Die vorliegende Arbeit zeichnet die rechtswissenschaftlichen und wirtschaftswissenschaftlichen Debatten seit ihren Anfängen nach und ordnet die Zusammenhänge in den Gesamtkontext der sich wandelnden geschichtlichen Ereignisse ein.
Seit der Bewusstwerdung der Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Staat wird über das Verhältnis der beiden Kräfte gestritten. Diskussionen über Art, Umfang und Ausmaß von Privatisierungen sind dabei das Brennglas, an denen sich die verschiedenen Auffassungen über Staat und Privatwirtschaft exemplarisch zeigen. Es ist die sich ständig verschiebende Schnittmenge zwischen den beiden Polen, an welcher sich die Diskurse über Privatisierung und Entstaatlichung befinden und an welcher sich die gegenseitigen Wechselwirkungen ablesen lassen.
Gliederung
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
II. Die frühen Anfänge
III. 1920/30er Jahre: Erste Theorien zu Privateigentum
IV. Nachkriegszeit: Geburtsstunde der Sozialen Marktwirtschaft
V. 1950/60er Jahre: Zeit des Wirtschaftswunders
VI. 1970/80er Jahre: Breite Privatisierungsdebatten
1. Angloamerikanische Diskurse
a) Von nachfrage- zu angebotsorientierter Wirtschaftspolitik
b) Theorie der Verfügungsrechte
c) Empirische Beobachtungen
2. Die Debatte in Deutschland
a) Die Nassbagger-Kommission
b) Privatisierungsvorhaben der Kohl-Regierung
VII. Privatisierung der Bundespost und der Bundesbahn
1. Prinzipal-Agenten-Theorie
2. Europäische Dimensionen
VIII. 1980/90er Jahre: Privatisierungsboom
1. Fortsetzung: Privatisierung der Bundespost und der Bundesbahn
2. Privatisierung der Daseinsvorsorge
IX. Heute: Regulativer Kapitalismus
X. Fazit
Literaturverzeichnis
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Thema 1. Privatisierung und Entstaatlichung. Diskurse in Wirtschaftswissenschaft und Rechtswissenschaft
I. Einleitung
Leise vollzog sich am 13. September 2018 die Gründung der Gesellschaft „Die Autobahn GmbH des Bundes“.1 Die privatrechtlich organisierte Gesellschaft ist ab dem 1. Januar 2021 für die Planung, den Bau, den Betrieb, die Erhaltung, die Finanzierung und die vermögensmäßige Verwaltung der ca. 13.000 km langen Autobahnen in Deutschland zuständig.2 Abgelöst wurden die bisher zuständigen Bundesländer, welche für die Planung, den Bau und den Erhalt der Bundesfernstraßen im Wege der Auftragsverwaltung verantwortlich waren. Erhofft werden sich durch die Zentralisierung der Aufgaben Vorteile wie „schnellere Planung“3, „kostensparende Effizienzgewinne“4, sowie durch die Organisation als GmbH das Handeln nach „betriebswirtschaftlichen Prinzipien“5.
Obschon es sich rechtlich betrachtet nur um eine andere Art und Weise der Aufgabenerfüllung handelt (man spricht insoweit von sog. formeller Privatisierung), sind die praktischen Implikationen enorm.6 Vom Personalrecht (vom Berufsbeamtentum zum privatrechtlichen Arbeitsverhältnis), über die Kontrolle der Geschäftsführung (vom Weisungsrecht zur mittelbaren Überwachung über z.B. den Aufsichtsrat), bis hin zur Finanzierung (von der parlamentarischen Budgethoheit zur Finanzierung auf dem privaten Finanzmarkt) sind vielfältigste Facetten des staatlichen und privaten Wirtschaftens betroffen. Nicht umsonst wird deswegen seit der Bewusstwerdung der Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Staat über das Verhältnis der beiden Kräfte gestritten. Diskussionen über Art, Umfang und Ausmaß von Privatisierungen sind dabei das Brennglas, an denen sich die verschiedenen Auffassungen über Staat und Privatwirtschaft exemplarisch zeigen. Es ist die sich ständig verschiebende Schnittmenge zwischen den beiden Polen, an welcher sich die Diskurse über Privatisierung und Entstaatlichung befinden und an welcher sich die gegenseitigen Wechselwirkungen ablesen lassen.7
II. Die frühen Anfänge
Dabei sind die aufgeworfenen Probleme nicht neu. Bereits 1792 wurde die erste nach industriellen Standards entwickelte Straße der USA von der Philadelphia and Lancaster Turnpike Road Company, also von einem privaten Unternehmen errichtet.8 Es handelt sich hier um einen frühen Fall einer sog. public-private partnership, welches ein Instrument der Zusammenarbeit des öffentlichen und privaten Sektors darstellt, das auch heute noch nahezu unverändert angewandt wird.9 In rechtsdogmatischer Sicht ist Augenmerk darauf zu richten, dass hierbei nicht die öffentliche Aufgabe des Straßenbaus völlig dem privaten Sektor überlassen wird (man spräche hier von materieller Privatisierung), sondern der Staat bedient sich der Hilfe eines Privaten bei der Erfüllung seiner Aufgaben. Man bezeichnet diese Form der Zusammenarbeit auch als funktionale Privatisierung, wobei jedoch die Grenzen zwischen allen genannten Formen der Privatisierung fließend sind.10
Auch in Europa finden sich zur gleichen Zeit Geschehnisse wie z.B. der Verkauf der Besitztümer von Kirche und Staat während der französischen Revolution, die sich aus heutiger Sicht durchaus als Privatisierungen darstellen.11 Erste theoretische Untermauerung fanden Privatisierungsbestrebungen mit dem Übergang vom Merkantilismus zum Liberalismus im 19. Jahrhundert.12 Der merkantilistische Gedanke, dass das Staatsvermögen als Ganzes nicht vermindert werden darf, wich der liberalen Vorstellung, dass die unsichtbare Hand des Marktes dafür sorgt, dass bei der Verfolgung der eigennützigen Ziele der einzelnen Menschen nach Gewinn und Wohlstand gleichzeitig dem Wohl der Gesellschaft gedient wird.13 Der Staat solle so gering wie möglich in den Mechanismus des freien Marktes eingreifen.
Wenngleich damit eine These zur Erklärung der Wirtschaft bestand, wurde das Verhältnis zwischen Staatseigentum und Privateigentum, zwischen staatlichem und privatem wirtschaftlichem Handeln, noch nicht im wissenschaftlichen Sinne genauer beleuchtet. Punktuelle Privatisierungsbestrebungen wie die Forderung des Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertags 1909,14 eine Ausdehnung der staatlichen bzw. städtischen Betriebe zu verhindern, erweisen sich als wettbewerbsrechtliche Abwehrreflexe, zeigen aber selten argumentative Auseinandersetzungen mit dem Konzept der Privatisierung auf.
III. 1920/30er Jahre: Erste Theorien zu Privateigentum
Die entscheidende gedankliche Verknüpfung von dem Konzept der Marktwirtschaft mit dem von Privateigentum erfolgte in den 1920/30er Jahren durch die sog. Österreichische Schule.15 Nach Zusammenbruch des Wilhelminischen Kaiserreichs 1918 befanden sich Staat, Wirtschaft und Gesellschaft im Umbruch. Mit Blick auf die Novemberrevolution waren verstärkt Rufe nach Sozialisierung und Kommunalisierung, anstatt von Privatisierung zu vernehmen. Sich gegen diese Forderungen wendend, verglichen Mises und Hayek Staatseigentum und Privateigentum im Hinblick auf das Problem effizienter Ressourcenallokation.16 Ergebnis der Betrachtung war, dass Privat eigentum notwendige Bedingung für das Funktionieren einer Marktwirtschaft ist. Nur Privateigentum könne nämlich ökonomische Rivalität und Preise erzeugen und somit Wettbewerb schaffen.17
Widerspiegeln tat sich dieses theoretische Fundament beispielsweise in der Reichshaushaltsordnung von 1929, wonach Beteiligungen des Reiches an wirtschaftlichen Unternehmen nur zulässig waren, wenn ein wichtiges Interesse des Reiches vorlag und sich das vom Reich angestrebte Ziel nicht mit anderen Mitteln erreichen lässt.18 Eine breite Diskussion über Privatisierungen kam wegen der darauffolgenden Weltwirtschaftskrise allerdings nicht auf.
IV. Nachkriegszeit: Geburtsstunde der Sozialen Marktwirtschaft
Nach dem 2. Weltkrieg knüpften Vertreter des sog. Ordoliberalismus wie Eucken oder Müller-Armack an die Theorien der Österreichischen Schule an und entwickelten diese weiter. Während die Österreichische Schule primär das Verhältnis von Markt- und Zentralwirtschaft, bzw. Privat- und Staatseigentum betrachtet hatte, stand nach der sog. Ordnungstheorie die „aktive wirtschaftsordnende Rolle“19 des Staates im Mittelpunkt. Erkannt wurde, dass die freie Marktwirtschaft unbillige Folgen wie Monopole oder soziale Ungerechtigkeiten hervorbringt. Der Staat müsse deshalb sowohl aus wettbewerbs-, als auch aus sozialpolitischen Gründen intervenieren können (deshalb: „Soziale Marktwirtschaft“).20
Interessant ist die Konsequenz, die für Ent- bzw. Verstaatlichungsmaßnahmen gezogen wird. Es ließe sich argumentieren, dass in bestimmten Wirtschaftszweigen staatliche Betriebe gerade die nachteiligen Folgen der Marktwirtschaft korrigieren könnten. Eucken konstatiert aber hierzu: „Die Verstaatlichung von Monopolen löst das Monopolproblem nicht.“21 Gleichwohl zulässig sollte Staatseigentum dagegen bei „Lücken der privaten Wirtschaft“22 sein. Als Beispiele nennt Müller-Armack das öffentliche Bankwesen, den Wohnungsbau sowie die Sozialversicherung.23 Mit dieser Differenzierung war der Grundstein für die darauffolgenden Privatisierungsdiskussionen sowie für eines der wichtigsten Argumente pro Entstaatlichung gelegt: Der Staat dürfe subsidiär nur als Lückenfüller tätig werden. Kernfrage der modernen Wirtschaftspolitik sei dagegen „die Herstellung eines funktionsfähigen Preissystems vollständiger Konkurrenz.“24
V. 1950/60er Jahre: Zeit des Wirtschaftswunders
In den Jahren des „Wirtschaftswunders“ kam es nun zu den ersten breiten Privatisierungsdiskussionen. Einerseits ging es um die Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft, also um eine Entstaatlichung der Rüstungsindustrie und des Reichs- und preußischen Vermögens.25 Ab ca. 1951 wurden Privatisierungen politisch aber auch aus oben genannten ordnungspolitischen Gründen diskutiert. Erhard verfolgte im Rahmen des Slogans „Wohlstand für alle“ das Ziel einer breiten Vermögensbildung. Insbesondere Arbeitnehmer sollten mithilfe von sog. Volksaktien am starken Wirtschaftswachstum beteiligt werden.26 Daneben sollte – inspiriert durch die USA – auch der Kapitalmarkt wieder in Gang gebracht werden.27 Im Zuge der Ausgabe von Volksaktien wurden einige große Bundesunternehmen wie z.B. die Preußische Bergwerks- und Hütten AG 1959, ein Volkswagenwerk 1961, die Vereinigten Tanklager- und Transportmittel GmbH, und 1965 die Vereinigten Elektrizitäts- und Bergwerks AG teilprivatisiert.28
In rechtlicher Hinsicht erfuhren Privatisierungsdiskussionen 1954 Rückendeckung durch die Investitionshilfe-Entscheidung des BVerfG.29 Zwar würden die Grundrechte die Grenzen für gesetzgeberische Möglichkeiten bilden; im Bereich der Wirtschaftspolitik würde das Grundgesetz dagegen kein bestimmtes Wirtschaftssystem vorgeben. Gesprochen wird deswegen von der sog. wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes.30 Dies ebnete den Weg dazu, dass Entscheidungen über Privatisierungen primär wirtschaftliche und politische waren bzw. sind. Später konkretisierte das BVerfG die Grenzen von Privatisierungen und Entstaatlichung dann dahingehend, dass aus dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 I GG iVm der Menschenwürde gem. Art. 1 I GG und der Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG eine „objektive Werteordnung“31 folgt, aus der sich öffentliche Aufgaben wie z.B. solche der Daseinsvorsorge ergeben.32 Da aber auch hier keine konkreten Aussagen über die Art und Weise der Erfüllung von öffentlichen Aufgaben getroffen werden, bleibt die juristische Sichtweise in den Privatisierungsdebatten sekundär.33
In wirtschaftlicher wie politischer Hinsicht waren die Volksaktien kein Erfolg. Die Kleinaktionäre verkauften die Volksaktien früh wieder; einerseits, weil ihnen die Aktie als Sparform zu riskant war, andererseits, um schnelle Kursgewinne zu realisieren.34 Auch die erhoffte Vorbildfunktion für den privaten Sektor blieb weitestgehend aus.35 Es kam zu keinen weiteren breiten Aktienemissionen. In Bezug auf die Diskussion über Privatisierungen ist zu beobachten, dass dies der letzte Zeitpunkt war, zu dem der Verkauf staatlicher Unternehmen mit der Mehrung des Privatvermögens der Kleinanleger gerechtfertigt wurde.
VI. 1970/80er Jahre: Breite Privatisierungsdebatten
Um das Aufflammen der Privatisierungsdebatte in den späten 1970er bis 1980er Jahre verstehen zu können, ist ein Blick auf das Ende der Zeit des Wirtschaftswunders erforderlich. Die deutsche Wirtschaft florierte im Laufe der 1950er Jahre infolge einer großen Investitionsbereitschaft.36 Diese ebbte ab den 1960er Jahren ab, da die durch den 2. Weltkrieg ausgelösten Investitionsrückstände sowie der technologische Rückstand allmählich aufgeholt waren.37 1967 war das erste Jahr, in dem sich die Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vorjahr zurückentwickelte. Die schwere weltweite Wirtschaftskrise, welche dann endgültig den Nachkriegsboom beendete, war 1973 die erste Ölpreiskrise. Gleichzeitig wurde unter den sozial-liberalen Regierungen von 1969 bis 1974 und 1974 bis 1982 der Sozialstaat weiter ausgebaut. Prägnantes Beispiel hierfür ist die Rentenreform von 1972, welche die durchschnittliche Rentenbezugsdauer um drei Jahre verlängert hat.38 Jedenfalls stieg in einem Zeitraum wirtschaftlicher Rezession die Staatsquote sowie -verschuldung erheblich an.
Initialzündung für die daraus resultierende Privatisierungsdebatte war ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium der Finanzen 1975. Der Bericht forderte – ohne konkrete Beispiele zu nennen – Privatisierungen mit zwei Argumenten ein. Erstens solle die Erbringung öffentlicher Leistungen vermehrt durch Private erfolgen, weil diese effizienter als die öffentliche Hand arbeiten würden.39 Zweitens sollte der Verkauf öffentlicher Unternehmen Mittel einbringen, die wiederum in öffentliche Infrastruktur investiert werden sollen.40 Zu erkennen sind damit zwei Argumentationsstränge, die die Debatten um Privatisierung der darauffolgenden Jahre maßgeblich geprägt haben. Einerseits steht wieder der ordnungspolitische Gedanke im Vordergrund, der Staat müsse sich so weitgehend wie möglich der Einflussnahme auf den Markt enthalten. Dies entspricht der Forderung der Verringerung der Staatsquote. Andererseits solle die Privatisierung finanzpolitischen Zwecken dienen. Dadurch sollte der steigenden Staatsverschuldung entgegengewirkt werden. Das gesellschaftliche Echo des Gutachtens war groß. Verschiedenste Akteure bezogen Stellung und setzten sich für oder gegen Privatisierungen ein. Es entbrannte ein „Glaubenskrieg mit staats- und gesellschaftspolitischen Dimensionen“41.
1. Angloamerikanische Diskurse
Der „Glaubenskrieg“ war indes kein rein deutsches Phänomen. In den 1970er bis 1980er Jahren setzte vielmehr zunächst im angelsächsischen Raum eine Privatisierungswelle ein, die ideengeschichtlich auf Deutschland „überschwappte“. Unter den Schlagworten „Thatcherism“ bzw. „Reagonomics“ wurde die damalige britische bzw. amerikanische Wirtschaftspolitik bezeichnet, die jeweils das Konzept Entstaatlichung zu einem ihrer Mittelpunkte machte.42 Während Thatchers Amtszeit wurden insgesamt vierzig Staatsunternehmen in Privatbesitz überführt, was ca. 33 Mrd. Pfund Erlös brachte.43 Neben den genannten ordnungspolitischen und finanzpolitischen Gründen standen auch die Interessen der Verbraucher im Fokus. Die Auflösung staatlicher Monopole, die Stärkung des Wettbewerbs und Effizienzsteigerungen, die man sich mit Entstaatlichungsmaßnahmen versprach, sollten zugunsten der Verbraucher sein, die zunehmend unzufrieden mit den Leistungen der staatlichen Betriebe zu sein schienen.44 Das, was man heutzutage als „Framing“ von Argumenten bezeichnen würde, sollte die Bevölkerung und insbesondere die Gewerkschaften positiv auf Privatisierungen einstimmen. Parallelen lassen sich durchaus zu Erhards Utopie von einem „Volk von Miteigentümern“ ziehen. Privatisierungen würden im Sinne eines „popular capitalism“ bzw. „capital owning democracy“ der breiten Bevölkerung zugute kommen.45
a) Von nachfrage- zu angebotsorientierter Wirtschaftspolitik
In wirtschaftstheoretischer Hinsicht vollzog sich ein Umbruch von sog. nachfrageorientierter zu angebotsorientierter Wirtschaftspolitik. Zur Lösung der angesprochenen Wirtschaftskrisen von 1966 und 1973 wurde auf die von Keynes entwickelten Grundsätze zurückgegriffen, wonach der Staat eine aktive Rolle bei der Überwindung von Nachfrageschocks spielen soll.46 Im Gegensatz zum klassischen Sayschem Theorem, welches besagt, dass sich jedes Angebot seine Nachfrage selbst schafft,47 vertritt Keynes die Auffassung, dass der Staat bspw. durch sog. Deficit spending die Nachfrage in Zeiten der Rezession stützen soll. In Deutschland fand dieser Ansatz Widerhall im „Stabilitäts- und Wachstumsgesetz“ von 1967.
Gegenmodell war der vor allem von Friedman entwickelte sog. Monetarismus und eine mit ihm verbundene sog. Angebotspolitik.48 Die nach der ersten Ölpreiskrise von 1973 eintretende sog. Stagflation (gleichzeitige wirtschaftliche Stagnation und Inflation) gab den Anstoß, die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik zu hinterfragen.49 Wirtschaftswachstum ließe sich am besten durch die Senkung von Steuern und die Verringerung von Regulierung erreichen, weil jede Verbesserung der Rahmenbedingungen auf Seiten der anbietenden Unternehmen zu verbesserter Produktivität führt und dadurch niedrigere Preise und mehr Beschäftigung erzielt werden kann.50 Es ist wichtig, den Übergang zu einer angebotsorientieren Wirtschaftspolitik hin nachzuvollziehen, denn so erklärt sich, warum Deregulierung und Entstaatlichung eine so zentrale Rolle im angelsächsischen Raum der späten 1970er bis 1980er Jahre spielte. Privatisierungen waren Maßnahmen, die in das politische Gesamtkonzept passten, die Märkte zu revitalisieren.51
b) Theorie der Verfügungsrechte
Noch wesentlich genauere Begründungen fanden Privatisierungen mit dem Aufkommen von Theorieansätzen, welche sich näher mit den wirtschaftlichen Facetten von Eigentum auseinandersetzten und sich unter der Bezeichnung „Theorie der Verfügungsrechte bzw. Property Rights Theorie“ zusammenfassen lassen. Das Augenmerk der Vertreter wie z.B. Furubotn und Pejovich liegt auf dem Eigentum, weil „von einem praktischen Standpunkt […] der Inhalt der Verfügungsrechte die Verteilung und Verwendung von Ressourcen in bestimmten vorhersehbaren Wegen beeinflusst. (Übers. d. Verf.)“52 Eigentum als Begriff sei nur ein Oberbegriff für ein Bündel verschiedener sog. Verfügungsrechte (z.B. Nutzungsrechte, Gewinnrechte oder Übertragungsrechte). Die unterschiedlichen Verfügungsrechte würden jeweils unterschiedliche Kosten und Nutzen aufweisen und so die wirtschaftliche Leistung beeinflussen.53 Der Begriff der Verfügungsrechte stammt dabei aus der Rechtswissenschaft und ist Ausgangspunkt einer mannigfaltigen und bis heute andauernden theoretischen Auseinandersetzung mit der Frage, was wirtschaftlich geschieht, wenn bestimmte Verfügungsrechte bestimmten Akteuren, seien es staatliche oder private zugewiesen sind.54
Ohne im Einzelnen auf die jeweiligen Theorien und deren Abgrenzung eingehen zu können, sind doch die Schlussfolgerungen der verschiedenen Theorien im Hinblick auf Privatisierungen ähnlich und bedeutsam. Alchian hob hervor, dass der wesentliche Unterschied von Staats- und Privateigentum die Handelbarkeit von Verfügungsrechten ist. Während Staatseigentum stets in öffentlicher Hand und damit nicht handelbar sei, können die Verfügungsrechte unter privaten Eigentümern frei zirkulieren. Dies hat wiederum zur Folge, dass sich die „Kontrolle bzw. das Management [eines Unternehmens] auf die Inhaber konzentriert, die sich selbst für die fähigsten halten. Die eigene Einschätzung kann dadurch getestet werden, dass die schlechter Befähigten bei privater Eigentümerstruktur viel eher als bei öffentlicher Eigentümerstruktur eliminiert werden, weil sich erstens schlechtes Management in einem niedrigeren Preis des Verfügungsrechts widerspiegelt und somit offen sichtbar wird, zweitens die Spezialisierung der Eigentümer auf bestimmte Funktionen erleichtert wird und drittens eine Verknüpfung zwischen persönlichem Interesse der Eigentümer und des Wohlstands des Unternehmens möglich wird. (Übers. d. Verf.)“55 Letztlich handelt es sich um die gleichen Argumente wie die der Österreichischen Schule, wobei klar wird, dass der freie Markt nicht nur eine optimale Verteilung der Produzenten leistet, sondern auch eine optimale Eigentümer struktur sicherstellt. Auf Eigentümerseite sorge der Markt für Befähigung und Arbeitsteilung.56
c) Empirische Beobachtungen
Die daraus gezogene Schlussfolgerung, dass Staatseigentum strukturell ineffizienter sei als Privateigentum, sollte auch empirisch nachgewiesen werden. In den 1970er bis 1980er Jahren kommt es erstmals zu solchen breiten Untersuchungen. Die Auswertung ergab, dass von 90 durchgeführten Fallstudien nur 7 zu dem Ergebnis kamen, dass staatliche Unternehmen effizienter arbeiten. Bei 17 Studien bestand Gleichheit und bei 57 waren private Unternehmen effizienter.57 Der Weg zu breiten Privatisierungsaktionen schien damit theoretisch wie praktisch bereitet.
2. Die Debatte in Deutschland
In Deutschland sprach sich die Mehrheit – wenngleich teilweise vorsichtig – grundsätzlich auch für Privatisierungen aus.58 So legte der z.B. der Bund der Steuerzahler mit Verweis auf das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen einen ausführlichen Katalog von privatisierungsfähigen Aufgaben vor, der explizit Anleihen an angelsächsischen Privatisierungsbeispielen nahm.59 Weitere private Verbände, insbesondere wirtschaftsnahe, schlossen sich den Forderungen an.60 Selbst der Deutsche Städtetag als kommunaler Spitzenverband spricht sich nach einer Kriterienliste dann für Privatisierungen aus, wenn die Privatisierung eine Entlastung für den Haushalt mit sich bringt, ohne dem Bürger bei gleichem Leistungsumfang und gleicher Qualität höhere Kosten anzulasten.61
Gegen Privatisierungen sprachen sich hauptsächlich die Verbände der öffentlichen Wirtschaft sowie Gewerkschaften aus.62 Auf Seiten der Verbände besteht als Hauptargument die Befürchtung, dass Entstaatlichung tendenziell mit der Privatisierung der Gewinne und Verstaatlichung der Verluste einhergeht.63 Dieses Argument beruht darauf, dass die Privatwirtschaft, die eine Strategie der Profitmaximierung verfolgt, nicht an der Übernahme defizitärer Bereiche interessiert sei. Hierbei handelt es sich – wie die ordnungs- und finanzpolitischen Pro-Argumente – um einen grundlegenden und im Verlauf der Debatten immer wieder genannten Einwand gegen Privatisierungen. Die Gewerkschaften verfolgen dagegen das Ziel, mit Blick auf die Beschäftigten eine Verschlechterung derer Arbeitsbedingungen zu verhindern. Auch sei eine Verschlechterung des Angebots an öffentlichen Gütern zu erwarten.64
a) Die Nassbagger-Kommission
Paradigmatisch für den Zusammenprall der genannten Argumente ist der Streit um die Beseitigung von Flussschlamm, welcher von 1974 bis 1981 andauerte. Die sog. Nassbagger-Kommission des Bundestages hatte die auf den ersten Blick einfache Frage zu beantworten, inwieweit private Nassbagger den Flussschlamm besser beseitigen können als die staatliche Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Während der Verband der Deutschen Bauindustrie die oben angesprochenen Effizienzgewinne versprach, befürchteten die Gewerkschaften, dass bei den Privaten bis zu „14 Stunden täglich gearbeitet“65 werden würde, wobei in staatlichen Unternehmen „unnötige Überstunden“ unterblieben würden.66 Helmut Schmidt persönlich schlug vor, 30 Prozent der staatlichen Aufträge an Private zu vergeben. Abgewürgt wurde die Debatte schließlich mit der Feststellung, dass die Staatsbetriebe selbst intern so stark rationalisiert worden seien, dass man inzwischen billiger als die privaten Anbieter arbeiten würde.67 An diesem Beispiel zeigt sich eine gewisse Kompromissbereitschaft, die für die darauffolgenden Debatten typisch ist. Man kann sie auch als Unentschlossenheit bezeichnen, sich entweder vollständig für oder gegen Privatisierungen zu entscheiden. Es zeigt sich aber auch, dass Entscheidungen an den Schnittpunkten von Wirtschaft und Staat derart viele verschiedenen Dimensionen aufweisen, dass es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist, eine objektiv optimale Lösung zu finden. Von dieser Unsicherheit, die Vor- und Nachteile von Privatisierungen normativ zu bewerten, sind auch die folgenden Diskussionen geprägt.
b) Privatisierungsvorhaben der Kohl-Regierung
Politisch wurden die Argumente pro Privatisierung von der schwarz-gelben Kohl-Regierung ab 1982 aufgegriffen, welche in der Regierungserklärung zu Protokoll gab: „Insgesamt stellen wir mit diesem Dringlichkeitsprogramm die Weichen zur Erneuerung: weg von mehr Staat, hin zu mehr Markt; weg von kollektiven Lasten, hin zur persönlichen Leistung; weg von verkrusteten Strukturen, hin zu mehr Beweglichkeit, Eigeninitiative und verstärkter Wettbewerbsfähigkeit.“68 In der Tat wurde 1985 vom Finanzministerium eine Vorschlagsliste mit 13 Privatisierungsvorhaben vorgelegt (darunter die Volkswagen AG, VIAG AG und VEBA AG), welche tatsächlich in der Folge zu einem großen Teil zumindest teilweise realisiert wurden.69 Praktisch bedeutete dies, dass der Bund seine Aktienanteile teilweise verkaufte. Der Finanzminister Stoltenberg (CDU) begründete dies wie folgt: „Den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft entsprechend, soll sich die Staatstätigkeit auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren. Bundesbeteiligungen sollen deshalb in solchen Fällen, wo dies ohne Beeinträchtigung staatlicher Belange möglich ist, verringert werden. Bei der Privatisierung soll das Ziel einer breiteren Streuung des Eigentums an Produktionsmitteln befolgt werden.“70 Interessant an dieser Aussage ist, dass die zuvor erläuterten Theorien der Verfügungsrechte beim Stichwort der breiten Streuung des Eigentums an Produktionsmitteln anklingen. Die Bezugnahme auf die eigentlichen Aufgaben des Staates ist das unterstützende ordnungspolitisches Argument. Ihm zugrunde liegt die These des Effizienzvorsprungs des marktwirtschaftlichen Systems.71
Gegenstimmen insbesondere aus der SPD hielten dem entgegen, dass es gar überhaupt nicht um Ordnungspolitik ginge, sondern um die Stopfung von Haushaltslöchern.72 Zweitens drohe durch die Privatisierung auch der Verlust von Arbeitsplätzen.73 An dieser Argumentation zeigt sich, dass inhaltlich die Theorien zur höheren Effizienz von Privatisierungen gar nicht immer bestritten wurden. Es ging vielmehr darum, den „sozialen Besitzstand“ der Arbeitnehmer zu wahren und die „Handlungsfähigkeit“ des Staates zu sichern.74 Staatliche Unternehmen werden also als etwas Positives gesehen, weil die Arbeitsbedingungen besser als in der Privatwirtschaft seien und weil mehr staatlicher Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen genommen werden kann. Hieran zeigt sich, dass in den Debatten um Privatisierungen oft aneinander vorbeigeredet wird. Für die einen steht die Effizienz der Erbringung bestimmter Aufgaben im Vordergrund, für die anderen ist Effizienz gar nicht das angestrebte Ziel, sondern ein möglichst mächtiger Staat. Was sich z.B. als bessere Arbeitsbedingungen beim Staat erweist, sind mit Blick aus der Privatwirtschaft vor allem Ineffizienzen. Es sollte in der Folge der Diskurse noch deutlich werden, dass Privatisierungsdiskussionen oft ein sog. Zielkonflikt zugrundeliegt. Die Vor- und Nachteile lassen sich nur dann bewerten, wenn man einig in Bezug auf ein bestimmtes Ziel ist. Jedenfalls implizit bestehen allerdings in der Praxis unterschiedliche Zielvorstellungen, weshalb die Entscheidungen oft so umstritten sind. Unterschiedliche Zielvorstellungen sind dabei wiederum Ausfluss von unterschiedlichem Staats- und Wirtschaftsverständnis. In Privatisierungsdebatten prallen die verschiedenen Ansichten exemplarisch aufeinander.
VII. Privatisierung der Bundespost und der Bundesbahn
Anschaulich zeigt sich dies an den zwei wohl herausragendsten Privatisierungsbeispielen der jüngeren Deutschen Wirtschaftsgeschichte: der Privatisierung von Post und Bahn.75 Im Jahresgutachten des Sachverständigenrats von 1985 wurden die Bereiche bereits als Paradebeispiel dafür genannt, „wie vordringlich eine Politik der Marktöffnung (Deregulierung) ist.“76 Die Motivationslage war jedoch hinsichtlich Bundespost und Bundesbahn unterschiedlich. Die Bundesbahn war defizitär und sollte in den Händen von Managern statt Beamten profitabel werden.77 In aller Munde war der Begriff des „Gesundschrumpfens“78. Die Bundespost war hingegen angesichts der „wachsenden Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien“79 bereits profitabel. Der Sachverständigenrat sah vielmehr das Problem darin, dass es sich im Bereich der neuen Technologien um ein staatliches Monopol handelte, das „immer weniger in der Lage“ wäre, „die Vielfalt der technischen Möglichkeiten in ein marktgängiges Angebot umzusetzen.“80 Kritisiert wurde also die mangelnde Innovationsfähigkeit, um mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten. Privatisierungen sollten „dynamischen Wettbewerb“81 schaffen, der die Grundlage für zukunftsfähiges Wirtschaftswachstum sei.
1. Prinzipal-Agenten-Theorie
Beiden Betrieben gemein war, dass es jeweils um sog. netzgebundene Dienstleistungen ging. Die Besonderheit von netzgebundener Infrastruktur ist, dass sie Merkmale natürlicher Monopole aufweisen, die dadurch entstehen, dass eine hohe Anfangsinvestition notwendig ist, die Infrastruktur zu errichten, aber dann nur noch verhältnismäßig geringe Unterhaltskosten bestehen.82 Weitere netzgebundene Dienstleistungen finden sich bspw. bei der Elektrizitätswirtschaft sowie bei der Wasserversorgung. Mit den zunehmenden Privatisierungstendenzen ab den 1970er Jahren wurden in den 1980er Jahren solche staatlichen Monopole zunehmend in Frage gestellt.
Theoretisch wird dies begründet mit u.a. der sog. Prinzipal-Agenten-Theorie, welche sich als eine Weiterentwicklung der angesprochenen Theorie der Verfügungsrechte begreifen lässt.83 Die Theorie geht davon aus, dass der Auftraggeber (Prinzipal) andere Interessen verfolgt als der Auftragnehmer (Agent).84 Zwischen den beiden Parteien bestehen allerdings Informationsasymmetrien. So kann der Prinzipal nur beschränkt das Engagement des Agenten bzw. die Qualität beurteilen, da der Agent seine eigene Leistung am besten kennt. Der Agent kann seine Leistung anpassen, wobei der Prinzipal nur das Ergebnis der Leistung sieht.85
Angewendet auf die Privatisierung eines natürlichen Monopols bedeutet dies den Übergang von sog. allokativer Effizienz zu sog. produktiver Effizienz. Ein Unternehmen in Staatsbesitz verfolgt das Ziel sog. allokative Effizienz, also die optimale Bereitstellung einer vom Staat gewünschten Menge an Dienstleistungen.86 Die produktive Effizienz ist dagegen gering, weil auch Kostenüberschreitungen (bspw. ein defizitärer Bahnbetrieb) hingenommen werden.87 Nach erfolgter Privatisierung kann der Staat privaten Akteuren Zielvorgaben machen. Diese verfolgen wiederum das Ziel produktiver Effizienz, d.h. sie wollen das Ziel mit möglichst geringem Mitteleinsatz erreichen. Es wird also privatisiert, je wichtiger die produktive Effizienz im Vergleich zur allokativen Effizienz wird.88 Die Kehrseite des Modells ist freilich, dass allokative und produktive Effizienz wohl nicht gleichzeitig zu erreichen ist. Dieser Kritikpunkt wird im Laufe der Zeit noch verstärkt aufgegriffen werden.89
2. Europäische Dimensionen
Jedenfalls sah sich die 1987 wiedergewählte Kohl-Regierung in ihrer angestoßenen Privatisierungspolitik bestätigt und strebte eine Fortführung für Post und Bahn an.90 Rückenwind erhielt sie zusätzlich ab den späten 1980er Jahren von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Insbesondere im Telekommunikationsbereich setzte sich die Europäische Kommission stark für Liberalisierung ein.91 In einem 1987 veröffentlichten Grünbuch über die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen wurde ein „schrittweiser Übergang zu einem wettbewerbsorientierten offenen Markt“92 gefordert.93
Tatsächlich bestand auf europäischer Ebene der politische Wille dazu, die Forderung umzusetzen.94 Art. 86 Abs. 3 des EG-Vertrages erlaubte es der Kommission, Richtlinien oder Entscheidungen an die Mitgliedstaaten zu richten, um zu verhindern, dass öffentliche oder monopolartige Unternehmen den Regelungen des Vertrages zuwiderhandeln. Brisant an dieser Regelung war, dass die Kommission für Richtlinien nach dieser Norm weder die Zustimmung des Ministerrats, noch des Europäischen Parlaments bedurfte. So erließ die Kommission 1996 schließlich eine Richtlinie, die grundsätzlich einen vollständigen Wettbewerb auf Telekommunikationsmärkten ermöglichte, womit die vollständige Liberalisierung erreicht wurde.95 Erfolg hatte die Kommission auch deshalb, weil sie von der Rechtsprechung des EuGH unterstützt wurde. Hervorhebenswert ist insbesondere ein Urteil, wonach es für die Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Regeln der Europäischen Verträge unerheblich ist, ob das tätige Unternehmen staatlich oder privat ist.96 Am Beispiel des Unternehmens British Telecommunications wurde deutlich gemacht, dass es ungeachtet seiner öffentlich-rechtlichen Organisationsform den Wettbewerbsregeln unterfalle.97
Die Privatisierungsdebatten gewannen so zunehmend eine europäische Dimension. Argumentativ rückte stärker der Begriff des „Staatsmonopols“98 in den Vordergrund. Es lässt sich beobachten, dass sich so die Diskurse zugunsten von Privatisierungen begrifflich verschärfen. Während sich trefflich über Aspekte der „Ordnungspolitik“ streiten lässt, klingt allein der Terminus eines „Staatsmonopols“ drastischer und löst gewisse Abwehrreflexe aus. Die Schaffung von mehr Wettbewerb war also eines der zentralen Schlagworte, die den „Privatisierungsboom“ der 1980er bis 1990er Jahre beherrschte.99
VIII. 1980/90er Jahre: Privatisierungsboom
Großer Bestandteil des Privatisierungsbooms war ab 1990 die Treuhandanstalt, die sich explizit als Privatisierungsbehörde verstand.100 Obschon aus Platzgründen nicht auf die dortigen Entwicklungen eingegangen werden kann, war der Zusammenbruch der DDR und der Sowjetunion ein weiterer großer Treiber für Privatisierungen auch außerhalb der Treuhandanstalt. Für den Bereich von Post und Bahn ist ein Zitat eines Vertreters des Bundespostministeriums aus dem Jahr 1991 exemplarisch: „Nach dem historischen Experiment mit zwei kontroversen Wirtschaftsordnungen in Europa von 1945 bis 1990 ist deutlich geworden, dass durch einen funktionstüchtigen Wettbewerb Preise gesenkt, der Service erhöht, die Innovation gefördert und die Rationalisierung erzwungen wird. Die den Wettbewerb bestehenden Unternehmen bieten sichere Arbeitsplätze und sind zuverlässige Steuerzahler. Wer heute die Zweckmäßigkeit des Wettbewerbs anzweifelt, hat die Beweislast für seine Behauptung zu tragen.“101
1. Fortsetzung: Privatisierung der Bundespost und der Bundesbahn
Für Bahn und Post kam es vor diesem Hintergrund Mitte der 1990er Jahre zu Organisationsprivatisierungen.102 Im Januar 1994 wurde durch die Zusammenführung der Sondervermögen Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn bei gleichzeitiger Umwandlung in eine Aktiengesellschaft die Deutsche Bahn AG gegründet.103 Auf der Basis des Gesetzes zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation wurde die Deutsche Bundespost im Januar 1995 im Rahmen einer formalrechtlichen Privatisierung in drei Aktiengesellschaften überführt (Deutsche Telekom AG, Deutsche Post AG und Deutsche Postbank AG).104 Der Bund war dabei jeweils zunächst Alleingesellschafter.
Möglich waren die Umwandlungen jeweils nur nach einer Grundgesetzänderung. Die SPD als Opposition musste also den Gesetzen zustimmen.105 Dies bedeutet einerseits, dass gewisse Kompromisse geschlossen werden mussten wie z.B., dass durch eine Holding die Einheit der Bahn erhalten bleiben sollte. Hier setzte sich die SPD für die Gewerkschaften ein, welche wiederum auf Besitzstandwahrung pochten.106 Andererseits schien auch die SPD Privatisierungen nicht kategorisch abgeneigt zu sein. Es zeigt sich an dieser Stelle ein gewisser Pragmatismus der Sozialdemokraten, welcher im angelsächsischen Raum ab 1998 unter dem Schlagwort „Der Dritte Weg“ bekannt werden sollte.107 In dem gleichnamigen Buch von Giddens geht es im Ausgangspunkt darum, wie die Sozialdemokratie auf die globalen Veränderungen wie Digitalisierung, Globalisierung usw. reagieren soll. Vorgeschlagen wird ein pragmatischer Mittelweg zwischen der „klassischen Sozialdemokratie“, die auch als „Alte Linke“ bezeichnet wird und den neoliberalen Vorstellungen, die insb. den Thatcherismus geprägt haben.108 Für die Privatisierungsdebatten ist entscheidend, dass sich die sozialdemokratischen Kräfte in Anlehnung an den vorgeschlagenen Mittelweg jedenfalls nicht vehement gegen Privatisierungen gewehrt haben.109 Für Deutschland bedeutet dies, dass das SPD-geführte Kabinett unter Schröder in Bezug auf Privatisierungen keine Verhinderungspolitik oder sogar Politik der Rückgängigmachung betrieben hat. Schröder sprach sich beispielsweise 2004 für eine Veräußerung der Unternehmensanteile des Bundes an der Bahn an der Börse aus.110 Die dadurch erzielten Erlöse sollten die öffentlichen Haushalte entlasten und gleichzeitig nötige Investitionen in die Infrastruktur ermöglichen.111 Die Finanzkrise 2008 vereitelte diese Pläne.112 Befürchtet wurde, dass die Erlöse aus einem Verkauf zu gering ausfallen würden.113 Bis heute besteht daher die Konstellation, dass sich die Holding Gesellschaft Deutsche Bahn AG vollständig im Eigentum des Bundes befindet. Im Bereich der Post kam es dagegen tatsächlich ab 1996 auch zu materiellen Privatisierungen.114 Die drei genannten Sparten befinden sich nach Anteilsverkäufen an der Börse in überwiegend privater Hand.
2. Privatisierung der Daseinsvorsorge
Kontrovers diskutiert wurde in diesem Zusammenhang die Facette der Daseinsvorsorge.115 Mit den immer weiter zunehmenden Privatisierungen in den 1990er Jahren ging eine zunehmende Privatisierung öffentlicher Leistungserbringer einher.116 Anders als in den Anfangsdebatten um Privatisierungen ging es ab den 1990er Jahren um die Privatisierung von Bereichen wie Gesundheitsversorgung (Krankenhäuser), Wasser- und Stromversorgung (Kommunale Stadtwerke) oder auch in der Abfallwirtschaft.117 Der beschriebene Bereich netzgebundener Dienstleistungen bietet ebenfalls ein anschauliches Beispiel für die Kontroversen.118 Bemerkt wurde, dass bereits mit der formellen Privatisierung der Bahn eine engere Verzahnung von Wirtschaft und Staat erfolgte. An dem neu geschaffenen Art. 87e GG zeigt sich genau jener Zwiespalt, an dem sich der Staat nun befindet. Einerseits besteht als hoheitliche Aufgabe weiterhin die sog. Infrastrukturverantwortung gem. Art. 87e Abs. 4 iVm Art. 87e Abs. 1 S. 2, Abs. 2 GG, andererseits sind die Eisenbahnen gem. Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen zu führen.119 Zu verzeichnen ist damit ein Wandel von der sog. staatlichen Erfüllungsverantwortlichkeit hin zu einer Gewährleistungs- und Kontrollverantwortlichkeit.120 Gemeint ist damit, dass im Bereich der Daseinsvorsorge die Verantwortung geteilt ist. Aus Sicht des Bürgers wird die konkrete Leistung der Daseinsvorsorge (z.B. das Zustellen eines Briefes) von einem privatwirtschaftlich agierenden Unternehmen erfüllt. Der Staat dagegen ist quasi im Hintergrund der Koordinator, Infrastruktur-Bereitsteller und Kontrolleur; er bleibt letzten Endes für die Gewährleistung verantwortlich.121 Die Daseinsvorsorge gelingt umso besser, je besser der Staat die verschiedenen Verantwortungsteile koordinieren und austarieren kann.122 Im Bereich von Post und Bahn und weiteren Bereiche netzgebundener Dienstleistungen besteht bspw. heute die Bundesnetzagentur, welche gerade für technische und wettbewerbsrechtliche Aufsicht, Verbraucherschutz und Überwachung der Infrastruktur zuständig ist.123 Bremer beschreibt deshalb den modernen Staat als einen, der sich „auf die Rolle eines Bestellers von Leistungen, die im Wettbewerb vergeben werden, beschränkt.“124
IX. Heute: Regulativer Kapitalismus
Eingeleitet ist damit das Konzept des sog. regulativen Kapitalismus, welches den heutigen Diskurs maßgeblich prägt.125 Eine besonders fundierte Bilanz zog von Weizsäcker in einem ausführlichen Bericht an den Club of Rome 2006.126 Darin wurden weltweit Beispiele von Privatisierungen auf Vor- und Nachteile untersucht. Konstatiert wird, dass die Privatisierung angefangen hat, „zu viel des Guten“ zu sein.127 Zahlreiche Beispiele werden genannt, in denen Privatisierungen dann nicht zu den verhofften Effizienzvorteilen führen, wenn z.B. ein staatliches Monopol einfach in ein privates Oligopol umgewandelt wird.128 Der Staat habe die diffizile Aufgabe, eine Symbiose zwischen Versorgungssicherheit im Hinblick auf die privatisierten Leistungen einerseits und marktwirtschaftlichen Wettbewerb andererseits sicherzustellen.129 Privatisierung funktioniere nur bei einer flankierenden „Re-Regulierung“ durch den Staat, die gerade die flächendeckende Versorgung sicherstellen soll.130 Verhindert werden soll so das sog. Rosinenpicken, bei dem nach einer Privatisierung nur lukrative Teile des Geschäfts bei Vernachlässigung der Versorgung in der Fläche weitergeführt werden.131 Gleichzeitig soll darauf geachtet werden, dass die Re-Regulierung nicht in eine Re-Bürokratisierung umschlage.132 Inwieweit dieses Konzept zielführend ist, wird allerdings in Zukunft erst noch zu betrachten sein.133
X. Fazit
Wie unverändert dabei die den Diskursen zugrundeliegenden Konfliktlagen sind, zeigt dabei das zu Beginn angesprochene Beispiel der Bundesfernstraßen. Die neu geschaffene Autobahn GmbH des Bundes finanziert sich u.a. durch die Lkw-Maut.134 Zugleich bestehen - wie 1792 in den USA - punktuelle finanzielle Beteiligungen privater Investoren.135
Obschon damit die Probleme und Lösungsmöglichkeiten die nahezu gleichen wie vor über 200 Jahren sind, lassen sich die Debatten um Privatisierungen keineswegs als „ausdiskutiert“ oder gar „gelöst“ ansehen.136 An den Diskursen um Privatisierungen offenbaren sich im Laufe der Geschichte stets unterschiedlichste Vorstellungen politischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Art. Gleichzeitig können die Folgen von Privatisierungen normativ unterschiedlich bewertet werden. Privatisierungsdebatten sind daher zugleich Brennglas und Spiegel ihrer jeweiligen Zeit.
[...]
1 BGBl. 2018 I 2237.
2 Vgl. InfrGG v. 14.8.2017, BGBl. 2017 I 3122.
3 Website Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, abrufbar unter https://web.archive.org/web/20181006155010/https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Dossier/IGA-GmbH/iga.html (Archiviert vom Original am 06.10.2018; abgerufen am 17.02.2022).
4 aaO.
5 aaO.
6 Hennecke, 130.
7 Vgl. auch Libbe, 1801.
8 Schanetzky, 35.
9 Vgl. Schäfer/Rethmann.
10 Kämmerer/Wentzel.
11 Rückwardt, 17.
12 Loesch, 19.
13 Siehe zur unsichtbaren Hand Rothschild, 319 ff.
14 Hirche, 10.
15 Siegmund, 9.
16 Quaas, 1 ff.
17 Siegmund, 15.
18 Loesch, 23.
19 Siegmund, 15.
20 Pilz, 25.
21 Eucken, 293.
22 Müller-Armack, 197.
23 aaO.
24 Eucken, 254.
25 Hirche, 15.
26 Loesch, 25.
27 aaO.
28 Erdmaier, 111.
29 BVerfGE 4, 7.
30 Vgl. BVerfGE 4, 7 (17); 39, 210 (225); 50, 290 (337).
31 BVerfGE 7, 198.
32 Lehn, 59 ff.
33 z.B. Bestätigung der Verfassungsmäßigkeit des Volkswagenwerk-Privatisierungsgesetzes durch BVerfG, Urteil vom 17. 5. 1961 - 1 BvR 561, 579/60, 114/61.
34 Siegmund, 21.
35 Loesch, 26.
36 Spahn, 73 ff.
37 König, 84 ff.
38 Börsch-Supan, 16 ff.
39 Gutachten 1975, 1007 ff.
40 aaO.
41 Siedentopf, 64.
42 Solomon, 29 ff.
43 Geppert, 51.
44 Geppert, 60.
45 Vgl. hierzu insb. Francis, 275 ff.
46 Vesper, 9.
47 Suntum, 96 ff.
48 Harris/Nelson/Roach, 286.
49 Vesper, 22.
50 Suntum, 104.
51 Vesper, 14.
52 Furubotn/Pejovich, 1139.
53 Siehe hierzu überblicksartig Tietzel, 207 ff.
54 Siegmund, 18 ff.
55 Alchian, 827.
56 Vgl. Siegmund, 29.
57 Siegmund, 34.
58 Vgl. Bieling, 542.
59 Heier, 1ff., 16 ff.; Arnim/Borell/Vogt, 12 ff.
60 Rückwardt, 31.
61 Deutscher Städtetag 1976, Städtetag Schriftenreihe 1976.
62 Rückwardt, 31.
63 Tofaute, 97.
64 Kluncker, 85.
65 Zit. nach Süß, 23.
66 aaO.
67 Süß, 24.
68 Kohl.
69 Erdmaier, 112 ff.
70 Zit. nach Cointreau, 44.
71 Übersicht über umgesetzte Privatisierungsvorhaben bei Knauss, 24 ff.
72 Süß, 25.
73 aaO.
74 Glotz, 9.
75 Siehe auch Bieling, 543 ff.
76 Sachverständigenrat 1985/86, Ziff. 308.
77 Lauschke, 108.
78 Vgl. DER SPIEGEL vom 10.12.1989, „Dafür ist die Bahn nicht gerüstet“.
79 Lauschke, 110.
80 Sachverständigenrat 1985/86, Ziff. 337.
81 Sachverständigenrat 1984/85, Ziff. 315.
82 Scheele, 3.
83 Siegmund, 47 ff.
84 Vgl. hierzu Gilardi/Braun, 147 ff.
85 Petersen, 35 ff.
86 Schmidt, 19.
87 aaO.
88 Siegmund, 56.
89 Zur Übersicht siehe Libbe, 1805 ff.
90 Lauschke, 113.
91 Busch, 23 ff.
92 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 12.6.1987, „EG stellt Postmonopol zur Diskussion“.
93 Lauschke, 113.
94 Bardt/Busch, 91 ff.
95 RL 96/19/EG.
96 EuGH Urteil vom 20.3.1985 – Fall 41/83.
97 Bardt/Busch, 93.
98 Umfassend hierzu Schneider 116 ff.
99 Witte, 1 ff.
100 Vgl. § 8 Treuhandgesetz.
101 Referat des Staatssekretärs im Bundesministerium für Post und Telekommunikation anlässlich der Klausurtagung der Deutschen Postgewerkschaft am 18.6.1991, zit. nach Lauschke, 119.
102 Zur Bahn Stamm, 66 ff.; zur Post Flecker, 145 ff.
103 Erdmaier, 121.
104 aaO.
105 Lauschke, 121.
106 aaO.
107 Straubhaar, 750 ff.
108 Giddens, 7.
109 Vgl. Gerlinger, 120 ff.
110 Stamm, 139.
111 So auch die Argumentation bereits bei Pausch, 1 ff.
112 Stamm, 234.
113 aaO.
114 Flecker, 146 ff.; Bardt/Busch, 99 ff.
115 Lehn, 59; kritisch Püttner, 193 ff.
116 Z.B. BerlVerfGH, Urteil vom 21. 10. 1999 - VerfGH 42/99.
117 Zu den Entwicklungen im Bereich des Sozialstaats siehe Hockerts, 71 ff.
118 Siehe hierzu auch Spitzner, 55 ff.; Hermes, 113.
119 Mangoldt/ Gersdorf Art. 87e GG Rn. 3.
120 Lehn, 69 ff.; Schuppert, 13 ff.
121 Hoffmann-Riem, 95 ff.
122 Schuppert, 23.
123 § 2 Gesetz über die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen.
124 Bremer, 136.
125 Ruthig/Storr Rn. 24; Schmidt-Preuß, 68 ff. m.w.N.
126 Weizsäcker/Young/Finger, 14 ff.
127 Weizsäcker/Young/Finger, 15.
128 Als deutsches Beispiel siehe BVerfGE 130, 76 (18.01.2012 - 2 BvR 133/10).
129 Siehe auch Schuppert, 13.
130 Weizsäcker/Young/Finger/Beisheim, 331.
131 Pielow, 28.
132 aaO.
133 Zu den Grenzen von Privatisierungen auch Knauff, 581 ff.
134 Vgl. Bundesverkehrswegeplan 2030 des Bundesministeriums für Verkehr und digitaler Infrastruktur, abrufbar unter https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/G/bundesverkehrswegeplan-2030-gesamtplan.pdf?__blob=publicationFile (abgerufen am 17.02.2022).
135 Auflistung von Öffentlich-Privaten-Partnerschaften auf der Website der Autobahn GmbH des Bundes, abrufbar unter https://www.autobahn.de/suedbayern/unsere-oepp-projekte (abgerufen am 17.02.2022).
136 Hennecke, 130 ff.
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- Vincent Kästle (Autor:in), 2022, Rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Debatten um Privatisierung und Entstaatlichung. Ein historischer Überblick, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1319311