Luther stellt 1523 seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ Zitate von Paulus im Römerbrief (Röm. 13; 1,2) und Petrus (1. Petr. 2; 13,14) voran. Diese Schrift stand nachfolgend häufig im Mittelpunkt theologischer und staatsphilosophischer Betrachtungen. Insbesondere mit der daraus abgeleiteten sogenannten Zwei-Reiche-Lehre wurde Martin Luther vielfach als Kronzeuge für die politische Entwicklung besonders in Deutschland herangezogen. Fast scheint es aber, als hätten gerade jene Rezipienten der Obrigkeitsschrift, die Luther als Gewährsmann für politisches Handeln heranzogen nicht oder nicht viel mehr als die o. g. hinlänglich bekannten Bibelzitate gelesen oder verstanden. Jedenfalls sollte die Reduktion Luthers auf „Obrigkeitsstaat“ und „Obrigkeitsgehorsam“, insbesondere für das Regime des Dritten Reichs, künftig eine zentrale Rolle spielen. Aber gerade die Inanspruchnahme dieser Lehre durch Diktaturen des zwanzigsten Jahrhunderts forderte Theologen, Philosophen und Staatsrechtler zu Widerspruch oder Parteinahme heraus. Sie schufen jedoch mit ihren Interpretationen um die Zwei-Reiche-Lehre herum einen „Irrgarten“ ausufernder Literatur, die nicht immer zu vermehrter Klarheit über Luthers Theologie beigetragen hat.
Ein besseres Verständnis von Luthers staatsbezogenen Schriften mag sich aus der Betrachtung des historischen Kontextes ergeben, aus dem heraus Luthers Werk entstanden ist. Der Zusammenhang von Luthers Zwei-Reiche-Lehre mit den spätmittelalterlichen Schriften insbesondere Marsilius von Padua und Wilhelms von Ockham ist bislang wenig bearbeitet worden. Weithin bekannt und untersucht sind die Wurzeln der Zwei-Reiche-Lehre in den civitates des Augustinus. Zwischen Augustinus und Luther liegen allerdings mehr als eintausend Jahre Rezeptionsgeschichte. Luther selbst war in der Disputationstradition Wilhelms von Ockham geschult und sah sich auch als dessen Schüler. Insofern kann ein Blick zumindest auf die spätmittelalterlichen Theologen, von denen hier besonders Wilhelm von Ockham herausgegriffen werden soll, Luthers Glaubensverständnis und seine Transformation der zuvor maßgeblichen Lehre von den „zwei Schwertern“ zur Zwei-Reiche-Lehre erhellen. Dabei liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit nicht in der Erörterung der Zwei-Reiche-Lehre insgesamt. Vielmehr wird die Entwicklung von der spätmittelalterlichen Zwei-Schwerter-Lehre bis zu Luthers Gewaltentrennung dargestellt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Geschichtlicher Hintergrund
- Die politische Situation um 1300
- Die Rezeption der zwei Schwerter bis 1300
- Situation zu Beginn des 14. Jahrhunderts
- Marsilius von Padua
- Wilhelm von Ockham
- Die Eigentumsfähigkeit des Menschen
- zur allegorischen Auslegung von Lk 22,38
- Gabriel Biel
- Martin Luther
- Zur Situation bis 1500
- Luthers theologischer Hintergrund
- Die Römerbriefvorlesung 1515/16
- Ablasskritik
- Leipziger Disputation
- Das weltliche Schwert und das Widerstandsrecht
- Die zwei Schwerter in der Obrigkeitsschrift
- Ergebnis
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Transformation der Zwei-Schwerter-Lehre von Wilhelm von Ockham zur Zwei-Reiche-Lehre von Martin Luther. Sie analysiert die historischen und theologischen Hintergründe dieser Entwicklung und untersucht die Bedeutung der Zwei-Reiche-Lehre für das Staatsverständnis in der Geschichte.
- Die historische Entwicklung der Zwei-Schwerter-Lehre
- Die theologischen Grundlagen der Zwei-Reiche-Lehre
- Die Rolle der Zwei-Reiche-Lehre in der politischen Philosophie
- Die Rezeption der Zwei-Reiche-Lehre in der Geschichte
- Die Bedeutung der Zwei-Reiche-Lehre für das heutige Staatsverständnis
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Zwei-Schwerter-Lehre und ihrer Bedeutung für das Staatsverständnis ein. Sie beleuchtet die historische Entwicklung der Lehre und die Rolle der Bibelzitate in Luthers Schrift „Von weltlicher Obrigkeit“.
Das Kapitel „Geschichtlicher Hintergrund“ beleuchtet die politische Situation um 1300 und die Rezeption der Zwei-Schwerter-Lehre bis zu diesem Zeitpunkt. Es analysiert die Situation zu Beginn des 14. Jahrhunderts und die Bedeutung der Zwei-Schwerter-Lehre für die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat.
Das Kapitel „Marsilius von Padua“ befasst sich mit der politischen Philosophie des italienischen Gelehrten und seiner Kritik an der päpstlichen Macht.
Das Kapitel „Wilhelm von Ockham“ analysiert die philosophischen und theologischen Ansichten des englischen Franziskaners. Es untersucht seine Lehre von der Eigentumsfähigkeit des Menschen und seine allegorische Auslegung der Bibelpassage Lk 22,38.
Das Kapitel „Gabriel Biel“ befasst sich mit dem deutschen Theologen und seinen Ansichten zur Zwei-Schwerter-Lehre.
Das Kapitel „Martin Luther“ analysiert die theologischen Grundlagen der Zwei-Reiche-Lehre bei Luther. Es untersucht seine Römerbriefvorlesung, seine Ablasskritik und die Leipziger Disputation. Es beleuchtet Luthers Ansichten zum weltlichen Schwert und zum Widerstandsrecht sowie seine Darstellung der Zwei-Schwerter-Lehre in der Obrigkeitsschrift.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Zwei-Schwerter-Lehre, die Zwei-Reiche-Lehre, Wilhelm von Ockham, Martin Luther, Staatsphilosophie, politische Philosophie, Kirche und Staat, Obrigkeit, Widerstandsrecht, Bibelinterpretation, Geschichte des Staatsverständnisses.
- Quote paper
- Matthias Raudszus (Author), 2009, Die Transformation der zwei Schwerter bei Wilhelm von Ockham zur Zwei-Reiche-Lehre bei Martin Luther, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132985