Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zielsetzung der UN-Gender-Politik
3. Definition Pinkwashing
4. Die UN-Friedensmission Zypern (UNFICYP) im Vergleich
5. Weibliche Führungskräfte als Folge struktureller Veränderungen in der Sicherheitsarchitektur Vereinten Nationen
6. Konsequenzen für Friedensmissionen mit weiblichen Führungskräften
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Gender-Mainstreaming ist ein fester Bestandteil der UNO. Spätestens seit Ausformulierung der Präambel (UN-Charta) wurde der Grundstein im Rahmen der allgemeinen Menschenrechte gelegt. In den späten 90er und frühen 2000er Jahren erhält das Thema Gender-Mainstreaming innerhalb der Vereinten Nationen verstärkte Aufmerksamkeit. Faktisch war die Institution besonders in den ausführenden militärischen Bereichen männlich dominiert. Durch verschiedene Resolutionen wurde beschlossen dies zu ändern.
Die Hausarbeit soll sich mit der Rolle von weiblichen Führungskräften in Friedensoperationen der Vereinten Nationen auseinandersetzen. Eine zentrale Persönlichkeit ist dabei Kristin Lund, als erste Kommandeurin einer Friedenstruppe der Vereinten Nationen.. Sie hatte von 2014 - 2016 das Mandat in Zypern (UNFICYP) inne. Befürworterinnen des Gender-Mainstreaming versprechen sich positive Effekte auf die Arbeitsweise innerhalb der Vereinten Nationen und die konkrete Ausgestaltung der Friedensmissionen, beispielsweise im Zusammenhang von geschlechtsspezifischer Gewalt.
Der Hausarbeit liegt die zentrale Fragestellung zugrunde, inwiefern es sich bei der Besetzung weiblicher Führungskräfte in der Friedensmission auf Zypern um einen Meilenstein der UN-Genderpolitik oder um „Pinkwashing“ handelt.
Um die zentrale Fragestellung beantworten zu können wird zunächst die Zielsetzung der UN-Genderpolitik basierend auf der UN-Resolution 1325, in Bezug auf die Auswahl weiblicher Führungskräfte bei Friedensmissionen skizziert. Zudem soll der Begriff des „Pinkwashing“ definiert werden. Anschließend wird die Bedeutung der UNFriedensmission in Zypern analysiert. Die Friedensmission wird zu diesem Zweck mit weiteren UN-Friedensmissionen verglichen. Kernaspekte des Vergleichs sind dabei die Einschätzung der Gefährlichkeit, inkludierende beziehungsweise exkludierende Strukturmerkmale der Missionen im Hinblick auf genderbasierte Lebenswirklichkeiten, eine mögliche Reduktion des Thema Gender auf Frauen sowie die Ausprägung von Geschlechterpolitik als sicherheitsrelevantes Thema. Die soziale Dimension der Beteiligungsmöglichkeiten innerhalb von Friedensmissionen soll hier beleuchtet werden.
Im Hauptteil der Arbeit soll auf Grundlage der Vergleichsergebnisse und den normativen Ansprüchen der Vereinten Nationen in Genderfragen beurteilt werden, ob die Besetzung der Friedensmission in Zypern durch die Kommandeuren Kristin Lund eine Folge der veränderten Genderpolitik im Sinne UN-Resolution 1325 darstellt. Hierbei wird die These überprüft, dass es sich bei der Friedensmission in Zypern um eine vergleichsweise irrelevant Mission handelt die sich strukturell von dem Großteil der UN-Friedenmissionen unterscheidet. In einem weiteren Unterpunkt sollen Konsequenzen für die Art der Missionsausübung herausgearbeitet werden. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der These, dass sich durch die Auswahl weiblicher Führungskräfte eine stärkere Anerkennung der besonderen Situation von Menschen, welche durch genderbasierte Gewalt in militärischen Konfliktsituationen gefährdet sind, erkennen lässt.
Im Fazit wird letztlich basierend auf den Arbeitsergebnissen die Leitfrage beantwortet.
2. Zielsetzung der UN-Gender-Politik
Die Vereinten Nationen sind im ausgehenden zweiten Weltkrieg entstanden (Wesel 2019: 7). Im Gegensatz zum Völkerbund nach dem 1. Weltkrieg sind die Vereinten Nationen eine Erfolgsgeschichte mit mehr als 193 Mitgliedsstaaten (Gareis 2014: 20). An die Vereinten Nationen wird eine große Bandbreite von Erwartungen gestellt. Teilweise gilt die UN als Garantin des Weltfriedens und Agentin des allgemeinen Fortschrittes (Wesel 2019: 7). Diese Erwartungshaltung wird bei Reinhard Wesel lediglich als Symbolpolitik und Wunschdenken gewertet (Wesel 2019: 7). Als passende Alternative schlägt der Autor vor die UN als eine Institution zum internationalen Interessenausgleich beziehungsweise zur zwischenstaatlichen Konfliktaustragung anzusehen (Wesel 2019: 7). Dementsprechend schwankt die öffentliche Vorstellung zu den Vereinten Nationen zwischen den Polen starke Weltregierung und schwache Botschafterkonferenz (Wesel 2019: 8). Aufgrund der breiten Spanne von Erwartungen sehen sich die Vereinten Nationen verschiedenen Pauschalkritiken ausgesetzt, da sie entweder den Ansprüchen auf ökonomischer und normativer Ebene nicht gerecht werden können oder die vermeintliche Weltregierung allgemein abgelehnt wird. (Wesel 2019: 8). Bei der Beurteilung der UNO ist es demnach entscheidend zu beachten was diese leisten kann und was nicht.
Internationale Organisationen können prinzipiell als Arena, Instrument der Interessendurchsetzung von Hegemonialmächten oder entstehender bundesstaatlicher Akteur auftreten (Wesel 2019: 62). Bei den Vereinten Nationen handelt es sich faktisch nicht um eine Weltregierung, da sie kein Weltparlament betreibt und somit keinerlei legislative Funktion hat (Wesel 2019: 8). Die Vereinten Nationen verfolgen Primär das Ziel der Friedenssicherung (Wesel 2019: 62). Dieses Primärziel wurde um wirtschaftliche und soziale Aspekte erweitert. Die Organe der UNO umfassen die Generalversammlung, den Sicherheitsrat, den Wirtschafts- und Sozialrat, den Treuhandrat, den Internationalen Gerichtshof sowie eine*n Generalsekretären (vgl. Gareis 2014). Die Generalversammlung ist dabei formal und zahlenmäßig das wichtigste Organ der UNO (Wesel 2019: 66). Auch die Resolutionen zum Thema Gender-Mainstreaming werden dort beschlossen. Politisch ist der Sicherheitsrat das wichtigste Hauptorgan (Wesel 2019: 66).
Die Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze (UNDPKO) wiederum ist eine Abteilung des UN-Sekretariats. Sie stellt das Herzstück der Friedens- und Sicherheitsarchitektur in der Bürokratie der Vereinten Nationen dar (Scheuermann 2020b: 64). Obwohl der UN-Sicherheitsrat die Autorisierung für Friedensmissionen erteilt und die jeweiligen Herkunftsländer verantwortlich für die Bereitstellung der Truppen sind, ist die UNDPKO zuständig für die Implementierung der Resolutionen, welche Frieden und Sicherheit betreffen (Scheuermann 2020b: 64).
Die sozialen Aspekte der Friedenssicherung sind nicht von Beginn an in der UNO implementiert. Besonders ausfällig ist, dass für die Menschenrechte kein eigenes Kapitel und keine eigene Institution in der UN-Charta vorgesehen ist (Wesel 2019: 63). Die Gründungsstaaten Frankreich und Großbritannien waren damals Kolonialmächte, sodass sie genau wie die UdSSR und China eine Aufnahme von Menschenrechten in die Charta der Vereinten Nationen nicht priorisierten. Würde und Wert der menschlichen Person, sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau wurden in der Präambel, sowie Artikel 1 Ziffer 3 der Charta festgehalten und bildeten somit ein Grundsatzpapier, auf dem spätere Konkretisierungen der Rechte fußen konnten (Gareis 2014: 194). Obwohl die Gleichberechtigungsperspektive zum Gründungszeitpunkt der UNO selbst in westlichen Demokratien nicht selbstverständlich war, wurde diese völkerrechtlich verbindlich niedergeschrieben (Gareis 2014: 194). Trotz dieses wichtigen Meilensteins war es innerhalb der Vereinten Nationen bis in die 1980er Jahre hinein umstritten, dass der Diskurs um Frauenrechte in den Diskurs um Menschenrechte eingebettet sein sollte (Gareis 2014: 194). Basierend auf den Bestimmungen der Charta forcierte die Kommission für die Rechtsstellung der Frau viele Aktivitäten, welche zu Konventionen, Erklärungen und Resolutionen der Generalversammlung führten (Gareis 2014: 194).
Die Zielsetzung der UN-Gender-Politik wird somit diskursiv ausgehandelt. Die Auseinandersetzung mit der Thematik erfuhr eine besondere Dynamik im 1975 ausgerufenen „Internationalen Jahr der Frau“. Im Rahmen des Aktionsjahres fand die erste Weltfrauenkonferenz in Mexiko statt, bei der ein Weltaktionsplan für die Gleichstellung der Frau verabschiedet wurde (Gareis 2014: 195). Zudem wurde im Zuge der Konferenz das International Research and Training Institute for the Advancement of Women (INSTRAW), als eigenständiges Forschungsinstitut gegründet (Gareis 2014: 195). Somit sind auf die grundlegenden Zielformulierungen der Präambel und Charta erste Institutionalisierungen erfolgt.
„Das wichtigste Ergebnis der Dekade der Frau jedenfalls im rechtlichen Kodifikationsprozess bildet die 1981 und Kraft getretene Konvention über die BeseitigungjederFormder Diskriminierung der Frau' (CEDAW). Hervorgegangen aus Anregungen der Weltkonferenz von Mexiko City führt diese Konvention die bis dahin in getrennten Instrumenten geregelten Schutzbestimmungen zum Diskriminierungsverbot, zum Gleichstellungsgebot und zum Spezialschutz zusammen.“
Sven Bernhard Gareis/ Johannes Varwick 2014, Direktes Zitat S. 195.
Diese Ergebnisse bedeuten für die Vereinten Nationen, dass sämtliche staatliche und gesellschaftlichen Maßnahmen und Aktionen weltweit auf geschlechtsspezifische Auswirkungen hin untersucht werden sollen (Gareis 2014: 195). Die Bemühungen innerhalb der UN lassen auf ein binäres Verständnis und Geschlecht schließen. Der Erfolg der Aktionen ist davon abhängig inwieweit die Staaten politisch gewillt sind tradierte Vorstellungen der Geschlechter in der Gesellschaft zu überdenken (Gareis 2014: 195). CEDAW wurde von 187 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen ratifiziert (Gareis 2014: 195). Die tradierten Vorstellungen zu Geschlechterrollen können sich bereits innerhalb eines Staates in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen stark unterscheiden. Die Zielsetzung der UN-Gender-Politk weist ebenfalls einige Ambivalenzen auf.
Dies wird am Beispiel der UN-Resolution 1325, welche den besonderen Schutz von Frauen in vor sexualisierter Gewalt Konfliktsituationen thematisiert, deutlich (Zürn 2020: 18). Frauen wird implizit eine passive Opferrolle zugeschrieben. Männern kommt die Täterrolle geschlechtsspezifischer Gewalt zu, wobei ihnen im Fall der Resolution 1325 zusätzlich die Rolle des Beschützers zugeschrieben wird (Zürn 2020: 18). Für Frauen bedeutet dies in der Konsequenz eine Objektifizierung die durch Dichotomien wie Opfer und Täter diskursiv erzeugt wird (Zürn 2020: 18). Gleichzeitig macht sich die Resolution stark für mehr Frauen in UN-Friedensmissionen (Zürn 2020: 18). Die UN verfolgt das Ziel, über die Entsendung von weiblichen Streitkräften, sexualisierter Gewalt etwas entgegenzustellen. Die konkrete Umsetzung der Resolutionen obliegt den jeweiligen Mitgliedstaaten durch die Erstellung nationaler Aktionspläne.
Es fällt auf, das in der Resolution 1325 keine eindeutige Definition von Gender enthalten ist (Zürn 2020: 19). Es ist daher ein unausgesprochene binäres Verständnis von Gender in den Vereinten Nationen anzunehmen. Obwohl sich eine soziale Konstruiertheit von Gender aus der Resolution herauslesen lässt, liegt hier keine intersektionale Auffassung vor (Zürn 2020: 19).
Bei der Resolution 1820 zur Vorbeugung sexueller Übergriffe aus dem Jahr 2008 ist ein ähnliches Muster zu erkennen (Hebert 2012: 107). Innerhalb diese Artikels wird ein Verständnis von Frauen in der Opferrolle reproduziert (Zürn 2020: 20). Frauen sind hier nämlich entweder als Akteur*innen im Friedens- und Sicherheitsprozess oder als Opfer von sexualisierte Gewalt charakterisiert (Zürn 2020: 20). Die Möglichkeit von Überschneidungen findet sich dort nicht wieder.
Die Resolution 1888 aus 2009 widmet ich abermals dem Schutz von Frauen vor sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt. Die Bezeichnung Frauen und Kinder wurde in dieser Resolution dem Zivillistenbegriff hinzugefügt (Zürn 2020: 20). Wichtig dabei ist, dass Frauen und Kinder bei dem Überbegriff Zivilisten als inklusive Einheit geführt werden. Daran lässt sich einerseits ein verändertes Verständnis des UNSicherheitsrats gegenüber Frauen ablesen. Dieses entwickelt sich vom Verständnis der Frauen als spezielle Gruppe von Zivilisten hin zu einer im Zivilisten-Begriff inkludierten Gruppe. Andererseits findet sich in der Resolution eine diskursive Verstärkung der weiblichen Identität als Zivilist*innen (Zürn 2020: 21).
Die anschließende Resolution I960 stellt die Dichotomie von Frauen als Opfer und Männer als Täter erstmals in Frage und erwähnt implizit die intersektionalen Aspekte von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt (Zürn 2020: 21).
Schließlich zeigt sich in der Resolution 2106 ein Nebeneinander von Opfer- und Täterrolle. Hier wird endlich auf die prädispostionellen intersektionalen Gründe von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt aufmerksam gemacht (Zürn 2020: 22). In dieser Resolution wird politisches soziales und ökonomisches Empowerment von Frauen als zentrale Langzeitaufgabe zur Prävention sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt verstanden. Die Resolution stellt zudem einen Fortschritt dar, weil auch die Betroffenheit von Jungen und Männern durch sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt erwähnt wird (Zürn 2020: 22). Anja Zürn führt allerdings an, dass obwohl in dieser Resolution weitere Differenzkategorien wie ökonomischer, sozialer und politischer Status berücksichtigt werden, zu wenig über die Gleichsetzung dieser Differenzkategorien mit Weiblichkeit und einer damit einhergehenden Konstruktion der Opferrolle reflektiert wird (Zürn 2020: 22).
Die Resolution 2242 zum 15 Jährigen Jubiläum der Agenda Frauen - Frieden - Sicherheit stellt einen weiteren Fortschritt in der Zielsetzung der UN-Genderpolitik dar. Es zeigt sich die Entwicklung zu einem Bewusstsein von geschlechtsspezifischer Gewalt im Zusammenhang mit sozial konstruierten Rollenzuschreibungen (Zürn 2020: 23). Es kann attestiert werden, dass sich im Laufe der Zeit eine Ansicht durchsetzt, welche spezifisches Wissen in der Thematik als entscheidend für die Bestrafung von sexualisierter Gewalt in Konfliktsituationen verortet (Zürn 2020: 23). Der Diskurs hat sich über die bloße Opfer-Täter-Dichotimie entlang der Komplexität der sozialen Konstruktion von Gender erweitert (Zürn 2020: 22).
Konkret können die Maßnahmen eine Beschäftigung von Genaderbeauftragten oder Gender-Trainings für die Friedenstruppen beinhalten (Cohn 2008: 8).
Selbst im Fall von nachgewiesenem sexuellem Missbrauch durch Individuen der UNFriedenstruppen gibt es keine wirksamen Instrumente der Sanktionierung (Hebert 2012: 114). Wenn die Herkunftsstaaten den Vorfall nicht verfolgen oder die Verfahren nicht offenlegen haben UN-offizielle kaum Möglichkeiten auf die Strafverfolgung Einfluss zu nehmen (Hebert 2012: 114). Die UN-Genderpolitik ist dabei von starker Rhetorik geprägt. Generalsekretär Ban Ki-moon lobte beispielsweise die großen Fortschritte in den Bemühungen um Gender-Mainstreaming in Friedensprozessen (Hebert 2012: 115). Die Botschafter Chiles, der EU und der USA äußerten sich ebenfalls 2003 über die zentrale Bedeutung der Gleichberechtigung für den Frieden (Cohn 2008: 16). Carol Cohn kritisiert daran, dass die Statements offensichtlich nicht ernst gemeint sein können und vor allem auf einer Argumentation beruhen in der Frauen als ungenutzte Ressource definiert werden (Cohn 2008: 16). Die Argumentation über den Nutzwert von Frauen ist deutlich effektiver zur Integration von Frauen in die Vereinten Nationen als die Argumentation über Gerechtigkeit (Cohn 2008: 16).
3. Definition Pinkwashing
Zu Beginn der Arbeit wurde die Frage aufgeworfen ob es sich bei der Besetzung von Chrsitin Lund als weibliche Kommandeurin der UN-Friedensmission um Pinkwashing handeln könnte. Der Begriff Pinkwashing kann in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht werden. Generell hat dieser thematisch mit der Ausnutzung von Gender-, Gleichstellungs-, oder Diversitythemen für nicht direkt damit in Zusammenhang stehenden politischen Zielen zu tun. Im Zeitungsartikel Israel and Pinkwashing führt die Autorin beispielsweise aus wie homosexuellen Rechte in Israel instrumentalisiert werden um Gewalt gegen Palästinenser zu legitimieren (vgl. Schulmann 2011). Die Palästinenser werden dabei vom israelischen Premierminister als homophob und frauenfeindlich bezeichnet (vgl. Schulmann 2011). Zudem wird dem gesamten mittleren Osten durch die Zuschreibung der Christenfeindlichkeit implizit ein gewaltbereiter Islamismus attestiert. Die wachsende globale Homosexuellenbewegung hat diese Taktik als „Pinkwashing“ bezeichnet. Eine bewusste Strategie, um die anhaltenden Verstöße gegen die Menschenrechte der Palästinenser hinter einem Bild der Moderne zu verbergen, welches durch den Lebensstil isralischer LGBTI*s gekennzeichnet ist (vgl. Schulmann 2011). Diese diskursiv hergestellte Dichotomie von vermeintlich modernen israelischen Leben gegenüber dem unterdrückenden palästinensischen kann weder Homosexuellen- noch der Frauenrechtsbewegung gerecht werden. Die Erfolge der Homosexuellenbewegung in Israel wurden Beispielsweise gegen den konservativen Widerstand innerhalb der israelischen Gesellschaft erkämpft (vgl. Schulmann 2011). Homophobie und Frauenfeindlichkeit werden gemäß dem Pinkwashing als exklusives Phänomen des politischen Gegners charakterisiert und nicht als Querschnittthemen anerkannt. Die Aktivitäten der palästinensischen Homosexuellenbewegung werden ebenfalls ignoriert, da diese nicht in die konstruierte Dichotomie passen (vgl. Schulmann 2011). Die Anfälligkeit der LGBTI* Community für Pinkwashing ergibt sich beispielsweise aus der Tendenz einiger Mitglieder ihre potentiellen Privilegien in Differenzkategorien außerhalb von Sexualität zu priorisieren (vgl. Schulmann 2011). Dieses Phänomen kann nach Jasbir K. Puar als „Homonationalsimus“ bezeichnet werden, da die Erfolge der Gleichberechtigung innerhalb der eigenen Nation gegen andere ausgespielt werden (vgl. Schulmann 2011). Mehrfachdiskriminierungen und deren strukturelle Bedingungen über Ländergrenzen hinweg können auf diese Weise nicht anerkannt werden. Bei einer intersektionalen Herangehensweise werden dagegen eine Vielzahl von Differenzkategorien berücksichtigt. Einer Instrumentalisierung durch Partikularinteressen kann damit vorgebeugt werden.
Pinkwashing im Kontext der Vereinten Nationen würde analog dazu bedeuten, dass durch die Besetzung weiblicher Führungskräfte den grundsätzlichen Forderungen nach Gleichberechtigung entsprochen wird. Problematisch wäre es wenn die strukturellen Rahmenbedingungen, welche im Falle der UN männlich geprägt sind unangetastet blieben. Trotz der Gleichstellung der Geschlechter auf einer formal institutionellen Ebene zeigte sich das Bestehen eines wirkmächtigen informellen Genderregimes innerhalb der Vereinten Nationen (Scheuermann 2020a: 26). Dieses wirkmächtige informelle Genderregime kann unter anderem dazu führen, dass neue formale Institutionen der UN-Geschlechterpolitik missachtet, umgewichtet oder uminterpretiert und durch öffentliche oder verdeckte Rebellion geschwächt werden (Scheuermann 2020a: 27). Das informelle Regime wirkt beispielsweise dadurch, dass in den offiziellen Meetings der Friedenprozesse kaum Verhandlungen stattfinden sondern eher der Ergebnissicherung dienen (Bjertén-Günther 2020: 49). Die tatsächlichen
Aushandlungsprozesse finden häufig informell in zugangsbeschränkten Räumlichkeiten statt, welche Frauen oftmals exkludieren (Bjertén-Günther 2020: 49). Eine Gleichstellung auf formaler Ebene der Vereinten Nationen berücksichtigt diese Mechanismen zu wenig und kann deswegen als Pinkwashing gewertet werden. Alternativ kann die Situation der Geschlechtergerechtigkeit schöngefärbt werden (Scheuermann 2020a: 27). Durch die Vergabe von Führungspositionen an Frauen könnte möglicherweise eine Schönfärbung erreicht werden, wenn diese systematisch so vergeben werden, dass die Norm der Maskulinität innerhalb der Institution als ganzes bestehen bleiben kann. Die Untersuchung des Falles von Kristin Lund als Kommandeuren einer Friedensmission scheint in diesem Zusammenhang spannend da die Verbindung von spezifischen Männlichkeitskonstruktionen mit Kriegshandlungen und militärischem Kampf zentrale Komponenten des Patriarchats darstellen (Scheuermann 2020a: 30). Das Pinkwashing funktioniert über den Effekt, dass in einem männlich dominierten Arbeitsbereich, wie der Friedenssicherung der Vereinten Nationen, Frauen in Führungspositionen besonders herausstechen. Die mehrheitliche Besetzung der Führungspositionen durch Männer kann somit überdeckt werden (Bjertén-Günther 2020: 39). In diesem Sinne können Ausnahmen von der Norm diese verfestigen. Männlich besetzte Führungspositionen gelten als unhinterfragte Norm in den Vereinten Nationen. Im Falle einer männlich besetzen Führungsposition wird das
Geschlecht für gewöhnlich nicht thematisiert obwohl eine Überpräsentation vorliegt (vgl. Bjertén-Günther 2020). Die männliche-gleichgeschlechtliche Sozialität verfestigt sich durch den exklusiven Zugang zu den informellen Verhandlungsräumen (Bjertén- Günther 2020: 50). Vor dem Hintergrund der Kritik, dass die durch die Vereinten Nationen imperialistische Interessen von Hegemonialmächten durchgesetzt werden könnten, lässt sich argumentieren, dass Frauenrechte gegebenenfalls im Sinne des Imperialismus manipuliert werden (Petinnen 2012: 154). Da die imperialistischen Ziele von Hegemonialmächten mit feministischer Theorie nicht in Einklang stehen würde es sich dabei um eine Form von Pinkwashing handeln. Carol Cohn befürchtet, dass die Konstruktion von Frauen als Macher des Friedens zu viel Krieg in der Kategorie Gender platziert und dabei die vorherrschenden politischen und erkenntnistheoretischen Rahmenbedingungen unberührt bleiben (Cohn 2008: 17).
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