Geschlossene Brüdergemeinden - Geschichte - Lehre - Ökumene

Am Beispiel der Liturgie in der Kasseler Gemeinschaft


Diplomarbeit, 2009

102 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung

2. Problemdarstellung

3. Selbstverständnis der „Geschlossenen Brüdergemeinden“
3.1 Geschichtlicher Abriss
3.2 Lehre
3.2.1 Taufe
3.2.2 Mahl des Herrn
3.2.3 Allgemeine Priestertum
3.2.4 Absonderung
3.2.5 Stellung der Frau in der Gemeinde
3.2.6 Äußere Reglementierungen
3.3 Gemeindestruktur
3.3.1 Autonomie der lokalen Gemeinden
3.3.2 Dienste und Ämter
3.4 Kritik

4. Ökumene
4.1 „Geschlossene Brüdergemeinden“ und Ökumene
4.2 Ansichten der „Geschlossenen Brüder“ über die römisch- katholische Kirche
4.3 Mögliche Wege zur Annäherung

5. Darstellung eines Gottesdienstes bei den „Geschlossenen Brüder“
5.1 Vorstellung der Gemeinde
5.2 Gottesdienst
5.2.1 Ablauf
5.2.2 Predigt
5.3 Vergleich mit der römisch-katholischen Liturgie
5.3.1 Unterschiede
5.3.2 Gemeinsamkeiten
5.4 Auswertung

6. Fazit

7. Stellungnahme

8. Literaturverzeichnis

Vorwort

„Ein Teil der weltweiten Gemeinde Jesu und der Geschichte Gottes mit den Menschen ist die Brüderbewegung[[1] ], die seit Anfang des 19. Jahrhunderts sich weltweit ausbreitet und den Gedanken des ‚Allgemeinen Priestertums’ und der Einheit des Leibes Christi auf ihre Fahnen geschrieben hat.“[2] Die konservativsten Glieder innerhalb der „Brüderbewegung“, die seit 1848 durch Abspaltung in den unterschiedlichsten Lehrfragen entstandenen sind,[3] bilden eine abgesonderte Gruppe dieser „endzeitlich orientierten Bibelchristen.“[4] In der Forschung von Kirchengeschichte und Konfessionskunde sind diese unter den Designationen „Geschlossene Brüder“, „Christliche Versammlung“, „Plymouth-Brüder“ oder „Darbysten“ in der Literatur aufzufinden. Obwohl die „Brüder“ selbst jegliche Namensgebung, vor allem die der „Darbysten“, rigoros ablehnen, lässt es sich kaum abstreiten, dass sich ihr Glaubensverständnis sowie dessen konkrete Verwirklichung in der Praxis größtenteils auf das Gedankenkonstrukt und das einflussreiche Schaffen wie Wirken des anglikanischen Geistlichen John Nelson Darbys (1800-1882)[5] zurückführen lässt.[6] Nach Mt 23,8: „Ihr aber, lasst ihr euch nicht Rabbi nennen! Denn einer ist eurer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder“, postulieren sie selbst „Brüder“ genannt zu werden.[7] So sprechen sie sich untereinander als „Brüder“ an, ohne jedoch diesen Ausdruck im abspaltenden Verständnis als Vorzeichen einer Denomination[8] zu denken.[9] Es gilt als eines ihrer essentiellen Charakteristika, sich unter Berufung auf 1 Kor 1,12f.[10] keinen sich von anderen Gläubigen trennenden Anreden zu unterstellen. Die Person Darby gilt dabei gänzlich als Initiator der „Brüderbewegung“ sowie darüber hinaus auch in gewisser Hinsicht der Totalität des evangelikalen Christentums.[11] Die Anhänger der „Brüdergemeinden“ werden noch heute unumgänglich mit seinem Namen in Verbindung gebracht. „Diese Fremdbezeichnung wird jedoch nicht allen Zweigen der Bewegung gerecht.“[12]

Es ist eine unerklärliche, gar paradoxe Tatsache, dass die wissenschaftlich theologische Forschung in ihren Untersuchungen zur Historischen Theologie und Konfessionskunde bislang einen Mann fast vollkommen unberücksichtigt gelassen hat, der allerdings als eine Art Gründerfigur einer Sondergemeinschaft des Christentums fungiert: den Engländer John Nelson Darby und seine „Brüderbewegung“,[13] - obgleich der Einfluss, den Darby bis heute in der Theologie ausübt, bezeichnend ist. In den deutschsprachigen akademisch-theologischen Betrachtungen wird seiner Person und seinen Lehren allerdings bislang noch viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.[14] Der „Darbysmus“ wird bisweilen „als eine Nebenströmung der Kirchengeschichte übersehen […].“[15] Es wird weites gehend außer Acht gelassen, dass „während die Anfänge der Bewegung durch die von Edward Irving (1792-1834)[16] geförderte Hinneigung zu prophetischen Äußerungen gekennzeichnet sind, […] sie ihre eigentliche Gestalt doch durch das Wirken und die Schriften John Nelson Darbys (1800-1882) erhalten“[17] hat. Einige Autoren konstatieren sogar, dass es ohne die Person Darbys nie eine mehr oder weniger einheitliche internationale „Brüderbewegung“ gegeben hätte.[18] Mit dem Namen Darby wird oft aus Ignoranz, aus Polemik oder aufgrund schlichter Unkenntnis definitive Begrenztheit, sture Disziplin und Gesetzlichkeit verbunden. Das „Brüdertum“ besitzt daher bei einer Vielzahl von Menschen das Ansehen einer „kopftuchtragenden“ und „frauenunterdrückenden“ Bewegung strenggläubiger sowie engstirniger Christen.[19] Ob diese Vorurteile angemessen sind und diese dem Wesen der „Geschlossenen Brüder“ gerecht werden, gilt es in dieser Arbeit nachzugehen.

Wer authentisches Interesse an christlichen Konfessionen und Gemeinschaften außerhalb des Katholizismus, explizit für die bunte Mannigfaltigkeit im Bereich der evangelikalen Freikirchen bekundet und darüber hinaus akribisch nachzugehen versucht, ist der christlichen Bewegung der „Geschlossenen Brüdergemeinden“ möglicherweise schon einmal, sei es durch persönliche Erlebnisse mit Menschen aus einer solchen Gemeinschaft, sei es in dem umfangreichen, von Seiten der „Christlichen Versammlung“ hervorgebrachten Schriftgut[20] oder sei es durch Gottesdienstbesuche in jenen Gemeinden, begegnet.

Von Anbeginn des Christentums haben sich die Gläubigen zu Jesus Christus bekannt und sich ihm darüber hinaus in apodiktischer Weise zugehörig gefühlt. Ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt jedoch, dass es sehr rasch zur Bedrohung der Glaubenseinheit durch Diskrepanzen, Abspaltungen sowie Neugründungen aus den verschiedensten theologischen und machtpolitischen Abwägungen innerhalb der Gemeinden gekommen ist. Es kann keineswegs verschleiert werden, dass sich die Christenheit seit ihrer Gründung in zahllose christliche Gemeinschaften und Subgruppierungen bis ins Unermessliche hinein aufgesplittert hat. Diese leben geographisch, kulturell, gesellschaftlich oder lehrmäßig voneinander separiert. Sie sind aufgrund von Apologetik und Polemik voneinander abgegrenzt.[21] Der Zerfall der Gemeinde beginnt bereits im Neuen Testament und zieht sich über die komplette Kirchengeschichte bis in die Gegenwart hindurch.[22] Zweifellos können wir uns ohne Argwohn eingestehen, dass ein Teil dieser Spaltungen durchaus als gesunde Vielfalt in der Einheit betrachtet werden kann, da sie aus geschichtlicher oder kultureller Notwendigkeit heraus entstanden sind und in die Zeit hinein wachsende Früchte getragen haben. Einige Autoren behaupten gerade zu, dass die frühe Kirche durch den Schatz der mannigfachen theologischen Entwürfe des Neuen Testaments ausgezeichnet sei. Die Schriften des Neuen Testaments beherbergen in der Tat mehrere verschiedene Theologieansätze, die unterschiedliche Konzeptionen von Kirche sichtbar werden lassen.[23] Diese Differenziertheit stellt einen enormen Gewinn für die Gesamtheit der Christenheit dar, der sich ebenfalls in den unterschiedlichen Ausprägungen der christlichen Kirchen widerspiegeln würde.[24] Ernst Käsemann (1906-1998)[25] vertritt die Auffassung, dass der neutestamentliche Kanon mit seinen verschiedenen Theologieansätzen nicht die Kircheneinheit begründet, er etabliert vielmehr die Vielzahl der Konfessionen.[26] Der in seiner Endgestalt vorliegende Kanon legitimiert demnach in seiner Faktizität nicht nur alle Konfessionen, sondern „mehr oder weniger alle Sekten und Irrlehren.“[27] Allerdings wäre es an dieser Stelle fatal, Selbstzufriedenheit gegenüber unserem getrennten Glauben und Leben als Christen zu empfinden. Die christliche Kirche darf nicht gespalten sein, denn sie begreift sich als der ungeteilte, Zusammengehörigkeit fördernde Leib Christi. Bereits der Verfasser des Epheserbriefes schreibt hierzu: „Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen worden seid in einer Hoffnung eurer Berufung! Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alle und in allen ist“ (Eph 4,4-6).

Die entscheidende Auseinandersetzung in der vorliegenden Arbeit spielt sich im Rahmen einer Glaubensgemeinschaft der „Geschlossenen Brüder“ ab, mit der ich persönlich durch die intensive Begegnung mit einem jungen Mann aus einer solchen Versammlung vor mehreren Jahren ganz unweigerlich konfrontiert worden bin. „Nur die Geschlossenen Brüder begreifen den Willen Jesu so radikal, daß (sic) sie nicht nur getrennt von allen ‚religiösen Systemen’, nur zum Namen Jesu hin zusammenkommen, daß (sic) sie auch nicht nur selbst keine Denomination sein wollen – auch nicht als ,Brüder’, sondern nur als Brüder in Christus -, sondern sich auch dessen gewiß (sic), daß (sic) ein Verharren in den religiösen ,Systemen’ Ungehorsam gegenüber dem Willen Gottes, also Sünde ist.“[28] Das Konstrukt der „Christlichen Versammlung“ fühlt sich somit keiner Kirche, Freikirche, Konfession oder anderen religiösen Denotationen von Glaubensgruppierungen zugehörig.[29] Ihre rigorose Haltung der Absonderung von allen Systemen, Benennungen sowie Parteien außerhalb ihrer selbst meinen sie mit bestimmten aparten Sonderlehren und äußeren Regeln – die es zweifellos zu hinterfragen gilt, – rechtfertigen zu können.[30] Seit Entstehung des Phänomens der „Brüdergemeinden“ ist zur Absonderung aufgerufen worden. Absonderung bedeutet immer Trennung und geht mit der Distanzierung allen außerhalb ihres eigenen Glaubenskreises Befindlichen einher.[31] In Deutschland existieren noch mehrere Gemeinden, die den radikalen Exklusivismus in seiner traditionellen Form der Isolierung und Introvertiertheit weiter bestehen lassen. Ihre Relevanz sowie Anziehungskraft unter den Christen anderer Ausprägung ist allerdings relativ gering.[32] Dies liegt sicherlich zum einem an dem Dissens innerhalb der Bewegung, an ihren strikten Satzungen in Bezug auf die Separation ihrer Mitglieder von der säkularisierten Außenwelt, – die in der Realität in all ihrer Konsequenz kaum durchzuführen ist, – zum anderen aber auch an dem Defizit der Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum. Es wird weites gehend auf Öffentlichkeitsarbeit verzichtet, man sucht vielmehr den persönlichen Kontakt mit einzelnen interessierten Personen. Ihr Einfluss bleibt somit oftmals auf die Anhängerschaft der „Brüderbewegung“ beschränkt.[33] Dennoch haben solche Gemeinden eine gewisse Faszination, trotz bestimmter und zweifellos angebrachter Kritikpunkte bei mir hervorgerufen, die mich gefesselt sowie darüber hinaus zur Auswahl und Schreiben meines Diplomarbeitsthemas motiviert hat. Man muss sich dabei vor Augen führen, dass laut der Aussage von Willem J. Ouweneel[34] bereits heute 11% der Menschheit, das entspräche 33% der Christenheit, zu den evangelikalen Gemeinschaften zählen. Diese Glaubensgemeinschaften seien mit ihren mehr als 600 Millionen Mitgliedern die am schnellsten anreichernde religiöse Bewegung in der ganzen Welt.[35] Die „Brüdergemeinden“ bilden gemeinsam mit dem im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland zusammengeschlossenen Baptisten[36] die größte Freikirche in Deutschland.[37] Der zahlenmäßige Anteil der „Brüder“ ist hierbei zweifellos gering. Diese nicht zu beachten bzw. die nötige Aufmerksamkeit zu zollen, wäre mehr als ignorant. Wir sollten uns den verschiedenen religiösen Entwicklungen und Strömungen außerhalb des je eigenen Glaubenskreises bewusst und vertraut werden. Allein die bloße Existenz der „Brüdergemeinden“ und ihre weite Verbreitung sollte theologisches Interesse hervorrufen.[38] Angesichts der gegenwärtig international vorhandenen, auch quantitativ nicht unbedeutenden Verbreitung der Lehren Darbys[39] eröffnet sich die dogmatische, theologische sowie ökumenische Relevanz bzw. Signifikanz der vorliegenden Ausarbeitung. Ungeachtet dessen, dass die Schriften Darbys in Deutschland noch geringfügig Verbreitung finden.

1. Einleitung

Mit Hilfe der hier vorliegenden Diplomarbeit: „’Geschlossenen Brüdergemeinden’. Geschichte – Lehre und Verfassung – Ökumene. Am Beispiel der Liturgie in der Kasseler[40] Gemeinschaft“, möchte ich mich intensiver mit dem religiösen Glaubenskonstrukt der „Geschlossenen Brüder“ auseinandersetzen und dieses differenzierter betrachten. In einem ersten Zugang wird sich der genannten Thematik im Rahmen einer Problemdarstellung sowie kritischen Hinterfragungen angenähert. Weiter wird das Selbstverständnis der „Christlichen Versammlung“ erörtert. Bei der Darstellung des Legitimationsverständnisses geht es primär darum, wie die Gemeinden sich aus ihrem je eigenen Verstehen heraus begreifen und sich in der Literatur präsentieren. Über einen prägnanten Auszug der „Brüdergeschichte“ wird sich einzelnen Lehren und Reglementierungen zugewendet. Eine kritische Auswertung der zuvor gewonnen Erkenntnisse schließt diesen Teil ab. Anschließend wird der Versuch unternommen, die Ergebnisse in den Kontext der Ökumene zu transferieren sowie denkbare Berührungspunkte beider Glaubensgemeinschaften zueinander aufzuzeigen. Am konkreten Paradigma eines Gottesdienstes der Gemeinde in Kassel werden die Differenzen sowie Gemeinsamkeiten beider Gemeinschaften in liturgischer Verständigkeit gegenübergestellt, um eine Auswertung sowie einen sich anschließenden Fazit zu formulieren. Die wissenschaftliche Ausarbeitung wird mit einer persönlichen Stellungnahme beendet. - Diese Diplomarbeit möchte einen Beitrag zum Verständnis der „Geschlossenen Brüdergemeinden“ liefern, welches zum interkonfessionellen Gespräch mit der „Christlichen Versammlung“ der heute in Deutschland existierenden „Brüderbewegung“, führen kann. Es wird der Versuch unternommen, die Ideen, Gedanken und Lehren des „Darbysmus“ konstruktiv sowie adäquat zu vermitteln. Die Kenntnisse zu dieser Bearbeitung entstammen zum einen aus der angegebenen Literatur, zum anderen aus der Teilnahme an einer so genannten Glaubenskonferenz[41] der „Geschlossenen Brüder“ in Essen im Jahr 2004, aus persönlichen Besuchen sowie einigen Gesprächen mit der Gemeinde in Kassel. Es wird angestrebt, die „Geschlossene Brüderversammlung“ als römisch-katholische Außenstehende in absoluter religiöser Integrität zu beleuchten. Die Arbeit ist in bestrebter Objektivität verfasst. Dabei ist darauf geachtet worden, den kritischen Abstand eines Wissenschaftlers zu wahren, der sich seiner Subjektivität vollauf bewusst ist. Die Darstellung der „Geschlossenen Brüdergemeinden“ wird durch die Form und Haltung der von Seiten des „Brüderkreises“ hervorgebrachten Schriften und der zugrunde liegenden Literatur erschwert. Die Bewegung verschmäht grundsätzlich alle Wissenschaft und ausnahmslos alle Theologie. „Alle Irrtümer der Kirchengeschichte seien aus der Theologie hervorgegangen […].“[42] Das Schrifttum, das existiert, ist fast ausnahmslos erbaulichen Charakters und zumeist im Traktatstil gehalten. Die Schriften werden von Verlagen[43], die in Verbindung mit der „Brüderbewegung“ stehen, herausgegeben und verlegt. Nach einer wissenschaftlichen, logischen sowie stringenten Gedankenentwicklung sucht man vergebens.[44] Anzumerken ist, dass diese Arbeit in der neuen Rechtschreibung verfasst ist, wobei die Orthographie von Zitaten im Original beibehalten ist. Zitate aus der Heiligen Schrift werden der revidierten Elberfelder Bibelübersetzung[45] entnommen, da sie die gebräuchliche Bibel der „Brüdergemeinden“ darstellt.[46]

Die Frage nach anderen christlichen Religionsgemeinschaften außerhalb der Katholischen Kirche besitzt für alle, die sich in einem theologischen Diskurs oder in Divergenz mit Menschen anderer Glaubensrichtung befinden, große Relevanz und Brisanz. Aufgrund dieser Tatsache beschäftigt sich diese Arbeit auch in Hinblick auf die Ökumene im primär katholischen Kontext und versucht mit der Thematik der „Geschlossenen Brüdergemeinden“ dabei neue Wege und Möglichkeiten zu einer umfassenden Verbundenheit im Glauben mit den evangelikalen Brüdern und Schwestern der „Christlichen Versammlungen“ zu erschließen. Der Wunsch nach der Einheit liegt besonders denjenigen Menschen am Herzen, die Bereitschaft signalisieren, Vorurteile übereinander, Unkenntnis voneinander, gefühlsmäßigen Aversionen und institutionalisiertes Misstrauen endlich abzubauen. Nach Einheit sehnen sich alle, die darunter zu leiden haben, dass die Christenheit gespalten ist.[47]

Ziel dieser Ausarbeitung wird es keineswegs sein, das Ende der Glaubensspaltung zwischen beiden Gemeinschaften zu bereiten – dies wäre sicherlich utopisch und viel zu idealistisch gedacht. Es ist gewiss, „daß (sic) eine Vereinigung der Kirchen zu einer einheitlichen kirchlichen Institution in unserer Generation ausgeschlossen ist.“[48] – Vielmehr wird angestrebt, Denkanstöße zu geben, die zu einem Umdenken in den verfahrenen, gar festgefahrenen Gedankengebäuden beider „Systeme“ führen können. Es soll die Gelegenheit zum offenen Dialog geboten sein, der Brücken schlagen kann, der einander die Hände zur Versöhnung, Brüderlichkeit sowie Gemeinschaft im Herrn Jesu Christi reicht. Ein Kennenlernen mit den Brüdern und Schwestern der „Christlichen Versammlung“ soll ermöglicht werden, das Horizonte eröffnet. Richtungspunkt dieser Bearbeitung stellt vielmehr die Aufarbeitung der „Brüdergeschichte“, explizit die der „Geschlossenen Brüder“ mit ihren Lehren und Vorschriften dar. Diese Aufgabe birgt eine elementare Funktion für die eigene Identität sowie für die individuellen religiösen Wurzeln. Die subjektive geschichtliche Prägung muss im Interesse einer Möglichkeit der Selbstkritik und der gegenseitigen Beziehung, sowie um der Durchsichtigkeit der Argumentation im theologischen Gespräch willen aufgearbeitet und korrigiert werden. Man betrachtet nicht nur den Standpunkt der „Geschlossenen Brüdergemeinden“, sondern man wird sich dabei gleichzeitig seiner eigenen römisch-katholischen Herkunft bewusst und kann beide Positionen in Relation zueinander stellen und gegebenenfalls neu überdenken. Diese Korrekturmöglichkeit ist allerdings bei Darby gänzlich genommen. Das eigene theologische Denken und Reflektieren stellt sich nach anfänglicher Wertschätzung später als starre sowie absolute dogmatische Maxime dar.[49] Unter verschiedenen Aspekte wird im Abschnitt über die Geschichte der Bewegung behandelt, wie sich die Gemeindebewegung der „Geschlossenen Brüder“ in ihrer historischen Entwicklung bemüht hat und zweifellos bis heute müht, „den vom Wort Gottes gesetzten Maßstäben ganz praktisch im persönlichen wie im gemeindlichen Leben nachzukommen.“[50]

Welche Erfahrungen und innere Einstellungen motivieren zu dieser Diplomarbeit? Wenn man nicht stupide dahinlebt, dann wird man im Laufe seines Lebens zwangsläufig mit anderen Religionen, Konfessionen und verschiedenen christlichen Religionsgemeinschaften konfrontiert. Es obliegt jeden Einzelnen selbst, wie er mit diesen Eindrücken umzugehen hat und wie sie für sein weiteres Leben zu verarbeiten sind. Die Ökumene lebt aus wahrhaftigen und ebenso authentischen Zusammentreffen von Menschen, die sich jenseits der konfessionellen oder außerkirchlichen Grenzen glaubwürdig sowie achtungsvoll begegnen. Konfessionsverschiedene Ehepaare leben tagtäglich eine Ökumene der Begegnung, des Respekts und der Wertschätzung. Ebenso bildet die Kirche Christi den Raum, in den die Liebe Christus, die das menschliche Erkennen weit übersteigt, hineinströmt (Eph 3,18f.[51] ).[52] Die Verbindung von Christus und der Kirche entspricht demgemäß der liebenden sowie vertrauensvollen Verbindung von Mann und Frau in der Ehe[53]: „Dieses Geheimnis ist groß, ich aber deute es auf Christus und die Gemeinde“ (Eph 5,32). Diese Auseinandersetzung ist jedoch ohne Reflexion auf die eigenen religiösen Wurzeln, der individuellen orthodoxen Beheimatung, kaum möglich. Man muss bereit sein, den Blick für die anderen christlichen Religionsgemeinschaften zu weiten, ohne dabei seinen eigenen Glaubensvorstellungen untreu zu werden. Die mannigfaltigen christlichen Konfessionen und Glaubensgemeinschaften haben viel Bereicherndes und Erbauliches für die Gesamtheit des Christentums hervorgebracht, von dem ein jeder Mensch zehren kann. „Schon heute gibt es eine reale Ökumene der spirituell Engagierten in allen Konfessionen.“[54] Dennoch ist mit größter Wertschätzung und Achtung zum gebotenen Willen Jesu, die Einheit und Fraternität zwischen der Katholischen Kirche und den „Geschlossenen Brüdern“, mit dem dringenden Verweis auf die Heilige Schrift, als Fundament und Maßstab beider christlichen Gemeinschaften zu postulieren. Die Differenzen und Diskrepanzen zwischen dem biblischen Anspruch, den die Gesamtheit der Christenheit offenkundig proklamiert und der trennenden Realität der Gläubigen, die weit hinter diesen Anspruch zurückfällt, führt ganz unweigerlich zu folgenden Fragen: Wird die Heilige Schrift in den verschiedenen christlichen Religionsgemeinschaften lediglich auf Regeln beschränkt? Werden leere Formeln als Gebete getarnt? Haben wir uns von der Botschaft, dem Leben, der Liebe und der Brüderlichkeit entfernt? Wurden diese Gefühle verbannt und vor selbstgefällige Reglementierungen gestellt? Was ist noch wirklich übrig geblieben vom Evangelium unseres Herrn? Ist unser praktizierter Glaube lediglich ein Torso seines biblischen Anspruches? Unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit, die ihre Differenzierung in der Praxis, der Ausübung der Verehrung, der Interpretation von Lehrmeinungen sowie der Bibelauslegung findet, ist es das gemeinsame Zentrum, der Glaube an Jesus Christus, der die Einheit der Christen konstatiert. Der Glaube sollte verbinden und eine Art Öffnung zu den Menschen darstellen. Geschieht es nicht im liturgischen Vollzug des Friedensgrußes, dass wir unserem Nächsten, unabhängig vom Bekanntheitsgrad, seiner religiösen Gesonnenheit die Hand reichen und den Frieden wünschen (Joh 20,21[55] )? Sollte dieses einander die Händereichen nicht zum Maßstab unseres christlich-ethischen Handels werden? Bedeutet Gemeinschaft nicht gerade: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte“ (Mt 18,20)?

2. Problemdarstellung

„Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfaßt (sic) und trägt sie als solches unablässig; so gießt er durch sie Wahrheit und Gnade auf alles aus. Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst. Deshalb ist sie in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich […]. Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische[[56] ] und apostolische Kirche bekennen. Sie zu weiden, hat unser Erlöser nach seiner Auferstehung dem Petrus übertragen (Joh 21,17[[57] ]), ihm und den übrigen Aposteln hat er ihre Ausbreitung und Leitung anvertraut (vgl. Mt 28,18ff[[58] ]), für immer hat er sie als ,Säule und Feste der Wahrheit’ errichtet (1 Tim 3,15[[59] ]). Die Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst (sic) und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird. Das schließt nicht aus, daß (sic) außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.“[60] Elementar in diesem Kontext ist die Bedeutung des „subsistit in“ des Konziltextes. Damit wird das veränderte Selbstverständnis der Katholischen Kirche verdeutlicht. „Durch dieses Wort hat die katholische Kirche die völlige Identifikation mit der Kirche Christi aufgegeben.“[61]

Christliche Gemeinden aller Konfessionen aber auch Gemeinschaften ohne kirchlich-institutionelle Anbindung bekennen die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.“[62] Diese Formulierung des „Nicaeno-Constantinopolitanum“[63] manifestiert die Gemeinsamkeit wie Zusammengehörigkeit aller christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften im gläubigen Bekenntnis. Dieses Credo verbindet somit nicht nur die gesamte Christenheit in der weltweiten Ökumene, sondern es vereinigt ebenso alle Christgläubige über die Grenzen ihrer eigenen Konfession hinweg. Die altkirchlichen Bekenntnisse werden ihrem Inhalt nach ebenfalls von den „Geschlossenen Brüdern“ ohne Widerspruch gewürdigt, jedoch ihrer Gestalt nach abgelehnt, da sie sich von jeder Form von Bekenntnisschriften distanzieren.[64] Laut Darby mag ein Bekenntnis in bestimmten historischen Situationen durchaus notwendig sein. Eine Verpflichtung auf ein solches in der Geschichte der Kirche artikuliertes Credo bedeutet für ihn jedoch nichts anderes als eine Einigung, dessen Grenze allerdings die Weisheit der Bibel bildet.[65] Die weltweite Kirche Gottes auf Erden gilt für ihn als „heilig, katholisch und apostolisch und sucht die Verkörperung der Einheit in Reinheit durch Trennung vom Bösen in eschatologischer Erwartung der Wiederkunft Christi.“[66]

Der Leib Christi ist ein einziger, daraus resultiert, dass nur die eine Kirche Gottes existiert. Ebenso wie alle anderen christlichen Kirchen begreifen sich auch die „Geschlossenen Brüdergemeinden“ als die einzige, von Gott ausgewählte und bestimmte Kirche. Sie verstehen sich selbst als die εκκλησία[67], die Herausgerufenen, die das Angebot Gottes vertrauensvoll annehmen.[68] Darby sieht in der „Christlichen Versammlung“ die ausschließlich schriftgemäße Antwort auf die Frage nach der Darstellung der Einheit des Leibes Christi in der Welt.[69] Die „Spaltung widerspricht ganz offenbar dem Willen Christi, sie ist ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums.“[70] „Die Einheit ist verwurzelt im dreieinigen Gott als höchstem Urbild und Vorbild. Als Glaubensmysterium ist sie eine göttliche Vorgegebenheit. Durch menschliche Schuld und Sünde haben die Christen diese Gabe jedoch nicht in der Bewahrung der kirchlichen Einheit realisiert. Ihre Spaltungen in einen Plural von Kirchen und Gemeinschaften stellen eine Missachtung des Willens Gottes dar.“[71] Jeder christlichen Kirche und Glaubensgemeinde ist der Wunsch gemein, ein Kollektiv nach den Gedanken Gottes darzustellen. Die Kirche bildet dabei einen Inhalt des Glaubens. Sie hat eine sichtbare Gestalt und ein nur im Glauben erfassbares geistliches Wesen.[72] Alle Konfessionen sind auf die je eigene Weise davon überzeugt, dass bei ihnen die eine Kirche Jesu Christi verwirklicht ist und dass ihre Geschichte mit dem Wirken Jesu und der Apostel beginnt. Sie verstehen sich darum keineswegs als Abspaltungen von der Katholischen Kirche, sondern sehen vielmehr gerade in den römisch-katholischen Sonderlehren, wie u.a. über den Primat des Bischofs von Rom oder dem Sakramentenverständnis, ein Abweichen von der allgemeinen Kirche Christi.[73]

Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Römisch-katholische Kirche das Gebet des Herrn, „dass alle eins seien“ (Joh 17,21) unwiderruflich als verpflichtende Aufgabe übernommen und dabei die ökumenische Bewegung[74] als einen Impuls des Heiligen Geistes gewürdigt. Fast ein halbes Jahrhundert nach Beendigung des Vatikanums hat sich eine „weltweite Kultur des ökumenischen Dialogs“[75] entwickelt. Die Katholische Kirche hat sich mit dem Konzil der ökumenischen Bewegung geöffnet. Es hat den Weg auf der Suche nach der Einheit der Christen gebahnt. Die Römisch-katholische Kirche führt bereits mit zahlreichen konfessionellen Organisationen, einzelnen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften intensive Gespräche in Hinblick auf die Ökumene. Zum Teil konnten bemerkenswerte und richtungweisende Ergebnisse erzielt werden, so z.B. die gemeinsame Rechtfertigungslehre der Kirchen. Auf nationaler, regionaler und örtlicher Ebene haben sich vielfach Kontakte und Begegnungsmöglichkeiten eröffnet. Der Grad ökumenischer Vernetzung ist heute bezeichnend. Jedoch existieren weiterhin trennende Momente, die eine umfassende Einheit der Christenheit erschweren, gar unmöglich erscheinen lassen.[76] „Auch die Freikirchen haben den Vätern des Zweiten Vatikanischen Konzils dafür zu danken, dass diese mit ihrem Dekret über die Wiederherstellung der Einheit der Christen eine Tür geöffnet haben [...].“[77]

„Das Fehlen der großen Einheit der Kirchen bedeutet [...] unter den Christen selbst eine dauernde Schwächung ihres Glaubensmutes und ihrer Zuversicht [...].“[78] Das phlegmatische sich Einrichten in konfessionelle Grenzen bildet kein tolerables Provisorium, mit dem man sich leichtsinnig zufrieden geben darf. Die Separation der unterschiedlichen christlichen Glaubensgemeinden begreift sich als ein sündiges Verharren im Verrat an Jesu Christi und seiner Botschaft von der „Βασιλεία του Θεού“. „Eine getrennte Christenheit ist ein tief greifender Verstoß gegen die Einheit Gottes selbst. Wer Kirche spaltet, vergeht sich geradezu physisch an Gott selbst. Denn nichts ist dem, was Gott mit den Menschen erreichen will, so diametral entgegengesetzt wie trennender Streit.“[79] Nach christlicher Auffassung sowie angesichts des einen Gottes existiert nur das eine Gottesvolk. Jeder trennende Streit ist daher dem Grundanliegen des Christentums von der Versöhnung und der Brüderlichkeit auf das Schärfste disparat. „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr“ (1 Kor 3,16f.).

Wo immer das Verlangen und der Wunsch nach Einheit unter den Christen und Kirchen zum konkreten Ringen um Überwindung der Trennungen und um Verwirklichung der Einheit entspringen, geschieht dies nicht ohne – zumindest implizite – Vorstellungen von der Idealvorstellung der Gemeinschaft, die man selber sucht sowie zu finden hofft.[80] Man setzt sich mit der je individuellen Glaubensrealität auseinander und versucht neue Wege zu finden – wohlmöglich auch in einer anderen Gemeinschaft, um der neutestamentlichen Botschaft von der Einheit des Leibes Rechnung zu tragen. Bei allen Bemühungen um ein ökumenisches Gespräch mit den „Geschlossenen Brüdergemeinden“ sind Anfragen an die eigene römisch-katholische Lehrposition unvermeidlich. Sie decken möglichen Provinzialismus oder konfessionalistische Enge ebenso auf, wie sie auch zu einem vertieften Verständnis und zu klarer Darstellung der eigenen Aussagen führen können. Elementar ist die Offenheit für Anstöße und Erörterungen der vorhandenen Spannungen in der ökumenischen Diskussion sowie die religiöse Integrität.[81]

Die Anzahl der Christen, die sich in keiner der beiden Amtskirchen beheimatet fühlen und so etwas wie eine neue „dritte Konfession“ bilden, steigt stetig.[82] Hierzu zählen unter andrem auch die „Geschlossenen Brüdergemeinden“. Sie sind den meisten Katholiken fremd, weder mit ihrer Glaubensdoktrin noch mit ihrer Religionsausübung sind sie vertraut. Wer sind die „Geschlossenen Brüder“ überhaupt? Was zeichnet sie aus? Sind sie dem Katholizismus wirklich so fern? Was trennt? Was verbindet? Aber ebenso ergeht es der „Christlichen Versammlung“ mit den Katholiken. Sie betrachten sich höchstens aus der Distanz. Um die jeweils andere Glaubensgemeinschaft ranken sich die verschiedensten Vorurteile und Fehlinterpretationen. Die „Brüder“ sehen in den Katholiken nicht selten lediglich diejenigen, die streng der Sonntagspflicht folgen, beichten, Maria anbeten, Prozessionen veranstalten sowie dem Papst uneingeschränkt gehorchen.[83] Das Ziel der Versöhnung ist nach 1 Kor 15,28, dass „Gott alles in allem sei.“ Die Einheit ist für das Christsein konstitutiv, das Problem von Zusammengehörigkeit und Vielfalt mithin grundlegend. In der Ökumene wird es greifbar in der Fragestellung: Wie viel Gegensätzlichkeit hält die Einheit stand? Ist Einheit überhaupt eine notwendig geforderte Prämisse?[84]

Darby sieht in den Staatskirchen und Freikirchen die Einheit der Kirche gefährdet. Er wirft der Staatkirche vor, dass sie mittels der Säuglingstaufe alle Bewohner eines Territoriums zu Christen mache. Die Freikirchen würden versuchen die Kirche der Gläubigen durch die freiwillige Mitgliedschaft wiederherzustellen. Beide Ansätze sind für ihn falsch, die wahre Kirche Gottes sei nur bei den „Brüdern“ zu finden.[85] Freilich kommt den Gemeinden der „Geschlossenen Versammlung“ die Strebsamkeit entgegen, christlich angelegte und erweckte Kirchenmitglieder derselben zu entfremden und sie für ihre Ansichten und Auffassungen empfänglich zu machen. Dieser Abbruch, welchen sie der Kirche zu tun suchen und wirklich vollziehen, darf nicht gleichgültig bleiben, sondern muss zum Wissen über diese Bewegung motivieren.[86] In jenem wissenschaftlichen und diesem praktischen Interesse, welches die „Geschlossenen Brüdergemeinden“ erregen, scheint hinreichende Veranlassung zu liegen, ihren Grundsätzen und Anschauungen genauer nachzugehen.

3. Selbstverständnis der „Geschlossenen Brüdergemeinden“

„Es gibt sie noch: jene Christen ,reinsten Wassers’ – sofern wir von dem im Epheserbrief genannten ,Wasserbad im Wort’[[87] ] ausgehen. Die lesen und studieren die genauste Bibelübersetzung. Nirgends ist das innere Verhältnis zur Bibel als dem untrüglichen Wort Gottes ungebrochener als bei ihnen. Kaum irgendwo sonst ist unter den Gemeindegliedern eine solche Bibelfestigkeit anzutreffen. Keine andere Christengruppierung erweist sich, eben aufgrund ihrer Vertrautheit mit der Schrift, gegenüber falschen Einflüssen so resistent: seien es die Kirchen oder die Freikirchen mit ihrem Institutionalismus, seien es die Strömungen liberaler Theologie, seien es die Schwarmgeister aus der charismatischen oder gar der pfingstlichen Richtung, sie alle haben hier so gut wie keine Chance. Die Rede ist von den Brüderversammlungen.“[88]

In einem allgemeinen Zugang versteht man unter den Fachterminus der „Brüdergemeinden“, oder treffender formuliert der „Brüderversammlungen“, eine im 19. Jahrhundert, genauer um das Jahr 1830 in England und Irland, primär auf den anglikanischen Priester John Nelson Darby (1800-1882)[89] und den deutschen Missionar Georg Müller (1805-1898)[90] zurückzuführende evangelisch-freikirchliche Erweckungsbewegung[91] konfessionell nicht gebundener Christen.[92] Sie selbst sehen sich als eine Spätfolge der revolutionären angelsächsischen Freikirchen-Bewegung.[93] Ihre ab 1826 gebildeten Gemeinden sind kongregationalistisch[94] verfasst.[95] Die Gemeinschaften vertreten dabei den hohen Anspruch, Einheitsbewegung zu sein. Diese stellen simplifiziert, „Kirchen und Gemeinschaften, die aus dem Bemühen um die Erneuerung urchristlichen Gemeindelebens entstanden sind“[96] dar. „Die Brüdergemeinden wollen neutestamentliche Versammlung der Gläubigen sein – schnörkellos, kompromisslos, bibeltreu.“[97]

Die „Brüderbewegung“ unterliegt einigen lehrmäßigen Einsichten, die ihnen von Anfang an eine bestimmte Prägung zuteil werden ließ, sowie ihren Standort innerhalb der Christenheit maßgeblich bestimmt haben. Eine wesentliche Erfahrung stellt der Vertrauensverlustes in jede Art von geistlichen Institutionen in Gestalt von Kirchen und Freikirchen dar. Sie vermeiden somit jegliche gemeindliche Beziehungen und Verbindungen zu Kirchen oder Freikirchen. Mit ihr korrespondiert die Einsicht, dass kirchliches Christsein und damit die Zugehörigkeit zu einer Kirche zwei Elemente beinhaltet, die völlig unabhängig voneinander betrachtet werden müssen und sich gegenseitig nicht zwangsläufig bedingen. Die Kirchenzugehörigkeit geht nicht einher mit der Bezeichnung und dem Vollzug des wahren Christen. Ist jemand nach Auffassungen der „Brüder“ ein wirklich bekennender Christ, wird die Frage, welcher Kirche er angehört sekundär, wenn auch nicht völlig unbedeutend.[98] Die verschiedenen „Brüdergemeinden“ streben an, der Zersplitterung und der zunehmende Auflösung der Kirchen in immer mehr sich fremde und sich widersprechenden gar verfeindeten Konfessionen sowie Glaubensgemeinschaften, Rechnung zu tragen sowie entgegenzuwirken, um die Einheit der Kinder Gottes und das Einssein der Gemeinde Jesu Christi zu realisieren.[99] Von Anfang an ist es den „Brüdern“ daran gelegen, keine neue Kirche oder Freikirche im institutionellen Sinn zu gründen, sondern vielmehr eine Bewegung von wahren und aufrichtigen Gläubigen, die am „Tisch des Herrn“ die Einheit der Gemeinde Jesu darstellen, zu repräsentieren.[100] „Ihr Hauptanliegen ist, in Erwartung der baldigen Wiederkunft Christi die Einheit der wahren Gemeinde Jesu zu verwirklichen, indem sie sich in schlichter Form zu Gebet, Verkündigung und Abendmahlsfeier versammeln und dabei auf die spontane Leitung des Heiligen Geistes vertrauen.“[101] Das eigene Legitimationsverständnis der „Brüdergemeinden“ sieht sich als „Brautgemeinde der Endzeit, die sehnsichtlich auf ihre baldige Entrückung (1 Thess 4,17[[102] ]) wartet.“[103] Mit dieser Erwartung geht der Rückzug aus der Welt, „für deren Probleme es keine biblisch begründbare Verbesserungsmöglichkeiten gibt“[104] einher.

Ein Hauptzweig dieser Bewegung, eine Art pars pro toto, bilden die so genannten „Geschlossenen Brüder“, die in sich keinen monolitischen Block ergeben. Es existieren unterschiedliche, gar entgegengesetzte Denominationen unter ihnen.[105] Die Bezeichnung „geschlossen“ ist auf ihre Ermahnung zurückzuführen, dass ihnen nicht Zugehörige von ihrem Abendmahl ausgeschlossen sind[106], vor allem Mitglieder einer Kirche oder Freikirche. Sie betrachten sich selbst nicht nur als „die einzigen Treuen in der ,Brüderbewegung’, sie sind auch die treusten Christen auf Erde.“[107] Bis heute halten diese Gemeinden offiziell an der ursprünglichen Idee der Namenlosigkeit fest. Sie verstehen sich als „eine Art neutraler Boden außerhalb aller bestehenden Kirchen und Freikirchen, in Absonderung von allem Bösen und ohne jede menschliche Organisation oder Benennung.“[108] Sie wollen nichts anderes als „Brüder“ unter „Brüdern“ sein. Der Name bzw. die Bezeichnung „Brüder“ gehört allen Kindern Gottes an (Phil 4,1[109] ; 1 Thess 5,2[110] ) und Jesus selbst hat sie benannt (Hebr 2,11[111] ). „Wir [die „Brüder“] bekennen demnach eine Gemeinschaft mit allen Brüdern, Mitbürgern der Heiligen und Gottes Hausgenossen (Eph 2,19[[112] ]) und lehnen damit jede Benennung ab, mit der man uns anders, als ,Christen’, ,Brüder’ bezeichnen wollte, indem wir nur eine Einheit in Christo anerkennen und als Brüder uns vereinigen, die alle Freudigkeit zum Eingang in das Heilige durch das Blut Christi haben (Hebr 10,19[[113] ]).“[114] Die „Exklusiven Brüder“ bilden „eine absolut geschlossene, exklusive Gemeinschaft, ohne Kontakte mit bibeltreuen Christen,“[115] jeglicher Couleur.

[...]


[1] Unter dem Terminus der „Brüderbewegung“ versteht man in einem allgemeinen Zugang eine protestantische Christenbewegung von erweckten, nonkonformistisch organisierten Versammlungen, die in Irland und England in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts ihren Anfang genommen hat. Innerhalb von nur etwa fünf Jahrzehnten ist sie aus kleinen Kreisen zu einer weltweiten Religionsbewegung herangewachsen. Sie hat beachtlichen Einfluss auf evangelikale und später auch auf konservativ-protestantische Richtungen eingenommen (siehe Bister, Die Brüderbewegung in Deutschland von ihren Anfängen bis zum Verbot des Jahres 1937, 7f.)

[2] Holthaus, Vorwort, 5.

[3] Siehe Steinmeister, ...ihr alle aber seid Brüder, 72-78.

[4] Geldbach, Darbysmus, 791.

[5] Siehe zur biographischen Darstellung John Nelson Darbys Fußnote 89 dieser Arbeit.

[6] Siehe Ouweneel, John Nelson Darby (1800-1882), 7.

[7] Siehe Bister, Die Brüderbewegung in Deutschland von ihren Anfängen bis zum Verbot des Jahres 1937, 8.

[8] Denomination (vom lateinischen denominare, benennen) stellt im Christentum einen summarischen Begriff für die verschieden Kirchen und Glaubensgemeinschaften innerhalb der Ökumene dar. Grundgelegt ist der Terminus in der separistischen Reformbewegung innerhalb der englischen Kirche im 17. Jahrhundert (siehe Klein, Denomination, 98f.).

[9] Vgl. Jordan, Die „Christliche Versammlung“ in Deutschland von ihren Anfängen bis 1945, 8.

[10] „Ich meine aber dies, dass jeder von euch sagt: ich bin des Paulus, ich aber des Apollos, ich aber des Kephas, ich aber Christi. Ist der Christus zerteilt? Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt, oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden?“

[11] Evangelikal wird ursprünglich als englische Übersetzung des deutschen Lexems „evangelisch“ gebraucht (vom Englischen „evangelicalism“). Dieser Begriff ist in England seit dem 18. Jahrhundert zur Bezeichnung der vom Methodismus ausgehenden Bewegung in der Anglikanischen Kirche geworden. Es definiert allgemein eine theologische Richtung innerhalb des Protestantismus. Diese Gläubigen stellen eine schwer zu bestimmende Frömmigkeitsbewegung dar, die sich auf die Irrtumsfreiheit sowie Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift als zentrales Fundament christlichen Glaubens beruft. Evangelikale Christen können dabei in verschiedenen protestantischen Konfessionen situiert sein. Sie befinden sich in der Überzeugung, dass zum Christentum eine klare persönliche Willensentscheidung, eine Art Bekehrung sowie eine individuelle Beziehung zu Jesus Christus unabdingbar sind (siehe Geldbach, Evangelikal, 323f.).

[12] Voigt, Freikirchen in Deutschland (19. und 20. Jahrhundert), 61.

[13] Siehe Geldbach, Christliche Versammlung und Heilsgeschichte bei John Nelson Darby, 5.

[14] Siehe Schwarz, Leben im Sieg Christi, 576.

[15] Geldbach, Christliche Versammlung und Heilsgeschichte bei John Nelson Darby, 5.

[16] Edward Irving (* 4.8.1792 in Annan – † 7.12. 1834 in Glasgow) ist ein schottischer Erweckungsprediger gewesen. Bekannt geworden ist er vor allem durch seine apokalyptischen Predigten, die vor dem Hintergrund der revolutionären Umwälzungen seiner Zeit verstanden werden müssen (siehe Geck, Irving, 239).

[17] Littell, Darbysten, 258.

[18] Vgl. Ouweneel, John Nelson Darby (1800-1882), 10.

[19] Siehe Holthaus, Die Bedeutung der Brüdergemeinden heute, 29.

[20] Siehe Ouweneel, „Christliche Versammlung“ – wohin, 4.

[21] Vgl. Klein, Ökumene, 1017.

[22] Siehe Jordy, Einheit der Gemeinde Jesu – ihre Bedrohung und ihr Zerfall in der Geschichte, 7-18.

[23] Siehe Geldbach, Freikirchen – Erbe, Gestalt und Wirkung, 39.

[24] Vgl. Berger, Glaubensspaltung ist Gottesverrat, 57.

[25] Ernst Käsemann (* 12.7.1906 Bochum-Dahlhausen – † 17.2.1998 Tübingen) ist evangelischer Neutestamentler gewesen. Sein Forschungsinteresse hat vor allem der Paulinischen Theologie, die er im Horizont der Apokalyptik interpretiert, gegolten (siehe Hofius, Käsemann, 838).

[26] Vgl. Schnabel, Einheit und Vielfalt biblischer Erkenntnisse, 15.

[27] Käsemann, Das Neue Testament als Kanon, 402.

[28] Tibusek, Ein Glaube viele Kirchen, 324.

[29] Siehe Thönissen, Darbysten, 246.

[30] Vgl. Orth, Die Frage der Einheit der Christen, 4.

[31] Siehe Herhaus, Gedanken zur Lage der „Alten Versammlung“, 21.

[32] Siehe Ouweneel, John Nelson Darby (1800-1882), 8.

[33] Siehe Callahan, Darbysten (Plymouthbrüder), 579.

[34] Willem Johannes Ouweneel (* 2. Juni 1944 in Zaandam) ist ein niederländischer Professor für Biologe, Philosophie sowie Theologie. Er ist als Dozent an der Evangelischen Hochschule in Amersfoot (Niederlande), und an der Evangelisch-Theologischen Fakultät Leiven (Belgien) als Hochschullehrer für Theologie und Philosophie sowie an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel (Schweiz) tätig. Seit 1976 ist er international im Predigtdienst der „Brüderbewegung“ aktiv. Einfluss übt er als Autor und Redner aus (siehe http://www.erwinschmidt.de/Texte/Prof_Dr_Willem_Ouweneel/prof_dr_willem_j_ouweneel.html).

[35] Vgl. Ouweneel, John Nelson Darby (1800-1882), 10.

[36] Als Begründer des neueren Baptismus im deutschen Sprachgebiet gilt J.G. Oncken (1800-1884). Er steht unter dem Einfluss von angelsächsisch-baptistischen Kreisen und gründet 1834 in Hamburg die erste Gemeinde. 15 Jahre später bilden die entstandenen Gemeinden den ersten baptistischen Gemeindebund (vgl. Schmid – Schmid, Kirchen, Sekten, Religionen, 88). In Deutschland sind seit 1941 die Baptisten- und die Brüdergemeinden unter dem Namen Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) zusammengeschlossen. Heute zählt der Bund 88 000 Mitglieder in 950 Gemeinden und Zweiggemeinden. Die Gemeinden werden, unter Wahrung ihrer Autonomie, durch den Bund unterstützt. Oberstes Organ bildet der Bundesrat. Als Vertreter aller Gemeinden entscheidet er in allen Angelegenheiten, die dem Bund übertragen sind. Der BEFG ist Mitglieder der „Vereinigung Evangelischer Freikirchen“, der „Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland“ sowie der „Konferenz Europäischer Kirchen“. Er ist nicht Mitglied im „Ökumenischen Rat der Kirchen“ (siehe Urban, Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland, 791).

[37] Siehe Fincke – Pöhlmann, Kompass Sekten und religiöse Weltanschauungen, 33f.

[38] Vgl. Grunewald, Die Darbysten oder Plymouthbrüder, 707.

[39] Siehe Schwarz, Leben im Sieg Christi, 8.

[40] Die an der Fulda gelegene nordhessische Großstadt Kassel ist die drittgrößte Stadt des Landes Hessens und besteht aus insgesamt 23 Stadtteilen. Sie zählt 193.803 (Stand Dezember 2007) Einwohner. In Kassel sind folgende christliche Gemeinschaften vertreten: Katholische Kirche, Evangelische Landeskirche, Alt-Katholische Kirche, Baptisten, Methodische Kirche, Neuapostolische Kirche, selbstständige Evangelisch-Lutherische Kirche sowie die „Brüdergemeinde“ (siehe http://www.kassel.de/cms02/stadt/).

[41] Eine Glaubenskonferenz der „Geschlossenen Brüdergemeinden“ bezeichnet ein jährlich stattfinde überregionales Zusammentreffen der Gläubigen aus den verschiedenen Gemeinschaften zum Zweck des gegenseitigen Kontakts, des Austauschs, der gemeinsamen Anbetung Gottes sowie der Unterweisung in Fragen der Glaubensdoktrin.

[42] Ouweneel, Die „Lehren der Brüder“, 3.

[43] Im deutschsprachigen Raum zählen als Herausgeber von „Brüder“-Literatur vor allem die Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg, die Christliche Literaturverbreitung e.V. (CLV) in Bielefeld, die Christliche Schriftverbreitung in Hückeswagen und der Ernst Paulus-Verlag Neustedt. Auch der R. Brockhaus-Verlag in Wuppertal ist ursprünglich als „Brüderverlag“ gegründet worden (siehe Jordy, Die Brüderbewegung in Deutschland, 361f.).

[44] Siehe Grunewald, Die Darbysten oder Plymouthbrüder, 707.

[45] Siehe hierzu Schwammkrug, Die „Elberfelder Bibel“, 68-71.

[46] Es gilt als etwas Herausragendes, wenn eine relativ kleine Religionsbewegung wie die „Brüder“ eine eigene Bibelübersetzung hervorbringt, die nicht nur in den eigenen Versammlungen, sondern weit darüber hinaus in vielen bibeltreuen Kreisen sowie in der theologischen Wissenschaft Anklang findet (siehe Hohage, Die Brüderbewegung als Bibelbewegung, 27).

[47] Siehe Berger, Glaubensspaltung ist Gottesverrat, 42.

[48] Frieling – Ortmann, Katholisch und Evangelisch, 8.

[49] Vgl. Goseberg, Kritische Würdigung der Geschichte der Brüderbewegung, 160.

[50] Jordy, Einführung, 10.

[51] „[...] damit ihr imstande seid, mit allen Heiligen völlig zu erfassen, was die Breite und die Länge und Höhe und Tiefe ist, und zu erkennen die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus, damit ihr erfüllt werdet zur ganzen Fülle Gottes.“

[52] Vgl. Gnilka, Der Epheserbrief, 111.

[53] Siehe Schütte, Kirche im ökumenischen Verständnis, 19.

[54] Berger, Glaubensspaltung ist Gottesverrat, 11.

[55] „Jesus sprach nun wieder zu ihnen: Friede euch! Wie der Vater mich ausgesandt hat, sende ich auch euch.“

[56] Das Lexem „katholisch“ leitet sich vom griechischen καθολίκος ab und bedeutet das Ganze, die Fülle betreffend oder so viel wie umfassend. Das Wort erhält in Anwendung auf die Kirche seit Anfang des 2. Jahrhunderts, erstmals bei Ignatius von Antiochien bald spezielle Bedeutungsinhalte. Katholizität der Kirche wird als Kennzeichen der Kirche in das Glaubensbekenntnis aufgenommen (vgl. Vorgrimler, Neues Theologisches Wörterbuch, 342).

[57] „Er spricht zum dritten Mal zu ihm: Simon (, Sohn) des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, dass er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb? Und sprach zu ihm: Herr, du weißt alles; du erkennst, dass ich dich lieb habe. Jesus spricht zu ihm: Weide meine Schafe!“

[58] „Und Gott trat zu (ihnen) und redet mit ihnen und sprach: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern, und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe! Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.“

[59] „[…] wenn ich aber zögere, damit du weißt, wie man sich verhalten muss im Hause Gottes, das die Gemeinde des lebendigen Gottes ist, die Säule und Grundfeste der Wahrheit.“

[60] LG 8.

[61] Teuffenbach, Die Bedeutung des subsistit in (LG 8), 16.

[62] DH, 84.

[63] Das Nicaeno-Constantinopolitanum stellt eines der elementarsten ökumenischen Glaubensbekenntnisse in der Geschichte des Christentums dar. Überliefert ist es aus den Akten des Konzils von Chalkedon aus dem Jahr 451. Von da an gilt es als verbindlich. Seine Bezeichnung erregt den Anschein, dass es eine Erweiterung des Nizänischen Glaubensbekenntnisses wäre, jedoch wird seine Existenz bereits vor dem Konzil vermutet. Im 6. Jahrhundert wird es in der Kirche des Ostens weitgehend als Taufbekenntnis eingesetzt. Bald darauf wird es in die Messliturgie eingeführt. Als Glaubensbekenntnis der Messe erscheint es in der Kirche des Westens zuerst auf der 3. Synode von Toledo im Jahr 589. In diesem Bekenntnis findet sich auch das „Filioque“, das vom 8. Jahrhundert an heftige theologische Auseinandersetzungen verursacht hat. Mit dem Zusatz des „Filioque“ bildet es ein Bindeglied zwischen den römisch-katholischen und protestantischen Glauben (vgl . DH, 83 ).

[64] Siehe HRGem, 34.

[65] Vgl. Geldbach, Christliche Versammlung und Heilsgeschichte bei John Nelson Darby, 101.

[66] Schwarz, Leben im Sieg Christi, 132.

[67] Das Neue Testament verwendet den griechischen Begriff εκκλησία (εκκλησία, die zu einer Versammlung herausgerufene Schar), den die „Geschlossenen Brüdergemeinden“ mit Versammlung wiedergeben (vgl. Jordy, Was uns die Bibel lehrt, 31).

[68] Siehe Kausemann, Gemeindeverständnis in der Brüderbewegung, 70.

[69] Vgl. Groseberg, Kritische Würdigung der Geschichte der Brüderbewegung, 160.

[70] Schlink, Die Einheit der Kirche und die Uneinigkeit der Christen, 404.

[71] Klein, Ökumene, 1022.

[72] Siehe Schütte, Kirche im ökumenischen Verständnis, 19.

[73] Siehe Frieling, Römisch katholische Kirche, 34f.

[74] Die ökumenische Bewegung ist ein Sammelbegriff der ökumenischen Bemühungen, die versuchen die im Laufe der Geschichte entstandenen Spaltungen der Christenheit in verschiedene Konfessionen zu überwinden und das Getrennte zur Einheit zusammenzuführen (siehe Stobbe, Ökumenische Bewegung, 899- 901).

[75] Hintzen – Thönissen, Kirchengemeinschaft möglich?, 7.

[76] Siehe Kasper, Geleitwort, 7.

[77] Marquardt, Bleibende Aufgaben für die Ökumene aus freikirchlicher Sicht, 235.

[78] Fries – Rahner, Einigung der Kirchen – reale Möglichkeit, 9.

[79] Berger, Glaubensspaltung ist Gottesverrat, 37.

[80] Vgl. Meyer, Ökumenische Zielvorstellungen, 11.

[81] Siehe Brandt, Kirchliches Lehren in ökumenischer Verpflichtung, 13f.

[82] Siehe Küng, Wegzeichen in die Zukunft, 62.

[83] Vgl. Frieling – Ortmann, Katholisch und Evangelisch, 8.

[84] Siehe Birmele - Ruster, Brauchen wir die Einheit der Kirche?, 11-21.

[85] Vgl. Geldbach, Christliche Versammlung und Heilsgeschichte bei John Nelson Darby, 103.

[86] Siehe Grunewald, Die Darbysten oder Plymouthbrüder, 707.

[87] „Ihr Männer, liebt eure Frauen! Wie auch der Christus die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, um sie zu heiligen, (sic) reinigend durch das Wasserbad im Wort, damit er die Gemeinde sich selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei.“

[88] Bibeltreu und zugleich erstarrt: Leben in den Brüderversammlungen, 3.

[89] John Nelson Darby (* 18. November 1800 in Westminster – † 24. April 1882 in Bournemouth) ist als jüngster Sohn der Familie John Darby aus Leap Castle, King`s Country, geboren worden. Nach einem Jurastudium in Dublin, hat er sich entschieden, Geistlicher in der Englischen Staatskirche zu werden. Der junge Darby hat eine tiefe innere Krise und eine Art religiöse Erweckung erlebt. Nach Jahren des eifrigen Dienstes als Dorfpfarrer in Ost-Irland, hat er während einer Krankheit endlich Frieden mit Gott finden können. Weil Darby den geistlichen Zustand in der Staatskirche anprangert und mit ihren Lehr immer weniger einverstanden gewesen ist, hat er Ende der zwanziger Jahre in Dublin begonnen mit einigen Gleichgesinnten in aller Einfalt spontane Gottesdienste mit Abendmahlsfeier zu halten. Die Bewegung hat sich rasch über Irland und bald auch über ganz Großbritannien ausgebreitet. Er ist zur Führergestalt der jungen Bewegung geworden, seine Lehren und Ansichten bestimmten maßgeblich die Entwicklung und Ausbreitung der „Brüder“. Darby ist am 24. April 1882 in Bournemouth gestorben (siehe Geldbach, Christliche Versammlung und Heilsgeschichte bei John Nelson Darby, 9-56).

[90] Georg Müller (* 27. September 1805 in Kroppenstedt – † 10. März 1898 in Bristol, England) ist ein deutscher Missionar gewesen. Bekannt geworden ist er als „Waisenvater von Bristol“, indem er Waisenhäuser und Schulen bauen ließ. 1829 ist er als Missionar nach England gegangen. Dort hat er den Zahnarzt Anthony Norris Groves kennen und schätzen gelernt. Groves ist schon sehr früh zu der Erkenntnis gelangt, dass die Kirchenfrage allein nach dem Vorbild der ersten Christen geregelt werden solle. Müller hat beschlossen, seinen Dienst nach denselben Regeln durchzuführen.1830 hat ihn die Gemeinde in Teignmouth zum Prediger berufen. Ein Bruder namens Henry Craik hat ihn 1832 nach Bristol bestellt. Hier hat er die Waisenarbeit in Ashley Down für über 1.000 Waisen aufgenommen. Er hat einer „Brüdergemeinde“ angehört. 1848 hat sich John Nelson Darby von dieser Gemeinde getrennt, da diese gegenüber den Lehren Benjamin Wills Newton zögerlich gewesen ist. Durch diese Trennung sind die „Offenen Brüder“ entstanden, denen Müller zeitlebens verbunden geblieben ist (siehe Bister, Georg Müller (1805-1898), 14-56).

[91] Der geschichtliche Hintergrund der Erweckungsbewegung ist der Gefühlsumschwung, der 1790 überall einsetzt hat. Es gibt eine Vielzahl von Menschen, die nach innerlicher und lebendiger Frömmigkeit verlangt haben. In der englischen Staatskirche tritt ein zunehmender Verfall zutage (vgl. Schwammkrug, Aus der Geschichte der Brüder, 34). Die Erweckungsbewegung hat seit dem 18. Jahrhundert die Rückgewinnung und Mobilisierung einzelner Christen und ganze Gemeinde im Protestantismus bewirkt. Sie hat die gesamte protestantische Welt erfasst und ist in ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart greifbar (vgl. Benrath, Erweckungsbewegung, 332).

[92] Siehe Geldbach, Brüderbewegung, 171.

[93] Jordy, Die geschichtliche Entwicklung der Brüderbewegung, 12.

[94] Der Kongregationalismus ist eine Form der Kirchenordnung, die auf der Überzeugung gründet, dass die Ortsgemeinde das grundlegende und wesentliche Element von Kirche ist. Als solche besteht sie aus Menschen, die sich in ihrem Glauben an Jesus Christus verbindlich zu einer Gemeinde zusammengeschlossen haben. Durch die Kraft des Heiligen Geistes erhält jede einzelne Gemeinde die Befähigung zur verantwortlichen Ordnung ihres Lebens und Gottesdienstes, frei von der Bevormundung durch irgendeine geistliche oder weltliche Autorität. Nach ihrem Selbstverständnis stützt sich diese kirchliche Ordnung auf die Praxis der Urkirche und das Zeugnis des Neuen Testaments (vgl. Huxtable, Kongregationalismus, 452).

[95] Siehe Rössler, Kleine Kirchenkunde, 98.

[96] HRGem, 31.

[97] Holthaus, Die Bedeutung der Brüdergemeinden heute, 3.

[98] Siehe Herhaus, Gedanken zur gegenwärtigen Lage der „alten Versammlung“, 16.

[99] Siehe Jordy, Die geschichtliche Entwicklung der Brüderbewegung, 13.

[100] Siehe Holthaus, Die Bedeutung der Brüdergemeinden heute, 3.

[101] Swarat, Fachwörterbuch für Theologie und Kirche, 38f.

[102] „[...] danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit beim Herrn sein.“

[103] Geldbach, Brüderbewegung, 171.

[104] Ebd.

[105] Siehe Jordy, Was uns die Bibel lehrt, 33.

[106] Die „Geschlossenen Brüder“ haben zu Beginn ihrer Entstehung alle wahren Gläubigen zum Brotbrechen zugelassen, deren guter Wandel bekannt gewesen ist und die den Wunsch dazu geäußert haben. Diese Zulassungspraxis wird heute nicht mehr ausgeübt (siehe Ouweneel, Aus der Praxis der Versammlung, 11-13).

[107] Ouweneel, John Nelson Darby (1800-1882), 26.

[108] http://www.bruederbewegung.de/gruppen/geschlossen.html

[109] „Daher, meine geliebten und ersehnten Brüder, meine Freunde und mein Siegeskranz, steht in dieser Weise fest im Herrn, Geliebte!“

[110] „Ich beschwöre euch bei dem Herrn, dass der Brief allen Brüdern vorgelesen werde.

[111] „[...] indem er spricht: ,Kundtun will ich deinen Namen meinen Brüdern; inmitten der Gemeinde will ich dir lobsingen. ’“

[112] „So seid ihr nun nicht mehr Fremde und Nichtbürger, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“

[113] „Da wir nun, Brüder, durch das Blut Jesu Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum, [...]“

[114] Einige Worte über die Ansichten der Brüder in Christi, welche sich einfach als „Brüder“ zum Gottesdienst versammeln, 3.

[115] Ouweneel, John Nelson Darby (1800-1882), 27.

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
Geschlossene Brüdergemeinden - Geschichte - Lehre - Ökumene
Untertitel
Am Beispiel der Liturgie in der Kasseler Gemeinschaft
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
102
Katalognummer
V136070
ISBN (eBook)
9783640435364
ISBN (Buch)
9783640435043
Dateigröße
821 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ökumene, Evangelikale, Katholische Kirche, Liturgie
Arbeit zitieren
Ulrike M. S. Röhl (Autor:in), 2009, Geschlossene Brüdergemeinden - Geschichte - Lehre - Ökumene, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136070

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