Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das Modell nach Watzlawick
2.1 Das ,System‘ nach Watzlawick
2.2 System Dysfunktionalität & negative Systembeziehungen
3 Fallbeispiel
3.1 Familie Schmidt
4 Von der Theorie zur Praxis
4.1 Unbekannte Variablen im Kontext des Falls
4.2 Fallanalyse anhand des Systems nach Watzlawick
4.3 System-Dysfunktionalitäten und negative Systembeziehungen am Fallbeispiel
5 Zielsetzung und Anwendung am Fall
5.1 Kurzfristige Ziele und Umsetzung
5.2 Mittelfristige Ziele und Umsetzung
5.3 Langfristige Ziele und Umsetzung
6 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Der Grungedanke der Systemtheorie hat sich in vielen theoretischen sozialarbeiterischen Modellen verankert. Eines dieser Modelle entstand aus den Überlegungen des Psychotherapeuten und Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick der sich im Kontext der Systemtheorie intensiv mit den Kommunikationsphänomenen und der Theorie des Konstruktivismus befasste. Der daraus resultierende systemische Ansatz, welcher auch im Fokus dieser Hausarbeit steht, ermöglicht es den Blick der Sozialen Arbeit zu erweitern und auf den sozialen Kontext der Adressaten zu legen, wobei diese Verbindung als soziales System verstanden wird. Zudem schafft der systemische Ansatz die Basis um Handlungsmöglichkeiten gemeinsam mit seinen Adressaten im Hinblick darauf zu entwickeln, über welche Ressourcen das soziale System eines Klienten bereits verfügt und welche Leistungen sein System positiv bereichern bzw. beeinflussen könnten. Dabei werden ermittelte Problemlagen nicht als individuelle Erscheinung, sondern als komplexe und kollektive Gesamtzusammenhänge innerhalb eines Systems betrachtet (vgl. Paulick 2020: o.O.). Diese Ausarbeitung soll die Umsetzung des systemischen Ansatzes am Fallbeispiel der fiktiven Familie Schmidt veranschaulichen und seine Bedeutung in der systemischen Praxis Sozialer Arbeit verdeutlichen. Den Anfang bildet hierbei das zweite Kapitel, in welchem zunächst das Theoriegerüst des systemischen Ansatzes nach Watzlawick, sowie damit zusammenhängende Begrifflichkei- ten umfassend erläutert werden. Das dritte Kapitel legt den Fall der Familie Schmidt dar, an dem diese Hausarbeit ausgerichtet ist. Innerhalb des vierten Kapitels werden zunächst die unbekannten Variablen beleuchtet, welche sich aus dem vorangegangenen Fallbeispiel ergeben. Im Anschluss wird der Fall anhand des systemischen Ansatzes nach Watzlawick analysiert und auf bestehende Systemdefizite überprüft, wobei diese systemischen Zusammenhänge und Wechselwirkungen zum besseren Verständnis des Lesers grafisch veranschaulicht werden. Das fünfte Kapitel greift die vorangegangene Fallanalyse auf und verknüpft diese mit der Hilfegestaltung, welche in kurz-, mittel- und langfristige Zielsetzungen unterteilt wird. Zudem wird in diesem Zusammenhang ebenfalls der Blick auf die mögliche Umsetzung dieser Zielvorstellungen gelegt, sowie der Einfluss dieser auf die Familiendynamik. Abschließend folgt im Kapitel sechs das Fazit, welches eine Zusammenfassung der gesammelten Theorie und Fallanalyse beinhaltet, sowie einen Ausblick auf den geplanten Hilfeverlauf der Familie Schmidt gibt und darauf bezogene Chancen und Risiken reflektiert.1
2 Das Modell nach Watzlawick
Dieses Kapitel befasst sich zunächst mit dem theoretischen Grundgedanken des menschlichen Systems und inwiefern dieses in der Sozialen Arbeit von Bedeutung ist. Im Anschluss findet sich dieser Grundgedanke in der Auseinandersetzung mit dem systemischen Beratungsmodell nach Watzlawick wieder. Abschließend werden in diesem Zusammenhang die Begrifflichkeiten der System-Dysfunktionalität und der negativen Systembeziehungen erläutert.
2.1 Das , System4 nach Watzlawick
„Als soziales System wird ganz allgemein die Gesamtheit aller Gruppierungen von Menschen bezeichnet, die einen Einfluss auf das Verhalten anderer Menschen ausüben, wobei der Einzelne als definiertes Element eines sozialen Systems handelt.“ (Stangl 2022: o.O.). Daraus abgeleitet besitzt jedes Individuum ein eigenes, individuelles System, welches über Kommunikation und Interaktion zu anderen Systemen gebildet wird. Fällt diese weg, hört das jeweilige System auf zu existieren. Sobald sich eines der Systeme verschiebt oder ein neues hinzukommt, ordnet sich das System neu. Dem System lassen sich grundlegende Merkmale zuordnen. Dazu zählt, dass die Systeme um ein Individuum herum in einer wechselseitigen Abhängigkeit zum System des Individuums stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Weiterhin ist der Begriff des Systems untrennbar mit der Vorstellung einer sozialen Ordnung verbunden. Dahingehend trägt jede Handlung, die sich an den normativen Richtwerten gesellschaftlicher Ordnung orientiert, zur Stabilisation des eigenen Systems eines Individuums bei (vgl. Rasch 2013: S.9 ff.). Ein weiteres Merkmal des Systems ist seine Geschlossenheit gegenüber seiner Umwelt, was bedeutet, dass ein System filtert bzw. differenziert ob, wie und wodurch es auf von außen kommende Informationen reagiert bzw. damit umgeht. Aus dieser individuellen Wahl der Reaktion, Interaktion, sowie der InformationsRelevanz-Filterung eines Systems, bildet sich schließlich seine Identität (vgl. Eidenschink 2020: o.O.). Ein System ist demnach von seiner Umwelt abgegrenzt, wobei diese Grenze durchlässig ist, was dazu führt, dass Beziehungen zwischen dem System und seiner Umwelt möglich sind. Das letzte Merkmal beschreibt die Regelmäßigkeit sozialer Systeme, welche sich zum einen in dem stattfindenden Austausch zwischen den verschiedenen Ebenen äußert und zum anderen in dem wiederkehrenden Austausch innerhalb der Ebenen (vgl. Stangl 2022: o.O.) Das Systemgefüge eines Klienten ist insofern von Bedeutung für die Soziale Arbeit, dass es wichtige Anhaltspunkte für die Arbeit zwischen den Professionellen und deren Adressaten liefert. Mit Hilfe des systemischen Ansatzes lassen sich Individuen an sich, oder auch gesellschaftliche Gruppen so adäquat wie möglich dekodieren, reflektieren und beschreiben. Die Grundlage dazu liefern die Beobachtungen und Bewertungen der Dynamiken menschlicher Beziehungen und sozialen Interaktionen eines Klienten. Anhand des theoretisch-reflexiven Blickes von außen auf das Systemgebilde eines Falles, lässt sich eine Beobachtung aus der Praxis auf Distanz betrachten. Diese Distanz erleichtert es dann Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den einzelnen fallbezogenen Situationen und Systemen zu erkennen und daraus folgend Ressourcen, sowie angemessene Interventionsmaßnahmen ableiten zu können (vgl. Hafen o.J.: S.226 f).
Das Modell nach Watzlawick beschreibt Systemkonstellationen in die ein Individuum oder eine Gruppe (z.B. Familie) eingliedert ist. Dabei unterscheidet Watzlawick zwischen der Individualebene, dem Mikro-, Meso-, Makro- und dem Exosystem. Auf der Individualebene steht der Klient/die Klienten mit seinem Interventionsbedarf im Mittelpunkt. Hier sind sachliche Kriterien wie z.B. das Alter, Geschlecht oder besondere Auffälligkeiten von Bedeutung. Das Mikrosystem beschreibt die sozialen Ressourcen und unmittelbare zwischenmenschliche Beziehungen, welche das Individuum umgeben bzw. mit denen der Klient interagiert. Darunter fallen unter anderem Freunde, Familienmitglieder oder Bezugspersonen. Das Mesosystem stellt ein System institutioneller Settings und Netzwerke, in welchen Menschen sozial leben, arbeiten, lernen und miteinander verkehren, dar. Dazu zählen unter anderem Dienstleistungen (Hilfen zur Erziehung), oder Institutionen (Bildungs- und Betreuungseinrichtungen). An oberster Stelle steht das Makrosystem, welches neben den kulturellen und subkulturellen, auch die systemübergreifenden Strukturen beinhaltet, was z.B. gesetzliche Regelungen, Norm- und Wertevorstellungen miteinschließt, in denen sich das Individuum bewegt. Den letzten Umweltausschnitt stellt das Exosystem für ein Individuum dar. Dieses beinhaltet soziale Systeme, in denen das Individuum zum aktuellen Zeitpunkt der Beobachtung noch nicht integriert ist, welche aber Teil seines Systemkonstruktes werden könnten und so Einfluss auf das Individuum, sowie die ihn umgebenen Systeme nehmen könnten (vgl. Bauer et al. 2010: S.38 f.).
2.2 System Dysfunktionalität & negative Systembeziehungen
Ein Klient ist, wie oben erläutert, von verschiedenen Systemen umgeben, zu denen er in individuellen zwischenmenschlichen Beziehungen steht. Jede dieser Beziehungen erfüllt eine bestimmte Funktion und diese Systembeziehung kann entweder zweckerfüllend funktionieren oder aber dysfunktional verlaufen. Im Wesentlichen wird hier zwischen drei sogenannten System-Dysfunktionalitäten unterschieden. Die erste beschreibt den Funktionsausfall, welcher darin besteht, dass ein Systemangehöriger aufgrund von Fehlen, oder Passivität seine Systemfunktion nicht erfüllen kann, wie z.B. ein Vater, der verstirbt, oder ein Vater der den Hilfebedarf seines Kindes nicht bemerkt. Der Funktionskonflikt hingegen besteht in konträren Handlungen wichtiger Systemangehöriger, wie z.B. eine Mutter, die gegen die Erziehungsmethoden des Vaters handelt. Die dritte Dysfunktionalität ist die Fehlfunktion, welche darin besteht, dass ein System seinen ursprünglichen Sinn und Zweck nicht mehr erfüllt, wie z.B. eine helfende Maßnahme, welche, anstatt zu stabilisieren, den Adressaten destabilisiert. Unter einer Systembeziehung wird das Verhältnis zwischen zwei oder mehreren Systemen, die sich wechselseitig bedingen, verstanden. Dabei wird zwischen gesun- den/guten und toxischen/schlechten Systembeziehungen unterschieden. Sind diese Systembeziehungen toxischer Art, wird von negativen Systembeziehungen gesprochen. Dazu zählt die mangelnde Systembeziehung, welche bedeutet, dass keinerlei Beziehungen im System vorhanden sind. Die zweckfremde Systembeziehung stellt eine Beziehung dar, die dem Zweck mindestens eines der Angehörigen Systeme widerspricht. Die letzte negative Systembeziehung ist der Systemkonflikt, welcher ausdrückt, dass sich die beteiligten Systeme in ihrer jeweiligen Zweckerfüllung gegenseitig behindern. Die Aufgabe des Sozialarbeiters besteht sowohl im Falle einer bestehenden Dysfunktionalität als auch bei einer negativen Systembeziehung darin, die vorherrschenden Systemproblematiken zu lösen (vgl. Erath 2006: S. 153).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1.: System nach Watzlawick (eigene Darstellung)
3 Fallbeispiel
Dieses Kapitel beinhaltet das detaillierte Fallbeispiel von der Familie Schmidt, auf dem alle nachfolgenden fallanalytischen Inhalte dieser Ausarbeitung aufbauen.
3.1 Familie Schmidt
Lena ist 16 Jahre alt und besucht die 10. Klasse der Gesamtschule in Rostock. In den letzten 2 Jahren häufen sich Lenas Fehlzeiten in der Schule stark und oft verlässt sie die Schule vor einer anstehenden Prüfung einfach früher, ohne sich abzumelden. In diesem Zusammenhang werden auch Lenas Noten immer schlechter und ihre Klassenlehrerin wendet sich besorgt an den Schulsozialarbeiter, welcher Lena zu einem Gespräch einlädt.
Lena hat noch zwei weitere Geschwister. Ihre kleine Schwester Mila (5 Jahre) und ihren kleinen Bruder Kevin (7 Jahre). Mila geht in eine Kindertagesstätte und wohnt mit Lena zusammen bei ihrer Mutter Nadja. Ihr Bruder Kevin geht in die erste Klasse und ist mit Lena auf derselben Schule. Er lebt aber nicht mit seinen Geschwistern zusammen, sondern bei ihrem gemeinsamen Vater. Die Eltern der Drei haben sich vor 4 Jahren scheiden lassen und leben seitdem getrennt.
Mutter Nadja war wegen eines Kindheitstraumas in Therapie. In dieser Zeit vor 3 Jahren lernte sie ihren neuen Partner Klaus kennen. Beide sind arbeitslos und verbringen die meiste Zeit des Tages Zuhause im Alkoholrausch. Des Öfteren passiert es, dass Klaus, während er betrunken ist, aggressiv wird und die Hand gegen Nadja erhebt. Klaus ist bereits vor der Beziehung bei der Polizei auffällig geworden und hat hier auch einen Eintrag erhalten wegen öffentlichen Randalierens unter Alkoholeinfluss.
Lena schwänzt immer häufiger die Schule, weil sie sich Zuhause um ihre betrunkene und oft verletzte Mutter kümmern muss. Zudem muss Lena ihre beiden Geschwister immer von der Schule/Kita abholen und sich dann Zuhause um beide kümmern.
Der leibliche Vater (Herbert) der drei Kinder ist beruflich viel unterwegs und hat kaum Zeit sich um seine Kinder zu kümmern. Wenn er mit Kevin Zuhause Zeit verbringt, ist Kevin sehr schweigsam, sobald er nach seinen anderen beiden Geschwistern oder seiner Mutter gefragt wird. In der Schule ist Kevin sehr angepasst und schreibt, durch die Hilfe seiner Schwester Lena, gute Noten. Ansonsten ist er stark introvertiert und findet in der Schule keinen Anschluss, den er selbst auch nicht aktiv sucht. Die meiste Zeit ist er für sich.
Mila hingegen fällt in der Kita in letzter Zeit den Erziehern im Umgang mit den anderen Kindern sehr negativ auf. Sie zeigt sich im Spiel oder im alltäglichen Miteinander schnell und stark gereizt und reagiert in daraus resultierenden Konfliktsituationen sofort aggressiv und haut oder beißt die anderen Kinder dann.
Lenas Mutter kümmert sich in ihren wenigen nüchternen Momenten gut um ihre Kinder, aber wenn sie und Klaus getrunken haben, bleibt alles an Lena hängen.
[...]
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung personenspezifischer Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für jedes Geschlecht.