Drei Elemente machen heute den institutionellen Kern des deutschen Bundesstaates aus: Der Exekutivföderalismus mit der ‚funktionalen’ Aufteilung von Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen auf Bund und Länder, die Bundesratskonstruktion (einschließlich der ergänzenden Ministerkonferenzen und sonstigen Beratungs- und Beschlussgremien) und schließlich die finanzwirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Steuerverbund als Kernelement.
Diese Kernelemente sind es jedoch auch, die von den meisten Kritikern am derzeitigen Bild des Föderalismus als unbedingt reformbedürftig angesehen werden. Es fällt nun nicht schwer zu verstehen, dass eine Reform der Kernelemente mit Sicherheit die Art Reform ist, die am schwierigsten durchzusetzen ist, was mitunter erklärt, warum bisher sämtliche Reformanläufe in der Geschichte der Bundesrepublik, in Bezug auf die föderativen Strukturen und Elemente, nicht in gewünschtem Maße durchgesetzt werden konnten.
Die folgende Seminararbeit beschäftigt sich nun mit diesen reformbedürftigen Kernproblemen und möchte aufzeigen, welche Gesichtspunkte insbesondere einer Neugestaltung bedürfen und wie diese möglicherweise aussehen könnten.
Den Anfang machen die Gesetzgebungskompetenzen und Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern und die damit einhergehende zunehmende Zentralisierung und der Autonomieverlust der Länder, sowie die Rolle des Bundesrates. Dies ist auch gleichzeitig der Schwerpunkt dieser Arbeit.
Der zweite Punkt ist die Finanzverfassung und sämtliche damit verbundene föderalistischen Elemente und der dritte Aspekt ist die Reformbedürftigkeit des deutschen Föderalismus bezüglich der Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern in der Europäischen Union.
Aufgrund der Tatsache, die ich im Laufe dieser Arbeit noch belegen werde, dass die Reform des Föderalismus noch nicht abgeschlossen ist und bisher nur ansatzweise mögliche Lösungen präsentiert wurden, werde ich keine klaren Unterscheidungen zwischen den bereits im Koalitionsvertrag der Regierung bestehenden und den noch ausstehenden Reformen machen. Ich werde hingegen grundsätzlich auf existente Mängel und, in Ansätzen, auf denkbare Lösungswege hinweisen.
Inhaltsverzeichnis
I. Einführung
II. Kompetenzen und Verantwortklichkeiten
a) Zustimmungsgesetze und Bundesrat
b) Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern
c) Kooperativer Föderalismus vs. Wettbewerbsföderalismus
III. Die Finanzverfassung
a) Regionale Steuerautonomie
b) Steuer- und Finanzverwaltung
c) Mischfinanzierung und Gemeinschaftsaufgaben
IV. Europafähigkeit von Bund und Ländern
V. Fazit
VI. Literaturverzeichnis
I. Einführung
“Drei Elemente machen heute den institutionellen Kern des deutschen Bundesstaates aus: Der Exekutivföderalismus mit der ‚funktionalen’ Aufteilung von Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen auf Bund und Länder, die Bundesratskonstruktion (einschließlich der ergänzenden Ministerkonferenzen und sonstigen Beratungs- und Beschlussgremien) und schließlich die finanzwirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Steuerverbund als Kernelement.“[1]
Diese Kernelemente sind es jedoch auch, die von den meisten Kritikern am derzeitigen Bild des Föderalismus als unbedingt reformbedürftig angesehen werden.[2] Es fällt nun nicht schwer zu verstehen, dass eine Reform der Kernelemente mit Sicherheit die Art Reform ist, die am schwierigsten durchzusetzen ist, was mitunter erklärt, warum bisher sämtliche Reformanläufe in der Geschichte der Bundesrepublik, in Bezug auf die föderativen Strukturen und Elemente, nicht in gewünschtem Maße durchgesetzt werden konnten.[3]
Die folgende Seminararbeit beschäftigt sich nun mit diesen reformbedürftigen Kernproblemen und möchte aufzeigen, welche Gesichtspunkte insbesondere einer Neugestaltung bedürfen und wie diese möglicherweise aussehen könnten.
Den Anfang machen die Gesetzgebungskompetenzen und Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern und die damit einhergehende zunehmende Zentralisierung und der Autonomieverlust der Länder, sowie die Rolle des Bundesrates. Dies ist auch gleichzeitig der Schwerpunkt dieser Arbeit. Der zweite Punkt ist die Finanzverfassung und sämtliche damit verbundene föderalistischen Elemente und der dritte Aspekt ist die Reformbedürftigkeit des deutschen Föderalismus bezüglich der Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern in der Europäischen Union.
Aufgrund der Tatsache, die ich im Laufe dieser Arbeit noch belegen werde, dass die Reform des Föderalismus noch nicht abgeschlossen ist und bisher nur ansatzweise mögliche Lösungen präsentiert wurden, werde ich keine klaren Unterscheidungen zwischen den bereits im Koalitionsvertrag der Regierung bestehenden[4] und den noch ausstehenden Reformen machen. Ich werde hingegen grundsätzlich auf existente Mängel und, in Ansätzen, auf denkbare Lösungswege hinweisen.
II. Kompetenzen und Verantwortlichkeiten
a) Zustimmungsgesetze und Bundesrat
„Die Demokratie lebt davon, dass für die Bürger klar ist, wem sie auf Zeit welche Verantwortung übertragen haben und wer ihnen nach der Frist Rechenschaft schuldet.“[5]
Dieses demokratische Element - die Transparenz für den Bürger - ist jedoch bei der heutigen bundesstaatlichen Konstellation kaum gegeben, denn der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bis 2006 auf bis zu 60% angestiegen. Daraus ergab sich zwischenzeitlich eine Situation des ‚divided government’[6], in der die Opposition die Mehrheit im Bundesrat besaß. Diese Möglichkeit der Opposition an der Bundespolitik teilzunehmen, in dem sie auf Grund ihrer Vetorechte im Bundesrat Gesetzesvorhaben der Bundesregierungen blockieren kann oder diese zumindest zu einem Kompromiss zu ihren Gunsten umformen kann, wirkte für sämtliche Reformvorhaben quasi als Bremsklotz.[7]
Wie kam es nun überhaupt zu dieser offensichtlichen Fehlentwicklung des Föderalismus? Als Hauptauslöser ist an dieser Stelle der Art. 84 Abs. 1 GG zu nennen, denn „Dieser Artikel sieht vor, dass Gesetze dann die Bundesratszustimmung brauchen, wenn sie den Ländern, welche sie ‚als eigene Angelegenheiten ausführen’ sollen (Art. 83 GG), für diese Ausführung bestimmte organisatorische Vorgaben machen.“[8] Das bedeutet, dass der Bundesrat gefragt werden muss, wenn der Bund in die Verwaltungshoheit der Länder eingreifen will. Die prinzipiell sinnvolle Regelung wurde allerdings zum Problem, nachdem das Bundesverfassungsgericht die so genannte ‚Einheitstheorie bzw. -lehre’ (die Zustimmung des Bundesrates betrifft das Gesetz als Ganzes und nicht nur verfahrensrechtliche Bestimmungen) ‚erfand’.[9] Deren Auswirkungen wurden zum ersten Mal deutlich, als die Regierung sich in den 1970er Jahren einer oppositionellen Mehrheit im Bundestag gegenübersah. „Nun konnte das zum Schutz der Verwaltungshoheit nötige Zustimmungsrecht als parteipolitisch motiviertes Veto gegen ungeliebte Gesetzesinhalte genutzt werden.“[10] Damit wurde also der Bundesrat nicht mehr zur Artikulation von Länderinteressen genutzt, sondern „als politisches ‚Widerlager’ und ‚Blockadeinstrument’ missbraucht. Damit werde nicht nur der politische Mehrheitswille, wie er in den Bundestagswahlen zum Ausdruck kommt, unterlaufen, sondern die Länderexekutiven, die im Bundesrat vertreten sind, gewännen einen Einfluss, der ihnen aus demokratischer Perspektive nicht zustehe“[11]. Damit ist also einer der Grundpfeiler der Demokratie - das Bundesstaatsprinzip - in seiner jetzigen Form eher demokratiefeindlich.
Was allerdings auch deutlich wird, ist, dass eine Änderung des Art. 84 Abs. 1 GG alleine noch nicht wirklich etwas an der Situation ändern würde, denn nur die Anzahl der Zustimmungstatbestände zu reduzieren ist nur der halbe Weg. Bekanntermaßen war es nicht die Quantität der Zustimmungstatbestände bei Bundesratsblockaden, sondern einige wichtige Regierungsvorhaben, die konsequent von der Opposition blockiert wurden.[12] Eine bessere Möglichkeit wäre an dieser Stelle beispielsweise „nicht auf der einheitlichen Stimmabgabe nach Art. 51 Abs. 3 GG zu beharren. Zumindest würde die Einführung der ‚Koalitionsstimmgebung’ verhindern, dass eine bedeutende Zahl von Ländern zur Stimmenthaltung und damit faktisch zu Nein-Stimmen gezwungen würden.“[13] Es gilt nun also, um den Föderalismus wirklich zu reformieren, diese Konstellation zu ändern. Dies ist allerdings bisher nicht geschehen.[14]
b) Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern
„Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.“[15]
Bei objektiver Betrachtung dieses Artikels kann man zu dem Schluss kommen, dass die Gesetzgebungskompetenzen des Landes der Regelfall sind und die Bundesgesetzgebung als Ausnahmefall gilt. In der Praxis hat sich diese Annahme jedoch als irreführend erwiesen, denn „statt den Ländern Gesetzgebungskompetenzen zu sichern, trug Art. 70 Abs. 1 GG dazu bei, die legislativen Kompetenzen des Bundes zu erweitern.“[16] Diese Behauptung findet ihre Begründung in der Entwicklung der konkurrierenden Gesetzgebung, denn die Anzahl der diesen Bereich betreffenden Gegenstände ist auf Seiten des Bundes seit 1949 stets angestiegen. Die Länder nahmen diese Entwicklung auf Grund der Tatsache hin, dass sie durch mehr Beteiligungsrechte im Bundesrat ‚entschädigt’ wurden.[17] „Der extensive Zugriff des Bundes auf die Materien der konkurrierenden Gesetzgebung unter Berufung auf ‚Herstellung gleicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet’ und ‚Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatliche Interesse’ (Art. 72 Abs. 2 GG) haben zu einem Autonomieverlust der Länder geführt“[18] und sogar zu der Annahme, dass den „Landesparlamenten […] nur noch ein marginaler Einfluss auf die Staatsleitung zugeschrieben“ wird und manche sogar behaupten, dass „gar die Staatsqualität der Länder bedroht [sei], weil sie über gar keine relevanten Gesetzgebungszuständigkeiten mehr verfügen.“[19]
Die konkurrierende Gesetzgebung ist allerdings nicht der einzige Grund eines legislativen Kompetenzverlustes der Bundesstaaten[20], auch die Einführung der Gemeinschaftsaufgaben trug hierzu bei. „Sie war ein Versuch, die wildwuchernde Kooperationspraxis und Fondswirtschaft verfassungsrechtlich zu kanalisieren, mit deren Hilfe außerhalb der Verfassungsnormen die Durchführung von Länderaufgaben mit Bundesmitteln ermöglicht wurde. Die Gemeinschaftsaufgaben institutionalisierten und verrechtlichten nun diese Kooperation, beschränkten aber zugleich die Zuständigkeit der Länder in Aufgabenbereichen, in denen sie bislang zuständig waren“.[21] Dies waren beispielsweise der Hochschulbau oder die regionale Wirtschaftsförderung. Der ‚goldene Zügel’ des Bundes wurde zu einer ‚Angebotsdiktatur’, die die Abhängigkeit der Länder noch weiter steigerte, da es sich kaum ein Land leisten konnte, 50 Prozent Angebote des Bundes auszuschlagen. Aufgrund der zunehmenden Verschuldung des Bundes wurde aus dieser Angebotsdiktatur bald eine ‚Diktatur der leeren Kassen’ und dadurch hatten die Länder doppelt verloren, da sie nicht einmal mehr das Geld, das sie gegen ihre Kompetenzen eingetauscht hatten, erhielten.[22] Diese Tatsache führte dazu, dass die Gemeinschaftsaufgaben im wissenschaftlichen Diskurs „als Kern dessen [angesehen wurden], was (mit allen negativen Konnotationen) unter Politikverflechtung verstanden wird.“[23]
Diese Politikverflechtung im Bereich der Gesetzgebung war und ist einer der größten Kritikpunkte „an der derzeitigen Ausformung des Föderalismus in Deutschland […], sorgt doch diese Aufteilung immer wieder für gesetzgeberischen Stillstand und damit, zumindest partiell, auch für gesetzgeberische Ineffizienz“.[24]
Ein weiterer negativer Erscheinungsaspekt der Politikverflechtung ist, dass sie den Staat bürgerfern macht. Die zunehmende Undurchschaubarkeit der politischen Prozesse und Entscheidungen werden aus Sicht des Bürgers anonym getroffen und somit ist eine klare Zuordnung der Verantwortung kaum möglich. Dadurch erfährt der Bürger den Staat als intransparentes, fernes Gebilde, in dem sämtliche Zuständigkeiten ineinander verflochten sind.[25] Damit ist, überspitzt formuliert, der Grundsatz „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ (Art. 20 Abs. 2 GG) nicht mehr gewährleistet, da der Bürger nicht durch Wahlen auf die Politik reagieren kann, weil er die Entscheidungen nicht zuordnen kann.
[...]
[1] Lehmbruch, Der unitarische Bundesstaat in Deutschland, PVS32 - 2001, S.53 (103)
[2] vgl. Schmidt-Jorzig, Reformbedürftigkeit des deutschen Föderalismus, APuZ 13-14 2005, S.6
(7-8)
[3] vgl. Hrbek/Eppler, Deutschland vor der Föderalismusreform, ocp28 2003, S. 9-25
[4] vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 11.05.2005
[5] Johannes Rau, Rede beim Föderalismuskonvent der deutschen Landtage am 31.03.2003 in
Lübeck
[6] vgl. Lehmbruch, Der unitarische Bundesstaat in Deutschland, PVS32 - 2001, S.53 (55)
[7] vgl. Schmidt-Jorzig, Reformbedürftigkeit des deutschen Föderalismus, APUZ13-14 - 2005,
S.6 (9)
[8] ebenda
[9] BVerfGE 8, 274
[10] Scharpf, Föderalismusreform: Weshalb wurde so wenig erreicht?, APuZ50 - 2006, S. 6 (6)
[11] Reutter, Regieren nach der Föderalismusreform, APuZ50 - 2006, S. 12 (13)
[12] Sturm, Eine Bilanz aus politikwissenschaftlicher Sicht, ZPol Feb 2006, S.185 (191)
[13] Sturm, Eine Bilanz aus politikwissenschaftlicher Sicht, ZPol Feb 2006, S.185 (192)
[14] vgl. Koalitionsvertrag
[15] Art. 70 Abs. 1 GG
[16] Reutter, Regieren nach der Föderalismusreform, APUZ50 - 2006, S. 12 (16)
[17] vgl. ebenda
[18] Borchad/Margedant, Die Bundesstaatskommission im Umfeld der Reformdiskussion, ZPol
Sep 2004, S.9(11)
[19] ebenda
[20] Die Rahmengesetzgebung wurde mittlerweile im Einvernehmen von Bund und Ländern
abgeschafft und wird in dieser Arbeit keine
Beachtung mehr finden, da die Problematik anhand der konkurrierenden Gesetzgebung bereits
hinreichend dargestellt wurde.
[21] Oberreutter, Die Länder und Landesparlamente im föderalen Gefüge, ZPol Feb 2006,
S.117(121)
[22] vgl. ebenda
[23] Sturm, Eine Bilanz aus politikwissenschaftlicher Sicht, ZPol Feb 2006, S.185(194)
[24] Brenner, Zukunftsperspektiven des Föderalismus aus Sicht des Verfassungsrechts, ZPol Feb
2006, S.199(207)
[25] vgl. Borchad/Margedant, Die Bundesstaatskommission im Umfeld der Reformdiskussion, ZPol
Sep 2004, S.9(10)
- Arbeit zitieren
- Björn Dietrich (Autor:in), 2007, Föderalismusreform für die Bundesrepublik Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134953