Dichter in Uniform

Gottfried Benns Emigration in die Armee


Essay, 2009

20 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Zusammenfassung

1. Einführung

2. Kunst und Macht

3. Emigration in die Armee
3.1. April 1935: Benns Reaktivierung in Hannover
3.2. Ein Liebesleben in guter Regie
3.3. Völkischer Angriff. Das Schwarze Korps versus Benn
3.4. Versetzt nach Berlin. Der Oberstabsarzt zur Verfügung des OKH

4. Dichten für die Schublade
4.1 Benns Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer
4.2. Die oberste Instanz der Wehrmacht für Versorgung und Dienstbeschädi gung
4.3. Kunst und Drittes Reich. Ein provoziertes Leben
4.4. Benns schöpferische Hochform in Landsberg an der Warthe

5. Rauschgift der Poesie. Sein Comeback nach dem Krieg

6. Ein Täter, ein Verfolgter

7. Literatur
7.1. Primärliteratur
7.2. Sekundärliteratur

Zusammenfassung

Gottfried Benn (1886-1956) war über Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler begeistert. Benn meinte, seine Kunstauffassung im „neuen Staat“ zur Geltung bringen zu können. Jedoch erkannte er bald, dass sein Verständnis von der Ausdruckskraft der Kunst und ihrer Bedeutung für das deutsche Volk auf Ignoranz und Ablehnung seitens der NS-Kultur­funktionäre stieß. Er wandte sich enttäuscht vom NS-Regime ab und zog sich in die Armee zurück. Seine Selbststilisierung zum einsamen und verkannten Dichter in Uniform, sein Doppelleben begann. Äußerlich angepasst als Sanitätsoffizier, pflegte Benn sein geistiges Grenzgängertum: in den Briefen an den Bremer Kaufmann und Goethe-Sammler Dr. jur. Friedrich Wilhelm Oelze (1891-1978) und in seinen einstweilen nicht zu veröffentlichenden Manuskripten. Oelze wurde ihm zum Lektor und Archivar seiner Arbeiten und zum Mäzen in schwierigen Zeiten. Nach dem Krieg hatte Benn mit seiner künstlerischen Selbstdarstellung ein großartiges Comeback; seine Lyrik, Prosa und Essays wurden lobend rezensiert und begeistert gelesen. Doch Benn – der Zeitzeuge – verdrängte sein politisches Engagement für das NS-Regime, zum öffentlichen Bekenntnis eigenen Fehlverhaltens war er nicht fähig.

1. Einführung

Es sind fast ausschließlich Literaturwissenschaftler, die die Standards der biographischen Benn-Forschung setzen, unter anderen Paul Raabe, Werner Rübe, Christian Schärf, Helmut Lethen und besonders Joachim Dyck.[1] Der emeritierte Professor für Literaturtheorie und Vorsitzende der Gottfried-Benn-Gesellschaft ragt mit den untersuchten 20 Jahre vom ersten internationalen Ruhm bis zum fulminanten Comeback Benns aus der Forschung hervor.[2] Er beschreibt Benn erstmals ausführlich als Dichter in Uniform. Das ist sinnvoll, denn Benn überlebte die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg in Wehrmachtsuniform. Es ist zu zeigen, dass seine literarischen Veröffentlichungen nach 1945 ohne seinen Eigensinn und seine Zeit als Sanitätsoffizier nicht angemessen zu verstehen sind. Die Militärzeit strahlte auf Benns Lebensweg aus und beeinflusste sein weiteres künstlerisches Schaffen maßgeblich.

Von 1905 bis 1910 absolvierte Benn sein Medizinstudium an der Berliner Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen, Pépinière genannt, und erlangte die Approbation. Im Ersten Weltkrieg erhielt er als Sanitätsoffizier für seine Teilnahme an der Erstürmung Antwerpens (Oktober 1914) das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse. Danach arbeitete er als Militärarzt in einem Prostituierten-Krankenhaus in Brüssel. Anfang November 1917 ließ Benn sich als Spezialist für Haut- und Geschlechtskrankheiten in der Belle-Alliance-Straße 12 (heute Mehringdamm 38), Berlin-Kreuzberg, nieder.

Vor dem Krieg schrieb Benn Beiträge in medizinischen Fachzeitschriften. Nach dem Krieg veröffentlichte er Artikel mit metaphysisch-transzendentalem Gedankengut. Medizin als eine reine Wissenschaft sowie die auf Kausalitäten abzielenden Naturwissenschaften allgemein lehnte er ab, da sie dem tiefgründigen Wesen des Menschen nicht gerecht werden könnten. Nach dem Niedergang der religiösen Werte konnte das in seinen Augen allein die Ausdruckskraft der Kunst. Kunst hatte für Benn etwas Göttlich-Schöpferisches. Er wird verkannt, insofern man ihn als Nihilisten betrachtet. Er beschrieb seine Erfahrung des Nihilismus und sah in der Kunst seine Überwinderin. Benns Auffassung vom Menschen war weder aufklärerisch noch humanistisch, sie war metaphysisch. Er war ein Mediziner mit ausgeprägten Tendenzen zum Medizinmann[3] und betrachtete den menschlichen Leib als „ein metaphysisches Massiv, aus ihm steigen die Geheimnisse“.[4] Er war ein Außenseiter unter seinen Ärztekollegen.

2. Kunst und Macht

Am 5. April 1932 hielt Benn seine Antrittsrede zur Aufnahme in die Preußische Akademie der Künste, Abteilung für Dichtkunst, was eine Ehre für ihn war. Alfred Döblin, Gerhart Hauptmann, die Brüder Mann und andere zählten zu seinen Akademie-Kollegen. Benn genoss also endlich offizielle Anerkennung im Weimarer Kunstbetrieb. Doch zuvor hatte er bei kulturpolitischen Kontroversen in den öffentlichen Medien keine Verbündeten unter seinen Künstlerkollegen gefunden. Er hatte bereits das Bewusstsein entwickelt, sich als Einzelkämpfer behaupten zu müssen, und wuchs in die Rolle eines kulturkritischen und politischen Schriftstellers hinein, der die Ansichten des kommunistischen Lagers über Kunst und Literatur bekämpfte. Exemplarisch dafür ist die Kontroverse mit Werner Hegemann über Benns Würdigung von Heinrich Mann zu dessen sechzigstem Geburtstag am 27. März 1931.[5]

Benn bekannte sich nach dem 30. Januar 1933 zum neuen Regime. Seine Ansicht zur Machtübergabe an Adolf Hitler wird im Brief an Gertrud Zenses vom 23. September 1933 explizit: „Liebes Trudchen, [...] Man kann eigentlich heute jeden nur, der Einwände macht, fragen: Denken Sie geschichtlich oder denken Sie privat? [...] Wer aber geschichtlich denkt, wird schweigen, alles hinnehmen, was ihm diese Zeit an innerer Zerstörung und auch persönlichem Schaden zufügt denn er weiss, dahinter stehen die Gesetze des Lebens, die nicht auf Glück ausgehen, sondern auf Schicksal.“ Benn erblickte eine „Wendung der abendländischen Geschichte“, für ihn begann eine „neue Welt“.[6]

Er sah im totalitären Staat eine geschichtliche Notwendigkeit. Er verurteilte das moralische Wehgeschrei der literarischen Emigranten; Wertefragen seien für historische Ereignisse dieser Dimension unangemessen. Er warb gegenüber Zenzes sogar um Verständnis für den von ihr kritisierten Antisemitismus: „Was nun das Judenproblem angeht, an dem Sie vielleicht besonders leiden und das Nordamerika mit seinem unvergleichlichen Rassenmischmasch natürlich ganz fremd ist, so sehen Sie das sicher auch ganz falsch. Denken Sie einmal, unter den Berliner Ärzten waren 85% Juden, den Rechtsanwälten 75%. In den journalistischen und Theaterbetrieben auch ungefähr 80%. Es ist doch vollkommen selbstverständlich, dass dieser Zustand eines Tages als unmöglich angesehen wurde. Jetzt sagen die Juden selber, sie hätten ihrerseits Massnahmen treffen müssen, um einem solchen Zustand vorzubeugen. Aber im Augenblick ist es natürlich zu spät. Das Judenproblem ist ja sehr, sehr schwierig.“[7]

Gleichzeitig verteidigte er die Rolle der Kunst, die in der revolutionären Woge nicht untergehen dürfe, da es ihre Aufgabe sei, an der Form- und Stilbildung des Staates und Volkes mitzuwirken. Seit Beginn der dreißiger Jahre schrieb er dem „konstruktiven Geist“ eine Heilungs- und Ordnungsfunktion zu, die zuvor der Religion zugekommen sei – eine Ordnung „ nach dem Nihilismus“ in Form der Ausdruckswelt. Was der Künstler im schöpferischen Akt des Dichtens erlebe, solle dem Volk in der Wahrnehmung vollendeter Kunstwerke zuteil werden. Die Erziehung des Volkes durch die Kunst solle die Gesellschaft kunstfähig machen. Benn wollte dieses Konzept durch die neuen Machthaber gefördert sehen, was Ausdruck des alten abendländischen Intellektuellentraums ist, eine ästhetische Führerschaft an der Seite der Politik einzunehmen.[8]

Er blieb aber letztlich in der Sphäre des abseitigen Dichters und geriet zunehmend ins politische Abseits. Bald wurde ihm der Zugang zum Rundfunk versperrt: Der „Barde des Nationalsozialismus“ hatte ausgespielt.[9] Oft wird der „Röhm-Putsch“ als Benns Moment des Erwachens genannt. Doch steht dieses Ereignis am Ende einer Kette von Erfahrungen, die er mit der Kunst- und Kulturpolitik im NS-Staat machte und die auf die vollkommene Zerstörung der künstlerischen Autonomie hinausliefen.

3. Emigration in die Armee

3.1. April 1935: Benns Reaktivierung in Hannover

Nach seinem Kniefall vor den Nationalsozialisten wagte Benn die Flucht nach vorn. Er trat mit ehemaligen Studienkollegen aus der Pépinière-Zeit in Verbindung, die in die Reichswehr übernommen worden waren und jetzt an Entscheidungsstellen saßen. Oberstarzt Professor Dr. Walther Kittel (1887-1971), Chef des Stabes der Heeressanitätsinspektion in Berlin, sorgte für Benns Reaktivierung. So gelang ihm die Flucht in die Reichswehr, die er als „aristokratische Form der Emigrierung“ bezeichnete.[10] Unter aristokratisch verstand Benn die isolierte, die schweigende, die mönchische Form seiner Lebensführung. Den Ausdruck als Herabsetzung der literarischen Emigranten zu interpretieren, ist falsch.[11]

Mit dem „Gesetz zur Wiedererlangung der Wehrhoheit und der Wehrfreiheit“ vom 16. März 1935 wurde die Voraussetzung zum Aufbau der Wehrmacht geschaffen. Es entstanden die Wehrersatzinspektionen, darunter jene des Wehrkreises XI in Hannover, bei der Benn am 1.April 1935 seinen Dienst antrat. Seine Probezeit in Zivil lief nach sechs Monaten ab und er wurde im Majorsrang als Oberstabsarzt (E) übernommen. Der Zusatz (E) steht für Ergänzung und wurde Reaktivierten zuteil, die das so genannte E-Offizierskorps bildeten.

„Ach ich bin nicht glücklich in der Uniform! Seit ich sie trage, ist mir mies“, klagte Benn gegenüber Friedrich Wilhelm Oelze. Doch pflichtbewusst gab er zum Einstand für zwölf Männer seiner Dienststelle einen feierlichen Herrenabend in „Friedrich Wolfs Weingroßhandlung und Weinstuben“, wo er oft und gerne zu Gast war. Es gab ein kaltes Buffet, Korn und Bier. „Die meisten hatten bald schwere Schlagseite u. langsamen Zungenschlag.“ Benn schloss seine Rede mit dem alten Soldaten-Schlachtruf „Hurra“ auf die Wehrersatzinspektion Hannover.[12]

Benn war in Hannover Leiter der Abteilung IV b und für das gesamte Heeressanitätswesen des Wehrkreises mit den Wehrbezirkskommandos Hannover, Braunschweig, Celle, Göttingen, Goslar, Hameln und Hildesheim verantwortlich. Zu seinen Aufgaben zählten die Aufstellung der Sanitätsabteilungen mit den Sanitätsstaffeln, die Organisation der Lazarette und die Arrangierung und Leitung von „Kriegsspielen“.[13] Seine Ressortkollegen kamen alle aus alten Adelsfamilien, deren Umgang er schätzte. Er beherrschte das maskierte Offizierspielen. „Es war äußerst nett u. gemütlich! Nächst dem jüdischen ist mir ja das adlige das liebste Milieu. Auch hier etwas Überlegenes u. man könnte sagen: Unnordisches, eben Verfeinerung. [...] Der gestrige Abend hebt natürlich meine Stellung hier innerhalb der Inspektion enorm! Allein! In Zivil! Nur in Familie!“[14] Ein andermal erzählt Benn seinem Brieffreund Oelze von einer Woche mit vier Abendeinladungen – „das ist eine Materialschlacht“. Da unterhielt man sich beispielsweise darüber, wer im November 1915 Chef des Stabes beim 15. Reservekorps war. „Alles Helden, ich gebe es zu, und meine Verehrung vor ihnen und vor dem Weltkrieg als Ganzen ist uneingeschränkt, ich bin froh, dazugehört zu haben und wieder dazu zu gehören, aber es strengt unendlich an.“[15] Ein vertrauensvolles Verhältnis gewann Benn zu Generalmajor Ferdinand von Zepelin, dem Kommandeur der Wehrersatzinspektion Hannover, mit dem er sich sogar über seine „Schriftstellerei“, die er sonst verbarg, gut unterhalten konnte.

[...]


[1] Paul Raabe, Gottfried Benn in Hannover 1935-1937; Werner Rübe, Provoziertes Leben. Gottfried Benn;
Christian Schärf, Der Unberührbare. Gottfried Benn – Dichter im 20. Jahrhundert; Helmut Lethen, Der Sound der Väter. Gottfried Benn und seine Zeit; Joachim Dyck, Der Zeitzeuge. Gottfried Benn 1929-1949.

[2] Im März 1929 erschien der Essay „Urgesicht“ in der „Neuen Rundschau“ (siehe Sämtliche Werke/SW III, S. 209f.) und wurde noch im selben Jahr ins Französische und Englische übersetzt.

[3] Bruno Hillebrand, Zum essayistischen Werk von Gottfried Benn, S. 759.

[4] „Frühe Lyrik und Dramen. Vorbemerkung “ (August 1952): SW VI, S. 69-71, hier S. 71.

[5] Vgl. Joachim Dyck, Der Zeitzeuge, S. 41ff.

[6]Es ist nur ein Anfang, es beginnt eine neue Welt.“

[7] Ibid. Zum Benn-Zenses Briefwechsel vgl. Jan Bürger, Ein Täter, ein Verfolgter.

[8] Antje Büssgen, Glaubensverlust und Kunstautonomie, S. 378.

[9] Thea Sternheim, Tagebuch 02.07.1933. Benn war Arzt des Dramatikers Carl Sternheim, mit dem Thea Sternheim (1883-1971) in zweiter Ehe verheiratet war. Sie trennten sich endgültig 1927. Thea Sternheim emigrierte vor der „Machtergreifung“ nach Paris. Benn verabschiedete sie am 16.04.1932 mit: „Tausend Grüsse, Deserteur, u. einen Handkuss.“ Ihre Freundschaft zu Benn hielt – unterbrochen durch die NS-Zeit – bis zu Benns Tod 1956. Vgl. Matthias Bormuth, Anmerkungen zu Gottfried Benn, S. 24, Anm. 2.

[10] Benn an Friedrich Wilhelm Oelze, 18.11.1934.

[11] Dyck, Der Zeitzeuge, S. 171f.

[12] Benn an Oelze, 11.10.1935.

[13] „Der Angriff von Blau ging früh 6 Uhr in Richtung Peine und nordostwärts vor, um einen noch in Versammlung befindlichen Feind zurückzuwerfen; 4 Divisionen, kriegsmässig, aber Feind gut ausgebildetes WehrpflichtHeer, in der Luftlage hat Blau an diesem Frontabschnitt Überlegenheit; Bevölkerung hilfsbereit; Wetter heiter, Morgennebel, Sonnenuntergang 15.32 h. Kampf dauert bereits 2 Tage, mittlere Verluste, einige Typhusfälle -: wo würden Sie den Hauptverbandsplatz einrichten?“ Benn an Oelze, 29.11.1936.

[14] Benn an Elinor Büller, 04.12.1935.

[15] Benn an Oelze, 08.11.1936.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Dichter in Uniform
Untertitel
Gottfried Benns Emigration in die Armee
Autor
Jahr
2009
Seiten
20
Katalognummer
V133006
ISBN (eBook)
9783640403868
ISBN (Buch)
9783640404254
Dateigröße
484 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dichter, Uniform, Gottfried, Benns, Emigration, Armee
Arbeit zitieren
Magister Artium Frank Gerlich (Autor:in), 2009, Dichter in Uniform, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133006

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