Die freie, teilnehmende Beobachtung als Methode der qualitativen Sozialforschung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

22 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Qualitative Forschung und Varianten der Beobachtungsmethoden
2.1 Qualitative versus quantitative Forschung
2.2 Formen der Beobachtung

3. Die freie, teilnehmende Beobachtung
3.1 Ihre Rechtfertigung als wissenschaftliches Verfahren
3.2 Der Zugang ins Feld
3.2.1 Anforderungen an den Forscher
3.2.2 „Going native“ als Chance
3.2.3 Teilnehmende Beobachtung ohne vorbereiteten Zugang
3.3 Integration und Identifikation
3.4 Rückzug und Protokoll

4. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit mit dem Titel „Die freie, teilnehmende Beobachtung als Methode der qualitativen Sozialforschung“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Möglichkeiten und Vorzüge dieses Verfahrens bezüglich des Erfassens der sozialen Wirklichkeiten in den zu erforschenden, spezifischen Lebenswelten zu beleuchten. Allerdings wird auch an verschiedenen Stellen des Textes wiederholt darauf aufmerksam gemacht, mit welchen Gefahren diese Methode verbunden ist, wenn sie nicht ernsthaft betrieben wird oder wenn die Unerfahrenheit des Forschers eine angemessene Durchführung des Verfahrens nicht zulässt.

Um die Basis für die weitere Diskussion zu liefern, werden in einem ersten Schritt die wesentlichen Unterschiede zwischen qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden herausgearbeitet, um anschließend in einer zusätzlichen Ausdifferenzierung die verschiedenen Formen und Ausprägungen von Beobachtungsverfahren vorzustellen.

Der Fokus des Hauptteils der Arbeit ist dann lediglich noch auf eine bestimmte dieser Varianten gerichtet, nämlich auf die freie oder unstrukturierte, teilnehmende Beobachtung. Da diese Methode nicht selten von einigen Soziologen als „unwissenschaftlich“ kritisiert wird, sollen vorerst deren erhebliche Vorzüge gegenüber anderen Methoden aufgezeigt und deutlich gemacht werden, dass es sich hierbei sehr wohl um ein wissenschaftliches Vorgehen handelt.

Im Anschluss daran wird dann in einer ausführlichen Darstellung die schwierige Phase des Zugangs in das zu erforschende Feld diskutiert. In diesem Zusammenhang werden die dabei an den Beobachter gestellten vielseitigen Anforderungen genauso expliziert, wie auch das sogenannte „going native“ als Chance, einen für die konkrete Forschungsabsicht zufrieden stellenderen Zugang in die Gruppe zu erhalten. Zudem soll auch auf die enorme Bedeutung von guten Beziehungen zu wichtigen Kontaktpersonen aufmerksam gemacht werden, da solche „Gatekeeper“ oftmals einen entscheidenden Einfluss auf die weitere Forschungsarbeit ausüben können.

Nachdem dann noch einige Gedanken und wichtige Verhaltenshinweise für den Forscher in der Integrations- und Identifikationsphase des Feldforschungsprozesses angebracht scheinen, folgt eine kurze Darstellung über mögliche Rückzugsstrategien aus dem Feld nach Beendigung der Arbeit, sowie einige Ideen und Möglichkeiten zur Anfertigung des abschließenden Forschungsprotokolls.

Eine Schlussbetrachtung, welche die wesentlichen Ergebnisse noch einmal zusammenfasst und auch ein Fazit liefert, schließt die Arbeit ab.

2. Qualitative Forschung und Varianten der Beobachtungsmethoden

2.1 Qualitative versus quantitative Forschung

In den letzten Jahren haben qualitative Forschungsmethoden in den unterschiedlichsten Wissenschaftsgebieten immer mehr an Bedeutung gewonnen. Soziologen, Psychologen, sowie auch Sprach-, Kultur- und Wirtschaftswissenschaftler, um nur ein paar wenige Beispiele zu erwähnen, bedienen sich, um ihren je spezifischen Fragestellungen auf den Grund zu gehen, vermehrt qualitativer Forschungsmethoden. Obwohl diverse Vorbehalte und Vorurteile aufgrund ihrer, von einigen Autoren noch immer postulierten, angeblichen „Unwissenschaftlichkeit“ weiterhin ihre objektive und wissenschaftliche Aussagekraft anzweifeln, hat die qualitative Forschung mittlerweile ihren festen Platz in den verschiedenen Disziplinen eingenommen und konsolidiert. Im Gegensatz zu quantitativen Forschungsmethoden eignet sich die qualitative Forschung besser, um die im jeweiligen Fokus stehenden Lebenswelten „von innen heraus“, das heißt aus der Perspektive der in ihr handelnden Akteure, zu beschreiben. Somit bietet sie die Möglichkeit, soziale Wirklichkeiten adäquater abzubilden und die Aufmerksamkeit auf die in diesen speziellen Lebenswelten oder sozialen Wirklichkeiten immanenten Abläufe, Deutungsmuster und Strukturmerkmale zu lenken. Dies wird vor allem dadurch begünstigt, dass die Zugangsweisen qualitativer Methoden zu den im Interesse stehenden Phänomenen in der Regel offener sind und demzufolge ein engerer Kontakt zu den Forschungsobjekten hergestellt werden kann, als dies mit stark standardisierten, quantitativen Methoden möglich wäre[1] (vgl. Flick et al., 2008, S. 13 ff.).

Obgleich sich qualitative und quantitativ-standardisierte Forschung bei entsprechenden Fragestellungen durchaus miteinander kombinieren und ergänzen lassen, ist dennoch klar festzuhalten, dass sie sich in der empirischen Sozialforschung zu zwei eigenständigen, teilweise gar miteinander konkurrierenden Richtungen entwickelt haben, die sich in wesentlichen Aspekten voneinander abgrenzen. Die wohl markantesten Unterschiede bestehen darin, dass zum Einen in der quantitativen Forschung die Unabhängigkeit des Forschers[2] vom Forschungsobjekt zentral ist, während die qualitative Forschung auch Raum für die subjektive Wahrnehmung des Forschenden gewährt. Des Weiteren ist die quantitative Forschung aufgrund ihrer vergleichend-statistischer Vorgehensweisen an standardisierten Methoden der Datenerhebung orientiert, wohingegen die qualitative Forschung flexibler und offener arbeitet und sich somit stärker den individuellen Umständen eines gegebenen Forschungsbereichs anpassen kann. Insofern lässt sich auch als Empfehlung ableiten, dass qualitative Forschungsmethoden, ob ihrer Offenheit und Flexibilität, immer dann sinnvoll eingesetzt werden können, wo ein bislang nur unzureichend erkundeter sozialer Wirklichkeitsbereich erschlossen werden soll. Die daraus gewonnenen neuen Informationen können zur Formulierung von ersten Hypothesen verdichtet werden und im Anschluss daran womöglich durch standardisierte, quantitative Methoden abgesichert oder auch wieder verworfen werden (ebd., S. 24 f.).

Der Wiener Soziologe und Universitätsprofessor Roland Girtler beschreibt den soeben thematisierten Unterschied der beiden Forschungsrichtungen mit der für ihn typisch klaren, an der Alltagssprache orientierten Ausdrucksweise:

Für gewöhnlich unterscheidet man in den Sozial- und Kulturwissenschaften, wie der Soziologie und der Ethnologie, zwischen „quantitativen“ und „qualitativen“ Forschungsmethoden. Bei den quantitativen Verfahren geht es im wesentlichen um Messungen, wie um Kriminalitätsraten, oder um das Zählen von Einstellungen z. B. gegenüber Politikern. Bei den qualitativen Methoden jedoch kommt, wie wir sehen werden, es nicht auf Zahlen an, sondern auf das Handeln selbst und die Regeln, die hinter diesem stehen, wie den Tricks von Polizisten, um Dirnen zu kontrollieren, oder um die Strategien von feinen Leuten, die anderen zeigen wollen, wie großartig sie sind. (Girtler, 2001, S. 35)

Das Verfahren, welches von Roland Girtler als die „Königsmethode“ qualitativer Sozialforschung betitelt wird, soll in den folgenden Ausführungen nun näher beleuchtet werden. Es handelt sich dabei um die unstrukturierte (oder freie), teilnehmende Beobachtung als Methode der freien Feldforschung, die vor allem von Girtler als die Methode gepriesen wird, die es wie kein anderes Verfahren möglich machen kann, die sozialen Wirklichkeiten von bestimmten Lebenswelten oder Randkulturen zu erforschen und abzubilden (vgl. Girtler, 2001, S. 65 ff.).

Bevor ich nun allerdings auf diese spezielle Variante im Detail eingehen werde, möchte ich zunächst einen kurzen Überblick über die verschiedenen Ausprägungen und Formen der Beobachtung liefern.

2.2 Formen der Beobachtung

Grundsätzlich ist das Verfahren der sozialwissenschaftlichen Beobachtung eine Methode anhand derer der Forscher „[...] sinnlich wahrnehmbares Handeln erfassen will.“ (Girtler, 2001, S. 61). Seine Verhaltensweise bei der Beobachtung gegenüber dem Beobachtungsobjekt ist prinzipiell eher passiv[3]. Dabei sollte er sich gleichzeitig immer darum bemühen „[...] seine Beobachtung im Sinne seiner Fragestellung zu systematisieren und den Beobachtungsvorgang kritisch hinsichtlich einer Verzerrung durch seine Perspektive zu prüfen.“ (ebd.).

In der Begriffswelt zu dem Verfahren der Beobachtung haben sich einige Bezeichnungen ausgebildet, die die Möglichkeiten der unterschiedlichen Ausgestaltung der Methode benennen und auf die nun kurz aufmerksam gemacht werden soll. Demzufolge unterscheidet man beispielsweise zwischen offener und verdeckter, teilnehmender und nichtteilnehmender, sowie strukturierter und unstrukturierter Beobachtung. Die Form der verdeckten Beobachtung ist unweigerlich mit ethischen Problemen[4] behaftet, da hier der Forscher nicht mit offenen Karten spielt und gegenüber den Untersuchten seine berufliche Identität verheimlicht, in der Hoffnung, dadurch bessere und unverzerrtere Forschungsergebnisse zu erlangen. Roland Girtler (vgl. 2001, S. 61) fordert in seinen Ausführungen zu den unterschiedlichen Beobachtungsformen vehement die offene Beobachtung, das heißt, dass der Forscher die Beobachteten von seinem Forschungsvorhaben unterrichtet. Er begründet dies damit, dass nur auf diese Weise die Beziehung zwischen dem Forscher und der ihn interessierenden Gruppe einen fairen, aber auch egalitären Charakter haben könne.

In Bezug auf die Begriffspaare teilnehmende und nichtteilnehmende, sowie strukturierte und unstrukturierte Beobachtung lassen sich auf einer weiteren Ebene der Unterscheidung der verschiedenen Formen vier mögliche Kombinationen festmachen. Die nichtteilnehmende, unstrukturierte Beobachtung ist in ihrer Ausrichtung weniger wissenschaftlich, sondern eher mit einer zufälligen Alltagsbeobachtung gleichzusetzen. Vor allem in der Soziologie sehr stark verbreitet ist die nichtteilnehmende, strukturierte Beobachtung. Hier ist der Forscher nicht in den Handlungsablauf eingebunden und hält das für ihn sichtbare Handeln von einer Außenperspektive her nach einem bestimmten, strukturierten Plan fest. Bei der teilnehmenden, strukturierten Beobachtung partizipiert der Forscher an den Handlungsabläufen, jedoch auf eine sehr kontrollierte Art und Weise. Die Verwendung von Beobachtungsschemata soll die Beobachtung standardisieren und den Forscher somit kontrollieren. Die in den weiteren Ausführungen dieser Arbeit im Mittelpunkt stehende teilnehmende, unstrukturierte Beobachtung (auch freie Beobachtung genannt) ist in der Ethnologie die klassische Methode schlechthin, wohingegen ihr in der Soziologie noch von einer nicht kleinen Anzahl von Autoren lediglich eine sekundäre Bedeutung beigemessen wird. Für diese Form der Beobachtung ist wesentlich, dass ihr kein systematischer Erhebungsplan zugrunde liegt[5] (vgl. Girtler, 2001, S. 61 f.).

[...]


[1] Eine detaillierte Gegenüberstellung und Abgrenzung qualitativer und quantitativer Forschungsstile kann und möchte ich im Rahmen dieser Arbeit genauso wenig liefern wie eine umfassende Darstellung der einzelnen Methoden. Für eine diesbezüglich vertiefende Lektüre verweise ich daher auf das Handbuch „Qualitative Forschung“ von den Herausgebern Uwe Flick, Ernst von Kardorff und Ines Steinke, welches im Literaturverzeichnis dieser Arbeit angeführt ist. Meine Ausführungen sollen vielmehr dazu dienen, um an das eigentliche Thema dieser Arbeit, die freie, teilnehmende Beobachtung, heranzuführen, sprich das „Setting“ dafür zu schaffen.

[2] Die Auswahl der männlichen Form erfolgt einzig und allein aus Gründen der Lesbarkeit und soll das weibliche Geschlecht in keiner Weise diskriminieren. Jegliche personenbezogenen Aussagen, sowie Amts-, Status-, Funktions- und Berufsbezeichnungen gelten im Verlaufe dieser Arbeit aber stets für Frauen und für Männer.

[3] Dies schließt allerdings nicht aus, was später noch gezeigt werden soll, dass er auch auf das Handeln in der von ihm erforschten Lebenswelt einwirken kann.

[4] Vgl. dazu die Ausführungen von Christel Hopf (2008, S. 589-600).

[5] Eine interessante Darstellung bezüglich der Rollen, die der Forscher in den soeben diskutierten unterschiedlichen Ausprägungsformen der teilnehmenden Beobachtung einnehmen kann, findet sich bei Georges Lapassade (2007, S. 44 ff.).

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die freie, teilnehmende Beobachtung als Methode der qualitativen Sozialforschung
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Romanische Sprachen und Literaturen)
Veranstaltung
Soziolinguistische Feldforschung
Autor
Jahr
2009
Seiten
22
Katalognummer
V134407
ISBN (eBook)
9783640430420
ISBN (Buch)
9783640430482
Dateigröße
466 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Beobachtung, Methode, Sozialforschung
Arbeit zitieren
Tobias Meixner (Autor:in), 2009, Die freie, teilnehmende Beobachtung als Methode der qualitativen Sozialforschung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134407

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