Die Formen des Widerstands in Anna Seghers: Das siebte Kreuz


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Die Frage nach den Grenzen des Widerstands

3 Formen des Widerstands
3.1 Leiser Protest im Alltag
3.2 Beihilfe zur Flucht durch Wegsehen und Schweigen
3.3 Aktives Verwischen der Spuren
3.4 Humanität als Prinzip
3.5 Freundschaft
3.6 Organisierter politischer Wiederstand
3.6.1 Widerstand in Gefangenschaft und Flucht
3.6.2 Der kommunistische Widerstand
3.7 Wirkung der Flucht auf die Helfer

4 Schlussbetrachtung

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Anna Seghers zeichnet in ihrem Exilwerk Das siebte Kreuz ein authentisches Bild des deutschen Alltags zur Zeit des Nationalsozialismus vor 1939. Der Ort der Handlung ist das Rhein-Main Gebiet, die Personen, denen man im Roman begegnet, zeigen einen Querschnitt der dort lebenden Gesellschaft.[1] Alexander Stephan analysiert passend:

Die Menschen, die in dieser Landschaft wohnen, sind weder große Helden noch Märtyrer, noch Frauen und Männer, die Geschichte machen, sondern Bauern, Handwerker, Fabrikarbeiter, ein Schäfer und ein Arzt, ein Pfarrer und ein promovierter Chemiker.[2]

Es ist also die Geschichte des Alltags, von den ‚gewöhnlichen’ Menschen und deren ‚gewöhnlichem’ Leben in Deutschland, genauer in der Landschaft der Rhein-Main Ebene.[3] Die Zeiten allerdings sind nicht gewöhnlich. Die Nationalsozialisten sind an der Macht und haben ihr totalitäres Herrschaftssystem aufgebaut. Doch auch vor diesem Hintergrund wird im Roman die ganze Gesellschaft gezeigt: Es gibt die aktiven Nazis, die Mitläufer, die Gegner, die Verfolgten und es gibt wieder die Gewöhnlichen dazwischen, die sich anpassen oder einfach abwarten, aber ansonsten ihr Leben einfach weiter leben. Auch zur Zeit des Nationalsozialismus kann der Alltag weitergeführt werden, trotz des totalitären Anspruchs des Staates. Viele fühlen sich kaum von den Veränderungen berührt, bestenfalls profitieren sie vom wirtschaftlichen Aufschwung. Das ändert sich mit dem außergewöhnlichen Ereignis der Flucht von sieben politischen Häftlingen aus dem Konzentrationslager Westhofen. Die Flucht, besonders die Flucht von Georg, dringt in den Alltag vieler Menschen ein und fordert sie, eine Entscheidung zu treffen: Sie können sich regimekonform verhalten und die Flüchtlinge ausliefern oder sich den unmenschlichen Regeln widersetzen und Georg bei der Flucht helfen. Georgs Flucht kann nur durch die Hilfe anderer gelingen.

In dieser Arbeit sollen jene Personen und Handlungen in Seghers Roman betrachtet werden, welche gegen nationalsozialistische Regeln verstoßen, stattdessen von menschlichem Gewissen geleitet sind und damit die Flucht Georgs erst ermöglichen. Das Ziel ist schließlich, die unterschiedlichen Formen des Widerstands herauszuarbeiten. Da der Begriff Widerstand in seiner Anwendbarkeit auf manche Gruppen umstritten ist, muss dieser zunächst problematisiert und für den Gebrauch in dieser Arbeit definiert werden. Anschließend soll versucht werden, die unterschiedlichen Widerstandsformen nach Motiven zu ordnen.

Was die Sekundärliteratur zu diesem Roman und Anna Seghers im Allgemeinen angeht, existiert eine Fülle von Publikationen. Im Verhältnis gibt es allerdings wenig neue Publikationen. Hochzeit der Seghers Forschung waren die 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhundert, besonders in der damaligen DDR. Dies ist nicht verwunderlich, schließlich war auch die Rezeption in der DDR besonders groß. Einiges in dieser Sekundärliteratur ist dadurch jedoch besonders kritisch zu nutzen. In ihr ist ein einseitig geprägtes Weltbild zu erkennen, welches sich in einer einseitigen Interpretation, bzw. einem einseitigen Geschichtsbild äußert. Dies gilt vor allem für das Thema Widerstand. Zwar war auch Anna Seghers bekennende Kommunistin, doch tut man ihr wahrscheinlich Unrecht, interpretiert man ihren Roman allein unter dem Aspekt Klassenkampf und kommunistischen Widerstand, der alle anderen Formen des Widerstands ausblendet. Für diese Arbeit wird jedoch eher auf neuere Literatur eingegangen.

2 Die Frage nach den Grenzen des Widerstands

Die Bedeutung und Abgrenzung des Begriffs „Widerstand“ unter nationalsozialistischer Herrschaft in Deutschland ist umstritten. In der Kontroverse um den Begriff diskutiert die historische Forschung darüber, was dem „richtigen Widerstand“[4] zuzurechnen sei. Im Mittelpunkt der öffentlichen Betrachtung stehen meist jene heroischen Kämpfer, wie die Gruppe um Graf von Stauffenberg und ihr Attentat am 20. Juli 1944, welche mit Gewalt versuchten, Hitler zu stürzen. Doch gab es ebenso gewaltfreien Widerstand. Die größte Beachtung findet hier noch die Gruppe der „Weißen Rose“, die friedlich mit Flugblättern gegen Hitlers Diktatur und den Krieg protestierten und die Bevölkerung zum passiven Widerstand aufrief.[5] Es gab auch die politischen Gegner, wie die Kommunisten und Sozialdemokraten; und neben der mehr oder weniger ausgeprägten Opposition der christlichen Kirchen gab es auch einige wirklich mutige Kirchenvertreter wie Bonhoeffer.

Besonders kontrovers wird bereits die Frage behandelt, ob die organisierte Jugendbewegung, wie im Rheinland beispielsweise die Edelweißpiraten, als Widerstand zu zählen ist. Kritisiert wird, dass es in ihrem oppositionellen Verhalten vielmehr um die „Abwehr gegen das Eindringen der Nationalsozialisten in bestehende Jugendgruppen oder das staatliche Gebot, diese aufzulösen“[6], ging. Das heißt, anstatt politischer Ziele sei es ihnen ‚lediglich’ um den Erhalt ihrer Unabhängigkeit und Individualität gegangen. Sie wollten sich nicht der Hitlerjugend und der damit verbundenen Bevormundung durch Erwachsene anschließen. Der Streitpunkt ist der, ob es sich bei diesen Gruppen lediglich um aufmüpfige, rebellische, gar kriminelle Jugendliche handelt oder sie zum Widerstand zu zählen sind.[7]

Ausschlaggebend ist die Definition von Widerstand. Um ihr Urteil zu fällen, fragen die Forscher nach Ziel und Motiv und nicht selten auch nach Erfolg bzw. Erfolgsaussichten der jeweiligen sogenannten Widerstandsbewegung. Angewandt auf die Kölner Edelweißpiraten wird die Problematik deutlich:

Geht man von einem eng definierten Widerstandsbegriff aus, „der nur solches Handeln umfasst, das auf den Sturz des NS-Regimes unmittelbar oder mittelbar hinzielte“,[8] dann war das oppositionelle Verhalten der „Edelweiß-Piraten“ kein bewusster, politischer Widerstandeskampf; legt man jedoch die Bewertung der Nationalsozialisten zugrunde, welche die „Edelweiß-Piraten“ vorrangig als Verweigerer gegenüber dem NS-System klassifizierten, so zählten diese Jugendlichen als Gegner der nationalsozialistischen Herrschaft sehr wohl zur Opposition gegen Hitler.[9]

Diese Problematik kann man auf die ganze Bevölkerung ausweiten. Der eng definierte Widerstandbegriff grenzt die Anwendbarkeit des Begriffs tatsächlich auf nur wenige Personenkreise ein. Zählt man aber schon Verweigerung und Gegnerschaft zu Widerstand, zeigt sich ein ganz anderes Bild Deutschlands. Geht man von dem Begriff Widerstand aus, so heißt das Verb „widerstehen“. Das bedeutet, ‚standhaft zu bleiben’ sich nicht nur zurückzulehnen, sondern sich den Regeln des neuen Regimes zu widersetzen. Es kann ein Widerstand im Alltag sein. Auch die Forschung hat mittlerweile einen Zugang zum alltäglichen Widerstand gefunden.

Sechzig Jahre nach dem 20. Juli 1944 geht es nicht darum, neue „Widerstandshelden“ als Lichtgestalten“ oder Denkmäler auf ein schwankendes Podest zu stellen [...], sondern es geht um die Aufarbeitung und schwierige „Spurensuche“ des vielfachen facettenreichen Widerstandsverhalten im Alltag der Bevölkerung, sei es im zivilen oder militärischen Bereich. Hier liegt auch das Verdienst der Widerstandsforschung in den letzten Jahren. Dabei wurden Zivilcourage und Rettungsaktionen aus Scham und Entsetzen über Verbrechen des NS-Staates sowie vereinzelter Verweigerungsformen aus politischer und religiöser Überzeugung oder aus militärischer Erfahrung vorgestellt. Dieser Weg [...] kann sowohl den verbrecherischen Charakter des NS-Regimes als auch die darin verbliebenen Handlungsmöglichkeiten deutlich machen. Gerade mit der Beschreibung des Handlungsspielraumes gewinnt die mutige Widerstandshandlung einzelner Hitlergegner an Bedeutung.[10]

Diese Analyse Gerd Ueberschärs über die aktuelle Widerstandsforschung klingt wie eine Rezension zu Anna Seghers Siebte Kreuz. Das Bild über den Widerstand im Alltag, entstanden aus den unterschiedlichsten Motiven, welches die Handlungsspielräume aufzeigt und gerade von der Forschung entdeckt wird, hat Anna Seghers schon in den dreißiger Jahren gezeichnet. In ihrem Roman zeigt sie genau die Art von Menschen, die laut Ueberschär von der Forschung genauer untersucht werden sollten. Um es mit den Worten von Alexander Stephan zu sagen:

Der Widerstand definiert sich im Roman nicht als Tyrannenmord oder auch als zentral geleitete Aktion irgendeiner politischen Vereinigung wie der KPD, SPD oder der Gewerkschaften, sondern zunächst einmal als ein komplexes Geflecht von punktueller Unzufriedenheit, Selbstbewahrung, Nicht-Anpassung, Resistenz und mehr oder weniger offenem Protest im Alltag von Familie, Arbeitsplatz und Wohnmilieu.[11]

Aus diesen Überlegungen heraus, und mit diesem weitgefassten Widerstandsbegriff, soll im Folgenden der Roman auf Widerstand hin untersucht werden. Geachtet werden soll auf jede kleinste Form des Widerstands und auf die ihm zugrunde liegenden Motive.

3 Formen des Widerstands

3.1 Leiser Protest im Alltag

Ein leiser Protest lässt sich in allen Kreisen finden, dort wo „weitgehende Anpassung und gewöhnliches Meckern, beredtes Schweigen und Opportunismus, Taktieren und vorsichtig in einen Witz oder ein Sprachspiel verpackter Protest ineinander übergehen“.[12] Sie kann von wirklichen Kritikern und von weitestgehend überzeugten Anhängern des Nationalsozialismus geäußert werden, als Kritik an der Politik und an den Zeitumständen, wie sie zu jeder Epoche und zu jedem politischen System dazugehören. Mit dem Unterschied, dass solche Kritik beispielsweise in einer Demokratie erwünscht und vorgesehen, in einem totalitären System jedoch bereits gefährlich ist und als Verrat verurteilt wird. Ein einfaches, vorsichtiges, scheinbar nur beiläufiges Hinterfragen des Gegebenen löst bereits eine bedrückte Stimmung aus. So auch im Umkleideraum von Franz Firma, als sich eine Stimme plötzlich äußert:

„Wenn’s mal Krieg gibt, was macht man dann mit den Lagern?“ Ein Gefühl von Kälte befällt die Menschen, die sich hastig und stoßend fertigmachen. Im selben Ton fügt die Stimme hinzu: „Was gebietet denn dann die innere Sicherheit?“ Wer hat das eigentlich eben gesagt? Man hat das Gesicht nicht gesehen [...]. Die Stimme kennen wir doch. Was hat er eigentlich gesagt. Nichts Verbotenes. Ein kurzes Schweigen, und keiner, der nicht beim zweiten Sirenezeichen zusammenfährt.[13]

[...]


[1] Vgl. Stephan: Welt und Wirkung, S. 35.

[2] Stephan: Geschichte von unten, S. 192.

[3] Vgl. Stephan: Geschichte von unten, S. 192. Seghers benutzt den Begriff „gewöhnlich“ selbst häufig im Roman.

[4] Ueberschär: Für ein anderes Deutschland, S. 248.

[5] Vgl. Ebd, S. 126-140

[6] Ebd, S.114.

[7] Vgl. ebd, S. 113-125.

[8] Peukert: Edelweißpiraten, S. 153. Zitiert nach Ueberschär: Für ein anderes Deutschland, S. 122f.

[9] Ueberschär: Für ein anderes Deutschland, S. 122f.

[10] Ebd., S. 248f.

[11] Stephan: Geschichte von unten, S. 197.

[12] Ebd., S. 206.

[13] Seghers: siebte Kreuz, S. 153.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Formen des Widerstands in Anna Seghers: Das siebte Kreuz
Hochschule
Universität zu Köln
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
22
Katalognummer
V134563
ISBN (eBook)
9783640421206
Dateigröße
408 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Formen, Widerstands, Anna, Seghers, Kreuz
Arbeit zitieren
Sarah Monschau (Autor:in), 2008, Die Formen des Widerstands in Anna Seghers: Das siebte Kreuz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134563

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