Einfluss des Islam auf die Politik der Türkei


Hausarbeit, 2008

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung:

1. Einleitung

2. Besonderheiten des Politischen Systems der Türkei
2.1 Kemalismus – Grundpfeiler des türkischen Staates
2.2 Das Diyanet – Staatliche Kontrolle der Religion
2.3 Der Nationale Sicherheitsrat – Das Militär als Beschützer der Republik

3. Der Islam in der türkischen Politik – Werkzeug von Parteien und Staat
3.1 Die Türkisch-Islamische Synthese
3.2 Anavatan Partisi – Neue Dynamik für islamistische Interessengruppen in der Ära von Turgut Özal
3.3 Refah Partisi – Aufstieg und Fall der Islamistischen Wohlfahrtspartei unter Necmettin Erbakan
3.4 Die AKP - Reformkurs trotz Islamisierung der Politik

4. Fazit

Quellen

1. Einleitung

Die Türkei als Erbe des Osmanischen Reiches steht in den letzen Jahren immer wieder als zentraler Punkt in den Medien. Entweder diskutiert die westliche Welt über einen Beitritt zur Europäischen Union, verurteilt das Vorgehen gegen die Kurden, oder bildet sich Meinungen über das Kopftuchverbot. Auch in den letzen Monaten geriet die Türkei wieder in den Fokus der Medien, als das türkische Verfassungsgericht am 31. März 2008 das Verbotsverfahren gegen die Regierungspartei AKP annahm.

Der zentrale Anklagepunkt bestand darin, dass die Partei versuche, den Staat zu islamisieren. Der Generalstaatsanwalt forderte daher das Verbot der AKP, sowie ein langjähriges Politikverbot für 71 Politiker, unter anderem für den Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und den Staatspräsidenten Abdullah Gül.[1]

In der Geschichte der Türkei kam es seit der Demokratisierung 1946 immer wieder zum Erstarken islamistischer Kräfte und Parteien, welche den kemalistischen Eliten des Landes opponierten. Seit dieser Zeit griff das Militär vier Mal aktiv ein, setze dem ein Ende und stellte die laizistischen Verhältnisse wieder her. Die Geschichte der türkischen Politik spiegelt den Kampf zwischen der strikten Trennung von Staat und Religion wieder.[2]

Immer wiederkehrende Phasen von Erfolgen für islamistische Gruppen und Parteien und die rasch folgenden Gegenbewegungen der Kemalisten des Landes, werfen die Frage auf, inwieweit es in der Türkei die Tendenz gibt den Staat vollständig zu islamisieren. Vielmehr könnte man aus dem geschichtlichen Verlauf auch deuten, dass der Islam nur als Instrument für Regierende und Regierte herangezogen wird, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Ich werde dies in der folgenden Arbeit untersuchen und dabei die These vertreten, dass der Einfluss des Islam auf die türkische Politik nur Mittel zum Zweck ist und nicht der Schaffung eines islamistischen Staates dient.

Dazu werde ich zunächst auf drei Besonderheiten des türkischen Staates eingehen. Den Kemalismus, dessen Herkunft und Bedeutung für die Türkei, das Diyanet İşleri Başkanlığı, die türkischen Religionsbehörde und den Nationalen Sicherheitsrat, M illi Güvenlik Kurulu. Anschließend werde ich nach der Schilderung der Anfänge der Re-Islamisierung durch die Türkisch-Islamische-Synthese auf drei Parteien eingehen, welche es zwischen 1946 und heute auf die Regierungsbank schafften und deren Hintergrund oder Handeln mit dem Islam verbunden waren. Insbesondere wird sich der Fokus meiner Betrachtungen darauf richten, inwieweit deren Wahlerfolg den Wunsch nach Durchsetzung der Scharia innerhalb der Bevölkerung wiederspiegeln.

2. Besonderheiten des Politischen Systems der Türkei

Im Politischen System der Türkei finden wir drei Besonderheiten. Zum Einen stellt der Kemalismus den Grundpfeiler des Staates dar und bildete die Basis für jegliches Handeln. Was diesen ausmacht und was das für das politische System bedeutet, muss zum besseren Verständnis des Kernproblems in der Türkei vorher erfasst werden.

Die türkische Religionsbehörde als Inbegriff der staatlichen Kontrolle von Religion ist das Sinnbild für die Trennung von Staat und Kirche. Arbeitsweise und Geschichte sind daher ein nicht zu vernachlässigender Faktor.

Der Nationale Sicherheitsrat beeinflusst seit seinem Bestehen die türkische Politik. Besonders historische Geschehnisse und aktuelle Entwicklungen rücken diesen in den Mittelpunkt der türkischen Politik.

2.1 Kemalismus – Grundpfeiler des türkischen Staates

Am 29. Oktober 1923 wurde von Mustafa Kemal (später Atatürk) die türkische Republik ausgerufen. Er reformierte den Staat und führte so zu einem Umbruch des bisherigen Systems. Das Verbot religiöser Kleidung, Abkehr von der islamischen Rechtsordnung oder Umstellung auf den Gregorianischen Kalender sind nur drei Bespiele[3]. Die größte Veränderung war die Umwandlung vom Kalifatenstaat zum laizistischen Nationalstaat. Das Kalifat ist eine islamische Regierungsform, welche vom Kalifen, dem „Vertreter des Gesandten Gottes“ geführt wird. Er ist Wächter des Glaubens und überwacht die Durchsetzung des islamischen Rechts, der Scharia.[4]

Der Laizismus ist eng mit dem Begriff der Säkularisierung verknüpft. So bezeichnet diese die Trennung von Staat und Kirche, wobei dies nicht die vollständige Ausklammerung jener bedeutet. Der Laizismus geht eben diesen Schritt und beinhaltet ein komplettes Heraushalten des Staates aus dem religiösen Bereich. Dies hat zum Beispiel zur Folge, dass religiöse Symbole vollständig aus dem öffentlichen Bereich verbannt sind und Glaubensgemeinschaften keine finanzielle Förderung des Staates erhalten.[5] Der Islam wurde ferner als die größte Gefahr für den Nationalstaat betrachtet.

Kennzeichnend für den Kemalismus sind sechs Prinzipien, welche bis heute in der Verfassung des Landes verankert sind:

- Laizismus: Trennung von Staat und Religion
- Republikanismus: Staatsform Republik nasch westlichem Vorbild
- Populismus: Regieren zum Wohle des Volkes
- Nationalismus: Unteilbarkeit der türkischen Nation
- Etatismus: Staatliche Wirtschaftslenkung mit Rücksicht auf Privateigentum
- Reformismus: Orientierung der Politik am Fortschritt.[6]

2.2 Das Diyanet – Staatliche Kontrolle der Religion

Das Amt für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet İşleri Başkanlığı, kurz: Diyanet) wurde am 3. März 1924 als staatliche Institution gegründet. Laut der Verfassung hat das Diyanet die Aufgabe „Entsprechend des Laizismusprinzips sich fern von jedweder politischer Meinung und Betätigung, die Einheit und Solidarität der Nation zum Ziel […] und die Glaubensgrundlagen des Islams, die Pflichtenlehre und die moralischen Grundsätze betreffenden Aufgaben ausführen, die Gesellschaft in Fragen der Religion aufklären und die Gebetshäuser [zu] führen“.[7]

Konkret kümmert sich das Amt um alle religiösen Angelegenheiten, vom Bau der Moscheen, über Korankurse, Organisation von Pilgerfahrten, Gesetzgebung, bis hin zu Betreuung, Verwaltung und Unterstützung exterritorialer Glaubensgemeinschaften.

Das Diyanet steht für den Staatsislam und hat sich im Laufe der Geschichte zu einer komplexen Behörde entwickelt. Es beschäftigt heute fast 90.000 Personen, darunter Vorbeter, Prediger, Gebetsrufer und islamische Rechtsgelehrte. Dem Amt unterliegen knapp 79.000 Moscheen und die Kontrolle über ungefähr 8.000 Korankurse.[8]

Alle Tätigkeiten des Diyanet werden vom Ministerpräsidenten gelenkt, da es diesem Amt angegliedert ist. Bereits hier wird deutlich, dass durch diese institutionelle und finanzielle Anbindung die Möglichkeit geschaffen wird, von staatlicher Seite in die Religion einzugreifen. Man kann daher nach westlichem Verständnis auch von einem „semi-säkularen“ System sprechen. Dies widerspricht zwar dem kemalistischen Prinzip strikter Trennung von Staat und Religion, doch dafür gibt es historische Gründe. Es war der islamische Glaube der Türken, an den Atatürk im Unabhängigkeitskrieg 1919 appellierte um das Volk zu einen. Nach dem Krieg kamen die Nationalisten zum Schluss, dass sich zum einen die türkische Nationalität nicht mit dem Islam verbinden ließe und man zum anderen die beiden Dinge auch nicht voneinander trennen konnte. Man entschied sich daher für die staatliche Kontrolle und begann mit der schrittweisen Säkularisierung des Landes.[9]

Wer also den Ministerpräsidenten stellt, übt Kontrolle über den Umfang und die Art religiöser Tätigkeiten in der Türkei aus. Religion kann folglich durch den Staat instrumentalisiert werden. Inwieweit dies in der Geschichte der Türkei zutraf, wird zu einem späteren Zeitpunkt näher behandelt.

2.3 Der Nationale Sicherheitsrat – Das Militär als Beschützer der Republik

Der Nationale Sicherheitsrat (Milli Güvenlik Kurulu, im Folgenden: NSR) stellt eine weitere Besonderheit und außerordentlich einflussreiche Institution im politischen System der Türkei dar. Dieser ging aus dem 1949 gegründeten Obersten Militärrat hervor, welcher die Politik beeinflussen sollte und als Bindeglied zwischen den Streitkräften und der Regierung bildete. Mitglieder sind der Staatspräsident, der Premierminister, der Generalstabschef und die drei Oberbefehlshaber der Streitkräfte.[10] Im Artikel 111 der Verfassung von 1961 wurde der NSR letztlich institutionalisiert und mit der Aufgabe betraut, den Ministerrat in Fragen der nationalen und äußeren Sicherheit zu beraten und koordinierend zu unterstützen. Da der Begriff „nationale Sicherheit“ sehr weit ausgelegt werden konnte, hatte das personell dominierende Militär damit einen direkten Einfluss auf politische Entscheidungen. In der Verfassung von 1982 wurde dem NSR sogar das Recht eingeräumt, dringende Belange der Regierung zur Entscheidung vorlegen zu können. Diese Belange konnten das Bestehen, die Unabhängigkeit, die Sicherheit und Unteilbarkeit des Staates sowie den sozialen Frieden umfassen. De facto war dies ein Freibrief für das Militär, sich in die Angelegenheiten des Staates jederzeit einmischen zu können.[11]

Besonders bei der Betrachtung der Parteien mit islamischem Hintergrund wird deutlich, inwieweit von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde. Darüberhinaus wurde der NSR unter der Regierung der AKP in seinen Möglichkeiten deutlich eingeschränkt.

[...]


[1] Vgl. SPIEGEL-Online, 2008, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,544492,00.html, Stand: 30.08.2008.

[2] Vgl. Steinbach, 2003, S. 41-75.

[3] Vgl. Yoldas, 2008, S. 80-81.

[4] Vgl. Elger/Stolleis. 2001, http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=OV9MR0, Stand: 30.08.2008.

[5] Vgl. Karakas,2007, S. 6-8.

[6] Vgl. Raddatz, 2004, S. 103.

[7] Amt für Religiöse Angelegenheiten: Die Grundprinzipien, Zweck und Ziele. http://www.diyanet.gov.tr/german/default.asp yanet.gov.tr/german/default.asp, Stand: 30.08.2008.

[8] Amt für Religiöse Angelegenheiten: Statistische Daten. http://www.diyanet.gov.tr/german/default.asp yanet.gov.tr/german/default.asp, Stand: 30.08.2008.

[9] Vgl. Tank, 2007, S. 286-288.

[10] Vgl. Raddatz, 2004, S. 121.

[11] Vgl. Cook, 2007, S. 102-103.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Einfluss des Islam auf die Politik der Türkei
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg  (Institut für Politikwissenschaften, insbesondere Vergleichende Regierungslehre)
Veranstaltung
Politische Systeme im Nahen Osten
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
21
Katalognummer
V133193
ISBN (eBook)
9783640399062
ISBN (Buch)
9783640398560
Dateigröße
637 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Islam, Türkei, AKP, Erdogan, Kemalismus
Arbeit zitieren
Jan Tröster (Autor:in), 2008, Einfluss des Islam auf die Politik der Türkei, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133193

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