Volksentscheide auf Bundesebene

Ein Mittel zur Revitalisierung der deutschen Demokratie?


Hausarbeit, 2005

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Begriffsbestimmungen: Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid

3. Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in Deutschland
3.1 Kommunale Ebene
3.2 Landesebene
3.3 Bundesebene

4. Zur Einführung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene: Für und Wider
4.1 Ablehnende Stimmen
4.2 Befürwortende Stimmen

5. Fazit

1. Einleitung

Am 19. September 2004, nur wenige Wochen bevor die Welt den 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee feiert, ziehen DVU und NPD in die Landtage Brandenburgs und Sachsens ein. Die NPD erreicht in Sachsen einen Stimmenanteil von 9,2 Prozent und liegt damit nur knapp hinter der SPD, die mit 9,8 Prozent das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte erzielt. Unabhängig von den gegenwärtig diskutierten Fragen, ob ein neuerliches Verbotsverfahren gegen die NPD erfolgversprechend ist, und ob die Wirtschaftspolitik der Regierung Schröder für den Aufschwung der Rechtsradikalen verantwortlich zeichnet, weisen die Wahlerfolge von DVU und NPD eindeutig auf ein schwerwiegendes Problem hin: Eine beträchtliche Anzahl Bürger bzw. Wähler ist mit der staatlichen Verfasstheit Deutschlands derart unzufrieden, dass sie für Parteien stimmen, die die bestehende demokratische Ordnung kategorisch ablehnen und ihre Zerschlagung anstreben. Eine wachsende Unzufriedenheit der Bürger manifestiert sich auch in einer kontinuierlich sinkenden Wahlbeteiligung, insbesondere bei Kommunal- und Landtagswahlen sowie Wahlen zum Europäischen Parlament.[1] Zum Beispiel beteiligten sich im Jahr 2004 nur 43 Prozent am Urnengang zum Europaparlament, während es 1994 noch stolze 60 Prozent waren (vgl. www.destatis.de). Zahlreiche Umfrageergebnisse lassen ebenfalls eine steigende Unzufriedenheit der Bürger mit dem politischen System der Bundesrepublik erkennen. So glaubt etwa die Hälfte der Menschen in Deutschland nicht daran, dass die Demokratie dazu in der Lage ist, die zentralen nationalen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen (vgl. Pazelt 2001: 9).

Im Hinblick auf die geschilderte Problematik zeichnen sich sowohl der wissenschaftliche als auch der öffentliche Diskurs durch zahlreiche verschiedene Reform­vorschläge aus. Beispiele hierfür sind die jüngst gescheiterte Föderalismuskommission, die Forderung nach mehr Transparenz der Nebeneinkünfte von Abgeordneten und die bereits angesprochenen, parteiübergreifenden Überlegungen bezüglich eines neuen Verbotsverfahrens gegen die NPD. Im Mittelpunkt der vorliegenden Hausarbeit soll jedoch ein anderer Vorschlag stehen: die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene. Zum einen dreht sich ein Großteil der Reformdiskussion seit langem um die Idee, direktdemokratische Elemente zu stärken. Zum anderen gewinnt diese Frage vor dem Hintergrund zahlreicher Volks­abstimmungen über die Annahme der Europäischen Verfassung in anderen EU-Staaten momentan besondere Aktualität – 70 Prozent der Deutschen würden eine Volksabstimmung zu diesem Thema begrüßen (vgl. Feldenkirchen u.a. 2004: 22).

Im Rahmen dieser Hausarbeit sollen folgende zwei Fragen diskutiert und beantwortet werden:

1. Wie ist das direktdemokratische Instrument der Volksabstimmung auf natio­naler Ebene im Allgemeinen zu bewerten?
2. Wie ist der Vorschlag der rot-grünen Koalition zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene zu bewerten?

Dazu werden in einem ersten Schritt die Begriffe „Volksinitiative“, „Volksbegehren“ und „Volksentscheid“ definiert (Kapitel 2). Im Anschluss daran gilt es aufzuzeigen, in welchem Maße diese direktdemokratischen Elemente auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene bereits institutionalisiert sind (Kapitel 3). Bevor in einem abschließenden Fazit der demokratische Nutzen plebiszitärer Elemente im Allgemeinen sowie der aktuelle Gesetzesentwurf der Regierung Schröder im Speziellen diskutiert werden (Kapitel 5), sollen zudem die zentralen Argumente für bzw. gegen Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid dargestellt werden (Kapitel 4).

2. Begriffsbestimmungen: Volksinitiative, Volksbegehren,
Volksentscheid

Um direktdemokratische Elemente zu klassifizieren, bietet es sich an, das Maß an tatsächlicher Entscheidungsgewalt zu Grunde zu legen, das sie den Bürgern einräumen. Schließlich macht es einen erheblichen Unterschied, ob das Volk dem Parlament lediglich ein Gesetz vorschlagen kann, oder ob es die Kompetenz besitzt, das besagte Gesetz selbst zu verabschieden. Einen derartigen Klassifikationsversuch stellen die Begriffe „Volksinitiative“, „Volksbegehren“ und „Volks­entscheid“ dar, die im Folgenden näher erläutert werden:[2]

Volksinitiative

Der Begriff „Volksinitiative“ bezeichnet ein verfassungsrechtliches Vorschlagsrecht der Wählerschaft. Eine erfolgreiche Volksinitiative zwingt das Parlament dazu, sich mit einem Gesetzesvorhaben auseinanderzusetzen. Voraussetzung dafür ist, dass eine festgeschriebene Mindestanzahl von Bürgern die Volksinitiative unterstützt (Quorum). Verabschiedet das Parlament den Gesetzesentwurf der Bürger nicht innerhalb einer bestimmten Zeit, kann ein Volks­be­gehren eingeleitet werden (vgl. Sampels 1998: 18).

Volksbegehren

Scheitert eine Volksinitiative im Parlament, ist das nächste direktdemokratische Mittel, dessen sich die Wähler bedienen können, das Volks­begehren. Um ein Volksbegehren zu initiieren, bedarf es im Vergleich zur Volks­initiative einer deutlich höheren Anzahl von Unterschriften wahlberechtigter Bürger. Ist ein Volks­begehren erfolgreich, wird dem Parlament erneut eine Frist gesetzt, innerhalb derer es das jeweilige Gesetzesvorhaben verabschieden kann. Findet das vorgeschlagene Gesetz in der Volksvertretung wiederholt nicht die nötige Zustimmung, wird die Entscheidung darüber dem Parlament entzogen und dem Volk selbst überantwortet – es kommt zum Volksentscheid (vgl. Sampels 1998: 19).

Volksentscheid

Im Rahmen eines Volksentscheid-Verfahrens darf die Regierung in der Regel einen eigenen Gesetzesentwurf zur Abstimmung vorlegen, der als Alternative zum Gesetzesvorschlag der Bürgerschaft dient. Die Gesetzesvariante der Bürger wird rechtskräftig, wenn sich eine Mindestanzahl aller Wahlberechtigten an der Abstimmung beteiligt (Beteiligungsquorum) und der Vorschlag eine Mehr­heit erreicht (Zustimmungsquorum) (vgl. Sampels 1998: 20).

Die dargestellten direktdemokratischen Elemente Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid ergänzen sich zwar, treten deshalb jedoch nicht zwangs­läufig immer gemeinsam auf. So gibt es etwa Staaten, in denen die Möglichkeit der Volksinitiative institutionell verankert ist, nicht aber Volksbegehren und Volksentscheid. Den wohl größten Einfluss übt das Volk mit Hilfe der drei aufgeführten plebiszitären Instrumente in der Schweiz aus (vgl. Bütler 2000: 175).

Streng von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid zu unterscheiden sind Referenden über bestimmte politische Sachfragen, die von Seiten der Regierung veranlasst werden. So können beispielsweise der französische Präsident oder der spanische Ministerpräsident entsprechende Referenden durch­führen lassen, wenn es ihnen opportun erscheint.[3] Im Rahmen der vorliegenden Hausarbeit geht es jedoch nicht in erster Linie um derartige „Opportunitätsplebiszit[e]“ (Gebhardt 2000: 15), sondern um die verfassungsmäßig institutionalisierte Möglichkeit, Sachentscheidungen sowohl auf Initiative des Volkes als auch durch das Volk zu treffen.

3. Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in Deutschland

Im folgenden Kapitel, das die Institutionalisierung direktdemokratischer Elemente auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene untersucht, stehen Volks­initiative, Volksbegehren und Volksentscheid im Mittelpunkt des Interesses. Die Direktwahl von Bürgermeistern, Ministerpräsidenten oder Staatspräsidenten bleibt dabei bewusst unberücksichtigt, da sie keinen direktdemokratischen Charakter besitzen, sondern vielmehr der repräsentativen Demokratie zugehören. Wenn im Rahmen der vorliegenden Arbeit von direktdemokratischen Entscheidungsprozessen die Rede ist, sind in Anlehnung an Theo Schiller ausschließlich „Sach­abstimmungen auf Initiative von unten“ (Schiller 2000: 82) gemeint. Vor dem Hintergrund dieser Prämisse erklärt sich, wieso Personenwahlen wie zum Beispiel die des Bürgermeisters – mögen sie auch direkt erfolgen – der repräsentativen Demokratie zugerechnet werden.

3.1 Kommunale Ebene

Bei der Analyse der Entwicklung direkter Demokratie auf kommunaler Ebene fällt auf, dass die flächendeckende Etablierung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid ein Prozess ist, der sich im Laufe der vergangenen 15 Jahre vollzogen hat – sprich: Es handelt sich um eine vergleichsweise junge Entwicklung. Bevor wir uns jedoch der näheren Betrachtung dieses Phänomens widmen können, gilt es, begriffliche Besonderheiten zu klären, die uns auf kommunaler Ebene begegnen. So spricht man im Gegensatz zur Landes- und Bundes­ebenen im Kommunalbereich statt von Volksinitiative, Volksbegehren und Volks­entscheid häufig von Bürgerinitiative, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Als Alternative zum Begriff der Bürgerinitiative wird bisweilen auch von Bürger- oder Einwohnerantrag gesprochen (vgl. Schiller 2000: 83). Da sich hinter den verschiedenen Begrifflichkeiten keine – wie man vermuten könnte – relevanten Unterschiede verbergen, werden mit dem Ziel einer möglichst klaren und eindeutigen Sprache im Weiteren für alle drei politischen Ebenen ausschließlich die Begriffe Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid verwendet.[4]

Wenn betont wird, dass der Siegeszug direktdemokratischer Elemente in den 1990er Jahren stattfand, darf nicht übersehen werden, dass Baden-Württemberg bereits 1956 Volksbegehren und Volksentscheide auf kommunaler Ebene einführte (vgl. Beilharz 1981). In den 1960er und 1970er Jahren gehörte es im Rahmen von parteipolitischen Programmdiskussionen zwar zum guten Ton herauszustellen, dass sich plebiszitäre Elemente gut für den Lokalbereich eignen würden. „Doch in den Gemeindeordnungen geschah überhaupt nichts.“ (Schiller 2000: 85) Erst ab 1990 setzt eine neue Entwicklung ein, wobei insbesondere folgende drei Faktoren ausschlaggebend waren:

[...]


[1] Auf die Darstellung der Diskussion darüber, ob eine sinkende Wahlbeteiligung als Krisensymptom zu werten ist oder eher Stabilität signalisiert, wird an dieser Stelle verzichtet. Vergleiche hierzu instruktiv Kevenhörster 1997: 199.

[2] Bei der Definition der drei Begriffe „Volksinitiative“, „Volksbegehren“ und „Volksentscheid“ stütze ich mich im Wesentlichen auf die Dissertation von Guido Sampels (vgl. Sampels 1998).

[3] Als aktuelles Beispiel, das auf beide Länder zutrifft, lassen sich an dieser Stelle die Referenden über die Annahme der europäischen Verfassung anführen.

[4] Die Ausführungen zur direkten Demokratie auf kommunaler Ebene folgen zu großen Teilen dem Aufsatz von Theo Schiller (vgl. Schiller 2000).

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Volksentscheide auf Bundesebene
Untertitel
Ein Mittel zur Revitalisierung der deutschen Demokratie?
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
25
Katalognummer
V135328
ISBN (eBook)
9783640432325
ISBN (Buch)
9783640432424
Dateigröße
509 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Volksentscheide, Bundesebene, aktuelle Diskussion, Pro und Contra, Volksbegehren, Politikwissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität
Arbeit zitieren
Malte Peters (Autor:in), 2005, Volksentscheide auf Bundesebene, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135328

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