Mitte der 1960er Jahre entbrannte unter den Geschichtswissenschaftlern eine hitzige Diskussion zur Frage der deutschen Annexion von Elsass und Lothringen nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/1871.
Walter Lipgens versuchte mit seinem Aufsatz von 1964, eine allgemein anerkannte Sichtweise, Bismarck sei ein Getriebener der Medien gewesen und war aufgrund dessen gezwungen, Elsass und Lothringen annektieren, zu widerlegen.
Lothar Gall antwortete kritisch mit der Gegenthese, dass es für die Ansicht, Bismarck habe auf Grund seines eigenen Annexionswunsches die Presse manipuliert, keine wirklichen Beweise gibt.
Im Mittelpunkt dieser Arbeit sollen die bereits benannten Aufsätze von Lothar Gall und Walter Lipgens stehen, jedoch sollen weitere Forschungsergebnisse und Meinungen anderer Geschichtswissenschaftler ergänzend herangezogen werden.
Die Untersuchung dieser Thematik wird in fünf Abschnitte erfolgen.
Der erste Abschnitt nährt sich durch einige wichtige Argumentationspunkte von Lipgens, die er anführt, um seine These zu bestätigen. Danach werden die Gegenthesen anderer Historiker, vornehmlich die von Lothar Gall, der Behauptung von Lipgens gegenüber gestellt. Eberhard Kolbs Aufsatz, welcher an den Kompetenzen Lipgens zu zweifeln scheint, wird im dritten Teil analysiert werden. Als Resümee der diskutierenden Historiker dient die 1970 veröffentlichte Arbeit von Gall.
Den Schluss dieser Analyse bildet die Beantwortung der Frage, welcher der Geschichtswissenschaftler die überzeugendsten Argumente in den 1960er Jahren brachte. Des Weiteren will ich einen Ausblick auf die Zukunft des damals jungen deutschen Nationalstaates geben und den Wert der Einwirkung der Annexion von Elsass und Lothringen auf diese Entwicklung kurz einschätzen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Walter Lipgens - Bismarck als Initiator der Forderung durch die Öffentlichkeit, Elsass und Lothringen zu annektieren
II. Die Gegenargumente der diskussionsbeteiligten Historiker
III. Eberhard Kolb - Zweifel an der Kompetenz von Walter Lipgens?
IV. Ein Resümee von Lothar Gall 1970
V. Fazit
Literatur
Einleitung
Mitte der 1960er Jahre entbrannte unter den Geschichtswissenschaftlern eine hitzige Diskussion zur Frage der deutschen Annexion von Elsass und Lothringen nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/1871.
Walter Lipgens versuchte mit seinem Aufsatz von 1964[1], eine allgemein anerkannte Sichtweise, Bismarck sei ein Getriebener der Medien gewesen und war aufgrund dessen gezwungen, Elsass und Lothringen annektieren, zu widerlegen.
Lothar Gall[2] antwortete kritisch mit der Gegenthese, dass es für die Ansicht, Bismarck habe auf Grund seines eigenen Annexionswunsches die Presse manipuliert, keine wirklichen Beweise gibt.
Im Mittelpunkt dieser Arbeit sollen die bereits benannten Aufsätze von Lothar Gall und Walter Lipgens stehen, jedoch sollen weitere Forschungsergebnisse und Meinungen anderer Geschichtswissenschaftler ergänzend herangezogen werden.
Die Untersuchung dieser Thematik wird in fünf Abschnitte erfolgen.
Der erste Abschnitt nährt sich durch einige wichtige Argumentationspunkte von Lipgens, die er anführt, um seine These zu bestätigen. Danach werden die Gegenthesen anderer Historiker, vornehmlich die von Lothar Gall, der Behauptung von Lipgens gegenüber gestellt. Eberhard Kolbs Aufsatz, welcher an den Kompetenzen Lipgens zu zweifeln scheint, wird im dritten Teil analysiert werden. Als Resümee der diskutierenden Historiker dient die 1970 veröffentlichte Arbeit von Gall.
Den Schluss dieser Analyse bildet die Beantwortung der Frage, welcher der Geschichtswissenschaftler die überzeugendsten Argumente in den 1960er Jahren brachte. Des Weiteren will ich einen Ausblick auf die Zukunft des damals jungen deutschen Nationalstaates geben und den Wert der Einwirkung der Annexion von Elsass und Lothringen auf diese Entwicklung kurz einschätzen.
I. Walter Lipgens - Bismarck als Initiator der Forderung durch die Öffentlichkeit, Elsass und Lothringen zu annektieren
Mit seiner Theorie, dass Bismarck die öffentliche Presse und damit auch die Meinung der Deutschen bewusst in Richtung einer Annexionsforderung von Elsass und Lothringen drängte, verschaffte sich Walter Lipgens 1964 eine weit verbreitete Anerkennung unter den Geschichtswissenschaftlern, da seine Argumente dafür eine sehr überzeugende Wirkung auf den Leser haben[3].
Doch womit versucht er, seine These zu untermauern? Welche Argumente seinerseits haben ihm zu dem Lob verholfen, der ihm letztendlich zuteil wurde?
Um diese Frage zu klären, ist es nötig die einzelnen Ergebnisse seiner Forschung darzustellen. Anlass für seine Arbeit waren die Aussagen von Herzfeld und Bußmann, welche beide bezweifelten, dass Bismarck sich der öffentlichen Forderung gänzlich untergeordnet habe.[4]
Zum Ersten widmet sich der Autor der Frage, “in welchem Sinne Bismarck vor 1870 das Elsaß erwähnt hat”[5]. Doch bevor er diese zur Beantwortung zieht, bedient er sich einigen namhaften Bürgern des 19. Jh.s. Heinrich Heine sprach sich in den Jahren um 1844, wie auch andere Menschen, gegen die Annexion des Elsass aus, Personen wie Duncker und Moltke forderten den Landteil Frankreichs, gerade in den Jahren 1859.[6]
1866 bis 1870 jedoch habe es von circa 800 Flugschriften nur sechs Autoren gegeben, die das Elsass oder Lothringen forderten.[7] Lipgens will hier sowohl durch die geringe Anzahl der Veröffentlichungen als auch durch die preußische Teilhaberschaft an den Forderungen seine These begründen.
In wie fern hatte Bismarck das Elsass nun erwähnt? Drei Gespräche von Bismarck in den Jahren 1867/68 haben Lipgens’ Aufmerksamkeit gewonnen, in denen der Kanzler einen Krieg gegen Frankreich für möglich hält. Tatsache für Lipgens ist hier, dass Bismarck einen Landerwerb nach dem Krieg für selbstverständlich hielt[8], auch wenn Bismarck anmerkte, dass die Elsässer Franzosen geworden seien und man es deswegen nicht fordern könne[9].
Ein zweiter Fakt für Lipgens ist, dass es im Juli 1870 keine Annexionsabsichten der öffentlichen Meinung gegeben haben soll, wobei er sich auf die Arbeit K. G. Fabers beruft.[10] Fünf Artikel, welche bis zum 7. August erschienen und die Forderung beinhalteten, sind für Lipgens “Berliner Anstöße, [die] bis Ende August schwach [blieben]” und der Regierungslinie folgten.[11]
Für Walter Lipgens ist klar, dass erst im September, nach den ersten Siegen über Frankreich, die breite Öffentlichkeit die Annexion von Elsass und Lothringen forderte.[12] Doch wie war es für Bismarck möglich, derartige Einflüsse auf die Presse zu haben? Der Autor stellt hier das “Literarische Büro” des preußischen Innenministeriums und die “Stelle für Presseangelegenheiten” im Auswärtigen Amt kurz vor.[13] Für ihn steht fest, “Bismarck [habe] seit 1862 mit allen Mitteln möglichst viele Zeitungen bereit gemacht, von ihm oder nach seinen Anweisungen geschriebene Artikel aufzunehmen“[14], “Elsaß-fordernde Artikel [standen bis zu den Sedan-Siegesfeiern] ausschließlich (!) in […] den von Bismarck “inspirierten” [Zeitungen]”[15].
Im fünften Teil seiner Arbeit schließlich geht Walter Lipgens der Frage nach, warum Bismarck den Gedanken fasste, Elsass und Lothringen anzugliedern.
Bismarcks Hauptmotiv sei es gewesen, “mittels der Aussicht auf Elsaß-Lothringen die deutschen Einigungsverhandlungen in Gang zu bringen”[16]. Beweisen will er dies mit den Artikeln in den preußischen Zeitungen, welche nach der offiziellen Annexionsforderung durch Bismarck noch längere Zeit damit beschäftigt waren, den Süddeutschen klar zu machen, dass sie eine Belohnung für ihre Treue verdient hätten.[17]
[...]
[1] Lipgens, Walter, Bismarck, die öffentliche Meinung und die Annexion von Elsass und Lothringen 1870, in: Historische Zeitschrift, Band 199, 1964, S. 31-112.
[2] Gall, Lothar, Zur Frage der Annexion von Elsass und Lothringen 1870, in: ebd. 206, Oldenbourg Verlag, München 1968, S. 265-326.
[3] Kolb, Eberhard, Bismarck und das Aufkommen der Annexionsforderung 1870, in: Historische Zeitschrift, Band 209, Oldenbourg Verlag, München 1969, S. 318.
[4] Lipgens, Walter, Bismarck, die öffentliche Meinung und die Annexion von Elsass und Lothringen 1870, in: HZ 199, Oldenbourg Verlag, München 1964, S. 34.
[5] Ebd., S. 37.
[6] Ebd., S. 39ff. In diesen Jahren beschäftigten sich die Deutschen mit der Frage, ob Frankreich die gesamte Rheinlinie als Grenze wolle, jedoch fielen die Antworten vor 1848 und 1859 verschieden aus. Vor 1848 hieß es noch „Sie sollen [den Rhein] nicht haben“ (ebd., S. 39). 1859 hingegen war die Stimmung aggressiver, man wollte gleich das Elsass fordern (ebd., S. 42. Zusatzbericht des preuß. Sondergesandten vom 13.5.1859). Grund dafür sei der Wandel von der liberalen Freiheitsbewegung zur nationalen Einigungsbewegung gewesen(ebd., S. 40). In Rudolf Buchners Aufsatz wird dieser Grund noch präzisiert: die Deutschen wanden sich, wie gesagt, gegen die Franzosen, da diese den Rhein forderten. Allerdings bemerkt der Autor hier dass es unter den Franzosen zwar einflussreiche, aber dennoch wenige Menschen gab, die den Rhein forderten: Buchner, Rudolf, Die deutsche patriotische Dichtung vom Kriegsbeginn 1870 über Frankreich und die elsässische Frage, in: HZ, Band 206, 1968, S. 329.
[7] Ebd., S. 45.
[8] Lipgens I, S. 52f.
[9] Darauf geht Walter Lipgens überhaupt nicht ein. Das Nichtbeachten von Quellenstellen ist auch Lothar Gall aufgefallen: Gall, Lothar, Zur Frage der Annexion von Elsass und Lothringen 1870, in: HZ, Band 206, Oldenbourg Verlag, München 1968, S. 266. Speziell zu dieser Aussage Lipgens: S. 271.
[10] Lipgens I, S. 55.
[11] Ebd., S. 56f. Wie Kolb später feststellen wird, waren diese Artikel keine Anstöße Seitens Berlin.
[12] Ebd., S. 59. Wehler ergänzend: „Von einem Widerstand gegen die Forderung nach dem Elsaß kann man bei [Bismarck] überhaupt nicht sprechen“: Wehler, Hans-Ulrich, Das „Reichsland“ Elsaß-Lothringen 1870-1879, in: Böhme, Helmut, Probleme der Reichsgründungszeit 1848-1879, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1968, S. 434.
[13] Lipgens I, S. 63.
[14] Ebd., S. 63.
[15] Ebd., S. 67.
[16] Lipgens I, S. 74.
[17] Ebd., S. 74.
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