Inwiefern transportiert Mays Streben nach Völkerverständigung gleichzeitig auch Orientalisierung und Exotismus? Kann sein Werk als repräsentativ für die deutsche Kolonialzeit betrachtet werden? Vertieft Karl May mit der Konstruktion seines weißen, christlichen Helden die Diskrepanz zwischen "Orient" und "Okzident"? Hier soll der Anfang eines Versuchs entstehen, die Subtilität aufzuzeigen, mit der koloniale Ideologie und orientalisierende Darstellungsweisen durch Mays Schaffen verbreitet wurden.
Im Jahr 1884 stellt das Deutsche Reich unter Kaiser Wilhelm I. und Reichskanzler Otto von Bismarck zum ersten Mal Gebiete im heutigen Namibia (‚Deutsch-Südwestafrika‘) unter seine Herrschaft. In den nächsten drei Jahrzehnten baut Deutschland seinen Einfluss in Afrika und im Pazifik aus, es will auch seinen ‚Platz an der Sonne‘. In ebendieser Zeit verfasst Karl May (25.02.1842 – 30.03.1912) seine Winnetou-Trilogie und seinen Orientzyklus (1892), die ihn in Deutschland und vielen anderen Ländern sehr populär werden lassen. Seine Bücher werden millionenfach gelesen, übersetzt und verklärt – May wird mit seinen Erzählungen zum Jahrhundertschriftsteller. Für viele Generationen jugendlicher Leser*innen prägte sein Orientzyklus, dessen Teil auch Durchs wilde Kurdistan ist, über den deutschen Abenteurer Kara Ben Nemsi und seinen Begleiter Hadschi Halef Omar das zentraleuropäische Bild des ‚Orients‘ – in Mays Romanen bedeutet dieser eine andere, ferne Welt um Scheiche, Muslim*innen und Religionskonflikte. Obwohl die Art und Weise, in der sich May ‚den Orient‘ vorstellt, kaum auf neutral verfassten Tatsachen beruht – der Sachse reist erst 1899, über sieben Jahre nach Erscheinen des Orientzyklus tatsächlich nach Vorderasien –, bilden seine Werke für Generationen deutscher Rezipient*innen ein Mosaik aus kulturhistorischen Informationen, das „zur ersten und einzigen Quelle der Information über die Türkei, die arabischen Länder und den Islam wurde“, schreibt Peter Brenner in seiner Literaturgeschichte von 2004 über Karl May. Svenja Bach bewertet am Ende ihrer Abhandlung den Einfluss, den Mays Islam- und Orientbild bis heute auf Lesende hat, als eindeutig positiv. Der Literaturwissenschaftler Heinz Stolte erkennt in Karl Mays Romanen sogar die Weiterentwicklung des aufklärerischen Toleranzgedanken, manifestiert in Lessings Nathan der Weise.
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG
- 2. THEORETISCHER RAHMEN
- 3. ORIENTDARSTELLUNG IN DURCHS WILDE KURDISTAN
- 3.1. FRAUENDARSTELLUNG
- 3.2. KARA BEN NEMSI, DER MESSIANISCHE WEIBE
- 3.3. REZEPTION
- 4. FAZIT UND ZUSAMMENFASSUNG
- 5. LITERATURVERZEICHNIS
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Seminararbeit befasst sich mit der Darstellung des Orients im Roman „Durchs wilde Kurdistan“ von Karl May und untersucht, inwiefern Mays Werk koloniale Ideologie und orientalische Stereotypen reproduziert. Ziel ist es, die Subtilität aufzuzeigen, mit der Mays Schaffen rassistische Vorstellungen und koloniale Denkweisen verbreitet.
- Orientalisierung und Exotismus in Karl Mays Werk
- Der Einfluss von Edward Saids „Orientalism“ auf die Analyse des Romans
- Die Konstruktion des „anderen“ durch die Darstellung von orientalischen Figuren
- Die Verbindung von Kolonialismus und Orientdarstellung
- Die Rolle von Kara Ben Nemsi als Repräsentant der weißen Überlegenheit
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Seminararbeit ein und stellt den historischen Kontext von Karl Mays Schaffen im Kontext der deutschen Kolonialisierung dar. Kapitel 2 erörtert den theoretischen Rahmen der Analyse, insbesondere Edward Saids Theorie des Orientalismus. Kapitel 3 untersucht die Darstellung des Orients in „Durchs wilde Kurdistan“, wobei die Darstellung von Frauen, die Figur von Kara Ben Nemsi und die Rezeption des Romans betrachtet werden.
Schlüsselwörter
Orientalismus, Kolonialismus, Karl May, Durchs wilde Kurdistan, Edward Said, Othering, Exotismus, Türk*innenkonzeption, Kara Ben Nemsi.
- Arbeit zitieren
- Thies J. Hansberg (Autor:in), 2022, Deutscher Orientalismus in Karl Mays "Durchs wilde Kurdistan", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1337270