Theorien der Sozialen Arbeit. Das Konzept der Lebensweltorientierung


Hausarbeit, 2009

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Hinführung zum Thema
1.1 Einleitung
1.2 Versuche einer Begriffsbestimmung
1.2.1 Der Theoriebegriff
1.2.2 Theorien der Sozialen Arbeit

2. Das Konzept der Lebensweltorientierung
2.1 Grundannahmen
2.2 Traditionslinien
2.3 Entwicklung der Lebensweltorientierung
2.4 Fünf Zugänge
2.5 Dimensionen
2.6 Struktur und Handlungsmaxime einer Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit

3. Lebensweltorientierte Soziale Arbeit in der Praxis am Beispiel der SPFH

4. Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

1. Hinführung zum Thema

1.1 Einleitung

Neulich mal habe ich einem älteren Bekannten, der schon seit Jahren eine Leitungsposition im Jugendamt inne hat, davon erzählt, dass ich nun noch einmal berufsbegleitend meinen Master in Sozialer Arbeit machen will, um mich dann nach Abschluss auch auf eine Leitungsstelle bewerben zu können. Da hat er nur den Kopf geschüttelt und die Augen verdreht: „So was können sich auch nur weltfremde Leute aus der Hochschule ausdenken! Noch mehr Theorie!“ hat er gesagt. Gescheiter wäre es, wenn Leute, die auf eine solche Position scharf seien, bei erfahrenen Leistungsmenschen, wie ihm, in die Lehre gingen. Da würden sie weit mehr für den späteren Job lernen.[1]

Wissenschaftler und Akademiker werden immer wieder mit derartigen Infragestellungen der ihrer Arbeit zugrunde liegenden Theorien konfrontiert. Es stellt sich vor allem bezogen auf das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis die Frage, inwiefern und ob Theorien gerade in der Sozialen Arbeit überhaupt notwendig seien. Zugespitzt formuliert, wird hier auch zugleich die Existenzberechtigung der Sozialen Arbeit als Wissenschaft und Studiengang an Hochschulen angezweifelt. Wenn Theorien überhaupt nicht benötigt werden, wieso sollte dann Soziale Arbeit als Wissenschaft an Hochschulen vertreten sein?

In der vorliegenden Hausarbeit möchte ich mich deshalb zunächst mit dem Theoriebegriff auseinandersetzen. Auch wenn eine allgemeine wissenschaftstheoretische Bestimmung des Theoriebegriffs aufgrund dessen Komplexität schwer möglich ist, soll hier versucht werden, zu einem ersten Verständnis des Theoriebegriffs zu gelangen. Hierauf basierend soll dann nach Kriterien oder Bestimmungen von Theorien der Sozialen Arbeit gefragt werden. Der zweite Teil dieser Arbeit soll sich dann exemplarisch mit einer Theorie bzw. einem Konzept im Rahmen der Sozialen Arbeit beschäftigen. Es stellt sich hier zunächst die Frage nach den Grundannahmen des Konzeptes der Lebensweltorientierung, nach dessen Traditionslinien und dessen Entwicklung. Daraufhin erfolgt einer Darstellung der im Rahmen des Konzeptes der Lebensweltorientierung vertretenen Dimensionen sowie der Struktur- und Handlungsmaximen, die einer Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit zugrunde gelegt werden. Abschließend soll vor einer kurzen Schlussbemerkung das zuvor erläuterte Konzept einer Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit am Beispiel der Sozialpädagogischen Familienhilfe konkretisiert werden.

1.2 Versuche einer Begriffsbestimmung

1.2.1 Der Theoriebegriff

Beschäftigt man sich mit unterschiedlichen Theorien der Sozialen Arbeit und der Sozialpädagogik, so stellt sich sicherlich zunächst die Frage, was eigentlich genau unter „Theorien“ verstanden werden kann. Welche Kriterien müssen Theorien erfüllen? Welchem Zweck dienen sie? Braucht man Theorien überhaupt?

Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass vor allem innerhalb der Sozialen Arbeit bis heute die Konturen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Theorie und Forschung, Theorie und Wissenschaft, Theorie und Ideen oder auch zwischen Theorie und Praxis kaum geklärt sind[2] und somit eine eindeutige Antwort auf die oben gestellten Fragen keineswegs möglich ist. Dennoch soll im Folgenden versucht werden, Gemeinsamkeiten in den Definitionen der Begriffe ‚Theorien’ und ‚Soziale Arbeit’ herauszuarbeiten um so einer Vorstellung dieser Begrifflichkeiten näher zu kommen.

Der Begriff der ‚Theorie’ stammt zunächst aus dem griechischen und bedeutet hier etwa ‚Anschauung’. Nell versteht Theorie in einer allgemeinen Definition als

philosophischen, erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Begriff, der eine Summe von Annahmen und Aussagen bezeichnet, die unter den Ansprüchen innerer Stimmigkeit (Widerspruchsfreiheit), äußerer Abgegrenztheit (Klarheit, Distinktion) und Angemessenheit (Objektivität) sich darauf richten, einen bestimmten Arbeitsbereich, Wirklichkeitsausschnitt oder Handlungszusammenhang in seinen Grundlagen und in seinen Erscheinungsformen zu bestimmen, zu beschreiben bzw. auch zu erklären.[3]

Wissenschaftliche Theorien sollen also in Abgrenzung zu den Alltagstheorien bzw. –wie es Erich Weniger formulierte- zu den Theorien des Praktikers die Kriterien der Widerspruchsfreiheit, Distinktion und Objektivität erfüllen. Erst durch die Einhaltung dieser Kriterien kann eine Theorie ihre Gültigkeit beanspruchen und für andere wissenschaftlich überprüfbar gemacht werden.

Forschungsmethoden als kognitive Operationen dienen der Erkenntnisgewinnung und können somit als Instrumente der Theorien gelten. Hierbei kann grundsätzlich zwischen quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden unterschieden werden. Diese Forschungsrichtungen lassen sich u.a. auch bezüglich der Theoriebildung differenzieren: Im Gegensatz zu den quantitativen Methoden, bei welchen im Sinne eines deduktiven Vorgehens Hypothesen am Beginn des Forschungsprozesses stehen, die innerhalb dessen belegt oder falsifiziert werden sollen, gilt in der qualitativen Forschung das Postulat der Offenheit: Die qualitative Forschung geht also induktiv vor und bildet ihre Hypothesen erst im Anschluss und auf der Basis der im Forschungsprozess gewonnenen Daten.

Eine weitere Aufgabe der Theorien ist darin zu sehen, dass sie auch der Bestimmung des Gegenstandes der jeweiligen Disziplin sowie dessen Grenzen dienen. Sie beschreiben also auch die spezifische Perspektive unter welcher sich die Disziplinen ihrem jeweiligen Gegenstand zuwenden. Diese Perspektive kann als wesentlicher Beitrag zur ‚disziplinären Identität’ der Theoretiker und zur Selbstvergewisserung der in der Disziplin Handelnden verstanden werden, da sie immer auch normative Aspekte und historisch- kulturelle Annahmen enthält.[4]

Theorien können darüber hinaus J. St. Mill zufolge hinsichtlich ihrer Reichweite oder des Grades der Verbindlichkeit differenziert werden. Bezogen auf die Reichweite der Theorien lassen sich Theorien kurzer, mittlerer und längerer Reichweite unterscheiden, wobei vor allem die ‚medium range theories’ aus forschungspraktischen Aspekten als besonders brauchbar angesehen werden. Sie ermöglichen die Verknüpfung von relativ überschaubaren Datensammlungen mit einer gewissen Menge an Erklärungen und absehbaren Voraussagemöglichkeiten.[5]

Eine weitere Differenzierung setzt bei der Unterscheidung zwischen System- und Faktortheorien an. Während letztere vor allem mit dem Ziel der Interpretation von Erscheinungen bzw. Prozessen nach ausschlaggebenden Faktoren suchen, liegt den Systemtheorien die Annahme eines je nach Rahmenbedingungen und Funktionszusammenhängen differierenden Wechselbezugs unterschiedlicher Faktoren zugrunde, die wiederum erst in ihrem jeweiligen Kontext Form annehmen und gewisse Wirkungen erzeugen. Hierbei lassen sich die Resultate jeweiliger Vorgänge und Prozesse als Bestimmungsgrößen für weitere Entwicklungen ansehen.[6]

In Abgrenzung zum lebenspraktischen Handeln, welches immer unter dem Druck spezifischer Entscheidungsnotwendigkeiten steht und diese auch immer lebenspraktisch begründen können muss, dienen Theorien der handlungsentlasteten Betrachtung der Wirklichkeit. Theorien können unabhängig von diesem im lebenspraktischen Handeln vorhandenen Entscheidungszwang in einem zeitunabhängigen Prozess die Erkenntnis finden. Dabei sind Theorien prinzipiell unabgeschlossen und vorläufig; gelten demnach also nur so lange, bis sie modifiziert oder gar falsifiziert werden.

Auch hinsichtlich der Funktionen und des Nutzens von Theorien werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Dennoch lässt sich sagen, dass viele Ansätze davon ausgehen, dass Theorien bezogen auf ihre praktische Relevanz zum einen eine bewusste Praxis ermöglichen, somit die Handlungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten erweitern und zum anderen auch eine Entlastung bei der Begründung der in der Praxis erfolgten Handlungen darstellen. Theorien dienen also auch der Abgrenzung des Gegenstandsbereiches gegenüber anderer Wissenschaften und Professionen, der Lösung von Problemen, der Selbstvergewisserung der disziplinär Handelnden sowie der Identitätsbildung der einzelnen Disziplinen.

1.2.2 Theorien der Sozialen Arbeit

Die Schwierigkeiten, die sich bei einer Bestimmung des Theoriebegriffs ergeben, setzen sich auch bei der Frage nach den Konturen von Theorien der Sozialen Arbeit fort.

So meint Theorie Füssenhäuser/ Thiersch zufolge zunächst die „Diskussion der unterschiedlichen Sachfragen einer sozialwissenschaftlich verstandenen Sozialen Arbeit […] Theorie als ‚theoretische Diskussion’ meint die vielfältigen Diskurse innerhalb der Gegenstandsbereiche der Sozialen Arbeit.“[7] Im Unterschied zu dieser ‚theoretischen Diskussion’ ziele der Diskurs zu einer ‚Theorie der Sozialen Arbeit’ im engeren Sinn „auf die Klärung des Status der Sozialen Arbeit, ihres Aufgabenbereiches und ihrer Funktion(en), ihrer geschichtlichen Selbstvergewisserung und ihrer Positionierung im Kontext der Disziplinen und in den Anforderungen der Praxis.“[8] Die Theorie im engeren Sinne habe also vielmehr die Klärung der Frage nach dem Zusammenhang eines Ganzen sowie dessen Beschreibung, Begründung und Aufklärung zum Ziel. Innerhalb dieses engeren Theoriediskurses differenzieren Füssenhäuser/ Thiersch weiterhin zwischen Sozialer Arbeit als Profession und Sozialer Arbeit als Disziplin. Während diese als Profession eng gebunden an die Aufgaben der Praxis sei und somit vor allem bei der Unterstützung, Beratung und Klärung von Lebensgestaltungsaufgaben und der Inszenierung veränderter sozialer Realität gefragt sei, stehe die Soziale Arbeit als Disziplin vielmehr den unmittelbaren Erfordernissen der Praxis distanziert gegenüber: Diesen so geschaffenen Freiraum könne sie zur Klärung von Voraussetzungen und Strukturen des Gegenstandsbereiches, zur Klärung eines transparenten und überprüfbaren Zusammenhangs von Aussagen und empirischen Befunden, zur Abwägung von Folgen sowie zur reflexiven Analyse und somit auch zum Entwurf von Optionen nutzen.[9]

Thiersch/ Rauschenbach differenzieren fünf Fragen sozialpädagogischer Theoriebildung: Fragen nach der Lebenswelt der Adressaten, nach dem Wissenschaftscharakter, nach der gesellschaftlichen Funktion, nach den Institutionen und dem damit zusammenhängenden Profil professionellen Handelns. Darüber hinaus müsse sich sozialpädagogische Forschung und Theoriebildung Fatke/ Hornstein zufolge auf die Analyse und Beschreibung der subjektiven Sicht der Klienten beziehen. Sie brauche ferner die Reflexion pädagogischer Prozesse und benötige die Analyse sozialer Problemlagen. Hierbei müssen diese drei von Falke/ Hornstein illustrierten Aspekte rückgebunden sein in die Reflexion des historisch- gesellschaftlichen Kontextes.[10]

Auf Basis solcher Entwürfe machen Füssenhäuser/ Thiersch den Versuch gewisse Dimensionen bzw. Kristallisationspunkte sowohl disziplinärer als auch professionsgebundener Theoriebildung zu bestimmen: Zunächst sei es notwendig, dass Theorien der Sozialen Arbeit die Position der Sozialen Arbeit hinsichtlich ihrer Bezugswissenschaften sowie ihre interdisziplinären Bindungen erörtern, um so ihre Eigenständigkeit und ihren Geltungsanspruch zu behaupten.

Neben dem Bemühen um ihren Wissenschaftscharakter, wird auch das Theorie- Praxis Verhältnis als zentrales Thema der Theorien der Sozialen Arbeit angesehen. Im Zentrum steht hier also die wissenssoziologische Frage nach den Unterschieden zwischen den Wissensformen in Theorie und Praxis. Soziale Arbeit als solche produziert zwar selbst theoretische Erkenntnisse, doch ist sie immer auch in ein praktisches Feld eingebunden und muss sich somit auch mit dem Theorie- Praxis Verhältnis auseinandersetzen.

Wie bereits bei dem Versuch einer Begriffsbestimmung des Theoriebegriffs betont, stellt sich im Rahmen von Theorien der Sozialen Arbeit immer auch die Frage nach dem spezifischen Gegenstandsbereich bzw. dem Fokus der Sozialen Arbeit als Wissenschaft, wodurch ihr spezifischer Blickwinkel definiert wird.

Ferner muss sich eine Theorie der Sozialen Arbeit Füssenhäuser/ Thiersch zufolge immer auch mit einer Theorie der Gesellschaft auseinandersetzen, von der aus erst die Funktion der Sozialen Arbeit sowie ihrer Institutionen und Interventionsformen bestimmt werden kann. Theorien der Sozialen Arbeit klären also auch den gesellschaftlichen und sozialen Kontext heutiger Sozialer Arbeit. Weiterhin benötige die Soziale Arbeit als Theorie eine gesellschaftstheoretische Begründung und Reflexion der bearbeiteten Probleme und Aufgaben sowie des Zusammenhangs gesellschaftlich- politischer Fragen mit disziplin- bzw. professionstheoretischen Diskursen. […] Die Theorie der Sozialen Arbeit verhandelt die Frage nach der intermediären Funktion der Sozialen Arbeit innerhalb des Sozialstaats, nach dem Nebeneinander von Sozialer Arbeit und sozialpolitischen und sozialen Dienstleistungen[11]

[...]


[1] May, M.: Aktuelle Theoriediskurse sozialer Arbeit: Eine Einführung, S.17

[2] Rauschenbach, T./ Züchner, I.: Theorien der Sozialen Arbeit in Thole, W.: Grundriss Soziale Arbeit. Ein Einführendes Handbuch, S.139

[3] Nell, W. in Feurhelm, W: Taschenlexikon der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Anpassung: D.H.

[4] Vgl. Hamburger, F.: Theorie der Sozialpädagogik/ Sozialarbeit. In: Feuerhelm, W.: Taschenlexikon der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, S.641

[5] Vgl. Nell, W. in Feurhelm, W: Taschenlexikon der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, S.

[6] Vgl. ebd.

[7] Füssenhäuser, C./ Thiersch, H.: Theorien der Sozialen Arbeit. In. Otto, H.-U./ Thiersch H.: Handbuch der Sozialarbeit/ Sozialpädagogik, S. 1876

[8] Ebd,, S. 1876 f.

[9] Vgl. ebd., S. 1877

[10] Vgl. Füssenhäuser, C./ Thiersch, H.: Theorien der Sozialen Arbeit. In. Otto, H.-U./ Thiersch H.: Handbuch der Sozialarbeit/ Sozialpädagogik, S. 1881

[11] Füssenhäuser, C./ Thiersch, H.: Theorien der Sozialen Arbeit. In. Otto, H.-U./ Thiersch H.: Handbuch der Sozialarbeit/ Sozialpädagogik, S. 1883, Auslassung: D.H

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Theorien der Sozialen Arbeit. Das Konzept der Lebensweltorientierung
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Erziehungswissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
27
Katalognummer
V132883
ISBN (eBook)
9783640391196
ISBN (Buch)
9783640391004
Dateigröße
472 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theorien, Sozialen, Arbeit, Konzept, Lebensweltorientierung
Arbeit zitieren
Daniela Hammerschmidt (Autor:in), 2009, Theorien der Sozialen Arbeit. Das Konzept der Lebensweltorientierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132883

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