Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theorie des Sensemaking-Ansatzes
2.1 Allgemeiner Sensemaking-Prozess
2.2 Sensemaking nach Karl E. Weick
3 Sensemaking-Ansatz in Organisationen
3.1 Organisationsbegriff und Sensemaking beim Organisieren nach Karl Weick
3.2 Herausforderungen des Sensemaking beim Organisieren
3.3 Scheitern des Sensemaking-Prozesses im Falle Serebriers
4 Sensemaking und seine Hinweise für die interne Kommunikation
5 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1. Weick's Formel des Sensemakings
Abb. 2. Die Teilprozesse in Weicks Organisationsprozessmodell
Abb. 3. Weick's Sensemaking-Modell in Organisationen
Abb. 4. Funktionen interner Kommunikation
Abb. 5. Einordnung von strukturellen Mechanismen und Kommunikationsmitteln
1 Einleitung
Die Idee von Organisationen reicht weit in der Geschichte zurück und kann vielschichtig ausgelegt werden. Von der Sportgruppe bis hin zum Unternehmen kann von Organisation die Rede sein. Im Laufe der Zeit wurden hierzu verschiedenste Theorien entwickelt. Eines der bedeutsamsten und aktuellsten Themen auf dem Gebiet der Organisationsforschung ist die Auseinandersetzung mit Veränderungen oder auch Wandel in Organisationen.1 Wenn eine substanzielle Veränderung der sogenannten Ordnung der Wirklichkeit eintritt, die die Organisation betrifft, wird von organisationalem Wandel gesprochen.1 2
Durch Wandelprozesse können bei den Mitgliedern der entsprechenden Organisation Irritationen und Unsicherheiten hervorgerufen werden.3 Mit diesem Phänomen der neuen Wirklichkeitsbewertung setzt sich der Sensemaking-Ansatz von Karl E. Weick unter anderem auseinander. Der Sensemaking-Ansatz fügt sich in eine Reihe von organisationstheoretischen Modellen and Ansätzen ein und wird den modernen Organisationstheorien zugeordnet.4
Auch in der internen Kommunikation ist der Wandel aktuell eines der zentralen Themen und erfährt starken Bedeutungszuwachs.5 Die interne Kommunikation wird mehr denn je als entscheidender Faktor für den Unternehmenserfolg angese- hen.6 Sie zählt zu den am stärksten wachsenden Bereichen der Unternehmenskom- munikation.7 Welche Rolle könnte die interne Kommunikation im Rahmen von Wandel, allgemeiner Irritation und Sensemaking-Theorien haben?
Ziel dieser Arbeit ist es, den Sensemaking-Ansatz mit seinen Elementen und in seiner Komplexität zu verstehen und Hinweise für die interne Kommunikation abzuleiten. Zunächst soll hierzu in Kapitel zwei das Konstrukt des Sensemaking-Pro- zesses sowohl allgemein als auch die Perspektive von Karl E. Weick auf den Prozess abgebildet werden. Im anschließenden dritten Kapitel wird der Sensemaking- Ansatz in Bezug auf Organisationen betrachtet. Es werden der Organisationsbegriff nach Karl E. Weick erläutert und die Herausforderungen in diesem Zusammenhang identifiziert. Das vierte Kapitel schlägt schlussendlich die Brücke zur internen Kommunikation. Es wird erörtert, welche Schnittpunkte bestehen, was die interne Kommunikation vom Sensemaking-Ansatz lernen kann und wie sie ihn für sich nutzen kann. Abschließend werden die Erkenntnisse zusammengefasst und ein Ausblick gegeben.
2 Theorie des Sensemaking-Ansatzes
In diesem Kapitel wird der Prozess des Sensemaking zunächst allgemein aus der Perspektive verschiedener Autoren beschrieben. Im Anschluss wird der Begriff nach Karl E. Weick genauer definiert.
2.1 Allgemeiner Sensemaking-Prozess
An sich beschäftigt sich der Prozess des Sinnstiftens, auf Englisch „Sensemaking“ mit der Verarbeitung von Reizen im menschlichen Gehirn sowie den daraus resultierenden Konsequenzen. Läuft der Prozess nicht reibungslos ab, kommt es zu Irritationen, wodurch er sichtbar wird. Unter Sensemaking versteht man den Prozess, der „stattfindet, wenn widersprüchliche Hinweise oder Reize (cues), die fortlaufende Tätigkeit eines Menschen unterbrechen (gap). [Es] beinhaltet die retrospektive Entwicklung plausibler Erklärungen, die die Handlungen des Menschen vernünftig begründen“1. Individuen können mithilfe von Sensemaking Unbekanntes strukturieren. Für die Forschung ergeben sich daraus die Fragen danach, wie sie konstruieren, was sie konstruieren, warum und mit welchen Auswirkungen sie dies vornehmen.8 9 Ralf Wetzel schrieb 2005, dass der Sensemaking-Prozess Verknüpfung bedeute, da der Inhalt des Sensemaking durch die Verbindung von mindestens zwei Elementen und deren Beziehung bestimmt werde:10
1 Der Indikator
2 Der Bezugsrahmen
3 Die Beziehung aus Indikator und Bezugsrahmen
Einer der zwei Faktoren ist dabei der sogenannte Indikator einer Situation, also das aktuelle Element beziehungsweise die aktuellen Reize. Der andere Faktor ist das vergangenheitsbezogene Element des Bezugsrahmens, der unter anderem aus der Sozialisierung aber auch aus den jeweiligen Umständen hervorgeht. Indikator, Bezugsrahmen und deren Verknüpfung bilden die kleinstmögliche Sinnstruktur. Der Vorgang des Sensemaking ist dabei die entsprechende Zuordnung von Indikator zu Bezugsrahmen, wobei eine Bedeutung beziehungsweise ein Sinn entsteht.1
Trotz der Tatsache, dass es viele Beschreibungen und Auseinandersetzungen mit dem Phänomen des Sensemaking gibt und diese viele Überschneidungen und gegenseitige Ergänzungen aufweisen, gibt es „kein wirklich konsistentes Theoriege- bäude“11 12 wie Riccardo Wagner 2017 darüber schrieb.
Nicht Thema dieser Arbeit, aber im Kontext der internen Kommunikation auch von Interesse, ist der Begriff des Sensegiving, also das Gegenstück zu Sensemaking. Gioia und Chittipeddi beschrieben 1991 Sensegiving, als den Prozess, der „mit dem Versuch beschäftigt ist, das Sensemaking und die Bedeutungskonstruktion anderer Personen in Richtung einer bevorzugten Neudefinition der organisationalen Realität zu beeinflussen“.13
2.2 Sensemaking nach Karl E. Weick
Karl E. Weick ist emeritierter Professor für organisatorisches Verhalten und organisatorische Psychologie an der University of Michigan's Ross School of Business.14
Seine Theorien zum Thema Sensemaking entspringen vor allem drei theoretischen Konstrukten. Grundlage für seine Arbeit bilden die Forschungsfelder der sozialen Evolutionstheorie, der Systemtheorie sowie der Informationstheorie.1
Karl E. Weick's Verständnis des Sensemaking, wie er es in seinem Buch „Sense- making in Organizations“ von 1995 festhielt, orientiert sich an verschiedenen Ansätzen. Zum einen bezieht er sich auf Huber und Daft, die 1987 das „Making of Sense“ beschrieben, also den Prozess, bei dem aktiv Ausführende mit Sinnen erfahrbare Erlebnisse konstruieren.15 16 Oder wie Waterman 1990 sich hierzu äußerte: „They structure the unknown“17 18 19. Bei der Frage danach in welcher Form dieser Vorgang passiert, bezieht sich Weick auf Starbuck und Milliken 1988. „Menschen verordnen Stimuli in einer Art Bezugsrahmen. Dies ermöglicht die Stimuli zu erfassen, verstehen, erklären, verordnen, fortzuschreiben und vorherzusagen“.45
Wie unter Kapitel 2.1 dargestellt, wird das Konzept des Sensemaking in der Literatur vielfach aufgegriffen und beschrieben. Was dabei auffällt, ist, dass die Veröffentlichungsdaten nach 1969 liegen, dem Jahr, in dem Karl E. Weick sein Werk „ The Social Psychology of Organizing “ herausbrachte. Es ist also möglich, dass auch sie von Weick beeinflusst wurden, denn in diesem Werk legt er den Grundstein für seine Forschung zum Sensemaking-Prozess. Er verfasste darin die viel zitierte Formel:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1. Weick's Formel des Sensemakings (Weick, 1979: 134).
Die in Abbildung 1 dargestellte Formel bildet die Grundlage für das bezeichnende Theoriegerüst Weicks. Im Folgenden werden die sieben Leitideen des Sensema- king-Prozesses nach Weick erläutert, die sich aus der Formel in Abbildung 1 extrahieren lassen:20
Grounded in identity construction: Die eigene Identität in Bezug auf wie und was man denkt.
Retrospective: Um zu verstehen, was man denkt, muss man zurückschauen und reflektieren was man gesagt hat beziehungsweise was geschehen ist.
Enactment of sensible environments: Wenn man etwas sagt oder tut, gestaltet man sicht- und prüfbare Objekte.
Social Contact: Von wem und wie ein Individuum sozialisiert ist und wird, bestimmt, was man sagt und schlussfolgert. Und auch das erwartete Publikum und deren Prüfung nehmen Einfluss darauf.
Ongoing Events: Das Reden von Individuen erstreckt sich über Zeiträume, steht im Wettbewerb um Aufmerksamkeit mit anderen fortwährenden Projekten und wird reflektiert, nachdem es beendet ist. Das bedeutet auch, dass sich die Interessen des Einzelnen in der Zwischenzeit verändern können.
Focused on and by extracted cues: Das, was man sagt, also der Inhalt eines Gedankens, ist nur ein kleiner Teil, der aufgrund seines Kontexts und der persönlichen Charakterlage hervorsticht.
Driven by plausability rather than accuracy: Man muss genügend darüber wissen, was man denkt, um es einzuordnen, beziehungsweise, um mit etwas voranschreiten oder mit etwas arbeiten zu können, aber eben auch nicht mehr als das.
Noch etwas deutlicher werden die sieben Merkmale und ihr Zusammenhang in folgendem Satz: „Strategic plans are a lot like maps. They animate and orient people. Once people begin to act (enactment), they generate tangible outcomes (cues) in some context (social), and this helps them to discover (retrospect) what is occurring (ongoing), what needs to be explained (plausability), and what should be done next (identity enhancement).“1
3 Sensemaking-Ansatz in Organisationen
Für den Begriff der Organisation gibt es keine eindeutig allgemein gültige Definition. Vielmehr kommt es darauf an, auf welcher Organisationstheorie die Überlegungen fußen.21 22 Nachfolgend wird der Organisationsbegriff nach Weick definiert und die Herausforderungen des Sensemaking-Prozesses in Organisationen identifiziert.
3.1 Organisationsbegriff und Sensemaking beim Organisieren nach Karl E. Weick
Eine Anmerkung zu Beginn: Um ein besseres Verständnis für die Denkweise von Weick zu schaffen, ist zu bemerken, dass er großen Wert auf die Verwendung von Verben legt. Das zentralste Beispiel dafür ist, dass er eher vom Organisieren als von Organisationen spricht. Sein Fokus liegt auf der Entstehung und auf der Dynamik vom Sein und Handeln. In dieser Arbeit wird dieses Formulierungsschema mit Fokus auf Verben jedoch nicht adaptiert.
Der Ursprung von Organisationen liegt darin, Probleme oder Aufgaben zu lösen, die zu komplex für den Einzelnen und nur im Kollektiv zu bewältigen waren. Um dies zu umzusetzen bedurfte es der Organisation.23
Der Grundgedanke von Organisationen nach Weick besagt, dass es sich bei einer Organisation "um Ströme von Problemen, Lösungen, Personen und Entscheidungen, die durch Organisationen fließen und unabhängig von menschlichen Intentionen konvergieren und divergieren"24 handelt - eine stark prozessorientierte Sichtweise.
Organisationen werden oft als etwas Stabiles, Formales, Starres und von außen Bestimmtes dargestellt. Karl E. Weick hat jedoch seine ganz eigene Perspektive auf Organisationen entwickelt und ist konträrer Auffassung. Er kritisiert, dass in den klassischen Definitionen von einer stabilen Umwelt ausgegangen wird, woran sich Organisationen anpassen müssen. Seiner Meinung nach sind die Eigenschaften der Ambiguität, Komplexität und Dynamik die zentralen Eigenschaften von Organisationen. Wichtiger Untersuchungsgegenstand dabei ist, inwieweit Individuen durch ihre Handlungen ihre Umwelt selbst gestalten. Im Gegensatz zu Kollegen, die in Bezug auf ökologischen Wandel von linearen Kausalketten und unidirektionalen Zeitverlaufen ausgehen, sieht er eine Rückkopplung und vertritt die Ansicht, dass Zirkularität und schleifenartige Verkettungen von Ursache und Wirkung bestehen.1
Der Organisationsprozess setzt sich laut Weick aus den folgenden vier Prozesselementen und ihrer Verknüpfung zusammen:25 26
Ökologischer Wandel: Das besondere Ereignis oder die Veränderung, welche zur Unterbrechung einer Routine führt. Es kommt zur erhöhten Aufmerksamkeit bei Individuen. Der Auslöser für den Sensemaking-Prozess ist gegeben.
Gestaltung (Enactment): Der Versuch der Zuordnung dieser erhöhten Aufmerksamkeit zu bestimmten Ereignissen des ökologischen Wandels. Die herauskristallisierten Ereignisse sind das „Rohmaterial“ für den weiteren Sensemaking-Prozess.
Selektion: Noch können die Informationen mehrdeutig sein. Bei der Selektion werden verschiedenste Erklärungsmöglichkeiten gebildet. Im Anschluss wird die Option mit der höchsten Plausibilität ausgewählt. Die Auswahl erfolgt aufgrund systematischer Kombination oder aufgrund von Erfahrung - also Verhaltensmuster, die sich an anderer Stelle schonmal bewährt haben.
Retention: In dieser Phase werden die ausgewählten Bedeutungsmuster abgespeichert und sind in Zukunft abrufbar. Dies kann zur Vereinfachung künftiger Gestaltungs- und Selektionsprozesse dienen.
Inspiriert ist diese Prozesskette von der soziokulturellen Evolutionstheorie. Diese beschreibt den Prozess, bei dem Menschen sich an Veränderungen der sozialen und kulturellen Umgebung anpassen, um zu überleben. Menschen verändern ihr Verhalten in Reaktion auf sozialen Druck indem sie Strategien und neue Verhaltensweisen an den Tag legen, die das Überleben sichern.1
Dargestellt ist die Prozesskette in Abbildung 2. Die Abfolge beschreibt, wie Organisationen sich selbst, aber auch ihre Umwelt aktiv gestalten. Dabei verleihen sie sich selbst Sinn und befähigen sich, Einfluss auf die Umwelt zunehmen.27 28
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2. Die Teilprozesse in Weicks Organisationsprozessmodell (Wetzel, 2005: 173).
Es lässt sich also erkennen, dass sowohl die Gestaltungs- als auch die Selektionsphase von zentraler Bedeutung sind. Hier wird über das weitere Handeln entschieden mit dem die Umwelt und somit auch die eigene Organisation gestaltet werden.
[...]
1 Vgl. Scherm & Pietsch (2007): 229.
2 Vgl. Rüegg-Stürm (2003): 263.
3 Vgl. Rüegg-Stürm (2003): 250.
4 Vgl. Miebach (2012): 195f.
5 Vgl. Huck-Sandhu (2016): 1.
6 Vgl. Tkalac Vercic et al. (2012): 223. (Übersetzung d. A.)
7 Vgl. Zerfaß et al. (2011): 86.
8 Maitlis & Sonenshein (2010): 551. (Übersetzung d. A.)
9 Vgl. Wagner (2017): 43.Vgl. Weick (1995a): 4. (Übersetzung d. A.)
10 Vgl. Wetzel (2005): 184.
11 Vgl. Wetzel (2005): 184.
12 Vgl. Wagner (2017): 44.
13 Gioia & Chittipeddi (1991): 442. (Übersetzung d. A.)
14 Vgl. University of Michigan's Ross School of Business (2018): URL. (Übersetzung d. A.)
15 Vgl. Kreps (2009): 347. (Übersetzung d. A.)
16 Vgl. Huber & Daft (1987): 154. (Übersetzung d. A.)
17 Waterman (1990): 41.
18 Starbuck & Milliken (1988): 51. (Übersetzung d. A.)
19 Vgl. Weick (1995a): 4, 17, 61f. (Übersetzung d. A.)
20 Vgl. Weick (1995a): 3. (Übersetzung d. A.)
21 Weick (1995a): 55.
22 Vgl. Schewe (2018): URL.
23 33Vgl. Kreps (2009): 348. (Übersetzung d. A.)
24 Weick (1995a): 44. (Übersetzung d. A.)
25 Vgl. Wetzel (2005): 170.
26 Vgl. Wetzel (2005): 172.
27 Vgl. Kreps (2009): 348. (Übersetzung d. A.)
28 Vgl. Wetzel (2005): 173.