Mediennostalgie der 1980er Jahre in aktuellen Fernsehserien. Wie schafft es die Netflix-Serie "Kleo", Gefühle der Nostalgie auszulösen?


Seminararbeit, 2022

24 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Mediennostalgie
2.1 Nostalgie — eine Begriffsdefinition
2.2 Intermedialität und Remediatisierung
2.3 Retro — der Blick zurück in die Zukunft

3 Die Retro-Serie Kleo von Netflix
3.1 Bildästhetik der Serie
3.2 Darstellung der Figuren und des Umfelds
3.3 Einsatz von Medien in der Serie
3.4 Einsatz von Musik in der Serie

4. Fazit

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Film-, Serien- und Videoverzeichnis

1. Einleitung

„Whether it’s “Throwback Thursday” or “Flashback Friday,” the streaming juggernaut Netflix fuels and is fueled by audience desire for nostalgic content, as both a platform for audiences to rewatch beloved content from the past and a creator of original content with nostalgic impulses.”1

Dieses Zitat von Kathryn Pallister zeigt, dass Retro-Serien auf Netflix boomen, da die Zu­schauerinnen es lieben, alte Filme und Serien aus der Vergangenheit sowie neue Inhalte, die zeitlich in der Vergangenheit spielen, anzusehen. Auch die deutsche Netflix-Eigenpro- duktion Kleo, die im August 2022 ihren Serienstart feierte, weckt bei den Zuschauerinnen nostalgische Gefühle, denn sie spielt im Zeitraum von 1987 bis 1990, zur Zeit der ehema­ligen DDR und der anschließenden Wende im dann wiedervereinten Deutschland.2 Nos­talgische Elemente in Filmen und Serien können positive Erinnerungen an die Vergangen­heit eines jeden hervorbringen. Es passiert deshalb häufig, dass sich Zuschauerinnen mit nostalgischen Serien eher identifizieren können und hierdurch positive Gefühle bei ihnen ausgelöst werden.3 Analog zum Netflix-Original StrangerThings, welches in den 80erJahren in den USA spielt, schafft es auch Kleo, eine affektive Bindung zur Vergangenheit herzustel­len. Das gelingt zum einen durch die Darstellung des Systems der ehemaligen DDR und zum anderen durch die spezielle Ästhetik von Figuren und Umgebung, dem Einsatz von zeittypischen Medien sowie unter anderem der Verwendung von Musik aus den 80er Jah­ren.4 Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Leitfrage, inwiefern die aktuelle Net­flix-Serie Kleo Elemente der Mediennostalgie sowie intermediale Bezüge enthält, die sich zeitlich auf das Ende der ehemaligen DDR und die Zeit unmittelbar nach der Wende be­ziehen, sich also zeitlich zwischen 1987 und 1990 verorten lassen. Die Forschungsfrage lautet folglich: Welche konkreten Charakteristika nutzt die Netflix-Serie Kleo, um Gefühle der Nostalgie bezüglich der späten 80er Jahre innerhalb der DDR und der Zeit nach der Wende um 1990 im geeinten Deutschland bei den Zuschauerinnen auszulösen? Die inter­medialen Bezüge sowie die Entstehung von Mediennostalgie soll durch die methodische Herangehensweise der Filmanalyse herausgearbeitet werden. Der Aufbau der Arbeit glie­dert sich wie folgt: Auf die Einleitung folgt der Theorieteil der Arbeit, der auf die Medien­nostalgie, die Entwicklung der Nostalgie, auf die Intermedialität und die Remediatisierung und auf den aktuellen Trend zu Retro näher eingeht. Darauf folgt der Analyseteil der Arbeit, wobei die Netflix-Serie Kleo auf Elemente der Nostalgie und der Intermedialität bezüglich Bildästhetik, Figurendarstellung, Einsatz von Medien sowie Musik hin untersucht wird. Da­rauf folgt das Fazit, um die gewonnenen Erkenntnisse nochmals zusammenzutragen.

2. Mediennostalgie

Ab den 1970erJahren wuchs das Interesse an der Nostalgie innerhalb der kulturellen Aus­einandersetzung stetig an und gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass das Phänomen der Mediennostalgie noch einer weitreichenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung be­darf.5 Die fortschreitende Nostalgiewelle scheint eine Reaktion auf die rasante Weiterent­wicklung der Digitalisierung unserer Welt zu sein, schreibt Dieter Bartetzko im Feuilleton der FAZ imjahr 2012. Es scheint, als würden die Datenströme ein beklemmendes Gefühl bei den Menschen auslösen, so als würde jeder Einzelne in der Fülle an Daten geradezu untergehen. Als logische Konsequenz daraus geht der Trend zur Nostalgie in der westlichen Medienkultur hervor, durch diese Nostalgiewelle werden Erinnerungen, meist aus dem prä­digitalen Zeitalter ins Hier undjetzt zurückgeholt und lassen einen in einer zumeist glück­licheren Vergangenheit schwelgen.6

2.1 Nostalgie — eine Begriffsdefinition

Um in der nachfolgenden Arbeit Elemente der Nostalgie in der Netflix-Serie Kleo auszu­machen, gilt es zunächst einmal, den Begriff selbst zu definieren. Der Begriff „Nostalgie“ hat demnach zwei Bedeutungen. Erstere beschreibt ihn als unbehagliches Gefühl der Sehn­sucht, welches sich durch den Rückbezug auf vergangene Zeiten äußert, die in der Vorstel­lung meist verklärt sind. So werden meist Mode, Musik, Kunst oder Ähnliches aus einer spezifischen Zeit wiederbelebt. Daneben kann mit Nostalgie auch ein krank machendes Heimweh gemeint sein, wobei dieser sprachliche Gebrauch laut dem Duden veraltet zu sein scheint.7 Diese zweite Bedeutung geht auf den Arztjohannes Hofer zurück, der 1688 seine Dissertation über die Sehnsucht von Schweizer Soldaten nach ihrer Heimat während Aus­landseinsätzen verfasste und deren körperliche und psychische Symptome von Heimweh als Nostalgie betitelte. Den Begriff „Nostalgie“ setzte Hofer aus den griechischen Wörtern „nostos“, was Rückkehr bedeutet, und „algos“, was Schmerz bzw. Trauer meint, zusam­men. Dadurch machte Hofer die zwei affektiven Dimensionen von Nostalgie deutlich, denn zum einen löst die Erinnerung an Vergangenes positive Gefühle aus, zum anderen wird so das Bewusstsein dafür geschärft, dass es keine Möglichkeit zur Rückkehr in diese Zeit und Örtlichkeit gibt, was Trauer hervorrufen kann. Für die vermeintliche Krankheit Nostalgie galten Bilder der Heimat als adäquates Heilmittel, da sie den Gemütszustand der Soldaten merklich verbesserten. Entgegengesetzt zu Hofers Vermutung, dass die Nostalgie bis zum Tode führen könne, sind sich Forscher aus der Sozialpsychologie heute einig, dass es sich dabei nicht um eine Krankheit handelt. Nostalgie ist hilfreich im Umgang mit jeglichem Wandel, da sie emotionale Sicherheit bietet, sowie Stress und Überforderung abmildern kann.8 Auch ist man sich heute sicher, dass Nostalgie kein räumliches Verlangen ist, so wie ursprünglich angenommen, sondern sie wird nun eher als ein Vermissen einer verlorenen ehemals glücklichen Zeit angesehen. Früher wurde Nostalgie als Gefühlszustand und als Sehnsucht einer ganzen Gesellschaft nach der Vergangenheit begriffen, da diese oft in der Erinnerung als besser und glücklicher als die Gegenwart wahrgenommen wurde. Die Nos­talgie war daher vor allem eine unglückliche Emotion, der man mithilfe von Reisen Abhilfe schaffen konnte, beispielsweise, wenn Soldaten zurück zu Heim und Familie kehrten. Heute geht das selbstverständlich nicht mehr, Nostalgie ist somit ein unheilbarer Gemütszustand, weil Zeitreisen bekanntermaßen unmöglich sind.9

Besonders der stetige Wandel der Welt über die Jahrhunderte führte zur zunehmenden nostalgischen Wahrnehmung der Vergangenheit. Dies hängt auch damit zusammen, dass immense Immigrationswellen, vor allem durch gestiegene Mobilität, Kolonial- sowie Mili­tärbestrebungen und dem Wunsch der Menschen, in eine bessere Welt aufzubrechen, die Welt nachhaltig veränderten. Zudem tragen ökonomische, technische, soziale und kultu­relle Wandlungsprozesse sicherlich dazu bei, dass die Kindheit sich in vielen Fällen maß­geblich von der Erwachsenenwelt unterscheidet. So kommt es nicht von ungefähr, dass die Vergangenheit oftmals als „gute alte Zeit“ betitelt wird und dabei schmerzlich vermisst wird.10 Ab der Mitte des 2O.Jahrhunderts verabschiedete man sich dann endgültig von der Betrachtungsweise, Nostalgie als eine Krankheit darzustellen und beschrieb sie von da an eher als Gefühl, welches sowohl den einzelnen Menschen als auch die komplette Gesell­schaft betreffen könnte. Mit ihr verbunden war nicht selten der Wunsch nach Wiederher­stellung einer vergangenen sozialen Ordnung, denn die ehemals strikt festgelegten Klassen­zugehörigkeiten schienen klare Verhältnisse für die Lebensumstände der Menschen zu schaffen. Besonders radikale Revolutionäre verstanden die Nostalgie häufig als ihre trei­bende Kraft. Ihr Ziel war es, die goldenen Zeiten der Vergangenheit wiederherzustellen, die von Gerechtigkeit und Gleichgewicht geprägt waren.11 Svetlana Boym unterscheidet in ihrem Werk The Future ofNostalgia reflexive Nostalgie von restaurativer Nostalgie. Restau- rative Nostalgie meint die konsequente Ablehnung von Neuem und fortschrittlichen Ver­änderungen und verfolgt dabei den Wunsch nach der aktiven Rückkehr in vergangene Zei­ten bzw. die Wiederherstellung deren Ordnung in der Gegenwart. Diese Bestrebungen wer­den einerseits mit glorreichen Geschichten aus der ruhmreichen Vergangenheit ausge­schmückt und gleichzeitig mit schmerzlichen Erinnerungen an schreckliche Auseinander­setzungen unterfüttert. Reflexive Nostalgie konzentriert sich im Gegensatz dazu lediglich auf die persönlichen Erinnerungen und das Bewusstsein für den schmerzlichen Verlust der Vergangenheit, es soll keine Wiederherstellung eines verlorenen goldenen Zeitalters ange­strebtwerden. Dabei geht es keineswegs um die Herstellung einer ehemals politischen Ord­nung, sondern um persönliche Befindlichkeiten, die in Musik, Kunst, Literatur und Film wiederbelebt werden. Im Gegensatz zur restaurativen Nostalgie ist das Bewusstsein für die unmögliche Rückkehr in vergangene Zeiten in der reflexiven Nostalgie geschärft.12

Visuelle Medien bringen die Nostalgie in Form von Bildern in unseren Alltag, besonders persönliche Fotos oder Videos, wie auch Kindheitsserien aus der Vergangenheit lassen uns häufig nostalgisch werden. Durch Bilder können wir uns oft erst wieder an etwas Bestimm­tes erinnern, denn sie sind es, die unsere wichtigsten Lebensereignisse festhalten. Visuelle Medien sind imstande, die Vergangenheit zu rekonstruieren oder zu imitieren. Nostalgie wird meist mit positiven Gefühlen verbunden, weil die Vergangenheit meist romantisiert wird und so ein idealisiertes Bild der Vergangenheit konstruiert wird. Nostalgisches Erin­nern fokussiert sich deshalb auch auf schöne Erlebnisse und Erinnerungen aus der Vergan­genheit.13 Ab 1950 lässt sich die Nostalgie nicht mehr aus der Popkulturwegdenken, denn sie wurde durch die Popkultur gelebt, beispielsweise durch Oldies im Radio, Wiederveröf­fentlichungen oder Revivals. Dabei wurden solche Nostalgiewellen in der Popkultur häufig von der eigenenjugend hervorgerufen, die wieder Gefallen an längst vergangenen Momen­ten aus früheren Zeiten gefunden hat, wie zum Beispiel an damaligen Fernsehsendungen, Stars und Popstars, Werbespots, Musik oderjugendsprache aus deren eigener Vergangen­heit. Laut der Studie Yearningfor Yesterday: A. Sociology o/Mostalgia von Fred Davis aus dem Jahr 1979 bleiben Erinnerungen an Momente aus der Popkultur meist sogar eher im kultu­rellen Gedächtnis verankert als scheinbar wichtige politische Schlüsselmomente, wie Wah­len oder Kriege. So wird sich die Generation der 60er und 70er Jahre sicher noch an ihre Jugend in den 80er Jahren erinnern, die geprägt war von den künstlerischen und futuristi­schen Musikvideos, die auf MTV im Fernsehen ausgestrahlt wurden. Daneben sind die 80er Jahre vor allem für ihre damals als innovativ geltenden Computer- und Arcade-Spiele mit ihrem charakteristischen 8-Bit-Sound wie TacMan, Tetris, Mario Bros oder The Tegend of Zelda14 bekannt, weswegen diese Zeit auch als goldene Ära der Videospiele bezeichnet wird. Das Empfinden von Nostalgie ist also nicht aus der Unterhaltungsindustrie wegzudenken, denn Artefakte der Unterhaltungskultur aus der eigenenjugend können uns wehmütig wer­den lassen, da sie uns an die Vergangenheit erinnern. Massenmedien und Popkultur kon­kurrieren zwar mit anderen Freizeitbeschäftigungen, aber nehmen dennoch einen signifi­kanten Teil unseres Lebens ein.15

2.2 Intermedialität und Remediatisierung

Intermedialität ist immer dann gegeben, wenn verschiedene Medien Zusammenwirken, wo­bei es darum geht, die Entfernung zwischen Sender und Empfänger zu überbrücken. Bei intermedialen Konstellationen stellt sich dann zudem die Frage, wie der Raum zwischen den einzelnen Medien überwunden werden kann. Die intermedialen Verbindungen unter den verschiedenen Medien sind geprägt von wechselseitigen Beziehungen und dennoch können die Medien für sich alleinstehend6 Die Intermedialität wird als kulturelles bzw. me­diales Basisphänomen verstanden, denn jedes Medium steht im Verhältnis zu anderen Me­dien, wodurch es sich wiederum definiert. Man kann laut Gaudreault und Marion davon ausgehen, dass Intermedialität in jeder Kulturproduktion vorkommt. Der Gedanke der In­termedialität als kulturelles bzw. mediales Basisphänomen wird auch von Grusins und Bol­ters Studie zur Remediatisierung gestützt. Die Remediation beschreibt die intermediale Be­ziehung zwischen Medien, wobei ein Medium in einem anderen Medium repräsentiert wird, betrachtet man es aus der Sicht von Marshall McLuhan. Dabei kommt es immer zur Neu­gestaltung der Medien, denn neuere Medien sind immer eine Reform der Vorgängermedien und gestalten diese um.Jedes Medium reagiert grundsätzlich auf andere Medien, übernimmt sie, steht in Konkurrenz mit ihnen und restrukturiert sie, um sie zu verbessern.16 17 Rajewsky schlägt für die unterschiedlichen Phänomene der Intermedialität drei mögliche Subkatego­rien vor, in diese sie eingeordnet werden können, diese lauten Medienwechsel, Medienkom­bination sowie intermediale Bezugnahmen.18 Die Kategorie des Medienwechsels beschreibt alle Vorgänge des Medientransfers und der Medientransformation. Ein Beispiel hierfür wäre die Umwandlung eines schriftlichen Textes in einen mündlichen Text, was bei einer Bühnen-Performance der Fall wäre, die auf einem dramatischen Text in Schriftform basiert. Die Subkategorie der Medienkombination meint alle multimedialen Verbindungen, die zu­einander in Relation gesetzt werden, von Text und Bild (z. B. Embleme), Text und Ton (z. B. Hörspiel) und zuletzt Text, Bild und Ton (z. B. Film oder Theater). Die Voraussetzung für die letzte Kategorie der intermedialen Bezüge als Verfahren der Bedeutungskonstitution ist, dass immer nur ein Medium materiell präsent ist, jedoch muss eine Verbindung zu einem anderen Mediensystem hergestellt sein, wie z. B. in der musikalischen Erzählung oder der filmischen Schreibweise.19 Im Zuge der Digitalisierung fand eine Veränderung der Interme- dialiatätsformen statt. Denn der Transport von medialen Zeichen in andere Zeichensysteme erfolgt nun durch digitale Codes, welche die Distanz zwischen den Medien Schrift, Ton und Bild auszugleichen scheinen. Einerseits vereint digitale Technik die verschiedenen Medien im Computer, andererseits gehen so die intermedialen Umwandlungsprozesse im Verborgenen vonstatten.20

2.3 Retro — der Blick zurück in die Zukunft

Das Wort „Retro“ scheint der abgetrennte Teil von „Retroperspektive“, „retrograd“ oder ähnlichen Wörtern zu sein. Seinen Ursprung hat der Begriff laut Elisabeth Guffey in den 1960ern. In dem Zeitraum, als Raketen erstmals ins AU geschossen wurden und Retrorake­ten für den Bremsschub sorgten, um den Antrieb von Raumkapseln zu entschleunigen, nahm man den Begriff „Retro“ in den allgemeinen Sprachgebrauch auf. Der Begriff Retro kann als Äquivalent zum Begriff Rückwärtstrieb verstanden werden. Der Trend zu Nostal­gie und die Entstehung von Revivals in den 1970ern kann deshalb als Gegenreaktion zu den Bestrebungen, das All zu erforschen gedeutet werden.21 Der Verlauf der Zeit macht erst bewusst, wie schnell sich Trends verändern. Sendungen über bestimmtejahrzehnte wie IKove the ,70s/,80s führen uns diesen rasanten Wandel vor Augen. Als Ergebnis von Mas­senkultur und der Erinnerung eines jeden geht der Trend zu Retro hervor.22 Dabei geht es um die „(bewusste) Nachahmung von Elementen früherer Stilrichtungen in Musik, Design o. Ä.“23. Nach Simon Reynolds handelt es sich immer dann um Retro, wenn die Erinnerung daran noch lebhaft und präsent vorhanden ist. Dabei geht es auch immer um eine exakte Wiederholung von gewissen Medieninhalten, wie Fotos, Videos, Musik, Internet, mit dem Ziel, deren Stil möglichst exakt nachzubilden. Durch diesen Anspruch gehen gleichzeitig auch Verfälschungen und Veränderungen dieser vergangenen Zeiten zurück. Retro besteht aus den Artefakten der Popkultur und nicht aus den Inhalten von Hochkulturen, die meist nur höheren Gesellschaftsschichten vorenthalten waren. Interessant an Retro ist auch, dass die Vergangenheit nicht idealisiert dargestellt wird, sondern es geht eher um den Gefallen und die Faszination an Vergangenem. Die Herangehensweise an die Vergangenheit im Sinne von Retro hat etwas Verspieltes, es geht mehr um die Gegenwart als um die eigentli­che Vergangenheit, aus der Teile wieder hergeholt werden, weil sie jetzt als hip und trendy erscheinen.24 Retro kann auch als vollwertiges Lebensgefühl verstanden werden, wenn die eigene Identität mit Elementen der Popkultur aus früheren Zeiten ausgestaltet wird. Diese Elemente können beispielsweise Kleidung und Make-up, Musikgeschmack oder Einrich­tungsstil betreffen. Grundsätzlich geht es nicht darum, die aktuelle Zeit gänzlich abzu­lehnen, vielmehr soll ein Gefühl von Sicherheit der Vergangenheit durch Glamour und Ästhetik bestimmter Jahrzehnte zurückgeholt werden, um den stetigen Wandel der Welt für sich selbst etwas zu entschleunigen.25

3. Die Retro-Serie Kleo von Netflix

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Leitfrage, inwiefern die aktuelle Netflix- Serie Kleo Elemente der Mediennostalgie sowie intermediale Bezüge enthält, die sich zeitlich auf das Ende der ehemaligen DDR und die Zeit unmittelbar nach der Wende beziehen, sich also zeitlich zwischen 1987 und 1990 verorten lassen. Die Forschungsfrage lautet folg­lich: Welche konkreten Charakteristika nutzt die Netflix-Serie Kleo, um Gefühle der Nos­talgie bezüglich der späten 80erJahre innerhalb der DDR und der Zeit nach der Wende um 1990 im geeinten Deutschland bei den Zuschauerinnen auszulösen? Die intermedialen Be­züge sowie die Entstehungvon Mediennostalgie soll durch die methodische Herangehens­weise der Filmanalyse herausgearbeitet werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung!: Kleo Straub QellaHaase) auf dem Weg %u einem ihrer "Aufträge” nach West-Berlin

Die fiktionale Serie Kleo vereint gleich meh­rere Eigenschaften verschiedener Genres und kann deshalb als Action-Thriller-Serie mit komödiantischen Zügen bezeichnet werden. Die deutsche Netflix-Serie han­delt von der Stasi-Agentin Kleo Straub, ge­spielt von Jella Haase, welche im Auftrag des Geheimdienstes gezielt Menschen tö­ten soll. Das Netflix Original stammt von dem deutschen Erfolgstrio „HaRiBo“, welches sich aus Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad zusammensetzt.21 Nachdem Kleo eine Mission in einem Westberliner Club für die DDR erfolgreich ausgeführt hat, wird sie von ihrer eigenen Organisation ver­raten und wird daraufhin verhaftet. Der ambitionierte Polizist Sven Petzold, gespielt von Dimitrij Schaad verfolgt den Fall, doch da die Stasi involviert ist, wird er unter Verschluss gehalten. Kleo wird Verrat vorgeworfen und zu lebenslanger Haft verurteilt und schwanger ins Gefängnis gebracht. Der Vater ihres ungeborenen Kindes ist in den Plan, sie außer Ge­fecht zu setzen, involviert. In der Haft verliert sie aufgrund einer Schlägerei ihr ungeborenes Kind. Getrieben von Frust und Ärger über die fehlende Unterstützung ihres engsten Um­feldes ist sie auf der Suche nach Antworten und beschließt Rache an allen Menschen zu nehmen, die Schuld an ihrer misslichen Lage haben. Drei Jahre nach ihrer Verhaftung kommt sie im Zuge der Wende im Frühjahr 1990 frei und beginnt ihren mörderischen Ra­chefeldzug. Zuallererst tötet sie ihren Großvater, der maßgeblich für ihr Schicksal verant­wortlich ist, denn unter dem Vorwand sie schützen zu wollen, ließ er sie festnehmen. Da Kleo glaubt, ihr Großvater hätte ihr wichtige Informationen absichtlich vorenthalten, die er in einem roten Koffer versteckt hatte, macht sie sich auf die Suche nach dem mysteriösen Aktenkoffer. Sven, ein Polizist in Westberlin, ist seit dem letzten Mord von Kleo in dem Westberliner Club an ihrem Fall interessiert und wird nach ihrer Entlassung wieder auf diesen aufmerksam. Kleo und Sven liefern sich eine rasante Verfolgungsjagd bis nach Chile, wo beide schließlich Zusammenarbeiten, um an den Koffer voller Geheimnisse zu kommen. Aus anfänglichem Hass füreinander entwickelt sich zum Ende hin eine Liebesbeziehung der beiden. Es gelingt ihnen, den Koffer zu finden, der Informationen über eine geheime Finanzierung der DDR durch die USA offenlegt. Kleo tauscht den Inhalt des Koffers gegen die Information über den Aufenthaltsort ihrer Mutter ein, die sie als Kind verlassen hatte. Doch auch Sven geht einen Deal ein, er übergibt den Koffer an den Bundesnachrichten­dienst, denn dieser hat ebenso Interesse an dem Inhalt des roten Aktenkoffers. Eine Ver­söhnung mit ihrer Mutter scheitert zuletzt aufgrund deren neuen Lebensabschnitts und mit Sven kommt es wegen seines Verrats auch zum Streit.22

3.1 Bildästhetik der Serie

Die Serie 'Kleo ist mit einer besonderen Bildästhetik versehen, die maßgeblich dafür sorgt, dass mediennostalgische und intermediale Bezüge zur Ästhetik der 80erJahre in Ost- und Westdeutschland hergestellt werden können. In diesem Kapitel sollen Färb- und Lichtge­staltung exemplarisch anhand einzelner Szenen der ersten Folge untersucht werden, hierbei lassen sich zahlreiche Besonderheiten ausmachen. Die Färb- und Lichtgestaltung beein­flusst nachhaltig die sinnliche Erfahrung während dem Ansehen eines Filmes. Es ist dem­nach entscheidend, welche Farbpalette genutzt wird, welche einzelnen Farben daraus aus­gewähltwerden und wie diese miteinander kombiniert werden. Daneben ist die Farbgebung in der Lage als Zeichen- oder Symbolsystem zu fungieren.Je nach Film können die Farben eine spezifische Bedeutung haben, weswegen von vornherein auch keine Grundannahmen für bestimmte Farben getroffen werden können, denn sie müssen immer im filmischen Kontext wahrgenommen und interpretiert werden. Nach H. J. Wulff können Farben be­stimmte Funktionen in der narrativen Struktur zukommen. Farben können Leitmotiv sein, unterstützend für das Vorantreiben der Narration verwendet werden, sind geeignet, um Wendungen oder Änderungen der Figuren zu zeigen, können zur Subjektivierung und Per- spektivierung eingesetzt werden sowie zur Unterscheidung verschiedener zeitlicher Ebenen innerhalb eines Filmes genutzt werden. In Kombination mit der Lichtgestaltung eines Films ist die Farbgestaltung ein eigenständiges Mittel der Inszenierung, welches imstande ist, Fi­guren und Narration entscheidend auszugestalten.23 Das Licht im Film ist bedeutend für die Darstellung der Figuren, mit ihm können verschiedene Stimmungen erzeugt werden. Zusätzlich formt das Licht Charaktere oder die Situationen. Wie Räume beleuchtet werden, bestimmt die Stimmung und die Atmosphäre darin. Das Licht gibt an, was die Zuschauerinnen sehen, und was vor ihnen verborgen bleibt. Auch die Wahrnehmung von Architektur, wie von Räumen und Bauten wird durch Licht und Schatten individuell je nach Lichtsituation beeinflusst und angepasst.30

Sieht man sich die Farbgestaltung von Kleo genauer an, fällt auf, dass in der ersten Folge grundsätzlich zwei Farbwelten etabliert werden. Die Produzentinnen der Serie haben die Darstellung von Ost- und Westberlin farblich voneinander getrennt, um zwei unterschied­liche Welten zu erschaffen, die Trennung von Ost und West wird so nochmals deutlich gemacht. Daneben gibt es noch zusätzliche Farbwelten, die für die Szenen nach der Wie­dervereinigung in Berlin, sowie für die Szenen, die im Privatleben der Charaktere, sowie die Szenen, welche im Ausland spielen, angewandt wurden. Zur Analyse werden einige präg­nante Szenen der Serie aus Folge 1 herangezogen. Zu Beginn der ersten Folge macht sich Kleo auf den Weg nach Westberlin in einen Club namens Big Eden. Die Färb- und Licht­gestaltung im Club ist von grellen und bunten Farben bestimmt. Lichtquellen sind die Ne­onröhren an der Decke im Club, welche in kräftigem Lila und Blau strahlen. Zusätzlich dienen kleine Tischlampen als warme Lichtquellen, daneben wird das Licht von glitzernden und schimmernden Elementen wie den goldenen Dekorationen am Tresen, glitzernden La­metta- oder Paillettenvorhängen oder auch auffälligen Paillettenkleidem anderer Gäste re­flektiert. Zusätzlich dominieren im Außenbereich neonfarbene Leuchtschilder in Pink und Grün am Eingang des Big Eden.31 Diese Szene erinnert stark an die 80erJahre im Westen, denn sie zeigt auf, dass außerhalb von der DDR das Leben blühte und sich die jungen Menschen im Westen in kunterbunten Clubs mit schriller Kleidung ausleben konnten. Nach der Ausführung des Mordes im Auftrag der Stasi verlässt Kleo Straub den Club, auch auf den Straßen Westberlins wird sie noch von den neonfarbenen Lichtem umgeben, die bo- kehartig im Hintergrund leuchten. Gänzlich anders im Vergleich zu dieser schrillen bunten Welt des Westens wird die DDR in der Serie dargestellt. Die Straßen in Ost-Berlin sowie das Ministerium für Staatssicherheit werden beispielsweise in sehr düsteren und gedeckten Farben bei schwachen Lichtverhältnissen gezeigt, was einerseits daran liegt, dass es bereits Nacht ist, doch andererseits gibt es grundsätzlich keine bunten Farben oder Lichtquellen. Die Farben sind in gedeckten Tönen wie grau, grün und braun gehalten. Die Lichter im Gebäude wirken allesamt hellgelb und stechend, sie lassen ein Spiel von Licht und Schatten zu. Die Lichtgestaltung lässt die Charaktere im Ministerium düster, geheimnisvoll und be­drohlich wirken. Dies geschieht vor allem durch die Lichtquellen von oben, die den Hin­tergrund des Raumes in Dunkelheit hüllen und nur die beiden Männer, den Oberst Wieczo­rek und den Vorgesetzten von Kleo, Andreas Wolf, jeweils mit Oberlicht32 ausleuchten. Da der Oberst heller ausgeleuchtet ist als der Spion Wolf, werden hier Machtverhältnisse durch den Einsatz von Licht deutlich gemacht, denn dem Oberst ist immer Folge zu leisten. Als Andreas Wolf zunächst an der Tür des Obersts klopft, wird das Gegenlicht24 so eingesetzt, dass man ihn nur als dunkle Silhouette wahmehmen kann. Dies bestärkt in ästhetischer Weise, dass es sich beim Genossen Wolf nur um einen Spion von vielen handelt, der dem Sozialismus mit vollem Körpereinsatz zu dienen hat und sich dem Oberst unterzuordnen hat. Der Oberst gibt Andi auch zu verstehen, dass eine romantische Beziehung zur inoffi­ziellen Mitarbeiterin Kleo fatal für ihn enden würde. Dies wird ebenfalls von der Beleuch­tung des eisernen Staatswappens der DDR bestätigt, welches im Hintergrund an der Wand hängt und von einer Tischlampe schräg von unten angeleuchtet wird. Die Hervorhebung des DDR-Staatswappens macht deutlich, dass in der ehemaligen DDR nur die Gemein­schaft zählt und der einzelne Mensch in der Masse untergeht.25

[...]


1 Pallister (2019, S. 1).

2 Vgl. Serienjunkies (2022).

3 Vgl. Sirianni (2019, S. 187-188).

4 Vgl. Stephan (2019, S. 30).

5 Vgl. Schrey (2017, S. 84).

6 Vgl. Schrey (2017, S. 9-10).

7 Vgl. Duden (2022).

8 Vgl. Menke u. Niemeyer (2019, S. 86).

9 Vgl. Reynolds (2011, S. 31).

10 Vgl. Reynolds (2011, S. 31-32).

11 Vgl. Reynolds (2011, S. 32).

12 Vgl. Reynolds (2011, S. 33-34).

13 Vgl. Menke u. Niemeyer (2019, S. 86).

14 Vgl. Popkultur.de (2021).

15 Vgl. Reynolds (2011, S. 34).

16 Vgl. Wirth (2007, S. 254).

17 Vgl. Rajewsky (2008, S. 50).

18 Vgl. Rajewsky (2008, S. 53).

19 Vgl. Wirth (2007, S. 255).

20 Vgl. Mikos (2015, S. 254-255).

21 Netflix (2022).

22 Vgl. Popkultur (2022).

23 Vgl. Kreutzer et al. (2014, S. 71-72).

24 Vgl. Kreutzer et al. (2014, S. 43).

25 Vgl. Kleo: „Big Eden“ (DE 2022, 00:09:42-00:10:54).

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Mediennostalgie der 1980er Jahre in aktuellen Fernsehserien. Wie schafft es die Netflix-Serie "Kleo", Gefühle der Nostalgie auszulösen?
Hochschule
Universität Regensburg
Veranstaltung
Pop-Medien-Musik
Note
1,0
Jahr
2022
Seiten
24
Katalognummer
V1320865
ISBN (Buch)
9783346802514
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kleo, Netflix-Serie, 80er Jahre, DDR, Nostalgie, Mediennostalgie
Arbeit zitieren
Anonym, 2022, Mediennostalgie der 1980er Jahre in aktuellen Fernsehserien. Wie schafft es die Netflix-Serie "Kleo", Gefühle der Nostalgie auszulösen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1320865

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