Soziale Probleme als Gegenstand von Theorien Sozialer Arbeit. Am Beispiel Silvia Staub-Bernasconi


Hausarbeit, 2022

22 Seiten, Note: 2,5

Anonym


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Silvia Staub-Bernasconi
1.1 Biografie

2. Staub-Bernasconis Verständnis sozialer Probleme
2.1 Ausstattungsprobleme
2.2 Austauschprobleme
2.3 Machtproblematik
2.4 Kriterien- und Werteproblematik

3. Das systemtheoretische Paradigma
3.1 Individuum und Gesellschaft

4. Handlungsmodell
4.1 Die Wissensdimensionen
4.2 Ziele Sozialer Arbeit

5. Professionalisierung Sozialer Arbeit
5.1 Der Transformative Dreischritt
5.2 Das Tripel Mandat

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Soziale Probleme sind zentraler Bestandteil Sozialer Arbeit, so bemühen sich Sozial­arbeiter in ihrer täglichen Arbeit, diese zu verstehen, erklären und zu lösen.

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Leben und Schaffen von Silvia Staub-Bernasconi besonders im Fokus steht hierbei ihr Verständnis Sozialer Probleme. Staub-Bernasconi (2012, S. 267) sagt, dass interessanterweise immer wieder versucht wird einer Theorie Sozialer Probleme ihre Relevanz abzusprechen und es nicht mög­lich gemacht wird einen Beitrag zur human- und sozialwissenschaftlichen Theoriebil­dung zu leisten. Dabei ist natürlich klar, dass nur ein soziales Problem nicht ausreicht um eine vollständige Gesellschaftstheorie zu begründen. Mit einem Verweis an be­rühmte Theoretiker, wie Karl Marx, Emil Durkheim und Jane Addams wird aber deut­lich, dass Soziale Probleme schon seit langem Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschungen und Theorien sind. Somit ist klar, das Soziale Probleme gewichtigen An­teil in Theorien Sozialer Arbeit nehmen sollten.

Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an arbeiten Frauen daran die Notstände, welche durch die Massenarmut des Frühkapitalismus kamen, zu beheben. Sie mach­ten darauf aufmerksam, wie vom Staat und diversen Strukturen, wie der Kirche bei­spielsweise, mit Sozialen Problemen umgegangen wurde. Darüber hinaus protestierten sie und machten sich stark für ihre Rechte, welche ihnen verwehrt wurden, da sie nicht wählen und auch nicht an Universitäten studieren durften. Herausragende Frauen die­ser Bewegung waren beispielsweise Jane Addams in den USA, Ellen Starr in England und Alice Salomon in Berlin. Mit ihnen reiht sich Silvia Staub-Bernasconi ein, welche in der Schweiz und Deutschland aktiv ist (Engelke et al. 2018, S. 443).

Soziale Arbeit versteht Silvia Staub-Bernasconi als eine Reaktion auf sozial und kultu­rell problematische Wirklichkeiten. Durch dieses Verständnis hat sie verschiedene For­schungsinteressen, wie zum Beispiel Soziale Probleme, Soziale Arbeit als Handlungs­theorie, interkulturelle Arbeit, die Unsichtbarmachung von Frauen und Menschenrech­te. Staub-Bernasconi sieht den Werkzeugkasten der Sozialen Arbeit nicht als leer, ihrer Meinung nach ist er mehr als gefüllt (Engelke et al. 2018, S. 444). Für sie ist Soziale Arbeit eine Profession und Disziplin und nicht nur ein Beruf, mit ihren Forschungen bringt sie die Professionalisierung der Sozialen Arbeit voran.

In der folgenden Arbeit wird zuerst ein Blick auf Staub-Bernasconis Biografie geworfen. Das Verständnis Sozialer Probleme nach Silvia Staub-Bernasconi als zentrales Thema wird erläutert und in vier Problemkategorien aufgeteilt. Da sie maßgeblich an der Ent­wicklung des Systemtheoretischen Paradigmas beteiligt war, wird auch dieses vorge­stellt und im Zuge dessen ebenfalls das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Weiterhin beschäftigt sich die Hausarbeit mit dem von ihr entwickelten Handlungsmo­dell, welches den Systemismus Mario Bunges als Grundlage hat. Es wird Rückbezug auf die Problemkategorien genommen beim beschreiben der Ziele Sozialer Arbeit und zu guter Letzt wird die Professionalisierungsdebatte der Sozialen Arbeit angesprochen, mit den Unterthemen des transformativen Dreischritts und dem Tripelmandat.

Im Folgenden wird nun ein Einblick in die Bedeutung Silvia Staub-Bernasconis für die Soziale Arbeit gegeben, was nachvollziehbar machen wird, warum sie und ihre Theorie als Thema dieser Hausarbeit gewählt wurde.

1. Silvia Staub-Bernasconi

Silvia Staub-Bernasconi zählt zu den wichtigsten Theoretikern der Sozialen Arbeit. Sie ist eine der wenigen Theoretikern, die auch praktisch in der Sozialen Arbeit tätig waren. Durch ihre Erfahrung im Handlungsfeld Sozialer Arbeit gelang es ihr einen Bezug zwi­schen Praxis und Theorie herzustellen. Ihre aufgestellte Theorie ist praxisbezogen und wird daher in vielen Einrichtungen sogar als Grundlage für Arbeitsmaterialien genutzt, es gibt auch nicht wenige Sozialarbeiter, welche Staub-Bernasconis Theorie in ihren Berufsalltag eingebunden haben. 2006 erschien zu ihrem 70. Geburtstag ein Sammelband, in welchem 32 Vertraute sich mit ihrem Werk und Leben auseinandergesetzt haben (Engelke et al. 2018,S. 460). Dies zeigt die hohe Anerkennung, welche ihr im Feld der Sozialen Arbeit zu Teil wird.

Ihr Ziel ist es durch stete Weiterentwicklung disziplinären Wissens, die Soziale Arbeit zu einer anerkannten Disziplin zu entwickeln. Ein ihr ebenfalls wichtiges Anliegen ist es für Menschenrechte und deren Durchsetzung zu kämpfen (Sagebiel, 2006, S. 3).

Es folgt nun eine Einführung in Silvia Staub-Bernasconis Leben und ihre Leistungen in der Sozialen Arbeit.

1.1 Biografie

Silvia Staub-Bernasconi wurde am 12. Mai 1936 in Zürich geboren. Ihre französisch sprechende Mutter stammte aus einer wohlhabenden Familie, ihr italienisch sprechen­der Vater dagegen kam aus bürgerlichen Verhältnissen. Staub-Bernasconi wuchs mit einem Bruder auf (Schmocker, 2006, S. 12).

An der Schule für Soziale Arbeit Zürich absolvierte sie eine Ausbildung als Sozialarbei­terin, danach studierte sie als UNO-Stipendiatin Social Work in den USA, an der Uni­versity of Minnesota in Minneapolis und an der Columbia University in New York (En- gelke, Borrmann, Spatscheck, 2018, S. 445) Während ihres Studiums in den USA (1963 und 1964) macht Staub-Bernasconi verschiedene Praktika bei versierten Sozial­arbeiterinnen beispielsweise in der Lower East Side von New York und lernt dort ver­schiedene Formen der Sozialen Arbeit kennen (Schmocker, 2006, S. 13). Seit 1967 lehrte sie als Dozentin an der Schule für Soziale Arbeit in Zürich und schloss ihr Studi­um der Sozialethik, Soziologie und Pädagogik 1983 mit einer Promotion ab (Lambers, 2018, S. 165).

Nach ihrem Studium hielt sie viele Vorträge im In- und Ausland und nahm unter ande­rem Lehraufträge an den Universitäten in Trier, Siegen und Fribourg an, darüber hin­aus war sie als Mitglied des Leitungsteams des „Interdisziplinären Universitätslehrgan­ges für Sozialwirtschaft, Management und Organisation Sozialer Dienste“ (ISMOS) an der Universität Wien tätig. Von 2002 bis 2012 war sie zuständig für die Organisation und Leitung des Masterstudiengangs „Soziale Arbeit als eine Menschenrechtsprofessi­on“, welcher eine Kooperation von verschiedenen Hochschulen und Universitäten (Ber­lin, Magdeburg, Basel) war.

Staub-Bernasconi war in der ganzen Zeit nicht nur theoretisch tätig, sie blieb weiterhin im engen Kontakt zur Praxis der Sozialen Arbeit, indem sie sich im schweizerischen Frauenrat für Außenpolitik engagierte, sie war außerdem Gründungs- und Redakti­onsmitglied der „Olympe - Feministische Arbeitshefte zur Politik“ und war Teil eines Handlungsprojektes, mit dem Thema interkulturelle Konflikte und Gewalt im öffentli­chen Raum (Engelke et al. 2018, S. 445).

Über die Jahre hinweg hat Silvia Staub-Bernasconi eine Vielzahl an Schriften veröffent­licht. 1983 veröffentlichte sie ihre Dissertation „Soziale Probleme - Dimensionen ihrer Artikulation. Umrisse einer Theorie sozialer Probleme als Beitrag zu einem theoreti­sche Bezugsrahmen Sozialer Arbeit“, mit dieser Arbeit legte sie den Grundstein für ihre eigene Theorie. Mit weiteren Veröffentlichungen, wie; „Systemtheorie, soziale Proble­me und Soziale Arbeit: lokal, national, international oder: vom Ende der Bescheiden- heit.“ (1995), „Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft“ (2007) und der vollständig überarbeiteten Fassung „Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft - Auf dem Weg zur kritischen Professionalität“ (2018) entwickelte sie ihre Theorie weiter (Lambers, 2018, S. 166).

2010 erhielt sie den Katherine A. Kendall Award der International Association of Schools of Social Work (IASSW), mit welchem herausragende internationale Beiträge zur Sozialen Arbeit anerkannt werden (Der Internationale Verband der Schule für Sozi­ale Arbeit, 2005, S. 1).

Nachdem nun ein Überblick über das Leben und den Werdegang von Silvia Staub- Bernasconi gegeben wurde, wird im nächsten Kapitel auf Silvia Staub-Bernasconis Verständnis von sozialen Problemen eingegangen und wie dieses uns in der Praxis helfen kann.

2. Staub-Bernasconis Verständnis sozialer Probleme

Im Folgenden werden 4 Problemkategorien nach Silvia Staub-Bernasconi vorgestellt, diese Kategorien können einzeln, oder auch gemeinsam auftreten. Um im Einzelfall zu wissen, was zutrifft müssen laut Staub-Bernasconi 4 Fragen gemeinsam mit dem Kli­enten beantwortet werden.

Die erste Frage bezieht sich auf die Ausstattung des Klienten, welche Ressourcen, oder Defizite bringt er mit und wie ist sein soziales Umfeld aufgebaut. Im weiteren wird dann über den Wert der sozialen Austauschbeziehungen gesprochen, und im An­schluss über Machtstrukturen, in welche der Klient eingebunden ist, was er in diesem Umfeld erlebt hat, auch welche negativen Eindrücke er mitgenommen hat, wurde er benachteiligt, bedroht, vielleicht sogar Opfer von Gewalt. Die letzte Frage bezieht sich auf die ersten drei und versucht herauszufinden, ob es bei dem Anliegen des Klienten um die Verletzung von Bedürfnissen, Rechten, oder auch um die Verletzung von Men­schenrechten geht.

Es geht darum, das Individuum in Bezug auf sein soziales Umfeld zu betrachten, dabei muss klar sein, dass der einzelne Sozialarbeiter nicht in der Lage sein wird alle Prob­leme des Klienten alleine zu lösen, nur weil er sie mit ihm identifiziert hat. Des Weite­ren muss beachtet werden, das der Klient seine Probleme nicht ohne weiteres in Worte fassen kann. Gründe hierfür können Scham, Angst, oder zum Beispiel das Gefühl von Hoffnungslosigkeit sein.

2.1 Ausstattungsprobleme

Ausstattungsprobleme beziehen sich auf die individuelle Bedürfnis- und Wunscherfül­lung. Als besonders sozialproblematisch werden hohe Ausstattungsdefizite und hohe Ausstattungsüberschüsse gesehen. Bei einem Ausstattungsdefizit kann der Grundbe­darf zum Beispiel an Nahrung, Kleidung, Wohnung, oder auch psychischen und sozia­len Bedürfnissen nicht gedeckt werden. Bei einem Überschuss auf der anderen Seite, liegt die Ausstattung weit über dem Grundbedarf (Engelke et al. 2018, S. 454).

Als Kind lernt man meist von den Eltern, oder anderen Teilen der Familie, wie man seine Bedürfnisse mit den vorhandenen Ressourcen befriedigen kann. Solange alle Bedürfnisse befriedigt sind herrscht ein Zustand des Wohlbefindens. Je mehr Ressour- cen fehlen, oder die Bedürfnisse bezogen auf das soziale Umfeld nicht befriedigt sind, desto weiter entfernt man sich von dem Zustand des Wohlbefindens und entwickelt in Folge dessen den Wunsch danach, diesen wieder herzustellen.

Der Körper kann aufgrund eines Defizites einen Zusammenbruch erleiden, bei den sogenannten unelastischen Bedürfnissen, wie Sauerstoff, Nahrung und Wasser, ist das Zeitfenster dafür klein. Bei den elastischeren Bedürfnissen, also den psychischen, so­zialen und kulturellen, können Abweichungen über eine gewisse Zeit ausgehalten wer­den und manche unbefriedigte Bedürfnisse können durch die Befriedigung anderer Bedürfnisse ausgeglichen werden. Wenn aber über eine große Zeitspanne hinweg eine ausgedehnte Diskrepanz zum Zustand des Wohlbefindens herrscht, kommt es zu durch Stress verursachte Bedürfnisspannungen. Dieser Stress kann einerseits in­nerpsychisch verarbeitet werden, was dann gesundheitliche Auswirkungen, wie Ängst­lichkeit, Hoffnungslosigkeit, Minderwertigkeitsgefühle, Depressionen und Erschöp­fungszustände haben kann. Auf der anderen Seite, kann er auch nach außen gerichtet verarbeitet werden und somit zu sozial auffälligem Verhalten führen, wie Leistungsab­fällen, Aggressivität, Wutanfälle, Hass auf Mitmenschen (Staub-Bernasconi, 2018, S. 212).

Silvia Staub-Bernasconi nennt 6 Problemdimensionen; Körperliche Ausstattung, Sozi­oökonomische und sozialökologische Ausstattung, Ausstattung mit Erkenntniskompe­tenzen, Symbolische Ausstattung, Ausstattung mit Handlungskompetenzen und Aus­stattung mit sozialen Beziehungen und Mitgliedschaften. Sie stellt dann einen Zusam­menhang, zwischen den Problemdimensionen und verletzten Bedürfnissen her.

1. Körperliche Ausstattung: Hierzu zählen zum Beispiel Gesundheit, Unversehrt­heit, körperliche Merkmale, wie Gewicht, Größe, physische Attraktivität. Sind gewisse Bedürfnisse davon nicht erfüllt, sei es durch Krankheit, Behinderung, oder Abweichen vom sogenannten Schönheitsideal, so entstehen soziale Prob­leme durch die Verletzung der Bedürfnisse nach sexueller Aktivität, physischer Integrität und Anerkennung trotz Abweichungen von der „Norm“.
2. Sozioökonomische und sozialökologische Ausstattung: Diese Dimension be­schreibt die Verletzung der Bedürfnisse nach Autonomie, gesellschaftlichen und sozialen Mitgliedschaften und sozialer Anerkennung, wenn Menschen ein nied­riges Bildungsniveau haben, ein sehr geringes, oder gar kein Einkommen ha­ben, vielleicht sogar verschuldet sind und in schlechten Verhältnissen wohnen.
3. Ausstattung mit Erkenntniskompetenzen: Durch die Gesellschaft begünstigte, oder benachteiligte Entwicklung von Erkenntniskompetenzen, wie zum Beispiel empfinden, fühlen, lernen, denken und Bildung eines (Selbst-) Bewusstseins, zieht die Verletzung des Bedürfnisses nach emotionaler Zuwendung und nach Verstehen, was in einem und um einen herum geschieht nach sich.
4. Symbolische Ausstattung: Diese Dimension beschreibt das Bedürfnis nach Sinn und Orientierung im Leben durch Ziele und Hoffnungen, es bezieht sich auf das Selbst- und Fremdbild, sowie dem Gesellschaftsbild und Identitätsfragen. Herrscht also eine Perspektivlosigkeit, ist das Selbstbild gestört, durch innere, oder äußere Einflüsse, so ist dieses Bedürfnis verletzt.
5. Ausstattung mit Handlungskompetenzen: Silvia Staub-Bernasconi differenziert zwischen routiniertem, rollen-bezogenem und kognitiv-innovativ gesteuertem Verhalten. Ist die Entwicklung von Handlungskompetenzen gestört, durch man­gelnde Unterstützung der sozialen Umwelt, wird das Bedürfnis nach Fähigkei­ten, zur Bewältigung des Alltags, nach Leistung und Kontrolle für die Einzelper­son verletzt.
6. Ausstattung mit Sozialen Beziehungen und Mitgliedschaften: Diese Dimension beschreibt die Bedürfnisse nach sozialen Kontakten, Beziehungen zu anderen Menschen und das Gefühl von Verbundenheit. Diese Bedürfnisse werden dann verletzt, wenn Austauschbeziehungen fehlen, oder behindert werden, oder man aus dem sozialen Umfeld ausgegrenzt wird (Engelke, et al. 2018, S. 454-455; Staub-Bernasconi, 2018, S. 213).

2.2 Austauschprobleme

Austauschprobleme beziehen sich auf den Austausch zwischen Individuen, dieser ist für uns Menschen essentiell, seien es Güter, Informationen/Wissen, Kompetenzen, etc. Ob ein Tausch befriedigend war, oder nicht kann subjektiv bewertet werden, es gibt aber darüber hinaus auch objektive, festgelegte Tauschwerte, die diese Bewertung ausmachen können. Ist ein Tausch zufriedenstellend, ist er symmetrisch, sind aber die Tauschpartner unzufrieden, war es ein asymmetrischer Tausch, aus diesen entstehen soziale Probleme.

Hierbei ist das zu erstrebende eine Austauschgerechtigkeit, wird diese nicht erfüllt, bzw. verletzt, passiert das meist gleichzeitig mit der Verletzung anderer Bedürfnisse. Wird die Diskrepanz zwischen den Austauschpartnern über einen längeren Zeitraum nicht verringert, können stabile Ungleichgewichte und Abhängigkeitsbeziehungen ent­stehen. Problematische Austauschbeziehungen können zum Beispiel sexuell-erotische Beziehungen, beschädigte Identität, verhinderte Kooperationsprozesse, oder ein un­gleicher Tausch von Gütern sein. Die sozialen Probleme ergeben sich aus den dauer­haft asymmetrischen Tauschbeziehungen, der Unterlegene Teil hat keine Möglichkeit wieder ein Gleichgewicht in die Tauschbeziehung zu bringen (Staub-Bernasconi, 2018, S. 215-216).

2.3 Machtproblematik

Bei der Machtproblematik geht es im Prinzip darum, dass in der Struktur und Kultur sozialer Systeme eine Ungleichheit herrscht, die daraus entstehenden Sozialen Prob­leme sind daher nicht der Einzelperson zuzuschreiben, sondern der Gesellschaft. Die Ungleichheit ist nicht von Vornherein problematisch, sie wird aber dann zu einem Prob­lem, wenn durch soziale Normen die Ausstattung und die Austauschbeziehungen be­einträchtigt werden und dadurch Bedürfnisse nicht befriedigt werden können. Außer­dem wird es zum Problem, wenn diese Beeinträchtigung von der Gesellschaft oder dem Staat mit weltlichen, oder religiösen Werten ermöglicht werden. Die Ungleichheit sorgt dafür, dass das Bedürfnis nach Gleichheit, sowie das „Bedürfnis nach Freiheit als relative Autonomie und Kontrolle über die eigenen Lebensumstände“ verletzt wird (Staub-Bernasconi, 2018, S. 216).

Die individuelle Ausstattung einer Person (Potenzial, Mangel) wird in einer Machtbe­ziehung zu einer Machtquelle, wer also ein hohes Potenzial (viele Ressourcen) hat, hat auch viele Machtquellen und andersherum hat eine Person mit wenig Potenzial wenige Machtquellen. Als Machtquellen zu nennen sind die körperliche Ausstattung, die sozio­ökonomische Ausstattung, die Ausstattung mit Erkenntniskompetenzen und mit Hand­lungskompetenzen, die Ausstattung mit Bedeutungssystemen und die Ausstattung mit informellen sozialen Beziehungen und formellen Mitgliedschaften (Deller, 2014, S. 154).

Zur Verteilung von Macht gibt es behindernde und begrenzende Regeln, die begren­zenden Regeln lassen die Teilhabe an allen Lebensbereichen offen, begrenzen diese aber etwas, um für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Die behindernden Regeln auf der anderen Seite sorgen dafür, dass Individuen oder sogar ganze Gruppen von Ausstat­tung, Austausch und Macht ausgeklammert werden (Engelke, et al. 2018, S. 455-456).

2.4 Kriterien- und Werteproblematik

Soziale Probleme können auch dann entstehen, wenn Kriterien fehlen, wahllos, oder überhaupt nicht verwendet werden. Kriterien sind verstaatlichte Werte, deren Ausfüh­rung von der Gesellschaft begünstigt und beobachtet werden. Bei der Kriterien- und Werteproblematik dreht es sich um die Ressourcenverteilung durch soziale Regeln und die damit hergehende Privilegierung und Diskriminierung. Beispiele für soziale Regeln sind die Arbeitsteilung, die Anordnung von Gesellschaften und Regeln der Kontrolle, sowie der Zwang ihrer Einhaltung (Deller, 2014, S. 155).

Es handelt sich hierbei also um Themen, wie Diskriminierung und Privilegierung auf­grund sozialer Schichten. Ein Beispiel wäre, dass Frauen per Gesetz zwar Männern gegenüber gleichgestellt sind, es aber weiterhin eine Diskrepanz im Einkommen gibt.

3. Das systemtheoretische Paradigma

Um zu klären, was das systemtheoretische Paradigma ist und wieso es relevant ist im Kontext dieser Hausarbeit, gehört zunächst der Begriff des Paradigmas geklärt. Der Begriff Paradigma wurde 1962 von Thomas S. Kuhn bekannt gemacht. Nach ihm kön­nen Paradigmen als eine Gruppe von Überzeugungen, Wertvorstellungen und Techni­ken, welche in einem Fachbereich von der Mehrzahl akzeptiert werden, beschrieben werden. Paradigmen werden genutzt um einen wissenschaftlichen Zweig auf bestimm­te Fragen zu lenken und andere Themen dabei auszuklammern (Pritz, 2007, S.493). 1988 beschrieb Kuhn den Begriff des Paradigmas als modellhafte Erklärung eines wis­senschaftlichen Problems (Miller, 2001, S. 26). Kuhn hat dabei eher aus der Sicht der Naturwissenschaften beschrieben, in welchen sich frühere Paradigmen mit der Zeit als falsch und überholt erwiesen haben und durch neue Paradigmen ersetzt wurden. In den Sozialwissenschaften geht es beim Paradigmenansatz nicht darum, frühere Aus­sagen zu falsifizieren, sondern eher darum Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.

Der Paradigmenbegriff bezieht sich nach Rita Sahle (2004, S.295) in der Regel auf die wissenschaftstheoretische Methode, auf welcher Theorien und Konzepte beruhen. Sie stellt weiter fünf Paradigmen in der Sozialen Arbeit vor; Das Alltagsparadigma, das systemische Paradigma, das Paradigma der alltäglichen Lebensführung, das ökosozia­le Paradigma und zuletzt das subjekttheoretische Paradigma.

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Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Soziale Probleme als Gegenstand von Theorien Sozialer Arbeit. Am Beispiel Silvia Staub-Bernasconi
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg Heidenheim, früher: Berufsakademie Heidenheim
Note
2,5
Jahr
2022
Seiten
22
Katalognummer
V1320309
ISBN (Buch)
9783346800695
Sprache
Deutsch
Schlagworte
soziale, probleme, gegenstand, theorien, sozialer, arbeit, beispiel, silvia, staub-bernasconi
Arbeit zitieren
Anonym, 2022, Soziale Probleme als Gegenstand von Theorien Sozialer Arbeit. Am Beispiel Silvia Staub-Bernasconi, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1320309

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