Maßnahmen einer Kolonialmacht zur Festigung ihrer Herrschaft

Am Beispiel der togolesischen Bevölkerung während der deutschen Kolonialzeit


Skript, 2009

21 Seiten


Leseprobe


Einleitung

Im Allgemeinen und im Fall Togo speziell hebt die bürgerliche Literatur die Wohltaten des Kolonialismus hervor (Musterkolonie); eine Darstellung der destruktiven Folgen des Kolonialismus, sprich der Realität, ist nur selten zu finden. Es wird verschwiegen, dass sich der Kolonialismus prinzipiell gegen die Übertragung der am weitesten entwickelten kapitalistischen Bedingungen der Metropole auf die kolonialunterdrückten Völker richtete und somit stets fortschrittshemmend wirkte. Die grundsätzliche Absicht des Kolonialismus war die Ausbeutung, bei Aufrechterhaltung der Diskrepanz des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungsniveaus. Die Kolonialisten setzten ihren gesamten Machtapparat ein, um die Bevölkerung in Abhängigkeit zur Metropole zu halten. Im Zuge steigender Ausbeutung ließen die deutschen Kolonialherren Eisenbahnen bauen, richteten Schulen ein, griffen grundlegend in die traditionelle Justiz ein, "missionierten" die Bevölkerung, ... und verbesserten die gesundheitliche Vorsorge. Die Togolesen durften keine eigenen Schulen eröffnen. Ihnen war die Ausbildung zu qualifizierteren Berufen verschlossen. Sie durften nur Markt halten an vorgeschriebenen Tagen und Orten. ... Dieses sind repräsentative Beispiele für Eingriffe, die bis heute in ihrer Wirkung anhalten und das Leben bestimmen.

Immer wieder wird Togo als die deutsche >>Musterkolonie<< bezeichnet. Die Definition Musterkolonie bezieht sich auf die etatwirtschaftlich vorbildliche Konzeption der deutschen Kolonialisten; "..., was regarded as a model colony since it had been for many years financially independant of the Fatherland."[1] Die afrikanische Bevölkerung Togos hatte besonders stark unter der "musterhaften" Haushaltsführung der deutschen Kolonialherren zu leiden, denn "wegen dieses politischen Zwecks ist manche notwendige wirtschaftliche Maßnahme zurückgestellt worden."[2]

Die Justiz

"Während das Schutzgebiet ein integrierter Teil des Reiches ist, so ist der Status der Bevölkerung ein ganz anderer; für sie gelten nicht die Gesetze des Reiches wie für die deutschen Bürger, sondern vielmehr spezielle Gesetze, die für die Bürger der Schutzgebiete erlassen wurden."[3] Durch die deutsche Annexion Togos waren die Togolesen nicht deutsche Staatsangehörige geworden, sondern "Schutzgebiets-angehörige". Für die Togolesen galt zum Teil weiterhin die traditionelle afrikanische Rechtsprechung und zum Teil koloniale Rechtsverordnungen und Erlasse. Vor der tatsächlichen Errichtung der Kolonialherrschaft hatte die deutsche Präsens kaum Einfluss auf die traditionelle Justiz, da sich der deutsche Machtbereich auf eine örtlich stark begrenzte Einflusssphäre beschränkte. Nach der Unterwerfung der vorkolonialen Herrschaftsgebilde musste die neue Obrigkeit die traditionelle Rechtsprechung zerschlagen und neu formieren, so dass sie den Ansprüchen der Kolonialisten gerecht wurde.[4] Jedoch eine einheitliche Codifizierung von Rechtsvorstellungen wurde bis 1914 von den Kolonialisten verhindert. Die Erarbeitung eines kolonialen Gesetzbuches, das koloniale Verordnungen und mündlich überliefertes Stammesrecht auch nur in irgendeiner Weise vereinte, hätte keine Schwierigkeiten bereitet und hätte in jeglicher Hinsicht Vorteile für die afrikanischen Bewohner der Kolonie gebracht.

Die Realität jedoch war, dass jeder Bezirksleiter - ungeachtet seiner juristischen Kenntnisse oder seines Alters - nach seinem persönlichen Rechtsempfinden urteilen durfte.[5] Europäer unterstanden einzig dem Rechtsbefugnis des Gouverneurs.[6] Diese Rechtsunsicherheit zu Ungunsten der Afrikaner wurde als eine Erleichterung der juristischen Arbeit der leitenden Kolonialbeamten - Bezirksamtmänner und Gouverneur - begrüßt und gerechtfertigt durch die in den unterschiedlichen Regionen wohnenden Stämme mit unterschiedlichem Recht. Die leitenden Kolonialbeamten formulierten lakonisch, dass es mit der absoluten Justizfreiheit möglich wäre, sehr individuell auf die juristischen Eigenheiten der Stämme eingehen zu können. Mit dieser recht einfachen Ordnung war jedem Machtmissbrauch Tür und Tor geöffnet. Hinzu kam, dass die in Europa übliche Trennung von Justiz und Administration in Togo nicht gegeben war.

Die Anweisungen der leitenden Kolonialbeamten an die Afrikaner hatten Gesetzeskraft, nur die Verhängung der Todesstrafe war dem Gouverneur vorbehalten. Aber dieser einzigen Einschränkung waren die leitenden Kolonialbeamten nicht ausweglos ausgeliefert; sie verhängten derart harte Strafen in Form von Prügelstrafen und Misshandlungen, die unweigerlich den Tod zur Folge hatten. Zwar waren die leitenden Kolonialbeamten bei Verhängung bestimmter Strafen gezwungen sie aktenkundig zu vermerken, aber weit entfernt im Hinterland, fern der Heimat, war es üblich den Vermerk dieser Strafen zu "vergessen".[7]

Die Konsequenz aus dieser anarchischen Rechtsausübung musste sein, dass die Afrikaner sich auf keine Rechtsgrundlage berufen konnten; besonders in dem Fall, in dem ein Europäer der juristische Gegner war, konnten die Afrikaner von vornherein von einer für sie nachteiligen Rechtsentscheidung ausgehen. Eine Rechtsvertretung für Afrikaner brauchte nicht zugelassen zu werden; der Ausschluss der Öffentlichkeit und der Familie war die Regel.[8]

Sogar wenn es ein koloniales Gesetzbuch gegeben hätte und wäre es noch so ungünstig für die Afrikaner formuliert gewesen, gegenüber der herrschenden rechtlichen Anarchie hätte es einen Fortschritt bedeutet. Für das von Zeitzeugen belegte feine Rechtsempfinden der Afrikaner zerstörten diese kapitalistischen Rechtsanschauungen das traditionelle Rechtsempfinden. Die Deutschen sprachen den Togolesen jegliches Rechtsgefühl ab und verherrlichten ihre eingeführten Rechtsprinzipien: "Dort wo bislang Gewalt vor Recht galt oder richtige Gewalt das Recht war, ward jetzt die Ausübung dieses "Rechts" zum Verbrechen, und so erfüllte in den ersten Zeiten europäischer Herrschaft Gewalttätigkeitsdelikte im europäischen Sinne in allen Variationen die Straflisten der Behörden."[9]

Die Funktionsfähigkeit des kapitalistischen Weltmarktes wurde garantiert durch die kapitalistischen Rechtsvorstellungen. Bei der Verhängung der Todesstrafe war zu bedenken, dass "Das Land einen seiner Arbeitskräfte verlor";[10] ökonomische und nicht moralische Beweggründe beeinflussten die Findung des gerechten Strafmaßes. So war die Verbannung eines Täters aus seiner Heimat und die zwangsweise Ansiedlung unter behördlicher Aufsicht an einem anderen Ort die konsequente Durchführung kolonialer Interessen durch die Kolonialjustiz (Unterkunft und Verpflegung waren Sache der Verurteilten). Die grundlegenden Gegensätze mussten unweigerlich zu prinzipiellen Reibungen zwischen der bürgerlich-orientierten und der traditionellen afrikanischen Rechtsauffassung führen; im mündlich überlieferten Stammesrecht gab es keine Regelung betreffend des Anspruchs auf Privateigentum an Land. So war zum Beispiel die Anteilnahme der Öffentlichkeit ein wesentlicher Aspekt der traditionellen Rechtsprechung.

Genauso willkürlich wie die Verurteilung des Angeklagten, so willkürlich war auch die Findung des Strafmaßes. Die Prügelstrafe war die älteste und am häufigsten erteilte Strafe. Kettenstrafe und Gefängnisstrafe mit Zwangsarbeit wurden ebenfalls häufig verhängt. Vor Einführung der Zwangs- oder Steuerarbeit war die Arbeitsleistung der Strafgefangenen das Hauptziel dieser Strafen gewesen. Später kam die Geldstrafe, Strafestehen, Verbannung und Sippenhaft hinzu.[11]

[...]


[1] Calvert, Albert F.: Togoland, London 1918, S. 1.; vgl. u.v.a.m.

[2] Gärtner, Karl: Togo - Finanztechnische Studie, Darmstadt 1924, S. 19.

[3] Akakpo, A.: Die Besetzung Togos und die Berliner Konferenz 1884/85 in: Togo seit der Berliner Konferenz 1884 - 1914, Hrsg.: Deutsche Afrika Stiftung, Bonn 1984, S.59; vgl. dazu auch Seitz, P.: Grundsätze über Ausstellung und Bewirtschaftung des Etats der deutschen Schutzgebiete, Berlin 1905, S. 7.

[4] Vgl. Noske, Gustav: Kolonialpolitik und Sozialdemokratie, Stuttgart 1914, S. 10 f.

[5] Vgl. Noske, Gustav: Kolonialpolitik und Sozialdemokratie, Stuttgart 1914, S. 81.

[6] Vgl. Radlauer, Ernst: Finanzielle Selbstverwaltung und Kommunalverwaltung, in: 20. Heft der Abhandlungen aus dem Staats- und Verwaltungsrecht, Breslau 1910, S. 141.

[7] Siehe dazu ausführliche Schilderungen bei Müller, F. F.: Kolonien unter der Peitsche, z. B. S. 100.

[8] Vgl. Ahadji, Amétépé‚ Y.; Ali, Napo: Widerstand und Kollaboration in Togo, in: Togo seit der Berliner Konferenz 1884 - 1914, Hrsg.: Deutsche Afrika Stiftung, Bonn 1984, S. 71.

[9] Asmis, Rudolf: Die Besserungssiedlung an der Chra, in: Koloniale Rundschau 1911, S. 530.

[10] Asmis, Rudolf: Die Besserungssiedlung an der Chra, in: Koloniale Rundschau 1911, S. 531.

[11] Allgemeine Informationen zur Justiz in Togo vgl.: Asmis, Rudolf: Die Besserungssiedlung an der Chra, in: Koloniale Rundschau 1911, S. 529 - 540; Meyer, Felix: Die Reform des Eingeborenenrechts, in: Verhandlungen des deutschen Kolonialkongresses, Berlin 1910, S. 571 ff.

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Details

Titel
Maßnahmen einer Kolonialmacht zur Festigung ihrer Herrschaft
Untertitel
Am Beispiel der togolesischen Bevölkerung während der deutschen Kolonialzeit
Autor
Jahr
2009
Seiten
21
Katalognummer
V132842
ISBN (eBook)
9783640395927
ISBN (Buch)
9783640395484
Dateigröße
448 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Togo
Arbeit zitieren
Otto Stammermann (Autor:in), 2009, Maßnahmen einer Kolonialmacht zur Festigung ihrer Herrschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132842

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