PR, verstanden als „Management von Informations- und Kommunikationsprozessen zwischen Organisationen einerseits und ihren internen und externen Umwelten (Teilöffentlichkeiten oder Zielgruppen) andererseits“ (Bentele 1998), soll systemtheoretisch eingeordnet werden. Zunächst werden die Problemfelder identifiziert und beschreiben, mit denen sich jede systemtheoretische PR-Theorie auseinandersetzen muss: dem Problem der empirischen Prüfbarkeit (bzw. Nicht-Prüfbarkeit), dem Kommunikationsbegriff und der Verortung von PR im Theoriegebäude „autopoietische Systeme“ selbst. Die anschließenden Überlegungen sind darauf fokussiert, Antworten zum dritten Problem zu liefern: An welcher Stelle sind PR einzuordnen?
Inhalt
Einleitung
1 Problemfelder der systemtheoretischen Verortung von PR
1.1 Empirische Prüfbarkeit
1.2 Kommunikation
1.3 Einordnung und Anschluss
2 Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Einordnung
2.1 PR als System
2.2 PR als System-Umwelt-Interrelation
2.3 PR als Organisationsfunktion
3 Vorschlag einer systemtheoretischen Verortung der PR
4 Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
„Kann man PR-Theorien anders als systemisch modellieren?“, fragt Klaus Merten (2004: 47 ff.) rhetorisch. Mertens Antwort lautet natürlich „Nein“ und in der Tat: Die Zahl der Versuche an systemtheoretischen PR-Theorien ist groß, die Versuchung weitere hinzuzu-fügen wohl noch größer. Jarren/Röttger (2004) zählen beispielhaft sieben Forschungs-arbeiten zu PR auf, in denen systemtheoretisch argumentiert wird. Hinzu kommt der prominenteste Theorie-Ansatz im Paradigma der Systemtheorie: Die „Theorie der Public Relations“ von Ronneberger/Rühl aus dem Jahre 1992.
Referenzpunkt der vorliegenden Arbeit ist die Theorie autopoietischer sozialer Sys-teme, wie sie Niklas Luhmann beschreibt. Zu beantworten ist die Frage, wie oder an welcher Stelle „Public Relations“ (PR) in dieser Theorie einzuordnen sind. Eine solche Einordnung sollte grundsätzlich möglich sein, da Luhmanns Systemtheorie den An-spruch universeller Geltung erhebt (vgl. Kneer/Nassehi 2000: 33; Berghaus 2004: 24). Folglich lassen sich sämtliche soziale Tatbestände systemtheoretisch interpretieren.
Dass es sich bei PR um solche soziale Tatbestände handelt, ist unmittelbar ein-sichtig: Laut Bentele (1998) spielen sich PR zwischen „Organisationen“ und „Umwel-ten“ (im Sinne von Teilöffentlichkeiten, die ebenfalls organisiert sein können) ab. Auch Szyszka (2008: 309) plädiert für den Organisationsbegriff als Schlüsselbegriff jeder Be-schreibung von PR. Selbst wenn der Begriff „Organisation“ in der wissenschaftlichen Diskussion mehrdeutig Verwendung findet (vgl. z.B. Miebach 2007: 11 f.), wird er stets als zentrales Konstrukt der Untersuchung des Sozialen eingeordnet – beispielsweise als Gebilde, das sich im gemeinsamen zielgerichteten Handeln von Akteuren konstituiert. Damit lassen sich PR mit ihrer unauflöslichen Bindung an die Existenz von Organisatio-nen dem sozialem Geschehen zurechnen.
Im Folgenden sollen also PR, verstanden als „Management von Informations- und Kommunikationsprozessen zwischen Organisationen einerseits und ihren internen und externen Umwelten (Teilöffentlichkeiten oder Zielgruppen) andererseits“ (Bentele 1998), systemtheoretisch eingeordnet werden. Nach wenigen einführenden Worten zu Luhmanns Systemtheorie gilt es zunächst die Problemfelder zu identifizieren und zu be-schreiben, mit denen sich jede systemtheoretische PR-Theorie auseinandersetzen muss: dem Problem der empirischen Prüfbarkeit (bzw. Nicht-Prüfbarkeit), dem Kommunika-tionsbegriff und der Verortung von PR im Theoriegebäude „autopoietische Systeme“ selbst (Kapitel 1). Die anschließenden Überlegungen sind darauf fokussiert, Antwor-ten zum dritten Problem zu liefern: An welcher Stelle sind PR einzuordnen? Im ersten Schritt sollen dazu die grundsätzlich vorstellbaren und in der Forschung untersuchten Möglichkeiten der Einordnung von PR vorgestellt werden. Darauf aufbauend werden diese drei wesentlichen (und untereinander kaum anschlussfähigen) Möglichkeiten in Auseinandersetzung mit der Systemtheorie Luhmannscher Spielart diskutiert (Kapitel 2). Schließlich soll der Versuch unternommen werden eine plausible Antwort auf die erwähnte Frage zu liefern (Kapitel 3).
1 Problemfelder der systemtheoretischen Verortung der PR
Luhmanns Systemtheorie sieht sich in der Tradition der Allgemeinen Systemtheorie. In seinem Hauptwerk „Soziale Systeme“ beschreibt Luhmann die Entwicklung der All-gemeinen Systemtheorie in drei Stufen. Der Kern der Allgemeinen Systemtheorie be-stand zunächst in der Vorstellung von Systemen als geschlossene Ganzheiten, wobei das Ganze stets mehr als die Summe seiner Teile darstellt und durch die spezifische Form der Vernetzung der Elemente charakterisiert wird. Diese Vorstellung von einer Verknüpfung von Dingen, vom Zusammenhang natürlicher Ereignisse oder vom Leben der Menschen in einer Gesellschaft existierten schon in der Antike (vgl. Müller 1996: 18 ff.). Die Unterscheidung innen/außen wird also schon sehr lange zur wissenschaftlichen Beschreibung verwandt, ebenso wie die Unterscheidung verschiedener Formen der Organisation wechselseitiger Beziehungen.
In einer darauf folgenden Phase wurde dies präzisiert, indem das System von dem unterschieden wurde, was nicht Element des Systems ist, also Umwelt. Nun geriet das Verhältnis von Systemen zu ihrer Umwelt in den Blick. Mit Bertalaffy können Syste-me als umweltoffen begriffen werden, d.h. sie nehmen in Austauschprozessen Kontakt zur Umwelt auf. Dieser Gedanke von der Möglichkeit des Austauschs zwischen System und Umwelt führte zur Frage nach der Steuerung dieser Prozesse und damit zum Anschluss der Kyberne-tik an die Systemtheorie. Unter dem Eindruck der „kybernetischen Revolution“ (Müller 1996: 122) kam es in einer dritten Phase zur Betonung des autologischen Aspekts der Pro-zessgestaltung und Organisation des Systems, der sich später in der The-orie autopoietischer Systeme Luh-manns niederschlägt (vgl. Kneer/ Nassehi 2000: 47).
An diese jüngste Entwicklung anknüpfend soll auch später die Ver-ortung der PR erfolgen. Dies ist nicht unwichtig anzumerken, denn die skizzierte Evolution der Allgemei-nen Systemtheorie ist je nach Phase von einem anderen Verständnis von Systemen gekennzeichnet und lässt damit auch eine unterschiedliche Einordnung zu. Die Bezeichnung verschiedener wissenschaftli-cher Ansätze, in denen von Systemen die Rede ist, als „systemtheoretisch“, impliziert eine Gemeinsamkeit, die so nicht existiert. Wie Luhmann schreibt etwa auch Habermas von Systemen, meint damit aber etwas völlig anderes. Die Begriffsverwirrung nimmt weiter zu, wenn man überlegt, welche anderen wissenschaftlichen Disziplinen System-denke aufgreifen. Neben der Soziologie sind dies beispielsweise Biologie und Psycho-logie oder Ökonomie und Politikwissenschaft. Systemtheorie ist ein interdisziplinäres Paradigma, bei dem weniger von inhaltlicher Interdisziplinarität die Rede sein kann als lediglich von struktureller Gemeinsamkeit. Insbesondere Luhmanns „Spielart“ von Systemtheorie ist mit anderen Ansätzen inhaltlich kaum kompatibel (vgl. Kneer/Nassehi 2000: 20).
Jeder Versuch PR in Luhmanns Sinne systemtheoretisch zu beschreiben, sieht sich im wesentlichen mit drei Problemfeldern konfrontiert. Die ersten beiden Problemfelder ergeben sich aus der Etablierung der PR-Wissenschaft in der Kommunikationswissen-schaft: Erstens in ihrer Fokussierung auf empirische Forschung im Gegensatz zur empi-riefernen Systemtheorie und zweitens der diametral unterschiedlichen Verwendung des Begriffs „Kommunikation“. Das dritte und zentrale Problem ist jedoch sicher die Frage der Einordnung von PR.
1.1 Empirische Prüfbarkeit
Als „‚verspäteter‘ kommunikationswissenschaftlicher Lehr- und Forschungsgegenstand“ (Jarren/Röttger 2008: 20) ist die deutschsprachige Theorienbildung stark von US-ame-rikanischen Ansätzen beeinflusst und besonders im Bezug auf das Verhältnis PR – Jour-nalismus empirisch orientiert. Oft ist es Ziel Handlungsempfehlungen für die Praxis ab-zuleiten. Derartige Anforderungen an empirische Prüfbarkeit oder direkten praktischen Nutzen kann eine systemtheoretische PR-Theorie kaum erfüllen. Systemtheorie an sich lässt wenig Raum für empirische Verifikation.
Bereits die Beschreibung von Systemen als organisiert-komplex im Gegensatz zu linear-kausal erschwert empirisch-adäquates Forschungsdesign. Ähnlich verhält es sich mit dem Nachweis emergenter Ordnungsebenen, die sich per Definition nicht aus ihrer elementaren Zusammensetzung erklären lassen. Ein weiterer Grund ist, dass System-theorie vom handelnden Menschen absieht und an seiner statt Kommunikationen zum Nukleus des Sozialen erklärt (vgl. Röttger/Jarren 2004: 37). Somit scheiden eine Hand voll Methoden der empirischen Sozial- bzw. Kommunikationswissenschaft von vornher-ein aus: Wenn es keine Menschen gibt, können keine Menschen beobachtet oder befragt werden. Auch die erkenntnistheoretischen Implikationen Luhmanns Systemtheorie verhindern empirische Testung an der Wirklichkeit. Jeder intersubjektive Zugriff auf diesel-be bleibt aufgrund der selbstreferenziellen Geschlossenheit von Systemen ausgeschlos-sen. Letztlich war es auch nie Luhmanns Anspruch sich den Traditionen empirischer Sozialwissenschaft anzuschließen: Empirische Wissenschaft und Theorienbildung seien kein adäquates Mittel um die Komplexität der Welt zu abzubilden und zu erklären (vgl. Kneer/Nassehi 2000: 8 f.).
Der Mangel an empirischen Prüfungsmöglichkeiten ist jedoch in Kauf zu nehmen, denn mit Systemtheorie lassen sich Gegenstände komplexer und damit besser bzw. „empirischer“ abbilden als auf Ebene von Kausalitäten – eine komplexe Welt kann nur eine ähnlich komplexe Theorie nachzeichnen. Systemtheorie zielt darüber hinaus nicht nur auf manifeste, sondern auch auf latente Funktionen ab und zeigt neben funktiona-len auch dysfunktionale Folgen von Handeln auf. Schließlich erweitert sie die Erkennt-nismöglichkeiten, indem auf funktionale Äquivalente abgestellt wird, statt von starren Strukturen auszugehen (vgl. Luhmann 1999: 348 f.). Etwas konkreter nennt Willke (1991: 1 ff.) Gründe für Systemtheorie: fachspezifische Universalität, inderdisziplinäre Universalität und Universalität des Problems der Komplexität.
1.2 Kommunikation
Kommunikation ist als Grundbegriff der Sozialwissenschaften nicht eindeutig definiert (vgl. Merten 2008: 599). In der Kommunikationswissenschaft dominiert klassischerwei-se die Vorstellung von einem Prozess, in dem Informationen zwischen mindestens zwei an der Kommunikation Beteiligten übermittelt bzw. ausgestauscht werden. Dieser dyna-mische Vorgang beruht auf bestimmten Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Sub-jekten, wie den Zugriff auf eine gemeinsame Verbindung, gegenseitige Erwartungen, übereinstimmende Kognitionen, wie Wissen, Erfahrungen etc. und Intentionen (vgl. Schulz 2004: 153). PR beziehen häufig Massenkommunikation explizit ein, worunter die Verbreitung von Informationen in der Öffentlichkeit verstanden wird (vgl. Merten 2008: 599).
Systemtheoretisch ist die Vorstellung der Übertragung von Botschaften zwischen Sender und Empfänger nicht anschlussfähig. Gemeinsamkeiten zwischen Subjekten sind ausgeschlossen, da es in Systemen und in der Umwelt von Systemen keine Subjek-te gibt. Folglich werden Kriterien wie die Existenz einer Verbindung, übereinstimmen-de Kognition und Intentionalität obsolet. Kommunikation kann deshalb in der System-theorie nicht klassischerweise als ein von Subjekten ausgehender Prozess verstanden werden. Stattdessen wird Kommunikation als nicht weiter auflösbare Letzteinheit in sozialen Systemen definiert (vgl. Kneer/Nassehi 2000: 65). Soziale Systeme bestehen aus Kommunikationen, an die sich fortlaufend Kommunkationen anschließen, die wieder aus Kommunikationen bestehen. Damit führt der Kommunikationsbegriff als ba-sale Operation sozialer Systeme zu Luhmanns Bedingung von selbstreferenzieller und autopoietischer Schließung von Systemen. Wenn Kommunikation aus Kommunikation besteht und Kommunikation produziert, dann ist es ausschließlich die Kommunikation, die kommuniziert (vgl. Luhmann 2005c: 109). Weiter beschreibt Luhmann Kommunika-tion als Synthese dreier Selektionen, die Information, Mitteilung und Verstehen kombi-niert (vgl. Kneer/Nassehi 2004: 81).
Ohne näher auf die weitere Entfaltung des Kommunikationsbegriffs bei Luhmann einzugehen, wird bereits deutlich, dass dessen Definition zum Knackpunkt kommuni-kationswissenschaftlicher PR-Theorien wird. Über die bereits angedeutete mangelnde Anschlussfähigkeit an klassische Kommunikationsmodelle hinaus führt die Einordnung von Kommunikation als Grundoperation und Element von sozialen Systemen zu er-heblichen Schwierigkeiten für die Modellierung von PR. Wenn PR als Management von Kommunikation verstanden wird und Kommunikation als Letzteinheit von sozialen Systemen, dann ist PR das Management von sozialen Systemen. Dass eine solch um-fassende PR-Definition nicht zutreffend sein kann, liegt auf der Hand: PR müssten sich schlicht um alles kümmern. Auf Organisationsebene betrachtet, ist dies allein aufgrund der empirisch vorzufindenden Einordnung als Stabs[1] - oder Linienfunktion ausgeschlos-sen, von wo aus es keinen Zugriff auf die gesamte Organisation gibt. Auch die gängigen Praktiken der PR-Arbeit, wie Intranet, internes Coaching, Mitarbeiter- und Kundenzeit-schrift oder Pressearbeit (vgl. Bentele/Großkurth/Seidenglanz 2007: o.S.) lassen eine Bearbeitung der gesamten organisationalen Kommunikation, beispielsweise informel-ler Flurgespräche, nicht zu.
Trotz der gegenseitigen Inkompatibilität gibt es Gründe dafür, die Unwägbarkeiten des Luhmannschen Kommunikationsbegriffs zu bewältigen. Er verweist auf die Selek-tivität von Kommunikation und macht dadurch auf wichtige Differenzen aufmerksam. Wenn kommuniziert wird, handelt es sich immer um Selektionen: Die Auswahl einer be-stimmten Information, einer bestimmten Mitteilungsmöglichkeit und einem bestimm-ten Verständnis. Kommunikation hat es also immer mit Kontingenz zu tun, die es durch Selektion bewältigen muss. Hier ergibt sich ein Ansatzpunkt für die Erklärung von PR als Steuerungsmechanismus dieser Selektions- und Syntheseprozessese, um Kontingenz und schließlich Komplexität zu reduzieren.
[...]
[1] 2007 waren 44 Prozent der BdP-Pressesprecher als Stab auf Leitungsebene organisiert (vgl. Bentele/Großkurth/
Seidenglanz 2007: o.S.).
- Arbeit zitieren
- Daniel Heine (Autor:in), 2008, System, Umwelt oder Was? - Public Relations aus Perspektive der Systemtheorie Niklas Luhmanns, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131657