Graffiti Writing in Deutschland. Seine Ästhetik und sein sozialer Kontext

"Imagine your name here"


Examensarbeit, 2007

114 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Wie alles begann
1.1. Vorwort zur überarbeiteten Fassung
1.2. Einleitung

2. Was bedeutet Graffiti-Writing?
2.1. Zur Etymologie und heutigen Verwendung des Begriffs
2.1.1. Zum Forschungsstand
2.2. Abgrenzung von Writing und Straßenkunst
2.3. Die historische Entwicklung der Writing-Kultur
2.3.1. Writing in New York
2.3.2. Writing in Europa
2.3.3. Writing in Deutschland
2.3.4. Writing in Berlin
2.4. Exkurs „Style Wars“

3. Die Ästhetik der Writing-Kultur
3.1. Das Tag
3.2. Das Throw-Up
3.3. Das Piece
3.4. Sonderformen

4. Zwei Essays zur Graffiti-Theorie
4.1. Der Essay „the faith of graffiti“
4.2. Der Essay „KOOL KILLER oder Der Aufstand der Zeichen“
4.3. Die Broken-Window-Theorie
4.4. Der urbane Code im Bild der Öffentlichkeit
4.4.1. Rezeption von Writing
4.4.2. Wem gehören die Zeichen?
4.4.3. Wem gehört die Stadt?
4.5. Motivation zum Zeichen
4.5.1. Anonymität und Identität

5. Von der Subkultur zum Mainstream
5.1. Legalität
5.1.1. Illegalität
5.2. Writing als ephemeres Zeichen
5.3. Der Begriff der Subkultur
5.4. Writing und die Kulturindustrie
5.4.1. Tags sells
5.4.2. Im Namen der Dose
5.5. Exkurs: Writerinnen

6. Ist Graffiti-Writing Gegenwartskunst?
6.1. Das Selbstverständnis der Writing-Kultur
6.2. Das Projekt Jazzstylecorner
6.2.1. AKIM alone again
6.3. Graffiti-Writing als Kunstform

7. Zusammenfassung

Anhang

Fußnoten

Nachweis der Abbildungen

Glossar

1. Wie alles begann

1.1. Vorwort zur überarbeiteten Fassung

Nach nunmehr zwei Jahren kann ich mit ein wenig Stolz diese Arbeit in einer durchgesehenen Fassung der Öffentlichkeit übergeben, denn sie war von Anfang an dazu gedacht, sich jenem kritischen Blick der hier behandelten Jugendkultur zu stellen und den Writern sowie allen anderen Interessierten zur Diskussion gestellt zu werden. Inhaltlich hat sich in dieser Zeit wenig an meinen Ergebnissen verändert, wenn man davon absieht, dass sich die im Nachfolgenden beschriebenen Tendenzen innerhalb der Writing-Kultur eher noch verstärkt haben und diese Form der gesellschaftlichen Abgrenzung sich dadurch weiterhin auf einem Weg der Ver-einnahmung durch die Stammkultur befindet. Dies ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, denn wie ich ausführlich darlegen werde, bestätigen gerade diejenigen Writer, die am stärksten gegen eine Art der gesellschaftlichen Einheitlichkeit sich zu stemmen vermeinen, die Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die ein solches System benötigt, um weiterhin bestehen zu können.

Es ist also im Jahr 2009 längst kein Akt der subversiven Rebellion mehr, wenn jemand sein Tag (Pseudonym) an eine Wand oder einen Bahnwaggon schreibt, sondern vielmehr ein Beleg der individualisierten Ausdrucksformen in einer pluralistisch, demokratischen Sozialstruktur.

Dennoch haben die 'wilden Zeichen' nichts von ihrer geheimnisvollen Schönheit eingebüßt, die ebenfalls auch nach so vielen Jahren ihrer globalen Verbreitung noch immer den Reiz des Graf­fiti-Writing ausmachen. So sollen denn auch die Entwicklung dieser Zeichengattung in Deutsch­land und ihre Bewertung in den unterschiedlichen Kontexten von Vandalismus bis Gegenwarts-kunst in einem möglichst wertfreien Rahmen stattfinden, wobei ich von vorne herein meine Be-fangenheit eingestehen möchte, dass ich ihnen (natürlich) wohlwollend gegenüber stehe.

Wie könnte ich sonst mein Leben dem Sichten und Lesen von Tausenden von Seiten und dem Verfassen von mindestens Hunderten von Seiten widmen, wenn ich damit nicht die Hoffnung hegte, einen kleinen Beitrag zur wissenschaftlichen Professionalisierung dieser semiotischen Grenzform zu leisten.

Das Literaturverzeichnis ist auf dem Stand vom Juni 2009, wobei gerade durch die Kommerzia-lisierung nicht wenig zu einer visuellen Reizüberflutung am Markt beigetragen wird, der diese Subkultur seit Anfang der 1990er Jahre auch in Deutschland begleitet. Die wesentlichen Titel werden auch gegenwärtig nicht zu vermeiden sein, will man sich ernsthaft mit der Bedeutung des Writing-Codes auseinander setzen; einige Publikationen wurden ergänzt, die mir bei mei-nen Recherchen 2006/07 noch nicht zur Verfügung standen.

Abschließend bekenne auch ich mich der nicht lizensierten Verwendung von Bildmaterial schul-dig, ohne welches der Text allerdings weniger anschaulich wäre. Da ich allerdings fest davon überzeugt bin, dass der Buchmarkt sich in den kommenden Jahren auf die open-content Ver-marktung durch das Internet wird einstellen müssen, gehe ich hier mit einem guten Beispiel voran und stelle meine Forschungsergebnisse kostenlos zur Verfügung, ziehe demnach auch keinen Gewinn aus dem geistigen Eigentum anderer, insbesondere der Fotografen, die mehrere der Bilder auf den kommenden Seiten geschossen haben.

Hamburg, Oktober 2009

1.2. Einleitung

Vor ungefähr zwei Jahren lief ich das letzte Mal durch den Louvre in Paris.

Es herrschte bereits frühlingshaftes Tauwetter in der Stadt an der Seine, obgleich es durch den Regen noch angenehm kühl war.

In weniger als drei Stunden war ich von den an diesem Abend anwesenden kunstinteressierten Menschenmassen durch den gesamten ersten Stock geschoben worden, so dass ich eine ge-fühlte Zeit von fünf Sekunden vor jeder der großformatigen Leinwände hatte zubringen können. An die Namen der Künstler oder die Titel der einzelnen Gemälde erinnere ich mich kaum. Delacroix, Ingres, van Dyck ... Namen von altem Glanz.

Dem Andrang der Touristen geschuldet konnte ich unmöglich länger vor einem einzelnen Werk betrachtend verweilen, denn die schiere Zahl der Besucher nötigt den Einzelnen zu schnellem Konsum.

Mir kam an diesem Tag zum ersten Mal der Gedanke, dass ein solches Vorbeifliegen der klassischen Malerei nicht die angemessene Form der Betrachtung sein kann und daher diese Art der Malerei überhaupt nicht mehr den heute gängigen Sehgewohnheiten entspricht.

Ein weiterer milder Frühlingsabend in einer anderen europäischen Großstadt – Berlin.

Die Fahrt von der S-Bahnstation Berlin Schönhauser Allee über den ehemaligen Grenzstreifen, der bis 1989 die Stadt teilte, bis zur Station Gesundbrunnen im früheren Westberlin dauert heute nur noch knapp anderthalb Minuten. Aber in diesen anderthalb Minuten rauscht der arglose Passagier an einer Menge visuellen Inputs vorbei, der seinesgleichen sucht.

BAD, DISTER, AKIM, EHSONE ... Namen von unmissverständlicher Intensität.

Meterhoch und dichtgedrängt kleben sie an den Wänden der Tunnel, an den Brückenpfeilern und Häuserfassaden, an den Schallschutzmauern und den Betonabdichtungen. Groß, bunt und ins Auge stechend – man kann sich ihrer optischen Präsenz gar nicht entziehen, selbst wenn man es wollte.

Das Schauen aus dem Fenster rückt ohne Ausweichmöglichkeit Bilder ins Blickfeld des Betrachters, die heutzutage in mindestens ähnlicher Größe wie die alten Meister des Louvre um die Aufmerksamkeit des Schauenden kämpfen. Urbanes Graffiti zu Beginn des 21. Jahrhunderts.1 Oder besser gesagt: in erster Instanz kryptisch anmutende Zeichen, die sich neben- und übereinander lagernd die Wände entlang schlängeln, so dass aus dem vorbei rauschenden Zug eine Art zweiter Haut, ein Überzug aus Farben, an den Mauern suggeriert wird.

Manch einer wird es vielleicht für vermessen halten, wenn ich die Ölgemälde aus dem Louvre mit den Aerosol-Bildern auf Berliner Spritzbetonpfeilern gleichsetze, doch die Provokation geschieht in voller Absicht.

Damit möchte ich mich nicht von vorn herein für eine Gleichsetzung der Tafelmalerei mit den Produkten einer Subkultur aussprechen, deren Resultate in erster Linie von der Öffentlichkeit als Sachbeschädigung, Zerstörung oder zumindest adoleszentes Kräftemessen ausgelegt werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 - Die S-Bahnlinie zwischen Schönhauser Allee und Gesundbrunnen, Berlin

Es muss meines Erachtens aber doch nach einem Vierteljahrhundert der stetigen Präsenz von Graffiti-Schrift innerhalb unserer Gesellschaft die Frage erlaubt sein, in welcher Weise sich die Zeichen jenes subkulturellen Systems in den Diskurs der gegenwärtigen Kunstgeschichte einbringen lassen und welcher Stellenwert ihnen gegenüber den traditionellen Zeichensystemen wie der Malerei, der Grafik und eher jüngeren Ausdrucksformen wie der Werbung und Anzeigentypografie zukommt.

Damit ist noch kein Wort über den Gehalt der Zeichen des Graffiticode selbst ausgesagt.

Daher gilt es in dieser Arbeit zunächst, das Zeichensystem der urbanen Graffiti-Kultur in seinen einzelnen Ausprägungen vorzustellen und anhand exemplarischer Abbildungen ein Fazit zu treffen, inwiefern durch die ästhetische Komponente von Graffiti-Zeichen diese als verbindliche visuelle Ausdrucksform aufgefasst werden. Und zwar aufgefasst als ein neues Zeichensystem, das sich in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren in Deutschland etabliert hat und möglicherweise als ein weltweit verständlicher Code anzusehen ist.

Zu diesem Zweck werde ich mich nach einem historischen Abriss über die Entwicklung der Graffiti-Kultur auf die Hauptstadt Berlin konzentrieren, da hier nicht nur das politische Zentrum zu finden ist, sondern Berlin daneben als eine der Graffiti-Metropolen Europas angesehen wird.2 Einleitend wird ein Überblick über den Forschungsstand gegeben, denn die Graffiti-Szene zeichnet sich – dabei beziehe ich mich nur auf Deutschland – keineswegs durch eine differen-zierte Darstellung im zeitgenössischen Diskurs aus, und nicht zuletzt dies zu ändern ist mein Anliegen mit der vorliegenden Arbeit.

Ein Problem der Graffiti-Kultur ist wohl unbestritten ihr schlechter Ruf in der Bevölkerung, die sich gegenüber den schon mehrfach genannten urbanen Zeichen tendenziell ablehnend zeigt. Es besteht andererseits keineswegs ein Interesse von Seiten der Teilhaber an jener subkultu-rellen Bewegung, vom sogenannten 'Otto-Normal-Verbraucher' überhaupt verstanden werden zu wollen, doch für eine Bestandsaufnahme bezüglich der Diskurstauglichkeit von Graffiti-Zeichen scheint es unumgänglich, dieses Missverhältnis zu beleuchten.

Die Graffiti-Kultur wird mittlerweile wie jede andere Subkultur in einer Menge von Büchern und Zeitschriften dokumentiert, die sich in enormer Bandbreite mit dem Phänomen selbst befassen, es aber hinsichtlich einer Außendarstellung nicht vermögen, die kryptisch anmutende Ästhetik der einzelnen Bilder aufzubrechen und damit auch für nicht Eingeweihte verständlicher zu machen.

Eine Forderung danach ist meines Erachten sinnlos, da insbesondere der Reiz zur Teilhabe an jener vermeintlichen Subkultur sich zu einem nicht geringen Maße gerade aus der Exklusivität dieses Eingeweihten-Status ergibt und damit bewusst eine Abgrenzung zum 'unwissenden Rest' der Menschheit geschaffen werden soll.

Auch dieser Aspekt der soziologischen Bedeutung von Gruppenzugehörigkeit und Abgrenzung wird in einem gesonderten Kapitel der ausführlichen Betrachtung unterzogen.

Die mediale Darstellung der Graffiti-Kultur erfolgt demnach weitestgehend nach innen gerichtet und erschließt dadurch keine außenstehenden Blickwinkel.3

Aus Perspektive der Presse erfolgt die Vermittlung des Phänomens zumeist mit eindeutig negativer Konnotation4, so dass durch die relative Geschlossenheit der beiden Fronten kurzfristig kein fruchtbarer Dialog über das visuelle Phänomen der Graffiti-Zeichen selbst stattfinden wird.

Ein wissenschaftlicher Text, der schon sehr früh die Bedeutung der 'wilden Zeichen' für die Entwicklung des öffentlichen Raumes beschreibt, ist Jean Baudrillards „KOOL KILLER oder

Der Aufstand der Zeichen“. Auf diesen werde ich mich bei der Beschäftigung mit dem ästhetischen wie sozialem Gehalt der Schriftzüge neben dem Essay „the faith of graffiti“ des amerikanischen Schriftstellers Norman Mailer maßgeblich beziehen.

Baudrillards Essay von 1975 bildet den theoretischen Bezugspunkt zur Betrachtung der heutigen urbanen Zeichen und wird dabei durch seine zeitliche Distanz der Prüfung unterzogen, inwiefern die damaligen Aussagen über Graffiti heute noch Gültigkeit besitzen. Als 'Lackmustest' wird der Essay Mailers von 1974 hinzugezogen, welcher einen unterschiedlichen Ansatz verfolgt, das Phänomen Graffiti-Writing für seine Leser nachvollziehbar zu machen.

Abschließend möchte ich meine eigene Vorgehensweise erläutern, damit beim Lesen des Textes keine Missverständnisse auftreten. Verwendete Begriffe des subkulturellen Soziolekts sind im Glossar erklärt. Die Eigennamen der von mir zitierten oder als Beispiel herangezogenen Sprayer stehen jeweils in Versalien – wie zum Beispiel AKIM – und ich behandle diese von den Protagonisten der Szene selbst gewählten Pseudonyme wie einen Künstlernamen. Ohne dass ich damit die Person hinter AKIM bereits in die Nähe eines Eugène Delacroix oder Jan van Dyck rücken möchte, erachte ich diese Vorgehensweise als notwendig, denn bei einer mit den Pseudonymen verbundenen Betrachtung der Zeichen muss die eindeutige Zuordnung gewährleistet sein. Somit wird der 'Künstlername' selbst als einziges Indiz dafür dienen, von welchem konkreten Urheber der Graffiti-Zeichen die Rede ist.

Jeder Writer, so der Terminus für die Person, die sich mit der Ausführung seines (oder ihres)5 Pseudonyms im öffentlichen Raum beschäftigt, ist aufgrund seines Namens eindeutig identifizierbar – dass es zu Mehrfachbelegungen des gleichen Pseudonyms kommen kann, lasse ich dabei außer Acht.

Abschließend werde ich die These entwickeln, inwiefern die Betätigung des 'Schreibens' aus dem einstmals subkulturellen Antrieb, sich der Mainstream-Kultur bewusst entgegen zu stellen und sich abzugrenzen, heute noch eine Bedeutung hat. Oder ob nicht mittlerweile durch die Dauer des Phänomens Graffiti-Writing außerhalb seines Entstehungskontextes ein Abnutzungs-effekt einsetzt, der jede weitere scheinbar subkulturelle Betätigung lediglich als Reproduktion erscheinen lässt.

In diesem Zusammenhang werde ich am Ende noch einmal auf die Frage der künstlerischen Urheberschaft zurückkommen und durch Aussagen von Beteiligten aus der Writing-Kultur ergänzen, ob und in welcher Weise die Schöpfer der urbanen Zeichen mit den Urhebern der ikonographischen Zeichen aus dem Louvre berechtigterweise in einen gemeinsamen Kontext gebracht werden können – oder eben nicht.

2. Was bedeutet Graffiti-Writing?

„I´ll do graffiti if you sing for me in french.“6

2.1. Zur Etymologie und heutigen Verwendung des Begriffs

Zuerst soll der Bereich meiner Untersuchung genau benannt und eingeschränkt werden, wobei sich in diesem Fall das Lexem 'Graffiti' als problematisch erweist.

Graffiti im herkömmlichen Sprachgebrauch leitet sich etymologisch vom griechischen 'graphein' ab, was soviel wie 'schreiben' meint.7 Daraus wird im Lateinischen der Begriff 'graphium', der den Griffel bezeichnet, der einerseits als Reißfeder zum Zeichnen dient, andererseits ein Schreibgerät benennt, mit dessen spitzem Ende Zeichen in ein Täfelchen eingraviert werden.8 Daneben bezeichnet das verwandte 'sgraffito'9 im vulgärlateinischen die Ritzzeichnungen an öffentlichen Wänden, was der heutigen Verwendung des Wortes inhaltlich schon sehr nahe kommt. Die mit einer bestimmten Fassadengestaltung verbundene Technik des ornamentalen oder figürlichen Kratzens in eine helle Kalkschicht auf einem dunkeln Untergrund verbreitet sich seit dem 14. Jahrhundert von Italien aus bis nach Böhmen und Schlesien.10

„Die weite Verbreitung des 'Kratzputzes', des 'sgraffito' oder 'graffito', hat auch die Bezeichnung selbst lebendig gehalten. Dies war die Voraussetzung für einen Bedeutungswandel des Begriffs, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts belegbar ist. Die im Wort selbst mitgetragene technische Komponente war ein wesentlicher Anhaltspunkt für eine Bedeutungsveränderung. [...] In deutlicher Unterscheidung zu den offiziellen Inschriften auf antiken Monumenten wurden nun mit der Bezeichnung 'graffiti' alle übrigen Kritzeleien und Ritzzeichnungen bezeichnet. Mit den 'graffiti' war damit das Nichtoffizielle verbunden, und dies dominierte den Begriff schließlich stärker als die technische Ausführung durch das Kratzen.“11

Dadurch wird der Bedeutungsrahmen im Verlauf der Zeit weit geöffnet und 'Graffiti' können von Kratzbildchen in Mauern, Liebesbekundungen in einer Baumrinde und von Schablonenbildern bis zu mit Pinsel gemalten Murals – großformatigen Wandbildern – alles Mögliche sein.

Diese Definition bleibt jedoch zu umfangreich und für eine eingehendere Analyse nicht eindeutig genug, weshalb ich mich auf einen deutlich davon abzusetzenden Bereich des Graffiti beschränke – das Writing, womit meist jugendliche Graffitimaler das Schreiben ihres Namens bezeichnen.12

Der Autor eines deutschen Hip Hop Magazins umschreibt die Misere der Vermischung beider Begriffe sogar damit, dass „[i]n den Medien [...] die meisten sowieso als 'Sprayer' bezeichnet [werden]. Und diese oberflächliche, nicht genaue Differenzierung von außerhalb des Movements [...] wurde freiwillig von vielen Writern übernommen.“13 Weiterhin heisst es hier zur gleichen Thematik: „Die Gesellschaft mit ihren Institutionen gab Writern diesen 'Stempel', weil sie da nicht ganz durchgeblickt hat, was damals auf sie zu kam und vor allem, was dahinter steckte, ideologisch gesehen. Da haben sie es erst einmal degradiert und damit gleichzeitig den Writern den künstlerischen Anspruch in der öffentlichen Diskussion genommen.“14 Der Verfasser empört sich demnach gegen eine Vereinheitlichung der Subkultur, in der das Schreiben des Pseudo­nyms mit dem Terminus Graffiti benannt würde und damit „[...] zu der Gruppe von Höhlenmale-rei, Politparolen und Nonsenssprüchen [gehört]“15, wovon sich die Motivation der Writer aller-dings maßgeblich unterscheidet.

Noch deutlicher äußert sich der New Yorker RAMMELLZEE zur gleichen Problematik: „Niemand von uns macht Graffiti, Ihr macht Graffiti. Ihr nennt es nur deshalb Graffiti, weil nie jemand es jemals anders bezeichnet hat. Was das betrifft, ist der festgerostete Charakter des mensch-lichen Verstandes sehr, sehr bekannt. Also müsst Ihr selbst auswählen, was Graffiti ist.“16

Der korrekte Begriff 'Writing' leitet sich vom Englischen 'to write' (dt.: schreiben) ab und trifft damit bereits den Kern der Sache, wobei durch die Endung -ing im Englischen der aktive Charakter jener Handlung betont wird. In der Selbstwahrnehmung der Writer schreiben diese nichts anderes als ihren Namen, d.h. ein selbstgewähltes Pseudonym, auf Gegenstände im öffentlichen Raum.

Um dieses Phänomen allein soll sich mein Aufsatz auf den kommenden Seiten drehen; selbstgewählte Namen von Jugendlichen, die heute in deutschen Städten den größten Teil von Graffiti im öffentlichen Raum ausmachen, und ihre Bedeutung. Dazu gesellt sich die Frage nach der Intention und Motivation der Produzenten und die Reaktion der unaufgefordert zum Betrachter werdenden Öffentlichkeit.

2.1.1. Zum Forschungsstand

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, findet zum Gegenstand der urbanen Zeichen von Writern keine anerkannte wissenschaftliche Forschung statt. Die Dokumentation der Subkultur erfolgt weitestgehend von innen heraus und richtet sich demnach an Teilnehmer der Writing-Kultur. Aufgrund der Entstehung im New York der Sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts liegen im englischsprachigen Raum bereits seit längerer Zeit Veröffentlichungen vor, die sich mit dem damals neuartigen Phänomen der Writing-Kultur auseinander setzen.17

Diese Bücher werden an geeigneter Stelle mit in die Untersuchung einbezogen, sind darüber hinaus im Literaturverzeichnis, sofern es mir möglich war, sie heute noch zu beschaffen, aufgelistet, werden jedoch durch meine Beschränkung auf Deutschland an dieser Stelle nicht einzeln aufgeführt.

Dennoch muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass für die Herausbildung einer Szene in Deutschland maßgeblich die amerikanischen Druckerzeugnisse verantwortlich sind, die mit einiger Verspätung zu Beginn der Achtziger Jahre die damalige BRD erreichen. Exemplarisch gebe ich die Antwort des Writers MAGIC wieder, woher zu Beginn der achtziger Jahre die ersten Writing-Vorbilder kommen: „Selbstverständlich, wie bei fast jedem, aus dem Buch 'Subway Art'. Das war damals der Ideenanteil Nr.1.“18 Im Kompendium „25 Jahre Hip Hop in Deutschland“ von Verlan und Loh gehen die Autoren nur in einem relativ kurzen Abschnitt auf die ersten aktiven Writer in Deutschland ein, da ihr Fokus auf der Entwicklung der Rapmusik-Szene liegt.19

Daneben haben jedoch seit Mitte der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts einige Verlage auch im deutschsprachigen Raum das kommerzielle Potenzial entdeckt, das sich mit der Veröffentlichung von Büchern über diese Subkultur abschöpfen lässt, so dass mittlerweile eine beachtliche Anzahl von Publikationen zum Thema 'Writing auf deutschen Wänden und Zügen' vorliegt.

Vorreiter ist dabei der Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, der bereits 1994 mit der Ver-öffentlichung von „Spray City – Graffiti in Berlin“ den Sonderstatus der deutschen Hauptstadt betont, wobei berücksichtigt werden muss, dass der in Berlin ansässige Verlag bei seiner ersten Veröffentlichung zu diesem Thema den lokalen Fokus als ausreichend empfunden haben mag. Denn noch im gleichen Jahr bringt der Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag mit dem Buch „Graffiti Art – Deutschland“ einen Nachfolger auf den Markt, der bis heute den Status eines unumgänglichen Standardwerkes genießt, obgleich auch in diesem Fall lediglich die großen Städte wie Hamburg, München, das Ruhrgebiet als Agglomerationsraum oder Frankfurt a.M. Beachtung finden. Es ist aber festzuhalten, dass zum Zeitpunkt des Erscheinens die Präsenz der geschriebenen Zeichen schon bis in den letzten Winkel der Republik vorgedrungen sein dürfte:20 „Doch im Laufe unserer Recherchen und Reisen mussten wir feststellen, dass bereits viele Städte dieses Landes mindestens ein eigenes Buch verdient hätten. Die Writing-Bewegung der Großstädte hat zu große Ausmaße angenommen, als dass sie sich in einem Buch oder gar in einem Kapitel umfassend darstellen lassen würde.“21

Damit ist eine Basis geschaffen, die in den darauffolgenden Jahren eine von der Writing-Szene als ambivalent betrachtete Entwicklung in Gang setzt, denn bis heute hat der Schwarzkopf &

Schwarzkopf Verlag fünfzehn Bücher herausgebracht, die sich in immer stärkerer Speziali-sierung mit einzelnen Facetten des Writing (Band 9: Graffiti auf Wänden und Mauern) oder klar begrenzten Regionen (Band 12: Graffiti in Sachsen-Anhalt) befassen. Somit wird auf der einen Seite der Drang der Writer bedient, für ihr Handeln die angestrebte Anerkennung der Szene zu erlangen, was durch eine Veröffentlichung der eigenen Bilder in einem der Bücher unbestreitbar gelingen dürfte.

Auf der anderen Seite sehen viele mittlerweile den Aspekt der Kommerzialisierung im Vordergrund, da durch eben diese Bücher auch die Beliebigkeit der gezeigten Bilder immer weiter ansteigt.

Der Writer KORE, dessen Arbeit u.a. in einem Buch des Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlags zu sehen ist, äußert sich dazu symptomatisch: „Grundsätzlich bin ich natürlich froh über Publikationen meiner Bilder. Aber Schwarzkopf betreibt eine Art Graffiti-Verramschung. Die Bücher sind oft lieblos gemacht, eignen sich vielleicht als Weihnachtsgeschenk für den Sprühbeginner ganz gut. Ansonsten kann man die kaum vorzeigen. Das mag sich arrogant anhören, aber diese Bücher [...] stellen für meinen Geschmack auch nicht die richtige Entwicklung dar.“22

Abgesehen davon, dass auch in dieser Originalaussage nicht deutlich zwischen den Begriffen 'Writing' und 'Graffiti' unterschieden wird, zeigt sich hieran doch die geteilte Meinung vieler Writer, dass eine Darstellung des Phänomens von außen stets mit negativen Aspekten behaftet ist.

Denn wenn Writing durch derartige Publikationen in der genannten Art und Weise dargestellt wird, „kommt [es] nie über den Status einer jugendlichen Malerei hinaus [...], weil Laien aufgrund der Masse an Bildern den Eindruck haben müssen, da seien ganz viele bunte Flecken.“23

Die Dominanz des Schwarzkopf Verlages hat nach den ersten Jahren der Monopolstellung aber auch dazu geführt, dass andere Verlage des Thema in ihr Programm aufgenommen haben (Prestel, Edition Aragon, Die Gestalten) und daneben auch Mitglieder aus der Szene selbst aktiv werden, so dass im Zuge einer Ausdehnung der Writing-Kultur in Deutschland im Jahr 2000 der Publikat Verlag gegründet wird, dessen Spektrum an Veröffentlichungen sich ausschließlich um Graffiti-Writing dreht.

Bei Publikat sind mittlerweile zahlreiche Bücher erschienen sowie 30 (!) Ausgaben des Maga-zins „Stylefile“, das sich mit der Entwicklung und Dokumentation von Writing in Deutschland und Europa befasst.

Zur Reihe der „Stylefile“-Veröffentlichungen gehören zudem mehrere Bücher, die Skizzen der Writer beinhalten, nach welchen das gesprühte Bild auf Wänden, Zügen oder weiteren Unter-gründen ausgeführt wird.

Kontrovers diskutiert wird seit der ersten Auflage 1996 das sogenannte Graffiti-Lexikon des Mediziners Dr. Bernhard van Treeck, der als interessierter Laie bereits zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen Writing-Szene vorweisen kann. Allerdings stoßen seine Ambitionen innerhalb der Subkultur auf wenig Anerkennung, da van Treeck mehrfach seinen Anspruch zum Ausdruck gebracht hat, eine eigene Sicht auf Graffiti in Deutschland zu präsentieren, wobei damit wiederum Writing und andere visuelle Erscheinungsformen im öffentlichen Raum miteinander gleichgestellt werden.

Mit der Subjektivität, die einem externen Blick zwangsläufig eigen sein muss, urteilt der Autor über die Relevanz von Writern, obgleich er deren Stellenwert innerhalb der über Jahre gewachsenen Subkultur heute gar nicht mehr ermessen oder nachvollziehen kann. So liest man in einer Rezension des Lexikons bezüglich der Pseudonyme von MASON, WHO, ENRO oder VOLA: „Diese und andere Namen sucht man vergebens im Lexikon. Im Vorwort wird dies wie folgt erklärt: 'Sprayer, die mittlerweile nicht mehr wichtig sind, wurden entfernt.' Ich denke, das bedarf keines weiteren Kommentars.“24

Zudem kann man im Graffiti-Lexikon „noch etwas über Politik, Drogen und andere Unwesentlichkeiten erfahren, was [...] recht wenig mit dem Writing an sich zu tun hat. [...] Glücklicherweise hat man dem Werk den Namen Graffiti-Lexikon gegeben, denn allmählich habe ich mich daran gewöhnt, dass mit dem Begriff Graffiti solch Schindluder betrieben wird.“25 Möglicherweise hat in diesem Fall die Form der Rezension die Kritik abgemildert, denn im freien Meinungsaustausch fallen zur gleichen Sache noch deutlichere Worte. Laut dem Berliner Writer KAOS 45 sei das Graffiti-Lexikon „[das beste Beispiel] wie verantwortungslos manche Leute mit Informationen umgehen. Das ist wirklich Futter für die Haie. Das sind richtige Toy-Informationen. [...] Dadurch wird zum Teil ein völlig falsches Bild von den einzelnen Personen geschaffen.“26 Obgleich der Unmut der Writer über derartige Bevormundung ihrer eigenen Kultur durchaus berechtigt ist, darf man meiner Ansicht nach das Lexikon nicht vollständig ignorieren, da neben den falschen oder ungenauen Darstellungen auch Aspekte zur Entwicklung von Writing auf Wänden Berücksichtigung finden, die sich zur Entstehung der gegenwärtigen Writing-Kultur als nützliche Informationen anbieten.

So geht van Treeck beispielsweise auf den Fluxus-Künstler Ben Vautier ein, der bereits vor der Entstehung von Writing mit Schreibperformances auf öffentlichen Wänden arbeitet.27

Das Graffiti Lexikon fasst Daten und Zitate zur Entwicklung der deutschen Writing-Kultur seit Beginn der 1980er Jahre zusammen, die man in einer solchen Bündelung in allen weiteren Publikationen vergeblich sucht. Genutzt hat es ihm anscheinend dennoch nichts, wenn ich abschließend zu diesem Werk noch einmal einen Insider der Writing-Szene zu Wort kommen lasse.

„[W]ie kann einer, der von einem ganz anderen Background kommt, behaupten dass unsere Writing-Kultur ohne Medien nicht zu dem geworden wäre, was sie heute ist [...] Nicht die Medien sind wichtig, sondern das Medium. [...] Es freut mich, 'daß sich eine positive Sichtweise von Graffiti etabliert hat in der Öffentlichkeit.' Dann sollte Dr. v.T. doch noch schnell ein Buch darüber schreiben, damit die Berliner Bevölkerung endlich auch ihre Meinung ändert; denn hier feiert man mit den Medien jeden Writer, der für´s Schreiben in den Knast geht.“28

Des weiteren heisst es in dem selben Artikel, der Autor bedaure, „dass gerade die Buchpublikationen der jüngeren Zeit im Kreuzfeuer der Kritik waren. Dr.v.T. hält das 'im Hinblick auf die Geschichte von Graffiti für nicht angemessen.' Zufällig waren sie auch zum größten Teil von ihm. Da kann man ihn verstehen – das berührt ihn persönlich, wenn Writer alte Publikationen wie 'Style Wars' oder 'Getting Up' nicht mit seinen Büchern auf ein und dasselbe Niveau stellen. Viele Writer sehen nicht den hohen Stellenwert in seinen Publikationen wie er.“29

Hier wird deutlich, wie sehr sich die Subkultur dagegen verwehrt, von außen Stehenden ver-einnahmt zu werden, bzw. durch diese in eine mediale Darstellung zu geraten, die ihrem Selbstverständnis nicht gerecht wird.

Schriften, die sich ausschließlich theoretisch mit dem Phänomen des Writing befassen sind neben den Essays von Norman Mailer und Jean Baudrillard nur vereinzelt erschienen. 1989 veröffentlicht der Dumont Verlag das Buch „An der Wand – Graffiti zwischen Anarchie und Galerie“, in dem sich verschiedene Autoren mit Zeichen an öffentlichen Wänden befassen.30 Allerdings betrachten die Autoren, ähnlich wie van Treeck, Graffiti als sehr weit gefasste Erscheinungsform individuellen Ausdrucks und legen hierbei besonders den Fokus auf historische Vorläufer von Graffiti-Writing.

So wird vom Herausgeber in erster Linie ein geschichtlicher Bezug zu den politischen Parolen und Fäkalsprüchen vergangener Jahrhunderte herzuleiten versucht, der lediglich im fünften Kapitel in der Nennung des aktuellen Writingphänomens mündet. Folgerichtig ist in diesem Zusammenhang von „New York Graffiti“31 die Rede, um diese Form der ungefragten Verbreitung von anderen Zeichen abzugrenzen. Ohne sich jedoch intensiver mit der Motivation und der Besonderheit dieser Äußerungsform zu befassen, wird vom Autor in diesem Fall schnell der Bogen zur Verwertung der jungen 'Kunstform' in den Galerien von Downtown Manhattan und Soho geschlagen, was sich bereits im Titel des Bandes andeutet.

Auf den Essay Baudrillards werde ich im vierten Kapitel noch eingehender zu sprechen kommen. Seine These lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass Baudrillard in den Tags und Pieces ein Zeichensystem von revolutionärer Bedeutung sieht, deren Relevanz heute meines Erachtens aber einer Aktualitätsprüfung unterzogen werden muss.

Erste psychologische Studien sind die Arbeiten „Anreizstruktur des Graffiti-Sprayens“32 und ein daraus folgender Aufsatz mit dem Titel „Was macht Spaß am Graffiti-Sprayen. Eine induktive Anreizanalyse“33, die beide an der Universität Potsdam entstanden sind und sich durch hohe Aktualität auszeichnen. Insbesondere im Zusammenhang nach der Frage von Motivation der Writer, ihre Zeichen allen Widrigkeiten zum Trotz zu verbreiten, werde ich auf diesen Ansatz in Kapitel 4.5. eingehender zu sprechen kommen.

Maßgeblich mit den ästhetischen Erscheinungsformen der Writing-Kultur setzt sich ein Buch aus dem Berliner Verlag Die Gestalten auseinander.34 Unter dem Titel „Writing – urban calligraphy and beyond“ wird erstmalig gezielt eine Publikation auf den deutschen Markt gebracht, die jede Erscheinungsform des Writing in einem Kapitel vorstellt, ihre Besonderheiten gegenüber anderen urbanen Zeichen deutlich macht und vor allem nach der Motivation und Intention der Verursacher fragt. Daneben befassen sich verschiedene Autoren, zum Teil aktive Writer, mit der Überschneidung von Writing-Ästhetik und Bereichen wie Werbung, Street-Art und Popkultur.

Dieses Vorgehen betrachtet die Signaturen der Writer bewusst objektiv und versucht durch einen ausführlich beschreibenden Ansatz eine Erklärung für die von ihnen ausgehende Faszination zu finden. Ferner liefert „Writing – urban calligraphy and beyond“ eine große Menge an aktuellem Bildmaterial zu Writern aus Berlin.

Das bei weitem theoretisch ausgerichtete Buch „Das Gedächtnis der Stadt schreiben“ aus dem schwedischen dokument förlag sei abschließend besonders zur Lektüre empfohlen, wenn man sich weniger mit den Bildern als ihrem urbanen Entstehungszusammenhang befassen möchte.35

2.2. Abgrenzung von Writing und Straßenkunst

Unter dem Begriff Street-Art (Straßenkunst) sind weitere visuelle Phänomene des öffentlichen Raumes zusammengefasst, deren Ästhetik sich stark mit der des Writing überlagert und auch zum Teil davon inspiriert ist.

Das Writing wenig bis überhaupt nichts mit anderen Darstellungsformen von Graffiti in Form von Sprüchen, Parolen, Schablonenbildern o.ä. gemein hat, wurde bereits gesagt. Zudem soll es vom ästhetischen Erscheinungsbild der Street-Art abgegrenzt werden, einer weiteren Mög-lichkeit, seinen Gestaltungswillen in der Öffentlichkeit kundzutun.

Ob und inwiefern das Umgestalten von Wänden, Laternenpfählen, Ampeln oder Mülleimern im öffentlichen Raum eine logische Entwicklung aus der Schriftform des Writing ist, bleibt im Zuge meiner Überlegungen am Ende zu klären. In diesem Fall hieße es, eine weitere Aufspaltung der Motivation vorzunehmen und insbesondere die geänderten Techniken ins Auge zu fassen. Entgegen dem üblichen Werkzeug der Writer, Aerosolfarblacken oder Tinte, äußert sich Street-Art in den meisten Fällen auf selbst gedruckten oder kopierten Postern, Aufklebern sowie jeglichem Material wie Holz, Keramik oder Blech, das sich mittels Werkzeugen oder Klebemitteln schnell im öffentlichen Raum einer Stadt anbringen lässt.

Hinsichtlich der Reputation seitens der Writer gehen auch in diesem Fall die Meinungen auseinander, wobei nicht alle die Meinung des Berliners KAOS 45 teilen, Writing selbst berge „[...] nichts Neues mehr. Daher reizt mich im Moment auch dieses Street-Art Ding sehr. [...]

Man sollte wieder mehr Dominanz ausüben. Graffiti tut das nicht mehr.“36

Ob demnach Street-Art ein Nachfolger, Stiefkind oder Doppelgänger von Writing sei, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden, nur soll auf den verwandten Charakter beider visueller Phänomene im Stadtraum verwiesen werden.

Für die wissenschaftliche Diskussion in dieser Richtung empfehlen sich die Publikationen von Reinicke (2007) und Lewisohn (2008, nur in englischer Sprache), die sich vornehmlich mit dem gegenwärtigen Verhältnis von Writing und Street-Art beschäftigen. Hierbei gibt Lewisohn eine sehr gut geschriebene, knappe Einführung in die Entwicklung von Writing und geht hernach auch stark auf die politische Dimension jeglicher urbaner Zeichensysteme ein, wohingegen Rei-nickes Arbeit einige Mängel in der Behandlung von Graffiti-Writing aufweist, da die Autorin ge-zielt eine Einschätzung der aktuellen Street-Art Diskussion („Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz“ lautet der Untertitel) vornimmt. Beide Bücher richten demnach ihrern Fokus mehr auf die Abgrenzung eines öffentlichen Codes von einem anderen, ohne wie im hier vorliegenden Fall die Bedeutung des speziell writing-basierten Codes genau zu untersuchen und auf seine Funktion (oder Fehlfunktion) zu befragen.

Daneben bleibt festzuhalten, dass in jüngerer Vergangenheit auch die Werbebranche sich die Ästhetik der urbanen Zeichen immer stärker aneignet, um auf dem Prestige des Verbotenen und der ästhetisch freien Äußerung die gewünschte Aussage zu transportieren. Dadurch wird unbewusst eine größere Akzeptanz für die illegalen Zeichen geschaffen, denn wenn diese (in leichter Variation) im Kontext von Werbeanzeigen, Billboards und Bannern wieder auftauchen, hat sich ihre Form schon einem positiv konnotierten Bedeutungsrahmen untergeordnet.37

2.3. Die historische Entwicklung der Writing-Kultur

2.3.1. Writing in New York

Aufgrund mangelnder Dokumentation zum Zeitpunkt, als das Phänomen der urbanen Zeichen in New York Ende der 1960er Jahre auftaucht, lässt sich rückwirkend nur schwer rekonstru-ieren, wo und wer zuerst seinen Namen an eine öffentliche Wand schrieb.38

Es heisst in einem Artikel der New York Times vom 21. Juli 1971, dass ein TAKI183 – mit bür-gerlichem Namen Demetrios – auf Botengängen durch die Stadt überall seinen Namen mit Filzstift geschrieben hinterlasse.39

Zu dieser Zeit beginnen die Jugendlichen in Big Apple, ihre Namen und/ oder Pseudonyme auf Wände in der Nachbarschaft zu schreiben, doch wird bis zu besagtem Artikel der Times keiner dieser schreibenden Teenager dafür pressewirksam ausfindig gemacht.40

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2 – NY Times 21.Juli 1971 Abb. 3 – Ein Subway Wholecar überquert den Bronx River

Durch das Verwenden des Decknamens wird eine Identität kreiert, die ursprünglich dazu dient, das eigene Revier oder das Gebiet der Nachbarschaft von anderen Revieren abzusetzen. In Form der sogenannten 'cholos' oder auch Ganggraffiti sind diese Markierungstags auch heute noch in amerikanischen Innenstädten gebräuchlich.41 Die 'cholos' sind von ihrer Intention her an den Ort gebunden und können daher nicht lokal beliebig platziert werden.

Das bedeutet jedoch, dass eine Rekonstruktion der Entstehung jener Zeichen nur einschließlich der Perspektive auf die städtebaulichen Gegebenheiten der 'ghetto neighborhoods' stattfinden kann.

Die Stadt New York42 hat zu diesem Zeitpunkt die Wohnsituation infolge von Bodenspekulation und fehlgeleiteter Wohnungsbaupolitk der Stadtverwaltung in den Bezirken Bronx und Brooklyn soweit vernachlässigt, dass „[i]n diesem Zusammenhang Graffiti weder primär als Vandalismus noch nur als innovative Straßenkunst gesehen sondern in die Reihe der Manifestationen einer ghettospezifischen Jugendkultur eingeordnet [werden]. Graffiti lassen sich in erster Linie aus den Existenzbedingungen des Ghetto erklären, und haben vor allem auch innerhalb der Lebenswelt des Ghettos ihre Funktion.“43

Inwiefern die Aussage zutrifft, die Tags der Writer seien lediglich vom Standpunkt ihrer Funktion innerhalb des Ghetto zu erklären, wird zu einem späteren Zeitpunkt eingehender diskutiert werden müssen. Zutreffend ist zweifelsohne die Ausgangsposition der Autorin, die die katastrophale Wohnsituation innerhalb bestimmter Bezirke New Yorks als Anlass nimmt, die soziale Situation zu kennzeichnen.

Hauptursache für den Verfall der Arbeiterwohnviertel in der Bronx ist der 1959 begonnene Cross-Bronx-Expressway unter der Leitung des Stadtplaners Robert Moses.44 Der Bau führt zur Zwangsumsiedlung von circa 170.000 Anwohnern, schließlich zum Preisverfall der noch bestehenden Mietshäuser und der fluchtartigen Abwanderung einer bis dato in der Bronx wohnhaften Mittelschicht. Nach Fertigstellung des Highway sieht sich die Stadt New York nunmehr genötigt, den in seiner Lebensqualität verminderten Wohnraum an sozial schwache Bürger zu vermieten. Das Viertel ist nach der städtebaulichen Maßnahme einer Autobahn, die mitten hindurch führt, geprägt von Perspektivlosigkeit und Kriminalität, was vorerst noch keiner-lei Bezüge zu den Zeichen der Writer herzustellen vermag.

In diesem Umfeld wird der Zusammenschluss von mehreren Jugendlichen derselben Nachbarschaft jedoch zum notwendigen Überlebensfaktor, wobei innerhalb der Gangs zwischen kriminellen Vereinigungen und „den vergleichsweise harmlosen Social Clubs, die eine Garage oder ein ungenutztes Ladenlokal zu ihrem Hauptquartier machen“45 eine erhebliche Diskrepanz besteht.

In jedem Fall dienen die Namenskürzel mit dem angefügten Straßennamen in erster Linie der Markierung eines 'turf', sprich eines bestimmten Gangterritoriums, die damit die symbolische Grenze für andere Gangs bedeuten.46

Nach und nach entfernen sich jedoch die geschriebenen Fantasienamen der Jugendlichen vom Anspruch der Reviermarkierung, da sie beginnen, ihren Namen auch in anderen Straßen und Stadtteilen zu verbreiten. Somit findet als erster Schritt eine Loslösung von der ehemaligen Bindung 'Name – Wohnbezirk' statt. Auch die Kinder in anderen Bezirken sollen von der Existenz des Schreibers erfahren. Mit diesem Anspruch der Verbreitung setzt eine enorme Steigerung des Taggens von Namen ein, wobei die Zeichen zu jener Zeit noch als 'single hits' bezeichnet werden.47

„TAKI 183 war ein Jugendlicher, der in der 183rd Street in Stadtteil Washington Heights in Manhattan wohnte, aber als Kurier arbeitete und per Subway durch alle fünf Stadtbezirke fuhr. Auf seinen Fahrten schrieb er seinen Namen überall hin, einschließlich der Innen- und Außen-seiten der Trains und auf alle Subway-Stationen.“48 Nachdem er von einem Journalisten der New York Times aufgespürt worden ist und sich bereitwillig zu seinem Handeln geäußert hat, erscheint der oben genannte Artikel, wobei die Überschrift „TAKI183 spawns pen pals“ (dt.: TAKI 183 züchtet weitere Schreiberlinge heran) bereits deutlich macht, dass der Junge mit seinem Handeln nicht mehr lange allein bleiben wird.

„Die Kids waren beeindruckt von dem Bekanntheitsgrad, den ein Name erlangen kann, wenn er in der ganzen Stadt auftaucht. [...] Der Konkurrenzkampf um Prestige ging aber erst richtig los, als Hunderte von Jugendlichen begannen, TAKI183 nachzuahmen und Trains wie auch öffentliche Gebäude in der ganze Stadt zu taggen.“49

Schon nach kurzer Zeit steht der Öffentlichkeit eine aus mehreren tausend Writern bestehende Geheimgesellschaft gegenüber, deren Namen zwar allerorts präsent sind, diese aber auch nur von Eingeweihten der Subkultur als bedeutungstragende Zeichen gelesen werden können. Bis Mitte der Siebziger Jahre haben sich die Tags der Jugendlichen innerhalb der gesamten Stadt ausgebreitet.

Da die Fläche insbesondere auf den Zügen der MTA50 begrenzt ist, ergibt sich für die Writer die Notwendigkeit, ihren Namen immer aufwändiger und ausgefallener zu gestalten, um sich von den anderen Pseudonymen abzuheben. Nur der kunstvoll gestaltete Schriftzug wird noch gesehen oder kann aus der schieren Masse heraus stechen.

Der Konkurrenzdruck forciert die weitere Entwicklung der urbanen Zeichen und „wie mit ihrem Stil begannen die Writer auch mit Umfang und Farbe zu experimentieren. Sie entdeckten, dass man mit Sprühfarbe große Flächen schnell ausmalen kann und eine neue Form, das so genannte 'Piece' war ins Leben gerufen. Bei diesem Begriff handelt es sich um eine Kurzform von 'Masterpiece' (Meisterstück), und die frühen Pieces bestanden einfach aus Tags, die mit einer anderen Farbe umrandet waren. Im Laufe der Zeit wurden die Buchstaben immer größer.“51

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4 – New Yorker Tags 1972 Abb. 5 – Piece in einer Subway Station

Damit ist der Ansporn unter den Jugendlichen ein wesentlicher Motor der Weiterentwicklung von einfachen zu komplexeren Zeichen und die Übergänge zwischen dem lediglich als Vandalismus angesehenen Tag und der künstlerischen Ausführung desselben werden fließend. Zudem rückt die Mobilität der Subway-Züge diese immer mehr ins Zentrum des Interesses.

„Graffiti as an art form began to flourish when the writers, as they had come to be known, turned to the subways to take advantage of the high visibility, the huge potential audience, and the link with other like-minded kids throughout the city.“52

Der Maßstab der Buchstaben wächst kontinuierlich, „bis beim ersten 'Top-to-Bottom Whole Car' 1975 die ganze Seite eines U-Bahnwaggons, einschließlich Fenster, übermalt war. [...] der Top-to-Bottom Whole Car [bleibt] der absolute Test für das Standvermögen eines Writers.“53

Bezüglich der Konditionen, die in den Anfangstagen der Subkultur herrschen, gibt es rückblickend betrachtet unterschiedliche Aussagen. Der New Yorker BLADE betont: „Wir hatten damals höchstens zwei bis drei Stunden Zeit, wir machten unsere Bilder mitten in der Bahnstation.“54

Dahingegen betonen andere Writer aus dieser Ära den Vorsprung vor den Sicherheitsdiensten und Behörden: „[...] da waren so um die 15 Jungs, die durch das Yard rannten und nur Insides machten – die ganze Nacht und nur taggen. Wir haben fast im Yard gewohnt.“55 Es ist anzunehmen, dass schon zu dieser Zeit in New York die Bedingungen für Writing auf den Zügen der MTA nicht immer und überall gleich gewesen sein werden, womit sich die gegensätzlichen Aussagen begründen.

Weil aber die Bedingungen, seinen Namen auf die Züge zu schreiben, sich bis Anfang der 1980er Jahre unbestreitbar verschlechterten, vollzog sich der Wechsel zum Medium Leinwand unvermeidbar, nachdem bekannte New Yorker Galerien auf die Namen derjenigen Writer aufmerksam geworden sind, deren Tags permanent 'up' waren. „Schon 1972 hatten Hugo Martinez mit seiner 'Union of Graffiti Artists' sowie Jack Pelsinger 1974 mit der 'Nation of Graffiti Artists' Versuche unternommen, Graffiti-Sprayer zur Arbeit auf Leinwand zu bewegen. Der große Umschwung setzte allerdings erst seit etwa 1980 ein, als die Leinwand als Bildträger für die Graffiti von den 'Writers' allgemein akzeptiert wurde. Dabei spielte sowohl die Tatsache eine Rolle, daß das Sprayen auf den U-Bahnen immer risikoreicher und schwieriger wurde, als auch, daß die Sprayer in kommerziellen Galerien erste Erfolge hatten – man kannte mittlerweile die berühmten Namen auf den Zügen.“56

Damit soll der Blick von der New Yorker Entwicklung auf die Entstehung der Subkultur in Europa und Deutschland gerichtet werden; ich werde in einem der folgenden Kapitel noch einmal auf den Stand der Writing-Kultur im New York der Gegenwart eingehen.

2.3.2. Writing in Europa

Nachdem sich im Verlauf von ungefähr zehn Jahren – es handelt sich etwa um den Zeitraum von 1969 bis 1979 – eine große und aktive Writing-Subkultur in New York heraus kristallisiert hat, werden nunmehr auch Europäer auf die 'wilden Bilder' der Subway aufmerksam.

„In the seventies, travelers from Europe began to bring back news of a most unusual phenomenon taking place on the subways of New York. Somebody was painting the trains with a strange new form of lettering and crazy scenes, transforming the rolling stock of the Metropolitan Transit Authority into giant mobile comic strips. The Europeans were highly enthusiastic.“57

Die Rezeption der Tags und Pieces findet auf zwei Wegen statt, die sich einerseits als generelle Faszination der zahlreichen Touristen beschreiben lässt, andererseits ermöglicht der Kunst-markt den Writern einen Aufstieg in die Galerien der Upper East Side, wo sie auch von kunstinteressierten Besuchern aus Europa wahrgenommen werden.

Einer der ersten europäischen Förderer ist der römische Kunsthändler Carlo Bruni, der 1978 ein Buch publiziert, das ausschließlich Bilder dieser neuen Form von öffentlicher Malerei zeigt.58 Unzufrieden jedoch mit dem Ergebnis fliegt er selbst anschließend nach New York, um die darin gezeigten Künstler ausfindig zu machen.

„Shortly thereafter, LEE and FRED were invited to exhibit their paintings in Bruni´s Galleria Medusa in Rome. This was for many in Europe their first experience of the arresting beauty and energy of graffiti art.“59

Inwiefern seine Bemühungen von Erfolg gekrönt sind, lässt sich nicht nachvollziehen, jedoch bleibt Brunis Ansatz für mehrere Jahre der einzige Versuch, die Kunst der Writer in ein konventionelles Umfeld des europäischen Kunstmarktes zu transplantieren.

Erst 1983 unternimmt der Amsterdamer Galerist Yaki Kornblit erneut den Versuch, mit Writing-Künstlern aus New York ebenfalls den mitteleuropäischen Markt zu erschließen und in diesem Fall ist das Engagement in zweierlei Hinsicht von Erfolg gekrönt.60 Zum einen werden die Ausstellungen im Boymans-van Beuningen Museum in Rotterdam ein kommerzieller Erfolg. Weit wichtiger darüber hinaus ist jedoch der visuelle Einfluss, den die Bilder der New Yorker auf das niederländische Nachwuchspublikum haben, so dass durch diesen Anstoss bald eine recht aktive Szene von Plagiatoren sich darin übt, es den Vorbildern gleichzutun.

Da es schon zuvor aktive Tagger in Amsterdam gibt, deren Motivation lediglich aus einer poli-tischen Haltung gegenüber der Stadtverwaltung oder dem 'System' resultiert, ist es durch den Input der Ausstellungen nur ein kleiner Schritt, sich nun mit einem Pseudonym im Stadtbild auszubreiten.

Heutzutage gibt es zu jeder europäischen Großstadt mindestens eine Publikation, die sich mit der Entwicklung des Writing in diesem lokal begrenzten Rahmen befasst.61

Neben den Ausstellungen ambitionierter Galeristen und Museumsdirektoren verbreitet sich die Subkultur 'Writing' auf der Straße in Verbindung mit den drei Elementen der Hip Hop Kultur: Rapmusik, DJ-ing, sprich dem Auflegen und Ineinandermischen von Vinylplatten, und Breakdance.62

„In many cities , writers´ first exposure to graffiti art was at a Hip Hop concerts, often starring the Rock Steady Crew, one of whose members was DOZE, a writer from New York. Others saw Malcolm McLaren´s Buffalo Gals video, shot in front of Sky´s the Limit, Bil Blast´s handball court, or saw the films Wild Style and Style Wars. Through these media, the culture of graffiti was transplanted intact, embracing language, history, customs and rules, bombing, 'racking' and the competitive spirit.“63

Nachdem hier in sehr knapper Rückschau wiedergegeben wurde, wie Writing seinen Weg nach Europa findet, soll im folgenden die Bildung einer eigenständigen Subkultur in Deutschland etwas ausführlicher nachvollzogen werden.

2.3.3. Writing in Deutschland

Im Zusammenhang mit der bereits erwähnten und von Writern nicht unkritisch betrachteten Verbindung der vier Elemente des Hip Hop wird Graffiti-Writing auf Zügen und Wänden im Jahr 1983 ebenfalls in Deutschland zum ersten Mal wahrgenommen.

Maßgeblich beteiligt an der Verbreitung sind die visuellen Medien wie Bücher und Filme in Fernsehen oder Kino, die zu Beginn der 80er Jahre mit einiger Verzögerung in Deutschland ausgestrahlt werden.

„Als das Phänomen 'Graffiti' durch den Low-Budget Film „Wildstyle“ (1983), den Dokumentar-bericht „Stylewars“ (1984/ 85) und den Hollywood-Streifen „Beatstreet“ (1984) in Deutschland bekannt wurde und anläßlich der Breakdance-Modewelle in zahllosen Tanzvideos verpackt zu uns kam, fingen hauptsächlich Breaker an, es den New Yorker 'Writern' gleichzutun.“64

Anfangs versuchen viele Jugendliche in deutschen Städten, den Stil und die Formen der New Yorker nachzuahmen, wobei zum Teil ganze Namen komplett übernommen werden; solange bis Breakdance und Writing wieder von der Bildfläche verschwinden und nur diejenigen übrig bleiben, „die mehr als einen kurzlebigen Trend im 'Hip Hop' sahen. Sprühdosen waren teuer und die damals 12- bis 15jährigen Kids fanden sich allein auf weiter Flur, wenn sie sich für Graffiti interessierten.“65

Somit besteht zwar ein Interesse seitens derjenigen, die auf der Suche nach einer identitätsstiftenden Jugendkultur sind, welches aber mangels medialer Vermittlung noch nicht ausreichend bedient wird – bis im Jahr 1984 ein Buch auf dem deutschen Markt erscheint, dass bis heute eine nachhaltige Auswirkung auf das Erscheinungsbild deutscher Städte haben soll. Der Berliner AMOK, einer der ersten aktiven Writer Deutschlands, formuliert es folgender-maßen: „Then the bomb really hit with the book 'Subway Art'. All of a sudden most of our questions, such as how to work on a wall or if outlines come first and then the fill-in, were answered. This book showed it all right. From this moment on, it all spread like wildfire.“66

Die Auswirkung einer solchen Publikation kann rückwirkend nicht groß genug eingeschätzt werden, obgleich es dabei zu bedenken gilt, dass durch die Ausstellungen von New Yorker Writern in den Niederlanden oder Frankreich mittelbar bereits auch die deutsche Szene nach-haltig einige Jahre zuvor beeinflusst wird.

Die Anfänge der Writing-Kultur in Deutschland können demnach berechtigterweise als ein ästhetischer Urknall gesehen werden, der eine vorher in diesem geografischen Raum nicht dagewesene Formensprache schafft.

Ähnlich wie beim Buch „Subway Art“ verhält es sich mit den Filmen „Wildstyle“ und „Style Wars“. „[T]he media was giving the subject enormous coverage. Germany´s main pubic TV channel ARD, for example, screened 'Style Wars' although they wrongly translated it as something like 'Subway Pictures, Crazy Legs'. They still didn´t quite know how to deal with this phenomenon.“67 Bei anderen Writern der deutschen Oldschool äußern sich diese extremen Reize in weit deutlicherer Form:

„Als ich das erste Mal Stylewars gesehen habe, fühlte ich mich, als hätte ich den ganzen Tag unter Schock gestanden. [...] es war so, als wenn jemand seinen ersten Porno sieht. Wenn man so etwas noch nie gesehen hat, dann ist man geschockt. [...] Dieser Film hat mich auf jeden Fall krass beeinflusst.“68

Ohne an dieser Stelle auf weitere Einzelfälle näher einzugehen, lässt sich festhalten, dass die gesamte Hip Hop Kultur und damit eben auch Writing durch visuelle Vermittlung zum festen Bestandteil des jugendkulturellen Lebens in den vergangenen fünfzwanzig Jahren geworden ist. Aus dem anfänglich geringen Informationsfluss ist ein Massenphänomen geworden, welches sich schnell etabliert und wie kaum eine andere soziale Bewegung im 20. Jahrhundert massive Veränderungen im Stadtbild und in seiner medialen Präsenz nach sich zieht. Im Zuge dessen steigt die Writing-Kultur als ein Bestandteil der gesamten Hip Hop Bewegung vom subkulturellen

Status zur massenkompatiblen Freizeitbeschäftigung auf, da sich zuvor wohl noch nie eine vergleichbare Anzahl von Jugendlichen derart intensiv mit künstlerischem Ausdruck in Wort und Bild auseinander gesetzt haben dürfte.69

Da jedoch in diesem Rahmen eine eingehendere Betrachtung der historischen Verläufe noch zu umfangreich wäre, soll im abschließenden Subkapitel zur Geschichte lediglich die Entstehung der Writing-Szene in Berlin, der deutschen Writing-Hauptstadt, skizziert werden.

2.3.4. Writing in Berlin

Seit ihrem Bestehen ist die Berliner Mauer Ziel und Untergrund für politisch motivierte Graffiti und Parolen. Erst mit Beginn der Hip Hop Bewegung wird die 'größte Freiluftgalerie der Welt' von einem weiteren Klientel entdeckt, deren Interesse am bekanntesten Bauwerk des Kalten Krieges bislang eher gering war.

Interessanterweise sparen bis zum heutigen Tag Publikationen über die künstlerische Betätigung an der Berliner Mauer die Ästhetik von Graffiti-Writing vollkommen aus, und richten ihren Blick lediglich auf Sprüche oder Malereien, die entweder aus Protest oder mit künstlerischem Anspruch dort hinterlassen wurden.70 Dabei bildet bei den ersten Fingerübungen gerade die Berliner Mauer die geeignete Fläche für Pieces und Tags.

Im Band „Graffiti-Art Deutschland“ des Schwarzkopf Verlages wird lediglich die Sonderrolle der Stadt genannt, ohne auf die besondere Entwicklung in der bis 1989 geteilten Stadt einzugehen, in der auch schon Tags zu Beginn der Achtziger Jahre im Zuge der Breakdance-Welle auftauchen.71

Insofern hat van Treeck Unrecht, man habe die erste große Bewegung, die in Westdeutschland ab 1983 einsetzt, bedingt durch die Isolation der Stadt 'verschlafen'.72 Es besteht vielmehr Grund zur Annahme, dass durch die Isolation weniger Information nach außen drang, obwohl dank der Medien Film und Fernsehen hier ebenfalls ein Boom durch die Ausstrahlung von „Style Wars“ stattgefunden haben mag.

SHEK, einer der ersten aktiven Writer der Hauptstadt, meint, dass auch „in Berlin schon Anfang der achtziger Jahre Leute mit dem Writing angefangen [haben]. In Westdeutschland weiß das nur kaum einer. Ab 1983 waren das zunächst Edding-Tags, z.B. von SES. Sprühdosenbilder, auch größere Sachen, kamen dann 1985 hinzu. [...] Ab etwa 1985 wurde die Berliner Mauer bemalt, vor allem an Stellen, die ein bißchen abgelegen waren, z.B. zwischen Bornholmer Straße und Waidmannslust.“73

Ebenso erinnert sich AMOK daran: „It was in 83-84 that Writing slowly started to take off in Berlin.“74

Beide Anmerkungen verdeutlichen, dass auch in Westberlin zu Beginn der Achtziger Jahre bereits Writing stattfindet, lediglich in einem bescheidenen Umfang und ohne nennenswerte Wirkung nach außen – im lokalen Sinne über die Grenzen der Stadt hinweg und auch nicht im übertragenen Sinne durch die Medien, da Writing bislang keine Schlagzeilen verspricht.

Außerdem verweist das jeweilige Zitat auf die notwendige Subjektivität der individuellen Erinnerung, denn Berlin ist und war schon immer zu groß, als dass ein Einzelner jegliche Schritte einer derartigen Entwicklung hätte nachvollziehen oder gar miterleben können.

Nicht zuletzt darum spielen sich die ersten Versuche auf Wänden ab und es geschieht nicht sofort der zwangsläufige Schritt in die Illegalität des Malens auf Zügen.75 Dieser folgt mit einigen wenigen Jahren Verzögerung.

Bis ins Jahr 1989 findet die Entwicklung auf der Westseite der Mauer statt, die formal zur DDR gehört und jedermann, der sich mehr als bis auf drei Meter nähert, von den NVA-Grenzern festgenommen werden kann; ( was im Alltag jedoch nie passiert).

In der Literatur setzt eine detaillierte Berichterstattung in Selbstzeugnissen und biographischen Skizzen erst mit dem Jahr 1987 ein, obwohl dabei von allen Seiten beteuert wird, es gäbe zu diesem Zeitpunkt bereits aktive Writer. Die Dokumentation der Writing-Entwicklung beginnt mit dem ersten erwähnten Piece auf einem Zug; der Dortmunder SHARK malt 1987 den ersten S-Bahn Wholecar in Berlin, was eine gewisse Initialwirkung für die Lokalmatadore mit sich bringt.76 Als gegen Ende 1988 alle Westberliner Bezirke mit Tags versehen sind und sich die Frage nach einer konsequenten Weiterentwicklung stellt, beginnt eine neue Etappe: Writing auf Zügen der S-Bahn.

Es gehört rückblickend zur Ironie des Wandels einer Subkultur, dass gerade 1988, als Writer sich der Züge in Berlin annehmen, die ursprüngliche Entwicklung des Subway-Writing in New York ihr (vorläufiges) Ende findet, da die Stadtverwaltung durch die Erfahrung von fast zwanzig Jahren es soweit erschwert, die Yards auch nur zu betreten, dass in der Geburtsstadt kaum Graffiti-Writing auf Zügen mehr stattfindet.

Ob aber Berlin damit die Nachfolge als 'Big Apple' des Writing antritt, will ich an dieser Stelle nicht hinterfragen.

Durch den vermehrten Andrang bilden sich die Corner an Linie S2 heraus, S-Bahnstationen an denen die Writer aus Nord- und Südberlin sich treffen, um die Arbeit der anderen zu begut-achten und zu kritisieren.

POET erinnert sich an diese frühen Corner und daran, dass die Anzahl der Writer dermaßen gewachsen ist, dass niemand mehr den kompletten Überblick behalten konnte: „Up there the group of Writers were so large, that a number of writers´ corners were soon initiated. Different crews had their own stations at which to meet. Humboldthain station, for example, was the GFA Crew´s meeting point while the T5B met up at the next stop Gesundbrunnen. Members of the AGS crew, on the other hand, had chosen Wittenau. These were all stops on the old S2 line. In the summer of 1989 you could sometimes meet 30 Writers or more in one spot.“77 Im Laufe der Zeit verschiebt sich der Corner bis zur Station Friedrichstraße, was der Bemalung und dem Taggen der Züge eine neue Dimension verleiht, da aufgrund der nach wie vor bestehenden Trennung der Stadt in Ost und West eine außergewöhnliche Situation eintritt.

„In the end it was decided to use the checkpoint station Friedrichstraße as a fixed meeting point. [...] It was definitely a smart choice to use a station situated in the eastern part of town, the so-called zone, under GDR rule and therefore not subject to western prosecution. The border guards at the station simply didn´t care what we did to the trains. They differentiated between the station, which belonged to the GDR, and the trains which were property of West Germany.

So for quite some time we could simply draw throw-ups onto the carriages in clear view of everyone who disembarked at Friedrichstraße station. It was only forbidden to take photographs and every once in a while we´d have to listen to some stupid sermons [...].“78

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6 – Writer´s Corner Friedrichstraße 1989 Abb. 7 – Besprühter Zug der U1, Berlin Kreuzberg

Diese Bedingungen gelten bis zum Fall der Mauer 1989, doch damit eröffnet sich den Writern ein noch viel größeres Betätigungsfeld, nämlich der gesamte Ostteil der Stadt. Demnach scheint die Wiedervereinigung insbesondere für die Writing-Szene den erneuten wichtigen Impuls gesetzt zu haben, da bis 1989 vergleichsweise wenig Writer die Stadt mit ihren Tags definieren. „Als Szene waren wir Anfang der Neunziger noch total unterentwickelt. Wir hatten lediglich die Mauer und ein paar geile Styler. Das richtige Bombing haben dann ja erst die 88er- und 89er Generation ins Spiel gebracht.“79

Da hingegen der Ostteil dem Phänomen weitestgehend unvorbereitet gegenüber steht, rollt in den ersten Jahren der Neunziger eine Masse an Pieces, Tags und Throw-Ups über die Stadt, deren Folgen bis heute den Status Berlins als Hauptstadt des Graffiti-Writing in Deutschland begründen. „Als 1990/91 viele Westberliner Writer damit anfingen, auch im Osten zu malen, wie etwa an der Hall of Fame Bornholmer Straße, entstanden die ersten Kontakte zwischen Ost und West. [...] Ab 1991 kam es zu einem sprunghaften Anwachsen der Szene.“80

Somit wächst auf einer subkulturellen Ebene bereits nach wenigen Jahren zusammen, was zusammen gehört – wobei in diesem Fall die Reaktionen der Berliner Bürger einhellig ablehnend ausgefallen sein dürften.

Das Wachstum in Quantität und Qualität der Pieces hält bis in die Gegenwart an, wobei sich nunmehr eine Vielzahl unterschiedlicher Facetten von Graffiti-Writing offenbart, die in anderen Städten Deutschlands ebenso existiert: Chrompieces, bunte Wandbilder, Figuren, Scratching, Tags in allen Formaten sowie eine unüberschaubare Zahl legaler und illegaler Bilder.81

Mit dem Abstand von nunmehr zwanzig Jahren seit dem Fall der Mauer betrachtet, lässt sich sagen, dass jegliche Erscheinungsform von Writing in Berlin mehr als in allen anderen Groß-städten Europas zum gewohnten Stadtbild gehört und damit eine gewissen Indifferenz der Wahrnehmung einsetzt. Es scheint kaum möglich, über den illegitimen Code im öffentlichen Raum noch ein Aufsehen zu erregen, wie es Anfang der 1990er Jahre der Fall war, so dass zur Zeit in einer Gegenbewegung bereits wieder das Massenphänomen Graffiti-Writing seinen Rückzug in subkulturelle Erscheinungsformen antritt, indem zum Beispiel bewusst öffentliche Spots gemieden werden und vermehrt für das private Vergnügen und das Foto zum Herum-zeigen vor Freunden und der eigenen Crew abseits der zentimeterdicken Schichten bekannter Halls of Fame oder entlang der Bahnlinien gemalt wird.

2.4. Exkurs „Style Wars“

Zum besseren Verständnis soll an dieser Stelle eine kurze inhaltliche Zusammenfassung des Films gegeben werden, der 1982 die Ereignisse auf den New Yorker Subwaylinien umfassend dokumentiert. Auf die anderen beiden Filme, die Anfang der achtziger Jahre des 20. Jahrhun-derts jene Subkultur durch mediale Vermittlung weltweit verbreiten, wird nicht eingegangen, obwohl zum einen der Film „Wild Style“ (1982) zwar früher erscheint, sich jedoch mit allen vier Elementen der Hip Hop Bewegung auseinander setzt und seinen Fokus nicht ausschließlich auf Writing legt.

Zum anderen weil der Film „Beat Street“ (1984) ein reiner Spielfilm aus Hollywood ist, der zwar in den Ghettos von New York spielt und um Vermittlung bemüht scheint, jedoch nicht die Authentizität der beiden anderen Produktionen besitzt.82

Unter der Regie von Tony Silver entsteht 1982 ein Dokumentarfilm, der ohne eine konstruierte Spielfilmhandlung Writer direkt vor die Kamera stellt, damit sie sich frei äußern können.83

In den oben genannten Filmen spielen die Writer zwar ebenfalls sich selbst, füllen dabei aber eine Rolle aus, die das Filmkonzept ihnen vorschreibt und verklären somit die eigene Situation.84 Durch die Konfrontation mit anderen Positionen im Film „Style Wars“, der u.a. auch den Bürgermeister Edward Koch, den MTA Vorsitzenden Richard Ravitch, erzürnte Mitarbeiter der MTA-Zugwartungsabteilung oder besorgte Eltern der jugendlichen Delinquenten zu Wort kommen lässt, wirken die Erzählungen und Eindrücke der Writer wesentlich natürlicher.

Diese Herangehensweise wird durch die Bildregie unterstützt, die jeweils im Wechsel Writer und ihre Widersacher vorstellt; es gibt keine inszenierten Interviews mit Fragen aus dem Off.

Dazu vergleicht der Betrachter die Aussagen der Gegenseite wie Polizisten, Bürgermeister und den New Yorker Bürgern, die sich mehrheitlich gegen die Bemalung der Züge aussprechen.

In den eigenen Angaben der Writer ist herauszuhören, dass die Abneigung vor allem gegenüber den Tags und Throw-Ups besteht und die Mitmenschen bunte Züge, die nicht durch den Buff ruiniert würden, eher akzeptieren könnten. Dies widerspricht hingegen dem Ansatz einiger Writer, die betonen, die Haltung der Öffentlichkeit gegenüber ihrer Sache sei ihnen gleichgültig. „I don´t care about them – the other people, I mean. It´s for us.“ sagt SKEME im Gespräch mit seiner Mutter. Als sinnvolles Zusatzmaterial beinhaltet die DVD-Edition von 2005 mehrere neue Gespräche der Protagonisten, die mit einem Abstand von über zwanzig Jahren auf die damaligen Ereignisse blicken.

Manche saßen (wegen anderer Vergehen) im Gefängnis, andere wurden innerhalb der Hip Hop-Kultur berühmt. Einige der Writer malen heute noch oder arbeiten in Berufen, die gestalterisch tätig sind. Einige hatten Erfolg in den Galerien Manhattans, sie reisten nach Europa und Asien, um ihre Arbeit vorzustellen und SKEME, der dazu meint „I started writing to bomb, not to do canvases or go to Paris“, dient seit 18 Jahren in der US-Army und ist mittlerweile Offizier.

Hauptsächlich besticht die renovierte Fassung des Films auf DVD jedoch durch die fantastischen Bilder, die ein New York zeigen, dass es im 21. Jahrhundert nicht mehr gibt.85

3. Die Ästhetik der Writing-Kultur

„I´m all city like graffiti.“86

Bevor ich die Frage erörtern will, warum Writer ihrem Tun nachgehen, soll die ästhetische Form der Zeichen näher erklärt werden, damit Klarheit über ihre unterschiedliche Bedeutung herrscht, wenn einzelne Begriffe verwendet werden. Zur Klärung weiterer Aspekte, die nicht genuin mit der Ästhetik der Zeichen zusammen hängen, verweise ich erneut auf das Glossar, in dem alle notwendigen 'Fachausdrücke' knapp erläutert werden.

3.1. Das Tag

„Tags sind einfach das Spannendste am Writing.“87 88

Ein Tag (dt. Anhänger, Etikett) stellt die Urform des Writing dar, wie es in den 1960er Jahren entstanden ist, und auch heute noch bildet das Tag, das i.d.R. der Aliasname des Writers ist, die Grundlage seines gesamten Schaffens.89 Dabei ist der oder das Tag lediglich der nach außen hin sichtbare Teil einer neuartigen Identität, innerhalb der sich sein Inhaber nicht mehr an die ansonsten geltenden Gesetze und Moralvorstellungen zu halten hat. Er ist nicht mehr 'er' sondern wird zu PINK, DAZE, LEE oder QUIK, um nur einige Beispiele der traditionellen Writinggeschichte zu nennen.

„Er [der Writer] legt sich einen neuen Namen zu und eine neue Identität innerhalb einer Gruppe, die ihre eigenen Wertvorstellungen und Regeln hat.“90

Bevor ein Writer anfängt, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, übt er sein Pseudonym lange im Verborgenen, denn vom ersten Mal an steht sein Name in der Öffentlichkeit und damit zur Diskussion.

Wenn die Jugendlichen gerade nicht selbst aktiv sind, treffen sie sich tagsüber an den sogenannten Corner, um die Leistungen der anderen Tagger zu diskutieren, besonders gelungene Ausführungen zu loben oder schlechte zu kritisieren. Das ein Name in der ganzen Stadt zu lesen ist, sorgt also in erster Linie für eine quantitative Präsenz, womit jedoch noch nichts über die Qualität des Tags und damit den Style seines Urhebers gesagt wird.

Ausgeführt werden diese Signaturen meist mit der Dose oder Markern91, die entweder gekauft oder selbst gebastelt sein können, und kleiner und daher leichter zu transportieren sind, als Aerosollackdosen.92

Trotz ihrer eher geringen Größe, darf man Tags nicht als minderwertig abtun. „Gekonnte Tags können [...] in ihrer Wirkung und Aussagekraft locker mit Pieces konkurrieren.“93

Insofern scheint es nicht verwunderlich, dass sich ebenfalls in Deutschland die Mehrzahl der Writer für einen hohen Stellenwert der Tags ausspricht.

Abb. 8 – Tags in Philadelphia 1969 Abb. 9 – Tags in Berlin 2007

Zum Beispiel unterstreicht MASON die Verbindung zwischen den einzelnen Elementen: „Wenn du die Tags weglässt, verleugnest du Graffiti. Das gehört zusammen, Pieces und Tags. Und wer das trennen will, gehört mehr zu den Kunstprofessoren, die sich mit 'Street-Art' beschäftigen.“94 Tags sind die Signatur des Writers und sollten damit lesbar und originell zugleich sein, denn einerseits will der Verfasser über sich, d.h. seinen Namen und damit in letzter Instanz über seine Existenz in der Stadt informieren. Andererseits sollte die besonders gelungene Ausführung darüber Kenntnisse zulassen, inwieweit er sich in ästhetischer Hinsicht bislang entwickelt hat. Dies bedeutet, dass Tags sowohl aus einfachen Druckbuchstaben bestehen können, aber auch als verschlungene und verschnörkelte Zeichen im urbanen Raum anzutreffen sind, die für das nicht eingeweihte Auge eine kryptische Chiffre darstellen.

Außerdem beschreibt das Anbringen eines Tags die Neuorganisation einer Oberfläche, so dass ein vorher öffentlich existenter Raum in dieser Form nicht mehr existiert.95

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 10 – Licht-Tag Abb. 11 – Mit einem Feuerlöscher gesprühtes Tag von KATSU

Je größer oder zahlreicher Tags auf einer bestimmten Fläche sind, desto stärker ist ihre Prägnanz in der Wahrnehmung des neu organisierten öffentlichen Raumes; und damit sagen sie etwas aus.

„Tags tell me their stories and, in doing so, make me a part of an invisible network in this city. This reinforces a feeling of affiliation with the people who share my love and passion for the cause. [...] I´m not alone.“96

Ab einer bestimmten Einheit von optischer Präsenz kann man davon ausgehen, dass diese nicht nur dem Eingeweihten ihre Zugehörigkeit vermitteln, sondern auch dem Passanten, der zivilen Öffentlichkeit und nicht zuletzt den Organen der Exekutive eine – wenn auch anders geartete – Aussage entgegen bringen. Darin liegt wiederum die enorme Problematik der Tags. Durch ihre schnelle Ausführung sind sie zahlreich in deutschen Städten zugegen und prägen damit das Bild der bürgerlichen Öffentlichkeit und allgemeinen Meinung gegenüber den Writern. Diese ist i.d.R. nicht besonders aufgeschlossen gegenüber den fremden Zeichen, die sich in einem Akt der Selbstbestimmung überall dort ausbreiten, wo normalerweise das Recht des Privateigentums an erster Stelle steht. Aus diesem Grund sind Tags unbeliebt, „because the majority of people, who hardly ever think about this aspect or simply don´t understand it, the shapes and histories of tags mean absolutely nothing, least of all appeal to them. [...] I don´t see the point of the small, black scribbles on the wall. Those are ugly.“97

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 12 – AKIM, BAMBUS, PROUD Abb. 13 – Allgemeine Haltung zu Tags

Ein Tag definiert ein Fläche um, gibt ihr einen neuen Gehalt und sorgt damit für Konfliktpotential zwischen dem Inhaber der Fläche und dem Inhaber des Zeichens. Damit entferne ich mich jedoch zu weit von der eigentlichen Ästhetik, deren Kernfrage darum lauten sollte:

Kann der ästhetische Gehalt von Tags überhaupt eindeutig festgelegt werden? Ich meine nein, denn der o.g. Konflikt würde ja selbst dann bestehen, wenn der Inhaber der Fläche die Ausführung des Tags als optisch ansprechend sehen würde. Somit muss von der ästhetischen Form losgelöst die politische und soziale Bedeutung von Tags erörtert werden und ihr Erscheinungsbild dabei vollkommen vernachlässigt werden. Insofern ist die Haltung von CALEB durchaus nachvollziehbar, der sich für mehr soziale Verantwortung seitens der Writer ausspricht: „Ich sehe das mit den Tags und den Throw-Ups kritischer als andere. Ich hab meine Tags nur dahin gemacht, wo ich sie vertreten konnte: auf alte Gebäude oder Stromkästen. [...] Die Tags und Throw-Ups sind für die Leute ja eher Schmiererei, und damit verderben sich die Writer den Ruf.

[...]


1 Im folgenden (Kap. 3) werde ich noch eingehender zwischen den Erscheinungsformen von Graffiti differenzieren.

2 Dazu äußert sich der Berliner Sprayer FIST in einem Magazin, das die Entwicklung der deutschen Szene dokumentiert, bereits 1996: „Berlin hat die größte Writer-Szene weltweit. Das ist wie eine Hydra mit einem Haufen Köpfen. Schlägt man einen ab, wachsen gleich zwei, drei neue nach.“ In: Backspin 11, 1998, S. 37. Dieses und alle weiteren Zitate sind nach der im Originaltext vorgefundenen Rechtschreibung wiedergegeben.

3 Eingeschränkt kann man sagen: wenige Perspektiven über den eigenen Rahmen hinaus. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Kolumne 'Backspin trifft ...' des gleichnamigen Hip Hop Magazins, in der jeweils eine Person interviewt wird, die nicht genuin mit der Szene verbunden ist. Vgl. Backspin 50, 2003ff.

4 Exemplarisch zitiere ich aus der Berliner Zeitung: „8,6 Millionen Euro musste die BVG 2006 für die Beseitigung von Graffiti und Vandalismus aufwenden. Bei der S-Bahn beliefen sich die Schäden auf sechs Millionen und bei den Fahrzeugen von der DB Regio auf 262 000 Euro.“ in: Berliner Zeitung, 3./4. März 2007, S. 21. Es ist interessant, dass innerhalb der Statistik überhaupt nicht zwischen Graffiti und Vandalismus unterschieden und damit bereits ein deutlicher Tenor der öffentlichen Wahrnehmung von Graffiti erkennbar wird.

5 Obwohl auch Mädchen bzw. Frauen aktive Teilnahme am Writing haben (siehe Kap. 5.5), verwende ich stets das männliche Archilexem, um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten. Dabei verweise ich hiermit jedoch deutlich darauf, dass die Nennung von Pronomen o.ä. stets die weiblichen Träger mit beinhaltet. Kapitel 2

6 „Graffiti“ by Maximo Park, Warp Records 2005.

7 Vgl. Cancik/ Schneider (Hg.) 1998, S. 1241.

8 Ebd.

9 „Maltechnisch wird beim Sgraffito folgerndermaßen verfahren: Die Wand wird zunächst mit dunkel gefärbtem Putz aus gelöschtem, mit Sand gemischtem Kalk bedeckt. Darüber wird eine weiße Kalkschlämme gezogen, die zuweilen auch mit Sand vermischt ist. [...] Auf diese weiße Schicht wird skizziert oder mit Hilfe von Kartons geritzt, was später als Malerei sichtbar werden soll. Mit einem Griffel oder bei größeren Flächen mit einem Spachtel oder Kratzeisen wird die obere weiße Schicht abgekratzt, so dass der dunkle Untergrund zum Vorschein kommt.“ Schweikhart 1989, S. 129.

10 Vgl. Ebd. S. 129.

11 Ebd. S. 131.

12 Es ist der nordamerikanischen Herkunft der gesamten Kultur geschuldet, dass jeder Fachbegriff dem Englischen entlehnt ist. Daher werde ich diese Begriffe übernehmen und ggf. erläutern oder z.T. dafür deutsche Übersetzungen nennen. Im Anhang befindet sich ein Glossar, der alle ursprünglich englischen Begriffe in der Arbeit erklärt.

13 Graffiti, das falsche Wort. in: Backspin 8, 1997, S. 45.

14 Ebd.

15 Ebd.

16 RAMMELLZEE im Interview, zitiert nach: Stahl (Hg.) 1989, S. 181f.

17 Inbes. Mailer 1974 und Castleman 1982.

18 Van Treeck (Hg.) 1998b, S. 124. Im gleichen Band untermauert TASEK aus Braunschweig „[d]ie Bildbände „Subway Art“ und „Spraycan Art“ waren auf jeden Fall prägend.“ Ebd. S. 34.

19 Verlan/ Loh 2006, S. 301-319.

20 Die historische Entwicklung der Subkultur wird im Kapitel 2.3. ausführlicher dargelegt.

21 Schwarzkopf (Hg.) 1994, S. 3.

22 Backspin 27, 2001, S. 23. Auch andere Beteiligte der Szene äußern sich eher kritisch zu den Büchern, wie z.B. der Münchener LOOMIT: „Leider gab es bei Schwarzkopf & Schwarzkopf und den zehn schon erschienenen Büchern oft Probleme mit dem Zahlen der Honorare, und die Qualität des Drucks geht ständig zurück.“ in: Backspin 17, 1999, S. 8.

23 KORE zitiert nach: Backspin 27, 2001, S. 23.

24 T. Kohrs zitiert nach: Backspin 30, 2001, S. 22.

25 Ebd.

26 KAOS 45 zitiert nach: Backspin 29, 2001. S. 9.

27 Ben Vautier wird in den 1960er Jahren durch Schreibperformances wie „Ben signiert alles“ oder „Ben schreibt auf die Wand“ bekannt und kann dennoch nicht als Rollenmodell für die New Yorker Writer angesehen werden, da seine Aktionen aus einem ganz anderen Kontext und anders gelagerter Motivation heraus entstehen. Vgl. van Treeck (Hg.) 1998, S. 281. Meines Erachtens haben diese Informationen keinen kausalen Zusammenhang mit dem Phänomen Writing, aber es würde einer Selbstzensur der Kultur gleichkommen, solche Inhalte nicht zur Kenntniss zu nehmen.

28 Backjumps 9/10, 1996, o.S.

29 Ebd. Das allerdings nicht nur von Seiten der Writer das übermaßige Interesse des Laien van Treeck auf Unverständnis stößt, belegt der Vorsitzende des Wiener Graffiti Archivs Norbert Siegl in einem seiner Referate: „Bisher wurden im deutschen Sprachraum zwei Graffiti-Lexika herausgegeben: das erste von einem Münchner Volkskundler - kulturhistorisch informativ, sehr auf jugendliches Niveau zugeschnitten und leider nicht mehr im Handel erhältlich. Das zweite von Bernhard van Treeck, angeblich ein Facharzt für Psychiatrie mit eigener künstlerischer Vergangenheit als 'Axel Mazurka'. Während das erste Lexikon immerhin eine homogene Betrachtungsweise bietet ist die van Treek'sche Publikation ein zusammengewürfeltes Elaborat mit irreführenden Termini und falschen Behauptungen.“ Vgl. http://www.graffitieuropa.org/kultur1.htm Stand: 1.5.2007

30 Stahl (Hg.) 1989.

31 Vgl. ebd. S. 46f.

32 Yvonne Manig. Anreizstruktur des Graffiti-Sprayens. Diplomarbeit, Universität Potsdam, 2002. Diese Arbeit stand mir leider nicht zur Verfügung.

33 Manig/ Rheinberg 2003.

34 Mai (Hg.) 2005.

35 Mai/ Wiczak 2007. Diese Publikation erschien erst nach der vorläufigen Endfassung meiner Arbeit, wird aber in Zukunft eine große Rolle bei der Betrachtung von Übergangsformen aus der Writingkultur in die urbane Erschließung sowie Ausdrucksformen der Gegenwartskunst spielen. Daher sei an dieser Stelle ausdrücklich auf die große Bedeutung von „Das Gedächtnis der Stadt schreiben“ hingewiesen, zumal viele der darin vorgestellten Positionen in Berlin oder durch Berliner Writer stattfinden. Genau Angaben zum Buch vgl. Literaturverzeichnis.

36 KAOS 45 zitiert nach: Backspin 29, 2001, S. 12.

37 „In zunehmendem Maße hat neuerdings die Werbung Elemente der Graffiti aufgenommen, und wenn nicht alles täuscht, sind Graffiti auf dem Wege von der Protestform zur Schmuckform; dann erinnert 'Graffiti' vielleicht wieder deutlicher an Sgraffiti, an die Dekoration einer Wand, realisiert durch ein technisches Verfahren.“ Schweikhart 1989, S. 133. Der Autor betont in diesem Zusammenhang lediglich die technische Komponente der Zeichen an den Wänden und lässt die Motivation der Verursacher unhinterfragt, was meines Erachtens zur Erklärung des Phänomens Writing notwendig wäre, um zu seinem kulturellen Ansatz vorzudringen.

38 „Graffiti, an der Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, sind kein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Spott-, Schmäh- und Schandbilder auf öffentlichen Wänden gehören zur Kulturgeschichte; reichlich belegbar sind Kritzeleien und simple Zeichnungen seit wenigstens 2000 Jahren.“ Schweikhart 1989, S. 121. Zudem befinden sich bereits, laut Hoffmann 1985, Namensgraffiti aus der Antike auf der großen Pyramide von Gizeh und dem Sphinx, so dass die o.g. 2000 Jahre eine eher noch vorsichtige Schätzung sein dürften.

39 Vgl. Cooper/ Chalfant 1984, S. 14. Andere Autoren wie Johannes Stahl nennen als Datum für den Artikel in der New York Timer nicht den 21.7.1971 sondern den 31.7.1971 in: Stahl (Hg.) 1989, S. 94. Castleman bestätigt in seiner grundlegenden Arbeit Getting Up jedoch den 21.7.1971 als Erscheinungsdatum. Vgl. Castleman 1982, S. 135.

40 Laut Angaben in Chalfant/ Prigoff 1987, S. 42, tauchen Tags bereits in den 1960er Jahren in Philadelphia auf und werden von den New Yorkern erst Ende der 60er Jahre übernommen. Eine einflussreiche Rolle kommt hierbei den Writern CORNBREAD und TOPCAT zu. Diese Aussage wird u.a. von Stephen Powers verifiziert, der schreibt „Style was born in Philly and took a Greyhound to Port Authority. There´s no doubt that it flourished in the fertile New York soil, but you can see in the Philly photos from 1969-71 a highly evolved print style that the New York scene didn´t possess at that time.“ in: Powers 1999, S.10.

41 Vgl. Turner (Hg.) 1996, S. 270. Vgl. Chalfant/ Prigoff 1987, S. 54.

42 „Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es nach einer kurzen optimistischen Phase schnell bergab. Die Mittelschicht zog in die Vororte und die Industrie wanderte ab. Wie viele andere US-Städte litt auch New York in den 1960er Jahren unter Rassenunruhen. In den 1970er Jahren nahm die Kriminalität überhand, und 1975 musste die Stadt ihren Bankrott erklären. Edward I. Koch sanierte während seiner Amtszeit als Bürgermeister von New York (1978–1989) das städtische Budget. Im Wirtschaftsaufschwung der 1980er Jahre nahm die Wall Street wieder eine führende Rolle in der Finanzwelt ein. In den 1990er Jahren erzielte der populäre New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani mit der sogenannten Nulltoleranzstrategie einigen Erfolg, die Kriminalitätsrate fiel drastisch, auch unter Beteiligung der zivilen Schutzorganisation Guardian Angels, und es wurde wieder modern, in der Stadt zu leben. Dadurch stieg allein in den 1990ern die Bevölkerung von 7 Millionen auf die jetzigen 8 Millionen.“ Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/New_York_City. Stand: 24.03.2007

43 Welz 1984, S. 192.

44 Für eine ausführliche Darstellung des städtebaulichen Wandels siehe: Farin 2001, S. 132ff.

45 Welz 1984, S. 195.

46 Vgl. Ebd.

47 Vgl. BLADE – King of the trains. „Wir nannten Tags Anfang der Siebziger Jahre noch Single Hits, und das war auch alles, was es damals gab.“ in: Backspin 18, 1999, S. 6.

48 Cooper/ Chalfant 1984, S. 14.

49 Ebd.

50 „Das öffentliche Verkehrsnetz, das die weit ausgedehnten Bezirke von New York verbindet, besteht aus drei Linien (Lines): der IRT (Interborough Rapid Transit), der BMT (Brooklyn Mass Transit) und dem IND (Independent Subway System). Ursprünglich handelte es sich hier um unabhängige Privatfirmen, doch inzwischen laufen sie unter einer gemeinsamen Dachorganisation, der MTA oder Metropolitan Transportation Authority.“ ebd. S.20

51 Cooper/ Chalfant 1984, S. 17.

52 Chalfant/ Prigoff 1987, S. 8.

53 Cooper/ Chalfant 1984, S. 17.

54 Backspin 18, 1999, S. 8.

55 PURE im Interview in: Backspin 16, 1999, S. 36.

56 Stahl (Hg.) 1989, S. 52. Zur umfassenden Darstellung der beiden Organisationen 'Union of Graffiti Artists' und der 'Nation of Graffiti Artists' vgl. Castleman 1982, S. 116-133. Zur umfassenden Darstellung des Wandels von der Straßen- zur Galerienszene vgl. Zeb.Roc.Ski (Akim Walta) (Hg.) 2004, S.122-161.

57 Chalfant/ Prigoff 1987, S. 7.

58 Vgl. Ebd.

59 Chalfant/ Prigoff 1987, S. 7.

60 In 1983, an art dealer from Amsterdam arrived in New York looking for the 'writers' he had read about in art journals. Yaki Kornblit had plans to introduce graffiti to the European art market, to the same collectors who twenty years before had been drawn to Pop Art and had provided the enthusiasm and economic backing to launch that movement in the world, scoping most american collectors in the process. Yaki selected as his core group artists who not only were veterans of the subways, but who also been included in important New York shows: Fashion Moda, the Mudd Club, the New York New Wave show at P.S.1, the Fun Gallery and others. One by one, he launched DONDI, CRASH, RAMMELLZEE, FUTURA2000, ZEPHYR, QUIK, PINK, BLADE, SEEN and BIL BLAST in highly successful solo shows, and he organized a major breakthrough exhibit of works by these artists at the Museum Boymans-van Beuningen in Rotterdam.“ ebd. S. 7.

61 Vgl. u.a. Graffiti Art Nr. 10 – Paris. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin, 1998. Für einen globalen Überblick ist Ganz 2004 empfehlenswert.

62 Wobei auch unter diesem Aspekt keine Einigkeit herrscht, inwiefern alle vier Elemente der Hip Hop Kultur tatsächlich eine Einheit bilden. „Keines der vier Elemente ist mit den anderen verbunden. Sie wurden nur zusammengeschlossen, um besseres Business zu machen. Du hast die B-Boys, die sich auf ihren Köpfen drehen, die MC´s die rappen, die DJs und die Writer. All das wird zusammengepackt und man hat wieder etwas, was man gut vermarkten kann.“ BLADE – King of the trains, in: Backspin 18, 1999, S. 7. Ähnlich äußert sich zur zwangsläufigen Verbindung von Writing und Musik der deutsche Writer MILK: „ [...] Dadurch dass ich recht früh in New York war, wurde mir jedoch auch schnell bewusst, dass die Sprüher dort gar keinen Hip-Hop hören. Eigentlich hören die alle Heavy Metal und Hard Rock. Black Sabbath, Led Zeppelin, Jimi Hendrix und die frühen Red Hot Chili Peppers. Graffiti ist Rock´n´Roll und nicht Hip Hop. Jedenfalls in New York.“ in: Backspin 50, 2003, S. 12. Demgegenüber steht die Meinung des Amsterdamers ZEDZ, der meint „Graffiti und Hip Hop gingen immer Hand in Hand. Auf Rap-Konzerten waren auch immer Writer anzutreffen.“ in: Backspin 15, 1999, S. 37. Laut den beiden Aussagen eines New Yorker Oldschool Writers und eines Deutschen, der dort die Anfänge der Subkultur miterlebt hat, lässt sich nur schwerlich das Klischee aufrecht erhalten, alle aktiven Teilnehmer eines Bereichs der Subkultur seien zwangsläufig mit den anderen Elementen ebenso vertraut.

63 Chalfant/ Prigoff 1987, S. 8.

64 Schwarzkopf (Hg.) 1994, S. 8.

65 Ebd.

66 Mai (Hg.) 2005, o.S.

67 Ebd.

68 GISMO im Interview in: Backspin 10, 1998, S. 33. Um den Stellenwert zu untermauern, sei ein weiteres Zitat zu diesem Thema genannt: „Irgendjemand aus meiner Schule hatte dann „Style Wars“ im Fernsehen gesehen. Ich hatte es natürlich verpasst. Der erzählte mir davon, und ich dachte mir, dass das ja ganz toll klingt. Daraufhin haben wir irgendwelche komischen Styles in unsere Hefte gemalt. So hat das angefangen! Und dann kam „Subway Art“ in meine Welt. Ich habe wirklich einen Marker genommen und angefangen zu schmieren, allein wegen diesem Buch. Ich glaube auch, dass jeder damals wegen „Style Wars“ und „Subway Art“ angefangen hat, Graffiti zu machen und nicht, weil er es irgendwo anders gesehen hat.“ MILK. Es geht nicht wirklich um den Style. in: Backspin 50, 2003, S. 13.

69 Vgl. LOOMIT. Die fetten Jahre, in: Backspin 17, 1999, S. 6ff.

70 Eine Ausnahme bildet hierzu bildet Nungesser 1994a. Für eine ausführliche Literarturliste von Veröffentlichungen zur Mauer-Kunst vgl. ebd. S. 114.

71 Vgl. Schwarzkopf (Hg.) 1994, S. 10

72 Vgl. Van Treeck 2001a, S.38. Die Rede ist in den ersten Jahren bis zur Öffnung der Grenze 1989 ausschließlich von Westberlin.

73 Ebd. S. 39.

74 Mai (Hg.) 2005, o.S.

75 In diesem Zusammenhang erreicht der sog. „Geltendorfer Zug“ aus München im März 1985 eine gewisse Berühmtheit, der als erster Window-down End-to-end Deutschlands gilt. Vgl. van Treeck 2001a, S. 125f. Für eine umfassende Darstellung der Entwicklung des Trainwriting in Berlin vgl: REW. Berlin Train Jungle, in: Braindamage 11, 2004. S. 14-27.

76 Vgl. Mai (Hg.) 2005, o.S. Die in diesem Aufsatz SHARK zugeschriebene Pioniertat verifiziert dieser in einem späteren Gespräch. „In Berlin war seltsamerweise gar nichts, nur AMOK, CHAOS, SHEK und ein paar legale Pieces. Da ging es eigentlich erst um 1989 richtig los. Ich habe die dann gefragt: Warum malt ihr hier nicht? Dann bin ich direkt los und habe den ersten Wholecar gemalt. Das hat sich dann wohl rumgesprochen und SHEK und die Jungs, die haben dann auch losgelegt“ in: Verlan/ Loh, 2006, S. 313.

77 POET. A paradise – On the evolution of train bombing in Berlin, in: Mai (Hg.) 2005, o.S.

78 Ebd.

79 KAOS 45 im Interview, in: Backspin 29, 2001, S. 10.

80 Krekow/ Röske 1997, S. 36.

81 Für eine umfassende Darstellung der Entwicklung der Berliner Szene mit namentlicher Nennung wichtiger Writer und Crews vgl. Krekow/ Röske 1997, S. 6-37 (einschließlich Abbildungen) und REW. Berlin Train Jungle, in: Brain Damage 11, 2004, S. 14-27.

82 Vgl. van Treeck 1998a, S. 108.

83 Das jedoch auch dieses Konzept nicht unumstritten sein kann, belegt die Aussage von SAR: „Die Macher des Films „Style Wars“ haben sich die talentiertesten Writer aus der Zeit geschnappt und sie ausgenutzt. Man kann sie nicht beschuldigen, nicht zu wissen, was in der Zeit zwischen 1969 und 1982 stattfand. Sie wollten einen Film über die Szene im Jahr 1982 machen, und das haben sie ja auch gemacht. Zu schade, dass sie nicht die Geburt und den Niedergang der Szene dokumentieren konnten. „Style Wars“ ist 1982! Es zeigt nicht die gesamte Bewegung. Der gesamte Zeitraum der Szene wurde bis heute nicht dokumentiert.“ in: Backspin 73, 2006, S. 69.

84 Produziert wird „Style Wars“ von Henry Chalfant, einem der ersten Dokumentaristen der Writing Szene seit den Siebziger Jahren. Auch hier gibt es einige Szenen über Breakdance Jams und Rapauftritte sowie Aufnahmen der Stadt, um eine Stimmung für das Umfeld zu erzeugen. Der Schwerpunkt liegt jedoch in den Stellungnahmen der Writer und ihrer Widersacher.

85 Um an dieser Stelle eine Brücke nach Deutschland zu schlagen, möchte ich auf den Film „Whole Train“ von Florian Gaag verweisen. Trotz einiger um Authentizität bemühter Dokumentationen über die hiesige Szene im Verlauf der neunziger Jahre, dauert es bis 2006, dass ein deutscher Spielfilm die Thematik Writing zum Hauptmotiv macht. Aufgrund eigener Erfahrungen des Regisseurs und durch die Mitarbeit mehrerer bekannter Writer zeigt der Film fiktionalisiert aber nicht idealsiert den Antrieb verschiedener Writer sowie die Konsequenzen, die durch den Lebenswandel in Konfrontation mit der Gesellschaft erwachsen (vgl. dazu Kapitel 4). Dabei verzichtet Gaag bewusst auf didaktische Elemente, um „Whole Train“ einem Mainstreampublikum verständlich zu machen, so dass einige Szenen für Zuschauer, die mit dem Soziolekt der Subkultur nicht vertraut sind, schwer nachvollziehbar sein dürften. Dennoch sei hier auf den Mut verwiesen, nach über zwanzig Jahren Writing in Deutschland endlich auch einen deutschen Film zu realisieren, der ohne politische Ambitionen das Weltbild der Writer zeigt und ohne Fragestellungen nach Recht oder Illegalität ihrer Handlungen funktioniert. Vgl. u.a. ein Interview mit Florian Gaag, in: Backspin 77, 2006, S. 40f. zur Entwicklung der Writing-Szene seit 1983. Kapitel 3

86 „Big in Japan“ (Government Music) by Looptroop, David vs. Goliath Rec. 2001.

87 Für eine überarbeitete ausführliche Fassung dieses Kapitels siehe: Graffiti Magazine Nr.7, Winter 2007, S. 35-42.

88 MAGIC im Interview. in: Backspin 22, 2000, S. 42.

89 Zur historischen Entwicklung der Tags im Writing vgl. van Treeck 2001a, S. 377ff. Auf die 'cholos' wurde bereits hingewiesen und natürlich existieren Namen als unerlaubtes Zeichen im urbanen Raum bereits wesentlich länger. Der Begriff des 'Tag' hängt damit maßgeblich am Entstehungskontext und der Motivation des Schreibers.

90 Cooper/ Chalfant. 1984, S. 23. Ebenso formuliert es der New Yorker DURO: „Der Tag ist das Fundament von Graffiti und die Grundlage von Graffiti ist mein Name. Da fängt es an – bei mir – ich bin was ich sein will.“ in: Zeb.Roc.Ski (Akim Walta) (Hg.) 2004, S. 51.

91 Der New Yorker COPE beschreibt in seinen Erinnerungen an die 80er Jahre, wie er sich aus Materialmangel einen Marker selbst bastelte, dessen Kopf aus der Spitze des (geklauten) Schulschwamms bestand. Vgl. Backspin 18, 1999, S. 38. Heute (2007) bieten Versandhändler wie z.B. MZEE-Mailorder Marker von verschiedenen Firmen in allen erdenklichen Farben von apfel-grün bis chrom-violett an. Kostenpunkt ca. 5€.

92 Das sich heuzutage Tags allerdings nicht mehr auf dieses Medium beschränken, sollen die folgenden Beispiele belegen: Die Pariser Writer PSY und TOAM haben nach einer langwierigen Versuchsphase mittlerweile Erfolg damit, selbst angemischte Farben in entleerte Feuerlöscher umzufüllen. Die damit 'gesprühten' Tags sind i.d.R. vier bis fünf Meter hoch und zeichnen sich durch eine enorme Streuung des Farbstrahls aus. Ihr Tag erreicht gleichsam die Größe eines Piece, doch behält die lineare Klarheit eines Tags. Die Technik wird ebenso in New York angewendet. Psy:"Die Spraydose ist irgendwann zu klein, man will mehr. (...) Wir wollen beweisen, dass das Graffiti lebt, und jede Menge neue Ideen nur darauf warten, umgesetzt zu werden." Vgl. http://www.rebelart.net/diary/index.php?paged=3 Stand: 29.3.2007 Noch weiter vom klassischen Markertag entfernt sich die Gruppe PIPSLAB aus den Niederlanden, die mit einer umgebauten Aerosoldose einen Leuchtpunkt in einem lichtleeren Raum erzeugt. Durch das Führen der Dose, als würde man mit ihr Sprühen, zieht der eingebaute Laser eine Linie, die fotografisch aufgezeichnet wird und somit ein Tag aus Licht entsteht. Hier verschwimmen bereits die Grenzen zwischen Writing und Performance, was von PIPSLAB allerdings beabsichtigt ist. Vgl. www.pipslab.nl Stand: 29.3.2007

93 Universal Language. in: Backspin 16, 1999, S. 16.

94 MASON in: Schwarzkopf (Hg.) 1994, S. 16. Persönlich würde ich eher von der Behauptung zurücktreten, dass Kunstprofessoren sich überhaupt mit Street-Art beschäftigen, doch der Satz zeigt, inwieweit Writer eine Abgrenzung zwischen ihrem Handeln und der 'offiziellen' Kunst sehen.

95 Vgl. Mai (Hg.) 2005, S. 17.

96 REW. The individuality and beauty of the tag. in: Mai (Hg.) 2005, S. 29.

97 Ebd.

Ende der Leseprobe aus 114 Seiten

Details

Titel
Graffiti Writing in Deutschland. Seine Ästhetik und sein sozialer Kontext
Untertitel
"Imagine your name here"
Hochschule
Hochschule für Bildende Künste Braunschweig
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
114
Katalognummer
V132791
ISBN (eBook)
9783640466818
ISBN (Buch)
9783640466719
Dateigröße
6229 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Writing, Graffiti, Kulturwissenschaft, Stammkultur, Subkultur, Berlin, Kunstmarkt
Arbeit zitieren
Johannes Temeschinko (Autor:in), 2007, Graffiti Writing in Deutschland. Seine Ästhetik und sein sozialer Kontext, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132791

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