Achtundsechziger Altlasten

Ein Versuch über Martin Walsers politische Positionierung zur Zeit der 68er-Unruhen unter besonderer Berücksichtigung der Walser-Biografie von Jörg Magenau


Essay, 2009

9 Seiten


Leseprobe


Achtundsechziger Altlasten

Ein Versuch über Martin Walsers politische Positionierung zur Zeit der 68er-Unruhen unter besonderer Berücksichtigung der Walser-Biografie von Jörg Magenau

Im Oktober 2008 erschien die Taschenbuchausgabe von Jörg Magenaus verdienstvoller Martin-Walser-Biografie. Magenau, der zuvor bereits der populärsten ostdeutschen Autorin Christa Wolf eine Biografie[1] gewidmet hatte, schildert den populären westdeutschen Autor als Mann des Widerspruchs: als Januskopf mit dem Gesicht des boden(see)ständigen Nationalisten und dem des in die Ferne schweifenden Linksintellektuellen. Diese Persönlichkeitsspaltung ist das eine Leitmotiv, das Magenau in seiner akribischen Datensammlung (der leider im Anhang eine Zeittafel fehlt) anlegt, das andere ist Martin Walser als „versierter Verbergungsentblößungs-spieler, der seine Schwächen verdeckt, indem er sie öffentlich macht“ (S. 301).[2] Damit stellt er sich bewusst in die Tradition derer, die in Walsers Werken Spiegelungen seiner selbst, seiner sozialen und politischen Anschauungen, mehr noch aber seiner geistigen, emotionalen und nicht zuletzt auch erotischen Befindlichkeiten sehen. In vortrefflicher Manier weist Magenau diese Zusammenhänge auch immer wieder nach. Im Fokus steht dabei dem Ansatz gemäß das Werk des berühmten deutschen Dichters. Es wird einer gründlichen Befragung unterzogen und macht Zusammenhänge mit dem realen Wirken und Erleben des Schriftstellers einsichtig. Bemerkenswert ist die Fülle an Daten, die Magenau zusammengetragen hat.

Und auch wenn Walser auf Magenaus Rückfrage behauptete: „Ihr Buch ist interessant zu lesen, aber ich bin das nicht!“,[3] so ändert das an der Schlüssigkeit des Dargestellten doch wenig. Denn Magenau kann sich bei seinen Interpretationen zur Person Martin Walsers immer auf Fakten stützen, auf Aussagen, die Walser in seinen zahllosen Interviews und Reden selbst geäußert hat, auf Briefe, Essays, Zeitungsartikel des Autors selbst oder seiner Kollegen und Bekannten. Allzu Privates, pikante amouröse Details, die es den Andeutungen zufolge ja auch gegeben haben muss, interessieren den Biografen wenig. Überhaupt bleibt die Familie auffallend im Hintergrund. In Abwandlung des lateinischen Sprichwortes dürfte hier das ungeschriebene Gesetz gelten: Über die Lebenden nichts Kompromittierendes. Nicht den Skandal sucht Magenau, sondern das für Walser Symptomatische.

Nebenbei entsteht, und der Klappen- bzw. Buchrückentext verspricht hier nichts, was nicht gehalten werden kann, zumindest in Ausschnitten eine Kulturgeschichte der Bundesrepublik. Skandale kommen dabei auch zum Vorschein. Zumindest erscheint manches im Rückblick skandalös, wenn man weiß, was Walser damals nicht wissen konnte: wie sich Deutschland bis in die Gegenwart weiterentwickelt hat.

Kaum noch nachvollziehbar ist heute beispielsweise, wie sich die vermeintlich klügsten Köpfe der Republik dermaßen dezidiert in den Dienst von Verbrecherregimen wie der „DDR“ oder auch des kommunistischen Vietnam stellen konnten. Befremdlich mutet es an, dass ein paar umstrittene Gesetzesvorlagen und die SPIEGEL-Affäre umfassend gebildete Leute wie die Mitglieder der Gruppe 47 allen Ernstes zu der Annahme verleiten konnte, der Demokratieversuch der Bundesrepublik sei gescheitert und habe in eine autoritäre Oligarchie gemündet, eine „Privilegien-Demokratie“, die es abzulösen gelte (S. 251), wie es Walser formulierte. Die Irrtümer der linken Intellektuellen könnten ganze Bücher füllen. Magenau nennt die wichtigsten:

1. Westintegration als Verrat an der Einheit

Adenauers Bündnispolitik diffamierte man als Opferung der deutschen Einheit auf dem Altar der Westintegration. Eine Resolution von 1958, die vor der Zerstörung aller Hoffnungen auf die Wiedervereinigung durch die CDU-Politik warnte und unterzeichnet wurde von einem Großteil der namhaften Schriftsteller jener Epoche (Aichinger, Andersch, Bachmann, Enzensberger, Kästner, Lenz, Schnurre, Walser), kann man heute, ohne mit der Wimper zu zucken, als Rundumpleite der westdeutschen Intellektuellen werten: Das Papier wandte sich gegen eine langfristige politische Weichenstellung, die Deutschlands Einheit im Blick behielt und deren Ziel sich in der Politik von Helmut Kohl als Erbe Adenauers schließlich erfüllte – mit Hilfe Gorbatschows und des ewigen 68er-Klassenfeinds USA. Kein Wunder, dass Günter Grass sich später mit seiner abstrusen Idee einer Zwei-Staaten-Konföderation in den Ruf des Miesepeters der Wiedervereinigung brachte. Durch die einfache Zustimmung zur Einheit hätte er zugeben müssen, wie schief er jahrzehntelang lag.

2. Kommunismus und Anti-Amerikanismus

In Hans Magnus Enzensbergers Suhrkamp-Hauspostille Kursbuch galt nur ein Kurs als akzeptabel: der Linkskurs – mit dem peinlichen Höhepunkt eines Mao-Tse-tung-Gedichts in Heft 15 (cf. Magenau, S. 252). Während man die

[...]


[1] Jörg Magenau: Christa Wolf. Eine Biographie. Berlin: Kindler 2002.

[2] Alle Zitate/Seitenangaben beziehen sich auf: Jörg Magenau: Martin Walser. Eine Biographie. Reinbek: Rowohlt 2008.

[3] Zitiert aus einem Vortrag Magenaus, gehalten im Mai 2009 an der Universität Nanjing.

Ende der Leseprobe aus 9 Seiten

Details

Titel
Achtundsechziger Altlasten
Untertitel
Ein Versuch über Martin Walsers politische Positionierung zur Zeit der 68er-Unruhen unter besonderer Berücksichtigung der Walser-Biografie von Jörg Magenau
Hochschule
Nanjing University
Autor
Jahr
2009
Seiten
9
Katalognummer
V131706
ISBN (eBook)
9783640375882
ISBN (Buch)
9783656408772
Dateigröße
519 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kritischer Rückblick auf Martin Walsers politisches Engagement Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre.
Schlagworte
Achtundsechziger, Altlasten, Versuch, Martin, Walsers, Positionierung, Zeit, Berücksichtigung, Walser-Biografie, Jörg, Magenau
Arbeit zitieren
Dr. Dietmar Mehrens (Autor:in), 2009, Achtundsechziger Altlasten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131706

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