Hannah Arendts 'Eichmann in Jerusalem'

Eine Kontroverse damals und heute


Hausarbeit, 2004

23 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Buch „Eichmann in Jerusalem“
2.1 Hannah Arendt und der Auftrag des „New Yorker“
2.2 Aufbau und Inhalt
2.3 Die Thesen aus „Eichmann in Jerusalem“
2.3.1 Die „Banalität des Bösen“
2.3.2 Die Verantwortung der Judenräte
2.3.3 Der „Schauprozess“ gegen Adolf Eichmann

3 Die Kontroverse
3.1 Gershom Scholem und Hannah Arendt: Ein Briefwechsel
3.2 Stéphane Mosès: Das Recht zu urteilen
3.3 Dana R. Villa: Das Gewissen, die Banalität des Bösen und der repräsentative Täter
3.4 Annette Wieviorka: Die Entstehung des Zeugen

4 Beurteilung der Kontroverse

5 Schlussbemerkungen

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Die Eichmann-Kontroverse, ausgelöst durch Hannah Arendts fünfteilige Serie, die vom 16. Februar bis zum 16. März 1963 im New Yorker erschien, war der erste und mit Sicherheit bitterste öffentliche Disput unter Intellektuellen und Wissenschaftlern, der jemals über den Holocaust geführt wurde“[1], schreibt der Historiker Anson G. Rabinbach in einem Aufsatz über das kurz nach der Artikelserie von Hannah Arendt veröffentlichte Buch „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“[2].

In dieser Hausarbeit geht es um die Frage, warum das Buch eine derart heftige und bis in die Gegenwart reichende Kontroverse auslösen konnte, und worin diese genau bestand.

Zuerst wird das Buch „Eichmann in Jerusalem“ von Hannah Arendt vorgestellt. Dabei wird ein besonderer Schwerpunkt auf die strittigsten Thesen des Werkes gelegt und der Begriff von der „Banalität des Bösen“, der Vorwurf der Kooperation von Judenräten mit den Nationalsozialisten, sowie die Bedeutung des Eichmann-Prozesses für den Staat Israel analysiert.

Danach wird in die Kontroverse um das Buch eingeführt. Nach einem Blick auf die unmittelbar an die Veröffentlichung im Jahr 1963 anschließende Kritik anhand des Beispieles eines Briefwechsels zwischen Hannah Arendt und Gershom Scholem, richtet sich der Focus dieser Arbeit auf die gegenwärtigen Diskussionen über „Eichmann in Jerusalem“. Als Grundlage hierfür dient eine Aufsatzsammlung[3] verschiedener Autoren, die im Rahmen der Tagung „Zur Historiographie des Holocaust. Hannah Arendts >Eichmann in Jerusalem< Revisited“ 1997 in Potsdam stattgefunden hat.

Auf die Analyse der Kontroverse erfolgt eine Beurteilung der Kritiken durch den Autor.

Abschließend werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst, wobei die Frage beantwortet wird, inwieweit „Eichmann in Jerusalem“ heute noch relevant ist.

Diese Arbeit beschäftigt sich nur mit den wesentlichsten Aspekten der Eichmann-Kontroverse. Daher wurden Diskussionen wie um Hannah Arendts zwiegespaltene jüdische Identität, die organisierte Kampagne gegen das Buch, die Besonderheiten der Rezeption in der New Yorker Intellektuellen-Szene oder die juristische Rechtmäßigkeit des Verfahrens gegen Adolf Eichmann in Israel, weitgehend außer Acht gelassen.

2 Das Buch „Eichmann in Jerusalem“

2.1 Hannah Arendt und der Auftrag des „New Yorker“

Die Philosophin und Journalistin Hannah Arendt, die sich selbst als politische Denkerin verstand, wurde am 14. Oktober 1906 in Hannover geboren. Sie studierte Philosophie, Theologie und klassische Philologie in Marburg, Freiburg und Heidelberg. Zu ihren Lehrern gehörten Martin Heidegger, Edmund Husserl und Karl Jaspers. Nach ihrer Flucht vor dem Naziregime 1933 arbeitete sie für verschiedene jüdische Organisationen in Paris, bevor sie 1941 in die USA übersiedelte. Dort war sie an verschiedenen renommierten Universitäten als Dozentin tätig. Zu erster Berühmtheit gelangte sie mit ihrem 1955 veröffentlichten Werk über „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, in dem sie das Phänomen des Totalitarismus im 20. Jahrhundert untersucht. Hannah Arendt starb am 4. Dezember 1975 in New York.

Als das bekannteste und zugleich am kontroversesten diskutierte Werk von Hannah Arendt gilt bis heute ihr Buch „Eichmann in Jerusalem“, um welches es in dieser Arbeit gehen wird.

Nach der Verhaftung Adolf Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst 1960 in Argentinien bemühte Hannah Arendt sich um einen Auftrag der angesehenen amerikanischen Zeitschrift „The New Yorker“, der es ihr ermöglichen sollte, über den Prozess gegen Eichmann zu berichten. Zu diesem Zeitpunkt wurde der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann als der zentrale Organisator der Judenvernichtung während des Zweiten Weltkrieges angesehen. Es war das erste Mal, dass nach den Nürnberger Kriegsverbecher-Prozessen eine derart bekannte Person des nationalsozialistischen Regimes vor Gericht gebracht wurde. Arendts Interesse an dem Verfahren bestand in dem Wunsch, Eichmanns Verstand zu verstehen, sowie den moralischen Zusammenbruch Europas als Folge der nationalsozialistischen Herrschaft zu analysieren[4]: „Ich habe diese Leute nie gesehen... Dies ist wahrscheinlich meine einzige Chance. An dem Prozeß teilzunehmen, das bin ich meiner eigenen Vergangenheit schuldig.“[5] Sie wurde engagiert und reiste zwischen 1961 und 1962 mehrmals nach Jerusalem um an dem Prozess teilzunehmen, und die zahlreichen Gerichtsdokumente und Verhörprotokolle Eichmanns einzusehen.

Zuerst sollte es nur ein Artikel werden, doch schließlich erschien eine Serie aus fünf aufeinanderfolgenden Essays im „New Yorker“, die sie schließlich 1963 in erweiterter Buchform unter dem Titel „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen.“ veröffentlichte.

2.2 Aufbau und Inhalt

Im Folgenden wird der Aufbau des Buches dargestellt, sowie der Inhalt der einzelnen Kapitel kurz zusammengefasst.

Das eigentliche Buch lässt sich in zwei Teile gliedern. Kapitel I sowie die beiden letzten Kapitel (XIV und XV) und der Epilog handeln von den näheren Umständen des Prozesses, sowie den Fragen und Problemen, die er aufwarf. Der längere Mittelteil (Kapitel II bis XIII) beschäftigt sich einerseits mit der Person Adolf Eichmanns, andererseits mit der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegenüber den Juden und Eichmanns Verstrickung in dieselbe.

Für die 1964 erschienene deutsche Ausgabe des Buches schrieb Hannah Arendt eine „Vorrede“, in der sie feststellt, worum es ihr in „Eichmann in Jerusalem“ geht, nämlich um die Frage, inwieweit in Jerusalem die Gerechtigkeit gesiegt habe. Sie betont, in ihrem Buch handele es sich um einen Bericht mit einem begrenzten Thema, bei dem nichts zur Sprache kommt, was nichts mit dem Prozess zu tun hat. Unter Bezugnahme auf die Kritik an ihrem Werk spricht Arendt von einer „organisierten Kampagne“, welche jedoch weit an den Inhalten des Buches vorbeizielt und daher „gegenstandslos“[6] ist.

Im ersten Kapitel stellt Hannah Arendt ihrem Leser den Gerichtshof vor. Von Anfang an kritisiert sie die Anklagevertretung einen Schauprozess inszenieren zu wollen, in dem der israelische Premierminister Ben Gurion im Hintergrund die Strippen zieht. Demgegenüber hegt Arendt Sympathien für die drei vorsitzenden Richter, die sie für integer hält.

Kapitel II und III drehen sich um die Person und das Wesen von Adolf Eichmann. Arendt beschreibt seinen beruflichen Werdegang von einer gescheiterten Existenz bis zu Eichmanns Eintritt in die NSDAP und SS, wo er sich schließlich zum „Fachmann in Judenfragen“ entwickelt. Um die einzelnen Phasen der deutschen Politik gegenüber den Juden, und die Rolle Adolf Eichmanns in dem System der Vernichtung, geht es in den Kapiteln IV bis VI. Arendt beschreibt hier die Entwicklung der Nazistrategie von einer anfänglichen Auswanderungspolitik hin zur „Endlösung“. Eichmann selbst wird 1941 ins Reichssicherheitshauptamt (RSHA) versetzt und erfährt kurz darauf durch seinen Vorgesetzten Heydrich von Hitlers Befehl zur Vernichtung der Juden. Seine Aufgabe besteht in der polizeilichen Erfassung der Juden, sowie der Organisation ihres Transports in die Konzentrationslager, wobei nur das KZ Theresienstadt seiner Verantwortung untersteht.

Im siebten Kapitel greift Hannah Arendt die Kooperation der Judenräte mit den Nazi-Behörden scharf an. Ohne deren aktive Mitarbeit hätte der Holocaust nicht in dem großen Ausmaße stattfinden können und es hätte deutlich mehr Überlebende gegeben.

Eichmanns Verhältnis zum Gesetz, und seine kompromißlose Vorgehensweise bei der Ausführung des Befehls zur „Endlösung“, werden in Kapitel VIII thematisiert.

Die Kapitel IX bis XII beschreiben die Deportationen der Juden aus den einzelnen, von den Deutschen besetzten oder mit dem Deutschen Reich verbündeten, Ländern Europas in die Konzentrations- und Vernichtungslager, sowie die jeweiligen Organisations- und Verwaltungsaufgaben von Eichmanns Behörde. Bei den Reaktionen der einheimischen Bevölkerungen auf die nationalsozialistischen Absichten, stellt Arendt zum Teil deutliche Unterschiede fest. Dabei zeigt sie auf, wie der Widerstand gegen die Deportationen in Bulgarien, aber vor allem in Dänemark, die verantwortlichen deutschen Beamten zum Umdenken bringen konnte.

Im folgenden Kapitel (XIII) kritisiert Arendt wiederum den Staatsanwalt, der auch Eichmanns Verantwortung für die Deportationen aus den Gebieten des Ostens, also Polen und die Sowjetunion, beweisen zu versuchte, und dafür eine dem Prozess keinen Nutzen bringende „endlose Prozession von Zeugen“[7] vortragen ließ.

Die beiden letzten Kapitel von „Eichmann in Jerusalem“ beschäftigen sich wieder mit den näheren Umständen des Prozesses sowie mit dem abschließenden Urteil. Arendt bemängelt hierbei, der Verteidigung hätten nicht ausreichend Zeit und Mittel zur Verfügung gestanden. Nach einer kurzen Schilderung von Eichmanns Leben nach dem Krieg bis zu seiner völkerrechtswidrigen Verhaftung in Buenos Aires, berichtet Arendt von der Urteilsverkündung, in der Eichmann in allen Anklagepunkten für schuldig gesprochen wurde. Das Buch schließt mit einem Epilog. In diesem diskutiert Arendt die Legitimität eines israelischen Gerichts, den Fall Adolf Eichmann zu verhandeln, welchen sie lieber vor einen internationalen Gerichtshof verlegt hätte. Sie nennt außerdem mehrere Punkte, warum ein zweifelhaftes Licht auf das Verfahren fallen muss. Zu ihnen gehören die mit dem Prozess bezweckten politischen Nebenabsichten des Staates Israel. Als „Wurzel allen Versagens und aller Mängel des Jerusalemer Prozesses“ bezeichnet Hannah Arendt allerdings die Unfähigkeit der Beteiligten, jenseits ihrer Interpretation der Katastrophe als des schrecklichsten „Pogroms in der jüdischen Geschichte“[8], das Neuartige eines beispiellosen Verbrechens gegen die Menschheit zu erkennen.

2.3 Die Thesen aus „Eichmann in Jerusalem“

Viele der Thesen, die Hannah Arendt in ihrem Buch „Eichmann in Jerusalem“ aufstellt, haben nach dessen Erscheinen äußerst scharfe und bis in die Gegenwart wirkende Diskussionen, und häufig auch Empörung, ausgelöst. Die drei Wichtigsten, und zugleich die Strittigsten, sollen im Folgenden einer genaueren Analyse unterzogen werden. Es handelt sich dabei um den Begriff der „Banalität des Bösen“, sowie um Arendts Kritik am Verhalten der Judenräte und ihren Vorwurf an den Staat Israel, das Verfahren gegen Eichmann als „Schauprozess“ inszeniert zu haben.

2.3.1 Die „Banalität des Bösen“

Arendt ging es in ihrem Bericht unter anderem darum, die Persönlichkeit Adolf Eichmanns, dieses neuen Verbrechertypus eines „Verwaltungsmassenmörders“, zu analysieren. Sie wollte verstehen, welche Motive ihn leiteten und wie Eichmanns Gewissen angesichts seiner Taten funktionierte.

Dem Gericht und der Anklage war das ihrer Meinung nach während des Prozesses nicht gelungen. Besonders die Anklage tat sich darin hervor, Eichmann als blutdurstiges Ungeheuer darzustellen, ohne dessen Anstrengungen der Holocaust nicht hätte solche Ausmaße annehmen können.

Hannah Arendt sah den Angeklagten anders. Seine Rolle bei der „Endlösung der Judenfrage“ wurde vor dem Prozess überschätzt. Das Verfahren zeigte schließlich, dass es sich bei Adolf Eichmann nicht um den Drahtzieher der Judenvernichtung, sondern lediglich um ein „untergeordnetes ausführendes Organ“[9] handelte. Eichmann war keineswegs ein Fanatiker, kein überzeugtes Parteimitglied, noch nicht einmal ein leidenschaftlicher Antisemit, sondern wurde von diversen Psychologen als „normal“ eingestuft.

Was hatte ihn aber dann bewogen, die Erfassung und den Transport von Millionen Juden in die Todeslager zu organisieren?

Eichmanns einziges Motiv bestand in seinem Bestreben, beruflich aufzusteigen. Vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland erwies er sich als unfähig, über einen längeren Zeitraum Arbeit zu haben und galt als „gescheiterte Existenz“[10]. Eher durch Zufall gelangte er 1932 in die SS, wo er ein Buch über Zionismus[11] las und so schon früh zum „Fachmann in Judenfragen“ aufstieg. Da „Judenfragen“ in Nazi-Deutschland stetig relevanter wurden, kam Eichmanns Karriere schnell in Fahrt und erstmals „war er wer“.

Doch was ist das für ein Mensch, der seiner Karriere zuliebe zu einem willigen Helfer eines Massenmordes wird?

[...]


[1] Rabinbach, Anson G.: Hannah Arendt und die New Yorker Intellektuellen, in: Smith, Gary (Hg.): Hannah Arendt Revisited, S. 33, Frankfurt a. M. 2000

[2] Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München, 1964. Alle Seitenangaben und Zitate in dieser Arbeit beziehen sich auf die erweiterte Taschenbuchausgabe, München, 1986

[3] Smith, Gary (Hg.): Hannah Arendt Revisited: „Eichmann in Jerusalem“ und die Folgen, Frankfurt a. M. 2000

[4] Elon, Amos: Hannah Arendts Exkommunizierung, in: Smith, Gary (Hg.): Hannah Arendt Revisited, S. 19-20

[5] Ebenda, S. 20, Arendt an Kenneth Thompson, zitiert nach: Kohn, Jerome, Cambridge, 1996

[6] Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem, S. 52, München 1986

[7] Ebenda, S. 316

[8] Ebenda, S. 390

[9] Ebenda, S. 320

[10] Ebenda, S. 107

[11] „Der Judenstaat“ von Theodor Herzl, 1896; vgl. S. 115 in: Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Hannah Arendts 'Eichmann in Jerusalem'
Untertitel
Eine Kontroverse damals und heute
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Was heißt politisch denken?
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V133828
ISBN (eBook)
9783640406678
ISBN (Buch)
9783640406937
Dateigröße
452 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hannah, Arendts, Eichmann, Jerusalem, Eine, Kontroverse
Arbeit zitieren
Diplom Sozialwissenschaftler Tammo Grabbert (Autor:in), 2004, Hannah Arendts 'Eichmann in Jerusalem', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133828

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