Der deutsche expressionistische Film der 1920er Jahren ist weltweit hoch angesehen. Für die weitere Entwicklung des Films hat besonders diese Phase, kurz vor Erfindung des Tonfilms und des Farbfilms, einen großen Einfluss gehabt. Meilensteine wie "Das Cabinet des Dr. Caligari" oder "Metropolis" werden bis heute häufig zitiert. Zahlreiche oft verwendete stilistische Elemente haben ihren Ursprung in dieser Zeit. Die expressionistischen Filmemacher waren experimentierfreudig und schufen auch technisch neue Möglichkeiten des Ausdrucks.
Während der Expressionismus in den Gattungen Bildende Kunst, Literatur und Musik im Jahr 1920 seine Hochzeiten bereits hinter sich hatte (gemeinhin wird für Stilrichtung Expressionismus die Zeitspanne 1905-1925 angegeben, die Kernzeit liegt dabei zwischen 1910 und 1920), lässt sich der filmische Expressionismus auf die Jahre 1920 bis 1930 festlegen. Dabei sind nur die wenigsten Filme (insbesondere „Das Cabinet des Dr. Caligari“) rein expressionistisch, jedoch werden viele Stil- und Ausdrucksmittel und technische Verfahren in anderen Filmen übernommen.
Der Film „Die freudlose Gasse“ (1925, Regie: Georg Wilhelm Pabst) wird zumeist als ein Film im Umbruch zur Epoche der „Neuen Sachlichkeit“ betrachtet.
Während sich in der Literatur Expressionismus und Neue Sachlichkeit stark voneinander abgrenzen, scheint es beim Film eine Vereinigung beider Epochen zu geben: Unter Verwendung der Mittel des Expressionismus lässt sich offenbar eine Wirkung der Neuen Sachlichkeit erzielen.
In der vorliegenden Referatsausarbeitung erfolgt zunächst eine kurze Inhaltsangabe. Da „Die freudlosen Gasse“ zugleich „einer der spektakulärsten Zensurfälle der zwanziger Jahre“ (Horak 1998) war, muss die Frage gestellt werden, inwiefern sich die Zensur und die entstehende Unsicherheit über die Originalität der Fassung auf die Filmanalyse auswirken.
Da das Referat im Rahmen des Seminars „Expressionismus im Film“ stattfand, steht die Benennung und Analyse der expressionistschen Elemente im Mittelpunkt dieser Arbeit. Auf die detaillierte Analyse der Handlung soll an dieser Stelle jedoch nicht eingegangen werden.
Die inhaltlichen Wiedergaben und Analysen basieren auf der 1998 auf arte ausgestrahlten, im Filmmuseum München 1996/97 restaurierten Fassung des Filmes.
[...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Inhaltswiedergabe
3 Probleme bei der Analyse von Filmen
3.1 Fassungen des Films Die freudlosen Gasse
3.2 Konsequenzen fur den Umgang mit dem Medium Film
4 Expressionistische Merkmale im Film
4.1 Beleuchtung
4.2 Architektur
4.3 Mimik und Gestik
4.4 Einsatz expressionistischer Mittel
5 Technische Besonderheiten des Films
5.1 Oberblendeffekte
5.2 Schnitt
5.3 Einsatz von Spiegeln
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Der deutsche expressionistische Film der 1920er Jahren ist weltweit hoch angesehen. Fiir die weitere Entwicklung des Films hat besonders diese Phase, kurz vor Erfindung des Tonfilms und des Farbfilms, einen groBen Einfluss gehabt. Meilensteine wieDas Cabinet des Dr. Ca-ligarioderMetropoliswerden bis heute häufig zitiert. Zahlreiche oft verwendete stilistische Elemente haben ihren Ursprung in dieser Zeit. Die expressionistischen Filmemacher waren experimentierfreudig und schufen auch technisch neue Möglichkeiten des Ausdrucks.
„Bewusst wendet man sich im expressionistischen Film von einer objektiven Weltdarstellung zugunsten des subjektiven Ausdrucks ab. Die tägliche Erfahrung, dass man der Realität ebenso wenig entrinnen kann wie sich selbst, schlägt sich in alptraumhaften Darstellungen nieder, in seinen jeder Stabilität beraubten Kulissen spiegeln sich die gebrochenen Seelen der Helden."1
Während der Expressionismus in Gattungen Bildende Kunst, Literatur und Musik 1920 seine Hochzeiten bereits hinter sich hatte (gemeinhin wird fiir Stilrichtung Expressionismus die Zeitspanne 1905-1925 angegeben, die Kernzeit liegt dabei zwischen 1910 und 19202), lässt sich der filmische Expressionismus auf die Jahre 1920 bis 1930 festlegen. Dabei sind nur die wenigsten Filme (insbesondere „Das Cabinet des Dr. Caligari") rein expressionistisch, jedoch werden viele Stil- und Ausdrucksmittel und technische Verfahren in anderen Filmen iiber-nommen.
Was Expressionismus genau bedeutet, ist nicht klar definiert. 1926, also inmitten des Jahr-zehnts, in dem dem Film expressionistische Merkmale zugesprochen werden, und ein Jahr nach Urauffiihrung der freudlosen Gasse, konstatiert Rudolf Kurtz in seinem Buch Ex-pressionismus und Film:
„Eine klare Definition ist in der gewifi nicht kleinen Literatur iiber den Expressionismus nicht aufzufinden. [...] Vielleicht steckt die Schwierigkeit darin, daB der Expressionismus eine Fiille verschiedenartiger Erscheinungen deckt, die nur durch ihre Konfrontierung mit einer ihnen gemeinsamen gegnerischen Einstellung, dem Impressionismus, den Schein einer gewissen Gleichförmigkeit erhält." (Kurtz 1926, S. 9)
Im Film ist eine Definition noch schwieriger. Offenbar zeigen sich die expressionistischen Einfliisse in den verschiedensten Elementen des Films: In der Architektur und im Biihnen-bild, in den Kostiimen, in den Texttafeln, in den verwendeten Effekten und schlieBlich auch in den dargestellten Figuren.
Der Film „Die freudlose Gasse" (1925, Regie: Georg Wilhelm Pabst) stellt einen Sonderfall dar. Dieser Film wird zumeist als ein Film im Umbruch zur Epoche der „Neuen Sachlichkeit" betrachtet. Die Neue Sachlichkeit ist
„In der Literatur der Weimarer Republik [...] eine Richtung, die sich niichtern und realistisch abgrenzt vom Pathos des Expressionismus. An die Stelle emphatischer Wendungen und radi-kal-romantischer Bilder trat eine erniichterte, oft kiihl-distanzierte, beobachtende Haltung, die dokumentarisch-exakt und scheinbar gefiihllos die moderne Gesellschaft darstellte..." (Wikipedia: Neue Sachlichkeit)
Wahrend sich in der Literatur Expressionismus und Neue Sachlichkeit also stark vonein-ander abgrenzen, scheint es beim Film eine Vereinigung beider Epochen zu geben: Unter Verwendung der Mittel des Expressionismus lasst sich offenbar eine Wirkung der Neuen Sachlichkeit erzielen.
In der vorliegenden Referatsausarbeitung soll zunachst eine kurze Inhaltsangabe erfolgen. Da „Die freudlosen Gasse" zugleich „einer der spektakularsten Zensurfalle der zwanziger Jah-re"3 war, muss die Frage gestellt werden, inwiefern sich die Zensur und die entstehende Unsi-cherheit iiber die Originalitat der Fassung auf die Filmanalyse auswirken.
Da das Referat im Rahmen des Seminars „Expressionismus im Film" stattfand, steht die Benennung und Analyse der expressionistschen Elemente im Mittelpunkt dieser Arbeit. Auf die detaillierte Analyse der Handlung soll an dieser Stelle jedoch nicht eingegangen werden.
Die inhaltlichen Wiedergaben und Analysen basieren auf der 1998 auf arte ausgestrahlten, im Filmmuseum Miinchen 1996/97 restaurierten Fassung des Filmes.
2 Inhaltswiedergabe
Die Handlung des Films „Die Freudlose Gasse" verläuft in mehreren parallelen Ebenen, die miteinander verwoben sind und am Ende miteinander verschmelzen. In der von Armut ge-prägten Melchiorgasse gibt es neben verarmten Burgern und Lumpenproletariat nur zwei wohlhabende Menschen: Den Fleischer Josef Geiringer und Frau Greifer, die einen Modesa-lon mit angeschlossenem Nachtklub betreibt. In diesen Nachtklub zieht es die wohlhabenden Burger Wiens. An den Nachtklub angegliedert ist das Stundenhotel „Merkl", in dem u.a. Frauen ihren bei Frau Greifer aufgenommenen Kredit mit sexuellen Dienstleistungen abbe-zahlen.
Während sich die einen durch einen Aktienbetrug bereichern, fallen andere dadurch in die Armut. Derweil geschieht ein Mord, von dem schrittweise deutlicher wird, dass er von einer jungen Frau aus Eifersucht veriibt wurde.
Am Ende des Films wenden sich die armen Einwohner der StraBe gegen die Reichen, nach-dem sie Geräusche aus dem Nachtklub hören, und beginnen, mit Steinen zu werfen. Dabei entzundet sich das Gebäude, und ein bettelarmes Paar stirbt in den Flammen. Hoffnung, aus der Melchiorgasse jemals herauszukommen, besteht am Ende nur fur Grete Rumfort, die von einem amerikanischen Rot-Kreuz-Offizier Aussicht auf ein besseres Leben erhält.4
3 Probleme bei der Analyse von Filmen
Bei der Betrachtung und Analyse eines Films geht man in der Regel davon aus, dass der gese-hene Film tatsachlich der originale, der echte Film ist. Das Beispiel des Films „Die Freudlose Gasse" zeigt, wie falsch dieser Schluss ist. Wie auch bei Literaturanalysen ist bei Filmanaly-sen davon auszugehen, dass das zu betrachtende Objekt in seiner Geschichte Veranderungen unterworfen war und dass es mitunter verschiedene Fassungen eines Werkes gibt. In der Li-teratur ist es oft der Verfasser selbst, der verschiedene Fassungen schreibt, iiberarbeitet und herausgibt, beim Ubertrag zum Film gibt es aber Unterschiede zu beachten: Nur selten (so z.B. im Autorenkino) gibt es einen „Verfasser" des Films, in den meisten Fallen ist das ent-stehende Produkt ein gemeinsames Werk von (Drehbuch-)Autor, Regisseur und Produzent. Dariiber hinaus scheinen Veranderungen bei Filmen zumeist von anderen Instanzen hervor-gerufen zu werden: Staatliche Zensurbehörden fiihren dazu, dass Filme gleich nach ihrer Fertigstellung verkiirzt werden und sich von Land zu Land unterscheiden können. Filmver-leihe schaffen spezielle Versionen fiir verschiedene Lander, unterschiedliche Fassungen fiir Kino und Heimverleih, und Fernsehsender schneiden Szenen heraus, damit Filme beispiels-weise in das Senderschema passen.
3.1 Fassungen des Films Die freudlosen Gasse
Der Film „Die Freudlose Gasse" wurde zensiert und gekiirzt wie kaum ein Film zuvor. Die Fassung, die bei der Urauffiihrung am 18. Mai 1925 in Berlin gezeigt wurde, hatte noch eine Lange von 3738 m. In der Nacht vor der Urauffiihrung hatte Pabst mit seinem Cutter Mark Sorkin noch „einige wichtige Szenen" entfernt5, die der Kinobesitzer bemangelt hatte.
Durch die erste Zensur am 25.5.1925 fielen mit ca. 3 1/2 bis 4 Metern nur relativ wenige Bilder weg (ca. 7,5 Sekunden, ausgehend von 25 Bildern/Sekunden)6. Auf Antrag hin wurde im dar-auffolgenden Jahr eine weitere Priifung durchgefiihrt, nach der nur noch 3477 Meter iibrig blieben. Horak bemerkt: „Keine der spater noch existierenden Kopien hatte jedoch anna-hernd diese Lange."7 Aus seinem Text geht hervor, dass es zahlreiche sehr unterschiedliche Fassungen des Films gegeben habe, die sich nicht nur in ihrer Lange, sondern auch in ihrer Szenenabfolge unterschieden. In vielen Kopien sei auch Material aus völlig anderen Filmen enthalten gewesen.
In Deutschland wurden mehrere Versuche unternommen, den Film zu rekonstruieren, mit dem Ziel, moglichst nah an die Urfassung, also die der Erstauffiihrung, heranzukommen. Der erste Versuch geht auf Enno Patalas zuriick, der im Jahr 1989 im Miinchener Filmmuseum aus drei erhaltenen Kopien des Films eine Fassung zusammengeschnitten hat, die sich eng am Drehbuch Mark Sorkins orientierte.
Von 1995 bis 1997 erfolgte dann unter Federfiihrung Jan-Christopher Horaks die zweite Re-konstruktion im Miinchener Filmmuseum, bei der alle bekannten Negativfilme verwendet wurden sowie samtliches verfiigbares Material, aus denen sich Hinweise iiber die richtige Reihenfolge der Szenen und der Zwischentitel ergaben. Die entstandene Rekonstruktion des Films hat eine Lange von ca. 3000 Metern.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dem Verfasser liegt neben der hier unter-suchten rekonstruierten Version noch eine weitere Version vor, die beim amerikanischen Internet-Kaufhaus amazon.com auf DVD erhaltlich ist. In dieser fehlen zahlreiche Szenen, darunter die gesamte Handlung, die sich mit dem Mord an Lia Leid beschaftigt. Offenbar handelt es sich um eine Version, die im George Eastman House, Rochester, N.Y. aufbewahrt wurde. Diese Fassung des Films erhielt aufgrund der relativ guten Bildqualitat auch Einzug in die zweite Miinchener Rekon-
Abbildung 1: Titel der Rochester-Version des Films
struktion. Horak:
„Diese nur 59miniitige Fassung war anscheinend eine amerikaniche Kurzfassung mit
englischen Zwischentiteln, die ganz auf Greta Garbo zugeschnitten war, um aus ihrem Namen in Amerika Kapital zu schlagen."8
So wird auf die Person Greta Garbos in den Zwischentiteln mehrmals hingewiesen, und der Filmvorspann preist sie als „the incomparable Greta Garbo" an (Abb. 1).
[...]
1 Leisen, Johannes (Hrsg): Expressionistischer Film.
http://www.35millimeter.de/filmgeschichte/deutscher-film/1920/expressionistischer-film.1.htm (letzter Aufruf: 26.09.2005)
2 vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Expressionismus (letzter Aufruf: 01.02.2005)
3 Horak 1998, S. 49
4 Eine ausfihrliche Inhaltswiedergabe findet sich beispielsweise bei Koll 1998, S. 72ff.
5 Horak 1998, S. 53
6 Diese und die weiteren Angaben zu Zensuren, Kiirzungen und unterschiedlichen Fassungen stammen von Horak 1998, S. 53ff.
7 Horak 1998, S. 53
8 Horak 1998, S. 56
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