Das politische System des Föderalismus der BRD

Eine Analyse der Stärken und Schwächen des Modells anhand des Beispiels der Corona-Krise


Bachelorarbeit, 2020

49 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Relevanz der Thematik
1.2 Zielsetzung der Arbeit
1.3 Aufbau und Vorgehensweise

2 Föderalismus in der BRD
2.1 Idee und Theorie des Föderalismus
2.2 Entwicklung und Erscheinungsform in Deutschland
2.3 Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen

3 Politikverflechtung in der BRD
3.1 Formen der Politikverflechtung
3.1.1 Allgemein
3.1.2 Theoretische Grundlage
3.1.3 Organisations- und Kooperationsstrukturen
3.2 Theoretische Ansätze zur Analyse politikverflochtener Systeme
3.2.1 Theoretische Perspektive
3.2.2 Historischer Institutionalismus
3.2.3 Rational-Choice-Institutionalismus
3.2.4 Ökonomische Theorie
3.3 Auswirkungen von Politikverflechtung

4 Einfluss des Föderalismus auf die Corona-Politik der BRD
4.1 Kritische Analyse von exemplarischen Entscheidungen
4.2 Kritische Analyse des Pandemiegesetzes vom 27.03.2020
4.3 Kritische Analyse des Pandemiegesetzes vom 19.05.2020

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

BMG Bundesministerium für Gesundheit

BRD Bundesrepublik Deutschland

DDR Deutsche Demokratische Republik

EU Euripäische Union

FDP Freie Demokratische Partei

FOCJ Functional Overlapping Competing Jurisdictions

KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau

NRW Nordrhein- Westfalen

RKI Robert Koch-Institut

SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands

USA United States of America

WHO Weltgesundheitsorganisation

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2: Föderalismuspyramide der BRD (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Richter Publizistik, 07.07.2020)

Abbildung 3: Steuerverteilung der BRD (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Bundeszentrale für politische Bildung, 10.07.2020)

1 Einleitung

Die Einleitung umfasst die Einführung in die Thematik, erläutert die zugrunde liegende Fragestellung und führt den Aufbau sowie die Vorgehensweise auf.

1.1 Relevanz der Thematik

„Gerade in einer solchen Krisensituation zeigt sich: Der Föderalismus ist eine Chance und er fordert uns zugleich“ (Leitlein/Schuler, 12.07.20). Mit diesen Worten illustriert Armin Laschet als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen (NRW) die Herausforderungen der Corona-Krise auf das föderale System in Deutschland. Zahlreiche Beispiele für das Scheitern von zentral ausgerichteten Regierungssystemen bestärken den Wunsch nach dezentraler Machtverteilung (vgl. Bertelsmann Stiftung, 09.07.2020). Statistiken zeigen, dass 72% der in Deutschland Befragten, sehr oder zumindest ziemlich zufrieden sind mit der demokratischen Umsetzung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) (vgl. Statista, 13.07.2020).

In Deutschland fungiert der Verbundsföderalismus als System multilateraler Interessensvertretung. Die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern garantieren die Wahrung regionaler Identitäten im kooperativen System. Des Weiteren unterliegt die verfassungsrechtlich gesicherte Teilung der staatlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen der ständigen Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten (vgl. Rudzio 2019: 35ff.). Aufgrund der kontinuierlich auf das föderale System einwirkenden, externen Effekte verschiebt sich stet das Spannungsverhältnis von Integration und Autonomie beziehungsweise von Einheit und Vielfalt (vgl. Laufer/Münch 1998: 22). Dabei stellt sich den Regierungsbeteiligten dauerhaft die Herausforderung der Zufriedenstellung von Bundes- und Landespolitik, Parteipolitik, den Interessen der Wählern sowie der eigenen Agenda (vgl. Tsebelis 2002: 17ff.). Das ständige Wachstum der Vielfalt im föderalen System Deutschlands charakterisiert sich durch immer tiefer greifende Verflechtungsstrukturen (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 15-20). Aufgrund des steigenden Ausmaßes von Einflussfaktoren auf das föderale System kennzeichnet sich die Bedeutung von Diskussionen und Verhandlungen durch andauernde Aktualität. Neben dem permanenten Einwirken der EU-Integration testen temporäre Krisensituationen die Grenzen des Föderalismus. Derzeitig fordert die Corona-Krise die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sowie die Interaktion der staatlichen Akteure zur schadensbegrenzenden Krisenbekämpfung.

1.2 Zielsetzung der Arbeit

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Entscheidungsherausforderungen während der Corona-Krise durch das föderale System der Bundesrepublik Deutschland. Dabei werden anhand von theoretischen Ansätzen zur Analyse dezentral ausgerichteter Staatsstrukturen die Vorteile und Nachteile des kooperativen Charakters des Verbundsföderalismus dargestellt. Das Erkenntnisinteresse der folgenden Arbeit liegt darin, die Forschungsfrage „Inwiefern beeinflusst das föderale System der BRD die innerstaatlichen Entscheidungen während der Corona-Krise in Deutschland?“ zu untersuchen, welche durch die Frage „Wurden aus den Erfahrungen der Corona-Politik schon Konsequenzen für die Kompetenzlage zwischen Bund und Ländern gezogen?“ gefestigt wird. Dafür werden zunächst die Grundlagen des Föderalismus als staatstheoretische Idee erläutert, um anschließend dessen Ausprägung in Deutschland darzustellen. Im Rahmen der föderalen Gestaltung der Bundesrepublik Deutschland wird auf die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen eingegangen, sodass im Anschluss die innerstaatliche Politikverflechtung beschrieben werden kann. Auf diesem Erkenntnisstand werden anschließend mithilfe von Beispielentscheidungen während der Corona-Krise sowie den Pandemiegesetzen die Stärken und Schwächen des Föderalismus in Deutschland interpretiert. Die Arbeit kann aufgrund des Umfangs der Krise nur einen Ausschnitt des Einflusses der Situation auf den föderalen Staat darstellen.

1.3 Aufbau und Vorgehensweise

Die vorliegende Arbeit ist in fünf Kapitel unterteilt. Zunächst erfolgt die Einleitung, in der die Fragestellung geäußert und die Relevanz der Thematik veranschaulicht wird. Das zweite Kapitel beschreibt die Ausprägung des Föderalismus in Deutschland. Im dritte Kapitel wird die Politikverflechtung anhand von theoretischen Analysekonzepten definiert. Anschließend werden im vierten Kapitel mithilfe der Theorien die Vor- und Nachteile des föderalen Systems anhand von politischen Entscheidungen während der Corona-Krise analysiert, um daraufhin im fünften Kapitel ein Fazit ziehen zu können. Außerdem werden aufgrund aller gewonnenen Erkenntnisse die Auswirkungen und die möglichen Konsequenzen der Krise auf den Föderalismus in Deutschland abgeleitet. Die Arbeit beruht auf einer Literaturanalyse, für die vielschichtige wissenschaftliche Literatur, das Grundgesetz der BRD, Artikel und veröffentlichte Informationen der Föderalismusforschung verwendet werden.

2 Föderalismus in der BRD

Im folgenden Kapitel wird die theoretische Grundlage des Föderalismus betrachtet, um anschließend dessen Ausprägung in der BRD zu erläutern. Des Weiteren dient das Kapitel der näheren Betrachtung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen.

2.1 Idee und Theorie des Föderalismus

Der von dem lateinischen Wort foedus abstammende Terminus des Föderalismus beschreibt die Vereinigung eines aus Gliedstaaten bestehenden Gesamtstaates sowie dessen Kooperation zu den substaatlichen Einheiten (vgl. Richter Publizistik, 07.06.2020). Besteht eine strukturelle Gliederung von Gesellschaft, Politik oder Staat eines Systems, deren einzelnen Elemente sich anhand von eigenen Rechten, Autonomie und Legitimität charakterisieren lassen, ist die Rede von Föderalismus. Die Anordnung beschreibt neben der Beziehung zwischen dem Einheitsstaat und den Teilstaaten ebenso die Kompetenz- und Ressourcenverteilung zwischen den beteiligten Akteuren auf unterschiedlichen Regierungsebenen. Zudem lässt die Theorie sich durch Eigenschaften bestimmen, deren Wert stets am Grad der Integration gemessen werden kann. Die Vielfalt an Begriffsbestimmungen der Theorie des Föderalismus lässt sich durch genaue Betrachtung der grundlegenden Idee kategorisieren. Im Zuge dessen wird zwischen der politischen Idee, welche den autonomen Charakter der föderalen Regierungsebenen benennt, und der politischen Struktur, die dem föderalistischen Staat eine gesellschaftlich anerkannte Form gibt, differenziert (vgl. Klaus Detterbeck 2010: 3-19).

Historisch betrachtet beginnt die Untersuchung der Struktur- und Organisationstheorie mit dem deutschen Staatstheoretiker Johannes Althusius, welcher als einer der einflussreichsten Föderalismustheoretiker des 16. und 17. Jahrhunderts gilt. Anhand der prüfenden Betrachtung seiner Erkenntnisse sowie der Erweiterung seiner Theorie durch andere Gelehrte gelingt 1787 die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika. Eine Form der Zusammenkunft verschiedener Mitgliedsstaaten (vgl. Hültmann & Fischer 2012: 35-45). Zu differenzieren sind aus ideengeschichtlicher Betrachtung der Theorie des Föderalismus zwei prägende Denkrichtungen: die europäische und die amerikanische. Erstere etablierte sich in der frühen Neuzeit mithilfe der Orientierung am israelischen Vorbild, dessen Gesellschaft sich aus unabhängigen, jedoch an Zusammenarbeit gebundenen Strukturen entwickelte. Zur Entstehung der amerikanischen Föderalismuslehre kommt es im Zuge der Ausarbeitung der Verfassung, welche mit Unterstützung der Federal Papers 1787/88 niedergeschrieben wird. Ihr Ziel ist ein auf demokratischen Prinzipien basierender, föderal organisierter Bundesstaat (vgl. Klaus Detterbeck 2010: 3-19). Die sich aus der europäischen Denkrichtung entwickelte Föderalismusform zeigt sich in Deutschland als Verbundsföderalismus, bei dem Kompetenzen und Ressourcen im Mehrebenensystem verteilt werden. Im Fokus liegt die Kooperation zwischen dem Zentralstaat und den Gliedstaaten, um über innerstaatliche Verhandlungen gemeinsame Ziele erreichen zu können. Das föderale System der Vereinigten Staaten von Amerika hat sich zu einem Dualen oder auch Trennföderalismus entwickelt. Die Staatsstruktur gestaltet sich durch eine strikte Trennung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen zwischen den Gebietskörperschaften, die jeweils über eigenständige Institutionen verfügen und auf Basis von freiwilliger Kooperation miteinander interagieren. Als Interessenvermittler zwischen Zentral- und Gliedstaaten dient die Zweite Kammer, welche die Legislative in zwei Gruppierungen unterteilt (vgl. Reuter 2009: 50). Bei beiden Ausprägungen genießen die Gliedstaaten zu jeder Zeit verfassungsrechtlichen Schutz. Somit bestimmt nicht die Ausprägung der Machtverteilung, sondern die geltende Verfassung über das föderale Gefüge.

Die praktische Anwendung der Theorie des Föderalismus ist abhängig von äußeren Faktoren, sodass sich deren Ausgestaltung von Staat zu Staat unterscheidet (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 12ff.). Darüber hinaus charakterisieren föderale Staatsstrukturen sich im Wesentlichen durch die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Regierungsebenen. Während der Nachkriegszeit setzt sich der Politikwissenschaftler Carl Joachim Friedrich mit der Theorie des Föderalismus auseinander. Der aus Heidelberg stammende Forscher gehört zu den Pionieren der vergleichenden Politikwissenschaften und erweitert den ursprünglichen Denkansatz (vgl. Lietzmann 2005: 179- 191). Der Fokus seiner Forschung liegt auf der Distanzierung des starren Festhaltens an verbindlichen Parametern zur Messung der Theorie und ergänzt diese um die flexible Anpassungsfähigkeit der betroffenen Einheits- und Teilstaaten. Die Ergänzung des Föderalismus ermöglicht den internationalen Vergleich. Ein besonderes Augenmerk legt der Politikwissenschaftler auf das Verständnis von Souveränität, welches bis dahin als bedingungslos und einheitlich beschrieben wird. Friedrich ist der Annahme, dass eben genau diese Form der Selbstbestimmung nicht an feststehende Ordnungen gebunden ist, sondern eine sich durch äußere Einflüsse verändernde, flexible Einstellung darstellt (vgl. Hültmann & Fischer 2012: 35-45). Die in den Politikwissenschaften als Institution definierte Eigenschaft der Souveränität ermöglicht sowohl Bürger*innen als auch den verschiedenen Regierungsebenen das Recht zur Selbstbestimmung. Das Verhältnis von souveränem Verhalten zur Wahrung der gegenseitigen Achtung ist als Prinzip der Bundestreue Teil des deutschen Verfassungsrechts (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2012: 1). Das damit verbundene Solidaritätsprinzip beschreibt innerstaatliche Leistungen zur Unterstützung hilfsbedürftiger Bürger*innen. Neben Souveränität und Solidarität gestaltet sich das Organisationsprinzip der Subsidiarität als Grundpfeiler föderaler Systeme. Die Erkenntnis der Vorteile einer pluralistischen Staatsordnung in Form von einer Kette indirekter Repräsentation erlangt Johannes Althusius bereits im 16. Jahrhundert. Der Subsidiaritätsgedanke beschreibt im Staatswesen die Beteiligung aller politischen Akteure am Prozess der Entscheidungsfindung, indem Gebietskörperschaften nicht erfüllbare Aufgaben an eine höher gestellte Ebene weiterleiten. Im Zuge dessen lassen sich individuelle Selbstbestimmung und Pluralismus durch wechselseitige Kooperation und solidarisches Verhalten verknüpfen. Souveränität, Solidarität, Subsidiarität und Pluralismus gelten heute als unabdingbare Grundbausteine föderaler Strukturen. Somit sorgen die Unabhängigkeit der Bevölkerung in Kombination mit demokratischer Meinungsvertretung und individueller Freiheit für das Vermeiden von unitarischen Machtverhältnissen im Organisations- und Strukturkonzept des Föderalismus (vgl. Klaus Detterbeck 2010: 3-19). Darüber hinaus entgegnet die Struktur der Dezentralisierung der Gefahr vor dem Erstarken eines Nationalstaates und der damit einhergehenden einseitigen Machtkontrolle.

Das Ziel besteht darin, das Bestehenbleiben der Handlungsfähigkeit der einzelnen Regierungsebenen zu garantieren. Um dies zu ermöglichen, erfolgt eine Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen Zentral- und Gliedstaaten. Dies geschieht sowohl horizontal, das heißt durch die Kooperation zwischen den Subebenen, als auch vertikal in Form von einer Bund Länder-Kooperation. Somit werden sowohl Zentral- als auch Gliedstaaten im gleichen Verhältnis Machtzusprüche garantiert (vgl. Kropp 2010: 125ff.). Im deutschen Grundgesetz ist die Zusammenarbeit zwischen den Regierungsebenen zwar verpflichtend vorgeschrieben, lässt jedoch Spielraum für freiwillige Kooperation bei eigenen Zuständigkeitsbereichen (GG Art. 91a). Des Weiteren besteht in föderalen Systemen die Möglichkeit zur Anwendung direktdemokratischer Instrumente, um möglichst pluralistische Meinungsbilder zu generieren und unitarische Machtkonzentration zu vermeiden (vgl. Klaus Detterbeck 2010: 3-19).

Alternativen zur Struktur des föderalen Systems bilden beispielsweise das Konzept der „Functional Overlapping Competing Jurisdictions“ (FOCJ) (Kropp 2010: 145) oder die Theorie der „räumlichen Gliederung in Stadtregionen“ (Kropp 2010: 147). Ersteres ähnelt stark einem wirtschaftswissenschaftlichen Konstrukt, welches nach dem ökonomischen Leitgedanken der Wettbewerbsorientierung eine optimale Güter- und Dienstleistungsverbreitung gewährleisten und gleichzeitig die politische Kommunikation vereinfachen soll. National verteilte und nicht durch Grenzen beeinflusste FOCJ dienen der funktionalen Bereitstellung öffentlicher Güter. Kritiker bemängeln im Vergleich zur föderalen Struktur eine noch verflochtenere Koordination, die mangelnde Affinität zu demokratischen Instrumenten und zu hohe Informationsbeschaffungskosten. Zweiteres versucht, die Machtverhältnisse auf Stadtregionen zu verteilen. So besteht die Möglichkeit zur Verwendung bereits vorhandener Kompetenzverteilungen zur Zentralisierung territorialer Befugnisse. Notwendig ist jedoch eine Neugliederung der Länder. Zudem hat diese Machtverschiebung das Auflösen von Landkreisen und Stadtbezirken zur Folge, wodurch der Grundgedanke des Entgegenwirkens von einseitiger Machtkonzentration in Frage gestellt wird (vgl. Kropp 2010: 147).

Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass sowohl das Solidaritäts- als auch das Subsidiaritätsprinzip in Kombination mit dezentraler Gewalten- und Aufgabenverteilung die Grundpfeiler des Föderalismus bilden. Differenzieren lassen sich die unterschiedlichen Ausprägungen föderaler Systeme anhand des gewählten Kooperationsstiles sowie der jeweiligen Ressourcen- und Kompetenzverteilung. Bei genauer Betrachtung überschneiden die traditionellen Denkrichtungen sich in den heutigen Mischformen. So findet der liberale Demokratiegedanke der USA Anwendung in fast allen föderalen Strukturen. Zudem wirken globale Entwicklungen wie der Kapitalismus oder die Digitalisierung auf föderale Strukturen ein und sorgen für eine steigende Interferenz zwischen den Staatsformen (vgl. Klaus Detterbeck 2010: 3-19).

2.2 Entwicklung und Erscheinungsform in Deutschland

In Artikel 20 des Grundgesetzes heißt es: „Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ (GG Art. 20). Somit wird der auf dem Leitgedanken der Demokratie basierende, soziale Führungsstil der Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich festgeschrieben. Das aus 16 Bundesländern bestehende, föderal strukturierte System kennzeichnet sich durch ständige Zusammenarbeit zwischen Volk und Regierung. Der Bevölkerung wird die höchste Staatsgewalt zugesprochen, welche in Form von Wahlen und Abstimmungen zum Ausdruck gebracht wird. Bei diesen können Parteien, die im Wahlergebnis mindestens fünf Prozent erlangen, Mandate für das Mitentscheidungsrecht im Bundestag sowie in den Landtagen erhalten, um die Interessen des Volkes zu vertreten (vgl. Rudzio 2019: 26ff.).

Das föderale System der Bundesrepublik Deutschland gestaltet sich als Verbundsföderalismus, dessen Entstehungsgeschichte sich sowohl anhand von historisch prägenden Ereignissen als auch durch Struktur gebende Entscheidungen beschreiben lässt. Nach dem Scheitern der Entwicklung einer demokratischen Verfassung in der Frankfurter Paulskirche 1848 können weder der Norddeutsche Staatenbund durch Otto von Bismarck noch das deutsche Kaiserreich als föderal geprägte Staatsformen bezeichnet werden. Historisch betrachtet lassen sich im Laufe der deutschen Staatsgeschichte frühzeitig Tendenzen zur dezentralen Organisationsstruktur erkennen, jedoch gelingt es den monarchisch geprägten Regierungen nicht, eine föderal strukturierte Machtaufteilung zwischen Zentral- und Gliedstaaten zu gewährleisten. Der gesellschaftliche Wunsch nach einer demokratischen Ordnung und einem starken Zentralstaat sorgte für die Gründung der Weimarer Republik als dezentraler Einheitsstaat, dessen Untergang mit dem Aufkommen der nationalsozialistischen Regierung bestimmt wurde (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 5ff.). Nach Beendigung des zweiten Weltkriegs sorgt die Siegermächte auf Kriegs- und Nachkriegskonferenzen für die Ausarbeitung eines Wiederaufbauplans der Länder sowie der Etablierung neuer Gebietskörperschaften. Dem Verhindern des erneuten Erstarkens zentralisierter Machtverhältnisse galt höchste Priorität. Im Zuge dessen wurde bei der Erarbeitung der Verfassung sowohl die Souveränität der Länder als auch deren Mitbestimmungsrecht an gesamtgesellschaftlichen Angelegenheiten verfassungsrechtlich festgelegt (vgl. Von Hellfeld, 07.06.2020). Das Ziel war die Etablierung einer demokratischen und durch föderale Strukturen geordnete Staatsform. Mit Ausnahme von Bayern akzeptierten die Westzonen das Grundgesetz als verfassungsgebendes Dokument am 24. Mai 1949 (Zintl 1999: 474). Der von der Sowjetunion besetzte östliche Teil des Landes entschied sich gegen die Staatsform des Föderalismus, löste 1952 die fünf Länder Mecklenburg, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Sachsen auf und plante den zentral strukturierten Aufbau des Sozialismus in der DDR (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 7ff.). Mithilfe des Ländereinführungsgesetzes gelang die Anpassung Ostdeutschlands an das föderale System Westdeutschlands. Im Zuge dessen vergrößerte sich das Staatsgebiet der Bundesrepublik um die 1952 aufgelösten Bundesländer. Die unterschiedliche Wirtschaftskraft sowie die ungleichmäßige Größenverteilung der Länder sorgten für strukturelle Probleme, sodass die Alliierten Reformen forderten. Jedoch ohne jeden Erfolg, wie der gescheiterte Versuch zur Vereinigung von Berlin und Brandenburg 1996 zeigt. Letztlich lassen erst die Föderalismusreform Ⅰ von 2006 und die Föderalismusreform - von 2009 eine grundlegende Umstrukturierung erkennen (vgl. Deutsche Welle, 07.06.2020).

Neben historisch bedeutenden Ereignissen lässt sich die Entwicklung sowie die daraus resultierende Ordnung des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland anhand von institutionellen Strukturen erkennen. Im Zuge der zunehmenden Komplexität politischer Konsensfindung aufgrund der von außen auf das System einwirkenden Einflussfaktoren gestaltet sich eine ausgewogene Kompetenz- und Ressourcenverteilung umso schwerer, je mehr Akteure an der Entscheidungsfindung beteiligt sind. Als Resultat der verflochtenen Strukturen während der Nachkriegszeit und der Wiedervereinigung, etablieren sich die in der Literatur als dritte und vierte Ebene bezeichneten Strukturen der Kooperation zwischen den Gliedstaaten sowie der Zusammenarbeit zwischen Zentral- und Gliedstaaten. Die eng verflochtene Interaktion zwischen Bund und Ländern koordiniert sich im deutschen Föderalismus über den Bundesrat, welcher als Mediator zwischen Zentral- und Gliedstaaten vermittelt. Infolgedessen lässt sich die Sicherstellung der Entscheidungsbefugnisse der Länder gewährleisten. Somit können die Gliedstaaten über ihre Verwaltungshoheit bei Gesetzgebungsverfahren oder EU-Angelegenheiten mitbestimmen (vgl. Kropp 2010: 125ff.). Des Weiteren besteht Kommunikation zwischen Bundesministerien, Bundestag, Medien und Interessensgruppen im Mehrebenensystem (Laufer/Münch 1998: 280ff.). Im Zuge der innerstaatlichen Grenzöffnung und der Europäisierung erweitert sich die strukturelle Vielfalt von regionalen Identitäten, wirtschaftlichen Leistungen und parteipolitischen Zielen, sodass die Bedeutsamkeit einer effizienten Kooperation stetig zunimmt. Die damit einhergehende Gefahr einer möglichen Zentralisierung der Macht durch den Bund wird durch den gescheiterten Versuch der Zusammenführung von Brandenburg und Berlin 1996 deutlich (vgl. Kropp 2010: 131). Die Gliedstaaten haben in Artikel 29 des Grundgesetzes, welcher eine durch Volksentscheide legitimierte Neugliederung der Länder beschreibt, die Möglichkeit zur territorialen Grenzverschiebung gesehen (GG Art. 29). Als Zielsetzung galt das Etablieren von äquivalent leistungsfähigen Gliedstaaten. Letztendlich sind die Verhandlungen gescheitert. Der Bund übernahm weitreichende Politikfelder und somit zentralisierte Befugnisse. Der Verbundsföderalismus hat die Aufgabe, dieser Gefahr durch institutionelle Kooperation entgegenzuwirken. Neben dem Bundesrat als Kontrollinstanz gilt die Präsenz der regionalen Regierungsführungen sowie deren Engagement zur politischen Mitbestimmung als Instrument zur Bewahrung der Souveränität der Länder. Deutlich wird dies anhand des vierteljährlichen Zusammenkommens der Ministerpräsidentenkonferenz, bei dem jedes Land mit einer Stimme die politische Agenda der Länder unterstützen kann. Das Ziel ist das Entgegenwirken der Machtkonzentration durch den Bund anhand von Selbstbestimmung in länderspezifischen Politikbereichen (vgl. Kropp 2010: 135).

Die Aufgabe der föderalen Struktur in Deutschland gestaltet sich somit aus der Bekämpfung unitarischer Machtverhältnisse, der staatlichen Aufsicht zwischen Zentral- und Gliedstaaten und der Limitierung der Befugnisse des Bundes. Somit lässt sich die gesamtgesellschaftliche Vielfalt durch gemeinsame Rahmenbedingungen organisieren. Neben den institutionellen Strukturen des föderalen Systems beeinflusst die Parteipolitik die Kooperation zwischen Bund und Ländern. Insofern können Parteien, wie zum Beispiel Bündnis 90/ Die Grünen (Die Grünen) in Baden-Württemberg, im Bund die Position der Opposition einnehmen und in den Länderregierungen selbstständig oder in Form von Koalitionen regieren. Der diverse Charakter der Landesregierungen zeigt sich in Form von Koalitionsbestrebungen und lässt somit die Meinungsvielfalt als demokratischen Grundgedanken des föderalen Systems garantieren. In den sowohl zeitlich als auch systematisch voneinander abweichenden Landtagswahlen wählt die jeweilige Landesbevölkerung eine vom Bund weitestgehend unabhängige Landesregierung. Diese besitzt eine eigenständige Verfassung zur Durchsetzung des demokratischen Leitgedankens. Außerdem organisiert sie sich durch eigene Institutionen und kann als Pilotprojekt für den Bund dienen, indem sie Entscheidungen bestimmter Politikbereiche testet. So dient die Koalitionsregierung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Freien Demokratischen Partei (FDP) in Nordrhein-Westfalen von 1966 bis 1989 als Testphase für die sozialliberale Einigung im Bund von 1969 bis 1982. Das politische Zusammenkommen verschiedener Parteien zur Regierungsbildung charakterisiert sich auf Länderebene oftmals durch frühzeitige Auflösung der Vertrauensverhältnisse. Die Gründe gestalten sich oftmals aus ideologischer Divergenz, Wahlkampfstrategien oder persönlicher Leitmotive. Deutlich wird die Diskrepanz der länderspezifischen Verfassungen anhand des Regelwerks zur Amtsenthebung einer Regierung, da in zehn von 16 Gliedstaaten auf das Instrument des Misstrauensvotums zurückgegriffen wird. Die Souveränität der Länder charakterisiert sich neben der eigenständigen Verfassung durch die Befugnisse der Verwaltungshoheit, welche den Gliedstaaten Mitspracherecht und Handlungsspielraum ermöglicht. Trotz unterschiedlicher Verfassungsstrukturen grenzen sich die Organisationsstrukturen der Landtagswahlen kaum voneinander ab. Bis auf die Länder Bremen, Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein, in denen das Wahlalter auf 16 herabgesetzt worden ist, darf man erst ab dem Erreichen der Volljährigkeit an der Wahl zur Länderregierung teilnehmen. Bei den Landtagswahlen gilt grundsätzlich die Regel der 5%-Hürde, allerdings reichen in Berlin, Brandenburg, Schleswig-Holstein und Sachsen Direktmandate, um den Einzug in den Landtag zu schaffen. Der niedrigen Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen versuchen Bremen und Hamburg durch eine Änderung des Wahlrechts entgegen zu wirken. Die Länder erlauben das Kumulieren und Panaschieren, damit die Bürger ihre Prioritäten besser zum Ausdruck bringen können. Dies ermöglicht es dem Bürger, seine zur Verfügung stehenden Stimmen gewichtet zwischen den Kandidaten desselben sowie verschiedener Stimmzettel zu verteilen. Neben der hohen Salienz für regionenspezifische Politikfelder bei Bundes- und Landtagswahlen können auch Gruppierungen von der öffentlichen Aufmerksamkeit profitieren. Im Zuge dessen entwickelten Die Grünen sich aus verschiedenen Protestgruppen über die Gründung einer Partei und deren Einzug in verschiedene Landtage bis hin zur Regierungsbildung von 1998 bis 2005 (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 42- 49). Ihnen gelang es, Umweltpolitik als eigenständiges Politikfeld zu etablieren und bei der Europawahl von 2019 die zweitstärkste Partei zu stellen (tagesschau, 01.07.2020). Neben dem Einfluss der Politikfelder auf die Bundestags- und Landtagswahlen ist die Verteilung der Zuständigkeitsbereiche zwischen Bund und Ländern im föderalen System in Aktionsfeldern strukturiert. Den Ländern werden folgende Politikbereiche zugeteilt: Bildungspolitik, Rundfunk und Fernsehen, Glücksspielmonopol, Innere Sicherheit, Kulturpolitik, Mittelstandspolitik, Technologietransfer und Wirtschaftspolitik der Länder (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 50ff.).

Zusammenfassend charakterisiert sich das föderale System der Bundesrepublik Deutschland als Verbundsföderalismus, in dem die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern verfassungsrechtlich festgeschrieben ist. Mit der Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen wird die Bevölkerung an der gesamtgesellschaftlichen Konsensfindung beteiligt. Die Landtage fungieren als Interessensvertreter der Gliedstaaten und kommunizieren mithilfe des Bundesrates im Bund über die Entscheidungen der jeweiligen Politikfelder, deren Aufgabenverteilung im Mehrebenensystem strukturiert wird. Im Folgenden wird die Organisations- und Verwaltungsstruktur der BRD grafisch dargestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Föderalismuspyramide der BRD (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Richter Publizistik, 07.07.2020)

2.3 Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen

Zur näheren Betrachtung des Verhältnisses der Befugnisse zwischen Bund und Ländern dient die Kategorisierung der innerstaatlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen sowie die Bedeutung des Bundesrates und die strukturellen Veränderungen durch die Bundestagsreformen.

Die gegenwärtige, signifikante Struktur der Aufgabenverteilung wird in der Nachkriegszeit durch Ad-hoc-Entscheidungen bestimmt. Die prekäre Situation bedarf schnellen Entscheidungen, um einen leistungsfähigen Wiederaufbau gewährleisten zu können, wobei das Ziel langfristiger Effizienz in den Hintergrund rückt. Die zunehmende Fülle an Politikfeldern und der damit einhergehende komplexe Aufbau des Sozialstaats stärkt das Bestreben einer verfassungsrechtlich geschützten Kompetenzverteilung durch das Grundgesetz (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 15). Während die Politik der 80er Jahre sich durch eine geringe Divergenz der Regierungskoalitionen zwischen Bund und Ländern charakterisiert, wächst der Trend zur Parteienvielfalt im Bundesstaat und somit auch die Einflussmöglichkeiten der Länder über den Bundesrat (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 26).

Die im Grundgesetz niedergeschriebene Verteilung der Zuständigkeiten segmentiert sich in die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebung. Ersteres wird in Artikel 71 des Grundgesetzes beschrieben und erteilt dem Bund die Befugnisse zur gesetzgebenden Gewalt in folgenden Angelegenheiten: Außen- und Verteidigungspolitik, Staatsangehörigkeit, Luftverkehr, Terrorismusabwehr und Waffenrecht (GG Art. 73). Die konkurrierende Gesetzgebung gewährt den Ländern in solchen Fällen legislative Befugnisse, wenn der Bund seiner Aufgabe nicht im nötigen Ausmaß nachkommt (GG Art. 72). Aktionsfelder bilden hier beispielsweise das Strafrecht, das Vereinsrecht, das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht oder das Arbeitsrecht (GG Art. 74). Zudem kann der Bund Befugnisse der konkurrierenden Gesetzgebung übernehmen, um eigene Gesetze zu erlassen, wenn Polititkfelder sich innerhalb der Ordnung im Mehrebenensystem überschneiden.

Bis zur Durchführung der Föderalismusreform Ⅰ hat der Bund das Recht, Gesetze so diskret zu formulieren, dass Länder in ihren Bestrebungen nicht mehr abweichen können und förmlich zur Signierung gezwungen werden (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 15). Im Vergleich zur Gesetzgebung gestaltet sich die Verwaltungsstruktur des föderalen Systems der Bundrepublik durch die Dominanz der Länder. Artikel 83 des Grundgesetzes besagt: „Die Länder führen die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt.“ Des Weiteren dürfen laut dem Konnexitätsprinzip seit der Föderalismusreform Ⅰ keine Aufgaben vom Bund an die Gemeinden übertragen werden. Dies wird durch den Artikel 28 (2) des Grundgesetzes gestützt, welcher die Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden festlegt. Entstehende Kosten beim Erteilen von Kompetenzen an die Gemeinden müssen vom Land getragen werden (vgl. Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat, 07.06.2020).

Hinsichtlich der Verwaltungshoheit der Länder dient der Finanzföderalismus der näheren Betrachtung zur Darstellung der Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Bei Finanzangelegenheiten im föderalen System Deutschlands besitzen die Länder zwar keine vollständige Eigenverantwortung, jedoch ein Mitentscheidungsrecht über den Bundesrat. Die in der Finanzverfassung niedergeschriebene Aufgaben- und Kompetenzverteilung dient der Entwicklung von politischer Vielfalt. Im Zuge dessen gilt der Bund grundsätzlich als Steuergesetzgeber, jedoch verwalten die Länder die Gemeinschaftssteuern, welche aus Körperschafts- und Umsatzsteuern bestehen und 70% des nationalen Steuerertrags umfassen. Das Zusammenspiel aus Ertragshoheit der Länder und Kooperation im föderalen Mehrebenensystem reduziert den Wettbewerbscharakter zwischen den Gliedstaaten, da deren Hilfsbedürftigkeit bei steigender Wohlfahrt sinkt. Neben der Verteilungsstruktur im finanzföderalen System unterscheiden sich die Steuern hinsichtlich ihrer Krisenresistenz. Die den Konsum versteuernde Umsatzsteuer gilt, im Gegensatz zu der Einkommen versteuernden Körperschaftssteuer, als krisensicher. (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, 2013: S.33ff.) Als Strategie zur Reduzierung der unterschiedlichen Lebensverhältnisse zwischen den Gebietskörperschaften fordert das Bundesverfassungsgericht am 11. November 1999 den Finanzausgleich, welcher auf Basis der Solidarität und der Subsidiarität gegenseitige Hilfeleistungen zwischen Zentral- und Gliedstaat sichern soll. Das Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse soll durch eine transparente, von der Gesellschaft einfach zu verstehende Vorgehensweise erfolgen, welche für den Zeitraum von 2005 bis 2019 angesetzt ist. Zudem wurde in der Föderalismusreform von 2009 festgelegt, dass die Länder sich bis 2020 nicht neu verschulden dürfen. Zur Erfüllung der Ziele bestehen Konsolidierungshilfen, die finanzschwachen Gliedstaaten Hilfe durch den Bund oder den anderen Ländern garantiert, um der Schuldenbremse erfolgreich nachkommen zu können. Zudem dient der Stabilitätsrat als Kontrollinstanz zur Einhaltung des Verschuldungsverbots, welcher sich aus dem Bundesminister der Finanzen, der Finanzminister der Länder und dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie zusammensetzt. Bei Notlagen, wie beispielsweise einer Naturkatastrophe oder Konjunktur bedingtem finanziellen Rückstand, ist eine Neuverschuldung jedoch unter festgelegten Bedingungen erlaubt (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 34- 39). Neben dem Verschuldungsverbot gilt seit 2014 das EU- Fiskalpaket, welches besagt, dass die Bundesrepublik Deutschland sich seit 2014 nur um maximal 0,4% des Bruttoinlandsprodukts neu verschulden darf. Die Länder stimmen dem massiven Eingriff der EU in die Finanzangelegenheiten der Nationen erst zu, nachdem der Bund Verpflichtungen annimmt, eventuelle Strafzahlungen zu übernehmen. Außerdem werden den Gliedstaaten keine weitere Benachteiligung garantiert (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 39ff.). Ergänzend zu erwähnen ist zudem, dass die im Artikel 104a des Grundgesetzes festgelegte Verteilung der Finanzierungsaufgaben zwischen Bund und Ländern durch den Artikel 104b entkräftet wird, da dieser zusätzlich unterstützende Zahlungen durch den Bund bestimmt. Im Folgenden wird die Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern grafisch dargestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Steuerverteilung der BRD (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Bundeszentrale für politische Bildung, 10.07.2020)

Bezugnehmend auf die Organisations- und Kooperationsstruktur zwischen Bund und Ländern im föderalen System Deutschlands dient eine nähere Betrachtung des Bundesrates als institutionelle Vertretung der Länder. Die sich in der Bundesregierung in der Opposition befindenden Parteien können Landesregierungen stellen und erhalten mithilfe des Bundesrates weitreichende Befugnisse, um an gesamtstaatlichen Entscheidungen teilzuhaben (vgl. Tatsachen über Deutschland, 03.07.2020). Entstehen während der Konsensfindung Unstimmigkeiten zwischen Bund und Ländern, wird das Bundesverfassungsgericht zur Lösungsfindung kontaktiert (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 4). Des Weiteren beschreibt Artikel 79 (3) des Grundgesetzes den formaljuristischen Schutz des Bundesrats mit folgenden Worten: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“ Da sich der Bundesrat aus den Ministerpräsidenten und weiteren Beteiligten der Landesregierungen zusammensetzt, verändert sich dessen Konstellation somit nach jeder Landtagswahl. Neben den Aufgaben der Interessenvertretung und der Mitbestimmung charakterisiert sich die Institution als ewiges Organ, da es nicht durch eine Direktwahl vom Volk ernannt wird. In Artikel 51 (2) wird beschrieben, dass das Stimmverhältnis zur Entscheidungsfindung innerhalb des Bundesrats relativ zur Bevölkerungsgröße des Bundeslandes erfolgt, sodass eine äquivalente Beteiligung aller Gliedstaaten gewährleistet werden kann. Bezogen auf das nach dem Prinzip der absoluten Mehrheit agierende Abstimmungsverfahren ist es wichtig zu erwähnen, dass die großen Bundesländer Bayern, BadenWürttemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen über die Möglichkeit einer Sperrminorität verfügen, sodass deren Zusammenhalt zur Blockade von Entscheidungsfindung führen kann. Hinsichtlich der Interessenvielfalt durch Parteipolitik und Länderinteressen sowie der Komplexität durch das Abstimmungsverfahren und der Sperrminorität erschwert der Bundesrat die nationale Gesetzgebung. Diese erfolgt in verschiedenen Durchgängen. Zunächst hat der Bundesrat sechs Wochen Zeit, um auf den Gesetzesvorschlag durch den Bund mit Zustimmung oder Einspruch zu reagieren. Die Länder vertretende Institution prüft, ob die Vorschläge verfassungsrechtlich durchführbar sind und welche Auswirkungen diese auf die Verwaltungspraxis haben. Der erste Durchgang kann entfallen, wenn der Antrag nicht von der Bundesregierung, sondern aus der Mitte des Bundestags eingebracht wird. Diese Möglichkeit zur Verhandlungsbeschleunigung ist besonders in Krisenzeiten wichtig, um eine effektive Entscheidungsfindung garantieren zu können. Entscheidet sich der Bundesrat gegen den Gesetzesvorschlag, muss der Bundestag daraufhin ebenfalls mit absoluter Mehrheit für das Gesetz stimmen. Besteht der Bundestag weiterhin auf die Durchführung des Gesetzes, muss er dieses ebenfalls durch absolute Mehrheit beschließen. Eine weitere Besonderheit ergibt sich durch die Länder betreffenden Zustimmungsgesetze, welche die Akzeptanz des Vermittlungsausschusses benötigen. Der aus 16 Länderabgeordneten und 16 Vertretern des Bundestags bestehende Mediator zwischen Regierung und Opposition dient der Kompromissfindung. Nach dessen Entscheidung benötigt es erneut die Mehrheit in Bundestag und Bundesrat (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 21- 26).

Darüber hinaus gibt es gemeinsame Ausschüsse zwischen den Institutionen der Zentral- und Gliedstaaten der Bundesrepublik Deutschland, wie zum Beispiel die Kommission zur Föderalismusreform Ⅰ und Ⅱ. Der Aufruf zur Neugestaltung des föderalen Systems mündete 2006 in die Verhandlungen zur ersten Reform, welche die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sowie den Einfluss der EU regeln soll. Infolgedessen wurde 2009 das Problem der Staatsverschuldung reformiert (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 10). Im Zuge dessen gestaltet sich beispielsweise die Finanzierung des Hochschulbaus seit der Föderalismusreform Ⅰ als Zuständigkeit der Länder mit finanzieller Unterstützung durch den Bund (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013: 15- 19).

Schlussfolgernd koordinieren sich die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland mithilfe von ausschließlicher und konkurrierender Gesetzgebung über das Zusammenspiel zwischen Bundestag und Bundesrat. Letzterer stärkt den Einfluss der Länder im Bund und verwaltet die Ertragshoheit der Länder. Zudem kommt es im Zuge der Föderalismusreformen zur Neugestaltung der Organisationsstrukturen zwischen Zentral- und Gliedstaaten.

[...]

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Das politische System des Föderalismus der BRD
Untertitel
Eine Analyse der Stärken und Schwächen des Modells anhand des Beispiels der Corona-Krise
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
49
Katalognummer
V1320311
ISBN (Buch)
9783346800756
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Föderalismus, Bundesrepublik Deutschland, BRD, Politische System, Politikverflechtung
Arbeit zitieren
Eric Loehr (Autor:in), 2020, Das politische System des Föderalismus der BRD, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1320311

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