Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Techniken der Figurencharakterisierung in Sternheims Komödie „Die Hose“, dargestellt am Beispiel des Ehepaars Maske
2.1 Figurale Charakterisierung
2.1.1 Explizite figurale Charakterisierung
2.1.1.1 Eigenkommentar im Dialog
2.1.1.1.a Theobald Maske
2.1.1.1. b Luise Maske
2.1.1.2 Eigenkommentar im Monolog Luise Maske
2.1.1.3 Fremdkommentar im Dialog
2.1.1.3.1 Fremdkommentar im Dialog in praesentia
2.1.1.3.2. Fremdkommentar im Dialog in absentia
2.1.2. Implizite figurale Charakterisierung
2.1.2.1 Außersprachliche figurale Charakterisierung
2.1.2.1. a Theobald Maske
2.1.2.1. b Luise Maske
2.1.2.2 Sprachliche figurale Charakterisierung
2.1.2.2. a Theobald Maske
2.1.2.2. b Luise Maske
2.2. Auktoriale Charakterisierung
2.2.1. Explizit auktoriale Charakterisierung – Sprechender Name
2.2.1.1 Theobald Maske
2.2.1.2 Luise Maske
2.2.2. Implizit auktoriale Charakterisierung
2.2.2.1 Korrespondenz und Kontrast
2.2.2.1.a Theobald Maske
2.2.2.1.b Luise Maske
2.2.2.2 Implizit charakterisierender Name
3. Zusammenfassung und Schluss
Literaturverzeichnis
Primärliteratur:
Sekundärliteratur:
1. Einleitung
„Das bürgerliche Lustspiel ‚Die Hose’ nimmt in Sternheims Werk eine Stellung ein, die [mit] derjenigen des ‚Urteils’ für Kafkas Entwicklung vergleichbar ist.“[1] Carl Sternheim beginnt am 7. Juli 1909 mit der ersten Niederschrift des bürgerlichen Lustspiels „Der Riese“. Am 1. September 1910 schließt er die Bearbeitung ab und veröffentlicht sie Ende 1910 unter dem Titel „Die Hose“. Max Reinhardt nimmt die Komödie im Oktober 1910 zur Uraufführung im Deutschen Theater an.
Den Inhalt der Komödie und die damit geübte Kritik fasst Mück treffend zusammen: „Ein unbescholtenes Bürgerweib, das die ‚Unaussprechlichen’ verliert, wodurch zwei lüsterne Untermieter magnetisch angelockt werden, um ihr den Hof zu machen, und ihr Ehemann, der kleine Beamte Theobald Maske, der seine Neigungen unter der Tarnkappe seiner Unscheinbarkeit zu verbergen gelernt hat, und die Fähigkeit besitzt, aus diesem ‚Unglück’ mehrfach Kapital zu schlagen und wie ein ‚Riese’ den Sieg über sein Weib davonzutragen, dieser Stoff war ganz darauf angelegt, die getarnte Wohlanständigkeit und Prüderie der wilhelminischen Bürger zu schockieren und als Schein zu entlarven.“[2]
Diesem Stück möchte ich mich in meiner Hausarbeit widmen. Ich werde es unter dem Gesichtspunkt „Techniken der Figurencharakterisierung in Sternheims Komödie ‚Die Hose’“ betrachten. Jedoch verlangt das Thema eine Eingrenzung. Diese nehme ich vor, indem ich in meiner Betrachtung lediglich das Ehepaar Maske berücksichtige. Alles andere würde den Rahmen der Hausarbeit sprengen.
Um dieses Thema zu bewältigen, ist häufiges Zitieren aus dem Werk „Die Hose“ nötig. Dafür verwende ich die im Literaturverzeichnis angegebene Ausgabe.[3]
Ich werde textanalytisch vorgehen. Leider kann ich das Drama nur als geschriebenen Text interpretieren, da keine Aufführung einsehbar war. Deswegen werde ich jegliche Angaben zur Aufführung und Rezeptionsgeschichte außen vor lassen.
Bei den betrachteten Techniken der Figurencharakterisierung richte ich mich nach Pfister[4]. Nicht alle von ihm aufgestellten Kategorien[5] treffen auf das von mir betrachtete Werk zu. Deswegen habe ich diese außen vor gelassen. Bedingt durch das Schema von Pfister, werden sich an einigen Stellen Wiederholungen ergeben. Diese lassen sich leider nicht vermeiden.
2. Techniken der Figurencharakterisierung in Sternheims Komödie „Die Hose“, dargestellt am Beispiel des Ehepaars Maske
2.1 Figurale Charakterisierung
2.1.1 Explizite figurale Charakterisierung
2.1.1.1 Eigenkommentar im Dialog
2.1.1.1.a Theobald Maske
Theobald Maske trifft im Stück häufig Selbstaussagen. Bei diesen geht es hauptsächlich um seinen Beruf, um seine Vorliebe für Ordnung, seine Bildung sowie um seine Einstellung zum Triebhaften.
Theobald bezeichnet sich selbst als kleinen Mann, als „einfache[n] Beamte[n]“[6]. Er betrachtet diesen Beruf als vom Schicksal gegeben und verdient 700 Taler. Theobald macht über seinen Beruf eine treffende Selbstdeutung, die er jedoch Mandelstam zuweist: „THEOBALD: So sind Sie [Mandelstam] ein Opfer ihres Berufs.“[7] Dass dies eher auf ihn als auf den Barbier zutrifft, kann man aus der Reaktion Theobalds auf das Missgeschick seiner Frau deuten: „THEOBALD: Das Herz stand still. Jedem Aufsehen abhold, wie du weißt.“[8]. Theobald lebt in einer Gesellschaft, in der nur der zählt, der nicht aus der Menge heraussticht, denn „[sobald] die Anonymität verschwindet, verliert der Beamte seine Macht.“[9].
Maske ist sehr ordnungsliebend, achtet auf Genauigkeit. Auch das schiebt er auf seinen Beruf: „THEOBALD: [...] Das Ungenaue ist der Umweg. Von morgens neun bis nachmittags drei habe ich amtliche Schriften vor mir. Wollte ich da ungenau sein?“[10] Maske ist aus Berufsgründen genau, aber er benutzt selbst den Umweg gerne, zum Beispiel geht er aus dem Haus, um zu hören, was geschwatzt wird. Am Ende hebt er als einziger die Ordnung auf, in dem er ein Verhältnis mit Frau Deuter anfängt. Jedoch macht ihn seine Ordnungsliebe nicht zum individuellen Charakter, er überträgt sie lediglich von seiner beruflichen Rolle in seine bürgerliche Stube, „ein Riese – so der ursprüngliche Titel des Stücks – im Spießerheim, ein Zwerg aber wie alle anderen unter der Fuchtel der Obrigkeit.“[11] Theobald liebt die Regelmäßigkeit. Er findet Halt in seinem Stübchen und sperrt sich gegen das Veränderliche: „THEOBALD: Hat man sein Stübchen. Da ist einem alles bekannt, nacheinander hinzugekommen, lieb und wert geworden. Muss man fürchten, unsere Uhr speit Feuer, der Vogel stürzt sich aus dem Käfig gierig auf den Hund? Nein. Es schlägt sechs, wenn es wie seit dreitausend Jahren sechs ist. Das nenne ich Ordnung. Das liebt man, ist man selbst.“[12] Diese Selbstaussagen charakterisieren Maske als ordnungsliebend, bescheiden und mit seiner Stelle sowie mit seiner kleinen Welt zufrieden.
Deswegen sperrt sich Theobald auch gegen die Wissenschaft. Jegliches Neues bezeichnet er als widerlich: „THEOBALD: Da streiten sich die Gelehrten. Mir ist schon die Nachricht von solchen Seltsamkeiten widerlich. Geradezu widerlich.“[13] Wissenschaft und damit auch „Seltsamkeiten“ haben für ihn keinen Bezug zur Bewältigung seiner existentiellen Problematik: „THEOBALD: [...] Da bin ich lieber in gesicherten Bezirken, in meinem Städtchen. Man soll sich sehr auf das Seine beschränken, es festhalten und darüber wachen. Was habe ich mit dieser Schlange gemein? Regt sie nicht höchstens meine Phantasie an? Wozu das alles?“[14] Auch bildet er sich nicht, was er im Gespräch mit Scarron und Mandelstamm zugibt: „SCARRON zu Theobald: [...] Lesen Sie so wenig? THEOBALD: Gar nicht.“[15] Maske lebt vielmehr nach „Schema F“[16]
Theobald bekennt sich offen zu seiner intellektuellen Beschränktheit: „THEOBALD: [...] Meine Unscheinbarkeit ist die Tarnkappe, unter der ich meinen Neigungen, meiner innersten Natur frönen darf.“[17] Er betrachtet also seine innerste Natur als stärksten Trieb. Individuelle Glückserfüllung erreicht er durch Zufriedenheit mit dem Vorgegebenen. Er macht sich „weniger Gedanken als Sie [Scarron und Mandelstam] vermuten.“[18] Er „tut sieben Stunden [...] Dienst. Danach ist man müde.“[19] Freund deutet diese Stelle treffend: „Theobald ist der simplifizierende Pragmatiker, für den an die Stelle einer humanistischen, geistig bildenden Lebenshaltung die realistische Praxis des Gelderwerbs getreten ist.“[20] Auch für Politik hat er kein Interesse, war lediglich interessiert, „was Bismarck tat“[21]. Dies spiegelt die Ohnmacht des kleinen Mannes wider. Jedoch „stimuliert dieses Bewusstsein aber gleichzeitig die eigene ökonomische Betriebsamkeit.“[22]
Theobald glaubt an vorgeburtliche Determinierung: „THEOBALD: [...] Mit dem, was mir Geburt beschieden, bin ich an meinem Platz in günstiger Lage.“[23]
Maske definiert sich selbst vor allem durch seine Vitalität. Er ist sich seiner Gesundheit bewusst, denn diese ist für ihn die Bedingung für die Bewährung im Lebenskampf. Theobald stellt sich selbst als brutal kalkulierenden, vitalen Spießer hin: „THEOBALD: In der Tat, Gesundheit, Kraft vor allem. Fassen Sie diesen Schenkel, den Bizeps.“[24] Der Kraft gehört die Zukunft, aber sie basiert auch auf Regelmäßigkeit: „THEOBALD: Ich kenne mich aus. Man muss schauen, dass man nicht zu früh kaput [sic!] wird. Eine gewisse Regelmäßigkeit.“[25] Diese Regelmäßigkeit verbietet eine übermäßige Vergeudung der Kraft.
Maske unterdrückt deshalb jegliche Sexualität. „THEOBALD: Ich weiß nicht. Es gibt so etwas [das Mannhafte, Triebhafte im Mann], das ist richtig, aber eigentlich habe ich mich immer dagegen gewehrt.“[26] Doch er vollzieht während des Stücks eine Entwicklung – wenn auch nur eine kleine. Am Ende kann er die Triebe nicht mehr unterdrücken, gibt sogar zu, dass er sie im Geheimen doch auslebt: „THEOBALD: Gutes Mädchen, wissen Sie genau, ob meine Gedanken nicht schon mit Ihnen beschäftigt waren? Mir ist ganz so. Wie Sie mich jetzt ins Gespräch über diese delikaten Dingerchen bringen, bin ich Ihren Vorzügen, die Sie bei Gott deutlich sichtbar haben, nicht so fremd, wie es bis eben scheinen mochte. DEUTER: Wüsste Ihre Frau darum. THEOBALD: Die weiß nichts. So etwas würde ich ihr nicht erzählen, weil es ihr Kummer machte. Das treibe ich im Geheimen. Nicht oft, jedoch mit Vergnügen.“[27]
Die Eigenkommentare verdeutlichen bereits den ambivalenten Charakter Theobalds. Monologische Eigenkommentare von Theobald existieren nicht.
2.1.1.1. b Luise Maske
Luise äußert weniger Eigenkommentare als ihr Mann. Doch auch aus diesen lässt sich schon die Tragik dieser Figur erkennen.
Luise leidet unter dem Riesen Theobald: „LUISE: [...] Mein Leben läuft in diesen Wänden“[28] und „Ich bin eine honette Frau.“[29]. Sie fühlt sich gefangen in Maskes kleiner Welt: „LUISE: [...] Ja, ich will aus diesem Dienst, diesen Zügeln und Banden, von diesem aufgehobnen Finger zur Freiheit fort.“[30] Luise ist – typisch für diese Zeit – romantisch. Sie wartet auf den großen Helden. Diesen glaubt sie in Scarron zu sehen, wird aber bitter enttäuscht. Die Fantasie- und Traumwelt Luises steht im Gegensatz zu Maskes Realitätsbewusstein. Aber er hat sie damals schon als Träumerin kennen gelernt: „LUISE: Du weißt, kanntest mich als junges Mädchen.“[31] Romantik wird in der Sekundärliteratur als typisch für diese Zeit betrachtet.
Durch die Nachbarin Deuter werden Luises Träumerein zu erotischen Fantasien: „LUISE: Bin fest entschlossen. Diese Nacht hat völlig über mich entschieden. Ein süßer Traum schon.“[32]
Luise ist traurig über ihre Situation: „LUISE: [...] Ich bin unglücklich“[33], „Ich habe Angst.“[34]
Frau Maske ist religiös. Sie sucht in der Kirche Halt: „LUISE: Lässt du mich heute zur Kirche? Ich habe Not.“[35] Sie ist nach der Ablehnung von Scarron orientierungslos, verzweifelt, vielleicht sogar entsetzt über ihre Fantasien. In dieser Situation benutzt sie die Kirche als Wegweiser.
Im zweiten Aufzug macht Luise eine Äußerung gegenüber Mandelstam, die nicht recht zu ihr passen mag: „LUISE: Heftige Naturen muss ich verachten. Das Gehorsame, Schweigsame liebe ich. Die guten Kinder.“[36] Diese Meinung scheint sie von ihrem Mann übernommen zu haben. Dies verdeutlicht die Abhängigkeit Luises von Theobald, über die sie sich zwar beklagt, die sie aber dennoch hinnehmen muss.
2.1.1.2 Eigenkommentar im Monolog Luise Maske
Nur an einer Stelle macht Luise ein Eigenkommentar im Monolog. Das liegt vor allem daran, dass Sternheim in „Der Hose“ Monologe nicht oft einsetzt.
Im ersten Aufzug rezitiert Luise das Gedicht „Das verlassene Mägdlein“ von Eduard Mörike: „LUISE geht zum Fenster und nimmt den Wohnungszettel herein. Dann macht sie Feuer im Herd, wobei sie summt: Früh, wenn die Hähne krähn,/ Eh die Sternlein verschwinden,/ Muss ich am Herde stehn,/ Muss Feuer zünden. Dann geht sie vor den Spiegel, beschaut sich, tritt wieder vor den Herd, summt weiter.“[37] Dieses Lied handelt von Luises Tätigkeiten. Im Prinzip ist sie die Magd ihres Mannes, die Dienstbotin, die sie sich nicht leisten können. Das Schauen in den Spiegel verstärkt den Übertragungscharakter des Liedes auf Luise.
[...]
[1] Kemper, Hans-Georg: Gestörtes Vergnügen. Carl Sternheim: Die Hose. In: Vietta, Silvio und Kemper, Hans-Georg: Expressionismus. München: Wilhelm Fink Verlag 1973. S. 306.
[2] Mück, Hans-Dieter: Carl Sternheim: Aus dem bürgerlichen Heldenleben. Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 1980. S. 21.
[3] Sternheim, Carl: Die Hose. Ein bürgerliches Lustspiel. München: Luchterhand Literaturverlag 2006.
[4] Pfister, Manfred: Das Drama. Theorie und Analyse. 11. Auflage. München: Wilhelm Fink Verlag 2001.
[5] Vgl. Pfister, Manfred: Das Drama. Theorie und Analyse. 11. Auflage. München: Wilhelm Fink Verlag 2001. S. 252.
[6] Sternheim, Carl: Die Hose. Ein bürgerliches Lustspiel. München: Luchterhand Literaturverlag 2006. S. 10 (I/1).
[7] Ebd. S. 47 (II/1).
[8] Ebd. S. 12 (I/1).
[9] Dudaš, Boris: Vom bürgerlichen Lustspiel zur politischen Groteske. Carl Sternheims Komödien „Aus dem bürgerlichen Heldenleben“ in ihrer werkgeschichtlichen Entwicklung. Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2004 (= Studien zur Germanistik Band 5). S. 81.
[10] Sternheim, Carl: Die Hose. München 2006. S. 47 (II/1).
[11] Freund, Winfried: Carl Sternheim: Die Hose. Komödie ohne Happy-End. In: Dramen des 20. Jahrhunderts. Interpretationen. Band 1. Stuttgart 2006 (RUB 9460). S.117.
[12] Sternheim, Carl: Die Hose. S. 15 (I/1).
[13] Ebd. S. 124 (IV/9).
[14] Ebd. S. 15 (I/1).
[15] Ebd. S. 75 (III/1).
[16] Ebd.
[17] Ebd. S. 83 (III/1).
[18] Sternheim, Carl: Die Hose. S. 75 (III/1).
[19] Ebd.
[20] Freund, Winfried: Die Bürgerkomödien Carl Sternheims. München: Wilhelm Fink Verlag 1976. S. 31f.
[21] Sternheim, Carl: Die Hose. S. 15 (I/1). S. 75 (III/1).
[22] Freund, Winfried: Die Bürgerkomödien Carl Sternheims. München: Wilhelm Fink Verlag 1976. S. 32.
[23] Sternheim, Carl: Die Hose. S. 15 (I/1). S. 83 (III/1).
[24] Ebd. S. 35 (I/7).
[25] Ebd. S. 119 (IV/8).
[26] Ebd. S. 79 (III/1).
[27] Sternheim, Carl: Die Hose. S. 110 (IV/4).
[28] Ebd. S. 22 (I/5).
[29] Ebd. S. 26 (I/6).
[30] Ebd. S. 29 (I/6).
[31] Ebd. S. 11 (I/1).
[32] Ebd. S. 57 (II/3).
[33] Ebd. S. 62 (II/4).
[34] Ebd.
[35] Ebd. S. 100 (IV/1).
[36] Sternheim, Carl: Die Hose. S. 53 (II/2).
[37] Ebd. S. 28 (I/6).