Gesellschaftliche Konventionen in "Pippi Langstrumpf". Eine Fokussierung der Kategorien Class, Gender und Race


Masterarbeit, 2020

52 Seiten


Leseprobe

Inhalt

1. Einleitung

2 Theoretische Konzepte
2.1. Kinder- und Jugendliteratur
2.2. Kategorie ,class‘
2.3. Kategorie ,gender‘
2.4. Kategorie ,race‘
2.5. Intersektionalität

3. Darstellung der gesellschaftlichen Konventionen in Pippi Langstrumpf
3.1. Gesellschaftliche Konventionen der Kategorie ,class‘
3.2. Gesellschaftliche Konventionen der Kategorie ,gender‘
3.3. Gesellschaftliche Konventionen der Kategorie ,race‘

4. Schlusswort

5. Literaturverzeichnis
5.1. Primärquellen
5.2. Monographien
5.3. Aufsätze aus Sammelbänden
5.4. Lexikonartikel
5.5. Zeitschriften
5.6. Internetquellen

Einleitung

„In 77 Sprachen träumen Kinder inzwischen davon, ein Pferd auf der Veranda zu haben, sowie einen Papa, der Südseekönig ist. Und auch wenn sie die Krummelus-Pille geschluckt hat und daher ,niemals grus‘ wird, ist es tatsächlich schon 75 Jahre her, dass Pippi in die Villa Kunterbunt eingezogen ist.“1 Pippi ist der Welt eine vertraute Figur geworden. Sie stellt ein übernatürliches Geschöpf dar, dessen Charakter in erster Linie stark, autonom, frech und freiheitsliebend ist. Von den Generationen, die sie geprägt hat, sind vor allem Mütter und Töchter herauszuheben. Dennoch stellt sich die Frage, welche Rolle eine Kinderbuchfigur wie Pippi Langstrumpf für die Emanzipation der Frau spielen kann.2 In der Kinderliteratur werden durch das Erschaffen dieser Figur neue Maßstäbe gesetzt. Sie bringt ihre Leser*innen dazu, Verhaltensregeln, Erziehungsmaximen und Geschlechterstereotypen zu hinterfragen.3 „Halb Seeräuber, halb Eine-Wirklich-Feine-Dame wird sie zum Vorbild für unzählige Kinder, die Villa Kunterbunt zum Sehnsuchtsort.“4 Bei der Figur handelt es sich um ein neunjähriges Kind, das völlig unabhängig von jeglichen Erwachsenen allein in der Villa Kunterbunt lebt. Darüber hinaus ist sie das stärkste Mädchen der Welt und braucht auch kein Geld von anderen, da sie durch den Goldkoffer ihres Vaters finanziell abgesichert ist.5

Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf ‘ erschien im Jahr 1945 erstmalig in Schweden. Im Jahr 1949 wurde die Geschichte in Deutschland veröffentlicht. Dementsprechend handelt es sich hier um Nachkriegsliteratur, die aber nicht im typischen nachkriegsliterarischen Stil geschrieben wurde, denn Pippi besitzt alles, was Kinder der Nachkriegszeit nicht besaßen. Sie hatte genug Platz und Süßigkeiten, Geld und Essen im Überfluss. Überdies ist zu erwähnen, dass die Gesellschaft zu dieser Zeit durch stark hierarchisierte Rollenbilder geprägt war. So dachten die Menschen zu dieser Zeit noch in gesellschaftlichen Schichtsystemen. Die familiären Strukturen gestalteten sich vorwiegend patriarchalisch und dem Fremden bzw. dem Ausländischen trat man skeptisch gegenüber.6

Allgemein lässt sich sagen, dass Pippi Langstrumpf als Sinnbild für Tabubrüche gesehen werden kann. Dementsprechend wird sie zum Beispiel in die Phalanx feministischer Figuren eingeordnet. Sie vertritt vor allem die Ideologie der Ideologienfreiheit. Als sowohl prä- als auch postfeministische Figur kann sie dementsprechend als Symbol für zeitlose Durchsetzungskraft von Frauen gesehen werden, womit sich vor allem Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken einsetzt. In den 1970er-Jahren wird dann eine Rassismuskritik gegenüber der Figur laut. Die Debatte darüber hat sich bis heute noch nicht vollends beruhigt. Hier plädiert man allerdings nicht für eine Zensur, sondern mehr für eine Reflektion und Integration des Themas innerhalb der Bildungspolitik.7 Die Figur Pippi Langstrumpf an sich, soll als solche bestehen bleiben. Weniger populär ist die Betrachtung der finanziellen Situation und des gesellschaftlichen Status der Figur. Diese gilt es noch auszubauen, da die Kategorien „class“, „race“ und „gender“ in Pippi Langstrumpf beispiellos ineinandergreifen.

In dieser Arbeit sollen eben jene Kategorien im Einzelnen, wie auch im Zusammenspiel, betrachtet werden. Diese Analyse soll als Grundlage fungieren, um die Frage zu beantworten, weshalb Pippi Langstrumpf als Figur überhaupt funktionieren kann. Auch soll diese Arbeit zeigen, dass das Gesellschaftsbild der damaligen Zeit mit der Figur von Pippi Langstrumpf, trotz der Tabubrüche, übereinstimmt. Damit soll aufgezeigt werden, dass die Notwendigkeit der Reflektion und Kritik in der heutigen Zeit durchaus gerechtfertigt ist. Dennoch soll verdeutlicht werden, dass Pippi dem Ton ihrer Zeit trotzt, gleichzeitig aber ein Opfer der Mode wurde.

Als Grundlage der Textanalyse wurde eine Original-Fassung von „Pippi Langstrumpf“ verwendet, die die drei Pippi-Bücher „Pippi Langstrumpf“, „Pippi geht an Bord“ und „Pippi in Taka-Tuka-Land“ vereint. Dabei handelt es sich um eine Ausgabe von 1967. Diese Ausgabe wurde gewählt, um die Rassismuskritik verdeutlichen zu können, da bezüglich dieser Debatte im Jahr 2009 einige Änderungen hinsichtlich der Textsprache vorgenommen wurden. Verschiedene Textstellen werden im Verlauf der Arbeit kommentiert und durch Forschungsmeinungen untermauert. Aufgrund der Textlänge dieser Arbeit konnten hierbei nicht alle Textstellen abgebildet werden, weshalb eine Auswahl getroffen werden musste. Eine Abbildung aller relevanten Stellen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

2. Theoretische Konzepte

2.1. Kinder- und Jugendliteratur

Unter Kinder- und Jugendliteratur werden jene Texte gefasst, die sich spezifisch und explizit an Kinder und Jugendliche als Adressaten richten. Seit dem 19. Jahrhundert wird zwischen Kindern und Jugendlichen noch einmal klar differenziert. Zudem werden Kinder und Jugendliche vom Begriff des Erwachsenen abgegrenzt. Die Kinder- und Jugendlektüre wird ebenfalls getrennt vom Genre der Kinder- und Jugendliteratur betrachtet. Diese bezieht sich auf die tatsächlich von Kindern und Jugendlichen gelesenen Texte und nimmt in der gegenwärtigen Betrachtung auch die Position der Leser*innen mit in den Blick. In diesen Bereich fallen z.B. Schullektüren, die nun nicht mehr zum Bereich der Kinder- und Jugendliteratur gezählt werden. Trotz dieser eng gefassten Begriffsdefinition dürfen die divergierenden Verhältnisse verschiedener historisch-gesellschaftlicher Formationen und auch die fließenden Grenzen zwischen kinder- und jugendliterarischen und allgemeinliterarischen Prozessen nicht aus dem Blick geraten.8

Bezüglich der literarischen Produktion stellt das Genre der Kinder- und Jugendliteratur einen relativ autonomen Bereich dar. Mit dem Fortschreiten der Alphabetisierung weitete sich auch der Markt jener Literatur für Kinder und Jugendliche aus. Im deutschsprachigen Raum konnten diese Entwicklungen bis zur Erfindung des Buchdrucks untersucht werden. Damals wurden Kinder und Jugendliche noch nicht explizit adressiert, sondern lediglich als Mitleser*innen oder auch nur als Zuhörer*innen angesprochen, was zu Beginn eines solchen Textes ausdrückliche Erwähnung fand. Adressiert wurden diese Texte an ein breites Publikum, wobei die Ansprache der Adressat*innen meist von oben herab erfolgte. Für diese Texte war die sogenannte Didaxe9 charakteristisch. Im 16. und 17. Jahrhundert erfolgte dann eine deutlichere Adressierung an Kinder und Jugendliche, die auch schon nach Geschlechtern getrennt wurde. Ein eigenes Marktsegment bildete sich jedoch erst im 18. Jahrhundert heraus, weshalb diese Phase auch oft als Anfangspunkt der Geschichte von Kinder- und Jugendliteratur betrachtet wird. Verschiedene Textsorten bildeten sich in dieser Phase heraus. Hierunter fällt beispielsweise die erzählende Mädchenliteratur, die an Frauen, Jungfrauen und auch Töchter gleichermaßen adressiert war. Diese begann sich wiederum ab dem 19. Jahrhundert zu verselbstständigen. Über die Gattungstradition des „Backfischromans“ beeinflusst sie auch noch die Mädchenliteratur unserer heutigen Zeit.10

Traditionell wird von einer doppelten Herkunft der Kinder- und Jugendliteratur ausgegangen. Ihr Geist entfaltete sich in der Aufklärung und der Romantik gleichermaßen. Diese beiden Strömungen erscheinen konträr und entstanden auch nicht zum gleichen Zeitpunkt, dennoch gelten sie bis heute als ineinander verschränkt - so auch der Bezug zur Kinder- und Jugendliteratur. Während Aufklärer*innen, wie Joachim Heinrich Campe, Eberhard von Rochow oder Christian Felix Weiße, Kinder zu vernunftbegabten, aber dennoch unmündigen Wesen erklärte, gingen die Romantiker*innen davon aus, dass Kinder die eigentlich mündigeren Wesen seien. Laut Position der Aufklärer*innen bedürfen Kinder einer Erziehung zum menschlichen Verhalten, um zu verhindern, dass sie im Zustand eines Wilden verharren und demnach nicht gesellschaftsfähig sein können. Vernunftbegabung wird Kindern zuerkannt, nicht aber moralisches Verständnis. Beispiele für Literatur dieser Art stellen „der Struwwelpeter“ aus den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts oder auch „ der Trotzkopf“ und „Pinnochio“ aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dar. Die Romantiker*innen hingegen stilisieren das Kind zu einem idealen Wesen hoch, das noch nicht verbildet oder durch die Zivilisation entmündigt wurde. Sie beschreiben diesen Zustand als ein Stadium naiver, reiner Menschlichkeit. Demnach sind Kinder auch die einzigen, die die deutsche Kultur ohne Verfälschungen bewahren können. Hierzu schrieben Clemens Brentano und Achim von Arnim eigens Kinderreime und Kinderlieder. Auch die Märchen der Gebrüder Grimm verfolgen diesen romantischen Ansatz.11

Kritik an diesen beiden Ansätzen findet sich heute zu genüge. Allein mit dem Modell der Aufklärung würden die Kinder und Jugendlichen in eine bloße Abhängigkeit durch die Erwachsenen gedrängt. Auch die Vermittlung utopischer Gegebenheiten durch den romantischen Ansatz würde nicht dazu führen, mündige Mitglieder der Gesellschaft erwachsen zu sehen.12 Die Kinder würden somit „entweder Opfer der Didaktik oder Opfer der Mythologie“ werden.13 Neben diese beiden Ansätze tritt also ein dritter Ansatz, der als einziger ein Weg aus diesem Dilemma heraus weist. Dabei werden Kinder und Jugendliche als gleichberechtigte Leser*innen verstanden, denen im literarischen Sinn etwas zugetraut werden darf. Kinder- und Jugendliteratur verzichtet dementsprechend auf Tabus bezüglich der Inhalte und behandelt die gleichen Formen und Gehalte wie jene für die erwachsenen Leser*innen. Neben Erich Kästner und Theodor Storm gehörten auch Astrid Lindgren und James Krüss zu den Verfechterinnen dieses Ansatzes.14

Innerhalb der Gender Studies nimmt die Erforschung von Kinder- und Jugendliteratur ebenfalls eine zunehmend wichtigere Rolle ein, da diese Literatur lebensgeschichtliche Prozesse der sozialen Konstruktion von Geschlechterdifferenz unterstützt und begleitet. Vor allem innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft ist sie maßgeblich daran beteiligt, das binäre Raster auf allen Ebenen zu prägen. Dies wird schon durch die Trennung von Jungen- und Mädchenliteratur innerhalb des 19. Jahrhunderts signifikant. Außerdem spiegelt dieses Genre gesellschaftliche Verschiebungs- und Verwerfungsprozesse innerhalb der Geschlechterordnung in zeitgenössischen Kontextualisierungen wider. Maßgeblich gerät hier das ausgehende 19. Jahrhundert ins Zentrum der Betrachtungen, da die Literatur dieser Phase Ausdruck eines gesellschaftlichen Umbruchs ist. Eine spezifische gendertheoretische Perspektive steht in der Kinder- und Jugendliteraturforschung allerdings noch aus. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Forschung in diesem Bereich noch isoliert dasteht. Eine engere Vernetzung von Mädchenliteratur- und Frauenliteraturforschung wäre an diesem Punkt ebenfalls wünschenswert, wenn nicht dringlich.15

Mit dem Beginn der Entwicklung einer modernen pädagogischen Kindheitskonstruktion kommt auch die Vorstellung der paradoxen Autonomie eines Kindes auf. Das Kind wird hier zu einem Subjekt, das von Beginn an zur Freiheit und Mündigkeit bestimmt wird, jedoch erst durch die Prozesse der Bildung und Erziehung letztlich diese Mündigkeit erlangt. Das Kind befindet sich als in einem Noch-Nicht-Stadium. Der Charakter dieser Denkweise fließt bereits seit Rousseau in die Entwürfe von Erziehung und Kindheit mit ein. Die Frage nach Mündigkeit und Selbstbestimmung, in zugleich lebenserhaltender Abhängigkeit, bildet den Kern der Erziehungsfrage. Werke wie Rousseaus Roman „Emile“, Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ oder auch Mignon und dessen Komplementärgestalt Felix in Goethes „Wilhelm Meister“ befassen sich mit diesem Paradoxon von Abhängigkeit und Selbstbestimmung innerhalb der generationalen Ordnung. Rousseau geht dabei von einer Welt der pädagogischen Totalität aus, während Astrid Lindgren lustvolles Reich der Anarchie schuf. Goethe zeigte auf, dass Autonomie ohne eine generative Bezogenheitsstruktur von Erwachsenen und Kindern nicht möglich ist.16

2.2. Kategorie ,class‘

Der Begriff Klasse oder auch Schicht verweist auf die verschiedenen Hierarchiepositionen innerhalb einer Gesellschaft. Individuen und auch Gruppen ordnen sich dort in verschiedene Machtraster ein. Traditionell wird davon ausgegangen, dass es sich bei der jeweiligen Gesellschaft um eine nationale Gesellschaft handelt, die sich demnach innerhalb von staatlichen Grenzen bewegt. Die heutige Schichtungstheorie befasst sich allerdings mit globalen und regionalen, sowie nationalen und lokalen Schichtungshierarchien gleichermaßen.17 Die Stellung innerhalb eines sozialen Raumes kann phasenweise oder dauerhaft erfolgen. In erster Linie lässt sie sich als das Resultat verschiedener Merkmale begreifen, welches sich aus sozialen Beziehungen, Bildungs- und Berufskarrieren zusammensetzt. Dementsprechend hängt der soziale Status einer Person innerhalb der Gesellschaft von der sozialen Herkunft, dem jeweiligen Geschlecht, der nationalen Zugehörigkeit oder dem Migrationshintergrund, sowie der damit verbundenen Verfügbarkeit von ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital ab.18

Die Ankunft der Kategoriebegriffe im deutschsprachigen Raum wird vornehmlich von Bedeutungsverschiebungen begleitet. „ Während etwa class in den USA der gängige Begriff zur Bezeichnung von Unterschieden in der gesellschaftlichen Positionierung darstellt, sei es im Rahmen struktur-funktionalistischer, Weber ianischer, marxistischer oder berufsklassifikatorischer Ansätze, ist der deutsche Begriff der Klasse deutlicher an im weiten Sinne marxistische Traditionen der Ungleichheitsforschung und Gesellschaftstheorie gebunden.“1 Aufgrund der Krise der marxistischen Theorie und auch wegen vielerlei sozialstruktureller Veränderungen wird der Begriff der Klasse auch im deutschsprachigen Raum durch andere Begrifflichkeiten, wie horizontale Disparitäten, Milieus und Lebensstile oder durch das Begriffspaar Inklusion und Exklusion in systemtheoretischen Diskussionen, ersetzt.19 20

Traditionell können die wichtigsten Ansätze bezüglich des Klassenbegriffs auf Marx und Weber zurückgeführt werden. Ein weiterer alternativer Ansatz durch von Bourdieu addiert sich in den letzten Jahren hinzu, ist jedoch weniger populär vertreten als seine Vorgänger.21 „Der marxistische Ansatz verortet Menschen in der Klassenstruktur aufgrund ihrer Beziehung zu Produktionsmitteln.“22 Neben dem Besitz von Produktionsmitteln wird dabei auch auf die Kontrolle darüber innerhalb der Gesellschaft hingewiesen. Weber hingegen differenziert zwischen drei Arten von Schichtungsachsen, die er mit Ökonomie, Macht23 und Status benennt. Je nach Positionierung entlang der jeweiligen Schichtungsachse können einzelnen Menschen bestimmte „Lebenschancen“ zugeschrieben werden. Bourdieu entwickelte die „Soziologie der Praxis“. Sein Ansatz basiert auf einer gleichwertigen Verbindung des jeweiligen Feldes mit Kapital und Habitus. Die jeweiligen Kategorienfelder weisen hier fließende Strukturen auf. Das Kapital kann in bestimmten Feldern von Menschen mit bestimmtem Habitus mobilisiert werden und der Habitus ermöglicht Kompetenz zur Partizipation innerhalb der verschiedenen Felder. Nach Bourdieu können sich Menschen demnach durch taktische und strategische Entscheidungen innerhalb eines Feldes von anderen Menschen absetzen, was den Klassenbegriff fließender wirken lässt als die starren Grenzen innerhalb der anderen beiden Modelle. Seinem Ansatz nach ist Klasse ein Kontinuum, in dem kulturelles und soziales Kapital eine ebenso wichtige Rolle spielt wie das ökonomische Kapital. Es entsteht also eine Diskrepanz zwischen denjenigen, die am besten mit ökonomischem und kulturellem Kapital ausgestattet sind und denjenigen, die dahingehend beidseitig unterprivilegiert sind.24

Die Kategorie „class“ ist überdies auch in einem historischen Kontext in Bezug auf die gesellschaftlichen Konventionen zu sehen. Vom Marxismus der Zwischenkriegszeit hatten die Schweden zur Zeit der Entstehung von Pippi Langstrumpf Abstand genommen. Bürgerliche Kräfte arbeiten nun zusammen, um eine moderne Industriegesellschaft aufbauen zu können. Der Kapitalismus befindet sich zu dieser Zeit also in einem Reifeprozess. Durch den Krieg hatten die Schweden einen deutlichen Vorsprung zu anderen Nationen. Bis in die 1970er-Jahre hinein wurde in Schweden jene sozialdemokratische Ordnung entwickelt, die sie zum Modellland werden ließ. Dabei wurde das Spannungsverhältnis zwischen Arbeit und Kapital allerdings nicht aufgelöst, womit das subjektive Klassenbewusstsein der Menschen intakt blieb.25 „Der neue Industriestaat war von einem starken Wirtschaftswachstum geprägt, vom Übergang von der Armutsgesellschaft zur Konsumgesellschaft, vom Ausbau des Wohlfahrtsstaates, der alle im Fall von Einkommensausfällen absicherte. Und dabei war nicht nur von einer Grundabsicherung die Rede, sondern von einer Standardabsicherung“26 Hier ist zu verdeutlichen, dass es sich beim Übergang von der Armutsgesellschaft zur Industriegesellschaft um eine Prozessaktivität handelt. Als wichtigste Sozialisierungsarenen werden Schule und Familie genannt. Durch diese Institutionen wird eine Integration in die Gesellschaft gewährleistet. Bis in die 1970er-Jahre hinein dominiert hier das bürgerliche Familienideal. Obwohl immer mehr Frauen erwerbstätig wurden, galt die Idealvorstellung der Hausfrau und Mutter weiter. Ein weiteres wichtiges Augenmerk wurde auf die Schulbildung gelegt. Hier herrschte die Idee der Einheitsschule vor, was die Schweden zur führenden Schulnation machte. Integration in die Gesellschaft soll bedeuten, dass allen Bürgern des Staates geholfen werden soll. Andererseits ist es aber wichtig, dass alle Mitglieder dieser Gesellschaft Erziehung und Bildung erhalten.27

Auch innerhalb der Gender Studies bietet der Klassenbegriff Raum zur Diskussion. Als gesellschaftstheoretische Konstitutionsbedingung spielt diese Kategorie bei der Analyse von Macht- und Herrschaftsstrukturen eine zentrale Rolle. Die komplexe Verschränkung und Ko- Konstitution von Geschlechter- Klassen-, ethnisierter und anderer auf Differenz basierender Strukturen werden vornehmlich durch soziologische Zugänge thematisiert und als sogenannte Ungleichheitsverhältnisse dargestellt.28

Der Bezug des feministischen Diskurses auf den Klassenbegriff wirkt auch aus der Binnenperspektive explosiv. Er deckt theoretische ,Baustellen‘ aus der Anfangszeit der Frauen- und Geschlechterforschung auf, die noch nicht behoben werden konnten. Damit erinnert der Begriff Klasse an Desiderate und Schwachstellen der heutigen feministischen Theoriebildung. Des Weiteren stellt er offensichtliche Spannungen zwischen dem Engagement im Bereich des Gender Mainstreaming und den beharrlichen Referenzen auf Klasse dar. Der Bezug auf den Klassenbegriff suggeriert eine Bindung an gesellschaftstheoretische Traditionen. Diese wiederum haben sich kritisch mit Formen von gesellschaftlicher Rationalisierung befasst, wie sie auch heute im Zeichen von Gender forciert werden. An Versuchen der Reformulierung des Klassenbegriffs beteiligen sich in jüngerer Zeit allerdings nur wenige feministische Wissenschaftler*innen. Trotzdem wird es selten versäumt den Begriff der Klasse als eine Achse der Ungleichheit zu erwähnen und somit in den Blick zu nehmen.29

2.3. Kategorie ,gender‘

Für den aus dem Englischen stammenden Begriff „gender“ gibt es im Deutschen noch keine hinreichende Übersetzung. In der Regel soll dieser Begriff darauf hinweisen, dass die Geschlechtsidentität nicht angeboren ist, sondern durch Konventionen der Gesellschaft gebildet wird. Es handelt sich beim Begriff „gender“ also um das sozio-kulturelle Geschlecht, welches durch diskursive Zuschreibungen erworben wird. Des Weiteren dient der Begriff „gender“ auch der Abgrenzung zum ahistorischen biologischen Geschlecht (sex). Weiblichkeit und Männlichkeit stellen demnach historisch zeitgebundene Konstruktionen dar. Die Entdeckung eben dieser historischen Komponente von Geschlecht stellt eine der wichtigsten Ergebnisse der Gender Studies dar. Wie Klasse, Stand oder Schicht wurde auch die Geschlechtsidentität zu einer Basiskategorie historischer Forschung.30

Die Gender Studies wagen einen Perspektivwechsel von der Ereignis- und Politikgeschichte hin zur Mentalitäts-, Alltags- und Kulturgeschichte.31 Die Analyse und Kritik asymmetrischer Geschlechtsverhältnisse steht dabei im Vordergrund. Jenes Projekt wird seit den 1970er-Jahren durch feministische Ansätze verfolgt. Die Gender Studies knüpfen daran an und fassen seit den 1990er-Jahren als Studiengang an deutschen Universitäten Fuß. Während sich der Feminismus aber vordergründig auf (unterdrückte) Weiblichkeit konzentriert, beschäftigen sich die Gender Studies vor allem mit einer Fokussierung des sozialen Geschlechts32 und untersuchen daher die kulturellen Geschlechterrollen, die „eine Gesellschaft bereitstellt und durch Verbote, Strafen und Belohnungen für verbindlich erklärt.“33

Die akademische Anerkennung der Gender Studies wurde durch mehrere Faktoren erschwert. Bei dieser wissenschaftlichen Disziplin handelt es sich um eine Verbindung zwischen politischer Konstellation und feministischer Bewegung. Aus dieser Verbindung lassen sich die Gender Studies nicht herauslösen. Das gleiche gilt für gesellschaftliche Auseinandersetzungen um Geschlechterfragen. Auch ist nicht klar, worum es in den Gender Studies geht, wenn man die kritischen Impulse, die beispielsweise von feministischer Artikulation ausgehen, ausblendet. Die Forschungsdisziplin ist daher unumgänglich mit politischen und gesellschaftlichen Fragen verwoben.34

Judith Butler weist in ihrem 1990 veröffentlichten Buch „Gender Trouble“ (zu Deutsch: Das Unbehagen der Geschlechter) darauf hin, dass auch die heuristische Trennung von „gender“ und „sex“ nicht möglich ist. Laut Butler entzieht sich die Biologie des Körpers einer authentischen Wahrnehmungsmöglichkeit. Die kulturelle Variabilität des biologischen wie auch des sozio-kulturellen Geschlechts wird auch schon 1988 von Joan W. Scott in „Gender and the Politics of History“ herausgestellt. Sie betont außerdem, dass die Differenz zwischen Männern und Frauen in den Begriffen der körperlichen Differenz überhaupt erst generiert wird.35 Demnach bezeichnet die Kategorie „gender“ auch „semantische Bedeutungszuschreibungen, die sexuellen Unterschieden zugeordnet werden.“36 Scott konstruiert überdies vier Teilbereiche für die Herausbildung von „gender“. Zum Ersten besteht Geschlecht aus ,kulturell verfügbaren Bildern‘, die sich begrifflich sowie auch durch Symbolfiguren darstellen lassen. Zum Zweiten wird die Bedeutungsvielfalt dieser Bilder durch Zuordnung ,normativer Konzepte‘ zu den jeweiligen Geschlechtsidentitäten beschränkt. Zum Dritten werden eben diese Bilder und Konzepte durch soziale Institutionen und Organisationsformen gefestigt und dementsprechend in die nächste Generation hineingetragen. Die individuelle Identität‘ einer Frau oder eines Mannes ist also zum Vierten das Ergebnis gesellschaftlicher Praktiken.37

Deutlich wird vor allem, dass die der Frau zugewiesene Rolle nur Zuordnung einer archaischen Form menschlichen Lebens ist.38 In den Gender Studies wird die Zuordnung weitaus intensiver untersucht als der Status der Männlichkeit. Dies gründet auf der Geschlechterordnung, die noch immer als problematisch gilt. Ökonomische Ressourcen, politische Macht und symbolisches Kapital sind noch immer ungleich, sprich zu Ungunsten der Frau, verteilt.39 Die Frau wird in eine angeborene Weiblichkeit gedrängt, die sich vornehmlich auf Gefühl und Körper bezieht, während die Männlichkeit mit den großen historischen Errungenschaften in Verbindung gebracht wird. Aus dieser Perspektive heraus spielte die Rolle der Frau in der damaligen Forschung keine tragende Rolle.40 Die Konstruktion des sozialen Geschlechts wird durch Kleidercodes, Verhaltensrepertoires, Mimik und Gestik dargestellt. So tragen Frauen gemeiner Hand Kleider oder Röcke, während den Männern die Hose zufällt. Männern ist es außerdem gestattet, sich in der Öffentlichkeit zu betrinken, während dieser Umstand bei einer Frau missbilligt wird. Außerdem gilt ein lautes Lachen beispielsweise als unweiblich. Die Reinszenierung dieser Verhaltensnormen dient der Herstellung von Männlichkeit oder Weiblichkeit. Nach Judith Butler ist Geschlecht ein Effekt performativer Akte. Durch die Aktion eines Menschen wird, nach Maßgabe der gesellschaftlichen Vorgaben, ein Geschlecht produziert. Definition und Grenzen der Geschlechtlichkeit sind allerdings in verschiedenen Kulturen auch unterschiedlich definiert. Daher setzen sich die Gender Studies vordergründig mit Prozessen der Um- und Neudeutung der Differenz auseinander.41

Da die Darstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit sich nun nicht mehr auf reale Lebensbedingungen, sondern vielmehr auf Konstruktionen beruft, können die in literarischen Werken verhandelten Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit mit Hilfe diskursanalytischer Verfahren aus einem anderen Blickwinkel heraus beleuchtet werden. Michel Foucault versteht Geschlechterdiskurse als ein Ensemble von Diskursregeln, die Aufschluss über das Erkennen von Geschlechterdefinitionen und Geschlechterdifferenzen in konkreten sozio-historischen Situationen geben können. Diskursregeln sind keine unverrückbaren Konstrukte, sondern immer das Resultat gesellschaftlicher Praxis, womit sie einem ständigen Wandel unterliegen. Durch eine Untersuchung des Geschlechterdiskurses kann der historische Rahmen bestimmt werden, in dem sich die Figuren bewegen. Hierbei ist es wichtig zu erwähnen, dass es sich bei diesem historischen Rahmen nicht um reale Abbildungen des damaligen Lebens oder der damaligen Gesellschaft handelt, sondern lediglich um die Bedingungen, die zu den jeweiligen gesellschaftlichen Praktiken geführt haben.42 Die Analyse der Geschlechtskategorie dient demnach der Veranschaulichung von Normierungs­und Reglementierungsprozessen, die sowohl der binären Geschlechtermatrix (männlich und weiblich) wie auch einem verbindlich homosexuellen Begehren43 zugrunde liegen.44

Die Interpretation geschlechtlicher Unterschiede nimmt auch Einfluss auf die Organisation der Sozi al Struktur einer Gesellschaft. Demnach kann „gender“ auch in einem gemeinsamen Kontext mit anderen Kategorien wie z.B. Rechtsstatus, Klassen- oder Standeszugehörigkeiten und Ethnizität gesehen werden.45 Seit den 1980er-Jahren zeichnet sich eine umfassende Pluralisierung dieser Kategorie ab. Afroamerikanerinnen und Frauen aus ökonomisch schwächeren Ländern machen darauf aufmerksam, dass die Unterdrückungserfahrungen der Coloured people innerhalb des (amerikanischen) Feminismus keine Bedeutung finden. Dieser ist demnach auf weiße intellektuelle Mittelstandsfrauen zugeschnitten und gilt daher nicht als generalisierbar. Seither wird die Kategorie ,gender‘ um die Kategorien ,race‘ (Ethnizität) und ,class‘ (Klassenzughörigkeit) ergänzt. Trotz grundsätzlicher Interdisziplinarität ist es das Ziel der Gender Studies, das Geschlecht als universale Kategorie gesellschaftlicher Macht zu etablieren.46

Bezieht man den Faktor „gender“ nun in die Analyse eines Erzähltextes mit ein, so ergeben sich daraus unterschiedliche Konsequenzen für die bereits etablierten Theorien, Modelle und Kategorien. Dabei kann von einer Schwerpunktverschiebung von feministischer Erzähltextanalyse hin zu gender-orientierter Narratologie ausgegangen werden, die durch die Mittelpunktstellung von Gendering innerhalb von Erzähltextstrategien möglich gemacht wird.47 Eine wichtige Rolle spielt dabei das Geschlecht der fiktionalen Erzähler- und Leserinstanz. Seit Mitte der 1990er Jahre widmet sich die Forschung in diesem Bereich der Frage, ob es bestimmte Merkmale gibt, aufgrund derer Leser*innen einer fiktionalen Erzählinstanz ein bestimmtes Geschlecht zuschreiben. Diesbezüglich weist Ina Schabert (1992) nach, dass eine auktoriale Erzählinstanz von den Rezipient*innen nicht immer als geschlechtsneutral betrachtet wird. Das Geschlecht wird der Erzählinstanz laut Schabert sowohl durch textuelle als auch durch textexterne Merkmale zugeschrieben. Das Geschlecht des Autors/der Autorin stellt einen solchen außertextuellen Faktor dar, während Inhalt der Erzählung, Inhalt der Kommentare durch die Erzählinstanz oder auch stilistische Merkmale48 als textuelle Merkmale betrachtet werden. Susan Sniader Lanser (1995) fordert, dass ,sex‘ und ,gender‘ generell als formale Kategorien der feministischen Narratologie betrachtet und dementsprechend miteinbezogen werden. Sie stellt dar, dass Leser*innen grundsätzliche allen Figuren fiktionaler Texte ein Geschlecht zuordnen, da sie ihnen während des Prozesses der Rezeption automatisch Wertvorstellungen und Persönlichkeit zuschreiben. Zwar spricht sie sich dafür aus, die Kategorie ,sex‘ als zentralen Aspekt der narrativen Analyse zu berücksichtigen, zieht aber auch die Möglichkeit in Betracht, dass das Geschlecht der Erzählinstanz unmarkiert bleiben kann.49

2.4. Kategorie ,race‘

Rasse als Begriff kam erstmals im Zusammenhang mit der Klassifizierung von Tier- und Pflanzenarten auf. Er diente dazu, die Zugehörigkeit einer gemeinsamen Art darzustellen, die sich durch konstante und erbliche Merkmale unterscheiden. Im Jahr 1684 nutzte der französische Arzt Francois Bernier das Wort Rasse, um eine Unterteilung der Menschheit vorzunehmen. Daraus entwickelten sich schließlich verschiedene Rassetheorien, die einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhoben. Sie basierten sowohl auf der Klassifizierung der Menschheit wie auch auf Verallgemeinerungen, Verabsolutierungen, Wertungen und Hierarchisierungen. So konnte sich Rasse als Kategorie mit rassistischen Inhalten füllen. Durch Carl von Linné wurden der Kategorie moralische Werte hinzugefügt, wobei positive Werte den Weißen und negative Werte den Schwarzen zugeordnet wurden. David Hume bestärkte diese These und glaubte, dass die Weißen den Schwarzen von Natur aus überlegen seien. Menschliche Rassen im biologischen Sinn aber gibt es nicht, denn alle Menschen gehören aus der biologischen Perspektive zur selben Art und werden als homo sapiens bezeichnet.50

In Deutschland fasste der Begriff der Rasse zur Kategorisierung von Menschen durch Immanuel Kant Fuß. Die rassistische Hierarchisierung von schwarzen und weißen Menschen folgte alsdann durch den Anthropologen Johann Friedrich Blumenbach (1775) und den Philosophen Christian Meiners (1785). Deren Theorien wurden im Jahr 1853 wiederum von Grafen Grobinau zugespitzt und stießen in Deutschland auf eine hohe Resonanz. Er sprach sich dafür aus, dass die überlegene Rasse sich deutlich gegenüber der unterlegenen Rasse behaupten müsse, was als Wegbereiter für Rassenkriege und Rassenhygiene diente.51

Der Begriff der „Rasse“ wurde allen voran durch die koloniale wie auch die nationalsozialistische Rassenlehre naturalisiert und somit auf den Körper reduziert. Durch solche Rassifizierungsprozesse konnten über die Jahrhunderte der Kolonialherrschaft und durch das nationalsozialistische Regime bestimmte Repräsentationen und Stereotypen entwickelt werden, die neben den sozioökonomischen Fakten auch die spezifische Subjektpositionen mit in den Blick nehmen. Durch die Geschichte des Begriffs ,Rasse‘ wird dieser nunmehr hauptsächlich als Negativkategorie betrachtet. Folglich spricht man hier gerne von der politischen Genealogie ,race‘. Hierbei werden vornehmlich Ergebnisse und Prozesse institutionellen und auch sozialen Handelns betrachtet, womit deutlich gemacht werden kann, dass bestimmte Subjektpositionen aufgrund rassistischer Ausgrenzung entstehen, womit ,Rasse‘ immer auch als Ergebnis von ,Rassismus‘ gesehen werden kann. Im deutschsprachigen Raum weicht man daher gerne auf den Begriff der Ethnizität aus, was aber eine Dethematisierung von Rassismus zur Folge haben könnte.52 Außerdem wird durch die Übersetzung von ,race‘ als Ethnizität oder auch als Hybridität die Verknüpfung zur rassialisierten Biologisierung ausgeblendet. Diese wiederum bestimmt aber noch immer den Diskurs der Lebenswissenschaften, worin der Begriff ,Rasse‘ immer wieder aktiviert wird. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Terminologie scheint dort keinen Raum einzunehmen.53

Darüber hinaus wird der Begriff ,race‘ analog zum Begriff ,gender‘ als soziokulturelle Konstruktion genutzt. Auch hier wird die kulturelle Koordinierung des Körpers immer mehr durch eine lexikalische Entlehnung aus dem Englischen bezeichnet. Durch die Verwendung dieser Kategoriebezeichnung ist es möglich, den durch den Nationalsozialismus pejorativ geprägten Rassebegriff zu vermeiden. Zudem kann die ergänzende Verwendung von Anführungszeichen dazu genutzt werden, um die Verneinung einer Existenz biologischer Rassen bezüglich der Menschheit zu unterstreichen. Als soziale Konstruktionen fungieren ,gender‘ und ,race‘ demnach auch als kultur- und sozialwissenschaftliche Kategorien. Mit dem Begriff ,race‘ als Analysekategorie wird vornehmlich die Kritik an der dichotomen Konstruktion von Schwarzen und Weißen forciert, die durch Kolonialismus und Rassismus ausgebildet wurde. Des Weiteren kann mit einer solchen Analysekategorie demonstriert werden, dass und auch wie soziale, kulturelle und auch politische Realitäten durch Konstruktionen der Differenz geprägt werden bzw. dass und wie sie Herrschafts- und Machtverhältnisse tragen und legitimieren.54

Eine adäquate Übersetzung für den Begriff ,race‘ ist schwierig umsetzbar. Forschungen wie die von Ann Phoenix nutzen zum Sichtbarmachen ethnisch differenter Haushalte den Begriff ,mixed race‘, welcher im Deutschen mit ,gemischt-rassig‘ übersetzt werden könnte. Dies reaktiviert jedoch ein Vokabular, dass in erster Linie durch Kolonialisten und Faschisten genutzt wurde und dementsprechend Erinnerungen an Gewalt und Vernichtung innerhalb des kulturellen Gedächtnisses verursacht. Aus diesem Grund wird der Begriff ,Rasse‘ als Übersetzung des englischen Begriffs ,race‘, der im englischsprachigen Raum zur affirmativen Selbstidentifikation genutzt wird, in den Sozialwissenschaften gemieden. Er verkörpert dort vor allem eine Geschichte immanenter Verachtung und Ungleichheit, während der Begriff der Ethnizität eher Multikulturalismus und gegenseitige Toleranz bzw. gegenseitigen Respekt vor der jeweiligen Kultur ausdrückt.55

Auch kulturell-religiöse Zuschreibungen wie Antisemitismus oder Anti-Islamismus gehören zum rassistischen Beziehungsgefüge dazu, in dem weiß und schwarz macht-differente Positionen beziehen, wobei beide auf Körperlichkeit reduziert werden. Im soziologischen Mainstream wird der Begriff der ,Rasse‘ folglich normativ aufgeladen, dementsprechend als moralisierend oder polemisch betrachtet und folglich abgelehnt.56

[...]


1 Astrid Lindgren.: Hei hopp, was wird das für ein Leben. In: Astrid Lindgren et. al. (Hrsg.): Pippi Langstrumpf. Heldin, Ikone, Freundin. Hamburg, 2020. S.8-9. Hier S.8 (im Folgenden aufgeführt als: Lindgren et. al: Hei Hopp).

2 Vgl. Nina Pauer (29. April 2020): „Die Regeln, die Pippi bricht, lernt sie erst in dem Moment kennen, in dem sie gegen sie vertsößt“. In: DIE ZEIT. S.51-54. Hier S.52 (im Folgenden aufgeführt als Pauer: Regeln).

3 Vgl. Lindgren et. al.: Hei hopp. S.8.

4 Lindgren et. al.: Hei hopp. S.8.

5 Vgl. Karin Nyman: Pippi ist unbesiegbar. In: Astrid Lindgren et. al. (Hrsg.): Pippi Langstrumpf. Heldin, Ikone, Freundin. Hamburg, 2020. S.12-13. Hier S.13 (im Folgenden aufgeführt als Nyman: Unbesiegbar).

6 Vgl. Pauer: Regeln. S.52.

7 Vgl. ebd.

8 Vgl. Prof. Dr. Waltraud ,Wara‘ Wende: Kinder- und Jugendliteratur. In: Metzler Lexikon. Gender Studies. Geschlechterforschung. Ansätze - Personen - Grundbegriffe. Stuttgart/Weimar, 2002. S.205. Hier S.205 (im Folgenden aufgeführt als: Wende: Kinder).

9 Unter dem Textmerkmal der Didaxe versteht man die Lehrhaftigkeit eines Textes oder seinen didaktischen Anspruch. Ein Beispiel hierfür bilden in erster Linie Fabeln.

10 Vgl. Wende: Kinder. S.205.

11 Vgl. Klaus Doderer: Literarische Jugendkultur. Weinheim, 1992. Hier S.88ff. (im Folgenden aufgeführt als: Doderer: Jugendkultur).

12 Vgl. ebd., S.95f.

13 Ebd., S.96.

14 Vgl. Doderer: Jugendkultur. S. 96ff.

15 Vgl. Wende: Kinder. S.205.

16 Vgl. Luise Winterhager-Schmid: Emile, Pippi Langstrumpf, Mignon und der Struwelpeter: Phantastische Konstruktionen einer paradoxen Autonomie des Kindes. In: Luise Winterhager-Schmid (Hrsg.): Erfahrung mit Generationen-Differenz. Weinheim, 2000. S.68-77. Hier S.68f. (im Folgenden aufgeführt als: Winterhager- Schmid: Autonomie).

17 Vgl. Nira Yuval-Davis: Jenseits der Dichotomie von Anerkennung und Umverteilung: Intersektionalität und soziale Schichtung. In: Helma Lutz, Maria Teresa Herrera Vivar, Linda Supik (Hrsg.): Fokus Intersektionalität. Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzeptes. Wiesbaden, 2010. S.185­201. Hier S.194 Iim Folgenden aufgeführt als: Yuval-Davis: Dichotomie).

18 Vgl. Vera King, Burkhard K. Müller: Adoleszenz und pädagogische Praxis. Bedeutung von Geschlecht, Generationen und Herkunft in der Jugendarbeit. Freiburg, Breisgau, 2000. Hier S.88 (im Folgenden aufgeführt als: Kind: Herkunft).

19 Gudrun-Axeli Knapp: Im Widerstreit. Feministische Theorie in Bewegung. Wiesbaden, 2017. Hier S.414 (im Folgenden aufgeführt als: Knapp: Widerstreit).

20 Vgl. Knapp: Widerstreit. S.414.

21 Vgl. Yuval-Davis: Dichotomie. S.194.

22 Ebd.

23 Hier ist vor allem die politische Macht gemeint, die unter anderem auch von einer physischen Macht getragen wird.

24 Vgl. Yuval-Davis: Dichotomie. S.194f.

25 Vgl. Francis Sejested (2005): Das Zeitalter der Sozialdemokratie. Schweden und Norwegen im 20. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur. 15. Jg., Nr. 1. S.47-61. Hier S.47f. (im Folgenden aufgeführt als: Sejested: Zeitalter).

26 Ebd., S.49.

27 Vgl. ebd. S.50.

28 Vgl. Paula-Irene Villa: Gender Studies. In: Stephan Moebius (Hrsg.): Kultur. Von den Cultural Studies bis zu den Visual Studies. Eine Einführung. Bielefeld, 2012. S.48-62. Hier: S.58. (im Folgenden aufgeführt als: Villa: Kultur).

29 Vgl. Knapp: Widerstreit. S.415f.

30 Vgl. Prof. Dr. Waltraud ,Wara‘ Wende: Gender/Geschlecht. In: Metzler Lexikon. Gender Studies. Geschlechterforschung. Ansätze - Personen - Grundbegriffe. Stuttgart/Weimar, 2002. S.141-142. Hier: S.141. (im Folgenden aufgeführt als Wende: Gender).

31 Vgl. ebd., S.141.

32 Vgl. Franziska Schössler: Einführung in die Gender Studies. Berlin, 2008. S.9f. (im Folgenden aufgeführt als: Schössler: Gender Studies).

33 Schößler: Gender Studies. S.10.

34 Vgl. Villa: Kultur. S.48f.

35 Vgl. Wende: Gender. S.141.

36 Ebd.

37 Vgl. ebd., S.141f.

38 Vgl. ebd.

39 Vgl. Schössler: Gender Studies. S.11.

40 Vgl. Wende: Gender. S.141.

41 Vgl. Schössler: Gender Studies. S.10.

42 Vgl. Wende: Gender. S.142.

43 Psychoanalytiker Sigmund Freud geht davon aus, dass der Mensch grundsätzlich bisexuell ist und, dass lediglich der kulturelle Druck zu einer Abspaltung dieses Begehrens führt. (vgl. dazu Schössler: Gender Studies. S.12).

44 Vgl. Schössler: Gender Studies. S.18.

45 Vgl. Wende: Gender. S.142.

46 Vgl. Schössler: Gender Studies. S.11ff.

47 Vgl. Vera und Ansgar Nünning: Erzähltextanalyse und Gender Studies. Stuttgart, 2004. Hier S.144 (im Folgenden aufgeführt als: Nünning: Erzähltextanalyse).

48 Schabert führt hierzu beispielsweise die männlich konnotierte Verwendung des Lateinischen durch die Erzählinstanz bei Henry Fielding an. (vgl. Schabert 1992, S.315).

49 Vgl. Nünning: Erzähltextanalyse. S.148f.

50 Vgl. Prof. Dr. Waltraud ,Wara‘ Wende: Rasse und Geschlecht. In: Metzler Lexikon. Gender Studies. Geschlechterforschung. Ansätze - Personen - Grundbegriffe. Stuttgart/Weimar, 2002. S.330-331. Hier: S.330. (im Folgenden aufgeführt als: Wende: Rasse).

51 Vgl. Wende: Rasse. S.330.

52 Vgl. Helma Lutz, Maria Teresa Herrera Vivar, Linda Supik: Fokus Intersektionalität - eine Einleitung. In: Helma Lutz, Maria Teresa Herrera Vivar, Linda Supik (Hrsg.): Fokus Intersektionalität. Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzeptes. Wiesbaden, 2010. S.9-30. Hier S. 19. (im Folgenden aufgeführt als: Lutz: Einleitung).

53 Vgl. ebd., S.20.

54 Vgl. Wende: Rasse, S.330.

55 Vgl. Lutz: Einleitung, S.20f.

56 Vgl. ebd., S.21.

Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Gesellschaftliche Konventionen in "Pippi Langstrumpf". Eine Fokussierung der Kategorien Class, Gender und Race
Hochschule
Universität Trier
Autor
Jahr
2020
Seiten
52
Katalognummer
V1309051
ISBN (Buch)
9783346778222
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pippi Langstrumpf, class, gender, race, Astrid Lindgren
Arbeit zitieren
Nina-Sophie Bank (Autor:in), 2020, Gesellschaftliche Konventionen in "Pippi Langstrumpf". Eine Fokussierung der Kategorien Class, Gender und Race, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1309051

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