Die Singbarkeit von Epik am Beispiel des 'Liedes vom hürnen Seyfrid'


Hausarbeit, 2003

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Wurden Heldenepen gesungen?

3. Das Verhältnis zwischen Melodie und Text
3.1. Das Nibelungenlied
3.2. Der Hildebrandston
3.3. Die Heunenweise
3.4. Der Berner-Ton
3.5. Der Herzog-Ernst-Ton

4. Vom ‚Hürnen Seyfrid’ und dem ‚Hiltebrandes thon’
4.1. Der Titel
4.2. Melodie und Text

5. Schluss

6. Literaturverzeichnis
6.1. Primärliteratur
6.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

„Hierinn findt jr ein schönes Lied“[1], so lautet der erste Vers des Titels des Heldenepos‚ ‚Das Lied vom hürnen Seyfrid’. In meiner Freizeit beschäftige ich mich mit Musik, singe gerne und bin durch moderne Neufassungen von Stücken Walthers von der Vogelweide der Band ‚In Extremo’ auch mit mittelhochdeutscher Dichtung in Berührung gekommen. Auch sang ich bei einer Aufführung der Vertonung der ‚Carmina Burana’ von Carl Orff, aufgeführt vom Chor der Universität Trier, als Tenor mit. Auf anderem Weg kam ich mit mittelalterlicher Musik in Kontakt, als ich in der mündlichen Abiturprüfung in Musik die Buchmalereien zum Beispiel des Walthers von der Vogelweide oder des Tannhäusers in der Manessischen Liederhandschrift – dem Codex Manesse – als Prüfungsthema hatte. Deshalb finde ich das Thema der Epenmelodien im Rahmen des Proseminars ‚Einführung in die deutsche Literatur des Mittelalters’ interessant.

Die Verwendung des Begriffs ‚Lied’ im Titel zum ‚Lied des hürnen Seyfrid’ führt zu der Frage, ob Heldenepen des Mittelalters gesungen wurden – zur Frage nach der Singbarkeit von Epik. Walther Lipphardt schreibt hierzu: „um unser Wissen, ob epische Dichtungen des Mittelalters wirklich gesungen wurden, ist es noch schlecht bestellt“[2]. Diese Arbeit versucht anhand der Ausführungen mehrerer Autoren die These des gesungenen Vortrags der Heldenepen zu untermauern. Dabei stütze ich mich auf folgende Aufsätze: ‚Epenmelodien’ und ‚Strukturprobleme der Epenmelodien’ von Horst Brunner, ‚Zum sanglichen Vortrag mhd. strophischer Epen’ von Karl H. Bertau und Rudolf Stephan, ‚Das mittelalterliche Epos und die Musik’ von Ewald Jammers und ‚Epische Liedweisen des Mittelalters in schriftlicher Überlieferung’ von Walther Lipphardt.

Weiter wird anhand von Beispielen einiger überlieferter Strophenformen der Zusammenhang zwischen Text und Melodie beziehungsweise der Strophenstruktur beleuchtet und die Entwicklung der Strophenformen, aus denen neue Strophenformen entstanden, beschrieben. Dies geschieht durch die Betrachtung des ältesten überlieferten Heldenepos ‚Das Nibelungenlied’, das leider ohne Melodie überliefert ist. Es wird der Versuch unternommen, anhand der Textstruktur und von Vergleichen mit ähnlichen Strophenformen Anhaltspunkte für eine Rekonstruktion der Melodie zu sammeln. Schließlich werden die Beziehungen zwischen dem Text des ‚Lieds vom hürnen Seyfrid’ und der Melodie des in ihm zu verwendenden ‚Hildebrandstons’ herausgearbeitet.

Da das altfranzösische Epos ‚Aucassin und Nicolette’ das einzige mit Melodie überlieferte nicht-strophische Heldenepos ist, sei hier nur erwähnt, dass der Text zwischen gesungenen und gesprochenen Passagen abwechselt und „der erste und letzte Vers jeder Arie […] eine besondere Melodie [zeigen], die mittleren Partien wiederholen immer die gleiche“[3]. Im weiteren Verlauf beschränkt sich die Arbeit auf die Betrachtung strophischer Texte.

2. Wurden Heldenepen gesungen?

Zur Frage, ob die mittelhochdeutschen Heldenepen, wie „Wolframs Titurel, Salman und Morolf, Nibelungenlied, Kudrun und viele andere Gedichte der Art gesungen worden“[4] sind, schreibt Ewald Jammers: „Die Folgerung Sarans ist ganz richtig: ist ein strophisches Epos gesungen worden, so sind es auch die anderen“[5]. Als Gegenargumente gegen den gesungen Vortrag der Heldenepen wird das „gelegentliche[…] Strophenenjambement[…]“[6] erwähnt und vor allem, dass „die großen Epen – doch anscheinend eben wegen ihrer Größe – nicht gesungen worden seien“[7].

Doch sprechen mehrere Gründe für die Tatsache, dass Heldenepen gesungen wurden. So sind zum Beispiel schon in der Antike Zeugen für die Singbarkeit von Epik und deren sanglichen Vortrag in Form der „Neumen zu Vortragsabschnitten antiker Epen wie Aeneis und Thebais“[8] vorhanden. Weiterhin erwähnen Karl H. Bertau und Rudolf Stephan die altfranzösischen chansons de geste als Zeugen für die gesungene Epik.[9] Auch Jammers nennt das homerische Epos als einen Anhaltspunkt, der die „Zusammenhänge zwischen Epos und Musik“[10] untermauert.[11] Weiterhin verweist er auf „das Beispiel der Epen anderer Sprachen, wie etwa das finnische Kalewala- [Epos]“[12].

Die Texte der Heldenepen selbst geben schon Aufschluss darüber, dass sie gesungen wurden, wie die „Marner-Stelle (ed. Strauch XV, 14, 261), in welcher dieser diu liet anführt“[13], wie Bertau und Stephan schreiben. Das bedeutet, dass die Autoren durch Aussagen in ihren Texten selbst ihre Vortragsform bestimmten. Zum Beispiel heißt es im Titel des ‚Lied vom hürnen Seyfrid’ „in des Hiltebrandes thon“ (HS Titel), wodurch die Melodie, auf die das Epos zu singen ist, genannt wird. Jedoch wird in Handschriften des 15. und 16. Jahrhunderts „gelegentlich singen oder singære der älteren Vorlage in sprechen oder sprecher abgeändert“[14]. Diese Entwicklung bestätigt die Annahme, dass „der Vortrag von der eigenen Lektüre abgelöst wurde“[15]. Durch die Einführung des billigen Papiers und später des Buchdrucks wurde es möglich, die Epen selbst zu lesen und dadurch verdrängte „das schnelle, lesende Auge das hörende Ohr“[16].

Für die Tatsache, dass Epen gesungen wurden, spricht wohl am deutlichsten, dass einige Melodien überliefert sind. Nach Horst Brunner beruht der „Zuwachs an Material [...] auf der planmäßigen Durchforschung der in diesem Zusammenhang bisher nur ganz am Rande und zufällig herangezogenen und auch sonst kaum beachteten Meistersingerhandschriften des 15., 16. und 17. Jahrhunderts“[17]. Brunner schreibt, dass „in didaktischen Großgedichten und in Epen des Mittelalters [...] insgesamt dreizehn verschiedene Strophenformen“[18] vorkommen: „die Tirolstrophe und der Winsbeckenton, die Morolfstrophe, der Schwarze Ton, die Titurelstrophe, die Kudrunstrophe, die Walther- und Hildegund-Strophe, die Rabenschlachtstrophe, die Dukus-Horant-Strophe,, die Nibelungenstrophe, der Hildebrandston, die Heunenweise und der Bernerton“[19], wobei nur zu den mit ‚ton’ und ‚weise’ benannten – außer der Titurelstrophe – Melodien erhalten und überliefert worden sind.[20] Weiterhin ist noch als eine zweite Melodie zum Bernerton – auch Herzog-Ernst-Ton genannt, da der Herzog-Ernst-Stoff im Bernerton abgefasst wurde – die Flammweise, die die gleiche Strophenform wie der Bernerton aufweist, jedoch eine andere Melodie verwendet.[21] Die Existenz von Epenmelodien stellt „die prinzipielle Möglichkeit des sanglichen Vortrags der in Strophen abgefaßten deutschen Epik des Mittelalters außer Frage“[22].

[...]


[1] Golther, Wolfgang (Hg.): Das Lied vom Hürnen Seyfrid nach der Druckredaktion des 16. Jahrhunderts. Mit einem Anhange: Das Volksbuch vom gehörnten Siegfried nach der ältesten Ausgabe (1726). 2. Aufl. Halle a. S. 1911 (=Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts), S. 1 Titel. Im weiteren Verlauf werden Zitate aus diesem Text bzw. Verweise darauf durch das in Klammer gesetzte Kürzel ‚HS’ und Strophenzahl bezeichnet.

[2] Lipphardt, Walther: Epische Liedweisen des Mittelalters in schriftlicher Überlieferung. In: Egon Kühebacher (Hg.): Deutsche Heldenepik in Tirol. König Laurin und Dietrich von Bern in der Dichtung des Mittelalters. Beiträge der Neustifter Tagung 1977 des Südtiroler Kulturinstitutes. Bozen 1979 (=Schriftenreihe des Südtiroler Kulturinstitutes), S. 275.

[3] Kein Autor: Die Geschichte von Aucassin und Nicolette. Leipzig kein Jahr (=Insel-Bücherei), S. 62.

[4] Jammers, Ewald: Das mittelalterliche deutsche Epos und die Musik. In: Ewald Jammers: Schrift Ordnung Gestalt. Gesammelte Ausätze zur älteren Musikgeschichte. Bern und München 1969 (=Neue Heidelberger Studien zur Musikwissenschaft), S. 146.

[5] Ebd., S. 146.

[6] Ebd., S. 146.

[7] Ebd., S. 147.

[8] Bertau, Karl H. und Rudolf Stephan: Zum sanglichen Vortrag mhd. strophischer Epen. In: Julius Schwietering (Hg.): Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur. Siebenundachtzigster Band. Wiesbaden 1956/1957, S.253.

[9] Vgl. ebd., 253.

[10] Jammers: Epos und Musik, S. 105.

[11] Vgl. ebd., S. 105.

[12] Ebd., S 105.

[13] Bertau, Stephan: Zum sanglichen Vortrag. S. 254.

[14] Ebd., S. 254.

[15] Jammers: Epos und Musik. S. 147.

[16] Ebd., S. 147.

[17] Brunner, Horst: Epenmelodien. In: Otmar Werner und Bernd Naumann (Hgs.): Formen mittelalterlicher Literatur. Siegfried Beyschlag zu seinem 65. Geburtstag von Kollegen, Freunden und Schülern. Göppingen 1970, (=Göppinger Arbeiten zur Germanistik), S. 149.

[18] Ebd., S. 150.

[19] Brunner: Epenmelodien. S. 150.

[20] Vgl. ebd., S. 151 ff.

[21] Vgl. ebd., S. 156.

[22] Ebd., S. 160.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Singbarkeit von Epik am Beispiel des 'Liedes vom hürnen Seyfrid'
Hochschule
Universität Trier  (Fachbereich II Germanistik)
Veranstaltung
Proseminar: Einführung in die deutsche Literatur des Mittelalters. Das Lied vom Hürnen Seyfrid.
Note
2,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
17
Katalognummer
V134013
ISBN (eBook)
9783640416479
ISBN (Buch)
9783640412013
Dateigröße
490 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
[...] Aufbau und Gliederung sind sachgerecht [...] werden die anstehenden Probleme knapp aber hinreichend skizziert [...]
Schlagworte
Das Lied vom hürnen Seyfrid, Ältere deutsche Literatur, Ältere deutsche Philologie, Epenmelodien, Horst Brunner, Berner Ton
Arbeit zitieren
Christoph Höbel (Autor:in), 2003, Die Singbarkeit von Epik am Beispiel des 'Liedes vom hürnen Seyfrid', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134013

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