In der Literaturgeschichte sind Arbeiten über Benn ohne eine separate
Bezugnahme auf sein Bekenntnis zum Nationalsozialismus nicht vorstellbar. Es
wird dort versucht zu erklären, zu ergründen, zu verteidigen, zu verurteilen und zu
rehabilitieren. Es gibt viele Ansätze, die begreiflich machen sollen, wie ein
gefeierter Dichter und Essayist, ein so sensibler und intelligenter Mann auf die
plumpe Rhetorik der Nazis hat hereinfallen können. Auch seine intellektuellen
Zeitgenossen, allen voran Klaus Mann, beschäftigt diese Frage. Doch seinerzeit,
1933, müssen sie ihn aufgeben. Er steht auf der anderen Seite und scheint für
immer verloren.
Allgemein wird viel diskutiert zu jener Zeit. Nach dem ersten Weltkrieg sind alle
Optionen offen. Alle Menschheitsutopien und Staatsformen erscheinen möglich
und warten auf ihre Chance zur Verwirklichung. Auch nach dem Ausruf der
Republik kämpft man weiter für den Sozialismus, den Kommunismus, die
Anarchie oder sehnt sich zurück nach der Monarchie. Es gilt Rahmen
abzustecken, Aufgaben zu definieren, Begriffe mit Bedeutung zu füllen wie zum
Beispiel „intellektuell“, „Geistigkeit“. Es regiert die Hingabe an Ideen, Klassen,
Wahrheiten, und nicht zu vergessen, die Kunst. Wo ist die Kunst?
Vor allem die Schriftsteller melden sich zu Wort. Der Marxismus ist weit
verbreitet und die noch junge Soziologie erobert in ihrem Windschatten die
Gemüter. Hitzige Debatten über die Aufgabe der Lyrik entbrennen. Ob sie kritisch
sein müsse, sich dem System entgegenstellen solle und ob unpolitische Lyrik
nicht unterbewusst den Kapitalismus unterstütze.
Es ist schwer, in diesem Meer von Erkenntnis den Standort des Intellektuellen
auszumachen. Soll er der Wahrheit verpflichtet sein, der Klasse, der Gerechtigkeit
oder gar der Partei? Es gibt viele Meinungen, einigen kann man sich nicht.
Obwohl er in dieser Debatte in den Zeiten der Weimarer Republik zunächst nicht
in Erscheinung tritt, macht Benn vielleicht gerade dadurch seine Position deutlich.
Erst nach den Angriffen Ende der zwanziger Jahre und schließlich nach der Machtergreifung Hitlers 1933 arbeitet er seine Position innerhalb dieses Diskurses
öffentlich aus. Position ist wohl untertrieben. Eigentlich sind es Positionen. Eine
davon, das Bekenntnis zum Nationalsozialismus, treibt eine Schockwelle durch
die intellektuellen Schriftsteller. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der Text ,,Der neue Staat und die Intellektuellen“
- Der neue Staat
- Vom Irrationalismus zum Mythos
- Die Legitimation durch die Geschichte
- Das Formproblem und die Macht
- …und die Intellektuellen
- Internationalismus und der Kampf der Dichter
- Die Geistesfreiheit und die Position der Staatsmacht
- Benns Antikapitalismus als Liberalismuskritik
- Genealogie des „Intellektualisten“
- Der Gedanke und der, der sich ihm beugt
- Das gezüchtete Gehirn, das militante Genie
- Der Intellektualist, Krieger der Begriffe
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert Gottfried Benns Bekenntnis zum Nationalsozialismus im Kontext der Weimarer Republik. Sie untersucht sein Denken und Handeln im Spannungsfeld zwischen Intellektualität und politischem Engagement, insbesondere anhand seiner Rundfunkrede "Der neue Staat und die Intellektuellen" von 1933. Die Arbeit widmet sich der komplexen Figur des Intellektuellen im Wandel der Zeit und beleuchtet die Herausforderungen und Widersprüche, die Benn in seinen Positionen widerspiegeln.
- Benns Bekenntnis zum Nationalsozialismus und seine intellektuellen Motive
- Die Rolle des Intellektuellen in der Weimarer Republik und seine Positionierung im politischen Diskurs
- Benns Weltbild und seine individuellen Positionen, die oft widersprüchlich und ambivalent erscheinen
- Die Kritik an Benns Standpunkten durch seine Zeitgenossen, insbesondere Klaus Mann
- Der Einfluss des Irrationalismus und der Geschichte auf Benns politisches Denken
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema Gottfried Benns Bekenntnis zum Nationalsozialismus ein und beleuchtet die Komplexität seiner Figur. Es werden die vielschichtigen Reaktionen auf Benns Positionierung und die intellektuellen Debatten der Weimarer Republik skizziert, die den Hintergrund für Benns Wirken bilden. Die Arbeit konzentriert sich auf die Analyse von Benns Rundfunkrede "Der neue Staat und die Intellektuellen" von 1933 als Schlüsseltext, der Aufschluss über seine Weltanschauung gibt.
Das Kapitel "Der Text ,,Der neue Staat und die Intellektuellen“" beschäftigt sich mit der Analyse der Rede und beleuchtet die Kernaussagen zu Benns Verständnis vom neuen Staat und seiner Rolle für die Intellektuellen. Hier werden Themen wie Irrationalismus, Geschichte und Macht sowie Benns Position zum Internationalismus, der Geistesfreiheit und der Kritik am Kapitalismus behandelt.
Das Kapitel "Genealogie des „Intellektualisten“" betrachtet die Entwicklung des Intellektuellenbegriffs in Benns Schriften und untersucht, wie sich Benns eigenes Verständnis von diesem Typus im Laufe der Zeit verändert hat. Die Diskussion fokussiert auf die Herausforderungen und Widersprüche, die Benn als Intellektueller in seinem Streben nach Wahrheit, Gerechtigkeit und politischem Engagement erlebt.
Schlüsselwörter
Gottfried Benn, Nationalsozialismus, Weimarer Republik, Intellektueller, Irrationalismus, Geschichte, Macht, Internationalismus, Geistesfreiheit, Kapitalismus, Liberalismuskritik, "Der neue Staat und die Intellektuellen", Widersprüche, Pluralismus, „Doppelleben“, ambivalent, Verführungskraft, "Standpunkt"
- Arbeit zitieren
- Michael Seemann (Autor:in), 2003, Gottfried Benn - ein Intellektualist im Bann des Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13444