Selten stand das Genre Kabarett so stark wie 1968 unter dem Verdacht, nicht gesellschaftskritisch genug zu sein und keinen Motor für Veränderungen darzustellen. Hier wirken die historische Situation und die soziologische Konzeption des Genres zusammen. Anhand von Beispielen der beiden Pole „Massenkabaretts“ und „APO-Kabaretts“ soll dieser Zusammenhang verständlich werden, insbesondere über die (gescheiterten) Versuche der studentischen Aktivisten, das Kabarett für ihre Sache zu instrumentalisieren.
INHALT
1. Einleitung
2. „Theorie“ des Kabaretts
2.1. Was ist Kabarett?
2.2. Die Diskussion um die Wirkungsmöglichkeiten
3. Die gesellschaftliche Situation 1968
4. Kabarett 1968 in der BRD
4.1. Kritik und Forderungen ans Kabarett
4.2. Die „Massenkabaretts“
4.2.1. Allgemeine Beschreibung
4.2.2. Beispiele
4.3. Die „APO-Kabaretts“
4.3.1. Allgemeine Beschreibung
4.3.2. Beispiele
4.3.3. Bewertung
5. Fazit
6. Literatur
1. Einleitung
„Das Kabarett ist tot, es lebe das Kabarett!“ Das noch verhältnismäßig junge Genre Kabarett hat in seiner kurzen Zeit der Existenz oft dieses Motto gehört. Weil es gesellschaftspolitische Belange direkt aufgreift, ist es auch wie kein anderes Genre dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen und ausgesprochen zeitgebunden. Da verwundert es nicht weiter, dass auch um 1968 – also in einer Zeit des Umbruchs – ein besonderes Kabarett existierte.
Selten war das Kabarett in Westdeutschland so in der Diskussion und in der Kritik wie in dieser Zeit. Die Frage nach Anspruch, Wirkung und Verantwortung wurde gestellt. Die Hauptakteure der 1968er-Bewegung, die Studenten, versuchten, das Kabarett für ihre Belange einzusetzen – mit dem Anspruch, das einzig „wahre“ Kabarett zu machen. Ein Kabarett nämlich, das gesellschaftskritisch ist und einen Motor für Veränderung darstellt.
Im Folgenden soll nun untersucht werden, woher dieser Anspruch kommt, warum er besonders 1968 so vehement vertreten wurde und inwieweit das Genre ihm überhaupt gerecht werden kann. Da die Inhalte des (v.a. studentischen) APO-Kabaretts viele Belange betrafen, die auch die DDR für sich reklamierte, ist die Rezeption des APO-Kabaretts in der DDR interessant. Hierauf soll auch ein Blick geworfen werden.
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil zur „Theorie“ des Kabaretts wird ein Überblick über die spärliche Theorie des Kabaretts gegeben. Dabei stehen Definition des Genres und die Diskussion um die Wirkungsmöglichkeiten im Vordergrund. Der zweite Teil steht unter dem Titel „Die gesellschaftliche Situation 1968“ und liefert einen kurzen historischen Hintergrund, um die Entwicklungen im Kabarett einordnen zu können. Im dritten Teil „Kabarett 1968 in der BRD“ werden die spezifische Kritik und Forderungen ans Kabarett betrachtet sowie die wichtigsten Formen, also die „Massenkabaretts“ und die „APO-Kabaretts“ mit Beispielen vorgestellt. Eine Bewertung der APO-Kabaretts schließt den dritten Teil ab. Der vierte Teil, das Fazit, liefert die Zusammenfassung der Hauptergebnisse in ihrem Zusammenhang.
Als besonders problematisch beim Erstellen dieser Arbeit erwies sich der allgemeine Mangel an wissenschaftlicher Literatur zum Thema Kabarett. Zwar existiert eine gewisse Auswahl an populärwissenschaftlicher Sachliteratur. Diese beschränkt sich allerdings meist auf die historische Dokumentation (Bilder und Kabarett-Texte überwiegen); wenn eine Bewertung erfolgt, dann meist ohne hinreichende Herleitung. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten dieser Werke von Kabarettisten selbst oder aus deren engerem Umfeld stammen. Im Prinzip gibt es kaum mehr als eine Handvoll Personen, die sich in den letzten vierzig Jahren intensiv mit Veröffentlichungen zum Thema Kabarett beschäftigt hat.
Als tatsächlich wissenschaftliche Veröffentlichungen haben in dieser Arbeit besondere Verwendung gefunden: „Das Interaktionssystem des Kabaretts. Versuch einer Soziologie des Kabaretts“ von Kerstin Pschibl aus dem Jahr 1999, „Theorie des Kabaretts“ von Jürgen Henningsen (1967) sowie – mit Einschränkungen – „Dialektik der Satire. Zur Komik von Robert Gernhardt und der Neuen Frankfurter Schule“ von Klaus Cäsar Zehrer (2001).
Angesichts der Schwächen in der wissenschaftlichen Literatur werden die Grenzen dieser Arbeit schnell deutlich. Es ist hier weder möglich, eine abschließende Definition des Genres oder eine Theorie des Kabaretts zu erarbeiten. Zur Bewertung der Situation von 1968 können nur die vorhandenen Fragmente herangezogen werden. Aus Platzgründen fällt die Darstellung von Ensembles und Nummernbeispielen verhältnismäßig kurz aus. Es soll bloß ein grober Eindruck des „wie“ vermittelt werden, um die Zeitgebundenheit des Erfolgs dieser Art Kabarett zu verdeutlichen. Andere interessante Sachverhalte, wie die Bewertung der APO-Kabaretts in der DDR, zu der im Laufe der Recherche sehr interessante Primärliteratur auftauchte, muss hier aus Platzgründen und im Sinne einer angemesseneren Beschäftigung an anderer Stelle ebenso entfallen.
2. „Theorie“ des Kabaretts
Um spezielle Formen des Kabaretts einordnen zu können oder ernsthafte Aussagen über die Wirkungsmöglichkeiten oder den „Anspruch“ einer Kabarettveranstaltung machen zu können, bedarf es geeigneter theoretischer Grundlagen. Dazu gehört eine mehr oder minder allgemeingültige Definition des Begriffs „Kabarett“, die Klärung von Komponenten und deren Wechselwirkung sowie die Eingebundenheit in den sozialen Kontext. Dies alles ist von der spärlichen wissenschaftlichen Literatur zum Thema bisher nicht befriedigend, geschweige denn abschließend geleistet worden. Die meisten Veröffentlichungen sind populärwissenschaftlicher bzw. unterhaltsamer Natur, wissenschaftliche Werke sind die Ausnahme. Diese sind zudem nur sporadisch über die Jahrzehnte verteilt.
Zwei Werke bilden im Folgenden den Hauptbezugspunkt für die theoretische Auseinandersetzung und im Zuge dessen auch für die Bewertung der Arbeitsergebnisse: Eine gute Zusammenfassung bisheriger wissenschaftlicher Arbeiten zum Thema sowie wichtige neue theoretische Aussagen liefert Kerstin Pschibls „Das Interaktionssystem des Kabaretts. Versuch einer Soziologie des Kabaretts“ aus dem Jahr 1999, das als der geltende Stand der Wissenschaft gewertet werden darf. Es ist nahezu unbegreiflich, wie spät damit die erste interdisziplinäre Veröffentlichung zum Thema erschienen ist, wo doch Kabarett offensichtlich im Spannungsfeld von Kultur, Gesellschaft und Politik angesiedelt ist.
Da in der vorliegenden Arbeit aber der Bezug auf die Umbruchjahre vor und um 1968 zentral ist, gewinnt die theoretische Diskussion aus dieser Epoche an Bedeutung. Von 1967 datiert eine der wichtigsten theoretischen Veröffentlichungen zum Thema überhaupt: Jürgen Henningsens „Theorie des Kabaretts“, dessen Aussagen hier einfließen sollen.
Im Folgenden wird auf der Basis maßgeblich dieser beiden wissenschaftlichen Autoren unter wertender Einbeziehung von nicht-wissenschaftlichen Aussagen versucht, eine Definition von Kabarett zu skizzieren und die Diskussion um die Wirkungsmöglichkeiten des Genres herzuleiten.
2.1. Was ist Kabarett?
Die meisten Autoren – ob nun wissenschaftlich oder nicht – betonen die Ambivalenz des Genres. So bezeichnet beispielsweise Heinz Greul 1971 das Kabarett als „schillerndes Zwitterwesen aus Gesellschaftskritik und Entertainment“ (Greul 1971: 475). Damit nennt Greul die zwei wichtigsten Komponenten, zum einen den inhaltlichen Aspekt und zum anderen die Form der Vermittlung.
Worum es nun beim Kabarett „eigentlich“ geht, ist ein typisches Henne-Ei-Problem. Will Kabarett vor allem Kunst und Unterhaltung sein und reichert diese dann mit einer Aussage an, oder geht es eigentlich um die Gesellschaftskritik, die dann unter Verwendung künstlerischer Mittel transportiert wird? Dieses Problem kann nicht eindeutig entschieden werden. In den hundert Jahren seit der Entstehung des Kabaretts sind verschieden Formen desselben aufgetreten, die einen unterschiedlichen Schwerpunkt gesetzt haben. So sind artistisches und literarisches Kabarett eher auf der Seite der Kunst angesiedelt, während beim politisch-satirischen Kabarett, das im Deutschland der Nachkriegszeit dominierte, der Aspekt der Kritik stärker in den Vordergrund rückt (Budzinski/Hippen 1996: 164f.). Nicht einmal hier kann man aber sicher sein, dass es um die Kritik geht, oder ob sie eben zum primären Formelement geworden ist. Im Folgenden soll der Schwerpunkt auf dieser Form des Kabaretts liegen, die in der Mehrheit eine linke politische Einstellung transportiert.
Nun kann man sich dem Kabarett von der kultur- bzw. literaturwissenschaftlichen Seite nähern und es vor allem als Kunstmischform betrachten, in die vorzugsweise Drama und Literatur, aber auch Tanz und Musik einfließen. Interessanter ist jedoch eine darüber hinaus gehende soziologische Betrachtungsweise, die zusätzlich zum künstlerischen „wie“ eine Beschreibung des Interaktionsprozesses und damit Hinweise auf die Wirkungsmöglichkeiten des Genres liefern kann.
Denn eine Kabarettveranstaltung ist in erster Linie ein soziales Phänomen, das gewissen festen, meist impliziten Spielregeln folgt (dazu v.a. Pschibl 1999). Die Symbiose zwischen Kritik und Unterhaltung bzw. Kunst ist ausgesprochen eng. Deshalb ist es auch so schwer, Kabarett von außen zu definieren. Zuschauer und Kabarettist schaffen gemeinsam eine soziale Realität, die es zunächst unvoreingenommen zu betrachten gilt. Bei der Analyse obligatorischer Elemente für Kabarett fällt auf, dass eigentlich „nur“ der Kabarettist und sein Publikum unabdingbar sind (Fleischer 1989: 70). Nicht einmal Text ist zwingend (Pantomime!). Solange die Teilnehmer einer Kabarettveranstaltung sie als solche wahrnehmen, ist es auch eine. Eine externe Aufteilung in „richtiges“ und „falsches“ Kabarett geht daher auf jeden Fall an der Realität vorbei. Dennoch ist das eine der beliebtesten Tätigkeiten der Autoren, die sich in den vergangenen Jahrzehnten mit Kabarett beschäftigt haben, was sich noch einmal in der Diskussion über die Wirkungsmöglichkeiten widerspiegelt (s.u.). Eine echte empirische Untersuchung des sozialen Phänomens „Kabarett“ steht noch aus.
Eine Zusammenstellung der wichtigsten Formelemente des Kabaretts liefert Kerstin Pschibl (Pschibl 1999: 115ff.). Die Soziologin definiert „gutes“ Kabarett als störungsfreie Interaktion im sozialen Prozess. Zum Kabarett braucht es also einen Sinn vermittelnden, diskursiven Prozess, bei dem sowohl dem Kabarettisten als auch dem Publikum spezifische Interaktionswerkzeuge zur Verfügung stehen. Auch Pschibl betont den starken Publikumsbezug. Dabei wird das Programm auf das Publikum angepasst, ggf. mit Elementen der Improvisation, aber schon bei der Themenvorauswahl.
Ein von ihr immer wieder betontes Formelement ist, dass der Kabarettist als „Gleicher unter Gleichen“ agiert. Es herrscht eine Art Grundeinverständnis zwischen ihm und dem Publikum; beide haben vergleichbares Sonderwissen und verwenden den gleichen kulturellen Code. Denn das Kabarett ist durch die komplexen Spielregeln und „Rahmeneulenspiegeleinen“, d.h. beispielsweise Ironie, schemenhafteste Andeutung oder Publikumsbeschimpfung, extrem störanfällig und „funktioniert“ als solches nur mit einem Grundeinverständnis. Deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass das Kabarettpublikum ein freiwilliges ist. Es entscheidet sich bewusst für den Besuch einer Kabarettveranstaltung.
Darüber hinaus ist Kabarett für Pschibl eine Alltags-Paradoxie und keine Belehrung (schließlich ist der Kabarettist Gleicher unter Gleichen); da der Alltag veränderlich ist, veraltet Kabarett schnell – der Zeitfaktor spielt beim Kabarett eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Kabarett ist festgelegt auf eine gewisse „Anti-Haltung“: Es muss gegen etwas sein, und zwar gegen einen aktuellen gesellschaftlichen Zustand (Pschibl 1999: 47ff.). Im Selbstverständnis des politisch-satirischen Kabaretts hat dabei das Kabarett die Kritik zur Kunstform erhoben. Was den Kabarettisten von einem aufgebrachten Redner unterscheidet, ist die spezifische Form der Kritik. Unter Verwendung verschiedenster humoristischer Mittel und in der Interaktion mit dem Publikum erhält die Kritik eben jenen Mehrwert, der die Zuschauer zum Besuch einer Kabarettveranstaltung veranlasst: Die Kritik bekommt Unterhaltungswert. Wie viel Unterhaltungswert die Kritik verträgt, um noch kritisch zu bleiben, ist das Hauptdilemma, dem sich das Kabarett um 1968 gegenüber sieht.
Da das Kabarett insbesondere von der Interaktion zwischen Kabarettist und Publikum abhängig ist, kommt dem Kabarettisten als dem aktiveren Part auf der Bühne die entscheidende Rolle zu. Zu den kabarett-immanenten Spielregeln gehört, dass der Kabarettist ein „aufklärerischer Gesellschaftskritiker“ ist. Das ist seine Rolle – die persönlichen Motive können davon sehr verschieden sein (Selbstdarstellung, Geld, Unterhalter sein). Dennoch gelten Kabarettisten „auf der Bühne, aber auch darüber hinaus auch in ihrem Privatleben als ‚Oppositionelle per se’ dazu noch links-kritisch. Diese Erwartungshaltung ist direkt mit ihrer Glaubwürdigkeit verknüpft (Pschibl 1999: 185ff.). Deshalb konnte sich um 1968 auch die Debatte ums Kabarett so aufschaukeln: Ist denn ein allgemein angesehener und beliebter, am Ende noch gut verdienender Kabarettist noch glaubwürdig kritisch und links?
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Kabarett eine Kunstmischform ist, die aber insbesondere als soziales Phänomen von Interesse ist. Dabei sind die wichtigsten Elemente der Kabarettist und sein Publikum, die in einem sozialen Prozess mit festen Spielregeln interagieren. Der Inhalt der Kommunikation sind Alltagsparadoxien, also aktuelle Gesellschaftskritik (insbesondere im politisch-satirischen Kabarett), wobei die Verzerrungen und Anspielungen nur von einem freiwilligen Konsenspublikum wirklich verstanden werden.
2.2. Die Diskussion um die Wirkungsmöglichkeiten
Insbesondere in der nicht-wissenschaftlichen Debatte wird immer wieder die aufklärerische Funktion von Kabarett betont. Dabei wird davon ausgegangen, Kabarett könne neues Wissen vermitteln, den Sinn für die Verhältnisse schärfen, die kritische Grundhaltung in der Bevölkerung verstärken etc.
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