Götterschock?

Qualitative Heuristik in Anwendung bei der Frage, ob es bei Kulturkonfrontationen tatsächlich zu einer Identifizierung der technisch überlegenen Kultur mit Göttern kommt, im Kontext grenzwissenschaftlicher Überlegungen


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2009

49 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Der Gegenstand dieser Untersuchung
2.1 Zivilisationskontakte und Prä-Astronautik
2.2 Qualitative Heuristik und ihre Anwendung in dieser Arbeit

3. Zivilisationskontakte in der Darstellung und Analyse
3.1 Falldarstellungen 1
3.2 Analyse 1
3.3 Falldarstellungen 2
3.4 Analyse 2
3.5 Vorbemerkungen zu den Cargokulten und zum Geistertanz
3.6 Falldarstellungen 3
3.7 Analyse 3

4. Sonderfälle Eroberung Mexikos und die Tasaday
4.1 Begründung
4.2 Die Eroberung Mexikos
4.3 Die Tasaday

5. Zusammenfassung und Ausblick

6. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Unter qualitativer Heuristik ist eine Forschungsrichtung zu verstehen, die von Gerhard Kleining geprägt wurde und das Ziel verfolgt, mittels systematisierter Techniken der Alltagsforschung neue Zusammenhänge bei den jeweils behandelten Forschungsgegenständen zu entdecken.

Wenngleich tatsächliche Objektivität in der Sozialwissenschaft nicht zu erreichen ist, so doch immerhin allgemeine Nachvollziehbarkeit und Intersubjektivität.

Gerhard Kleining schreibt dazu:

„Verallgemeinerungen in den Sozialwissenschaften sind bezogen auf Gesellschaft und damit auf Geschichte, da Gesellschaften geworden sind und sich verändern. Der „Objektivitätsbegriff“ der Sozialwissenschaften ist deswegen der von Intersubjektivität: für jeweils zu bestimmende Gruppen von Menschen in ihrer historischen Entwicklung gültig.“[1]

In dieser Arbeit, die den Zweck erfüllen soll, die qualitative Heuristik praktisch zu erproben und anzuwenden, wird dieser Aspekt besonders deutlich.

Das Thema der Zivilisationskontakte und deren Auswirkungen auf die technisch unterlegenen Kulturen ist natürlich eines, das sehr von Raum, Zeit und Situation geprägt ist, weswegen sich die Ergebnisse nicht so ohne weiteres zum Beispiel auf unsere Moderne übertragen lassen, etwa den fiktiven Fall angenommen, die heutige Menschheit würde sich plötzlich mit einer höheren Intelligenz konfrontiert sehen. Sicherlich aber würden sich gewisse Grundmuster wieder finden lassen, die in ihrer Konsequenz aber schwer voraussagbar sind, da hier einfach zu viele, höchst komplexe Umstände eine Rolle spielen.

Dieses Thema habe ich im Kontext grenzwissenschaftlicher Überlegungen gewählt, dies hat, neben dem überaus spannenden Thema, auch den Grund, dass die Grenzwissenschaften (alternativ auch Anomalistik oder Pseudowissenschaften genannt) und ihre Thesenbildung sich auf einem vorwissenschaftlichen Stand befinden, die häufig durch wenig Selbstreflexion und Systematisierung gekennzeichnet sind.

Hier sehe ich eine interessante Möglichkeit der Überprüfung solch vorwissenschaftlichen Ideenguts auf ihre Haltbarkeit.

Der Kontext in der grenzwissenschaftliche Annahmen getätigt werden, eignet sich hierbei meiner Meinung nach besonders für eine heuristische, also entdeckende Verfahrensweise, da sie sich (deswegen sind es ja GRENZwissenschaften) abseits vom Mainstream bewegen und häufig in ihrer Entwicklung eine ganz eigene Dynamik genommen haben.

Der Gegenstand dieser Arbeit und der Kontext grenzwissenschaftlicher Thesen soll nun im Folgenden dargestellt werden.

2. Der Gegenstand dieser Untersuchung

2.1 Zivilisationskontakte und Prä-Astronautik

1968 erschien das Erstlingswerk „Erinnerungen an die Zukunft“ von Erich von Däniken, mit dem er die These, Außerirdische im Laufe der Geschichte immer wieder in die Geschicke der Menschheit eingegriffen, weltbekannt machte.

Seitdem reißen Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen unzähliger Autoren zu diesem Thema nicht ab und in Internet-Foren wird zum Teil sehr emotional das Für und Wider dieser Forschungsrichtung, für die sich die Begriffe Prä-Astronautik und Paläo-SETI eingebürgert haben (hier häufig mit PA oder PS abgekürzt), diskutiert. Sogar eine eigene Laien-Forschungsgesellschaft, die A.A.S (Forschungsgesellschaft für Archäologie, Astronautik und SETI) existiert, die eine eigene Zeitschrift herausgibt und nationale und internationale Kongresse organisiert.[2]

Doch seit fast 40 Jahren hat sie eines nicht geändert, die grundsätzliche Methodik mit der Laienforscher, aber auch Akademiker (die sich hier häufig allerdings fachfremd bewegen) das Thema bearbeiten. Hierbei wird immer von gewissen Grundannahmen ausgegangen, mit denen diese Methodik legitimiert werden soll.

Aber auch die Kritik an dieser Methodik und den vorgestellten Indizien wurde und wird immer größer. Zu Recht weisen Kritiker auf Denkfehler bei der Vorgehensweise der Prä-Astronautiker hin und auf die eine mangelnde Bereitschaft, eindeutig widerlegte Thesen abzustoßen und aus dem Denkgebäude zu entfernen.

Die Paläo-SETI geht von der These aus, dass, sollten Außerirdische einst die Erde besucht haben, sie von den Menschen aufgrund ihrer unbegreiflichen Technologie nur als Götter erkannt worden sein konnten. Auf diese Weise sollen neue Religionen und Mythen initiiert worden sein. Erich von Däniken bezeichnete dieses postulierte Verhalten als „Götterschock“.[3] Bei dieser These wird sich oftmals auf verschiedene Zivilisationskontakte berufen, von denen die melanesischen Cargokulte die wahrscheinlich berühmtesten sind.

Schon in seinen ersten Büchern fordert der Schweizer Bestseller-Autor seine Leser dazu auf, die alten Mythen einmal mit der modernen Brille zu lesen. Immer wieder versucht er in seinen Frühwerken den Leser durch fiktive Beispiele von seiner These des Götterschocks zu überzeugen. So konstruiert erst zum Beispiel folgendes Szenario:

„Konstruieren wir ein Beispiel: Im afrikanischen Busch landet zum ersten Mal ein Helikopter. Kein Eingeborener hat je eine solche Maschine gesehen. Mit unheimlichem Getöse landet der Helikopter in einer Lichtung, Piloten in Kampfanzügen, mit Sturzhelmen und Maschinengewehren springen heraus. Der Wilde in seinem Lendenschurz steht benommen und fassungslos vor diesem Ding, das vom Himmel hernieder, und vor den ihm unbekannten >>Göttern<<. Nach einer gewissen Zeit erhebt sich der Helikopter wieder und entschwindet in den Lüften.“[4]

Ein solches Szenario lässt sich in ähnlicher Form durchaus vorstellen und Däniken spinnt die Geschichte weiter:

„Wieder allein, muss der Wilde mit dieser Erscheinung fertig werden. Er wird anderen, die nicht zugegen waren, erzählen, was er sah: einen Vogel, ein Himmelsgefährt, das lärmte und stank – Wesen, die weiße Haut hatten – die Waffen trugen, die Feuer spien…Der wunderbare Besuch wird für alle Zeiten festgehalten und überliefert. Wenn der Vater seinem Sohn erzählt, wird der Himmelsvogel freilich nicht kleiner und die Wesen, die ihm entstiegen, werden immer merkwürdiger, großartiger und mächtiger. (…) Fortan existiert das Ereignis in der Mythologie des Stammes weiter.“[5]

Auf dem ersten Blick scheint es sich bei dieser These um eine plausible Annahme zu handeln. Seine Schlussfolgerung daraus, ist für Däniken und seinen nachfolgenden Mitstreitern der Paläo-SETI, dass man alte Mythen durchaus als konkrete Ereignisse verstehen sollte. Beschreibungen von Göttern, die womöglich noch in fliegenden Wagen unterwegs waren und über unglaubliche Kräfte verfügten sollen also in Wirklichkeit auf vergangene Kontakte mit Außerirdischen Wesen zurück zu führen sein, deren wahre Natur von den Menschen nicht erkannt wurde. Ein solcher Kontakt muss für die Menschen, folgt man dieser Überlegung, so unglaublich und unverständlich gewesen sein, dass man in den Besuchern nur Götter erkennen konnte. Die Beschreibungen dieser Ereignisse wurden dann mythologisiert und die technischen Geräte, Fahrzeuge etc., für die man natürlich keine Begriffe hatten, in Analogieschlüssen mit Begriffen besetzt, die man kannte. So wurden dann aus den Fluggeräten zum Beispiel fliegende Wagen oder seltsame Vögel.

Nach dieser Prämisse wurden und werden dann alte Mythen durchforscht um nach vermeintlichen Hinweisen auf Begegnungen mit Außerirdischen zu suchen. Ein früher Klassiker in der PS war und ist der Hesekieltext im alten Testament der Bibel.

Aus einer israelitischen Priesterfamilien stammend, lebte Hesekiel (oder auch Ezechiel geschrieben) um 597 v. Chr. im Exil in Babylon. Dort hatte er eine Erscheinung Gottes, die er sehr ausführlich schildert. Zum Beispiel heißt es im alten Testament:

„Am fünften Tag des vierten Monats im dreißigsten Jahr, als ich unter den Verschleppten am Fluss Kebar lebte, öffnete sich der Himmel und ich sah eine Erscheinung Gottes. (…)

Ich sah: Ein Sturmwind kam von Norden, eine große Wolke mit flackerndem Feuer, umgeben von einem hellen Schein. Aus dem Feuer scheinte es wie glänzendes Gold.

Mitten darin erschien etwas wie vier Lebewesen. Und das war ihre Gestalt: Sie sahen aus wie Menschen. Jedes der Lebewesen hatte vier Gesichter und vier Flügel. Ihre Beine waren gerade und ihre Füße wie die Füße eines Stieres; sie glänzten wie glatte und blinkende Bronze.“[6]

Hesekiel hat mehrere derartige Erscheinungen und wird von dieser auch auf einen hohen Berg gebracht, wo er den Tempel von Jerusalem „besichtigt“ und mit einem Maßband vermisst.

In der PS wird hinter dieser Prophetie ein konkretes Ereignis vermutet. Hesekiel habe, so die These, in Wirklichkeit eine Begegnung mit einem Außerirdischen Luftfahrzeug gehabt. Der inzwischen verstorbene ehemalige NASA-Ingenieur Josef Blumrich glaubte sogar aus den Beschreibungen Hesekiels eine Art Zubringerschiff mit Helikoptereinheiten und Atomantrieb rekonstruieren zu können.[7]

Ein weiterer Ingenieur, Hans Herbert Beier, nahm sich darauf hin den Tempel vor, zu dem der biblische Prophet „entrückt“ wurde und rekonstruierte eine Art Raumschiffwartungsstation für Blumrichs Shuttle.[8]

Dieses Thesengebilde ist aus der prä-astronautischen Literatur heute kaum noch wegzudenken und wird quasi unwidersprochen (von Detailfragen einmal abgesehen) als Fakt behandelt.

In ähnlicher weise kam und kommt es in der Paläo-SETI immer wieder zu der Behandlung von Mythen als Reportagen. Seien es nun die Beschreibungen des himmlischen Mannas und der Bundeslade, aus denen dann eine Nahrung produzierende Mannamaschine wird[9] oder Beschreibungen aus alt-indischen Sanskrittexten, in denen es vor fliegenden Götterfahrzeugen, Vimanas genannt, nur so zu wimmeln scheint.[10]

Was man allerdings immer wieder vermisst, ist die Nennung dieser Mythen und Berichte in ihrem religionsgeschichtlichen und Kulturhistorischen Zusammenhang. Die Texte werden tatsächlich wie rein sachliche Beschreibungen behandelt, lediglich auftauchende Widersprüche zur „außerirdischen“ Deutung werden damit abgetan, die Texte wären im Laufe der Jahrhunderte verfälscht und die tatsächlichen Ereignisse nicht verstanden worden. Damit kommt es bei der Bewertung der Texte zu einer auf reiner Assoziation beruhenden und vor allem stark selektiven Auswahl.

Weiter kommentiert Däniken über die ursprünglichen Verfasser der alten Mythen:

„Sie melden in ihrer zeitlosen Überlieferung einen Wahrheitsanspruch an, der zur Kenntnis zu nehmen ist. Einmal als sie entstanden, waren sie Reportagen erlebter Ereignisse.

Die ersten Mythenerzähler brauchten keine vieldeutigen Kommentare: Sie wussten nicht, wovon sie sprachen.“[11]

Es wird an dieser Stelle nicht möglich sein, die Interpretationen der PA-Anhänger auf ihre methodische Konsistenz hin zu überprüfen. Vielmehr soll ein anderer Aspekt in den Fokus genommen werden.

Während es Anfangs bei der reinen Behauptung blieb, in dieser Form würde sich ein solcher Kontakt mit Außerirdischen in den alten Schriften widerspiegeln, versuchte man in der PA diese These später durch unsere konkreten Erfahrungen mit ähnlichen in historischen Zeiten stattgefundenen Zivilisationskontakten zu untermauern. Der populäre Vorreiter war auch hier wieder Erich von Däniken, der in mehreren Büchern mit reichlichen Beispielen, von Kolumbus über die Reisen James Cooks bis hin zu den melanesischen Cargokulten, garniert, seine Ausgangsthesen bestätigt sah.[12]

Einen weniger bekannten, aber recht engagierten Versuch unsere Erfahrungen mit Zivilisationskontakten auf die methodische Frage der Analyse alter Texte, bezogen auf die Fragestellung der PS anzuwenden, legte Lutz Gentes 1979 vor.[13]

Gentes (selbst Psychologe und Pädagoge) beschränkte sich bei seiner Abhandlung zwar nur auf die Cargokulte und das Volk der Tasaday auf den Philippinen, ging aber um einiges strukturierter als Däniken vor und bemühte sich um eine wissenschaftliche Herangehensweise und legte eine methodische These vor, die er „verhaltenspsychologisches Vergleichsverfahren“ nannte.[14]

Dreh- und Angelpunkt dieses Vergleichsverfahrens stellen Listen dar, in denen Einzelaspekte besagte Zivilisationskontakte mit denen alter Überlieferungen gegenüber stellt.

Thematisch bestehen diese Gegenüberstellungen aus:

- „Charakterisierung der für die Betroffenen technologisch undurchschaubaren fremden Flugobjekte (Auswahl)“[15]
- „Das Verhalten der Menschen in den ersten Phasen der Kontakte“[16]
- „Entstehung und Entwicklung neuartiger Glaubensformen infolge der Kontakte“[17]
- sowie „Die Praxis der magischen Imitation und des Ritus“[18]
Ohne an dieser Stelle schon eine inhaltliche Kritik zu geben, fällt bei dieser Liste eine uneinheitliche und zu einem großen Teil auch mangelhafte Quellenkennzeichnung auf. Dies begründet der Autor mit einem Verweis auf ein geplantes Buch, in welchem er das gesamte Material aufführen wolle, während er sich in der hiesigen Veröffentlichung lediglich auf wenige der Hauptquellen beziehe.[19]

Das angekündigte Werk erschien 17 Jahre später, von der versprochenen detaillierten Darlegung ist leider nichts zu finden, im Gegenteil, zwar erwähnt er auch hier wieder häufig die melanesischen Cargokulte, doch verweist Gentes dann wieder auf seine ursprüngliche Veröffentlichung.[20]

Wie dem auch sei, Gentes grundlegenden Überlegungen sollen hier einmal kurz aufgeführt werden:

- Das Verhalten der Menschen in der ersten Phase der Kontakte ist laut Gentes durch eine „artspezifische Schreck- und Furchtreaktion“ charakterisiert.[21]
- Daraus folgt die Entwicklung neuartiger Glaubenformen, als direkte Konsequenz der Kontakte.[22]
- Infolge ergibt sich die Einführung magischer Imitation und ritueller Handlungen.[23]
- Und zu guter Letzt langfristig ein „tiefgreifender evolutionärer sozio-ökonomischer Strukturwandel.“ Bei den betroffenen Kulturen.[24]

Die meisten anderen Autoren in diesem Bereich übernehmen häufig Dänikens und Gentes Argumentationen, ohne Impulse aus eigenen Recherchen hinzu zu fügen.[25]

In dieser Arbeit sollen also mittels der qualitativ-heuristischen Methodologie, wie sie von Gerhard Kleining geprägt wurde, die Auswirkungen von Zivilisationskontakten auf die oben genannten Aspekte untersucht werden.

2.2 Qualitative Heuristik und ihre Anwendung in dieser Arbeit

Die qualitative Heuristik versteht sich selbst als eine entdeckende Methode für empirische Untersuchungen. Der Begriff Heuristik entstammt hierbei dem angeblichen Ausruf „Heureka“ des Archimedes bei der Entdeckung der Gesetzmäßigkeiten der Wasserverdrängung[26] und soll den Effekt beschreiben, der bei dem plötzlichen entdecken des bis dato Unbekannten auftritt, auch als „Aha-Effekt“ zu bezeichnen.

Kleinings Methodologie baut hierbei auf 4 grundsätzlichen Regeln auf, die es noch zu erläutern gilt und die eine Wissenschaftlichkeit der Methodik gewährleisten, und sie von Alltagsmethoden abgrenzen sollen.

1. Offenheit der Forschungsperson
2. Offenheit des Forschungsgegenstandes
3. Maximale Strukturelle Variation der Perspektiven
4. Analyse auf Gemeinsamkeiten.

Offenheit der Forschungsperson: Das Forschungssubjekt (der Forscher) soll „offen“ sein, eine Regel, die auf dem ersten Blick leichter scheint, als sie tatsächlich ist. Sehr schnell lässt man sich, häufig sicherlich unbewusst von schon vor gefassten Ansichten zu dem Gegenstand seiner Forschung leiten, oder aber von Autoritäten, die das entsprechende Thema schon bearbeitet haben.

In diesem Zusammenhang kann es schnell geschehen, dass man (ebenfalls sicherlich in vielen Fällen wieder unbewusst) unliebsames Datenmaterial ausblendet. Es muss also auf die 100%-Regel verwiesen werden, dass alle Daten in dem Kontext der Untersuchung einen Platz finden müssen.

Tauchen nun Daten auf, die der aufgestellten These des Forschers widersprechen, dann stößt man, so schreibt Otmar Hagemann

„…auf ein deutliches Anzeichen, dass meine Forschung noch nicht abgeschlossen ist…“[27]

In diesem Fall heißt es also, weiteres Datenmaterial zu sammeln um so die konträren Daten miteinander in Einklang bringen zu können.

Ist es nicht möglich (aus zeitlichen Gründen, oder weil die entsprechenden Mittel nicht zur Verfügung stehen und so weiter) die Forschung lückenlos zu gestalten, so sollte die Forschungsfrage entweder stärker eingeschränkt werden oder es muss bei einem vorläufigen Ergebnis bleiben – was in diesem Fall explizit anzumerken ist.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist hier die Transparenz bezüglich der Arbeitsweise und der Daten, die soweit möglich offen dargelegt und ggf. überprüfbar sein sollen (etwa bei Quellenrecherchen). Dies betrifft zum Beispiel auch die Umstände, etwa einer Umfrage, da dieser Kontext für die Beurteilung der Ergebnisse durch Dritte äußerst wichtig ist.

Im Fall des hier behandelten Forschungsgegenstands musste ich diesen Aspekt der Offenheit tatsächlich auch erst lernen. Angeregt zu einer offenen Untersuchung wurde ich durch Forendiskussionen, in denen ich die oben genannten Postulate vertrat, da ich sie für plausibel hielt. Erst durch Fragestellungen und Argumente anderer Diskussionsteilnehmer wurde ich unsicherer und beschloss, mich von meinem bis dato sicher geglaubten Wissen zu verabschieden und die entsprechenden Quellen frei von Vorstellungen zu überprüfen.

Und ähnlich sieht es jetzt auch aus, wo ich mich abermals diesem Thema gewidmet habe und schon allein aufgrund meiner Herangehensweise gezwungen war, mich von bisherigen Ansichten zu verabschieden.

Offenheit des Forschungsgegenstandes: Auch bezüglich des Forschungsobjekts gilt die Regel der Offenheit. Der Gegenstand der Forschung ist in der Regel Veränderungen unterworfen, dies umso mehr, wenn es sich um sozialwissenschaftliche Themen handelt. Wenn Gesellschaft sich wandelt, wandeln sich auch Themen der Forschung. Die Frage nach Antisemitismus in der Gesellschaft zum Beispiel ist räumlichen und zeitlichen Veränderungen unterworfen. Aus diesem Grund wird es hier keine allgemein gültigen Antworten geben, die unveränderlich feststehen.

Darüber hinaus ergeben sich im laufe einer Untersuchung womöglich auch neue Fragestellungen, die in den Fokus rücken können und somit auch den Gegenstand der Forschung in dieser Hinsicht ändern können.

„Sozialwissenschaftliche Gegenstände sind nicht starr, unbewegt, ein für alle Mal gegeben, sondern geworden und bewegt in Zeit und Raum, historisch, als sich entwickelnd und verändernd und deswegen nicht als fest, von vorne herein definierbar und bekannt.“[28]

Das heißt natürlich nicht, dass es nicht eine festgelegte Forschungsfrage geben soll, sondern, dass man flexibel bezüglich der sich ergebenden Daten handeln soll.

Maximale strukturelle Variation der Perspektive: Diese Regel besagt, dass der Forschungsgegenstand möglichst aus vielen (im Idealfall allen) Perspektiven zu betrachten ist.

Da aus verschiedenen Gründen hier nur die Sichtung von Texten zur Verfügung steht (teilnehmende Beobachtung, Fragebögen etc. sind hier nicht möglich), soll die Variierung durch die Art der analysierten Texte erreicht werden. So finden hier Eingang, sowohl die Texte entsprechend Beteiligter oder Beobachter (zum Beispiel die „Entdecker“ neuer Länder und Völker oder diese selbst), als auch Schriften über gewisse damit im Zusammenhangstehender Phänomene. So zeigt sich schnell, dass die Behandlung von Texten, etwa berühmter Entdecker wie Kolumbus selbst, zu anderen Fragestellungen führt, als die abstrahierten Texte über Kolumbus Entdeckungsfahrten etwa.

Weiter soll die Variierung dadurch gesteigert werden, dass ein möglichst breites Feld an Zeiten und Orten an denen es zu Zivilisationskontakten kam, abgedeckt werden soll und nicht nur, wie etwa bei Gentes nur der Zwei.

Analyse auf Gemeinsamkeiten: Die dann erhobenen Daten gilt es auf ihre Gemeinsamkeiten hin zu überprüfen. Hierbei gilt die 100% Regel, alle Daten müssen in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden, nichts wird unterschlagen.

Dies alles geschieht nach dem Dialogprinzip, indem Fragen an die Daten gestellt werden, und aus den Antworten ergeben sich wieder neue Fragen, die zu weiteren Datenerhebungen aber auch erneuten Blick auf das bereits vorhandene Material führen.

Die Einhaltung der 4 Regeln soll gewährleisten, dass sich am Ende ein intersubjektiv gültiges Bild des Forschungsgegenstandes, bzw. der an ihn gerichteten Fragen und Antworten ergibt.

3. Zivilisationskontakte in der Darstellung und Analyse

3.1 Falldarstellungen 1

Die erste Forschungsfrage soll die sein,

- wie Menschen reagieren, wenn sie unvermittelt einem Zivilisationskontakt ausgesetzt werden?

Hierzu sollen zuerst einmal die Beschreibungen verschiedener „Entdecker“ und Abenteurer heran gezogen werden, die bei ihren Reisen auf die Ureinwohner bereister Länder trafen und deren Reaktion beschrieben.

1. Fall:

Kolumbus, der 1492 mit seinen 3 Karavellen Santa Maria, Pinta und Nina nach einer mehrmonatigen Fahrt die Bahamas erreichte – freilich in dem Glauben in Indien gelandet zu sein – und auf der Insel Guanahani (von den Spaniern später San Salvador genannt, vermutlich handelt es sich um die Insel Samana Gay[29] ) landete, segelte von dort aus weiter und traf auf immer mehr Inseln, wo es auch zu ersten Begegnungen mit den Eingeborenen kam, die Kolumbus wie folgt schildert:

„An der Meeresküste sah ich jedoch weder Städte noch Märkte, sondern nur einige Dörfer und Landgüter, mit deren Bewohnern ich aber nicht sprechen konnte, weshalb diese auch die Flucht ergriffen, sobald sie uns erblickten.“[30]

2. Fall:

der berühmte englische Seefahrer James Cook bereiste auf seinen 3 großen Fahrten zwischen 1768 und 1779 große Teile der Südsee und entdeckte dutzende Inseln.

1769 etwa landete er auf Neuseeland und beschreibt:

„Ruderte des Nachmittags um die Spitze der Bucht, doch fand ich keinen Platz zum Landen wegen der starken Brandung, welche allerorten gegen das Ufer schlug. Sobald ich zwei Boote oder Kanus erblickte, die von der See hereinkamen, ruderte ich zu einem derselben, um der Leute habhaft zu werden. Wir kamen ihnen nahe, bevor sie Notiz von uns nahmen, und Tupia (ein Dolmetscher aus der Südsee, Anmerk. André Kramer) rief ihnen zu, sie sollten an unsere Seite kommen, und es würde ihnen kein Leides geschehen. Doch statt zu tun, wie ihnen geheißen, suchten sie zu entfliehen worauf ich eine Muskete über ihren Köpfen abfeuern ließ, vermeinte ich doch, dies werde sie veranlassen, sich zu ergeben oder über Bord zu springen. Doch hierin täuschte ich mich, denn sie ergriffen unverzüglich ihre Waffe, oder was sie sonst mit sich führten, und begannen uns anzugreifen.“[31]

3. Fall:

abermals geht es um die Fahrten des James Cook. 1778 erreichte er die Insel Hawaii, wo er auch zu Tode kam, da er nach einem Eklat am Strand von den Eingeborenen getötet wurde. Doch zu Beginn kamen die Einwohner der Insel mit Kanus heran gefahren und nach einigen Tagen:

„kamen mehrere Kanus hinaus zu den Schiffen, deren meiste einem Häuptling namens Terryaboo gehörten, welcher höchstselbst in einem von ihnen ankam; er machte mir der kleinen Schweine zwei oder drei zum Geschenke…“[32]

[...]


[1] Kleining 1995, S. 79

[2] Weitere Informationen hierzu auf der Homepage der A.A.S www.sagenhaftezeiten.com

[3] Vgl. Däniken 1992

[4] Däniken, 1968, S. 96 f.

[5] Däniken 1968, S. 97

[6] Herder 1980, S. 942

[7] Blumrich 1973

[8] Beier 1996

[9] Sasson / Dale 1994

[10] Zum Beispiel bei: Gentes 1996

[11] Däniken 1977, S. 122

[12] Vgl. Däniken 1992 und Däniken 2000

[13] Vgl. Gentes 1979

[14] Gentes 1979, S. 9

[15] A.a.O., S. 18 f.

[16] A.a.O., S. 20 ff.

[17] A.a.O., S. 23 ff.

[18] A.a.O., S. 29 ff.

[19] A.a.O., S. 15

[20] Vgl. Gentes 1996, zB. S. 458

[21] Vgl. Gentes 1979, S. 20

[22] Vgl. a.a.O., S. 23 f.

[23] Vgl. a.a.O., S. 29 ff.

[24] Vgl. a.a.O., S. 38 ff.

[25] Vgl. etwa Retyi 1995, S. 64 ff. und Hausdorf 2001, S. 34 f.

[26] Vgl. Kleining 1995, S. 19

[27] Hagemann 2003, S. 35

[28] Kleining 1995, S. 236

[29] Vgl. Venzke 2004, S. 64

[30] Kolumbus 2006, S. 15

[31] Cook2005, S. 63

[32] a.a.O. S. 295

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Details

Titel
Götterschock?
Untertitel
Qualitative Heuristik in Anwendung bei der Frage, ob es bei Kulturkonfrontationen tatsächlich zu einer Identifizierung der technisch überlegenen Kultur mit Göttern kommt, im Kontext grenzwissenschaftlicher Überlegungen
Hochschule
Fachhochschule Kiel
Veranstaltung
Empirische Forschungsmethoden
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
49
Katalognummer
V132555
ISBN (eBook)
9783640383702
ISBN (Buch)
9783640383283
Dateigröße
888 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Götterschock, Qualitative, Heuristik, Anwendung, Frage, Kulturkonfrontationen, Identifizierung, Kultur, Göttern, Kontext
Arbeit zitieren
André Kramer (Autor:in), 2009, Götterschock?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132555

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