Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Motivation und Problemstellung
1.2 Schwerpunkt und Aufbau derBachelorarbeit
2. Begriffsdefinitionen
2.1 Individualität
2.2 Individuum
2.3 Gemeinschaft
2.4 Gesellschaft
2.5 GesellschaftlicherZusammenhalt
3. Individualismus vs. Kollektivismus
3.1 Individualismus
3.2 Kollektivismus
4. Individualisierung der Lebensverhältnisse
4.1 Geschichtlicher Einblick
4.2 Sozialstrukturelle und Kulturelle Individualisierung
4.3 Praktische Anwendungsbeispiele
5. Individualisierung dermodernen Gesellschaft
5.1 Solidarität und gesellschaftlicherZusammenhalt in Deutschland
5.2 Betrachtungsweisen der Individualisierung in modernen Gesellschaften
5.2.1 Negative Individualisierung
5.2.2 Positive Individualisierung
5.2.3 Ambivalente Individualisierung
6. Zusammenführung
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Motivation und Problemstellung
„Was heute eine Bürde ist, das kann morgen bereits als eine Chance erscheinen und umgekehrt.“
Matthias Junge
Genau dieses Zitat von Junge (2002, S.13) spiegelt die Unberechenbarkeit der modernen Gesellschaften wider. Denn durch den stetigen Wandel den sie durchlaufen, kann sich eine Last die wir heute noch verspüren, schon morgen als ein Gewinn herausstellen.
Wer wusste sofort nach der Schule, ohne groß überlegen zu müssen, welche Ausbildung oder Studium er anfangen möchte und wo er danach arbeiten will? Wer hat sich nicht mal überfordert bei den ganzen Angeboten der Neuzeit gefühlt?
Ein anderes Szenario: Wer hat nicht schon öfter den Satz „Früher war alles anders“ oder „Früher war alles besser“ gehört? Oder festgestellt, dass in den Geschichten unserer Eltern und Großeltern von ganz anderen (Kindheits-) Traditionen oder Lebensstile die Sprache ist? In Büchern von früher, die noch alte Ideale vorgeben, wie eine „richtige“ Familie auszusehen hat und wie eine Rollenverteilung aussieht. Die ständige Frage bei Familienfeiern, wann man denn endlich heiraten möchte oder ein Kind bekommt, man sei ja schließlich schon 23 Jahre alt? Gefolgt von: „In deinem Alter, da war ich schon längst schwanger mit dem zweiten Kind!“ Anders gefragt: Wer möchte nicht individuell sein? Einzigartig? Aus der Masse herausstechend und einfach machen was den eigenen Bedürfnissen und Interessen entspricht.
Neben dem Fakt, dass die Gesellschaften sich stetig verändern, spielt auch die Individualisierung eine enorme Rolle dabei (Schäfers, 2001, S. 109). Doch welchen Einfluss hat diese genau darauf? Und vor allem welche Herausforderungen müssen sich die modernen Gesellschaften dadurch nun stellen?
Laut Nassehi (2001, S.210), ist die Sozialwissenschaft nur eine Schlüsseldisziplin von sozialen Problemen. Es geht dabei nicht um die absolute Lösung, sondern ebenso um die Entdeckung und Formulierung dieser Probleme. Genau diese Betrachtungsweise der Sozialwissenschaft war meine Motivation, mich den Herausforderungen der Individualisierung in modernen Gesellschaften zu stellen. Im Rahmen dieserArbeit sollen keine Lösungen gefunden werden. Es geht hierbei ausschließlich um die Entdeckung und Darstellung der Herausforderungen, welche sich die modernen Gesellschaften stellen müssen durch den voranschreitenden strukturellen Wandel und Individualisierungsprozess.
1.2 Schwerpunkt und Aufbau der Bachelorarbeit
Da es sich bei der Individualisierung allerdings um einen sehr komplexen Prozess handelt, der großen Einfluss auf die Lebensverhältnisse und der Individuen in modernen Gesellschaften hat, bedarf es einige Eingrenzungen (vgl. Nassehi 2001, S.209, Schäfers 2001, S.109). Demnach wurden im Voraus vier Hypothesen aufgestellt, welche in dieser Arbeit analysiert und bewertet werden.
1. Durch die Individualisierung wächst das Bedürfnis sich immer mehr von der Masse absetzen und sich unterscheiden zu wollen. Dadurch wird der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet.
2. Durch den Individualisierungsprozess erhöht sich die Vielfalt des sozialen Lebens.
3. Durch den Individualisierungsprozess der Gesellschaft steigt die Überforderung des Individuums.
4. Da die Auswahl von wechselnden Gruppen und Positionen wächst, wird die persönliche Stabilität gefährdet.
Dabei ist die vorliegende Arbeit wie folgt aufgebaut: Zunächst soll im folgenden Kapitel Begrifflichkeiten der Individualität, des Individuums, der Gemeinschaft, der Gesellschaft und des gesellschaftlichen Zusammenhalts geklärt werden. Hierbei wurde bewusst die Individualisierung nicht mit aufgenommen, da es in der Literatur als auch in der Wissenschaft nicht trennscharf definiert ist und im Laufe der Arbeit immer wieder neue Definitionsweisen und Theorien herangezogen werden und erst bei der Zusammenführung ein einheitliches Bild in Hinblick auf die oben genannten Hypothesen erstellt wird. Individualismus und Kollektivismus sind ebenso wichtige Indikatoren, die als Begrifflichkeiten an sich zwar nicht vermehrt in der Arbeit vorkommen, aber dennoch wichtige Bestandteile bei der Klärung der Individualisierung sind.
Danach folgt der Bezug auf die Individualisierung der Lebensverhältnisse in Hinblick auf die geschichtliche Entwicklung und die Unterteilung in soziostrukturelle und kulturelle Individualisierung. Daraufhin folgt eine Selektion an praktischen Beispielen der individualistischen Einflüsse bestimmter Lebensverhältnisse, bezogen auf die Entwicklung der Lebensverläufe der Individuen, der Wandel der Akzeptanz bestimmter Beziehungsformen besonders anhand der LGBTQ+ Community und Pluralisierung der Familienformen.
Nach der Klärung dieser genannten Punkte folgt der Bezug auf die modernen Gesellschaften und dessen Wandel und Einflüsse die Individualisierung darauf hat. Hierbei werden Studien herangezogen, die sich mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland beschäftigen. Sie stammen von der Bertelsmann Stiftung, wobei die erste von 2012 stammt und in Vergleich gesetzt wird mit den neu dazugekommenen Faktoren der darauffolgenden Studien. Anschließend wird auf die systematisierte Darstellungsweise der Individualisierung von Markus Schroer eingegangen, wobei er Theorien wichtiger Soziologinnen wie Dürkheim, Simmel, Weber, Beck, Luhmann, etc. nutzte, um die Individualisierung in negative, positive und ambivalente Betrachtungsweisen in Bezug auf die Gesellschaften aufzuteilen. Abschließend folgt die Zusammenführung dieser genannten Punkte und Indikatoren auf die, von mir, aufgestellten Hypothesen über die Herausforderungen der Individualisierung in modernen Gesellschaften. Gefolgt von einem zusammenfassenden Fazit.
Diese Arbeit konzentriert sich explizit auf den Annahmen der westlichen Kultur, mit besonderem Hinblick auf Deutschland.
2. Begriffsdefinitionen
2.1 Individualität
Individualitätverweist auf die Besonderheit des Einzelnen“ (Scherr, 2001, S. 134) und kann demnach wie ein sozialer Fingerabdruck verstanden werden. Denn nur dadurch wird die Identifikation eines Individuums ermöglicht. Die Einzigartigkeit eines Individuums wird dabei durch die vielfältigen Beziehungen und Rollenerwartungen der Individuen erzeugt und ausgedrückt. Das bedeutet, dass Menschen sich untereinander unterscheiden durch die Erfüllung unterschiedlicher Rollen. Dadurch entsteht eine soziale Differenzierung. Durch verschiedene Kombinationen von Rollenauffassungen und Interpretationen erlangt das Individuum eine individualisierte Darstellung, welches schlussendlich zur Individualität führt. Diese kann anschließend durch die Einzigartigkeit ihrer Kombinationen wachsen (Junge, 2002, S. 29). Hinzu kommen das Koordinieren und das Einhalten der Balance zwischen den unterschiedlichen Rollenerwartungen. Denn die Individualität wird gefördert durch die Entstehung gewisser Handlungs- und Entscheidungsspielräume der Einzelnen und daraus resultierenden Gruppenausdehnung und Kreuzung sozialer Kreise (Müller, 2018, S. 297).
2.2 Individuum
Die Definition des Individuums wird in der Literatur von verschiedenen Autoren diskutiert. Unterschiedliche Soziologinnen stellen verschiedene Interpretationsweisen und Auslegungsweisen dessen dar. In dieser Arbeit gilt das Individuum als eine junge kulturelle Erfindung, welches es als Einzelwesen schon in allen Gesellschaften gegeben hat und eine gesellschaftliche Bedeutung, Einfluss, Wirkung und Zurechenbarkeit von Handlungen zugeschrieben bekommt. Zu dem handelt es sich um ein eindeutig bestimmbares Wesen, welches als Einheit immer bestehen bleibt. Das Individuum gilt deswegen als kulturelle Erfindung, da es sich um die historische Entwicklung dessen handelt. Durch die Darstellung und Einbeziehung der Handlungen von unterschiedlichen Individuen, kann der Wandel von gesellschaftlichen Verhältnissen beschrieben werden (vgl. Junge, 2002, S. 14, 29 ff.).
2.3 Gemeinschaft
Gemeinschaft bezeichnet ein sehr enges und vertrautes menschliches Zusammenleben, welches sich mit Nähe, Solidarität und Hilfsbereitschaft auszeichnet. Diese Form des Zusammenlebens entsteht aus einer intrinsischen Motivation der Individuen heraus und muss daher nicht aktiv organisiert werden. Das Gemeinschaftsgefühl bringt Empfindungen von Schutz und Geborgenheit mit sich, wodurch schnell ein Gefühl von moralischer Verpflichtung entstehen kann. Klassische Beispiele für Gemeinschaften sind unter anderem Familie und Verwandtschaft, Ehe / Partnerschaft, sowie Freundschaft und Nachbarschaft. Das Gefühl der Gemeinschaft kann auch durch gewisse Gemeinsamkeiten, wie gemeinsame Interessen oder Besitztümer erlangt werden (Schäfers, 2001, S. 98 ff.).
2.4 Gesellschaft
Aus der soziologischen Sicht ist die Gesellschaft eine sehr schwankende Konstruktion, welches sich im permanenten Wandel befindet. Daher gilt es als ein komplexer Begriff der Soziologie und ist nur schwer trennscharf zu definieren. Wenn man dem Wortursprung nachgeht, bedeutet Gesellschaft der „Inbegriff räumlich vereint lebender oder vorübergehend auf einem Raum vereinter Personen.“ (Geiger zit. in Schäfers 2001, S.109). Dieser Definition zu Folge wird die Gesellschaft als die Verbindung von Menschen bezeichnet, die auf der Befriedigung und Sicherstellung gemeinsamer Bedürfnisse basiert (Schäfers, 2001, S. 109). Es gibt verschiedene Arten von Gesellschaften. Relevant für diese Arbeit ist die Gegenüberstellung der traditionellen Gesellschaften und der modernen Gesellschaften. So gilt es für die traditionelle Gesellschaften, „dass das Individuum dort über seine Zugehörigkeit zu einer Gruppe definiert wird und als autonomes Individuum nur eine marginale Rolle spielt“ (Junge, 2002, S. 14). Dieser Definition nach wird das Individuum nur noch als Teil eines Ganzen gesehen und verstanden. Dadurch werden ihm zwar soziale und kulturelle Bedeutsamkeiten abgeschrieben, aber dafür rückt das Kollektivbewusstsein und die Solidarität in den Vordergrund. Die Handlungen der Individuen werden den gemeinsamen Vorstellungen der Gruppe angepasst (vgl. Junge, 2002, S. 14, 40).
Bei modernen Gesellschaften wiederum gelten ,,[d]ie Modernitätsmerkmale von heute [...] nicht die von gestern und auch nicht die von morgen, und eben darin liegt ihre Modernität“ (Luhmann, 1992, S. 15). Aus Luhmanns Sicht wird die umstrittene Bedeutung des Modernitätsbegriffes deutlich. Da sich die Moderne stetig verändert, ist es schwer eine klare Definition festzulegen und genaue Merkmale anzuhängen. Daher ist auch die moderne Gesellschaft ein diskutabler Begriff der Soziologie, denn diese befindet sich in einem stetigen Wandel und kann nicht als Komplex gesehen und definiert werden (vgl. Nassehi 2001, S.209).
Dennoch bleiben manche Bezugspunkte gleich, welche sich aktiv von der traditionellen Gesellschaft unterscheiden. So wird dem Individuum für sich selbst und seinen Handlungen nun Bedeutung für die konkrete Gestalt der Gesellschaft zugeschrieben.“ (Junge, 2002, S. 14). Die Individuen agieren als Hauptakteure und tragen einen großen Beitrag zur Gesellschaftsgestaltung dazu, ohne dass ihnen direkt vorgegeben wird wie sie es zu tun haben. Hierbei steht besonders die Differenzierung voneinander im Vordergrund, wobei sich auf die Emanzipation unterschiedlicher Teile der Gesellschaft und das Wachsen einer individuellen Autonomie fokussiert wird. Weitere Auswirkungen davon sind das Wachstum von Flexibilität, Eigenverantwortung und die Vielfalt der Wahlmöglichkeiten (vgl. Nassehi 2001, S.209,Junge 2002,S.40).
2.5 Gesellschaftlicher Zusammenhalt
Eine einheitliche Definition des gesellschaftlichen Zusammenhaltes ist leider nicht möglich, auf Grund der verschiedenen Einflussfaktoren und ungenaue Bestimmung der Teilhabe von Akteuren. Auch wenn diese Begrifflichkeit oft im Alltag oder in der Wissenschaft verwendet wird, hat es so gut wie nie die gleiche Bedeutung, denn jeder interpretiert es anders für sich. Diese Arbeit fokussiert sich auf die Definitionsweise von den Forschern und Forscherinnen Schiefer, van der Noll, Delhey und Boehnke, da sich besonders das Kapitel 5.1 sich mit deren Studien bezüglich des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Deutschland auseinandersetzt. Gemäß deren Definition handelt es sich bei Gesellschaftlichen Zusammenhang um ein Kriterium eines Kollektivs, welches auf verschiedenen Ebenen dargestellt werden kann (vgl. Schiefer, et al. 2012, S.16-21). Dabei spielen drei Dimensionen eine besondere Rolle, die bei der Beschreibung von gesellschaftlichem Zusammenhang behilflich sind. Zum einen die sozialen Beziehungen, welche sich mit den,,[...] sozialen Netzwerken, Partizipation, Vertrauen und die Akzeptanz von Diversität [.]“ (Schiefer, van der Noll, Delhey, & Boehnke, 2012, S. 9) auseinandersetzt. Dazu kommt die Verbundenheit, welche durch Gefühle der Zugehörigkeit und Identifikation [.]“ (Schiefer, van der Noll, Delhey, & Boehnke, 2012, S. 9) bestimmt wird. Und als dritte Dimension die Gemeinwohlorientierung, welche sich für die Bestandteile gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein, Solidarität und die Anerkennung sozialer Ordnung [.]“ (Schiefer, van der Noll, Delhey, & Boehnke, 2012, S. 9) einsetzt. Weitere wichtige Faktoren die von Bedeutung sind, ist die objektive und subjektive Lebensqualität in distributiver Verbindung mit der Gleichheit und Ungleichheit und die geteilten Werte (Schiefer, van der Noll, Delhey, & Boehnke, 2012, S. 17).
Dazu ist ebenso wichtig zu erwähnen, dass bei gesellschaftlichen Zusammenhalt die Qualität eines funktionierendem Miteinander in einer Gesellschaft geprägt wird, welches sich unter anderem durch ,,[d]ie Fähigkeit, mit Unterschiedlichkeit-z.B. bezüglich Religion, Werten oder Lebensstil- umzugehen [...]“ (Schiefer, van der Noll, Delhey, & Boehnke, 2012, S. 6) ausdrückt. Zusammenhalt bedeutet in diesem Zusammenhang diese Unterschiedlichkeiten zu erkennen und dennoch die Teilhabe an einer gerechten Gesellschaft und die Bindung zu Menschen zu erhalten“ (Schiefer, van der Noll, Delhey, & Boehnke, 2012, S. 6). Zu berücksichtigen gilt ebenso, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt eher als ein politischsozialer Prozess gesehen werden muss und daher kein zu erreichendem Ziel oder eine ruhende Gegebenheit darstellt. Dieser Prozess basiert auf Lebens- und Verhaltensweisen auf sozialen, wertebezogenen und lebensweltlichen Einstellungen (Brand, et al. 2020, 16).
3. Individualismus vs. Kollektivismus
Ein großer Einfluss auf die stetige Veränderung von Gesellschaftstypen und Beziehungen hat die Individualisierung. Um diese besser verstehen zu können, ist das Verständnis der Wechselwirkung zwischen Individualismus und Kollektivismus von Belangen. Dies soll im folgenden Kapitel genauer erläutert und diskutiert werden. Genau diese Entwicklung der neuen, modernen Gesellschaft, von kollektivistischen Zügen zu individualistischen Einflüssen hilft die Herausforderungen der Individualisierung in modernen Gesellschaften besser nachzuvollziehen.
3.1 Individualismus
Beim Individualismus steht das Interesse des Individuums im Vordergrund. Um dies zu erklären, nutzt Hofstede (1993) die Darstellung einer Kern- bzw. Kleinfamilie, welches nur die Beziehung zwischen Kind(ern) und Elternteile inkludiert. Wenn ein Kind nun in solchen Kleinfamilien heranwächst, liegt der Fokus von Geburt an auf dem ,lch‘ und somit auf der persönlichen Identität. Bei dieser Art der Erziehung steht die Herausbildung einer Selbstständigkeit im Zentrum, wobei das Kind lernt soziale Bindungen freiwillig nach Vorlieben einzugehen. Verpflichtungen, schlussendlich diese eingegangenen Beziehungen aufrecht zu halten gibt es insofern nicht, denn das Individuum steht im Idealfall auf den eigenen Beinen und ist auf keiner Gruppe angewiesen (ebd., 1993, S. 67). Laut Jungen (2002, S. 90f.) wird Individualismus als ein Kulturwert verstanden, welcher sich auf die Freiheiten und Autonomie der Individuen konzentriert. Es kann aber nicht nur von einem Individualismus gesprochen werden, sondern gibt es auch da unterschiedliche Formen, die jeweils unterschiedlich den Fokus setzen, ob aufden ökonomischen Nutzen, sozialen Nutzen, etc...
3.2 Kollektivismus
Anders als beim Individualismus überwiegt bei kollektivistischen Gesellschaften das Interesse der Gruppe. Dadurch wird ein gewisser Grad an Macht übertragen, woraus Verpflichtungen, Verantwortung bis hin zu einem Abhängigkeitsverhältnis resultieren. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist, laut Hofstede (1993), die Großfamilie. Diese gehört zu den ersten Wir-Gruppen im Leben und kann unterschiedlich je nach Gesellschaften ausfallen. Die Gemeinsamkeit dabei ist jedoch, dass wenn ein Kind heranwächst automatisch Teil dieser Wir-Gruppe wird und eine unfreiwillige von der Natur vorgegebene Beziehung eingeht. Hofstede führt diese Theorie weiter, dass ,,[d]ie ,Wir‘-Gruppe [die Hauptquelle] der Identität des Menschen und dessen einzigen sicheren Schutz gegen die Gefahren des Lebens [bildet].“ (ebd., 1993, S. 66). Erst dadurch entstehen Gefühle der Verpflichtung nach Loyalität und daraus entstehenden Abhängigkeitsverhältnis.
4. Individualisierung der Lebensverhältnisse
Individualisierung ist keine Entdeckung der Neuzeit oder alleiniger Bestandteil des modernen Zeitalters. Es ist ein Prozess des gesellschaftlichen und strukturellen Wandels wobei Lebensformen pluralisiert und damit die Lebensläufe differenziert werden. Diese wachsende Flexibilität der Lebensgestaltung begleitet die gesellschaftliche Entwicklung schon ewig. Aus diesem Grund wächst die Vielfalt der Begriffsdefinitionen mit der Zeit immer weiter, wodurch keine allgemeine Festlegung getroffen werden kann, welche das Phänomen der Individualisierung exakt beschreibt (vgl. Junge 2002, S.7, Backes 1998, S.8).
Die Gemeinsamkeit aller Definitionen ist dennoch die Hauptrolle des Individuums in der Gesellschaft und für sich selbst. So schreibt Ullrich Beck: „Der oder die einzelne selbst [wird] zur lebensweltlichen Reproduktionseinheit des Sozialen“ (Beck U. 1986, S. 209). Markus Schroer führt diese Erklärungsweise weiter und beschreibt es als die „Herauslösung des Einzelnen aus traditionellen Sozialbeziehungen“ (Schroer, 2000, S. 13). Diese Herauslösung, von der Schroer spricht, bezieht sich dennoch nicht ausschließlich auf die Traditionen, sondern auch auf die Auflösung der (sozialen) Klassen. Individualisierung ist kein Einzelphänomen welches sich auf nur einen Sektor auswirkt. Im Gegenteil, es wirkt sich auf viele unterschiedliche Bereiche aus, was die Bildung einer einheitlichen Definition sichtlich erschwert. Demnach gibt es zum Beispiel die bürgerliche Individualisierung, welche sich auf die Entwicklung der sozialen und politischen Identität des Individuums bezieht oder die Arbeitsmarkt-Individualisierung, diese nimmt besonders Bezug auf die Vervielfältigung der Lebensweisen, Bildung und Mobilität (Beck 1986, S.131). Unwesentlich welcher Betrachtungs- und Definitionsweise steht im Vordergrund stets die Entwicklung der Individuen in den Gesellschaften.
4.1 Geschichtlicher Einblick
Um die Individualisierung als Prozess besser zu verstehen, sind die geschichtlichen Aspekte mit der Unterscheidung zwischen quantitativer und qualitativer Individualisierung behilflich. Die quantitative Individualisierung formierte sich im Zeitalter der Aufklärung. Dabei stand im Zentrum der Kampf gegen die traditionellen Mächte, wie Monarchie und Kirche, und die daraus resultierende Freiheit der Individuen. Die Menschen glaubten, dass im Zuge dessen alle gesellschaftlichen Probleme gelöst werden und Gleichheit entsteht. Damit wurde im Groben der erste Entstehungssatz des autonomen Individuums beschrieben (Müller, 2018, S. 299 f.). Die qualitative Individualisierung hingegen führt zurück ins 19. Jahrhundert, als zwar immer noch an der Freiheit festgehalten wurde, jedoch aus der Gleichheit sich eine Ungleichheit bzw. Differenz entwickelt hat. Das Ideal dieser Epoche war das Anderssein, sich von der Masse abzugrenzen und herauszustechen. Im Vordergrund stand nicht mehr nur die Freiheit, sondern die Einzigartigkeit der Individualität. Um diese jedoch aufrecht halten zu können bedarf es Pflege, indem die Individuen sich selbst in den Vordergrund stellten und nach ihren Interessen handelten. Nur dadurch konnte sich die Einzigartigkeit der Individualität ein Leben lang entwickeln (Müller, 2018, S. 299 f.).
Dabei ist festzustellen, dass die Entwicklung der Individuen zu einem zentralen Bezugspunkt für die Gesellschaft und sich selbst im Einklang mit der wachsenden Selbstbestimmung der Einzelnen stehen. Im Verlauf des gesellschaftlichen Wandels entstehen neue Entscheidungsund Wahlmöglichkeiten für die Individuen, welche auch neue Bedingungen und Einschränkungen zur Folge hat. Dazu kommt, dass die Individualisierung nur ein Teilprozess des gesellschaftlichen Wandels ist, andere wichtige Teile sind die Bürokratisierung, Urbanisierung und Demokratisierung. Das Individuum selbst entwickelt sich als ein Produkt des gesellschaftlichen Wandels (vgl. Junge 2002, S.7ff. ).
4.2 Sozialstrukturelle und Kulturelle Individualisierung
Eine weitere wichtige Betrachtungsweise ist die analytische Trennung der Individualisierung als sozialstrukturelles und kulturelles Phänomen, hinsichtlich des Wertewandels. Beck hat in seinen Büchern/Aufsätzen von 1986 die Komplexität dieser Differenzierung klar gemacht (vgl. Beck 1986, Scherger 2007). Er schreibt, dass die soziostrukturelle Indivdiualisierung das Ergebnis der Modernisierungs- und gesellschaftlichen Differenzierungsprozesse sei. Der Fokus liegt besonders auf dem Wandel des Orientierungsverhaltens des Individuums und daraus resultierenden Handlungskonsequenzen. So nimmt die Bestimmung und das Zugehörigkeitsgefühl von Klassen oder ständischen Lebensführung ab, aber die bestimmungsfaktoren von Lebensstilen oder Milieus nimmt zu. Demnach verlieren strukturelle Merkmale einer Gesellschaft an Bedeutung. Dazu schrieb Junge, dass Marx der Meinung war, dass in modernen Gesellschaften das Bewusstsein nicht mehr länger von dem gesellschaftlichen Sein beeinflusst wird. Das bedeutet, dass das Bewusstsein von der objektiven Lebenslage variiert und an Bedeutung verliert, besonders für die alltäglich Orientierung im sozialen Raum. Der Fokus einer individuellen Lebensführungs wird dadurch stetig größer (vgl. Junge 2002, S.23f., 43ff.).
Hinsichtlich der Arbeitsmarkt-Individualisierung wird nicht nur die Pluralisierung der Arbeitsmarktführung und Arbeitsmodellen ersichtlich, ebenso wird eine gewisse Doppeldeutigkeit deutlich (vgl. Junge 2002, S.55, Beck 1983, S.45). Denn wie Junge schreibt, liegt ,,[D]ie Paradoxie der sozialkulturellen Individualisierung [...] darin, dass die kollektive Erfahrung der Arbeitsmarktindivdiualisierung entkollektivierende Auswirkungen hat, weil die individuell reflektiert und bearbeitet wird.“ (Junge, 2002, S. 55). Also auf einer Seite wird auf dem Arbeitsmarkt individuell um die Arbeitskräfte gestritten, welche dann wiederum kollektive Erfahrungen sammeln, welche dann schlussendlich, von den Einzelnen, wieder individuell reflektiert und bearbeitet werden. Erfahrungen, die also kollektivistisch gesammelt werden, werden im gleichen Rahmen wiederum individuell bewältigt.
Bei der kulturellen Betrachtungsweise hingegen liegt der Fokus auf der Annahme, dass Individuen für alles verantwortlich sind was geschieht, bezüglich persönlichen als auch gesellschaftlichen Veränderungen. In anderen Worten geht es um die Stellung des Individuums in der Gesellschaft (Junge, 2002, S. 23 f.). Besonders Selbstkontrolle, Selbstverantwortung und die Selbst-Steuerung sind wichtige Faktoren, welche bei der Veränderung des gesellschaftlichen Zurechnungsmodus [...]“ einhergehen (Scherger, 2007, S. 31). Die sozialstrukturelle und kulturelle Individualisierung stehen dabei in einer Abhängigkeit zueinander. Insofern, dass die strukturellen Wahlmöglichkeiten und dessen Differenzierungs- und Pluralisierungsprozesse eine Voraussetzung für die kulturelle Individualisierung darstellt.
4.3 Praktische Anwendungsbeispiele
Laut Zapf ist die „Individualsierung [heute] eine Vorraussetzung des modernen Lebens“ (Zapf, 1993, S. 191), denn nur so kann man sich den wachsenden Wahl- und Optionsmöglichkeiten stellen und schlussendlich die neuen Anforderungen erfüllen (ebd.). Im Großen und Ganzen ist die Individualisierung das Ergebnis von sozialen und kulturellen Veränderungen, wobei die Umgestaltung der Lebensverhältnisse ein essentieller Teil dessen ist. Das Wachstum an Vielfältigkeit und Pluralisierung von Lebensformen, als auch mit den verbundene Differenzierung des Lebenslaufes, sind in diesem Prozess besonders zu sehen. Diese Veränderungen beziehen sich alle auf Lebensweisen bezüglich der Familien-, und Partnerschaftsformen, (Aus-)Bildung, Erwerbstätigkeiten, Nutzung der Zeit etc. (vgl. Backes 1998, S.7, Junge 2002, S.63). Von den traditionellen Lebensläufen und Lebensweisen abgewendet, haben sich diverse Alternativen herausentwickelt. „Das Individuum wird so zum Kern der Entwicklung seines Lebensverlaufs, seiner Identität und seiner privaten Lebensführung.“ (Junge, 2002, S. 63). Zu beachten gelten die Schwankungen des Verhaltens der Individuen im Laufe der Zeit und die daraus resultierende zeitlichen Veränderungen, welche immer wieder auf die Individualisierung als Prozess zurückführen. Aber genau durch diese stetig anhaltenden Veränderungen, kommen immer wieder neue Themen der Individualisierung dazu, sodass der Begriff der Individualisierung stets unbestimmt bleiben wird (Krings, 2016, S. 59).
Dennoch, um die Individualisierung und deren Auswirkungen und Herausforderungen am besten vor Augen führen zu können sind praktische Beispiele sehr nützlich. Ein Faktor, der bei der Individualisierung eine erhebliche Rolle spielt und viel Einfluss auf die Veränderung des Verhaltens der Individuen hat, ist die Verlängerung der Lebenszeit der Menschen. Denn durch diese Verlängerung erhöhen sich gleichzeitig die Erwartungen von Ereignissen im Leben. Der Verband der Ersatzkassen e.V. setzte sich mit dem demographischen Wandel in Deutschland auseinander. Laut deren Statistik lag die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland bei Frauen 1990 bei rund 79 Jahren und stieg bis 2020 auf rund 83 Jahren an. Bei Männern lag die Lebenserwartung 1990 bei rund 75 Jahren und stieg bis 2020 auf rund 79 Jahren an. Ihrer Zukunftsdiagnose nach soll die Lebenserwartung beider Geschlechter stetig steigen und sich gar bis 2060 bei Frauen bis auf 88 Jahre erhöhen und bei Männern auf 84 Jahre. (Verband der Ersatzkassen e.V. [vdek] 2022).
Die Verlängerung der Lebenszeit nimmt erheblichen Einfluss auf den Lebenslauf, welcher sich mit der zeitlichen Orientierung des Lebens auseinandersetzt. Die Lebensphasen sind absehbarer und verfolgen einen bestimmten institutionellen Verlauf. Diese Lebensereignisse sind so gut wie fest geplant und dadurch kann sich gut darauf vorbereitet werden. Die Abfolge der Phasen ist nicht nur gesellschaftlich festgelegt, sondern obendrein mit gesetzlichen Regulierungen (Junge, 2002, S. 64 ff.). Demnach gelten bestimmte Reglungen, wie zum Beispiel die Schulpflicht und ab wann ein Mensch in den Ruhestand gehen kann bzw. muss. Diese Reglungen müssen einbehalten werden, um die strukturelle Ordnung zu wahren und rechtlichen Sanktionen aus dem Weg zu gehen. Die Festlegung des Lebensverlaufs wird an dem passenden Alter und der passenden Reihenfolge bzw. Abfolge angepasst. Bei nicht Einhaltung bestimmter (gesetzlich festgelegter) Phasen der institutionellen Ordnung folgen, wie eben genannt, rechtliche Konsequenzen oder vielmehr werden die Menschen von der Gesellschaft mit Empörung und Irritationen sanktioniert. Es ist also davon auszugehen, dass der institutionelle Lebenslauf zur Beibehaltung der sozialen Ordnung und Kontrolle sorgen soll (vgl. Junge 2002, 64 ff.).
Laut Junge (ebd.) sorgt besonders der Arbeitsmarkt dafür, dass diese Struktur beibehalten wird. Das Ganze ist an drei Phasen festgemacht: Vorbereitungsphase, Erwerbsphase und Ruhephase. Das Ganze kann sich bildlich wie Bergsteigen vorgestellt werden. Die Erwerbsphase ist die Spitze des Berges, um diese erklimmen zu können, muss erst die Vorbereitungsphase durchlaufen werden. Je besser die Vorbereitung, desto leichter gelingt zum einen der Aufstieg an sich und zum anderen der tatsächliche Durchlauf der Erwerbsphase. Sobald diese durchlaufen ist, kann der Abstieg zur Ruhephase angegangen werden und die Beendigung des Bergsteigens. Schlussendlich ist eine Abhängigkeit aller drei Phasen festzustellen, die eine Phase kann, Inbegriff räumlich vereint lebender oder vorübergehend auf einem Raum vereinter Personen, nicht ohne das Durchlaufen der anderen erreicht werden. Dazu ist aber auch die Reihenfolge essentiell, denn man kann nicht vom Berg absteigen, wenn man ihn nicht zuerst erklommen ist. Eine Abweichung dieses Verlaufs ist demzufolge nur sehr schwer bis gar nicht möglich.
Kohli (vgl. 1986, 1994) nach spielen noch zwei weitere Faktoren eine wichtige Rolle bei der Ordnung des Lebensverlaufs. Zum einen die Verzeitlichung, wobei das Alter die zentrale Rolle für die Strukturbestimmung spielt und darauf aufbauend die Chronologisierung, welche sich mit der chronologischen Ordnung der Lebensphasen am Lebensalter orientiert. Die Zusammenführung dieser beiden Faktoren führt, gemäß Junge (2002, S.66) zu einer Freisetzung des Individuums aus ständischen, lokalen und traditionellen Bindungen Individualisierung.“
Rückführend zur Metapher des Bergsteigens lässt sich die „Ausfransung des Normallebenslaufs“ (Junge, 2002, S. 67) erläutern. Denn durch Verkürzungen und Verlängerungen der verschiedenen Phasen, wächst die Flexibilität und Vielseitigkeit der institutionellen Lebensverlaufs hinsichtlich des Arbeitsmarktes. So wird der Berg der Erwerbstätigkeit mal höher, mal tiefer, der Anstieg der Vorbereitungszeit mal länger und mal kürzer. Genauso wie der Abstieg zu der Ruhephase, welche sich verlängern oder verkürzen lässt. Die Ordnung der Lebensphasen verliert langsam ihre Struktur und chronologischen, gleichaussehenden Ablauf, sodass die modernen Gesellschaften von immer mehr Pluralisierung und Destandartisierung der Lebensverhältnisse und Lebensläufe bestimmt wird. Nicht nur die beruflichen Zweige der Lebensführung sind davon betroffen, sondern auch das private Leben der Inidviduen.
Somit aht der strukturelle Wandel in den Jahren mehr Akzeptanz und Anerkennung der LGBTQ+ Community eingebracht. Ersichtlich ist das besonders durch die Rechte, welche diese Community immer mehr zugeschrieben bekommen. 1981 ist das Transsexuellengesetz in Deutschalnd in Kraft getreten. Dieses sollte Menschen ermöglichen ihren männlichen Vornamen in einen weiblichen zu ändern, den männlichen in einen weiblichen und das ebenso mit deren Geschlechtseintrag. Dies unterlief damals jedoch den Vorraussetzungen sich sterilisieren zu lassen oder nicht mehr heiraten zu dürfen. 2009 und 2011 folgten Gesetzesänderungen dazu und diese Vorraussetzungen wurden Ungültig gesprochen (Markwald, 2020). 2018 wurde das dritte Geschlecht anerkannt. Insofern bestehen nun die Möglichkeiten neben männlich und weiblich, auch divers als Geschlecht einzutragen, wenn eine Person intersexuell ist, sich also weder dem Geschlecht der Frau, noch des Mannes zugehörig fühlt (Bundesministerium des Inneren und für Heimat, 2018). Desweiteren werden diese Rechte weitergeführt in dem Ampel-Koalitionsvertrag 2021 in dem ein Selbstbestimmungsgesetz eingeführt wurde, welches das Transsexuellengesetz abschaffen soll (Bundesverband Trans e.V., 2021). Dieses soll schlussendlich den trans- und intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen die möglichkeit geben, ihre Geschlechtseintragung im Personenregister zu vereinfachen durch eine Erklärung beim Standesamt (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2022). Eine weitere Veränderung der Rechtslage in der LGBTQ+ Community ist die Gleichgeschlechtliche Ehe, welche seit 2017 von der Regierung rechtsmäßig ist (bundestag.de).
Nicht nur können sich Indivdiuen auf Grund des struktruellen Wandels des Individualisirungsprozesses ihre Partner frei wählen und heiraten, sondern haben sich die Möglichkeiten der Familienplanung ebenso pluralisiert. Die häufigste Familienform ist zwar immer noch mit 70% aller Familien, die der verheirateten heterosexuellen Eltern (Brodmerkel, 2021). Dennoch ist das Verständnis für neue Familienbilder gewachsen. 2012 haben 71% der Befragten ein unverheiratetes Paar mit Kindern als Familie anerkannt. Ebenso werden von 58% alleinerziehende Väter und Mütter als Familie gesehen und 42% gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern. Bei der jüngeren Generation sind die Zahlen der Akzeptanz und Toleranz bezüglich der Anerkennung von Familien noch höher. 97% der 20-39 Jährigen nehmen heterosexuele Paare mit Kindern als Familie wahr, 82% alleinerziehende Elternteile und 88% homosexueller Paare mit Kindern (Brodmerkel, 2021).
Aber es haben sich ebenso die Möglichkeiten und Optionen pluralisiert, in die biologische Familienplanung einzugreifen, etwa durch Einführung der Anti-Baby-Pille in den 60er Jahren oder der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den 70er Jahren (Schmitz-Veltin & West, 2006). Wo 1964 in Deutschland mit 1,36 Mio. noch das Jahr des Babybooms war, ist die Geburtenzahl in den 60er Jahren mit der Einführung der Anti-Baby-Pille immer mehr gesunken, somit war 2011 das Jahr der Tiefstwerte mit 663 000 Geburten (Destatits. Statistisches Bundesamt, 2020). Die Zahl ist jedoch seit 2017 wieder gestiegen und lag 2021 bei 795 492 Neugeborenen. Ebenso ist die Geburtenrate leicht gestiegen, diese lag 2017 noch bei 1,53 Kindern je Frau und 2021 bei 1,58 Kinder je Frau (Destatis. Statistisches Bundesamt, 2022). Auch kam es, seit 2017, zu einem Anstieg der Vaterschaftsziffer, welche 202 bei 1,43 Kinderje Mann lag und 2021 bei 1,47 (Destatis. Statistisches Bundesamt, 2022).
Außerdem ist eine stetige Steigerung des Durchschnittsalters für die Geburt eines Kindes festgestellt wurden. 1991 lag das Durchschnittsalter bei Frauen noch bei 27,9 Jahren und 2019 bei 31,5 Jahren. Bei Männern lag das Durschnittsalter 1991 bei 31 Jahren und 2019 bei 34,6 (Destatis. Statistsiches Bundesamt, 2020).
Der Anstieg des Durchschnittsalters bei Frauen und Männern für die Geburt eines Kindes kann in Verbindung mit dem Anstieg des Heiratsalters stehen. Das Alter der Frauen ist in den letzten Jahren um rund 9 Jahre gestiegen. Somit lag das Durchschnittsalter in den 70erJahren noch bei 23 Jahren und 50 Jahre später bei 32 Jahren. Bei Männern lag das durchschnittliche Erstheiratsalter bei 25 Jahren (70er Jahre) und ist nun auf 34 Jahre gestiegen (Statistisches Bundesamt, 2018). Auch haben die Ehen in Deutschland deutliche Schwankungen im Laufe der Jahre aufgewiesen, so gab es 1999 noch Höchstzahlen mit 418.550 Ehen in Deutschland, 2007 einen Tiefstwert mit 368.922 Ehen und 2018 wieder einen Hochzahl vom 449.466 Ehen. Die Zahl der Scheidungen hingegen hat sich von 1992 bis 2003 kontinuierlich von 135.000 auf 214.000 erhöht. Seitdem aber wieder deutlich verringert mit 149.000 Scheidungen im Jahr 2019. Ein Grund dieser Abnahme kann der langfristige Rückgang der Gesamteheschließungen gewesen sein (Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), 2021).
Damit wächst zudem die Toleranz nichteherlicher Partnerschaften und dessen vielfältige Formen (Schmitz-Veltin & West, 2006). 1996 lebten 25,9% der Bevölkerung von (Klocke & Stadtmüller, 2009) Deutschland in einer Partnerschaft ohne Kinder. Dieser Prozentsatz ist bis 2019 um 3% auf 28,9% gestiegen. Auch die Zahl der Alleinstehenden hat in den letzten 25 Jahren zugenommen auf 22,8% (2019) im Gegensatz zu 1996 mit 17,5% (Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), 2021). In Hinsicht auf einen Einpersonenhaushalt ist die Zahl ebenso gestiegen, von 12,7 Mio. (1996) auf 17,1 Mio. (2019), damit ist der Anteil der Alleinlebenden in Deutschland von 15,6% auf 20,8% gestiegen (Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), 2021).
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