welchen Einfluss die europäische Kolonisierung auf das Werk Chinua Achebes hat.

Um die Arbeit in einen angemessenen Rahmen zu stellen, werde ich mich hauptsächlich auf die koloniale Vergangenheit des Staates Nigeria konzentrieren, welches auch die Heimat des Autors Chinua Achebes ist.

Dabei werde ich besonders die Themen Kolonisierung und imperialistische Themen im Werk Achebes beleuchten. Insofern spielen auch die europäische Schriftkultur und die Schrift- und Sprachpolitik innerhalb Nigerias eine Rolle.

Um der Frage nach den kolonialen Einflüssen in Sprache und Verschriftung in Nigeria im Schatten der imperialistischen Herrschaft nachzugehen, erfordert es einen historischen Überblick über die europäische Expansion in Nigeria zu geben.

Dies soll auch als Einführung in das Thema dienen um im zweiten Kapitel weiter auf die sprach- und schriftkulturelle Situation Nigerias eingehen zu können, um dann im Hauptteil herauszuarbeiten, inwieweit die koloniale Vergangenheit Nigerias Einfluss auf das Werk Achebes hat und wie diese Einflüsse im Detail aussehen.

Im Hauptteil meiner Arbeit werde ich anhand Chinua Achebes Werken „Alles zerfällt“ und „Der Pfeil Gottes“ beschreiben, wie Achebe, die Igbo-Stammeskultur in seinen Romanen darstellt und herausarbeiten, wie sich durch die koloniale Herrschaft und die christliche Missionisierung, die Sprache und Kultur in Nigeria veränderten und welchen Einfluss dies auf die individuelle Entwicklung von einzelnen Individuen hatte, wie sie exemplarisch in Achebes Romanen beschrieben werden.

Dabei werden die folgenden Leitfragen, bei der Bearbeitung meines Themas, sein:

-Wie wurde die englische Sprache als Machtinstrument eingesetzt und wie stellt Achebe dieses Thema in seinem Werk dar?
-Welche kolonialen Themen behandelt sein Werk?
-Was sind die sprachlichen Mittel, die Achebe verwendet um koloniale Themen darzustellen und
- inwieweit wurde er selbst dabei von der kolonialen Sprache geprägt, bzw. was sind Achebes Gründe, die englische Sprache als sein Ausdrucksmittel zu wählen?

Der Schlussteil wird die erarbeiteten Ergebnisse als Zusammenfassung wiedergeben.

2. Überblick über die europäische Expansion in Nigeria

Nigeria ist ein Bundesstaat in Westafrika und mit über 190 Millionen Einwohnern, eines der bevölkerungsreichsten Länder Afrikas. Es liegt an der Grenze zu den Ländern Kamerun, Benin, Niger und Tschad .

Im 19. Jahrhundert wurde Nigeria von den Briten kolonialisiert und auf den Staatsgrenzen, die diese damals zogen, basiert der heutige Staat. Doch kam es bereits im 13. Jahrundert im nigerianischen Lagos zu Kontakten mit portugiesischen Seefahrern und zu ersten Handelsbeziehungen, bei denen neben Gold und Elfenbein, auch mit Sklaven gehandelt wurde. Bei der Suche nach einem Seeweg nach Indien und dem Wunsch wertvolle Güter ohne Umwege über einen Händler erstehen zu können, wurde auch die afrikanische Küste durch europäische Seefahrer weiter erforscht. An der Werstküste Nigerias spielte sich bis ins 19. Jahrhundert vor allem der Handel mit Sklaven ab. Zwischen 1450 und 1870 wurden schätzungsweise 11,5 Millionen Menschen verschleppt und versklavt.

Ab dem Jahr 1600 errichteten neben den Portugiesen auch andere Nationen Handelsposten an der westafrikanischen Küste, wie das Deutsche Kaiserreich, Großbritannien, Frankreich und die Niederlande. Die nigerianische Küstenenklave Lagos wurde 1861 zur britischen Kolonie und damit zu einem Zentrum des britischen Handels, christlicher Missionsarbeit und politischer Machtausübung. Im Verlauf der weiteren Jahre drangen die englischen Besatzer immer weiter ins Landesinnere vor und löschten ganze Dörfer aus, um ihr Handelsmonopol weiter auszubauen. Bereits 1885 wurde das Niger Delta vom Britischen Empire annektiert. Diese förderten die Bildung der Royal Niger Company im Jahr 1886.

Über Nord-Nigeria wurde 1900 ein Protektorat ausgerufen. Zunächst gelang es Nigeria, die eigenen kulturellen und politischen Traditionen beizubehalten, da diese seit langer Zeit stark in der Gesellschaft Nigerias integriert und verwurzelt waren. Im Laufe der kolonialen Herrschaft des Britischen Empires kam es aber vermehrt zu rassistischen Diskriminierungen. Die Kolonialherren betrieben eine sogennannte „Herrschaft von unten“, bei der zunächst die Stammesoberhäupter und traditonellen Führer beibehalten wurden, diese sich aber dem britischen Recht beugen mussten und oft gezwungen waren zu Agenten der Kolonialmacht zu werden. Als wichtigste Regierungsformen sind hierdie „indirect rule“ und das „naive law“ zu nennen. Die indirect rule bezeichnet das Einsetzten von Würdenträgern und örtlich Honorierten als „Chiefs“. Sie wurden durch die Kolonialverwaltung berufen und unterstanden den örtlichen District Commissioner. Zur Zeit der britischen Kolonialzeit wurden zwei Rechtssysteme in Afrika angewand. Unter dem als „native law“ angewendeten System, durften die Chiefs nach dem Rechtssystem der jeweiligen Ethnie Recht sprechen. Die Kolonialverwaltung hingegen durfte sich über das afrikanische Rechtssystem hinwegsetzen und nach dem britischen „common law“ oder dem „native law“ ihr Urteil sprechen, wobei es den europäischen Richtern oft an Kenntnis über das Rechtssystem der einheimischen Bevölkerung mangelte.

Der Widerstand gegen die Besatzer nahm bis zur Unabhängigkeit im Jahr 1960 unterschiedliche Formen an und stieß oftmals auf brutale Gegenmaßnahmen. Ein Mittel um den Staat von innen heraus zu schwächen, war neben dem beschränkten Zugang zur Bildung, vor allem die Trennung des östlichen Teils Nigerias vom westlichen Teil des Landes. Da nun in jedem Teil der beiden Regionen verschiedene Gruppen dominierten und sich um die politische und religiöse Vorherrschaft stritten. Im Norden waren dies die Hausa - Fulani, im Südwesten die Yoruba und im Südosten die Igbo. Diese drei Gruppen bilden noch heute die Hauptsprachgruppen Nigerias, die ich im nächsten Kapitel eingehender vorstellen werde.1

3. Überblick über die Schriftkultur Nigerias

Nigeria ist ein Land mit mehr als 514 verschiedenen Sprachgruppen und es existieren mehr als 250 verschiedene ethnische Gruppierungen und Stämme. Diese Stämme und Gemeinschaften sprechen ihre eigenen Sprachen und Dialekte. Die stark ausgeprägte Vielsprachlichkeit des Landes erklärt sich daraus. Nach der Unabhängigkeit von der britischen Krone, im Jahr 1960, wurde Englisch als Amtssprache beibehalten. Es wird in der Verwaltung gesprochen und in den Schulen wird auf Englisch unterrichtet. Somit wachsen die meisten Nigerianer zweisprachig auf.

Zu den Hauptsprachgruppen zählen Hausa,Yoruba und Igbo. Da Hausa als Handelssprache genutzt wird, ist die Sprache auch in West- und Zentralafrika verbreitet und wird an den Grundschulen Nigerias gelehrt. Hausa gehört zu der Sprachgruppe der Tschadsprachen, die zu den Afroasiatischen Sprachgruppen gezählt wird.. Die drei afrikanischen (Haupt-)Sprachen Nigerias gehören zu den afroasiatischen, den nilo-saharischen und den Niger-Kongosprachen. Meistens wird es in lateinischen Buchstaben geschrieben, wobei es vier Buchstaben für Laute gibt, welche in europäischen Sprachen nicht vorkommen.

Die zweitgrößte Volks- und Sprachgruppe sind die Yoruba im Südwesten Nigerias. Ihre Sprache heißt auch Yoruba und wird von ca. 21% der Bevölkerung gesprochen. Die Sprache der drittgrößten Volksgruppe Igbo, wird auch als Igbo bezeichnet und wird von ca. 18 % der nigerianischen Bevölkerung gesprochen.

Als nationale oder offizielle Sprachen gelten nach einem Erlass der Regierung die Sprachen Edo, Efik, Adamaua-Fulfulde, Hausa, Idoma, Igbo, Znetral-Kanuri und Yoruba2. Die Amtssprache Englisch wird als „standard English“ von circa 60% der Bevölkerung beherrscht.

Die drei Hauptsprachgruppen Hausa, Yoruba und Igbo gelten als lingua franca. Ebenso wie das Nigerian pidgin, das von den meisten Menschen in Nigeria als gemeinsame Sprache im Alltag gesprochen wird. Schätzungsweise sprechen über 70 Prozent der Bevölkerung eine dieser Sprachen.3

Das derzeitige Schulsystem Nigerias richtet sich noch heute, nach dem von den Briten zur Kolonialzeit eingeführten Schulsystem. Die Analphabetenquote beträgt bei Männern 30 Prozent, bei Frauen sogar rund 50 Prozent.“4 Dies liege vor allem an den fehlenden Mitteln für Investitionen im Bildungssektor, wie der Lehrerausbildung.

Afrika wird häufig zu den geografischen Gebieten gezählt, in denen eine lange orale Erzähltradition vorherrschte und es ist richtig, dass durch gesellschaftliche und kulturelle Traditionen, die erzählende Praxis einen hohen Stellenwert einnahm und dies wohl in einem gewissen Maß heute noch tut. Ebenso kann auf eine „frühe Tradition schriftlich fixierter literarischer Aussagen, zurückgeblickt werden“.5 Die westafrikanischen Staaten wurden vor allem durch die Kopten und den islamisch geprägten, äthiopischen Raum, und von der arabischen Kultur beeinflusst. Dies führte dazu, dass die arabische Schrift in Westafrika weit verbreitet wurde.

Es gibt aus dem 14. Jahrhundert Chroniken in afrikanischen Sprachen und arabischer Schrift und Literatur in Swahili aus dem 18. Jahrhundert. In Hausa- Fulani wurden schriftliche Aufzeichnungen und Literatur aus dem frühen 19. Jahrhundert überliefert. Die Partizipation an Literatur und Schriftlichkeit war lange Zeit nur Eliten und religösen Führern vorbehalten. Der Großteil der Bevölkerung konnte nicht lesen und schreiben.

Achebe sah seine schriftstellerische Tätigkeit in der Traditon der Griots. Die Griots sind Männer und Frauen, die den Beruf des Sängers und Dichters ausüben und meist aus Familien stammen, die diesen Beruf seit Generationen ausüben. Ihre meist singend vorgetragenen Geschichten, dienen der Unterhaltung, sowie der Unterweisung und sprechen oft aktuelle gesellschaftliche und politische Probleme innerhalb der Gesellschaft an. In seinem 1964 gehaltenen Vortrag “ The Novelist as Teacher“, spricht Achebe, in der Tradition der griots über die Probleme seines Landes, von der kolonialen Vergangenheit Nigerias und das sein Land noch nicht völlig „von den traumatischen Folgen des ersten Kontaktes mit Europa“ geheilt sei.6 Mit seinen Romanen möchte Achebe, nach eigener Aussage dazu beitragen, die Minderwertigkeitsgefühle, Diskriminierungen und Selbsterniedrigungen aus der Kolonialzeit zu überwinden und einen zielgerichteteten Blick in die eigene Vergangenheit zu ermöglichen, um zu sehen, was, wie und warum in der Vergangenheit falsch gemacht wurde und diese Fehler nicht zu wiederholen.7

4. Inwieweit hat die koloniale Vergangenheit Nigerias Einfluss auf das Werk Chinua Achebes?

Chinua Achebe, der mit vollem Namen Albert Chinualumogu Achebe heißt, gehört zu den meistgelesenen afrikanischen Autoren der Gegenwart. Er wurde am 16. November 1930 in Ogidi, Nigeria geboren und verstarb am 21. März 2013 in Boston. Achebe und seine Famile gehörten dem Stamm der Igbo an, deren Stammeskultur er in seinen Romanen „Alles zerfällt“, “Heimkehr in ein fremdes Land“ und “Pfeil Gottes“ beschreibt.

Achebe war Professor für Afrikastudien und Literatur und Mitherausgeber afrikanischer Literatur im englischen Verlag Heinemann. Er arbeitete beim nigerianischen Radiosender NBS und war UN- Sonderbotschafter.

Seine Beschreibungen der nigerianischen Kultur gehören zu den ersten und eindrücklichsten Schilderungen dieser Art, die von einem afrikanischen Autor geschrieben wurden. Somit gilt er als einer der Mitbegründer der modernen afrikanischen Gegenwartsliteratur.

Chinua Achebe erzählte in Interviews davon, wie er mit englischsprachiger Literatur aufwuchs und zunächst selbst das Bild, das weiße Schriftsteller über seine Kultur und über sein Land schufen, übernahm, da er sich nicht mit den Beschreibungen, welche die europäischen Schriftsteller von Afrikanern, in ihren Büchern, abgaben, identifizieren konnte.Seine Kindheit und Jugend beschreibt er selbst als “ crossroads of cultures“, da seine Eltern zwar Christen der ersten Generation in seinem Igbo-Dorf waren, aber die Igbo-Religion und Kultur weiterhin respektierten.8 Chinua Achebe bekam viele Einblicke in die Sitten und Feste der Igbo durch seine Verwandten und durch das Igbo-Dorf in dem er aufwuchs. Seine Lektüre von Joseph Conrads Romans „Das Herz der Finsternis“, war für Achebe ein Grund, warum er beschloß einen Roman aus der Sicht eines Igbo zu schreiben. In seinem Essay „Ein Bild von Afrika“, geht Achebe detailliert, auf die dem Roman innewohnenden Diskriminierungen und rassistischen Vorurteile ein, in denen Conrad die afrikansichen Charaktere in seinem Buch beschreibt. Indem ein eurozentristischer, vermeintlich überlegener Standpunkt eingenommen wird, rechtfertigt der europäische Kolonisator damit seine Herrschaftsansprüche, gegenüber einem vermeintlich kultur- und geschichtslosen Land. Achebe bescheinigt Conrad dementsprechend, einen „von Galle getrübten Blick“, der die rassistischen Einstellungen und Denkweisen der westlichen Welt unhinterfragt übernimmt. Er stellt in seinem Essay fest, das es in der westlichen Psychologie, den Drang gäbe “[..] the need [...] to set Africa up as a foil to Europe, as a place of negations at once remote and vaguely familiar, in comparison with which Europe`s own state of spiritual grace will be manifest..[...]“.9 Diese Erkenntnis, bewog Achebe nach eigener Aussage dazu nach eigenen Mitteln und Wegen zu suchen, dem etwas entgegenzusezten. „[...]my story had to come from within myself“10, um sich damit das Recht auf Selbstdefinition zurückzuerobern und einen Weg zurück in die Eigenverantwortung zu finden.

Inwieweit hat die koloniale Vergangenheit Nigerias nun Einfluss auf das Werk Chinua Achebes? Der Autor selbst schrieb in seinem Essay „Morning yet on creation day“: „Ich wäre schon zufrieden, wenn meine Romane, besonders jene, die in der Vergangenheit spielen, nichts weiter bewirken, als meine afrikanischen Leser zu lehren, dass ihre Vergangenheit - mit all ihren Unzulänglichkeiten - nicht eine lange Nacht der Barbarei war, aus der die ersten Europäer sie im Namen Gottes erlöst haben“.11 An dieser Aussage, kann die Bedeutung, den die koloniale Vergangenheit auf Achebes Werk hat, herausgelesen werden. In seinen Romanen liefert er Innenansichten westafrikanischer Lebenswirklichkeit und gibt dadurch Erklärungen dafür ab, wie sich westlicher Kolonialismus und christliche Mission auf das Leben der Menschen auswirkten. Wie er dies im Einzelnen tat, werde ich vor allem mithilfe der Analyse seiner beiden Romane “Alles zerfällt“ und „Der Pfeil Gottes“, herausarbeiten.

Chinua Achebes erster Roman „Alles zerfällt“, gilt als eine afrikanische Antwort auf Joyce Careys „Mister Johnson“, dessen Romanhandlung sich ebenfalls in Nigeria abspielt und bei seinem Erscheinenen, von der Zeitschrift Time „als bestes Buch, das jemals über Afrika geschrieben wurde“, bezeichnet wurde.12

In „Alles zerfällt“gibt Achebe, als einer der ersten modernen afrikanischen Stimmen in der Literatur, die sich aus afrikanischer Sicht, mit dem kolonialen Traumata auseinandersetzten, eine Antwort auf die von Vorurteilen geprägte Darstellung nigerianischer Charaktere in der bisherigen Literatur. Achebe sah in der Beschreibung von Nigerianern in dem Roman „Mister Johnson“ „ eine unterschwellige Lieblosigkeit [...] eine Verseuchung durch Widerwille, Hass und Hohn“.13 In seinem 1958 in englischer Sprache erschienenen Roman „Alles zerfällt“, beschreibt Achebe das Leben, die Riten, Feste und die Religion des nigerianischen Igbo-Stammes im vorkolonialen Nigeria um 1900.

Die Hauptperson ist Okonkwo, ein stolzer Igbo-Krieger, der im Verlauf der Handlung durch ein Missgeschick für sieben Jahre ins Exil muss. Er findet Unterschlupf bei der Familie seiner Mutter. In diesen sieben Jahren wird sein Teil des Landes von christlichen Missionaren besucht. Dadurch verändert sich die traditionelle Kultur grundlegend. Okonkwo wird im Verlauf der Geschichte mit dem Zerfall seiner ihm vertrauten Welt konfrontiert. Er zerbricht daran und sieht am Ende keinen anderen Ausweg als sich selbst das Leben zu nehmen. Beim Lesen von „Alles zerbricht“ fällt zunächst auf, dass Achebe viele Sprichwörter aus der Igbo-Sprache wortgetreu ins Englische übernimmt und somit ein kulturtragendes Sprachbild erzeugt. Aber es stellt sich die Frage, wieso Achebe nie in seiner Muttersprache Igbo geschrieben hat? Obwohl er sich offensichtlich sein ganzes Leben kritisch mit der kolonialen Vergangenheit seines Landes und dessen Darstellung in der Literatur auseinandersetzte und von afrikanischen Autoren dafür kritisiert wurde, in englischer Sprache zu schreiben, schrieb er alle seine Romane und Essays in englisch. Einer seiner afrikanischen Kritiker versucht die Erklärung dafür bei Frantz Fanon zu finden. In seiner Schrift „Die Verdammten dieser Erde“, beschreibt Frantz Fanon drei Phasen des „intellectuel indigéne“: In der ersten Phase benutzt und verändert der einheimische Intellektuelle, die Sprache der Kolonisatoren, und erschafft damit eine eigene, authentische Literatur. In der zweiten Phase reflektiert der einheimische Autor über die ästhetischen Werkzeuge, die er einsetzt. In der dritten Phase schließlich, schafft er es Aktivist im politischen Kampf zu werden ,indemer als Autor dabei nicht mehr aus fremden Quellen schöpft, sondern eine eigene revolutionäre und nationale Literatur in seiner Muttersprache erschafft. Beleuchtet man das Werk Achebes nun aus diesem Blickwinkel, wird nachvollziehbar, wieso dem Autor von manchen seiner afrikanischen Kritikern vorgeworfen wird, kein nationaler, afrikanischer Schriftsteller zu sein, da er nie in seiner Muttersprache Igbo geschrieben hat.14 Dem hält Achebe entgegen:“ [...].English is something you spend your lifetime acquiring, so it would be foolish not to use it. Also, in the logic of colonization and decolonization it is actually a very powerful weapon in the fight to regain what was yours. English was the language of colonization itself. It is not simply something you use because you have it anyway; it is something which you can actively claim to use as an effective weapon, as a counterargument to colonization“.15 An einer anderen Stelle beschreibt Achebe seinen Gebrauch der englischen Sprache als „tool“, ein Handwerkszeug: „[...] we chose English not because the British desired it but because, having tacitly accepted the new nationalities into which colonialism had forced us, we needed its language to transact our business, including the business of overthrowing colonialism itself in the fullness of time“.16 Achebe benutzt die englische Sprache in seinem Sinn um sich der Welt mitzuteilen. Aber er macht klar, dass er Englisch nicht als Mittel benutzt um sich als Kolonisierter einer Elite zugehörig zu führen und sich dabei der eigenen Kultur zu entfremden.17 Wenn man einen genauen Blick auf die sprachliche Gestaltung von „Alles zerfällt“ und „Der Pfeil Gottes“, wirft, fällt einem zudem die Mehrsprachigkeit auf, dem Englischen und der Igbo-Sprache, zwischen dem die handelnden Personen in ihren Dialogen hin und her wechseln. Desweiteren übersetzt Achebe, Sprichwörter und Redewendungen aus der Igbo-Sprache, wortgetreu in die englische Sprache und ermöglicht so einen kulturvermittelden Transfer. Ihm ginge es auch darum, dass man sich in das Fremde und Unvertraute hineinversetzten könne.18

[...]


1 https://en.wikipedia.org/wiki/Colonial_Nigeria und https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Nigerias, https://www.liportal.de/nigeria/geschichte-staat/

2 https://www.ethnologue.com/country/ng

3 Autor unbekannt. Afrol News.Nigeria upgrades main languages. 13. April. http://www.afrol.com/articles/12070. Letzter Aufruf 25.02.2019

4 Autor unbekannt. Kultur zwischen Tradition und Moderne. September 2018. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205846 . Letzter Aufruf 25.02.1019.

5 Trenz, Günter. Die Funktion englischsprachiger westafrikanischer Literatur. Berlin 1980, S. 16f..

6 Achebe. Morning Yet on Creation Day. London 1972 S. 42-45.

7 Achebe. There was a Country. A personal History of Biafra.London 2012. S.1

8 Whittaker, Davin/ Msiska, Mpalive-Hangson, Chinua Achebe`s things fall apart.London 2007, S.3

9 Achebe, Chinua. The Education of a British-protected Child. Essays, London 2009, S.118.

10 Achebe, Chinua. There was a country. A Personal History of Biafra, 2012.S. 34.

11 Achebe, Chinua.Morning yet on creation day. Essays. London 1977, S. 72.

12 zit. n. Adichie. In: Alles zerfällt ( wie Anm.9), S. 7.

13 zit. nach Ebd.

14 Jeremy Weate. Achebe the native intellectual. Veröffentlichungdatum: 18. April 2013 https://chimurengachronic.co.za/achebe-the-native-intellectual/. Letzter Aufruf 25.02.2019

15 Katie Bacon. An African Voice. August 2000. https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2000/08/an-african-voice/306020/. Letzter Aufruf 25.02.2019.

16 African Literature as Restoration of Celebration, S. 120

17 Wöbcke. Achebe, S.45.

18 Katie Bacon. An African Voice. https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2000/08/an-african-voice/306020/. Letzter Aufruf 25.02.2019.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die koloniale Vergangenheit Nigerias im Werk von Chinua Achebe. Die Romane "Alles zerfällt" und "Der Pfeil Gottes"
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
2,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
26
Katalognummer
V1308454
ISBN (Buch)
9783346780089
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nigeria, Kolonialismus, Schriftkultur, Chinua Achebe
Arbeit zitieren
Martina Lohe (Autor:in), 2020, Die koloniale Vergangenheit Nigerias im Werk von Chinua Achebe. Die Romane "Alles zerfällt" und "Der Pfeil Gottes", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1308454

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