Die Unvereinbarkeit des Bürgertums mit der Künstlerexistenz dargestellt anhand der Protagonisten Tonio Kröger und Gustav von Aschenbach


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Tonio Kröger
2.1 Seine Jugendjahre
2.2 Die Abkehr vom Bürgertum
2.3 Tonio Kröger reflektiert sein Künstlertum

3. Gustav von Aschenbach
3.1 Biographische Schwerpunkte
3.2 Der `Künstler´ Gustav von Aschenbach
3.3 Der Aufbruch und die Ankunft in Venedig

4. Platons `Symposion´ Der Künstler Gustav von Aschenbach und der `verirrte Bürger´ Tonio Kröger

5. Schlussbetrachtung

6. Literaturverzeichnis

Einleitung

„Die Kunst ist das schönste, strengste, heiterste

und frömmste Symbol alles unvernünftig menschlichen Strebens

nach dem Guten, nach Wahrheit und nach Vollendung“[1]

Mit dieser Aussage formuliert Thomas Mann eine Grundfrage seines literarischen Schaffens, nämlich welcher Bedeutung der Kunst und dem Künstler überhaupt zugesprochen werden kann. Wer darf von sich behaupten, ein Künstler zu sein und unter welchen existentiellen Bedingungen kann diese Bestimmung der Kunst realisiert werden?

Vorbild war für Thomas Mann Johann Wolfgang von Goethe, da er in ihm die „Verwirklichung eines `integralen Menschen´“[2] gesehen hat. Eine herausragende Persönlichkeit, die in sich die gegensätzlichen Phänomene Kunst und Leben vereinigte.

Diese Komposition erscheint außergewöhnlich und kann deshalb nicht als repräsentativ vorausgesetzt werden. Die Bedingungen aber, aufgrund derer die Protagonisten als Künstler charakterisiert werden können, reflektiert Thomas Mann in seinen Novellen „Tonio Kröger“ (1903) und „Der Tod in Venedig“ (1911).

Unter Berücksichtigung relevanter Fachliteratur soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, ob man „[…] ein Blättchen pflücken dürfe, ein einziges, vom Lorbeerbaume der Kunst, ohne mit seinem Leben dafür zu zahlen?“[3] und somit überhaupt eine Vermittlung von Bürgertum und Künstlerdasein möglich ist.

Hierbei lassen sich in den beiden Novellen sowohl Gemeinsamkeiten als auch wesentliche Unterschiede beziehungsweise grundlegend divergierende Ansätze erkennen, die Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind.

Tonio Kröger

2.1 Seine Jugendjahre

Der Konflikt zwischen Bürgertum und Künstlertum zeichnet sich bereits im viel sagenden Titel der Novelle ab, denn Tonio Kröger symbolisiert die Vereinigung zweier Gegensätze in einer Person. Der Name setzt sich aus dem südländischen Vornamen und dem bürgerlich-nordischen Familiennamen zusammen.

Sein Vorname, der bei seinen Mitschülern Aufsehen erregt, „Ich nenne dich Kröger, weil dein Vorname so verrückt ist, du, entschuldige, aber ich mag ihn nicht leiden. Tonio…Das ist doch überhaupt kein Name […]!“[4], geht auf seine südländische Mutter Consuelo zurück, die sich Tonios Vater, ein nordischer Kaufmann, „[…] erstmals von ganz unten auf der Landkarte heraufgeholt hatte […].[5] Tonio geht also aus der ungleichen Verbindung des bürgerlichen Vaters mit der „[…] dunkle[n] und feurige[n] Mutter, die so wunderbar den Flügel und die Mandoline spielte […]“[6] hervor. In der Person Tonio Kröger vereint sich auf diese Weise das gewöhnliche Leben, symbolisiert durch die hanseatischen Wurzeln seines Vaters, mit der Kunst und dem Geistigen, das er durch seine südländische Mutter mitbekommen hat.

Seine Aussage „Warum bin ich so sonderlich und im Widerstreit mit allem, zerfallen mit den Lehrern und fremd unter den anderen Jungen?“[7], kennzeichnet seine empfundene Außenseiterrolle in der Gesellschaft schon zu Jugendzeiten: „Der zum Künstlerdasein vorbestimmte Knabe muß schon früh das schmerzvolle Ausgeschlossensein aus der normalen Lebenswelt erfahren.“[8]. Tonio Krögers Interesse gilt eher seinen selbstverfassten Versen und seiner Geige als dem Schulunterricht und den Hausaufgaben, wodurch er nicht unbedingt in das Bild des gesitteten Bürgers passt. Dass dem verträumten und intellektuellen Jungen dieses Anderssein überhaupt missfällt, ist auf die vom Vater geerbte Zuneigung zum bürgerlich Normalen zurückzuführen. Traurig erkennt er: „[…] und er war allein und ausgeschlossen von den Ordentlichen und Gewöhnlichen […]“[9].

Sich in der Position zwischen Bürgertum und Künstlertum befindend, erblickt er in seinen Altersgenossen Hans Hansen und Ingeborg Holm schließlich die Prototypen des nordisch Bürgerlichen. Sie verkörpern nicht nur äußerlich, „ […] mit dem dicken, blonden Zopf, den länglich geschnittenen, lachenden, blauen Augen und dem zart angedeuteten Sattel von Sommersprossen über der Nase […]“[10], sondern auch vom Wesen her das genaue Gegenteil von Tonio und entsprechen somit Thomas Manns Lebensbegriff, den er als „Liebenswürdigkeit, das Glück, die Kraft, die Anmut, die angenehme Normalität der Geistlosigkeit, Ungeistigkeit verstanden [hat].“[11].

Tonio liebt und distanziert sich von diesem Typus Mensch zugleich, denn „Das hohe Ziel und die Verachtung der `Nebelwelt` schließen nicht aus, daß der Künstler sich trotzdem nach dem normalen Leben sehnt.“[12]. Nur allzu gerne würde er zu den Gewöhnlichen gehören, die zwar nicht seine hohe Intelligenz aufweisen, aber in ihrer Geistlosigkeit eine derartige Unbeschwertheit verkörpern, die Tonio aufgrund seines erkennenden Künstlertums nicht erfahren kann. Da er schon nicht selbst Teil dieser Gewöhnlichen und Normalen sein kann, so ersehnt er sich wenigstens deren Anerkennung. Während er um Hans Hansens und im weiteren Verlauf auch um Inge Holms Wertschätzung buhlt, wird ihm schmerzvoll bewusst, dass sich diese Charaktere bevorzugt zu gleich gesinnten Personen hinwenden. Bereits im ersten beschriebenen Zusammentreffen von Tonio und Hans werden derartige Differenzen deutlich. Als Tonio seinen Freund für Schillers `Don Carlos` zu begeistern versucht, antwortet dieser: „Ach nein, […] das laß nur Tonio, das paßt nicht für mich. Ich bleibe bei meinen Pferdebüchern, weißt du.“[13]. Auch die heitere Inge Holm interessiert sich nicht für die selbstverfassten Verse des sonderlichen Intellektuellen und bewundert vorzugsweise ihren Tanzlehrer Francois Knaak, was Tonio sogar nachvollziehen zu scheint: „Wie ruhevoll und unverwirrbar Herrn Knaaks Augen blickten! Sie sahen nicht in die Dinge hinein, bis dorthin, wo sie kompliziert und traurig werden […]. Ja, man mußte dumm sein, um so schreiten zu können wie er; und dann wurde man geliebt, denn man war liebenswürdig.“[14]. Diese Dummheit fehlt Tonio zum sorglosen Leben und lässt gleichzeitig die Kluft zu Inge wachsen: „So schön und heiter wie du kann man nur sein, wenn man nicht `Immensee´ liest und niemals versucht, selbst dergleichen zu machen; das ist das Traurige.“[15].

Während ein Hans Hansen oder eine Inge Holm nicht die gleiche Sprache wie Tonio zu sprechen scheinen, suchen lediglich Menschen seines eigenen Typus, dem des Künstlers, seine Nähe. Doch zu Magdalena Vermehren, die ihn während der Tanzstunden oft von Weitem mit ihren dunklen und ernsten Augen ansieht und ihn gebeten hat, ihr seine verfassten Verse zu zeigen, empfindet er keine Verbindung. „Es kam der Tag, wo er berühmt war, wo alles gedruckt wurde, was er schrieb, und dann würde man sehen, ob es nicht Eindruck auf Inge Holm machen würde… Es würde keinen Eindruck machen, nein, das war es ja. Auf Magdalena Vermehren, die immer hinfiel, ja, auf die. Aber niemals auf Inge Holm […].[16].

Gelegentlich wünscht sich Tonio, dass Hans und Inge sich für die gleichen Dinge wie er interessieren würden, doch er sieht ein, dass dann Hans nicht mehr Hans und Inge nicht mehr Inge wäre und bereut seinen Gedanken sofort: „Nein, nein, das wollte er nicht! Hans sollte nicht werden wie Tonio, sondern bleiben, wie er war, so hell und stark, wie alle ihn liebten und Tonio am meisten!“[17].

[...]


[1] Zitat Thomas Manns, im Ausstellungsraum des Buddenbrock-Hauses in Lübeck

[2] Pütz, Peter: Kunst und Künstlerexistenz bei Thomas Mann und Nietzsche, Bonn: Bouvier 1975, S. 51

[3] Mann, Thomas: Tonio Kröger/ Mario und der Zauberer, Frankfurt am Main: Fischer, 1993, S. 40

[4] Mann: Tonio Kröger, 1993, S. 14.

[5] Ebd., S. 11

[6] Ebd., S. 11

[7] Ebd., S. 11

[8] Pütz, 1975, S. 67

[9] Mann: Tonio Kröger, 1993, S. 15

[10] Mann: Tonio Kröger, 1993, S. 18

[11] Pütz 1975, S. 49

[12] Ebd., S. 42

[13] Mann: Tonio Kröger, 1993, S. 13

[14] Ebd., S. 20

[15] Ebd., S. 22

[16] Mann: Tonio Kröger, 1993, S. 23

[17] Ebd., S. 17

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Unvereinbarkeit des Bürgertums mit der Künstlerexistenz dargestellt anhand der Protagonisten Tonio Kröger und Gustav von Aschenbach
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Veranstaltung
Thomas Mann: Erzählungen
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
20
Katalognummer
V133157
ISBN (eBook)
9783640396757
ISBN (Buch)
9783640397020
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Unvereinbarkeit, Bürgertums, Künstlerexistenz, Protagonisten, Tonio, Kröger, Gustav, Aschenbach
Arbeit zitieren
Leanne Bauckloh (Autor:in), 2009, Die Unvereinbarkeit des Bürgertums mit der Künstlerexistenz dargestellt anhand der Protagonisten Tonio Kröger und Gustav von Aschenbach, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133157

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