Wissenschaftsinszenierung und Wissenschaftsmarketing

Ein neues Verständnis der Geisteswissenschaften am Beispiel des Studiengangs kwl][cultural engineering


Bachelorarbeit, 2008

70 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitende Bemerkungen

2. Zur Notwendigkeit eines neuen Verständnisses von Geisteswissenschaften- Warum müssen sich Geisteswissenschaften inszenieren?
2.1 Zum Selbstbild der Geisteswissenschaften im Spiegel des gesellschaftlichen Wandels
2.2 Zum Selbstverständnis von kwl][cultural engineering- Die Chancen einer „neuen“ Art der Wissenschaft

3. Zeichentheoretischer Ansatz zur Entwicklung eines Inszenierungssystems „Geisteswissenschaften“
3.1 Notwendige allgemeine Übersetzungsleistungen
3.2 Das Zeichensystem „Geisteswissenschaften“
3.2.1 Teilsystem „Verstehen und Bewerten“
3.2.2 Teilsystem „Verstehen und Kommunizieren“
3.2.3 Teilsystem „Kommunizieren und Gestalten“
3.3 Das Zeichensystem „Cultural Engineering“
3.3.1 Teilsystem „Kultur verstehen“
3.3.2 Teilsystem „Urbanität denken“
3.3.3 Teilsystem „Projekte gestalten“
3.3.4 Teilsystem „Organisation strukturieren“

4. Inszenierungskonzepte zur Umsetzung des Zeichensystems „Geisteswissenschaften“
4.1 Elemente der Inszenierung des Zeichensystems „Geisteswissenschaften“
4.1.1 Die Erzählung als basales Inszenierungskonzept
4.1.2 Der Geisteswissenschaftler als Akteur
4.1.3 Wissenschaftliche Kommunikation als Inszenierung von Relevanz
4.1.4 Multimediale Inszenierung
4.2 Elemente der Inszenierung des Zeichensystems „Cultural Engineering“
4.2.1 Kommunikation mit den Medien
4.2.2 Publikationsverhalten an der Schnittstelle zwischen Universität und Öffentlichkeit
4.2.3 multimediale Inszenierung
4.2.3.1 Das Experiment als Performance
4.2.3.2 Der Messestand als räumliches Publikationsformat
4.2.3.3 Das Internet als Agent der Inszenierung

5. Marketingbezogene Maßnahmen zur Umsetzung des Inszenierungskonzepts „Geisteswissenschaften“
5.1 Marketingentscheidungen Geisteswissenschaften
5.1.1 Allgemeine Zieldefinition für ein Marketing der Geisteswissenschaften
5.1.2 Die unternehmerische Identität als Positionierung in der Gesellschaft
5.1.3 Image als grundsätzliches Problemfeld eines geisteswissenschaftlichen Marketings
5.1.4 Innovationsmanagement als Anspruchsgruppenmanagement
5.2 Marketingentscheidungen für KWL
5.2.1 Die “Unique Business Mission” von Cultural Engineering
5.2.2 Empfohlene Marktpositionierungskonzepte für Cultural Engineering
5.2.3 Elemente des taktischen Marketings von Cultural Engineering
5.3 Problematiken und Lösungsvorschläge zur Implementierung von Marketingstrategien in den Geisteswissenschaften am Beispiel KWL

6. Schlussbetrachtungen

7. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitende Bemerkungen

„Was die Welt im Innersten zusammenhält, ist Kommunikation...“[1]

Wissenschaft hat dieser Tage Hochkonjunktur. Die Fördergelder scheinen in geradezu unerschöpflicher Weise zu fließen, die Medien offerieren „Sciencetainment“ zur besten Sendezeit.

Auch Kinderuni und die „Lange Nacht der Wissenschaft“ locken Interessenten in die Hallen der Forschung und Lehre. Ein scheinbar kleines, aber dennoch beredtes Detail in derlei Repräsentationen stört jedoch das euphorische Bild:

„Statt sich mit anderen Disziplinen zusammenzutun, um gemeinsam über Strategien globaler Steuerung oder die Grundlagen systemischen Konfliktmanagements nachzudenken, haben sich die Geistes- und Kulturwissenschaftler in den vergangenen Jahren verstärkt in die Lösung von Detailproblemen vergraben, in mikrologische Begriffsanalysen und abseitige Editionsprojekte. Fleiß ist an die Stelle von Originalität getreten, philologische Kleinkrämerei hat intellektuelle Courage ersetzt, während man so eifersüchtig über sein geistiges Kleingeld wacht wie Onkel Dagobert über seine Taler.“[2]

Das Jahr 2007 war dennoch ein Gutes für „die“ Geisteswissenschaften. Komplette zwölf Monate wurden in Kongressen, Wissenschaftsnächten und anderen öffentlichen Inszenierungen dafür aufgewendet, einen gesamten Wissenschaftszweig, der so viel für die Zivilisation getan hat, wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Dabei hat dieser Schub an Aufmerksamkeit nur einen Haken: Es gab ein Jahr der Chemie, der Physik, der Informatik. Aber ein „Jahr der Kulturwissenschaften“? Ein „Jahr der Philosophie“? En passant wurden diverse Disziplinen in einem großen Konzept vereinigt. Und dabei kann man dieser Konzeption auch noch eine Schwammigkeit vorwerfen, die sich nicht nur in der Selbstdarstellung der Initiatoren zeigt, sondern viel mehr in der Definition dessen, was Geisteswissenschaften leisten.[3] Jedem Tätigkeitsfeld wird jeweils eine geisteswissenschaftliche Disziplin zugeordnet und dabei vergessen, dass alle Disziplinen auch alle diese Tätigkeitsfelder leisten können. Diffuses in der Diffusion, sowohl der Ergebnisse, als auch der Inszenierungen. Man kann leichthin feststellen, dass dies keinesfalls nur Schuld der Initiatoren ist, sondern auch der Geisteswissenschaften selbst. Konkretes scheint aus diesem Lager schon lang nicht mehr erwartbar zu sein, der Rückzug in die eigenen Gefilde als Abwendung von der nachfragenden Gesellschaft kann für alle jene Errungenschaften diagnostiziert werden, die sich nicht im Feuilleton der Tageszeitungen tummeln.

Der „Zwang zur Rechenschaft“ ist aber gerade heute evident geworden, hat doch die Wissenschaft an sich seit Jahrhunderten ein Heilsversprechen abgegeben, dem die Öffentlichkeit vertraut. Aber spätestens im 3. Jahrtausend muss das Versprechen eingelöst und praktisch umgesetzt werden, denn alte Probleme haben nur neue Fragen aufgeworfen. Polemisch gesagt sind die Problematiken heute wie vor 200 Jahren immer noch die Selben, vollziehen sich jedoch auf einem ungleich vernetzteren, ungleich multiplikatorischen Niveau. Auch die steigende Investitionstätigkeit der Politik in wissenschaftliche Forschungsprojekte verlangt nach einer Plausibilitätsprüfung, werden doch Steuern aufgewendet, deren Verbleib gegenüber dem Steuerzahler gerechtfertigt werden müssen.[4]

Diese Arbeit versucht nun, den Rückzug in die forschende Isolation aufzuhalten, indem sie einerseits aufzeigt, dass es einer „neuen“ Geisteswissenschaft bedarf, die sich nicht nur ihrer eigenen Diversität bewusst ist, sondern vielmehr erkennt, was die einzelnen Disziplinen für und in der Gesellschaft leisten können, dass jegliche Disziplin ihre eigene Identität hat, die sie zu „promoten“ und öffentlich zu kommunizieren. Natürlich kann der Rahmen dieser Arbeit nur dazu dienen, einen allgemeinen Konzeptionsentwurf für „die“ Geisteswissenschaften zur öffentlichen Inszenierung und marketingbasierten Implementierung zu genieren, jedoch in dem Bewusstsein, dass „die“ Geisteswissenschaften in dieser Form nur bedingt existieren, es dennoch durchaus opportun ist, sich auf einer gesamtkonzeptionellen Ebene mit ihnen zu beschäftigen, wenn man sich vor Augen hält, dass diese Arbeit nur ein erster Anstoß zur Neuorientierung sein soll.

Nichtsdestotrotz wird im vorliegenden Fall auch ganz konkret gehandelt, indem ein solches Konzept speziell für den Studiengang kwl][cultural engineering der Otto-von- Guericke- Universität Magdeburg entworfen wird.[5] Hierbei handelt es sich bereits in der Struktur um einen Sonderfall, und hypothetisch auch um einen Vertreter der „neuen“ Geisteswissenschaften, der sich den Anforderungen eines Marktes und der Gesellschaft nicht entzieht, sondern sich dieser durch die multidisziplinäre Ausbildung aktiv stellt und in ihr proakiv agiert. Dabei wird der Fokus der Betrachtungen auf dem bereits etablierten Bachelorstudiengang liegen, obwohl ein Master derselben Provenienz bereits zur Institutionalisierung gebracht wird. Für Letzteren bleibt jedoch aufgrund mangelnder Praxiserfahrung bisher nur die implizite Betrachtung in den Vorschlägen für den Bachelor. Es bleibt eine Frage der späteren praktischen Umsetzung der hier gemachten Vorschläge, auf die diese Arbeit aktiv besteht, ob es einen grundsätzlichen Unterschied der Inszenierung für die beiden Abschlüsse gibt.

Es darf angemahnt werden, dass das Thema und die unterbreiteten Vorschläge mit Wissenschaft im eigentlichen Sinne wenig zu tun haben, wenn versucht wird, die hehren Ziele der Selbstreferentialität und Eigenverantwortlichkeit zugunsten von ökonomisch orientiertem „Populismus“ aufzubrechen, in dem man Geisteswissenschaften nach ihrem Marktwert beurteilt und nach den „Produkten“ für „Zielgruppen“ fragt. Dem muss entgegen gehalten werden, dass man als Student eben jenes erwähnten Studiengangs schon früh gelernt hat: Es ist keine Minderung der Wissenschaftlichkeit zu befürchten, beschäftigt man sich z.B. mit der markenanalytischen Repositionierung von IKEA, denn die Anwendung geisteswissenschaftlicher Theorien auf eben solche „lebendigen“ Themen generiert nicht nur ein aktives Verständnis von Welt, sondern ist ungleich einflussreicher und der geisteswissenschaftlichen Grundorientierung stärker verbunden, als bloße Theoriearbeit. Wie sich zeigen wird, kommt dem Kontext in dieser Arbeit eine besondere Rolle zu. Sei es, dass im zweiten Kapitel darauf hingewiesen wird, dass die neue geisteswissenschaftliche Forschung einer kontextuellen Neubewertung ihrer Forschungstätigkeiten bedarf, sei es das kontextuelle Verständnis der im dritten Kapitel entworfenen semiotisch basierten Zeichensysteme für eine Inszenierung von Geisteswissenschaften. Auch die im vierten Kapitel gestalteten Inszenierungstechniken einer neuen Geisteswissenschaft sind jeweils immer hinsichtlich des Kontextes der Repräsentanz auszuwählen, von den Marketingtechniken zu deren Implementierung des fünften Kapitels ganz zu schweigen. Dem liegt die Annahme zugrunde, um mit Umberto Eco zu sprechen, dass

„...im Lichte des Kontextes [...] sie sich mit immer neuen aufeinander folgenden Klarheiten und Ambiguitäten [beleben]; sie verweisen auf eine bestimmte Bedeutung, erscheinen aber, sowie das geschieht, noch reicher an anderen möglichen Wahlen.“[6]

Mit „sie“ meint Eco Zeichen, die Botschaften generieren. Mit „sie“ sollen hier die im Nachfolgenden gemachten Vorschläge gemeint sein. Diese Arbeit soll ein erster Anreiz zur Neustrukturierung geisteswissenschaftlicher Kommunikation, zur Einbezugnahme wissenschaftlich fundierten Marketings in den universitären Ablauf sein. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann und will nicht erhoben werden. Das signifikanteste Zeichen, das mit dieser Arbeit gesetzt werden soll, ist jenes, dass bedingte marktorientierte Forschung im Spiegel eines veränderten gesellschaftlichen Anspruchs keinesfalls eine Crux, sondern vielmehr eine Chance zur persönlichen Weiterentwicklung von Forscher und Forschung bildet.[7]

Dem Aspekt der Kommunikation als Mittel sozialer Interaktion kommt bezogen auf die Inszenierung eine besondere Rolle zu, ist doch das Darstellen geisteswissenschaftlicher Ergebnisse und Produkte in kommunikativer Form ein wesentliches Charakterisierungsmerkmal der Geisteswissenschaften, können sich diese eben nicht auf Mikroben, Elektronen und Raketen beziehen. Dabei ist davon auszugehen, dass Inszenierung und Kommunikation ab elementum verbunden sind, besonders in der Dimension des Öffentlichen als Raum der Kommunikation und der Darstellung von machtbasierter Repräsentation.[8]

2. Zur Notwendigkeit eines neuen Verständnisses von Geisteswissenschaften- Warum müssen sich Geisteswissenschaften inszenieren?

Wo finden wir die Geisteswissenschaften auf den Jahrmärkten der Universitäten und Forschungseinrichtungen? Neben dem Glaskolben der Chemiker und den Robotermodellen der Computerspezialisten finden sich selten bis nie adäquate Repräsentationen geisteswissenschaftlicher Disziplinen. Während sich die Naturwissenschaften in friedlicher Eintracht den Problemen der Welt widmen, schweigen sich Soziologie, Kulturwissenschaften und Psychologie beharrlich dazu aus. So denn überhaupt, verlegen sich die geistigen Disziplinen darauf, als evaluative Instanzen aufzutreten, denen die Wirkungsforschung von öffentlichen naturwissenschaftlichen Inszenierungen zukommt.[9]

Zu folgern ist, dass sich die Geisteswissenschaften also durchaus im Zugzwang sehen, um ihre nachführende Rolle hinter den Naturwissenschaften aufzugeben, aus deren Schatten zu treten, und sich in den gesellschaftlichen Diskurs einzugliedern, an dem sie maßgeblich beteiligt sind. Denn tatsächlich sollte es in das Bewusstsein der immer noch isoliert agierenden Teildisziplinen gelangen, dass die aktuellen Problemstellungen der Gesellschaft eben nicht auf atomarer und genetischer Ebene zu klären sind, sondern sich im sozialen Miteinander, in kultureller Varianz und historischer Entwicklung manifestieren. Die Gesellschaft per se ist geisteswissenschaftlicher Natur, jedoch haben sich die Geisteswissenschaften von der Gesellschaft entfremdet.

Deshalb müssen sich die Geisteswissenschaften aus ihrem akademischen Umfeld heraus wagen, und über ihre Leistungen aufklären, ihre Visionen markant kommunizieren, aber auch die Grenzen des Erklär- und Lösbaren aufzeigen.

Es geht nicht mehr darum zu zeigen, wem die Führungsrolle zukommt, ob die Gesellschaft der Wissenschaft folgt oder anders herum. Es geht darum, den gesellschaftlichen Wandel als von Wissenschaft gemacht zu betrachten, dem die Wissenschaft nun Rechnung tragen muss. Moral und Ethik schwingen sich zu neuen Leitthemen auf, die Selbstreferenz muss sich einer radikalen Kontextualisierung geschlagen geben.

2.1 Zum Selbstbild der Geisteswissenschaften im Spiegel des gesellschaftlichen Wandels

Im Zuge einer Neuorientierung der Geisteswissenschaften taumeln diese seit Jahren von einem „turn“ in den Nächsten, wobei Linguistic Turn, Cultural Turn, Visual Turn, Performative Turn, Spatial Turn stets eben nicht nur eine Erweiterung des Denkhorizonts eröffneten, sondern vielmehr jedes Mal neu die Position und gemeinsame Basis der Geisteswissenschaften in Frage stellten. Kein Wunder scheint es, dass sich dieser Wissenschaftszweig dann auch folgerichtig in eine defensive Haltung durch Schwächung der eigenen Position begeben hat. „ Mit ‚Geistern’ mag der Geist nicht viel zu tun haben“[10] wird dann auch richtig konstatiert und die Vermutung liegt nahe, dass eine solch pessimistische Interpretation der gegenwärtigen Zustände in den Geisteswissenschaften nicht von Ungefähr kommt.

Die ehemalige soziale Grundlage, bestehend aus geschlossenem Bildungsbürgertum und staatlicher Finanzierung kultureller und sozialer Strukturen im Sinne Hegelscher Ideen, existiert so schon lange nicht mehr. Die „homologe kognitive und soziale Schließung“[11] wird zwar aufgebrochen, die geistige Verweigerung von Instrumentalisierung und Nutzenorientierung klebt jedoch immer noch zäh an der akademischen Landschaft. Die Einführung von „neuen“ Wissenschaftsdisziplinen mit einer starken modularen Orientierung scheint diese notwendige Entwicklung nur in aller Konsequenz zu einem logischen Ende zu bringen.[12]

Geisteswissenschaftlichen „Produkten“ haftet von jeher eine Aura hermetischer Exklusivität an, die mit den Bedürfnissen und Anforderungen der Gesellschaft nichts gemein hat. Auch ist die Vielzahl der Interpretationsansätze nicht unbedingt förderlich für die Steigerung des öffentlichen Verständnisses:

„Wenn es Geisteswissenschaften heute sehr schwer haben, ihr Existenzrecht und ihren Anspruch auf Alimentierung plausibel zumachen, so hat das neben vielen anderen Gründen auch diesen einfachen Grund: Die Gleichnisse[...] mit denen sie sich beschäftigen sind keine Gleichungen.“[13]

Wenn alles grundsätzlich interpretatorisch so offen ist, wie die Geisteswissenschaftler gern in defensiver Stellungnahme verlauten, kann man von ihnen keine definitiven Aussagen und im Endeffekt auch keine Lösungen für Probleme erwarten.

Dabei ist nicht um die Objektivität des Wissens zu fürchten, sondern um die Legitimation der geisteswissenschaftlichen Disziplinen in den Augen der Gesellschaft selbst. Denn Forschung kostet Geld, egal in welchem Bereich, und eine adäquate Finanzierung speist sich heute zu einem großen Teil aus Wirtschaft und Öffentlichkeit. Diese Parteien bekommen aber aus dem geistigen Lager nunmehr Paradoxien, verschiedene Paradigmen, Verweise auf die Multioptionalität der Forschung zu hören. Der Fokus auf gemeinsamen Projekten unter den Disziplinen geht unter und es kommt zu Stellungskämpfen in detailverliebter Pedanterie.

Dabei ist paradox zu beobachten, dass sich die Geisteswissenschaften zwar einer gewissen Förderung erfreuen können, diese jedoch selten adäquat nutzen. Im „Jahr der Geisteswissenschaften 2007“ trat dann auch Erstaunliches zu Tage:

„Die Geistes- und Kulturwissenschaften genießen kräftigen gesellschaftlichen und institutionellen Rückenwind, erhöhte Aufmerksamkeit und verbesserte Förderung, scheinen aber nur noch für ein Publikum 50plus interessant oder gar aufregend zu sein; Jüngere werden nur ausnahmsweise oder gar nicht mehr erreicht. Das könnte daran liegen, dass hier immer noch das Selbstbild des gelehrten Abwägungsspezialisten gepflegt wird, das nicht mehr in eine Zeit rapide beschleunigter Veränderungsprozesse passt.“[14]

„The shift from a culture of scientific autonomy to a culture of accountability”[15] ist ein nicht mehr aufzuhaltender Prozess, der die Rolle des Laien, respektive des “Abnehmers” wissenschaftlicher Produkte völlig neu definiert.

Was in hohem Maße für die Natur- und Ingenieurswissenschaften Gültigkeit besitzt, lässt sich auch ohne Abstriche auf ein neues Selbstverständnis der

Geisteswissenschaften applizieren. Dabei ist neben der Kontextualisierung auch ein weiterer Punkt unumstößlich geworden: Der Umgang mit Unsicherheit. Nicht das „Wissen“ als finite Entität ist das Maß der Dinge, sondern das Reaktionsvermögen auf jene Antworten, zu denen man gegenwärtig noch nicht einmal die Fragen kennt.

Daraus resultiert notwendiger Weise auch eine Unsicherheit in Bezug auf die anzuwendenden Methoden. Es gibt keine standardisierten Verfahren, auf die sich im Umgang mit Nicht- Wissen verlassen werden kann. Die Entwicklung anderer, bisher nicht gedachter Tools gereicht dabei ebenso zum Nutzen, wie sie das Innovationspotential der neuen Wissenschaften sein können. Utopien, Nicht- Wissen verhandeln, antizipatorisches Denken. Derlei kognitive Leistungen sind im geisteswissenschaftlichen Sektor Arbeitsweise und -grundlage zugleich, nur scheint dies angesichts des wirklichen Rufs nach diesen Denkweisen eher zu verunsichern, denn das Selbstbewusstsein zu stärken.[16]

Auch die Halbwertszeit einmal gewonnen Wissens verkürzt sich, selbstverständlich gebunden an den gesellschaftlichen Kontext, in immer stärkerem Maße. Es sieht sich ebenso schnell, wie es erzeugt wird, einer Revision ausgesetzt. Es bedeutet auch, dass die Issue- Abhängigkeit der Forschung permanent rekapituliert und hinterfragt wird, in dem Maße, dass auch das eigene Arbeiten permanent hinterfragt wird.

All dies kann auf eine Formel reduziert werden, in der sich sowohl Anspruch an, als auch Selbstverständnis von neuer (Geistes-) Wissenschaft kumuliert:

„Es wird nicht nur der Typ des Gelehrten gefordert, sondern Wissenschaftler werden zu Managern. Sie erzeugen öffentliche Aufmerksamkeit und verstehen, diese auf ihr Forschungsgebiet zu lenken. Wissenschaft wird teilweise zum politischen Wagnisunternehmen mit einem hohen Risiko zu scheitern. Hinzu kommt, dass diese Art der Forschung unter Zeitdruck steht und in Projektform betrieben wird. Problemorientierte Forschung kann nicht warten, bis die Grundlagen dieses Gebietes geklärt sind, um dann auf dem Boden gut bewährter Theorien Daten zu sammeln und Ratschläge zu erteilen. [...] Wo die Grundlagenforschung Zeit hat, steht die problemorientierte Forschung unter Entscheidungszwang.“[17]

Projektbezogene Tätigkeit im wissenschaftlichen Kontext steht jedoch immer noch in der Kritik, weil sie einer fundierten wissenschaftlichen Arbeit scheinbar abträglich ist. Doch auf Änderungen der Anforderungen in der Gesellschaft, die bereits als Charakteristikum einer modernen Wissenschaft charakterisiert wurden, lässt sich einzig durch flexible Strukturen reagieren.

Flexibilität bedeutet aber auch, dass man abseits der disziplinär vorgegebenen Pfade wandelt. Gesellschaftliche Ansprüche orientieren sich nicht an den Wissenschaften, vielmehr müssen, die Probleme in wissenschaftliche Fragestellungen überführt werden um dann die Lösungen interdisziplinär zu organisieren. Gerade in der Interdisziplinarität liegt die große Chance zur Neuorientierung, die bereits in einigen Aspekten aktiv gepflegt wird:

„Wenn es ein starkes Argument für die Einheit der Wissenschaft über alle "Kulturgrenzen" [...] hinweg gibt, dann liegt es in [dem] Führungswechsel zwischen

Phänomenerfahrungen, Konzeptarbeit und Phänomenbeschreibung. Man täuscht sich eben doch, wenn man glaubt, dass Logiker und Soziologen, Informationstheoretiker und Biologen, Kybernetiker und Neurophysiologen, Literaten und Theologen nichts miteinander zu tun hätten und wechselseitig ignorant ihr Spezialwissen pflegten. Individuell stimmt das zwar fast immer, aber auf der konzeptionellen Ebene einer "Vernunft der Verhältnisse" gibt es vielfältige und häufig untergründige kommunizierende Röhren. Allerdings tauscht man sich wesentlich weniger auf der Ebene des Wissens als auf der Ebene des Nichtwissens aus. Oder, genauer: Man tauscht sich dort aus, wo die eigenen Fragestellungen Probleme aufwerfen, die auch für die Fragestellungen anderer Disziplinen erhellend sein können.“[18]

Dieser Neuordnung haftet jedoch nicht der gerne monierte Makel von Populismus an, denn es geht nicht darum, dass man alles Althergebrachte negiert. Vielmehr versucht man endlich die Funktion von Wissenschaften zu erhellen, die in ihrem Beziehungsgeflecht vielmehr sind, als autonome Einheiten. Wo eine Überfülle an Fragen und Konzepten existiert, hilft nur das (interdisziplinäre) Verständnis für den Prozess.[19]

2.2 Zum Selbstverständnis von kwl][cultural engineering- Die Chancen einer „neuen“ Art der Wissenschaft

Angesichts der Neustrukturierung der Hochschullandschaft in Deutschland hin zu einer Internationalisierung der Abschlüsse und der Annäherung an die wirtschaftliche Praxis scheint KWL geradezu prädestiniert, ein Flagschiffmodell der „neuen“ Wissenschaft sein zu können.

Der Bachelorstudiengang kwl][cultural engineering deklariert in seinem Arbeitskonzept ein Selbstverständnis, das sich der Kontextualisierung nicht hilflos gegenüber sieht, sondern diese als Basis der wissenschaftlichen Arbeit betrachtet. So heißt es auf der öffentlichen Website:

„ Der Bachelor-Studiengang (B.A.) versteht sich als Antwort auf die neuen Bildungs-und Ausbildungsansprüche an Studierende und auf aktuelle Anforderungen des Arbeitsmarktes. Ziel ist es, durch die Integration verschiedener disziplinärer Qualifikationen und Perspektiven und mit einer neuen hochschuldidaktischen Konzeption Studierende auszubildenden, die in der Lage sind, den Herausforderungen erhöhter Komplexität in vielen Prozessen und Organisationen zu begegnen.“[20]

So ist es die Problemorientierung einerseits, die die Arbeitsgrundlage bildet, und die Transgression der klassischen Grenzen geisteswissenschaftlicher Tätigkeit andererseits, die als Merkmal der Neuorientierung gedeutet werden kann. Der Neubewertung der Abnehmerrolle des Rezipienten sieht sich KWL aufgeschlossen und proaktiv gegenüber, und so heißt es denn auch in der Selbstdarstellung:

„Der Studiengang fördert interdisziplinäre Kompetenz und Theorietransfer, Soft Skills und Schlüsselqualifikationen sowie flexibles projektbezogenes Arbeiten und zielt auf das Management von Schnittstellen. Vernetzung, Kooperation, Eigenverantwortung und Teamgeist sind heute Merkmale vieler beruflicher Handlungsfelder. Das Studienangebot von kwl][cultural engineering bereitet auf diese Anforderungen vor, denn das Curriculum verbindet bereits im Studienverlauf Wissenschaft und Praxis. In konkreten gesellschaftlich relevanten Projekten übernehmen die Studierenden verbindliche Aufgaben, füllen vom ersten Semester an reale und verantwortliche Rollen aus und entwickeln sich zu qualifizierten und verantwortlichen Akteuren in politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Systemen.“[21]

Cultural Engineering betrachtet sich auch abseits der universitären Strukturen der Wirtschaft unmittelbar verbunden und sieht die „Einmischung in die öffentliche Debatte“ als basale Aufgabe an. KWL kommuniziert sich als „Manager von Unsicherheiten“ und trägt damit dieser Problematik unmittelbar Rechnung. Die „schnittige“ Selbstdarstellung weist in ihrem Kern darauf hin, dass sich Cultural Engineering als „in der Gesellschaft befindlich“ begreift, als Idealtypus der neuen „Science in Action“, die mit der klassischen Grundlagenforschung zum Selbstzweck nicht mehr vergleichbar ist.

Die Projektform ist vom ersten Semester an Teil der Unterrichtsform und der Arbeit an realen Projekten wird in einem eigenen Modul Rechnung getragen, das die praktische Umsetzung des Gelernten in Verbindung mit persönlicher Kompetenzentwicklung systematisch entwickelt und reflexiv evaluierbar macht.[22] Im Masterstudiengang mit der Studienrichtung „Kultur- Wissen -Prozess- Innovation“ sollen die entwickelten Kompetenzen insofern erweitert werden, als dass hier das konkrete Innovationsmanagement als Handlungsfeld durch Theorien und Methoden thematisiert wird.[23] Auch die diagnostische Arbeit an sozialräumlichen Gefügen zur Erfassung von Interventionsbedarf verdeutlicht die stärkere Prozessorientierung des Masterstudiengangs gegenüber dem Bachelor.[24]

3. Zeichentheoretischer Ansatz zur Entwicklung eines Inszenierungssystems „Geisteswissenschaften“

Um Geisteswissenschaften, respektive Cultural Engineering als Inszenierung zu gestalten, muss zunächst eine eindeutige Auswahl der grundlegenden symbolischen und zeichentheoretischen Diskurssysteme der Disziplinen evaluiert, bzw. konstruiert werden, da so die Grundlage für die anschließende konkrete Auswahl zu inszenierender Gesamtelemente gelegt wird. Damit ist gemeint, dass im Kommenden die Tätigkeitsfelder geisteswissenschaftlicher Disziplinen systematisiert und kurz erläutert werden, um daran anschließend Vorschläge für die ganz konkrete Repräsentation dieser Tätigkeitsfelder zu unterbreiten. Als Verständnishilfsmittel wird die Semiotik als Lehre von den Zeichen dienen.

Die Semiotik als Disziplin versteht den Charakter der Welt als Geflecht von Zeichen, die erzeugt, interpretiert und (re-)kombiniert werden. Gerade dieser Ansatz scheint prädestiniert, um ein Zeichensystem zur Außenkommunikation für den Studiengang zu entwickeln. Im Prozess der Kommunikation werden Botschaften produziert, sie zirkulieren, werden aufgenommen und reproduziert, stets im Medium einer codierten Übermittlung von Zeichenträgern.[25] Als Grenze dieses endlos anmutenden Regresses ist das Zeichen selbst zu setzen, das durch den Bedarf nach einem Träger, der nicht durch das Zeichen selbst definiert werden kann, aus der Totalität heraus gezwungen wird. Im Grunde kann jedes Ereignis zum Zeichen gemacht werden, bzw. so interpretiert werden. Dieser Vorgang beruht auf kulturellen und sozialen Konventionen, wobei sich unterschiedliche kulturelle Systeme jeweils eines eigenen Codes als Zeichenrepertoire bedienen.

Einer der modernen Vertreter der Semiotik betont, dass „Kultur“, also das Hauptarbeitsfeld von Cultural Engineering, völlig unter einem semiotischen Gesichtspunkt untersucht werden kann.[26] Umberto Eco akzentuiert dabei vor allem die gegenseitige Wechselwirkung zwischen Untersuchung und Erzeugung.

Die diskursive Bedeutungszuweisung ist zirkular aufgebaut und eröffnet so die Möglichkeit der Re-Interpretation. Durch diesen Schritt wird die Semiotik eine prozessuale Wissenschaft, die sich einer statischen Auslegung entzieht.[27]

Der Prozess ist also offen und zieht eine fortwährende Interpretationsleistung mit der Hervorbringung neuer Zeichen nach sich. Die Aufgabe einer Inszenierung ist es folglich, sich als kodierender Akteur zu begreifen, der den Transport einer Nachricht so weit diskursiv vorbereitet, dass ein Rezipient zu deren Dekodierung nicht nur befähigt, sondern nachgerade aufgefordert wird.

Erweitert man den Begriff des Zeichens um die Dimension des Stils, hebt man die Semiotik auf eine, für die vorliegenden Zwecke anwendbare, „praxisorientierte“ Ebene. Stile können als Ausdrucksform eines Selbstbilds begriffen werden, die sich als begrenzte Dispositionen aus dem Ich heraus zu einer handlungsgenerativen Funktion explizieren.[28] Bilder sind dabei als Lebens- und Weltbilder zu verstehen, die sich als „wirkungsmächtige Ästhetizismen“ nach Außen tragen.

Eco erkennt die (Re)Interpretation und (Re)Codierung der hegemonialen und massenmedial rezipierbaren Zeichen als stärksten Ausdruck der menschlichen Lust an der Darstellung.[29] Somit weist Eco weiterhin nach, dass die deskriptive Ebene der Semiotik durch „eine pragmatische Energie“ zu einem aktiven Projekt erweitert wird. Dabei ist es auch der Kontext, dem eine wesentliche Rolle zukommt. Jene Dinge, die außerhalb der Kommunikation geschehen, seien es ökonomische, soziale oder ähnliche Aspekte, bilden den Rahmen, in dem sich der semiotische Vollzug aktiv manifestiert.

3.1 Notwendige allgemeine Übersetzungsleistungen

Welche Strategien lassen sich nun aus dem Wissen um die Semiotik für die Repräsentanz von Geisteswissenschaften und KWL ziehen?

Zunächst einmal muss geklärt werden, welche Informationen, die bei einer „gesteuerten Transkription“ durch den Kommunikator zum Rezipienten übermittelt werden sollen, als entbehrlich zu betrachten sind. Jede Kommunikation geht unweigerlich mit dem Verlust, bzw. der Umcodierung der ursprünglichen Botschaft einher. Worauf lässt sich verzichten, welche Information muss strikt erhalten bleiben? Geht man davon aus, dass

„die kommunikative Dialektik zwischen Codes und Botschaften und die konventionelle und kulturelle Natur der Codes nicht Entdeckungen sind, die die Semiotik erst machen muss, sondern die Vorraussetzung, auf der sie gründet, und die Hypothese die sie leitet“[30], so können allgemeine gemeinsame Codes zwischen Gesellschaft und Wissenschaft identifiziert werden, deren kommunikative Konstruktion auf einem gewissen Bedarf beruht, den die Gesellschaft gegenüber der Wissenschaft kommuniziert.

Ist dieser Bedarf identifiziert, muss herausgefunden werden, welche speziellen (non-)verbalen Zeichen aus dem wissenschaftlichen Kontext heraus so übersetzt werden können, dass sie in der Gesellschaft als relevant wahrgenommen werden und im nächsten Schritt auch in einer ästhetischen Repräsentationsform umgesetzt werden können.

Dem liegt zugrunde, dass jeder Code auch einen ästhetischen Gebrauch seiner Zeichen ermöglicht.[31]

Hierzu bedarf es einer eindeutigen semiotischen Definition der Botschaften, die sowohl referentieller, emotionaler, phatischer, als auch metasprachlicher und eben ästhetischer Natur sein können.[32]

In allen hierauf entwickelten Teilsystemen muss die Botschaft des Systems grundsätzlich vor allem ästhetischer Natur sein, jedoch nicht ästhetisch im Sinne einer reinen Determination durch den Künstler. Eine hier als ästhetisch zu charakterisierende Botschaft enthält ein grundsätzlich zweideutiges Moment, das im idealen Falle

„...meine Aufmerksamkeit erregt und mich zu einer Interpretationsanstrengung anspornt, mich aber dann Decodierungserleichterungen finden lässt, ja mich in dieser scheinbaren Unordnung als Nicht- Offensichtlichkeit eine viel besser abgemessene Ordnung finden lässt, als es die Ordnung ist, die in redundanten Botschaften herrscht.“[33]

Dieser Aussage muss im vorliegenden Fall nur insofern widersprochen werden, als dass eine gewisse Redundanz in der Übersetzung der Botschaften definitiv von Nöten scheint, wenn man bedenkt, dass (sprachliche) Zeichen, die für den Kundigen mit Bedeutung versehen, für den Laien meist unverständlich und ohne Sinn sind. Deshalb muss der Transport semiotisch ästhetischer Zeichen im Fall einer Inszenierung der Geisteswissenschaften auch redundanter Natur sein.[34] Populärwissenschaftliche Inszenierungen sind darüber hinaus unabgeschlossen und besonders stark in der sozialen Aushandlung verankert. Somit bieten sie eine Interaktionsmöglichkeit, der sich rein wissenschaftliche Distributionen entziehen.[35]

Fraglich und inszenatorisch prekär bleibt jedoch, wie sehr sich die Inszenierung redundanter Praktiken bedient, oder wie weit sie darauf aufbaut, dass einem Rezipienten die Fähigkeit gegeben ist, sich des intendierten Codes auch bei rudimentärer Darstellung durch den Inszenierenden bewusst zu sein, dass er mit Eco den Idiolekt, den der Inszenierung eigenen Modus, begreift und imaginativ vervollständigen kann, sodass die Aussage erhalten bleibt.[36] Wichtig dabei ist, dass der Anknüpfungspunkt für den Rezipienten offen liegt, es soll aber vorgeschlagen werden, den Verweisungscharakter zu erhalten, da die intellektuelle Leistung des Rezipienten zu einer Herausforderung durch die Geisteswissenschaften gehört. Dennoch muss der hermetische Modus der Initiation durch verschwenderischen Gebrauch bestimmter Attribute in der Wissenschaft zur Abgrenzung von einer „Laienwelt“ aufgebrochen werden.[37]

3.2 Das Zeichensystem „Geisteswissenschaften“

3.2.1 Teilsystem „Verstehen und Bewerten“

Als logischer erster Schritt auf dem Weg zur Erforschung eines semiotischen

Inszenierungssystems der Geisteswissenschaften muss als grundlegendes

Charakteristikum die Tätigkeit des „Denkens und Verstehens“ als Codesystem identifiziert werden.

Zunächst handelt es sich bei den Geisteswissenschaften um historisch orientierte Disziplinen, die nicht nur faktische Historie anhand von Daten und Persönlichkeiten sammeln, sondern vor allem auch diese Sammlungen als Grundlage rezenter gesellschaftlicher Strukturen verstehen und hernach bewerten.

Die drei Handlungsmaximen Sammeln, Verstehen, Bewerten lassen sich im Bild des Zeitstrahls ebenso vortrefflich vermitteln, wie es noch besser die Darstellung von Kausalität vermag . Die Mathematik kennt viele einfache Formen der Darstellung von Kausalität. Diagramme, Formeln und dergleichen bieten einfache repräsentative Lösungen. Will man jedoch die Kausalitätsforschung in der Geisteswissenschaft formulieren, muss man auf der Ebene der Bildsprache arbeiten.

Ein interessantes Beispiel ist der Vergleich von Darstellungsformen, Gesten und Inhalten auf Gemälden und Fotos verschiedener Epochen.

Die Zeichen menschlicher Handlungen, die Ikonisierung menschlicher Gesten sind durch die Jahrhunderte hinweg dieselben geblieben und geben gleichzeitig beredte Zeugnisse der Kausalität menschlicher Handlungen. Im Zuge des Visual Turns der Geisteswissenschaften wurden Bilder als Option der Formulierung und Darstellung von Erkenntnis und Wirklichkeit in den Quellenkanon aufgenommen.[38] Dass mit Bildern auch individuelle mentale Vorstellungen gemeint sind, verknüpft die hier vorgeschlagene Explizierung von Bildern nur umso stärker mit der anregenden Wirkung von Bildern als Zeichen. Dazu gehört auch, dass der Abstraktionsgrad der geisteswissenschaftlichen Sprache durch Bilder aufgehoben wird, da sie durch ihr Zeigendes einen konkreten Hinweis auf das Gezeigte geben, besser als es die Sprache in diesem Fall vermag.[39] Andersherum haben sie jedoch bei einer appellativen Kommunikationsintention die Schwierigkeit, dass ein Appell in Bildern schwer zu formulieren ist. Dennoch bieten Visualisierungen den Vorteil, dass sie durch die Gleichzeitigkeit verschiedener Diskursmöglichkeiten die argumentative Linearität von Sprache aufbrechen und so eine aktive Anregung für den Betrachter bieten, es kreuzen sich hier die basalen semantischen Codes einer Kultur.[40]

Anregungscharakter in diesem Fall besteht dadurch, dass der Betrachter dazu aufgefordert wird, andere Verweise innerhalb von Kunst und Kultur zu finden. Die Begründung durch die Geisteswissenschaften besteht in dem Schlagwort „History Repeating“ als dem tätigen Beweis, dass menschliche Geisteshaltungen und ihre Handlungen zwar stets den gegebenen gesellschaftlichen Strukturen folgen, sich aber immer auf einem gemeinsamen Kontext berufen, den die Geisteswissenschaften aufzudecken vermögen.

3.2.2 Teilsystem „Verstehen und Kommunizieren“

Im daran anschließenden System „Verstehen und Kommunizieren“ werden die Ergebnisse geisteswissenschaftlichen Forschens expliziert, es geht um Publikationen, Schriften, wegweisende Bücher. Sprache als Zeichenrepertoire in seiner ganzen Fülle kann hier gleichzeitig als grundlegendes semiotisches Handlungs- und Darstellungsfeld verstanden werden. Explizierte Diskurse als die Artikulation einer Wirklichkeit ermöglichen in diesem System, kulturelle Aspekte hinsichtlich ihrer Konventionalisierung und den Einfluss auf die Wahrnehmung von Realität aufzuzeigen.[41] Eng damit verknüpft sind die Personen der geisteswissenschaftlichen Geschichte, die Einfluss auf unsere Sprach- und Denkgewohnheiten haben, und nicht zuletzt Einfluss auf alle anderen wissenschaftlichen Disziplinen nehmen.

Aus kommunikativer Sicht handelt es sich hier vor allem um die Explizierung von Beobachtungsdivergenzen als des Geisteswissenschaftlers Gabe. Er kann Dinge verbalisieren und visualisieren, die anderen bei einem Blick verborgen bleiben, er liest die Spuren und ist zu einer schlussfolgernden Problemlösung fähig. Er ist der klassische „Detektiv der Wahrheit“. Als Metapher bietet sich, anschließend an das Beispiel Schwanitz’, wirklich der allbekannte Scherenschnitt des viktorianischen Detektivs Holmes an, kumuliert in der Figur des Detektivs doch eben jene aufgezählten Eigenschaften, die auch für den Geisteswissenschaftler identifiziert werden können.[42]

3.2.3 Teilsystem „Kommunizieren und Gestalten“

Im letzten betrachteten System „Kommunizieren und Gestalten“ geht es um die Produkte, die mit Hilfe geisteswissenschaftlicher Forschung für einen Markt, für die Gesellschaft und auch im Speziellen für diverse Anspruchsgruppen entstehen konnten. In diesem System spielen solche Dinge wie die emotionale Aufladung und Zuweisung von Marken, die Ikonisierung von Produkten, sowie ebenfalls die massenmedialen Gestaltungen und Vermittlungen von Formaten eine Rolle.

Medialität wird dabei über die bloße Mittlerfunktion hinaus auch als Element der Differenz, der Bedeutungszuweisung und auch -verschiebung verstanden, geht es um einen Transport von Informationen zwischen Sender und Empfänger.[43] Massenmedien sind das grundlegende Konstitutionsmedium von Theatralität geworden und bieten eine so bis dato nicht existente Konstruktion von Realität.[44] Die Behauptung ist gar, dass massenmediale Produkte wie wir sie heute kennen, neben der gesellschaftlichen Konstruktion vor allem eine Errungenschaft der Geisteswissenschaften sind. Sie sind nämlich in der Lage, die komplexen Vorgänge der Kommunikation zu denken und dadurch auch Konstrukte „zu erschaffen“ die eine größtmögliche Interpretation erlauben. Sie wissen um den „Geschmack“ der Rezipienten, gerade weil sie fähig sind, habituelle Dispositive zu lesen und entsprechend strukturiert zu übersetzen. Dem Rezipienten kommt in der massenmedialen Kommunikation dabei die aktive Rolle als an deren Konstruktion Beteiligter zu, und die Geisteswissenschaften sehen sich in der Position, den Dialog entsprechend zu steuern.[45]

[...]


[1] [a] Welzer 2002: 8

[2] [b] Welzer 2007

[3] vgl. Ergebnispapier des 1. Berliner Gesprächs zu Verhältnis der Wissenschaft zur Gesellschaft. Berlin 2001

[4] vgl. Wefer 2008: 21

[5] Im Folgenden werden die Begriffe „Cultural Engineering“ und die intern häufiger gebrauchte Abkürzung „KWL“ synonym verwandt, sowie die Personenbeschreibung „Cultural Engineer“ und der interne „KWLer“ gleichwertig benutzt

[6] Eco 2002: 147

[7] vgl. Lettke: 341

[8] vgl. Hickethier : 370

[9] vgl. Meyer-Guckel: 2008: 13

[10] Hörisch 2008: 30

[11] Münch 2008

[12] ebd.

[13] Hörisch 2008: 32

[14] Welzer 2007

[15] Bechmann 2002: 24 Bezug nehmend auf Nowotny 1999: 15

[16] Konrad 1998: 78

[17] Bechmann 2002 Bezug nehmend auf Ingram 1992: 46

[18] Baecker 1997

[19] ebd.

[20] http://www.cultural-engineering.de/ [Stand: 10. Februar 2008]

[21] http://www.cultural-engineering.de/ [Stand: 10. Februar 2008]

[22] vgl. Ergänzungen zur Reakkreditierung : 2

[23] vgl. Modulhandbuch KWL MA: 5

[24] vgl. Modulhandbuch KWL MA: 6

[25] vgl. Hall 1999: 93

[26] vgl. Eco 2000: 108

[27] vgl. Hall 1999: 93

[28] vgl. Willems 1998: 34

[29] vgl. Eco 2002: 25f.

[30] Eco 2002: 20

[31] vgl. Eco 2002: 25

[32] vgl. Eco 2002: 145

[33] Eco 2002: 146

[34] vgl. Eco 2002 149f.

[35] vgl. Winter 1999: 55f.

[36] vgl. Winter 1999: 152

[37] vgl. Schwanitz 1998: 276

[38] vgl. Haas 2006: 4f.

[39] vgl. Fellmann 1997: 151

[40] vgl. Hall 1999: 102

[41] vgl. Hall 1999: 99f.

[42] vgl. Schwanitz 1998: 275

[43] vgl. Schmalen 1992: 33

[44] vgl. Willems 1998: 64

[45] vgl. Willems 1998: 64

Ende der Leseprobe aus 70 Seiten

Details

Titel
Wissenschaftsinszenierung und Wissenschaftsmarketing
Untertitel
Ein neues Verständnis der Geisteswissenschaften am Beispiel des Studiengangs kwl][cultural engineering
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
70
Katalognummer
V132157
ISBN (eBook)
9783640377107
Dateigröße
815 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Inszenierung, Wissenschaftsinszenierung, Wissenschaftsmarketing, Semiotik
Arbeit zitieren
Wiebke Eichler (Autor:in), 2008, Wissenschaftsinszenierung und Wissenschaftsmarketing, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132157

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Titel: Wissenschaftsinszenierung und Wissenschaftsmarketing



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