[...] Die unterschiedlichen Ansätze zur Definition von Nation haben sich besonders seit der französischen Revolution entwickelt. Maßgebend für die Entwicklung ist die politische Kampfschrift „Was ist der dritte Stand?“ von Emmanuel Joseph Sieyes. Dort gebraucht der Autor einen speziellen Nationenbegriff. Das Ziel dieser Arbeit ist es, diesen speziellen Nationenbegriff zu erläutern. Dazu wird sich der vorliegenden Quelle nach dem Schema zur Quellenkritik und Quelleninterpretation von Borowski, Vogel, Wunder genähert. Als Hilfsmittel hierzu dient Fachliteratur. Als erstes wird die Quellenkritik mit Quellenbeschreibung, Textsicherung, äußerer und innerer Kritik durchgeführt. Letztere setzt sich zusammen aus der sprachlichen und der sachlichen Aufschlüsselung. Danach folgt die Quelleninterpretation mit dem Schwerpunkt auf der Frage: Welches Bild einer Nation wird in Sieyes Schrift über den dritten Stand deutlich? Diese umfasst die textimmanente Inhaltsangabe der Quelle und die Behandlung meiner Fragestellung. Diese lautet: Worin bestehen die Besonderheiten des Nationenbegriffs von Emmanuel Joseph Sieyes, den er in seiner Schrift „Was ist der dritte Stand?“ darlegt? Im Schlussteil wird neben einer kurzen Zusammenfassung der Erkenntniswert der Quelle dargelegt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Quellenkritik
2.1 Quellenbeschreibung
2.2 Textsicherung
2.3 Äußere Kritik
2.4 Innere Kritik
2.4.1. Sprachliche Aufschlüsselung
2.4.2. Sachliche Aufschlüsselung
3. Quelleninterpretation
3.1 Inhaltsangabe
3.2 Worin bestehen die Besonderheiten des Nationenbegriffs von Emmanuel
Joseph Sieyes, den er in seiner Schrift „Was ist der dritte Stand?“ darlegt?
4. Schluss
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Es gibt sehr viele verschiedene Ansätze zum Begriff der „Nation“. Es handelt sich sowohl um ethnische, geografische, kulturelle, sprachliche als auch politische Definitionsversuche.
Der Historiker Benedict Anderson[1] etwa definierte Nation 1983 als vorgestellte Gemeinschaft, die souverän agiert. Vorgestellt, weil die Angehörigen die meisten anderen Mitglieder niemals treffen würden, sie aber trotzdem eine Vorstellung ihrer Gemeinschaft hätten. Souverän wäre die Nation, weil sie aus der Zeit der Aufklärung stamme, die die Monarchien zerstörten. Eine Gemeinschaft wäre sie, weil sie als Verbund von Gleichen verstanden würde.
Einen anderen Ansatz vertrat der Religionswissenschaftler Ernest Renan[2], der die Nation in einer subjektivistischen Definition als „tägliche[n] Plebiszit“[3] bezeichnete. Der Zusammenhalt einer Nation beruhe demnach auf den ständig erneut getroffenen freien Bürgerentscheidungen. In dieser Definition seien als Bedingung zur Entstehung einer Nation ebenfalls die Idee der Volkssouveränität sowie entweder eine revolutionäre Situation oder ein bestehender Rechtsstaat wichtig.
Diese beiden Beispiele zeigen bereits, wie vielschichtig man den Begriff Nation auffassen und definieren kann.
Die unterschiedlichen Ansätze zur Definition von Nation haben sich besonders seit der französischen Revolution entwickelt. Maßgebend für die Entwicklung ist die politische Kampfschrift „Was ist der dritte Stand?“ von Emmanuel Joseph Sieyes[4]. Dort gebraucht der Autor einen speziellen Nationenbegriff. Das Ziel dieser Arbeit ist es, diesen speziellen Nationenbegriff zu erläutern.
Dazu wird sich der vorliegenden Quelle nach dem Schema zur Quellenkritik und Quelleninterpretation von Borowski, Vogel, Wunder[5] genähert. Als Hilfsmittel hierzu dient Fachliteratur. Als erstes wird die Quellenkritik mit Quellenbeschreibung, Textsicherung, äußerer und innerer Kritik durchgeführt. Letztere setzt sich zusammen aus der sprachlichen und der sachlichen Aufschlüsselung. Danach folgt die Quelleninterpretation mit dem Schwerpunkt auf der Frage: Welches Bild einer Nation wird in Sieyes Schrift über den dritten Stand deutlich? Diese umfasst die textimmanente Inhaltsangabe der Quelle und die Behandlung meiner Fragestellung.
Diese lautet: Worin bestehen die Besonderheiten des Nationenbegriffs von Emmanuel Joseph Sieyes, den er in seiner Schrift „Was ist der dritte Stand?“ darlegt?
Im Schlussteil wird neben einer kurzen Zusammenfassung der Erkenntniswert der Quelle dargelegt.
2. Quellenkritik
2.1 Quellenbeschreibung
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die Flugschrift „Was ist der dritte Stand?“, geschrieben von Emmanuel Joseph Sieyes. Die Originaltexte der Schriften von Sieyes und somit auch „Was ist der dritte Stand?“ befinden sich im Nationalarchiv in Paris. Über den äußeren Erhaltungszustand der Quelle ist leider mangels Ansichtigkeit nichts zu sagen. Da es aber viele Übersetzungen des Textes gibt und keiner von Problemen des Erhaltungszustands spricht ist davon auszugehen, dass dieser einwandfrei ist.
2.2 Textsicherung
Die vorliegende Quelle ist der Schriftsammlung „Politische Schriften“ von Emmanuel Joseph Sieyes, herausgegeben und ins Deutsche übersetzt von Eberhard Schmitt und Rolf Reichardt, entnommen. Im Folgenden wird auf Grundlage der ins Deutsche übersetzten Version argumentiert, wobei dies natürlich Möglichkeiten zur Fehlinterpretation bietet. Diese sind allerdings als gering anzusehen, da kritische und dem Sinn nach nicht leicht zu übersetzende Begriffe von den Autoren auch mit den französischen Originalbegriffen versehen wurden.
Diese Version folgt der dritten Auflage der Schrift[6]. Leider ist nicht gekennzeichnet, welche Teile im Unterschied zur ersten und zweiten Auflage geändert wurden, sodass in dieser Arbeit nicht nachvollzogen werden kann, welche Teile der Quelle seit der ersten Auflage verändert worden sind. „Was ist der dritte Stand?“ enthält eine Fülle von Anmerkungen des Autors, die allerdings auch nicht den verschiedenen Auflagen zugeordnet werden können.
2.3 Äußere Kritik
Das Traktat „Was ist der dritte Stand?“ wurde von Emmanuel Joseph Sieyes geschrieben. Sieyes, geboren 1748, schlug eine geistliche Karriere ein. Diese führte den Kleinbürgersohn bis zum Diözesankanzler, welcher das höchste Amt für einen bürgerlichen Geistlichen darstellt. Sieyes war ein Anhänger der Sensualisten[7] wie Bacon und Locke und beschäftigte sich ebenfalls mit den Schriften von Voltaire und Rousseau.
Emmanuel Joseph Sieyes verfasste „Was ist der dritte Stand?“ während der Notabelnversammlung in Versailles im Dezember 1788, an der er teilgenommen hatte.
Diese Versammlung war nötig geworden, weil sich Frankreich in einer tiefen politischen Krise befand. Die Aufklärung griff die monarchistische Staatsform an und bekam großen Zulauf durch den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Es gab weiterhin große Missstände im Steuersystem, was einen Staatbankrott näher rücken ließ. Das große Bevölkerungswachstum sowie das Auseinanderdriften der Einkommen im Bürgertum infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs waren ebenfalls Gründe für die Krise.
Demzufolge lässt sich die Gemütsverfassung von Sieyes beschreiben. Wie in seinem Werk dargelegt, war Sieyes enttäuscht darüber, dass die Notabeln ihre Privilegien verteidigten, anstatt sich um eine Problemlösung zu bemühen[8].
Die Flugschrift „Was ist der dritte Stand?“ erschien im Januar 1789 zunächst anonym[9]. Das Erscheinen war möglich, weil Ludwig XVI. die Zensur gelockert hatte[10]. Das Traktat verkaufte sich in wenigen Tagen in über 30.000 Exemplaren[11] und ist damit eine der erfolgreichreichsten, wenn nicht die erfolgreichste, Flugschrift aller Zeiten. Die Adressaten des Traktats waren formell alle Einwohner Frankreichs, wobei die Schrift besonders der „Nation“ als Ganzes Handlungsanweisungen gab und den ersten beiden Ständen Versagen und Egoismus vorwarf und ihnen die Konsequenzen aufzeigte.
2.4 Innere Kritik
2.4.1. Sprachliche Aufschlüsselung
Privilegierte[12]
Sieyes unterscheidet zwischen Nichtprivilegierten, das heißt alle Angehörigen des dritten Standes, und Privilegierten[13]. Hierzu dient die Definition von Sieyes zu Privilegien aus der Schrift „Versuch über die Privilegien“. Privilegien erteilen bestimmten Personen entweder ein besonderes Recht für etwas, das gesetzlich nicht verboten ist oder entbinden diese von der Pflicht dem Gesetz Folge zu leisten. Wegen dieser Entbindung sind für Sieyes alle Privilegien der Natur der Dinge nach ungerechtfertigt.
Verfassung[14]
Der Verfassung wurde für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts von Montesquieu eine neue zentrale Stellung im politischen Konzept zugewiesen. Er übernahm die gängige Definition, die in der Verfassung ein Arrangement, die Lebensweise oder Disposition einer beliebigen Einheit sah. Nach Montesquieu beschreibt die Verfassung die grundlegende Ordnung eines Staates, die politische Existenzform einer Nation oder eine grundlegende Anordnung der Elemente oder Mächte. Dies bestimmte die Politik im zweiten Teil des 18. Jahrhunderts. Sieyes allerdings ersetzte dieses Verständnis von Verfassung als Einsetzen einer Regierung und nahm ihr damit die zentrale Bedeutung.
2.4.2. Sachliche Aufschlüsselung
Generalstände[15]
Die Generalstände waren ein „außergewöhnlicher Notbehelf“[16] für Krisenzeiten. Das Recht zur Einberufung lag beim König, der die Generalstände jederzeit tagen lassen oder auflösen konnte. Die Generalstände besaßen keine Rechte bei Fragen, die Regierung oder die Gesetzgebung betrafen, sondern dienten eher zur Akklamation der Regierung und des Monarchen in Krisenzeiten. Sie umfassten etwa 350 bis 450 Teilnehmer und tagten an verschiedenen Orten. Zum ersten Mal wurden sie 1302 von Philippe IV. einberufen[17]. Zum letzten Mal vor 1789 wurden sie 1614 von Maria de Medici einberufen, die nach der Ermordung Heinrichs IV. große Probleme mit der Rebellion des Prinzen von Condé hatte. 1788 hatte sich die Situation in Frankreich durch den drohenden Staatsbankrott, Volksunruhen, Hungersnöte und die daraus folgende Krise der Monarchie so weit verschärft, dass sich Ludwig XVI. gezwungen sah, die Generalstände einzuberufen.
[...]
[1] Kunze, Rolf-Ulrich, Nation und Nationalismus, Darmstadt 2005, vgl. S. 21 f.
[2] Jansen, Christian/Borggräfe, Henning, Nation - Nationalität – Nationalismus, Frankfurt a.M. 2007, vgl. S. 12 f.
[3] Ebenda, S. 12
[4] Zur Schreibweise Sieyes vgl. Albert Mathiez, Sieys ou Sieyes, in: Annales révolutionnaires 1 (1908)
[5] Borowski, Vogel, Wunder: Anleitung zur Quellenkritik und Quelleninterpretation, Opladen 1975, vgl. S. 120-126, 162-176
[6] Sieyes, Emmanuel Joseph, Politische Schriften 1788-1790.Mit Glossar und kritischer Sieyes-Bibliographie, Darmstadt/Neuwied3 1975, S. 119-195
[7] Im Sensualismus werden alle Erkenntnisse aus Sinneseindrücken oder Wahrnehmungen abgeleitet
[8] vgl. Sieyes, S. 148
[9] Erst in der 4. Auflage war „Was ist der dritte Stand“ mit „Sieyes“ unterzeichnet
[10] vgl. Schmitt, Eberhard, Repräsentation und Revolution. Eine Untersuchung zur Genesis der kontinentalen Theorie und Praxis parlamentarischer Repräsentation aus der Herrschaftspraxis des Ancien régime in Frankreich (1760-1789), München 1969, S.151
[11] vgl. Schmitt, Eberhard, Sieyes in: Maier, Hans/Rausch, Heinz/Denzer, Horst, Klassiker des politischen Denkens. Zweiter Band von Locke bis Max Weber, 1968 München, S. 142
[12] vgl. Sieyes, S. 93 f.
[13] vgl. Ebenda, S. 127
[14] vgl. Furet, François/Ozouf, Mona, Kritisches Wörterbuch der französischen Revolution, Frankfurt a.M. 1996, S. 896-919
[15] vgl. Furet/Ozouf, vgl. S. 96-109 und Bahlcke, Joachim, Art. Generalstände in: Enzyklopädie der Neuzeit, Stuttgart 2006, S. 438-443
[16] Ebenda, S. 96
[17] vgl. Sieyes, S. 312
- Arbeit zitieren
- Fabian Hartl (Autor:in), 2008, Worin bestehen die Besonderheiten des Nationenbegriffs von Emmanuel Joseph Sieyes?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135827
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