Soziologie des Alterns

Leiden wir unter einem Methusalem-Komplott?


Hausarbeit, 2005

38 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundbegriffe
2.1 Soziologie
2.2 Soziologie des Alterns
2.3. Begriffsbestimmungen „Alte“ und „Altern“
2.4 Altersstereotyp
2.5 Soziale Rollen
2.6 Soziale Gerechtigkeit

3 Sozialpolitik
3.1 Stellenwert alter Menschen in den Zeitepochen der Geschichte und die Entwicklung der Sozialpolitik
3.2 Vergleich der geschichtlichen Dokumentation mit der heutigen Situation
3.2.1 Arbeitsmarktpolitik
3.2.2 Gesetzliche Rentenversicherung
3.2.3 Gesetzliche Krankenversicherung
3.2.4 Gesetzliche Pflegeversicherung
3.2.5 Altenhilfe
3.2.6 Ausblick
3.3 Zusammenhänge zwischen „Neuen Techniken“ und der sozialen Situation alter Menschen
3.4 Auswirkungen der IT-Techniken auf die Sozialpolitik

4 Medien und Alter(n)
4.1 Empirische Untersuchung zur Frage: IT-Technik – alte Menschen
4.1.1 IT-Technik Ausstattungsgrad
4.1.2 Private Nutzung von Computern
4.2 Darstellung alter Menschen in den Medien
4.3 Darstellung und Ergebnis des Praxisobjektes

5 Schlussteil
5.1 Wahrnehmung des eigenen Alterungsprozesses
5.2 Einschätzung der eigenen Medienkompetenz
5.3 Schlussfolgerungen für meine zukünftige Sozialarbeit
5.4 Ausblick, oder „Leiden wir unter einem Methusalem-Komplott?“

6 Literaturliste/ Quellenverzeichnis

1 Einleitung

Ich habe für meine Hausarbeit das Thema „Soziologie des Alter(n)s“ gewählt, weil es nicht nur für eine bestimmte Gesellschaftsgruppe, viel mehr für jede Gesellschaft und allen darin lebenden Individuen Gültigkeit besitzt. Dem Altern als Prozess und dem Altern im sozialen Kontext kann sich niemand entziehen. Dennoch empfinde ich es als erstaunlich, dass in unserer meines Erachtens Jugendzentrierten Gesellschaft, versucht wird, das Altern so weit es geht von sich weg zu schieben. Für wen bedeutet es beispielsweise schon ein Kompliment zu hören, dass man „alt geworden“ sei? Was empfinden sie als Leser dieses Satzes dabei, wenn ich sage: „Sie sind aber alt geworden!“?

Einige von uns denken in Anbetracht dieser Worte vielleicht, „Ja, das Alter steht mir gut!“, „Ich bin wirklich erfahrener, weiser geworden.“, oder „Das Alter lehrt mich wahrhaft leben.“. Doch in den meisten Menschen kreisen anschließend wahrscheinlich eher negative Gedanken von Dispositionen oder altersbedingten physischen Einschränkungen, oder Ängsten des Verlustes von Attraktivität oder Geistesverfassung und einer Furcht Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein und anpassungsunfähig zu werden.

Es geht mir in meiner Arbeit also auch darum, was „Altern“ für mich, für andere, ja für die gesamte Gesellschaft bedeutet und setzte mich aus diesem Grunde auch mit der Frage auseinander, ob wir unter einem „Methusalem-Komplott“ leiden, einem bislang „nur“ psychologischem Krieg der Jungen gegen die Alten (Ein Generationenkonflikt der sich auch in einem negativ besetztem Altersstereotyp ausweisen würde.), wie Frank Schirrmacher es bezeichnet.

Ich werde in Kapitel 1 zunächst die Grundbegriffe erläutern, im 2. Kapitel dann auf derzeitige Bedingungen und Geschichte der Sozialpolitik bis dato zu sprechen kommen und im dritten Abschnitt empirische Untersuchungen für das Themengebiet Medien und Alter(n) vorweisen, um mir anschließend im Fazit hoffentlich meine eben aufgestellten Fragen selbst beantworten zu können. Der Schlussteil soll unter anderem eine Darstellung der Wahrnehmung meines eigenen Alterungsprozesses sowie Schlussfolgerungen dieses Aufsatzes für meine künftige Sozialarbeit beinhalten.

2 Grundbegriffe

Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit Definitionen und Ableitungen dieser, um verschiedene Grundbegrifflichkeiten zu erklären, und einen ersten Zusammenhang zum Thema „Soziologie des Alter(n)s“ herzustellen. Dabei möchte ich zuvor schon bemerken, dass es außerordentlich schwierig, bis nahezu unmöglich ist, soziologische Termini so zu definieren, dass sie einen allgemeinen und wissenschaftlich anerkannten Zuspruch finden.

2.1 Soziologie

Die Soziologie an sich, ist die Wissenschaft von der Gesellschaft, also an empirisch belegten Fakten und nachweislich dokumentierten Wahrheiten interessiert, orientiert sie sich nicht an individuellen Einzelaussagen, sondern beansprucht die der kollektiven, gesellschaftlichen Ebene. Soziologische Themen sind demnach zum Beispiel öffentliche Institutionen, Strukturen und Kulturen, sowie soziale Prozesse (soziale Ungleichheit, sozialer Wandel etc.). (vgl. Esser 1996, Seite 3 f.). Die soziologische Theorie, als „Lehre vom Sozialen“, dient dazu, Fakten zu beschreiben und zu kategorisieren, zu erklären und vorherzusagen (vgl. Doehlemann 1992, Seite 3; Henecka 1993, Seite 22 f.) und ist das Produkt gesellschaftlicher Veränderungen. Sie entwickelte sich erst mit „Ende des 18. Jh. durch das Entstehen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft (Klasse/ Schicht/ Milieu). Vor allem durch eine radikale Veränderung der Produktionsweise, durch die stürmische Ablösung der handwerklich-bäuerlichen Hauswirtschaft durch maschinelle Fabrikarbeit, änderten sich auch das Gefüge der ganzen Gesellschaft, die Lebensweise der Menschen, die Familie, Gebräuche und Sitten (Arbeit). Man erkannte, dass „Gesellschaft“ veränderbar war, ein Prozess war, der sich durch die Handlungen der Menschen entwickelte.“ (Ullrich 1996, Seite 571)

2.2 Soziologie des Alterns

Soziologie des Alterns ist demzufolge der Zweig der sozialen Wissenschaft, der sich mit der gesellschaftlich bedingten und in den verschiedenen Epochen verändernden Situation (Vorzugsweise auch: Problematik, Lebenslage und/ oder Beziehungen zu anderen Gruppen > hier sei kurz der „Generationskonflikt“ erwähnt.) der kollektiven Gruppe älterer Menschen beschäftigt. Die Alterssoziologie geht auch gerade auf bestehende Stereotypen ein, die nachfolgend noch ausführlich erläutert werden, um sich ein klareres Bild zu machen, um auf Diskrepanzen zum Wahrheitsgehalt dieser hinzuweisen und die Öffentlichkeit nachdenklich zu stimmen. Die Situation, der in diesem Falle „Alten“, soll erklärt (die breite Masse aufgeklärt) und beschrieben werden, was den Versuch zukünftige Veränderungen vorherzusagen zulässt.

Daraus ergeben sich jedoch die Fragen, wer überhaupt zu der Gruppe „älterer Menschen“ zu zählen ist, und was die Allgemeinheit unter „Alt sein“ versteht! Auf diese Fragen soll nun näher eingegangen werden.

2.3. Begriffsbestimmungen „Alte“ und „Altern“

„Der Begriff „älterer Mensch “ kann nur bei oberflächlicher Betrachtung durch das Lebensalter abgegrenzt werden. Das kalendarische Alter ist für den Alternsprozess nur von sekundärer Bedeutung.“ (Voges 1989, Seite17) Es ist zwar korrekt das bei steigendem Lebensalter die Auftrittswahrscheinlichkeit von teils körperlichen und teils geistigen Beeinträchtigungen ansteigt, wobei diese jedoch keine generalisierte Aussagekraft aufweisen. Folglich ist es wichtig andere Teilbereiche mit zu berücksichtigen, hier zu nennen: das biologische und das psychologische Altern. Während das biologische Alter auf den körperlichen Zustand (altersbedingte Entrophieerscheinungen und für den Lebensabschnitt signifikante Krankheitsbilder) verweist, beschäftigt sich das psychologische Alter damit, wie die jeweilige Person solche Gegebenheiten annimmt und sich anpasst und wie sich daraufhin im zeitlichen Prozess die Persönlichkeit verändert. (vgl. Kühn 1992, Seite 121 f.; Voges 1989, Seite 17 f.)

Kühn stellt darauf aufbauend fest, dass „Altern“ ein Komplex physischer, psychischer und sozialer Veränderungsprozesse ist. Veränderungen des Alterns wurden in der Regel negativ gekennzeichnet, wobei insbesondere das Abnehmen der körperlichen Leistungsfähigkeit konstatiert wurde. Die sozialen und sozial-psychologischen Veränderungen werden heute aber als wichtiger angesehen als die biologischen Veränderungen. Altern ist ein langfristiger, lebensgeschichtlicher Prozess, der von der Veränderung der Funktion des Individuums in der sozialen Umwelt ausgeht und von der Reaktion der Gesellschaft auf diese Veränderungen bestimmt wird.“ (Kühn 1992, Seite 123)

Das meint, dass die Definition von „Alter“ zu einem Großteil gesellschaftlich bedingt ist, und zwar davon, welche Vorstellungen und Meinungen in der Bevölkerung, bezüglich der Eigenschaften die ein gewisses kalendarisches Alter vorzuweisen hat (von den Beobachtungen der Lebenssituation Älterer, ihrem Auftreten und Verhalten) kursieren und überwiegen. (vgl. Göckenjan u.a. 1988, Seite 8; Kühn 1992, Seite 122)

Göckenjan und Kondratowitz schreiben dazu: „Man wird alt, wenn es einen die anderen wissen lassen. Altern ist hier nichts selbstverständliches, das Entscheidende des Alterns ist nicht die biologische Seite. Alterszuschreibungen sind abhängig vom Zustand sozialer Verhältnisse und Institutionen, die gesellschaftlichen Gruppen und Individuen Bedeutung zuweisen. An den Kindern merkt man sein Alter, sagt man zum Beispiel, oder alt sein heißt, nicht mehr gebraucht zu werden, überflüssig zu sein. Altsein ist eine soziale Distinktion, die je nach den Umständen privilegiert oder stigmatisiert wird. Altsein nimmt seine Determination nicht aus eigenen Qualitäten, sondern diese muss zugewiesen werden.“ (Glöckenjan u.a.1988, Seite 8)

Oben genannte halten den Begriff „Alter“ für die heutige Zeit ohnehin für fragwürdig, da durch das gemeinsame Auftreten der „Verjüngung und Entberuflichung des Alters einerseits“ und die „verlängerte Lebenserwartung andererseits“ die unter dem Schlagwort zusammengefasste, enorm große Gruppe weit mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten aufweist. Eine Klassifikation der „Alten“ wird damit unzureichend, sie kann nur eine Teilpopulation beschreiben, und fällt aufgrund dieser Problematik für viele schon zwangsläufig (wie bereits oben erwähnt) stigmatisierend aus. (vgl. Göckenjan 1988, Seite 9ff.)

2.4 Altersstereotyp

Ein Stereotyp bezeichnet ein „eingebürgertes Vorurteil mit festen Vorstellungsklischees innerhalb einer Gruppe“ (Duden Fremdwörterbuch 2005, Seite 990). Ein längerfristig bestehendes Vorurteil (z.B. Einstellungen junger von alten Menschen), ist hier von der Gesellschaft, gegenüber älteren Menschen „prägnant und vornehmlich negativ zugleich. Weit entfernt von >Weisheit< und >Kontemplation<, eher bestimmt durch >Unproduktivität< und >Nähe zum Tod<, ist Alter die Phase des Lebens, der man am negativsten gegenübersteht.“ (Tews 1979, Seite 15)

Mit der gesetzlichen „Legaldefinition“, die den Altersbeginn mit 65 Jahren postuliert (vgl. Kühn 1992, Seite122), bekommt dass Altersstereotyp breite, gesellschaftlich akzeptierte Resonanz. Altersbedingte Abbauprozesse, werden nun als vom Schicksal bestimmte und „jeden ereilende“, kontinuierliche Verluste im Leben, im Sinne des Defizitmodells, angenommen und scheinen unabwendbar, lassen keinen Platz für persönliche Altersprozesse. (vgl. Voges 1989, Seite 18 ff.) Und tatsächlich beherbergt das vorherrschende Altersstereotyp die Vorstellung vom schnellen körperlichen, sowie auch vom geistigen Verfall, von sich reduzierender Lernfähigkeit, von der Passivität und Interessensverlust, von Hilfsbedürftigkeit und Krankheiten, von Unselbstständigkeit und unproduktiver Zeitverschwendung Älterer. (vgl. Schütz u.a. 1987, Seite 198; Voges 1989, Seite 18) Die Liste lässt sich noch beliebig lang fortsetzen, offensichtlich wird dabei nur eines: In einer jugendzentrierten, leistungsorientierten Gesellschaft ist Altern kein erstrebenswerter, eher ein unliebsamer/ unerwünschter und noch dazu ein zwanghafter Zustand! (vgl. Tews 1979, Seite 15f.) Auch Kühn warnt in diesem Zusammenhang davor alte Menschen als „Randgruppe“ anzusehen (vgl. auch Hradil 1999, Seite 314), die dann nur als „Abweichung von der Norm“ ins Auge sticht: „Die Einstellungen zum Alter sind in der Gesellschaft oft negativ gefärbt, denn statt der Leistung des einzelnen für die Gesellschaft durch seine berufliche Tätigkeit muss die Gesellschaft Leistungen für die Alten erbringen. In der Leistungsgesellschaft ist das Altersbild negativ; denn >Alter< bedeutet dann das Gegenteil von Leistung, Erfolg, Autonomie und Selbstständigkeit.“ (Kühn 1992, Seite 131)

Zu allem Überfluss, wird künftig (ab ca. 2015-2030) die oben angedeutete „Randgruppe“, mit Pensionierung der geburtenstarken Jahrgänge um 1950 herum (>Babyboomer<), wohl ehr die Mehrheit unserer Gesellschaft ausmachen, die nicht mehr zu tragen ist, solange die „Alten“ als „störend, verbraucht, vergesslich und als Boten des Todes denunziert werden“. (Schirrmacher 2004, Seite 63) In seinem Buch „Methusalem Komplott“ gibt Schirrmacher zu bedenken, dass wenn ein negatives Altersstereotyp weiterhin aufrechterhalten wird, und das bei ansteigender wirtschaftlicher Misere bei der ältere Menschen ein „soziales Problem“ darstellen, ein „Eintritt der Zivilisation in die Euthanasie“ droht. (vgl. Schirrmacher 2005, Seite 63 ff.)

Obwohl dieses Gedankengut vorerst vielleicht ungläubig belächelt wird, so ist es doch im selben Atemzug zutiefst schockierend und beängstigend, gerade weil noch genügend Erinnerungen der weltgeschichtlichen Vergangenheit von Vernichtung/ Verstoßung/ Ausrottung von hilfsbedürftigen und nicht mehr „zu gebrauchenden“ Menschen mitschwingen. Hier sind beispielsweise die „Altentötung“ in Japan (vgl. Döhner u.a. 1988, Seite 194 f.) oder die „Aussonderung unproduktiver Ballastexistenzen“ im Nazi-Regime (vgl. Göckenjan u.a. 1988, Seite 123 ff.) zu nennen. Um dem dargestellten Problem, auch wenn es den Anschein hat für die heutige Zeit unangemessen zu sein, dennoch aus dem Weg zu gehen empfiehlt Schirrmacher die Reduzierung des „Generationskonfliktes“, nicht nur durch soziale Gerechtigkeit zwischen Jungen und Alten (vgl. auch Gutschmidt 2004, Seite 62 ff.), sondern auch durch den Muss einer Veränderung des Altersstereotyps.

Und, dass momentan vorherrschende, negativ besetzte Altersstereotyp ist auch wandelbar. Eine Wandlung wird nur durch den Teufelskreis gegenseitig bedingter Entstehung gerade dieser Vorstellung erschwert. Tews schreibt dazu (1979, Seite 16): „In Stereotypen und der Selbsteinschätzung der Alten schlägt sich – wenn auch in verwischter oder überzeichneter Form – nieder, was man vom Altern und von den Alten hält. Die Selbsteinschätzung alter Menschen ist immer auch Reflex ihrer Situation in der Gesellschaft. Ins Stereotyp geht ein, was für Veränderungen Altern mit sich bringt.“. Jenes meint, dass alte Menschen auf die Erwartungen der Gesellschaft eingehen und versuchen diese zu erfüllen, sie schränken beispielsweise ihre Aktivitäten ein, weil diese in der kollektiven Öffentlichkeit als nicht altersgemäß gelten, und somit integrieren sie die Fremdeinschätzung des „passiven Alten“ in das Selbstbild. Dieses passive Abbild wird wiederum von außen beobachtet, und gemutmaßt, die bisherigen Erwartungen entsprächen der Wahrheit (vgl. Kühn 1992, Seite 131; Voges1989, Seite18 ff.), ganz im Sinne einer „Sich- selbst- erfüllenden- Prophezeiung“!

Stereotype entstehen erstens aufgrund von Wissen und Kenntnissen betreffend des Alters und alten Menschen, ihren Lebensgewohnheiten und gesellschaftliche Situationen. Zweitens resultieren sie aus eigenen Erfahrungen die die Generationen miteinander sammeln und drittens sind solche Vorurteile von Erwartungen des eigenen Altersprozesses geprägt. (vgl. Tews 1979, Seite 27) Sind also Stereotype „Ausdruck der wenn auch verzerrten Wahrnehmung der Lebenssituation der alten selbst, so sind sie nur durch den Wandel der Lebenssituation der Alten bzw. alt werdenden folgenden Generation zu beeinflussen“. (Tews 1979, Seite 26)

Ein Wandel von Vorurteilen ist also, wenn auch nur langfristig gesehen möglich, vorausgesetzt (siehe oben): Wissen und Kenntnisse bezüglich des Alters und Alten verändert sich, was tatsächlich auch derzeitig geschieht. So sind unter anderem Artikel aus der Fachzeitschrift „Psychologie Heute“ zu nennen, die sich mit der Möglichkeit körperlicher und geistiger Leistungssteigerung und Adaption auch im sehr hohem Alter auseinandersetzen, und diese bestätigen: „Bewegung im Alter hält den Geist auf Trab.“ (März 2005, Seite 62); „Optimisten altern langsamer – niedrigere Gebrechlichkeitsrate“ (Februar 2005, Seite 8); „Jedes Alter hat seine Weisheit – Verbesserung der Allgemeinbildung, Balance und Flexibilität“ (April 2003, Seite 36 ff.); „Jungbrunnen Alterssport – Steigerung der Leistungsfähigkeit“ (Compact Nr.1 1997, Seite 43). Gerade was das psychologische Altern betrifft, wird in zunehmenden Maßen von Chancen auf Weiterentwicklung und Selbstverwirklichung gesprochen. (vgl. Kühn 1992, Seite 122; Voges 1989, Seite 22) Somit wird das Altersstereotyp, zumindest in Hinsicht der Vorstellung es gäbe ausschließlich physische und psychische Abbauprozesse, widerlegt! Inwiefern das eine Einstellungsveränderung bewirkt bleibt jedoch fraglich. Andere Vorurteile lassen sich durch statistische Messungen einfach revidieren: Was zum Beispiel die vermeintlich generelle Hilfsbedürftigkeit von alten Menschen betrifft, so wurde herausgefunden, dass nur ca. 4 % der Alten im Heim wohnt, und nur 10 % pflegeabhängig sind. In dem Sinne „kann man kaum akzeptieren, dass Hilflosigkeit das typische Merkmal des Alters“, und demnach wohl auf „falscher Wahrnehmung der Realität“ (Tews 1979, Seite 26) zurückzuführen ist.

Weitere Voraussetzungen für einen Wandel des bestehenden Altersstereotyps muss zum einen eine positivere Selbstwahrnehmung von alten Menschen selbst sein, das infolge dessen, ausgetauschte Erfahrungen das derzeitige Bild ins wanken geraten lassen. Und ein neues Bild muss entstehen, von den „jungen Alten“ die körperlich und geistig aktiv bleiben, die den Willen zur Weiterentwicklung und Anpassung an die sich verändernde Gesellschaft zeigen, oder diesen Versuch zumindest wagen. Zum anderen müssen die Erwartungen des eigenen Altersprozesses neue Blüten tragen, womit ein hoffnungsvolles „in die Zukunft blicken“ und ein „Annehmen der Veränderungen“ die vor uns liegen gemeint ist, gerade weil wir die nächsten Alten sind, die mit den neuen Generationen wiederum Erfahrungen austauschen.

2.5 Soziale Rollen

„Unter sozialer Rolle versteht man allgemein ein Bündel bzw. die Summe von Erwartungen und Ansprüchen einer Gruppe oder der Gesellschaft an das Verhalten (Rollenverhalten) und die Erscheinung (Rollenattribute) eines Inhabers einer sozialen Position in einem Handlungssystem (z.B. Lehrer, Vater). Die soziale Rolle ist also unabhängig von der Person und dem tatsächlichen Verhalten denkbar und existent, sie ist Bestandteil der sozialen Realität“. (Griese 1996, Seite 466 f.)

Die Rolle des alten Menschen wird jedoch nicht gelernt oder erworben, sondern „natürlich“ und gesellschaftlich zugewiesen (vgl. Henecka 1993, Seite 78; und siehe Kapitel 1.3. dieser Arbeit: Gesetzliche Legaldefinition und Altersstereotype), und entsteht u.a. ausgehend von einem suggeriertem Fremd- hinführend zu einem adaptiertem Selbstbild, um oben angesprochenen Erwartungen und Ansprüchen der Gesellschaft, an die eigene Person (orientiert sich an aufgestellten Normen), gerecht zu werden. Die Einhaltung dieser Normen wird von der Gesellschaft überwacht, das „aus der Rolle fallen“ durch Strafen (Missbilligung), und das Aufgehen in diesen durch Belohnungen (Anerkennung/ Akzeptanz) sanktioniert. (vgl. Esser 1996, Seite 231 f.; Griese 1996, Seite 467; Voges 1989, Seite 24 ff.)

Dabei sind Rollen „nichts Natürliches, sondern Ergebnis von Typisierungs- und Interaktionsprozessen, sind kulturabhängig (z.B. die Geschlechtsrollen), ein reales aber auch veränderbares Phänomen zur Regulierung menschlichen Zusammenlebens (z.B. in Institutionen)“. (Griese 1996, Seite 467)

Hierbei besteht allerdings die Gefahr ausschließlich die Rolle der betrachteten Person, die Erwartung am deren sozialer Position, und somit das Individuum folglich selbst nur selektiv wahrzunehmen! Ohne die persönliche Lebens- und Lerngeschichte (Erfahrungen) eines Menschen zu hinterfragen, verkommt die Rollenvergabe die kategorisiert und es ermöglicht Gedankenvorgänge strukturisierend zu vereinfachen, zu einem oberflächlichen Stigmatisierungsprozess die den Ursprung für Vorurteile des hiesigen, negativ besetzten Altersstereotyps legen. (vgl. Griese 1996, Seite 467; Henecka 1993, Seite 77) Natürlich nicht zu vergessen, dass die Rolle als „älterer Mensch“ keineswegs gewählt ist, sondern dem zwanghaften Ursprung im Rollenverlust durch die Pensionierung unterliegt. Es grenzt an Sarkasmus, wenn der Mensch genötigt wird (Berufsaufgabe oft gegen seinen Willen) von einer anerkannten Position, die ihm Spaß macht und einen Lebenssinn verleiht, ihm evtl. einen Status sichern kann zurückzutreten, um sich in einer Gesellschaft wieder zu finden, die das was sie verursacht verurteilt, womit sich jedoch das bestehende Stereotyp, Alte seien passiv, verifizieren lässt! Und hier geht es nicht nur um den Rollenverlust, sondern auch um die Kollision zwischen Selbst- und Fremdbild von „Alten“, denn diese sind meist weit davon entfernt den Einstellungen und Erwartungen, die an sie gerichtet sind und in dem Sinne „Bescheidenheit, Dankbarkeit und Zufriedenheit“ voraussetzen, gerecht zu werden. (vgl. Kühn 1992, Seite 130 f.)

2.6 Soziale Gerechtigkeit

„In der Bundesrepublik Deutschland wird soziale Gerechtigkeit als ideelles Ziel des aus dem Sozialstaatsgedanken des Artikels 20, Absatz 1 des Grundgesetzes abgeleiteten Bestrebens der Sozialpolitik angesehen. Dem Bürger soll eine existenzsichernde Teilhabe an den materiellen und geistigen Gütern der Gemeinschaft garantiert werden. Insbesondere wird auch angestrebt, eine angemessene Sicherheit zur Führung eines selbstbestimmten Lebens in Würde und Selbstachtung zu gewährleisten.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Gerechtigkeit)

Untersucht man dieses Zitat näher, so wird schon offensichtlich, dass die „Soziale Gerechtigkeit“ derzeitig noch nicht der begangene Weg, höchstens ein noch fernes Ziel ist, welches „angestrebt“ werden soll. Ein Ziel, zugegeben, welchem die Sozialpolitik in kleinen Schritten (siehe Kapitel 2 dieser Arbeit) näher kommt.

Festgehalten werden muss jedoch, dass soziale Ungleichheiten, in sowohl materiellen als auch in immateriellen (sozialen) Gegebenheiten, schon allein durch schichtspezifische Differenzen zwischen Gruppen älterer Menschen eine Ursache finden (vgl. Backes u.a. 1998, Seite 80 ff.). „Gründe für diese Benachteiligungen liegen in den unterschiedlich verteilten Zugangschancen zu sozialpolitisch wichtigen Gütern und Leistungen. Eine relativ große Gruppe der Älteren hatte im früheren Lebensalter geringere Chancen, Altersrisiken vorzubeugen und höhere Beiträge zur Alterssicherung zu leisten.“ (Kühn 1992, Seite 132)

Hier ist es unabdingbar nicht ausschließlich Schicht-, sondern auch Konstitutionsdifferenzen hervorzuheben. Gerade die Rolle älterer Frauen muss betont werden, da sie aufgrund der Bildung von Einpersonenhaushalten (durch Verwitwung), meist geringeren Renten-Ansprüchen (Geburt von Kindern, Teilzeitarbeit, oft Bildungsnachteil etc.) und Benachteiligungen im Rentenrecht klar benachteiligt sind. (vgl. Backes u.a. 1998, Seite 84 f.) „Soziale Probleme im Alter sind de facto zum überwiegenden Teil Probleme alter und hochbetagter Frauen.“ (Backes u.a. 1998, Seite 85)

„Soziale Gerechtigkeit“ bezeichnet also das Leitbild unserer Gesellschaft, in dem jede Person nach ihrer erbrachten Leistung gerecht entlohnt werden, und diejenige die nicht für sich selbst sorgen kann (je nach Bedürftigkeit) bedarfsgerecht Leistungen beziehen soll. Diese Leistungen sollen von den vorliegenden ethischen Prinzipien der Gesellschaft bestimmt sein, so dass „Würde und Selbstachtung“ des Individuums gewahrt bleiben. (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/

Soziale_Gerechtigkeit)

Das jeder Mensch in unserer Gesellschaft sozial (hier zumindest materiell) abgesichert ist, verdanken wir zu einem großen Teil unserer Sozialpolitik. Inwiefern diese Absicherung „Würde und Selbstachtung“ der hilfebedürftigen Person erhält ist jedoch fragwürdig. Allein im Hinblick auf die medizinische Versorgung und Betreuung ist auffällig genug, dass lieber nur derjenige krank werden sollte, dessen Kontostandsbelege eine hohe Überzeugungskraft auf das qualifizierte Heil- und Pflegepersonal und damit auf die Gesundheit auswirken! (vgl. Kühn 1992, Seite 132)

Weiterhin sollte beobachtet werden, in wie weit sich das Potential der sozialen Gerechtigkeit verschiebt (oder auch, sich die ethischen Prinzipien verändern), wenn prozentual mehr Menschen Leistungen fordern (mehr alte Menschen mit Pensionierung der „Babyboomer“), als Personen die solche erbringen (arbeitende Steuernzahler). Erschwerend kommt dem noch hinzu, dass von den Forderern generell kein Leistungsausgleich (im steuerlichem Sinne) zu erwarten ist, und die Erwartungshaltung (Altersstereotyp) von der Gruppe älterer Menschen, die als „Abweichung von der Norm der Jugendlichkeit und Leistungsfähigkeit“ und als „soziale Randgruppe“ (Kühn 1992, Seite 131) angesehen werden, ohnehin durch eine deutliche Negativ-Färbung heraus sticht.

Wie sozial gerecht kann und darf ein Staat, der noch dazu hoch verschuldet ist, gegenüber der als „soziales Problem“ diffamierten Bevölkerungsgruppe, die für ihn keinen nennenswerten Nutzen erzielt, sein?!

3 Sozialpolitik

3.1 Stellenwert alter Menschen in den Zeitepochen der Geschichte und die Entwicklung der Sozialpolitik

„Die Entwicklung von „Alter“ zur eigenständigen Lebensphase und die Etablierung von Älteren und Alten als sozialstrukturell bestimmbare gesellschaftliche Gruppe mit vergleichbaren Merkmalen ist historisch gesehen ein Ergebnis der Industrialisierung“. (Backes u.a. 1998, Seite 25) Die Lebensphase Alter wurde so durch die sozialpolitische Absicherung bestimmt, sprich „über die Bedingungen des Arbeitsmarktes und die Regelungen der Alterssicherung“. (Backes u.a. 2000, Seite 7)

Folglich änderte sich mit der Industrialisierung auch der Stellenwert älterer Menschen. Im Gegensatz zu der heutigen, kollektiven Gruppe sozial Abgesicherter, die Leistungen vom Staat beziehen, weil sie sich im Laufe ihres Arbeitslebens diesen Anspruch verdient haben, waren die (für uns heute) leistungsunfähig gewordenen Menschen (Alte), im vorindustriellen Zeitalter, von Familienbande und christlicher Armenpflege abhängig. Die Rolle älterer Menschen bestand darin, so lange irgend möglich für die Gemeinschaft leichtere Arbeiten zu verrichten, sich mit ihrem Wissens- und Erfahrungsschatz einzubringen, die Kinderpflege und deren Sozialisation zu übernehmen. Alte Menschen (vor allem Männer), gerade auch weil sie nur 1-3 Prozent der damaligen Bevölkerung ausmachten, hatten einen relativ hohen Status zu verzeichnen, waren oft als „Spezialisten“ in Sachen, wie der generellen Handhabung von Gegebenheiten, Erfahrungen, Magie und Religion hoch angesehen. Die Vorteile von alten Menschen waren meist, dass sie Privateigentum besaßen, sie schon allein aufgrund der religiös- orientierten Gesellschaft hoch angesehen wurden, man sich ihnen verpflichtet fühlte, und dass in einer Zeit, die von ständigen Bedrohungen (Hungersnöte, Armut, Kriege etc.) geprägt, jede arbeitende Hand dringend von Nutzen war. (vgl. Laslett 1995, Seite 179 ff.; Tews 1979, Seite 53 ff.)

Das damalige Altersstereotyp (die Einstellung über und Meinungen von Alten) ist also größtenteils positiv gekennzeichnet, wobei das Alter selbst „eher als Bürde angesehen wurde“. (Tews 1979, Seite 60) Alte Menschen die durch ihren Lebensprozess in die Hilfe- und Schutzbedürftigkeit traten, und ihrer Gemeinschaft weniger nutzten/ mehr zur Last fielen, bekamen von ihrer Familie und Verwandten, notfalls vom Staat erzwungenen, Rückhalt. Konnte dieses nicht geleistet werden, so sahen sich Alte nicht selten mit der Ausstoßung aus deren Familienbanden konfrontiert. (vgl. Laslett 1995, Seite 183 ff.) Als Ausweg aus der Misere kann hier die christliche Armenpflege aufgezeigt werden, die „die materielle und immaterielle Sorge für Arme und Alte, Witwen und Waisen aus Mitleid und sittlich-religiöser Verpflichtung“ (Stolleis 2001, Seite 210) teilweise übernahm. Weiterhin kamen zusätzlich zahlreiche, soziale Stiftungen und Armenhäuser (Spitäler) für die Absicherung von Alten und Vergabe von „Brot, Kleidung oder Kleingeld“ zum Tragen. (vgl. Bellermann 1998, Seite 44; Laslett 1995, Seite 188)

Mit der durch die Industrialisierung eingeläuteten sozialen Umstrukturierung, und dem damit einher gehenden Wertewandel, veränderte sich auch der Stellenwert älterer Menschen. Tews beschreibt diesen Prozess, wie folgt: Durch immer neue technische Errungenschaften bekommen neues Wissen und Ausbildungen einen hohen Stellenwert, Handlungswissen und Erfahrungsschatz von Alten werden weitestgehend unbrauchbar, sogar disfunktional. Zusätzlich fällt es alten Menschen schwerer neues Wissen zu erwerben/ sich anzupassen. Religiöse Bindungen verlieren an Wichtigkeit, genau wie der familiale Zusammenhalt durch Auflösung von Familienbetrieben und die Notwendigkeit der Mobilität bei der Berufssuche (z.B. Stadtflucht). Folglich sinkt die familiale Verantwortung gegenüber Alten und da auch in den Gemeinden durch Urbanisierung und regionale Mobilität die gegenseitige Abhängigkeit an Gewicht verliert, sinkt die vorindustriell so bitter notwendige Gruppensolidarität. (vgl. Tews1979, Seite 53 f.) Das daraus resultierende Ergebnis zeigt den Beginn einer Verschiebung hin zu einem negativen Altersstereotyp auf, bei dem das Alter durch „Hilfebedürftigkeit und Abhängigkeit“ signifikant Bezeichnung findet, ein Bild das bis heute gebräuchlich ist.

Mit wachsender Bevölkerungsdichte, und dem immer häufiger aufkommendem Problem des Elends (Armenviertel in der Stadt durch beginnende Landflucht), „wurde Armut nun auch ein Problem städtischer und territorialer Gewalten. Diese erkannten nicht nur das sozialrevolutionäre Potential der Armut, sondern waren auch aus Gründen der Beherrschbarkeit des Territoriums und der kontinuierlichen Erhebung von Abgaben an einer sesshaften und wohlhabenden Bevölkerung interessiert“. (Stolleis 2001, Seite 210)

„Der staatliche Zugriff zur Sozialpolitik schien auch deshalb gerechtfertigt, weil niemand sonst die „soziale Frage“ zu lösen sich anheischig machte: Die traditionellen sozialen Einrichtungen oder Organisationen, die Kirchen oder Privatvereine, waren angesichts des Massenelends überfordert und/ oder ideologisch verstrickt, etwa in Vorstellungen vom Vorrang einer moralischen Besserung vor der materiellen für Arbeiter, was dem konkreten Elend nicht abhelfen konnte.“ (Bellermann 1998, Seite 45)

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Details

Titel
Soziologie des Alterns
Untertitel
Leiden wir unter einem Methusalem-Komplott?
Hochschule
Universität Lüneburg
Autor
Jahr
2005
Seiten
38
Katalognummer
V134503
ISBN (eBook)
9783640463565
ISBN (Buch)
9783640466597
Dateigröße
618 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziologie, Alterns, Leiden, Methusalem-Komplott
Arbeit zitieren
Dipl. Sozialarbeiter/Sozialpädagoge Carsten Kiehne (Autor:in), 2005, Soziologie des Alterns, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134503

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