Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Die Entscheidung
1) Das Urteil im Kontext
2) Der Sachverhalt
3) Rechtsprobleme
4) Lösung des Gerichts
5) Fazit
III. Konklusion
Literaturverzeichnis
Rechtssprechungsverzeichnis
I. Einleitung
Die Coronakrise brachte unsere Normalität und unseren Alltag beinahe gänzlich zum Erliegen. Große Schäden entstanden, zu allererst gesundheitliche. Für etliche Patienten und deren Angehörige bedeutet das unter Umständen, eine niemals wiederkehrende Normalität.
Nicht zu vergleichen damit und dennoch nötig zu erwähnen, sind die wesentlichen Schwierigkeiten im ökonomischen Umgang mit dem Coronavirus. Die Bundesrepublik Deutschland gilt als in besonderem Maße von den gegenwärtigen Entwicklungen betroffen.1 Nicht nur die von der Weltwirtschaft abhängigen Großkonzerne sind hiervon in erheblichem Ausmaß betroffen. Vor Allem klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) in den Bereichen des Handels und der Dienstleistung, die mit weitaus geringerer Kapitalausstattung versehen sind, droht die Zahlungsunfähigkeit und Über- schuldung.2 Laut dem Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) steht ein Fünftel aller Unternehmen in Deutschland vor der Insolvenz. Die Forscher des Münchener Wirtschaftsforschungsinstituts erwarten eine Insolvenzwelle in den kommenden Monaten.3 Eine Folge könnte die steigende Zahl der Unternehmenskäufe unter der Beteiligung von Insolvenzverwaltern sein, worum es auch in der nachfolgenden Arbeit gehen soll.
II. Die Entscheidung
Das Oberlandesgericht Oldenburg entschied am 22.06.2006, dass die hilfsweise geltend gemachte Aufrechnung der Beklagten mit Schadensersatzansprüchen zum Erlöschen des Klageanspruchs des ehemaligen Geschäftsführers (Kläger) in voller Höhe führt.
1) Das Urteil im Kontext
Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) wird nach den Vorschriften des Gesellschaftsrechts durch einen Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG). Dessen Rechte und Pflichten ergeben sich ebenfalls aus den einschlägigen Normen des GmbH-Gesetzes. Diese Rechte billigen ihm einen grundsätzlichen Ermessensspielraum bei seiner unternehmerischen Geschäftsführertätigkeit zu, die dem Wohle der Gesellschaft dienen soll.4 Diesen besonderen Ermessensentscheidungen, die regelmäßig unter Unsicherheit und Zeitdruck gefällt werden, trägt der Geschäftsführer auch Rechnung.5 Der Erwerb eines nachhaltig unwirtschaftlichen Klinikbetriebs eines insolventen Trägers erfordert dabei eine umfangreichere Intensität der Pflichten des erwerbenden Geschäftsführers.6
2) Der Sachverhalt
Der Kläger war als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer i.S.d. § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG vom 01.09.1997 bis 31.12.2001 bei der Beklagten tätig.7 In diesem Zeitraum erwarb er eine Klinik eines insolventen Klinikbetreibers. Die angeklagte Kapitalgesellschaft ist ein bundesweiter Betreiber von Akut- und Rehabilitationskliniken.8 Die Beklagte verfügt über einen Aufsichtsrat mit Arbeitnehmervertretern.9 Als Arbeitgeber mit mindestens 2.000 Arbeitnehmern sieht das Mitbestimmungsgesetz (Mit- bestG) für Gesellschaften mit beschränkter Haftung die Bildung eines Aufsichtsrates gem. § 6 Abs. 1 MitbestG vor.
Auf Grundlage der im Anstellungsvertrag festgehaltenen Tantiemenregelung macht der Kläger Ansprüche aus dem Geschäftsjahr 2001 beim Landgericht geltend.10 Diese Ansprüche sind für die nachfolgende Arbeit nicht relevant und werden folglich nicht weiter berücksichtigt. Die Beklagte macht im Wege der Aufrechnung (§ 389 BGB) und Widerklage Schadensersatzansprüche aus dem früheren Erwerb einer Klinik in erster Instanz geltend.11 Dieser Schaden i.H.v. ca. 2,7 Mio. Euro nebst Zinsen beruhe auf einer fehlerhaften Kaufentscheidung seitens des Klägers sowie einer unzureichenden und unvollständigen Information des Aufsichtsrats über jenen Kauf durch den Klä- ger.12 Gemäß der Geschäftsordnung der Beklagten sei der Geschäftsführer dazu verpflichtet gewesen, sich die vorherige Zustimmung (§ 183 S. 1 BGB) des Aufsichtsrates einzuholen.13 Hierzu bedürfe es einer entsprechenden Aufsichtsratsvorlage und mündlicher Information in der Aufsichtsratssitzung hinsichtlich des Erwerbs.14 Wozu der GmbH-Geschäftsführer überdies verpflichtet ist und wofür er haftet, regelt allgemeingültig im Gesellschaftsrecht der § 43 GmbHG. Des Weiteren bestehen weitere verkehrsübliche Gepflogenheiten insbesondere für den Kauf von Unternehmen, die aus haftungsrechtlicher Sicht zweifelsfrei der zu erbringenden Sorgfalt des Geschäftsführers dienen.15 Der Kläger beauftragte eine Wirtschaftlichkeitsberechnung zur betriebswirtschaftlichen Prüfung der Investition - zum Zweifel der Beklagten und des Gerichts allerdings vom Verwaltungsleiter der zu veräußernden Klinik, der unternehmerisch mitverantwortlich an den Verlusten der insolventen Trägergesellschaft sei. Nicht frei von Zweifeln sei daher die Objektivität und Zuverlässigkeit dieser Berechnungen.
Die erworbene Klinik wurde unter Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO) aus der Insolvenz der Trägergesellschaft durch Verträge mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr.1 InsO) und dem Hauptgläubiger (§ 38 InsO i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 InsO) erworben.16 Aus dieser Konstellation der Beteiligten könnte abgeleitet werden, dass der Eröffnungsantrag gem. § 13 InsO noch auf Begründetheit überprüft wird und das Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet wurde. Der hier vorliegende Eröffnungsgrund (§ 16 InsO) dürfte die drohende Zahlungsunfähigkeit gem. § 18 InsO oder die Überschuldung gem. § 19 InsO der Trägergesellschaft sein.17 Eine umfassende Wirtschaftlichkeitsprüfung mit verkehrsüblicher Sorgfalt sei besonders beim Erwerb aus einer Insolvenz unumgänglich.18 Das Gericht nimmt daher an, dass die tatsächlichen Grundlagen für die Investitionsentscheidungen mit einem entsprechenden Volumen nicht vollumfänglich und nicht in der gebotenen Weise vom Kläger geprüft wurden.
3) Rechtsprobleme
Festgestellt wurde, dass der der Beklagten entstandene Schaden, dem Pflichtenkreis des Klägers als ehemaliger Geschäftsführer zuzuordnen ist. Damit dieser dafür verantwortlich gemacht werden kann und nach § 43 Abs. 2 GmbHG solidarisch dafür haftet, ist festzustellen, dass dieser bei seiner Tätigkeitsausübung seiner Sorgfaltspflicht gem. § 43 Abs. 1 GmbHG nicht ausreichend nachgekommen ist. Das OLG erkennt an, dass im Rahmen der ordnungsgemäßen Geschäftsführung ein Ermessen berücksichtigt werden muss und dabei unternehmerische Entscheidungen getroffen werden, die das bewusste Eingehen betriebswirtschaftlicher Risiken erfordert und damit die Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehlentscheidungen birgt.19 Die sich hieraus ergebende Ermessenssphäre bemisst sich an der sog. Business Judgment Rule nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG.20 Diese Regelung ist auch auf die Haftung von GmbH-Geschäftsführern nach § 43 Abs. 2 GmbHG anzuwenden.21 Danach gilt, dass eine Pflichtverletzung nicht vorliegt, wenn die [Geschäftsführung] bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG).
Dieser gerichtlich nicht überprüfbare Handlungsspielraum stellt eine große Schwierigkeit bei der Beurteilung des hier vorliegenden Sachverhalts dar. Außerdem gibt der Wortlaut des Gesetzes nicht her, ob ein objektiver oder subjektiver Maßstab gilt.22 Sind die Informationen ausreichend, die die Geschäftsführung ex ante als angemessen erachtete oder ist gerichtlich ex post zu prüfen, ob weitere Informationen notwendig und damit angemessen wären?23
Zweifelsfrei muss die Beurteilung der Geschäftsführertätigkeit ex ante erfolgen und darf nicht das Resultat der unternehmerischen Entscheidung dabei berücksichtigen (hindsight bias24 ).25 Die Geschäftsführerhaftung stellt keine Erfolgshaftung dar, sondern die Haftung für sorgfaltswidriges Verhalten.26
Der Beurteilung zugrunde gelegt, wird daher nur der Asset Deal. Hierbei wird vom Insolvenzverwalter erwägt sämtliche Vermögenswerte zu veräußern, also der Verkauf der Sach- und Rechtsgesamtheit.27 Wie bereits vorweg erwähnt, wurde die Klinik durch Verträge mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter und dem Hauptgläubiger erworben. Strittig ist, ob eine Veräußerung im vorläufigen Insolvenzverfahren überhaupt zulässig ist.28 Nach h.M. ist nicht der Fall.29 Der Verkauf der Klinik stellt eine Verwertungshandlung dar, welche die Kompetenz des vorläufigen Insolvenzverwalters überschreitet, die im Widerspruch zur Insolvenzmassensicherung steht (vgl. § 22 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Es wäre daher zu klären, ob der Klinikerwerb durch die Beklagte überhaupt wirksam war.
Ungeachtet von der Wirksamkeit des Erwerbs wäre zu klären, ob der vorläufige Insolvenzverwalter seiner Verpflichtung über die Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere des Schuldners nachkam (§ 22 Abs. 3 S. 1 InsO) respektive, ob ihm eine genügende Einsicht durch den Schuldner überhaupt gestattet wurde (§ 22 Abs. 3 S. 2 InsO).30 Denn fraglich ist, wie die anzuzweifelnde Wirtschaftlichkeitsberechnung des alten Verwaltungsleiters und die darin vorhandenen Ungereimtheiten und bilanziellen Ungenauigkeiten gewissermaßen Grundlage für den Verkauf aus der Insolvenz werden können, ohne eine hinreichende Prüfung, die dem vorläufigen Verwalter i.S.d. Verwaltungsbefugnis nach § 22 Abs. 1 S. 1 InsO zuzurechnen wäre. Ebenfalls fraglich ist, ob der Verwaltungsleiter seinen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten im Eröffnungsverfahren gem. § 20 Abs. 1 InsO nachgekommen ist bzw. im Insolvenzverfahren gem. §§ 97 Abs. 1 u. 2 InsO.
Zuletzt wäre aus insolvenzrechtlicher Sicht die Frage zu stellen, ob der in Aussicht gestellte geringe Grundstückspreis durch den Insolvenzverwalter zulässig wäre.31
[...]
1 Vgl. ifo Insitut, unter: https://www.ifo.de/themen/coronavirus (besucht am 30.08.2020)
2 Vgl. Zeit Online, unter: https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-07/corona-krise-deutsche-unternehmen- gefaehrdet-umfrage-ifo-institut (besucht am 30.08.2020)
3 Vgl. Zeit Online, unter: https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-07/corona-krise-deutsche-unternehmen- gefaehrdet-umfrage-ifo-institut (besucht am 30.08.2020)
4 MüKoGmbHG/Fleischer, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 43 Rn. 66-79a, 66.
5 MüKoGmbHG/Fleischer, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 43 Rn. 66-79a, 67.
6 OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 435.
7 OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 434.
8 OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 434.
9 OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 434.
10 OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 434.
11 OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 434.
12 OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 434.
13 OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 434.
14 OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 434.
15 Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, 3. Aufl. 2020, Rn. 12, 12.
16 OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 434.
17 OLG Oldenburg, NZG 2007. 434, 437.
18 OLG Oldenburg, NZG 2007. 434, 436.
19 OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 435.
20 von Falkenhausen: Die Haftung außerhalb der Business Judgment Rule, NZG 2012, 644, 645.
21 von Falkenhausen: Die Haftung außerhalb der Business Judgment Rule, NZG 2012, 644, 645.
22 von Falkenhausen: Die Haftung außerhalb der Business Judgment Rule, NZG 2012, 644, 648.
23 von Falkenhausen: Die Haftung außerhalb der Business Judgment Rule, NZG 2012, 644, 648.
24 engl.: Rückschaufehler
25 MüKoGmbHG/Fleischer, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 43 Rn. 66-79a, 67.
26 MüKoGmbHG/Fleischer, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 43 Rn. 66-79a, 67.
27 Morshäuser, Falkner: Unternehmenskauf aus der Insolvenz, NZG 2010, 881, 883.
28 Morshäuser, Falkner: Unternehmenskauf aus der Insolvenz, NZG 2010, 881, 880.
29 Morshäuser, Falkner: Unternehmenskauf aus der Insolvenz, NZG 2010, 881, 882.
30 Uhlenbruck/Vallender, 15. Aufl. 2019, InsO § 22 Rn. 287, 287.
31 OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 433.