Gut dreieinhalb Monate nach der Landtagswahl wählte der Thüringer Landtag am 5. Februar 2020 einen neuen Ministerpräsidenten. Der Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) stellte sich zur Wiederwahl, wobei sein Bündnis aus Linke, Grünen und SPD jedoch in den ersten zwei Wahlgängen an der absoluten Mehrheit scheiterte.
Zu Beginn des dritten Wahlgangs vertraute das rot-rot-grüne Bündnis noch auf eine Minderheitsregierung als überraschend der FPD-Landeschef und Gegenkandidat Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD-Fraktion 45 zu 44 zum neuen Ministerpräsidenten gewählt wurde. Da sich das spontane rechte Bündnis als nicht koalitionsfähig herausstellte, erklärte Kemmerich nach 28 Tagen Amtszeit seinen Rücktritt und warf hierdurch tiefgehende Fragen zur Mehrheitsbildung im Sinne der Thüringer Landesverfassung auf, da kurz darauf Ramelow mit seiner 44 zu 45 – Minderheitsregierung nach der Macht griff.
Vertreter der juristischen Literatur äußerten früh erhebliche Zweifel daran, dass eine Minderheitsregierung mit mehr Nein-Stimmen gegen Ramelow, als Ja-Stimmen für ihn (negative Mehrheit) vom Wortlaut des Art. 70 Abs. 3 ThürVerf umfasst sei.
Im Fall, dass auch der Thüringer Verfassungsgerichtshof auf Klage einer Landtagsfraktion dieser Auffassung folgt, stünde Thüringen spätestens hier vor einer bisher einmaligen Regierungskrise. Wieland äußerten sich bereits Mitte Februar 2020 zur Regierungskrise in Thüringen und forderten notfalls ein noch nie dagewesenes direktes Einschreiten des Bundes mittels des Bundeszwangs aus Art. 37 GG.
Inhaltsverzeichnis
- A) Ramelow ohne Mehrheit: Thüringer Landtagswahl 2020
- B) Der Bundeszwang im grundgesetzlichen Verfassungssystem
- I. Systemisch: Entstehung und Verortung des Art. 37 GG
- 1. Deutsches Reich und Weimarer Republik
- 2. Herrenchiemsee-Konvent und parlamentarischer Rat
- II. Funktional: Verhältnis zu verwandten Rechtsinstituten
- 1. Abgrenzung zum Notstandsrecht
- 2. Verhältnis zu Bundesaufsicht, Bundestreue und -hilfe
- C) Die Bundesexekution gemäß Art. 37 Abs. 1 GG
- I. Der Tatbestand des Art. 37 Abs. 1 GG
- 1. Gliedstaatliches Verhalten
- 2. Bundespflicht
- 3. Nichterfüllung
- II. Anordnung der Bundesexekution
- 1. Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
- 2. Zustimmung des Bundesrates
- III. Maßnahmen und Durchführung: Abgrenzungsfälle
- 1. Sicherung des Finanzhaushalts
- 2. Bestand der verfassungsmäßigen Ordnung von Bund und Ländern
- 3. Wahrung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung
- 4. Gewährleistung der föderalen Staatsfunktionalität
- a) Der Verfassungsoktroi: Auslegung am Fall der Thüringer Verfassungskrise 2020
- Die geschäftsführende Landesregierung
- ii) Die Wahl des Ministerpräsidenten im dritten Wahlgang
- b) Stellungnahme
- D) Kritische Würdigung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Anwendung des Bundeszwangs nach Art. 37 GG im Kontext der Thüringer Verfassungskrise im Jahr 2020. Sie analysiert die systematische Verortung und Funktionsweise des Bundeszwangs im grundgesetzlichen Verfassungssystem, untersucht die Abgrenzung zu verwandten Rechtsinstituten und beleuchtet die rechtlichen Rahmenbedingungen der Bundesexekution im Detail.
- Die systematische Einordnung des Bundeszwangs im deutschen Verfassungsrecht
- Die Funktionsweise des Bundeszwangs in Bezug auf verwandte Rechtsinstitute wie das Notstandsrecht und die Bundesaufsicht
- Die Anwendung des Bundeszwangs in der Thüringer Verfassungskrise 2020
- Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Bundesexekution gemäß Art. 37 GG
- Die kritische Würdigung des Bundeszwangs und seiner Anwendung im Kontext der Thüringer Verfassungskrise
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel A beleuchtet die politische Situation in Thüringen im Vorfeld der Landtagswahl 2020 und die Besonderheiten des Wahlgangs. Kapitel B befasst sich mit dem Bundeszwang im grundgesetzlichen Verfassungssystem, analysiert seine systematische Verortung und beschreibt seine Funktion in Bezug auf verwandte Rechtsinstitute. Kapitel C beschäftigt sich mit der Bundesexekution gemäß Art. 37 GG, beleuchtet den Tatbestand, die Anordnung und die Durchführung der Bundesexekution sowie die Abgrenzung zu anderen Maßnahmen. Kapitel D bietet eine kritische Würdigung des Bundeszwangs und seiner Anwendung im Kontext der Thüringer Verfassungskrise 2020.
Schlüsselwörter
Bundeszwang, Art. 37 GG, Bundesexekution, Thüringer Verfassungskrise, Landtagswahl 2020, Notstandsrecht, Bundesaufsicht, Bundestreue, Staatsorganisationsrecht, föderaler Staat, verfassungsmäßige Ordnung, freiheitlich-demokratische Grundordnung.
- Arbeit zitieren
- Magnus Dürer (Autor:in), 2022, Der Bundeszwang nach Art. 37 GG und die Möglichkeiten im Rahmen der Thüringer Verfassungskrise 2020, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1341538