Es wäre naiv, zu glauben, dass Komponisten Musik für Kinder aus Sentimentalität oder persönlicher Verbundenheit schreiben. Dies mag in Einzelfällen zutreffen, ist aber sicher nicht die Regel. Vermutlich ist es auch nicht die eigene Kinderlosigkeit, die Komponisten dazu bewegt, ersatzweise für fremde Kinder zu schreiben – auch wenn es der Zufall will, dass die hier näher betrachteten Werke allesamt aus der Feder kinderloser Komponisten stammen. Natürlich ist davon auszugehen, dass eine gewisse Bereitschaft, sich auf Kinder einzulassen und sich mit ihnen zu beschäftigen, gegeben sein muss. Was Komponisten aber konkret motiviert, für Kinder zu komponieren, und welchen Einfluss diese Motivation auf die Gestalt des Werkes übt, soll in dieser Arbeit ergründet werden. Berücksichtigt werden dabei drei musikdramatische Kompositionen für Kinder aus dem 20.Jahrhundert, die aber lediglich einen winzigen Ausschnitt aus dem Spektrum derartiger Werke darstellen: »WirbaueneineStadt« von Paul Hindemith(1930), »Brundibár« von Hans Krása(1938) und Peter Maxwell Davies’ »Cinderella«(1980). Diese Werke sollen im Folgenden in chronologischer Reihenfolge untersucht werden, um mögliche geschichtliche Zusammenhänge und Entwicklungen berücksichtigen zu können.
Den drei hier zur exemplarischen Untersuchung herangezogenen Kompositionen ist gemein, dass Kinder nicht nur das angesprochene Publikum sind, sondern zudem als Akteure auf der Bühne stehen und in zwei Fällen auch das Orchester bilden. Um in der vorliegenden Arbeit Unklarheiten auf begrifflicher Ebene zu vermeiden, bezieht sich der Terminus »Kinderoper« im Folgenden, sofern nicht anders angegeben, auf jene Werke, deren Ausführende und Zielgruppe Kinder sind, ungeachtet der konkreten Ausprägung des jeweiligen Werkes.
Ausgehend von der Voraussetzung, dass die hier zu untersuchenden Werke sich in doppelter Weise an Kinder richten, ist anzunehmen, dass sich dies in der Komposition sichtbar niederschlägt. Wie die Notwendigkeit der Reduktion spieltechnischer Anforderungen umgesetzt wird und was sie über die mit der Komposition verbundenen Intentionen der Komponisten verrät, ist eine der Fragen, die in diesem Zusammenhang gestellt werden. Eine weitere Frage, deren Klärung in dieser Arbeit abschließend versucht wird, betrifft den Gattungsstatus der Kinderoper.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die Wurzeln des Musiktheaters für Kinder und Jugendliche
- 2.1. Vom Mittelalter zur Romantik
- 2.2. Die Wandervogelbewegung
- 2.3. Die Jugendmusikbewegung und die musikalische Reformpädagogik
- 2.4. Entwicklung der Schul- und Kinderoper des 20. Jahrhunderts
- 2.5. Berührungspunkte zwischen Ideen der Jugendmusikbewegung und zeitgenössischen Komponisten
- 3. Paul Hindemith: Wir bauen eine Stadt
- 3.1. Das szenische Spiel für Kinder
- 3.2. Handlung
- 3.3. Text
- 3.4. Musik
- 3.4.1. Melodik
- 3.4.1.1. Melodik der Gesangsstimme
- 3.4.1.2. Melodik der Instrumentalstimmen
- 3.4.2. Harmonik
- 3.4.3. Satztechnik
- 3.4.4. Rhythmus
- 3.4.1. Melodik
- 3.5. Wir bauen eine Stadt als Repräsentant pädagogischer Kompositionen
- 3.6. Wir bauen eine Stadt als Repräsentant seiner Zeit
- 4. Hans Krása: Brundibár
- 4.1. Hans Krása
- 4.2. Brundibár – Die Entstehung
- 4.2.1. Brundibár in Prag
- 4.2.2. Kulturelles Leben in Theresienstadt
- 4.2.3. Brundibár in Theresienstadt
- 4.3. Handlung
- 4.4. Text
- 4.5. Musik
- 4.5.1. Melodik
- 4.5.2. Musikalische Charakterisierung und Textausdeutung
- 4.5.2.1. Der Spatz
- 4.5.2.2. Die Katze
- 4.5.2.3. Der Hund
- 4.5.2.4. Brundibár
- 4.5.3. Harmonik
- 4.5.4. Mehrstimmigkeit
- 4.6. Brundibár – ein Lehrstück?
- 4.7. Das Kind als Adressat
- 5. Peter Maxwell Davies: Cinderella
- 5.1. Peter Maxwell Davies
- 5.2. Cinderella
- 5.2.1. »A Pantomime Opera«
- 5.3. Handlung
- 5.4. Text
- 5.5. Musik
- 5.5.1. Songs
- 5.5.2. Rezitative
- 5.5.3. Instrumentale Passagen
- 5.5.3.1. Lautmalerei
- 5.5.3.2. Musikalischer Witz
- 5.5.3.3. Tänze
- 5.5.3.3.1. Walzer
- 5.5.3.3.2. Strathspey
- 5.5.3.3.3. Boogie
- 5.6. Cinderella – nicht nur Kinderoper
- 6. Aspekte kindgerechten Komponierens – Zusammenfassung
- 7. Gattung Kinderoper? Eine Schlussüberlegung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Kompositionsverfahren in drei Kinderopern des 20. Jahrhunderts: Paul Hindemiths „Wir bauen eine Stadt“, Hans Krásas „Brundibár“ und Peter Maxwell Davies’ „Cinderella“. Die Zielsetzung besteht darin, zu ergründen, wie die Komponisten die spezifischen Anforderungen des kindlichen Publikums und der kindlichen Ausführenden in ihre Kompositionen integrierten und welche Rückschlüsse sich daraus auf ihre jeweiligen Kindbilder und die Entwicklung des Genres ziehen lassen.
- Kindgerechtes Komponieren im 20. Jahrhundert
- Analyse der musikalischen Gestaltung dreier Kinderopern
- Vergleich der Kompositionsverfahren und -ziele der drei Komponisten
- Der Gattungsstatus der Kinderoper
- Die Rolle des Kindbildes in der Komposition
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung untersucht die Motivation von Komponisten, Musik für Kinder zu schreiben, und beleuchtet die terminologische Unschärfe rund um den Begriff „Kinderoper“. Sie stellt die drei untersuchten Werke vor und skizziert die Forschungslücke bezüglich der musikalischen Aspekte kindgerechten Komponierens, insbesondere im Vergleich zu Hindemiths pädagogischem Engagement, der spärlichen Literatur zu Krása und dem Fehlen von Forschungsliteratur zu Davies’ Cinderella.
2. Die Wurzeln des Musiktheaters für Kinder und Jugendliche: Dieses Kapitel verfolgt die historische Entwicklung des Musiktheaters für Kinder und Jugendliche, beginnend mit dem mittelalterlichen Schuldrama über die romantischen Märchenopern bis hin zur Jugendmusikbewegung und der Reformpädagogik des frühen 20. Jahrhunderts. Es werden die Einflüsse dieser Bewegungen auf die Gestaltung von Musiktheater für Kinder aufgezeigt und die Zusammenhänge zwischen den Ideen der Jugendmusikbewegung und dem Werk zeitgenössischer Komponisten erörtert. Besondere Aufmerksamkeit erhalten die unterschiedlichen Interpretationen und Definitionen des Begriffs "Kinderoper".
3. Paul Hindemith: Wir bauen eine Stadt: Dieses Kapitel analysiert Hindemiths „Wir bauen eine Stadt“, ein szenisches Spiel für Kinder. Es untersucht die Handlung, den Text und die Musik des Werks im Detail, wobei die melodischen, harmonischen und satztechnischen Aspekte im Hinblick auf kindgerechtes Komponieren und Hindemiths pädagogische Ziele analysiert werden. Der Bezug zu Hindemiths Personalstil und seinem kulturpolitischen Engagement wird ebenfalls thematisiert.
4. Hans Krása: Brundibár: Das Kapitel beleuchtet die Entstehung, Aufführungsgeschichte und musikalische Gestaltung von Krásas „Brundibár“ im Kontext des Konzentrationslagers Theresienstadt. Die Analyse umfasst die Handlung, den Text und die Musik, wobei die melodischen, harmonischen und satztechnischen Besonderheiten detailliert untersucht werden. Die Frage nach dem Lehrstückcharakter und die Rolle des Kindes als Adressat werden diskutiert.
5. Peter Maxwell Davies: Cinderella: Dieses Kapitel widmet sich der Analyse von Davies’ „Cinderella“, einer Pantomime-Oper für Kinder. Es werden die Handlung, der Text und die Musik detailliert untersucht. Die Analyse umfasst die Lieder, Rezitative und instrumentalen Passagen, wobei insbesondere die lautmalerischen Elemente und der musikalische Witz beleuchtet werden. Der Bezug zu Davies’ Kompositionsstil und sein Verständnis von kindgerechter Musik werden ebenfalls thematisiert.
6. Aspekte kindgerechten Komponierens – Zusammenfassung: Dieses Kapitel fasst die Ergebnisse der einzelnen Kapitel zusammen und vergleicht die unterschiedlichen Vorgehensweisen der drei Komponisten beim kindgerechten Komponieren. Es werden die jeweiligen Kindbilder und die pädagogischen Ziele der Komponisten herausgestellt und die Schwierigkeiten bei der Definition einer einheitlichen Gattung „Kinderoper“ aufgezeigt.
Schlüsselwörter
Kinderoper, Musiktheater für Kinder, Paul Hindemith, Hans Krása, Peter Maxwell Davies, kindgerechtes Komponieren, Jugendmusikbewegung, Reformpädagogik, musikalische Analyse, Melodik, Harmonik, Satztechnik, Rhythmus, Lehrstück, Pantomime, Kindbild, Gattungsdefinition.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Analyse von Kinderopern des 20. Jahrhunderts
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die Kompositionsverfahren in drei Kinderopern des 20. Jahrhunderts: Paul Hindemiths „Wir bauen eine Stadt“, Hans Krásas „Brundibár“ und Peter Maxwell Davies’ „Cinderella“. Der Fokus liegt auf der Integration der spezifischen Anforderungen des kindlichen Publikums und der kindlichen Ausführenden in die Kompositionen und den daraus ableitbaren Rückschlüssen auf die jeweiligen Kindbilder und die Entwicklung des Genres.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt Themen wie kindgerechtes Komponieren im 20. Jahrhundert, die Analyse der musikalischen Gestaltung der drei Kinderopern, einen Vergleich der Kompositionsverfahren und -ziele der drei Komponisten, den Gattungsstatus der Kinderoper und die Rolle des Kindbildes in der Komposition. Die historischen Wurzeln des Musiktheaters für Kinder und Jugendliche werden ebenfalls beleuchtet.
Welche Komponisten und Werke werden untersucht?
Die Arbeit untersucht die folgenden Komponisten und ihre Werke: Paul Hindemith („Wir bauen eine Stadt“), Hans Krása („Brundibár“) und Peter Maxwell Davies („Cinderella“).
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel: Einleitung, die Wurzeln des Musiktheaters für Kinder und Jugendliche, eine detaillierte Analyse von Hindemiths „Wir bauen eine Stadt“, eine Analyse von Krásas „Brundibár“, eine Analyse von Davies’ „Cinderella“, eine Zusammenfassung der Aspekte kindgerechten Komponierens und eine Schlussüberlegung zum Gattungsstatus der Kinderoper.
Welche Aspekte der Musik werden analysiert?
Die musikalische Analyse umfasst Melodik, Harmonik, Satztechnik, Rhythmus und weitere spezifische Merkmale, die für die jeweilige Oper charakteristisch sind. Es wird untersucht, wie diese Elemente zum kindgerechten Charakter der Kompositionen beitragen.
Welchen historischen Kontext beleuchtet die Arbeit?
Die Arbeit beleuchtet den historischen Kontext der Entstehung der Kinderopern, beginnend mit dem Mittelalter, über die Romantik und die Wandervogelbewegung bis hin zur Jugendmusikbewegung und der Reformpädagogik des frühen 20. Jahrhunderts. Der Kontext des Konzentrationslagers Theresienstadt im Bezug auf Krásas "Brundibár" wird ebenfalls berücksichtigt.
Welche Schlussfolgerungen werden gezogen?
Die Arbeit zieht Schlussfolgerungen über die unterschiedlichen Vorgehensweisen der drei Komponisten beim kindgerechten Komponieren, ihre jeweiligen Kindbilder und pädagogischen Ziele. Es werden die Schwierigkeiten bei der Definition einer einheitlichen Gattung „Kinderoper“ aufgezeigt.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Kinderoper, Musiktheater für Kinder, Paul Hindemith, Hans Krása, Peter Maxwell Davies, kindgerechtes Komponieren, Jugendmusikbewegung, Reformpädagogik, musikalische Analyse, Melodik, Harmonik, Satztechnik, Rhythmus, Lehrstück, Pantomime, Kindbild, Gattungsdefinition.
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- M.A. Katharina Kierig (Author), 2007, Kinderlieder im Opernhaus oder Arien im Kinderzimmer?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134084