Kaum ein anderer Lernbereich ist bei den Schülern so negativ besetzt wie der Aufsatzunterricht. Motivationsmangel, Angst vor dem Schreiben, Angst, die gestellte Aufgabe nicht bewältigen zu können und damit für die zu erbringenden Leistungen negativ benotet zu werden und Desinteresse für die vorgeschlagenen Themen sind nur einige Emotionen von Studenten.
Bereits der Begriff `Aufsatz` löst beim Schüler eine Abneigung aus, die damit auf das Schreiben, d. h. die Textproduktion, übertragen wird. „Ein Seufzen geht durch die Klasse“ , wenn das Schreiben eines Aufsatzes angekündigt wird. Dieses Phänomen ist in den Schulen häufig zu beobachten. Das Verfassen eines Aufsatzes bereitet den Schülern Schwierigkeiten. Schreiben ist für den Schüler eine Qual, mit der er im Unter-richt konfrontiert wird. Der Aufsatz ist beim Schüler nicht beliebt, denn „`Aufsatz` […] klingt nach Hausaufgaben, nach strengen Normen und harten Noten, nach Blut, Schweiß und Tränen“.
Zwar können die Schüler lesen und schreiben, sie üben diese Tätigkeiten jedoch nicht außerhalb der Schulzeit aus, denn dort wird das Lesen und Schreiben durch Medien wie den Fernseher, den Computer oder aber auch das Telefon ersetzt. Die Kulturtechnik Schreiben tritt somit im Leben der Schüler in den Hindergrund.
Wie kann der Schüler aber für das Schreiben gewonnen werden, wenn Schreiben im traditionellen Aufsatzunterricht zur Anstrengung und Qual geworden ist? Wie können die Freude am Schreiben und die Motivation zum Schreiben erweckt werden?
Das kreative Schreiben bietet sich hier als Lösung an.
Das kreative Schreiben, eine in den 80er Jahren entstandene neue Schreibentwicklung in der Aufsatzdidaktik, bietet den Schülern alternative Herangehensweisen an das Schreiben an.
„Kreatives Schreiben ist `in`“.
Im ersten theoretischen Teil der wissenschaftlichen Hausarbeit sollen die didaktischen Konzeptionen des kreativen Schreibunterrichtes dargestellt werden.
Im praktischen Teil der Hausarbeit werden Unterrichtsversuche an vier Berliner Grundschulen vorgestellt.
Zuvor wird jedoch der Bezug zum Rahmenlehrplan hergestellt. Welche Rolle spielt Kreativität im Deutschunterricht der Grundschule?
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
A. Theoretischer Teil:
Kreatives Schreiben
Didaktische Konzeptionen und methodische Überlegungen
1 Neuere Entwicklungen in der Aufsatzdidaktik
1.1 Das freie Schreiben
1.2 Das personale Schreiben
1.3 Das kreative Schreiben-Eine Einführung
2 Grundlagen des kreativen Schreibens
2.1 Der Kreativitätsbegriff
2.2 Kreatives Schreiben-Seine Bedeutung
2.3 Organisation und Bedingungen des kreativen Schreibunterrichts
2.4 Methoden des kreativen Schreibens
2.4.1 Assoziative Verfahren
2.4.1.1 Die Cluster-Methode
2.4.1.2 Das automatische Schreiben
2.4.1.3 Die Fantasiereise
2.4.2 Schreibspiele
2.4.2.1 Wörter finden
2.4.2.2 Reihum-Geschichten
2.4.3 Schreiben nach Vorgaben, Regeln und Mustern
2.4.3.1 Das Akrostichon
2.4.3.2 Das Elfchen
2.4.4 Schreiben zu und nach (literarischen) Texten
2.4.4.1 Textreduktion
2.4.4.2 Eine Geschichte zu Ende schreiben
2.4.5 Schreiben zu Stimuli
2.4.5.1 Die Wortwiederholung
2.4.5.2 Visuelle Anregungen zum Schreiben
2.4.6 Weiterschreiben an kreativen Texten
2.4.6.1 Kreative Bearbeitungsverfahren
2.4.6.2 Kriterienorientierte Verfahren
2.5 Bewertung kreativer Texte
B. Praktischer Teil:
Kreatives Schreiben in den Klassenstufen 5 und 6
Unterrichtspraktische Konsequenzen
1 Kreativität im Rahmenlehrplan der Grundschule
2 Kreative Schreibversuche in der Grundschule
2.1 Die Fantasiegeschichte
2.1.1 Vorgehensweise
2.1.2 Reflexion
2.1.2.1 Reflexion in der Klasse 6a der Erich-Kästner-Grundschule in Berlin/ Dahlem
2.1.2.2 Reflexion in der Klasse 6a der Reinhardswald-Grundschule in Berlin/ Kreuzberg
2.2 Die Cluster- Methode
2.2.1 Vorgehensweise
2.2.2 Reflexion
2.2.2.1 Reflexion in der Klasse 6d der Hermann-Sander-Grund- schule in Nord-Neukölln
2.2.2.2 Reflexion in der Klasse 6c der Grundschule am Regenweiher in Berlin/ Rudow
C. Schlussbemerkungen:
Zusammenfassung und Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang: Schülertexte , Folie, Tafelanschrift,
Texte zur Fantasiereise
Einleitung
Erinnerungen von Studenten[1] an ihren Aufsatzunterricht:
„[…]
Meine Noten waren immer nur mittelmäßig oder
schlecht. Schulaufgaben in Deutsch waren mein
Alptraum. Ich saß da und wußte einfach nicht,
wie ich meine Ideen aufs Papier bringen könnte.
[…]
Geschrieben habe ich, soweit ich mich erinnern
kann, immer sehr gerne. Aber die Themen, die in
der Schule für die Aufsätze angegeben wurden,
packten kaum mein Interesse.
[…]
Ich kann mich an meinen Aufsatzunterricht nur
noch soweit erinnern, daß irgendwann in der
Deutschstunde weißes Papier ausgeteilt, ein The-
ma gestellt wurde, welches in einer bestimmten
Zeit zu bearbeiten war. Am Anfang schossen mir
vielfältige Gedanken durch den Kopf, die dann
aber aus Zeitgründen nicht mehr aufs Papier ge-
bracht werden konnten. Außerdem waren auch
noch gewisse Regeln einzuhalten, je nach Auf-
satzart, die den ganzen Schreibfluß und die ganze
Schreibmotivation sehr schnell im Keim erstick-
ten.
[…]“[2].
Kaum ein anderer Lernbereich ist bei den Schülern so negativ besetzt wie der Aufsatzunterricht. Die Erinnerungen der Studenten bekräftigen diese Aussage. Motivationsmangel, Angst vor dem Schreiben, Angst, die gestellte Aufgabe nicht bewältigen zu können und damit für die zu erbringenden Leistungen negativ benotet zu werden und Desinteresse für die vorgeschlagenen Themen sind nur einige Emotionen der Studenten, die hier zum Ausdruck kommen und den Aufsatzunterricht damit zum unbeliebten Lernbereich degradieren. Bereits der Begriff `Aufsatz` löst beim Schüler eine Abneigung aus, die damit auf das Schreiben, d. h. die Textproduktion, übertragen wird. „Ein Seufzen geht durch die Klasse“[3], wenn das Schreiben eines Aufsatzes angekündigt wird. Dieses Phänomen ist in den Schulen häufig zu beobachten. Das Verfassen eines Aufsatzes bereitet den Schülern Schwierigkeiten. Schreiben ist für den Schüler eine Qual, mit der er im Unterricht konfrontiert wird. Der Aufsatz ist beim Schüler nicht beliebt, denn „`Aufsatz` […] klingt nach Hausaufgaben, nach strengen Normen und harten Noten, nach Blut, Schweiß und Tränen“[4]. Nicht nur durch die Methode des Aufsatzes, sondern auch durch
„die Medienüberflutung unserer Jugendlichen [wer
den das Lesen und das Schreiben] zur harten Arbeit
degradiert. Das Ergebnis sind immer häufiger
Schüler/innen, die in der siebten Klasse […] kaum
lesen und schreiben können und denen jeder persön-
liche Bezug zum Schreiben als Ausdrucksmittel
fehlt“[5].
Zwar können die Schüler lesen und schreiben, sie üben diese Tätigkeiten jedoch nicht außerhalb der Schulzeit aus, denn dort wird das Lesen und Schreiben durch Medien wie den Fernseher, den Computer oder aber auch das Telefon ersetzt. Die Kulturtechnik Schreiben tritt somit im Leben der Schüler in den Hindergrund.
Wie kann der Schüler aber für das Schreiben gewonnen werden, wenn Schreiben im traditionellen Aufsatzunterricht zur Anstrengung und Qual geworden ist? Wie können die Freude am Schreiben und die Motivation zum Schreiben erweckt werden?
Das kreative Schreiben bietet sich hier als Lösung an.
Das kreative Schreiben, eine in den 80er Jahren entstandene neue Schreibentwicklung in der Aufsatzdidaktik, bietet den Schülern alternative Herangehensweisen an das Schreiben an. „Kreatives Schreiben ist `in`“[6].
Ist das kreative Schreiben als Alternative zum traditionellen Aufsatzunterricht denkbar? Was spricht für und was spricht gegen einen kreativen Schreibunterricht?
Im ersten theoretischen Teil der wissenschaftlichen Hausarbeit sollen die didaktischen Konzeptionen des kreativen Schreibunterrichtes dargestellt werden. Welche kreativen Schreibmethoden gibt es und wie muss ein kreativer Schreibunterricht organisiert sein? Welche Bedingungen müssen berücksichtigt werden und welche Probleme können entstehen?
Im zweiten praktischen Teil der wissenschaftlichen Hausarbeit werden die in der Grundschule durchgeführten kreativen Schreibversuche vorgestellt. Welche unterrichtspraktischen Konsequenzen ergeben sich aus den durchgeführten Schreibversuchen? Welche Probleme sind entstanden und wie können diese in Zukunft verhindert werden?
Im Einzelnen ist die Arbeit folgendermaßen aufgebaut:
Im theoretischen Teil der Arbeit werden folgende Themen behandelt:
Den neueren Entwicklungen in der Aufsatzdidaktik, die sich auf das kreative Schreiben ausgewirkt haben, wird das 1. Kapitel gewidmet. Zu den neueren Entwicklungen zählen neben dem kreativen Schreiben das freie Schreiben und das personale Schreiben. Durch welche besonderen Merkmale sind diese neueren Schreibmethoden gekennzeichnet?
Das Kapitel 2 widmet sich gänzlich den Grundlagen des kreativen Schreibens. Relevante Aspekte sind hier die Organisation und die Bedingungen eines kreativen Schreibunterrichtes, die Methoden des kreativen Schreibens und die Bewertung kreativer Schreibergebnisse. Welche Bedingungen müssen für einen kreativen Schreibunterricht erfüllt sein? Welche Herangehensweisen an das Schreiben und welche Methoden bietet das kreative Schreiben an? Welche Probleme können in einem kreativen Schreibunterricht entstehen?
Im praktischen Teil der Hausarbeit werden Unterrichtsversuche an vier Berliner Grundschulen vorgestellt. Hierbei geht es um zwei kreative Schreibmethoden, die in den 5. und 6. Klassen praktiziert wurden. Folgende Fragen bilden den Schwerpunkt:
Wie wirken die kreativen Schreibmethoden auf die Schüler? Bauen diese Methoden tatsächlich Schreibblockaden auf und werden die Schüler zum Schreiben motiviert? Wie unterscheiden sich die Texte der Schüler bezüglich der Themenwahl und des Inhaltes voneinander?
Zuvor wird jedoch der Bezug zum Rahmenlehrplan hergestellt. Welche Rolle spielt Kreativität im Deutschunterricht der Grundschule?
A. Theoretischer Teil:
Kreatives Schreiben.
Didaktische Konzeptionen und methodische Überlegungen
1 Neuere Entwicklungen in der Aufsatzdidaktik
Der Lernbereich Aufsatzunterricht war in den vergangenen 20–30 Jahren vielfältigen Diskussionen ausgesetzt. Auf der einen Seite der Diskussion standen diejenigen, die für neue Verfahren und Methoden in der Aufsatzdidaktik plädierten. Auf der anderen Seite waren diejenigen, „die zäh und unnachgiebig das traditionelle Terrain (vor allem die Praktiker) verteidigten“[7]. Die traditionelle Aufsatzdidaktik war in die Diskussion geraten, weil an ihren Verfahren und Methoden nun gezweifelt wurde. Die Unzufriedenheit mit dem traditionellen Aufsatzunterricht stellte eine günstige Bedingung für die Entwicklung neuer aufsatzdidaktischer Ansätze dar.
Das kreative Schreiben gehört zu diesen neueren Entwicklungen in der Schreibdidaktik. Diese „Neuansätze“[8] sind Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre in Erscheinung getreten. Die Gemeinsamkeit der neuen Ansätze besteht in der entschiedenen Ablehnung der „Normen und willkürlichen Setzungen der traditionellen Aufsatzdidaktik“[9].
Die in diesen Jahren entstandenen neuen Entwicklungen sind durch eine neue Einbeziehung der schreibenden Person, d. h., durch die Einbeziehung seiner Subjektivität, gekennzeichnet[10].
Bei den neuen Entwicklungen in der Schreibdidaktik handelt es sich um das freie, das personale und das kreative Schreiben. Welche Merkmale weisen diese neuen Schreibmethoden auf?
1.1 Das freie Schreiben
Freies Schreiben wird verstanden als
„Abfassen freier, persönlich verantworteter Texte, seien es nun Versuche, literarisch zu schreiben, frei zu assoziieren, individuellen Bedürfnissen Ausdruck zu geben oder auch nur sich spielend -schreibend Freiräume zu verschaffen“[11].
Das freie Schreiben gehört zu den drei oben erwähnten Gegenbewegungen des traditionellen Aufsatzunterrichts. Den Kindern „`Freiräume` für die Entwicklung eigener Texte zu lassen ist nicht neu“[12]. Beeinflusst durch reformpädagogische Vorstellungen vom Schreiben, sind die Grundgedanken des freien Schreibens eine „Verlagerung der Akzente im Unterricht auf das schreibende Subjekt […], was es in seinen Texten mitzuteilen hat“[13].
„Freies Schreiben heißt – zumindest in der `reinen` Form –, dass ein Kind schreibt, wenn es etwas schreiben möchte, dass es das schreibt, was es schreiben will, und dass es so schreibt, wie es schreiben will“[14].
Nach Werner Braukmann ist das freie Schreiben der am weitesten führende Ansatz[15], der u. a. auf das amerikanische „free-writing“[16] zurückgeht. Im freien Schreibunterricht wird, wie auch in den beiden anderen Ansätzen, die Erlebnisorientierung propagiert. Wichtig ist den Vertretern dieses Ansatzes, die Fähigkeit des Schreibens sowohl als Technik als auch als Ausdruck möglichst entspannt anzugehen. Die Freiheit des Schreibens besteht darin, „die dem schulischen Schreiben anhaftenden Rituale und Zwänge zu umgehen“[17]. Dabei ist die Freiheit in die räumliche, die zeitliche, die orthographische/grammatische und in die Freiheit bzw. die Wahl des Schreibzeuges gegliedert. Mit der räumlichen Freiheit meint der Autor, dass für das Schreiben kein Ort festgelegt ist, d. h. die Kinder schreiben dort, wo sie schreiben möchten. Der zeitliche Aspekt deutet darauf hin, dass es keinen reservierten Zeitpunkt für das Schreiben gibt. Auch bei der Wahl des Schreibzeuges entscheidet der Schüler. Des Weiteren wird der Text nicht mehr, wie es im traditionellen Aufsatzunterricht die Regel war, „nach orthographisch/grammatikalischen Normen bewertet“[18]. Auf Methoden, in denen Rechtschreibung und Grammatik zu erlernen sind, wird aber dennoch nicht verzichtet.
„Freies Schreiben also kann nicht verordnet werden“[19].
Oft werden die Begriffe `kreatives Schreiben´ und `freies Schreiben` gleichbedeutend verwendet. „Man knüpft damit an die Tradition der Reformpädagogik an“[20]. Es findet zwischen beiden Ansätzen jedoch eine gewisse Akzentverschiebung statt, denn beim freien Schreiben sind Themenwahl, Textform, Zeitpunkt den Kindern freigestellt, während das kreative Schreiben eine Vielzahl von arrangierten Zugängen anbietet, von denen einige sogar feste Spielregeln aufweisen. Bedauert wird von Braukmann, dass das freie Schreiben fast ausschließlich zunächst nur in der Grundschule vorkommt. Im Deutschunterricht der Sekundarstufe wird diesem neuen Ansatz kaum Aufmerksamkeit geschenkt, denn „zu sehr steht hier beim Schreiben das `Wozu` im Vordergrund“[21]. Im Allgemeinen kann jedoch gesagt werden, dass es Bemühungen gibt, diese neuen Schreibformen in den Aufsatzunterricht zu integrieren. Karl Schuster redet von Übergangsformen zu den kreativen Schreibformen[22]. Auch in der begrifflichen Unterscheidung ist man sich nicht einig. Eine terminologische Klarheit zu schaffen, ist schwierig, da es zwischen den unterschiedlichen Ansätzen Überschneidungen gibt. Werner Braukmann schlägt aus diesem Grund vor, alle Schreibformen unter dem Begriff `freies Schreiben` zusammenzufassen.
Freies Schreiben bedeutet diesem Verständnis nach:
„Frei von den Normen des Aufsatzunterrichts schreiben, freilich nicht zu beliebig gewählten Themen, wie zu Beginn der Schreiberziehung, vielmehr zu ganz unterschiedlichen, durchaus komplexen Zwecken: vom Selbstausdruck bis zum Literaturverstehen und von der Wahrnehmungsschulung bis zur Stilübung“[23].
1.2 Das personale Schreiben
Das personale Schreiben ist eine Schreibform,
„[…] in der das schreibende `Ich` selber im Mittelpunkt steht und seine Wahrnehmungen von sich selber, seine Wahrnehmungen von der Welt und seine Wahrnehmungen von den anderen im Schreibprozeß formuliert“[24].
Das personale Schreiben gehört wie das freie Schreiben zu den neueren Entwicklungen in der Schreibdidaktik, die sich auf die Aufsatzdidaktik ausgewirkt haben. In der Literatur wird aber meist zwischen personalem und kreativem Schreiben nicht unterschieden. Karl Schuster verwendet den Begriff `personal-kreatives Schreiben`, da seiner Meinung nach eine Trennung nur der Tendenz nach möglich ist, denn auch zwischen beiden Ansätzen gibt es viele Überschneidungen. Des Weiteren kann das personale Schreiben therapeutische Formen annehmen, wenn z. B. ein bloßes Notieren der Umstände, Gedanken und Gefühle verlangt wird. Diese Schreibform betont die „Bedeutung des Schreibens für die Auseinandersetzung mit der eigenen Subjektivität“[25]. Nach Boueke und Schülein ist das personale Schreiben ein Ansatz, „die Aufsatzdidaktik von der Person des Schreibenden her zu entwerfen“[26]. Schreiben wird als eine Suchbewegung auf dem Weg zur eigenen Identität verstanden[27].
Unter dem Begriff `personales Schreiben` werden oft die Tendenzen in der Schreibdidaktik der 80er Jahre zusammengefasst. Es werden insbesondere Texte und Schreibprozesse mit expressivem und selbstreflexivem Charakter berücksichtigt, die in der tradi-tionellen Aufsatzdidaktik weniger Beachtung fanden. Hierzu gehören spontane, assoziative, experimentelle Texte, Sprachspiele, erlebnisbetonte Erzählungen und Schilderungen[28] sowie das Verfassen von Gedichten oder Tagebüchern. Alle Erzählformen, die für die Darstellung subjektiver Befindlichkeit, v. a. aber für den Ausdruck von Emotionen geeignet sind, werden unter dem Begriff `personales Schreiben` zusammengefasst. Die Voraussetzung für das personale Schreiben ist eine Schreibsituation, die v. a. durch die Momente der Freiheit und Freiwilligkeit gekennzeichnet ist. Boueke und Frieder empfehlen, das personale Schreiben in einen Interaktionsprozess einzubinden, d. h., sie schlagen eine Veröffentlichung der Texte in der Gruppe vor. Die Sensibilität der Lehrkraft und ein von Konkurrenzdenken freies Klima unter den Schülern, womit beispielsweise auf den Verzicht jeder Form von Benotungen verwiesen wird, sind einige in diesem Schreibunterricht zu berücksichtigende Aspekte. „Insofern ist personales Schreiben […] im `normalen` Unterricht tatsächlich nicht möglich“[29]. Boueke und Schülein schlagen aus diesem Grund Freiräume vor. In diesen Nischen, worunter z. B. Arbeitsgemeinschaften zu verstehen sind, sollen die institutionellen Bedingungen der Schule we-nigstens teilweise aufgehoben werden.
Im Großen und Ganzen bietet das personale Schreiben jedoch eine Fülle von Anregungen an, die für eine methodische Veränderung des Aufsatzunterrichtes genutzt werden sollten.
1.3 Das kreative Schreiben -Eine Einführung
Das kreative Schreiben, das den Schwerpunkt dieser wissenschaftlichen Arbeit bildet, gehört zu den am Ende des 20. Jahrhunderts entwickelten neuen Schreibansätzen in der Aufsatzdidaktik. Auch dieser Ansatz entstand aus der Kritik zum traditionellen Aufsatzunterricht. Wie kam es zu der Entstehung des kreativen Schreibens?
Die Meinung, dass es sich beim kreativen Schreiben tatsächlich um eine neue Schreibform handelt, findet nicht unter allen Pädagogen Zustimmung. Zu diesen Lehrern gehört Antje Dagmar Schmitz, die deutlich betont, dass das kreative Schreiben „kein neuer `Trick` [ist], um Schüler/innen zu größeren Leistungen und besserem Lernen zu führen“[30]. Andere Lehrer sehen diese Schreibform als eine Ergänzung des bisherigen Repertoires an[31]. Auf der anderen Seite gibt es viele Lehrer, für die das kreative Schreiben zweifellos einen neuen Ansatz in der Schreibdidaktik darstellt, den sie zur Leitlinie ihres Unterrichtes machen. Die Meinungen hinsichtlich der Einordnung des kreativen Schreibens sind widersprüchlich. Eine Beurteilung ist schwierig, da die Vorstellungen, welche Schreibform als kreatives Schreiben zu bezeichnen ist, keinesfalls einheitlich sind.
Außerschulische Schreibbewegungen spielen bei der Entstehung dieses Ansatzes eine bedeutende Rolle. Es hat vielfache Strömungen aus der Therapie und Forschung aufgegriffen. In den Vereinigten Staaten ist das kreative Schreiben sogar ein anerkannter Studienzweig.
„Mit wachsender Unzufriedenheit mit dem Aufsatzunterricht fanden Formen des kreativen Schreibens zunehmend Anklang“[32]. Es wurden Möglichkeiten aufgezeigt, den Aufsatzunterricht umzugestalten. Das kreative Schreiben wird innerhalb der Schreibdidaktik als ein Ansatz gesehen, der die gesamte Schülerpersönlichkeit erfasst. Durch diese Schreibform werden dem Schüler Chancen der Vervollkommnung und Entdeckung ihres Selbst gegeben. Das kreative Schreiben wird als „eine besondere Form des Schreibens“[33] verstanden.
Doch worin liegt die Besonderheit dieser Schreibform?
Dieser neue Ansatz ist ein prozessorientierter Ansatz, der durch assoziative, gestaltende und überarbeitende kreative Methoden trainiert wird. Kreative Lernprozesse sprechen den ganzen Menschen an und werden in einem integrativen und fächerübergreifenden Lernen verwirklicht[34]. Auch kognitive, emotionale und imaginative Lernprozesse werden durch kreative Lernprozesse miteinander verbunden. Die Schüler lernen schreibend ihre eigenen Erfahrungen, Gefühle und Gedanken auszudifferenzieren. Das kreative Schreiben bietet ihnen eine Möglichkeit an, sich mit den Inhalten der Fächer auf kreativer Ebene auseinander zu setzen.
2 Grundlagen des kreativen Schreibens
2.1 Der Kreativitätsbegriff
Das kreative Schreiben ist ein Ansatz in der Schreibdidaktik, der am Ende des 20. Jahrhunderts entstanden ist. Den Begriff der Kreativität gibt es jedoch schon wesentlich länger. Im Folgenden werden die verschiedenen Bedeutungen des Kreativitätsbegriffs skizziert. Wie unterscheiden sich die einzelnen Bedeutungen des Kreativitätsbegriffs voneinander?
Der Begriff Kreativität lässt sich etymologisch von den lateinischen Wörtern „creator“ und „creatura“[35] ableiten. Diesen Wörtern entsprechen die Bedeutungen Schöpfer und Schöpfung. Auch das Verb „`creare` (= hervorbringen, erschaffen, ins Leben rufen)“[36] gehört in diese Wortgruppe. Nach dem heutigen Verständnis besteht jedoch ein enger Zusammenhang zu dem amerikanischen Begriff „creativity“[37]. Unter „creativity“ wird die Fähigkeit, etwas Neues zu erschaffen, verstanden. Mit seinem „creativity“- Begriff beabsichtigte Paul Guilfords „kreative Potentiale für den auf Innovation angewiesenen volkswirtschaftlichen Fortschritt nutzbar zu machen“[38]. Der Kreativitätsbegriff der 70er Jahre wurde als divergentes Denken verstanden, das zu neuen, überraschenden Problemlösungen führt. Kreatives Verhalten bricht demnach die Grenzen des Gewohnten. Auch im Deutschunterricht bezog man den Kreativitätsbegriff auf das Durchbrechen sprachlicher Normen. Insbesondere gehören das Spielen mit Sprache sowie das Verfassen von unsinnigen Texten zu den Verfahrensweisen, die durch die Kreativitätsdiskussion in den Unterricht Eingang fanden.
Der Kreativitätsbegriff der 80er Jahre bezog sich auf das Subjekt. Unter dem Begriff Kreativität verstand man nun vorrangig Selbstausdruck, Entäußerung der verborgenen inneren Welt, Entwurf einer neuen, subjektbestimmten Wirklichkeit. Vor allem in der so genannten Schreibbewegung[39] vertrat man diese Auffassung, die ebenfalls den Deutschunterricht beeinflusste. Der Begriff der Schreibbewegung bezeichnet das Schreiben von Laien, d. h. die Schreibversuche an Schulen, in der Jugendarbeit usw. Dieses auch als expressive Schreiben bezeichnete Schreiben orientiert sich in der Regel am Konzept der Selbsterfahrung. Der Kreativitätsbegriff wandelte sich innerhalb von zehn Jahren vom gesellschaftlich fundierten zu einem Begriff, der das Private in den Mittelpunkt stellte. Autobiographische Ausdrucksformen wie Tagebücher und lyrische Gedichte fanden nun Beachtung. Das Individuum, seine Gedanken, seine Vorstellungen und seine Gefühle gewannen an Bedeutung.
Im Lexikon der Soziologie treffen wir auf eine weitere Bedeutung des Kreativitätsbe-
griffs. Kreativität bedeutet hier „die allgemeine Bezeichnung für die Fähigkeit zur Hervorbringung neuer origineller Problemlösungen“[40]. Die Gemeinsamkeit dieser Kreativitätsbegriffe liegt darin, dass Kreativität immer die Entwicklung von Neuem zur Folge hat. Auch Veränderungen werden mit dem Begriff der Kreativität signalisiert. Kreativität beschränkt sich hier nicht nur auf die Entstehung von Neuem in der Sprache, sondern sie umfasst im weiteren Sinne auch die Produktion von Neuem in Wirtschaft, Technik, Politik und Kultur.
Diese Erklärungen des Kreativitätsbegriffs zeigen, dass der Begriff `Kreativität ` nicht eindeutig definiert werden kann, sondern dass es unterschiedliche Sichtweisen und Akzentuierungen gibt[41].
Der Begriff der Kreativität wird heute für recht Verschiedenartiges gebraucht, auch in Zusammenhang mit dem Schreiben. So weist Fröchling darauf hin, dass das „Expressive Schreiben […] ein spezieller Vorgang [ist], der im Gesamtzusammenhang der Kreativitätstätigkeit zu sehen ist“[42]. Ebenso wird der Begriff auch in den Kontext produktiven Verstehens von traditionellen und modernen Erzählformen gestellt[43]. Hier wird auf die produktive Verwendung des kreativen Schreibens im Literaturunterricht verwiesen.
Nach Gabriele Pommerin ist Kreativität durch mehrere Merkmale gekennzeichnet. Hierzu gehört das Merkmal der Originalität. „Dieses Kriterium bedeutet u. a. etwas Neues schaffen, entweder etwas nie Dagewesenes oder etwas vom Üblichen Abweichendes“[44]. Des Weiteren ist die Kreativität durch die Erfindungsgabe und die Entdeckungsgabe, für die Pommerin die Fremdwörter `Inventiveness` und `Discovery` verwendet, charakterisiert. Bei der Erfindungsgabe wird etwas, das vorher noch nie existiert hat, erdacht. Bei der Entdeckungsgabe wird etwas, das unbekannt war, aber immer schon existiert hat, gefunden. Das Kriterium der Offenheit bezeichnet eine offene aufnehmende Haltung des Individuums der Umwelt gegenüber, die es benötigt, um Neues oder Anderes aufzunehmen und in den Kreativitätsprozess einzubringen. Produktivität sowie Gedankenflüssigkeit beziehen sich vorrangig auf den quantitativen Aspekt kreativen Verhaltens. Hier wird auf die Fähigkeit verwiesen, Kreativität zu produzieren. Kreativität und Produktivität werden als sinnverwandt angesehen. Im kreativen Prozess wird immer produziert.
Die Flexibilität gehört ebenfalls zu den Merkmalen der Kreativität. Mit diesem Krite-rium wird die Fähigkeit bezeichnet, „gedanklich umstrukturieren zu können, sich in neuen Situationen auf neue Weisen verhalten zu können“[45]. Mit Flexibilität wird auf die insbesondere gedankliche Anpassungsfähigkeit des Individuums, im Neuen Fuß zu fassen[46], verwiesen. Ein Individuum ist kreativ, wenn es fähig ist, auf Veränderungen oder Erneuerungen im Leben mit einem angemessenen Verhalten zu reagieren, so dass ein harmonisches Nebeneinander zwischen Neuem und Individuum möglich ist. Kreativität ist in der heutigen Zeit längst schon zu einer Zauberformel geworden. Kreativität ist von Vorteil für denjenigen, der über sie verfügt. Insbesondere im Kontext von Gesellschaft und Wirtschaft hat Kreativität eine besondere Rolle erlangt. Hier hat sie nahezu eine existenzielle Bedeutung erhalten. Nur wer kreativ ist und handelt, kann demnach bestehen[47].
Kreativität ist nach Pommerin ein Persönlichkeitsmerkmal, „für das bei allen Menschen die Disposition vorliegt und das folglich bei jedem Menschen gefördert werden kann“[48]. Jeder Mensch verfügt demnach über die Fähigkeit, kreativ zu sein, zu handeln, zu denken. Der Mensch kann angeregt werden, seine Kreativität anzuwenden. Das ist beispielsweise im Deutschunterricht mit dem kreativen Schreiben möglich. Auf diese Weise wird die Kreativität gefördert.
„Im Kern wird unter Kreativität die Eigenschaft verstanden, neues Denken, Empfinden oder Handeln entwickeln, also Transformationen einleiten, aus Altem Neues machen zu können“[49].
2.2 Kreatives Schreiben- seine Bedeutung
„Man kann verallgemeinernd also sagen, dass das kreative Schreiben dort einsetzt, wo unsere gewohnten, im Alltag eingeschliffenen Vorstellungsmuster durchbrochen werden“[50].
Mit dem neuen kreativen Ansatz werden demzufolge gewohnte Vorstellungen durchbrochen. In der Tat haben die neuen Ansätze mit ihrer Entstehung einen Umbruch in der Schreibdidaktik hervorgerufen. Gemeinsam ist allen diesen neuen Ansätzen die Voraussetzung, dass das Subjekt, der Schreibende und im engeren Sinne demnach das Kind, im Mittelpunkt steht.
Welche Besonderheiten weisen die Didaktiker dem neuen kreativen Schreibansatz zu?
Unter diesem Ansatz verstehen wir zunächst, dass das Schreiben die eigene Gestaltungskraft während des kreativen Schreibprozesses in Anspruch nimmt. Das kreative Schreiben lässt mehrere Zugänge zum Schreiben zu. Doch die wichtigste Leistung dieses Ansatzes ist, dass es die ganze Person erfasst. Das kreative Schreiben lässt sich durch drei Begriffe charakterisieren. Kaspar H. Spinner spricht hier von der Irritation, der Expression und der Imagination, die „zugleich drei Grundtendenzen innerhalb der Didaktik des kreativen Schreibens an[zeigen]“[51]. Auf das Prinzip der Irritation wurde oben schon eingegangen. In diesem Sinne kann von Kreativität gesprochen werden, wenn Ideen entwickelt und Handlungen durchgeführt werden, die im Alltag festgelegte Verhaltensmuster durchbrechen und auf diese Weise zur Entstehung des Neuen verhelfen. Ein Textanfang kann beispielsweise eine Anregung für eine spannende Geschichte sein. Es muss nach Anregungen gesucht werden, die zusammen mit schematischen Erwartungen etwas Neues ergeben. „Es wird eine Irritation geschaffen, die zur Entfaltung neuer Einfälle provoziert; das Schreiben bekommt einen spielerischen Charakter“[52]. Die befreiende Wirkung des kreativen Schreibens, die der Schreiber dabei erfährt, ist ein Indiz für seinen spielerischen Charakter. Schreiben macht in diesem Sinne Spaß, weil in ihm das Spielerische integriert ist. Der Schreibende fühlt sich frei, weil er auf diese Weise seine Vorstellungen und Gedanken entwickeln kann, „ohne auf vorgeschriebene Textmuster und die Zwänge von Alltagssituationen Rücksicht nehmen zu müssen“[53].
Das Prinzip Expression deutet auf die Bedeutung des persönlichen Ausdruckes beim Schreiben hin. Kreatives Schreiben ist demnach ein „Schreiben, das primär auf den persönlichen Ausdruck und die Entfaltung der Phantasie zielt“[54]. Das kreative Schreiben ist dann nicht nur als ein einfallsreiches Schreiben zu verstehen, sondern auch als Ausdruck von Subjektivität. Erst wenn der Schreibende etwas von sich selbst oder seiner inneren Befindlichkeit in den Text, in das Gedicht oder in die Darstellung mit einbringt, kann von kreativem Schreiben gesprochen werden. Das Subjekt, der Ausdruck seiner persönlichen Gefühle und Vorstellungen und Bereiche des Vor- und Unbewussten stehen im Mittelpunkt der Darstellung. Spinner spricht hier von der Originalität der subjektiven Authentizität[55]. Dieses Schreiben, in dem das Subjekt zum Ausdruck kommt, wird als expressives Schreiben bezeichnet.
Unter expressivem Schreiben wird Folgendes verstanden:
„Die Schreibenden benutzen die Mittel der geschriebenen Sprache um das, was sie innerlich bewegt, zu ihrer Entlastung und Entladung aus sich heraus zu schreiben und auch, um es gleichzeitig in sich einbeziehen zu können. Der Schreibvorgang dient der Objektivierung und Bewußtmachung innerer Zustände oder Vorgänge und ist ein Mittel der gedanklichen Verarbeitung. Das Schreiben ist auf Problemlösung gerichtet,
[…]
Der Schreibvorgang dient den Schreibenden dazu, mit sich selbst in Kontakt zu kommen und mit ihrer eigenen Geschichte und ihren eher unbewußten Zuständen und Regungen zu korrespondieren“[56].
Kreatives Schreiben ist für den Schreibenden demzufolge die gedankliche Verarbeitung seiner inneren Zustände auf kreative Art und Weise.
Das dritte Prinzip ist das Prinzip der Imagination. Kaspar H. Spinner weist der Aktivierung der Imaginationskraft eine große Bedeutung zu. Der Unterschied zum freien Schreiben besteht darin, dass beim freien Schreiben schon etwas vorliegt, über das geschrieben werden soll, wogegen beim kreativen Schreiben zum Schreiben hingeführt wird. Durch die Aktivierung der Imaginationskraft entsteht etwas Neues.
Beim kreativen Schreiben geht es auch um die „Ausgestaltung von Phantasien, in die zwar immer Eigenes einfließt, die aber zugleich unerwartete Räume öffnen können“[57]. Dieses Prinzip ist gewissermaßen eine Verbindung der beiden anderen Prinzipien. Das Ziel dieses Prinzips ist die Überschreitung des Gewohnten. Das Prinzip der Imagination stellt der äußeren Welt seine Gefühle und jenes gegenüber, das sich das Subjekt ausgedacht hat. Als methodisches Beispiel des kreativen Schreibens, das dem Prinzip der
Imagination am stärksten verpflichtet ist, ist die Phantasiereise zu nennen, in der das Kind gedanklich in eine andere Welt entführt wird. Das Kind tritt in das Geschehen des zu Papier Gebrachten hinein und wird manchmal sogar von diesem fortgetragen, d. h. der Zugang in die Welt des Dargestellten wird möglich gemacht.
Insbesondere diese Verfahrensweisen bzw. Schreibanregungen können aus diesem Grund zur Überwindung von Schreibblockaden führen. Mit dem kreativen Schreiben ist ein Schreibverfahren gegeben, mit dem die bei den Kindern in der Regel schon vorhandene Schreibfreude zur Entfaltung gebracht werden kann, statt sie, wie im traditionellen Aufsatzunterricht, abzublocken. Das kreative Schreiben ist durch den Anregungscharakter seiner Methoden und Verfahrensweisen, der „Betonung des Schreibprozesses mit seinen individuellen Bedingungen und dessen kreativen Umgang mit sprachlichen und traditionellen Normen“[58] gekennzeichnet.
Eine wichtige Eigenschaft des kreativen Schreibens, die im traditionellen Aufsatzunterricht zu kurz kam und für die bereits angesprochene Unlust der Schüler verantwortlich ist, ist die Suggestion von Spaß, der den Schreibenden motiviert und herausfordert[59].
An der Motivation zum Schreiben darf es nicht fehlen. Die Didaktik des kreativen Schreibens verlässt sich aus diesem Grund stärker auf die unbewusst ablaufenden Prozesse beim Schreiben. In einer zu stark distanzierten Haltung dem Schreiben gegenüber wird die Gefahr von Blockaden gesehen. Demotivation und Unlust zum Schreiben zählen zu diesen distanzierten Verhaltensweisen. So wundert es nicht, dass beim kreativen Schreiben Korrektur und Überarbeitung eine geringe Rolle spielen, da diese demotivierend auf die Schüler wirken.
2.3 Organisation und Bedingungen des kreativen Schreibunterrichts
Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Organisation, den Bedingungen und den Zielen eines kreativen Schreibunterrichts.
Dabei stehen folgende Fragen im Mittelpunkt:
Wie sollte ein kreativer Schreibunterricht organisiert sein und welche Bedingungen müssen erfüllt sein? Warum ist kreatives Schreiben im Deutschunterricht notwendig?
Bevor ein kreativer Schreibunterricht stattfinden kann, muss die Lehrperson selbst für diese neue Schreibform sensibilisiert sein. Die lehrende Person sollte Interesse, Bereitschaft und Motivation zeigen, damit sie diese Eigenschaften auch ihren Schülern vermitteln kann.
„Jede/r Lehrer/-in wirkt durch ihre Person, durch ihre unmittelbare Ausstrahlungskraft, auf die emotionale Befindlichkeit der Schüler/-innen ein. Um
Kreatives Schreiben in der Hauptschule durchführen zu können sind, so meine ich, zwei Kriterien im Gefühlshaushalt der lehrenden Person Voraussetzung: Zum ersten ist es die Authentizität der Lehrer/-in und zum zweiten die pädagogische Liebe“[60].
Nicht nur in der Hauptschule, sondern auch in der Grundschule ist es notwendig, als Lehrkraft von den Fähigkeiten kreativer Schreibverfahren überzeugt zu sein, um dann die Schüler für diese Methode zu gewinnen. „Voraussetzung und Grundlage für die Durchführung ist die Grundeinstellung der Lehrer/in“[61], denn sie hat eine Vorbildfunk-tion. Aus diesem Grund müssen Reden und Handeln der Lehrkraft beim Umsetzen in die Praxis übereinstimmen. Die Authentizität der lehrenden Person ist in der Überzeugung und bei der Sensibilisierung der Schüler von Bedeutung. Distanz, Kälte und Restriktion der Lehrperson werden auch trotz perfekter Realisation wohl kaum die angestrebte Kreativität und emotionale Offenheit der Schüler dieser Methode gegenüber erreichen können. Der Lehrer wirkt über den praktizierten Unterricht hinaus durch die Ganzheit und die Echtheit seiner Person.
Kreatives Schreiben im Deutschunterricht verlangt demnach ein verändertes Lehrerverhalten. Aber auch die Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler müssen überdacht werden. Eine Situation, in der der Schüler aufgrund geltender Unterrichtsgrenzen die Schule zu besuchen hat und der Lehrer die Aufgabe erhält, Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, ist keine gute Voraussetzung, kreativen Schreibunterricht durchzuführen.
Im kreativen Schreibunterricht steht das spontane Eingehen auf gruppendynamische Prozesse, auf Störungen und auf persönliche Belange der Schüler im Vordergrund. Alles, was der Schüler zu sagen hat, seine Gedanken und seine Gefühle stehen im Mittelpunkt. Eine Grundvoraussetzung liegt in der „`pädagogischen Liebe` - etwas, das in jedem Pädagogen mehr oder weniger latent schlummert, sonst hätte er diesen Beruf nicht ergriffen“[62].
Eine weitere Forderung, die im kreativen Schreibunterricht keinesfalls Beachtung finden soll, ist die im traditionellen Schreibunterricht abverlangte beurteilende Wertung der Schreibergebnisse. Eine Bewertung im kreativen Schreibunterricht darf weder auf literarische Leistungen noch auf persönliche Aussagen eines Schülertextes erfolgen. Wenn das Ziel des Unterrichtes darin liegt, dass die Kinder sich offen äußern sollen, dann sollte jede Form von Zensur vermieden werden. Wettbewerb und Leistung stehen im kreativen Unterricht im Hintergrund, da sie eine positive Schreibentwicklung und jede kreative Entfaltung behindern würden.
Nach Antje Dagmar Schmitz sollte man mindestens zwei Jahre kreatives Schreiben vorsehen[63]. Während das erste Jahr hauptsächlich dem Abbau von Schreibblockaden und der Entdeckung der individuellen schöpferischen Schreibfähigkeit dienen soll, soll im zweiten Jahr der Spaß am Spiel mit der Sprache den Schwerpunkt bilden. Der Schüler muss zunächst in die eigene Schreibfähigkeit Vertrauen fassen, damit sich dieses Vertrauen automatisch auf alle anderen Unterrichtsfächer ausdehnen kann. Freude und Stolz auf das Selbstgeschriebene folgen dann.
Das kreative Schreiben betont im hohen Maße die Individualität des Schülers. Aus diesem Grund ist die Einzelarbeit die dominierende Sozialform[64]. Aber auch die anderen Sozialformen wie die Partner- oder die Gruppenarbeit bieten eine Reihe von Möglichkeiten an, kreativen Schreibunterricht zu gestalten. Besonders motivierend für die Schüler ist das gemeinsame Arbeiten an den Texten. Das Miteinander und der Einblick in die Texte der anderen Mitschüler haben eine motivierende Wirkung auf die Schüler, weil auf diese Weise der Schüler erfährt, dass er ein Teil der Gruppe ist. In der Gruppe ist jedem eine Aufgabe zugeordnet, die er so gut wie möglich zu bewältigen versucht.
Eine so genannte „Kreativstunde“ hat eine feste Struktur[65], nach der unterrichtet werden sollte. In der Einführungsphase werden zunächst Themen gefunden. Entweder stellen sich diese Themen aus den aktuellen Problemen der einzelnen Schüler oder der Lehrer gibt die Themen vor. Die Schüler sind jedoch nicht verpflichtet, sich an das Themenangebot des Lehrers zu halten. Sie dürfen sich das Thema aussuchen. Zu Beginn des kreativen Schreibunterrichtes ist es jedoch wichtig, dass die Themen durch die Lehrkraft vorgegeben werden, um Ratlosigkeit zu vermeiden. Das Arbeitsmaterial sollte schon bereitgestellt sein. Als Schreibwerkzeug ist allerlei erlaubt.
Nach Schmitz ist es auch notwendig, eine Regelliste aufzustellen, in der die Regeln des kreativen Schreibunterrichts aufgelistet sind, damit die Schüler, bevor sie zu schreiben beginnen, nochmals auf die Regeln hingewiesen werden. Eine dieser Regeln, auf die die Schüler unbedingt aufmerksam gemacht werden müssen, ist, dass ihre Texte nicht benotet werden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wird die fehlende Benotung als Erleichterung gesehen. Ebenso bedeutend ist der Zusatz, dass keine langen, tollen Texte verlangt werden, da dieser Gedanke im Schreibprozess dominieren und ein Hindernis für die eigentlichen Schreibvorgänge darstellen würde. Des Weiteren motiviert es die Schüler, Persönliches und Intimes in die Texte einzubringen, wenn sie wissen, dass die Texte nicht vorgelesen werden müssen. „Um einen ungehemmten Schreibfluss entstehen zu lassen, muss der Leistungsdruck möglichst gering sein“[66]. Nachdem das Thema angekündigt worden ist, wird leise Musik aufgelegt, die in Zusammenhang mit dem Thema stehen und zur Entspannung beitragen sollte. Nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrkraft sollte motiviert sein, zum vorgegebenen Thema zu schreiben, da es die Schüler verunsichern würde, beobachtet zu werden. Mit dem Mitschreiben des Lehrers wären Unterschiede zwischen Lehrer und Schüler, wenn auch nur für einen kurzen Moment, aufgehoben.
[...]
[1] Die männliche Form wird im Verlauf der gesamten Hausarbeit sowohl zur Bezeichnung männlicher
als auch zur Bezeichnung weiblicher Personengruppen verwendet. Ausnahmen von dieser Sprachre-
gelung werden im Text ausdrücklich kenntlich gemacht.
[2] Schuster, Karl: Das personal-kreative Schreiben im Deutschunterricht. Theorie und Praxis. Hohengeh-
ren: Schneider 1995, S. 2 ff.
[3] Schmitz, Dagmar Antje: Handbuch des kreativen Schreibens. Für den Unterricht in der Sekundarstufe
1. Donauwörth: Auer 2001. S. 5.
[4] Braukmann, Werner: Freies Schreiben. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin:
Cornelsen 2003, S. 9.
[5] Schmitz, Antje Dagmar: Kreatives Schreiben in der Hauptschule. Psychologische Hilfe und pädagogi-
sche Chance bei der Erziehungsarbeit in der Hauptschule. Donauwörth: Auer 1998. S. 6.
[6] Winter, Claudia: Traditioneller Aufsatzunterricht und kreatives Schreiben. Eine empirische Ver-
gleichsstudie. Augsburg: Wißner 1998, S. 9.
[7] Schuster, Das personal-kreative Schreiben im Deutschunterricht 1995, S. VII.
[8] Beck, Oswald/ Hofen, Nikolaus: Aufsatzunterricht Grundschule. Handbuch für Lehrende und Studie
ren de. 2. Aufl. Baltmannweiler: Schneider-Verlag Hohengehren 1993, S. 17.
[9] Schuster, Karl: Einführung in die Fachdidaktik Deutsch. 8. Aufl. Baltmannweiler: Schneider-Verlag
Hohengehren 1999. S. 117.
[10] Boueke, Dietrich/ Schülein, Frieder: „Personales Schreiben“. Bemerkungen zur neueren Entwicklung
der Aufsatzdidaktik. In: Schreiben- Schreiben lernen. Rolf Sanner zum Geburtstag. Hrsg. Dietrich
Boueke/ Norbert Hopster. Tübingen: Gunter Narr 1985, S. 277.
[11] Winterling, Fritz: Freies Schreiben in der Sekundarstufe II. Überlegungen, Erfahrungen, Vorschläge.
In: Diskussion Deutsch, 1985, Heft 84, S. 360.
[12] Altenburg, Erika: Offene Schreibanlässe. Jedes Kind findet sein Thema. 4. Aufl. Donauwörth: Auer
2003. S. 12.
[13] Reuschling, Gisela: Kreatives Schreiben im Fremdsprachenunterricht. In: Kreatives Schreiben. Hrsg.
Valentin Merkelbach. Braunschweig: Westermann 1993, S. 138.
[14] Altenburg, Offene Schreibanlässe 2003, S. 12.
[15] Braukmann, Freies Schreiben 2003, S. 42.
[16] Ebd.
[17] Payrhuber, Franz-Josef: Deutschdidaktik aktuell. Schreiben lernen. Aufsatzunterricht in der Grund-
schule. Hrsg. Günter Lange/ Karl Schuster/ Werner Ziesenis. 3. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider-
Verlag Hohengehren 2001. S. 46.
[18] Payrhuber, Franz-Josef, Aufsatzunterricht in der Grundschule 2001. S. 46.
[19] Reuschling, Kreatives Schreiben im Fremdsprachunterricht 1993, S. 47.
[20] Spinner, H. Kaspar: Anstöße zum kreativen Schreiben. In: Auch die leistungsstarken Kinder fördern.
Hrsg. Horst Bartnitzky/ Reinhold Christiani. Frankfurt/ Main: Cornelsen Scripter 1994, S. 48.
[21] Braukmann, Freies Schreiben 2003, S. 42.
[22] Schuster, Das personal-kreative Schreiben im Deutschunterricht 1995, S. 144.
[23] Braukmann, Freies Schreiben 2003, S. 48.
[24] Boueke/ Schülein, Personales Schreiben 1985, S. 283.
[25] Spinner, Kaspar H.: Kreatives Schreiben. In: Praxis Deutsch 20 (1993) 119, S. 18.
[26] Boueke/ Schülein, Personales Schreiben 1985, S. 277.
[27] Vgl. Spinner, Kreatives Schreiben 1993, S.17.
[28] Vgl. Boueke/ Schülein, Personales Schreiben 1985, S. 296.
[29] Boueke/ Schülein, Personales Schreiben 1985. S. 297.
[30] Schmitz, Kreatives Schreiben in der Hauptschule 1998, S. 11.
[31] Spinner, Kreatives Schreiben 1993, S. 20.
[32] Friedrich, Jutta/ Giers, Ursula: Kreatives Schreiben. In: Deutschunterricht. Magazin für Deutschlehre-
rinnen und Deutschlehrer aller Schulformen 48 (1995) 1. S. 20.
[33] Böttcher, Ingrid: Vorwort zum kreativen Schreiben. In: Kreatives Schreiben. Grundlagen und Metho-
den. Beispiele für Fächer und Projekte. Schreibecke und Dokumentation. Hrsg. Ingrid Böttcher. Ber-
lin: Cornelsen Verlag Scriptor 1999, S. 7.
[34] Vgl. Böttcher, Vorwort zum kreativen Schreiben 1999, S. 7.
[35] Pommerin, Gabriele u. a.: Kreatives Schreiben. Handbuch für den deutschen und interkulturellen
Sprachunterricht in den Klassen 1- 10. Weinheim, Basel: Beltz 1996, S. 49.
[36] Brenner, Gerd: Kreatives Schreiben. Ein Leitfaden für die Praxis. Mit Texten Jugendlicher. Frankfurt/
Main: Scriptor 1990, S. 15.
[37] Pommerin u. a. , Kreatives Schreiben 1996, S. 49.
[38] Spinner, Kreatives Schreiben 1993, S. 17.
[39] Ebd.
[40] Fuchs, Werner u. a. (Hrsg.): Lexikon der Soziologie. 2. verbesserte und erweiterte Auflage. Opladen:
Westdeutscher Verlag 1978. S. 431.
[41] Pommerin u. a. , Kreatives Schreiben 1996, S. 50.
[42] Fröchling, Jürgen: Expressives Schreiben. Untersuchungen des Schreibprozesses und seiner Funktio-
nen als Grundlage für eine Laienschreibdidaktik. Frankfurt/ Main: Lang 1987, S. 121.
[43] Payrhuber, Franz-Josef, Aufsatzunterricht in der Grundschule 2001. S. 59.
[44] Pommerin u. a. , Kreatives Schreiben 1996, S. 50.
[45] Pommerin u. a. , Kreatives Schreiben 1996, S. 50.
[46] Der Kursivdruck signalisiert eigene Hervorhebungen der Verfasserin.
[47] Böttcher, Grundlagen des kreativen Schreibens 1999, S. 10.
[48] Pommerin u. a. , Kreatives Schreiben 1996, S. 50.
[49] Brenner, Kreatives Schreiben 1990, S. 15.
[50] Spinner, Anstöße zum kreativen Schreiben 1994, S. 47.
[51] Spinner, H. Kaspar: Kreatives Schreiben. In: Praxis Deutsch. Zeitschrift für den Deutschunterricht.
Sonderheft (1996), S. 82.
[52] Spinner, Kreatives Schreiben 1996, S. 82.
[53] Ebd.
[54] Spinner, Anstöße zum Kreativen Schreiben 1994, S. 46.
[55] Spinner, Kreatives Schreiben 1996, S. 82.
[56] Fröchling, Expressives Schreiben 1987, S. 25.
[57] Spinner, Kreatives Schreiben 1996, S. 82.
[58] Böttcher, Ingrid: Grundlagen kreativen Schreibens. In: Kreatives Schreiben. Grundlagen und Metho-
den. Beispiele für Fächer und Projekte. Schreibecke und Dokumentation. Hrsg. Ingrid Böttcher. Ber-
lin: Cornelsen Verlag Scriptor 1999, S. 15.
[59] Braukmann, Freies Schreiben 2003, S. 47.
[60] Schmitz, Handbuch des kreativen Schreibens 2001, S. 11.
[61] Ebd.
[62] Schmitz, Handbuch des kreativen Schreibens 2001, S. 12.
[63] Schmitz, Kreatives Schreiben in der Hauptschule 1998, S. 10.
[64] Friedrich, Jutta/ Giers, Ursula: Kreatives Schreiben 1995, S. 21.
[65] Schmitz, Handbuch des kreativen Schreibens 2001, S. 13.
[66] Ebd.
- Arbeit zitieren
- Özlem Aydin (Autor:in), 2004, Kreatives Schreiben. Didaktische Konzeptionen und unterrichtspraktische Konsequenzen (Klassenstufen 5 und 6), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133639