Brecht und der 17. Juni 1953


Hausarbeit, 2000

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsangabe

1. Einleitung
1.1. Bertolt Brecht
1.2. Die Ereignisse am 17 Juni 1953

2. Brecht und der 17. Juni
2.1. Der Brief an Ulbricht
2.2. Brechts Meinung zum Umgang mit den Arbeitern
2.3. Brecht rechtfertigt sich

3. Der 17. Juni in den Buckower Elegien
3.1. Brechts Angst vor dem Faschismus
3.2. Brechts Reue
3.3. Brecht und die wiedergefundene Kritik
3.4. Brechts Festhalten am Regime

4. Schlussteil
4.1. Brechts Rückblick
4.2. Brecht und die Buckower Elegien
4.3. Brecht der Sozialist Brecht und der 17. Juni 1953

1. Einleitung

1.1. Bertolt Brecht

Als Brecht um 1953 die Buckower Elegien schrieb, war er bereits allseits bekannt. Über Nationengrenzen hinweg spielte man seine Stücke und las seine Gedichte. Überall auf der Welt hatte er sich Bewunderer, aber auch Feinde geschaffen. Denn eines steht außer Frage: Brecht war nicht nur ein großer Schriftsteller, sondern auch ein Politikum.[1] In einer politisch hochbrisanten Zeit stand er zwischen Ost und West, mitten im Zentrum, dem heißesten Punkt des kalten Krieges, in Berlin und vertrat eine Meinung, die beide Supermächte das Fürchten lehrte: Er rief auf zur Vernunft.[2] Brecht schrieb Stücke von solch einer Brisanz, dass seine Person oftmals Thema in beiden deutschen Parlamenten wurde. Darüber hinaus wurde er zu einem politischen Sinnbild.[3] Die Frage nach der politischen Gesinnung eines Mitbürgers wurde in weiten Kreisen auf die Frage reduziert: „Wie stehst Du eigentlich zu Brecht?“ Das Wichtigste ist aber: Brecht war Kommunist. Er lebte aus freier Entscheidung in der DDR und arbeitete dort mit einem außerordentlichen Eifer daran, den Sozialismus voranzutreiben. Er schrieb Propagandagedichte und versuchte den Menschen, vor allem den Arbeitern und den Bauern, die sozialistische Idee näher zu bringen. Die Erziehung des Menschen und dessen Aufklärung waren die Motoren seiner unermüdlichen Arbeit. Das alleine stand im Vordergrund für sein Tun und natürlich die Vernunft. Denn über sie versuchte er die Menschen zu erreichen und sie zu überzeugen. Ihm war es wichtig, dass die Menschen einsahen. Er wollte niemanden zwingen, oder gar verblenden. Derart repressive Mittel lagen ihm fern, darüber hinaus hatte er sie auch keinesfalls nötig. Seine Dichtkunst wusste zu beeindrucken, seine Sprache war klar und verständlich, seine Botschaften leicht zu extrahieren, außerdem logisch und vernünftig. Er legte außerordentlich viel Wert darauf verstanden zu werden und zwar von jedermann. Und doch ließ er es an lyrischen Anspruch nicht mangeln. Kaum ein Kritiker hatte es trotz Bertolt Brechts Umstrittenheit gewagt seine Dichtkunst anzuzweifeln[4].

Was man aber mit Sicherheit sagen kann, ist dass Brecht von den Menschen, den Theatergängern in Ost und West, immer gefeiert wurde.[5] Selbst während den Boykottversuchen in der Bundesrepublik kamen die Intendanten der Theater nicht an Brecht vorbei[6] und immer wieder wurden seine Stücke ein herausragender Erfolg.[7] Brechts Position als einer der größten Dramatiker der Nachkriegszeit ist heute unumstritten. Im folgenden werde ich in meiner Hausarbeit versuchen, Brechts politische Position vor allem anhand der Ereignisse am 17. Juni 1953 zu rekonstruieren. Ich werde Brechts aufgezeichnete Reaktionen auf diesen genannten Tag aufführen und anhand der vielen, in sich verschiedenen Aussagen, Brechts Standpunkt oder Standpunkte klarmachen. Insbesondere gehe ich dabei auf die „Buckower Elegien“ ein, die mir in diesem Zusammenhang als eine Art Schlüssel zu Brechts Einstellungen erscheinen.

1.2. Die Ereignisse am 17 Juni 1953

Anfang der fünfziger Jahre befand sich die Besatzungszone Ost in einer bitteren wirtschaftlichen Lage. Im Zuge der Reparationen an die UDSSR, hatte diese einen Großteil der industriellen Anlagen in Ostdeutschland abgebaut und komplett nach Russland verfrachtet. Der sowieso schon strukturschwache Osten Deutschlands wurde dadurch wirtschaftlich extrem geschwächt. Die radikalen Maßnahmen der Regierung, die in kurzer Zeit fast alle selbstständigen Unternehmen enteignet hatte sowie eine Missernte in dem Jahr 52, brachte den noch jungen Staat schnell an den Rand des wirtschaftlichen Ruins. Die Läden waren leer, die Menschen hungrig und unzufrieden. Um den lang ersehnten wirtschaftliche Aufschwung zu Wege zu leiten, beschloss die Regierung die Arbeitsnormen für die Arbeiter zu erhöhen, ohne aber die Löhne entsprechend anzugleichen. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und vor allem bei den Arbeitern wuchs entsprechend.

Am 11. Juni 1953, kurz nach dem Tod Stalins, gaben dessen Nachfolger der Parteiführung der SED neue Richtlinien vor, um die katastrophale Situation und Stimmungslage in der DDR zu entschärfen. Der sogenannte „Neue Kurs“ sollte Fehler, die gemacht wurden, wieder revidieren. Unter anderem wollte man private Produzenten fördern, geflüchtete Bauern und Selbständige zurückrufen und die sogenannten „Wirtschaftsverbrecher“ aus ihrer politischen Haft entlassen. Aber ausgerechnet die Erhöhung der Arbeitsnormen wurden aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage nicht angetastet. Die Bevölkerung ließ sich mit diesen Maßnahmen nicht beschwichtigen. Die allgemeine Unzufriedenheit nahm eher noch zu. Zudem hatte das Volk den Eindruck gewonnen, dass die SED als Regierung angeschlagen war, sogar zu wanken begann, nachdem die Partei alle Losungen mit dem Wort „Sozialismus“ kurzfristig entfernen ließ. Ein Stein war ins Rollen gekommen und entwickelte sich langsam aber stetig zu einer Lawine. Es bildeten sich spontane Streiks und Demonstrationen. Als dann am 16. Juni die Bauarbeiter auf der Stalinallee sich zu einem Protestmarsch formierten, forderten sie freie Wahlen, den Sturz der Regierung und kündigten Generalstreiks an. Der Streik weitete sich schließlich auf über 370 Städte aus und wurde zu einem landesweiten Aufstand.

Die sowjetische Führung nahm daraufhin der ohnmächtigen SED das Heft aus der Hand und verhängte den Ausnahmezustand. Die Demonstranten waren aber nicht mehr aufzuhalten. Die Streiks gingen mit ungeminderter Intensität weiter, so dass sich die Sowjetführung gezwungen sah den Aufstand blutig niederzuschlagen.

Als am 17. Juni 1953 die sowjetischen Panzer gegen die Bauerbeiter in der Stalinallee rollten, hielt die Welt den Atem an. Die Unruhen forderten 90 Todesopfer und weit mehr Verletzte. Viele Menschen wurden verhaftet und angeklagt. Zwei sogar zum Tode verurteilt.[8]

2. Brecht und der 17. Juni

Brecht war mit seinen Mitarbeitern an dem betreffenden Tag auch auf den Straßen unterwegs, um sich ein Bild von den Aufständen zu machen. Das was er erlebte, beeindruckte ihn sehr und bewog ihn zum Handeln.

2.1. Der Brief an Ulbricht

Noch am 17 Juni schrieb Brecht einen Brief an Ulbricht, in dem er die Handlung der Regierung billigte:

Werter Genosse Ulbricht,

die Geschichte wird der revolutionären Ungeduld der sozialistischen Einheitspartei ihren Respekt zollen.

Die große Aussprache mit den Massen über das Tempo des sozialistischen Aufbaus wird zu einer Sichtung und einer Sicherung der sozialistischen Errungenschaften führen.

Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen in diesem Augenblick meine Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands auszudrücken.

Ihr

Bertolt Brecht[9]

(Die Parteizeitung der DDR, Neues Deutschland, druckt am 21. Juni 1953 den Brief nur unvollständig ab. Es wird lediglich der letzte Satz veröffentlicht, und lässt somit die kritischen Stellungnahmen im ersten Teil des Briefes weg.)[10]

Aber auch im Anfangssatz bezieht Brecht keine eindeutige Stellung gegenüber den Maßnahmen der Regierung. Er beschreibt sie aber als „revolutionäre Ungeduld“ womit er zwar kritisch, aber nicht verurteilend den Zweck befürwortet und die Mittel als überzogen darstellt. Das Urteil über diese revolutionäre Ungeduld wird der Geschichte überlassen. Zwar formuliert er dies sehr vorteilhaft, indem er schreibt sie würde ihr Respekt zollen[11], aber essentiell erinnert er Ulbrich vor allem daran, dass dieser Tag in seiner Geschichtsträchtigkeit und seinem grauenhaften Äußeren, alles andere als wohlwollend in die Geschichte eingehen wird. Aber Brecht wäre nicht Brecht wenn er nicht auch konstruktiv auf den Parteivorsitzenden einwirken wollte. Er fordert im 2. Satz eine große Aussprache mit den Massen.[12] [13]

Seinen Vorschlag breitet er Ulbricht aus, indem er ihn formuliert, als wäre er bereits fester Bestandteil des weiteren Vorgehens. So erlangt sein Vorschlag einerseits den Anschein, als sei es die einzige logische Konsequenz, als ob ein Handeln, das davon abwiche völlig undenkbar wäre; andererseits verliert der Vorschlag dadurch den Charakter einer Forderung. Brecht untermauert die Wichtigkeit der genannten Aussprache, indem er die positiven Folgen, die sich seiner Ansicht nach, daraus ergeben würden, aufführt: „...Sichtung und einer Sicherung der sozialistischen Errungenschaften führen.“[14]

Man kann also festhalten: Brecht heißt die Zerschlagung des Aufstandes zwar nicht für gut, steht aber weiterhin hinter der Regierung, wenn auch nur auf Bewährung. Seine Forderung kann man als Appell zur Wiedergutmachung, als Aufruf zur Vernunft verstehen.[15]

2.2. Brechts Meinung zum Umgang mit den Arbeitern

Obwohl der Brief die Regierung unterstützt, bleibt Brecht ihr gegenüber nicht unkritisch. Seine Ansichten wiedersprechen zumindest den Taten der Regierung. Das wird klar wenn man Brechts Anschauung über den „richtigen Umgang“ mit den Arbeitern ein wenig genauer betrachtet. Nach dem 17. Juni schreibt er rückblickend:

Vom Standpunkt des Sozialismus aus müssen wir, meiner Meinung nach, diese Aufteilung, Mittel und Zweck, Produzieren und Lebensstandard, aufheben. Wir müssen das Produzieren zum eigentlichen Lebensinhalt machen und es so gestalten, es mit so viel Freiheit und Freiheiten ausstatten, daß es an sich verlockend ist.“ 2)

Hier wird auch Brechts allgemeine Vorstellung vom Sozialismus sichtbar. Nicht der praktizierte Bürokratismus der Planwirtschaft kann die Arbeiter motivieren ihren Soll zu erhöhen und Opfer zu bringen. Und auch keine Zweck-Mittel Relation, von Arbeit gegen Brot sollte der Motor der sozialistischen Wirtschaft sein.[16] Die Arbeit an sich muss Grund genug sein, sich für sie einzusetzen. Arbeiten um des Arbeitens willen. Man sollte also den Arbeitern die Last des Zwangs nehmen. Den Menschen die Arbeit an sich als freie Betätigung schmackhaft machen.[17] Der autoritäre Unterton des sozialistischen Regimes scheint Brecht dabei besonders zu stören, denn in dem Gedicht „An einen jungen Arbeiter der Stalinallee[18] das Brecht bereits 1952, also vor den Aufständen am 17. Juni, schrieb, gibt er den Arbeitern Ratschläge, wie man mit der Autorität umgehen müsse:

[...]


[1] Vgl.: Müller, Kreuzzug gegen Brecht, S. 9 u.

[2] Vgl.: Müller, Kreuzzug gegen Brecht, S. 7 o.

[3] Vgl.: Müller, Kreuzzug gegen Brecht, S. 9

[4] Vgl.: Müller, Kreuzzug gegen Brecht, S. 102 f

[5] Vgl.: Müller, Kreuzzug gegen Brecht, S. 96

[6] Vgl.: Müller, Kreuzzug gegen Brecht, S. 10

[7] Vgl.: Müller, Kreuzzug gegen Brecht, S. 96 f

[8] Der Ganze Abschnitt: Die Ereignisse am 17 Juni 1953:Vgl. : Deutschland zwischen Diktatur und Demokratie, S. 234 ff

[9] Brecht, Briefe 3, S. 178

[10] Vgl.: Brecht, Journale 2, S 579

[11] Brecht, Briefe 3, S. 178

[12] ebd.

[13] Vgl.: Brecht in Berlin S.264

[14] ebd.

[15] Vgl.: Jan Knopf, Brecht Handbuch, S. 193

[16] Vgl.: Jan Knopf, Brecht Handbuch S. 201

[17] Vgl.: ebd.

[18] Brecht, Gedichte 5, S.260

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Brecht und der 17. Juni 1953
Hochschule
Universität Lüneburg  (Sprache und Kommunikation)
Veranstaltung
Lireratur und Geschichte
Note
1,3
Autor
Jahr
2000
Seiten
24
Katalognummer
V13442
ISBN (eBook)
9783638191081
Dateigröße
542 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine gut recharchierte Hausarbeit über Brecht und seine Befindlichkeiten zur Zeit des Arbeiteraufstandes am 17. Juni 1953 in der DDR. Schlüsselliteratur sind die Buckower Elegien.
Schlagworte
Brecht, Juni, Lireratur, Geschichte
Arbeit zitieren
Michael Seemann (Autor:in), 2000, Brecht und der 17. Juni 1953, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13442

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