Leseprobe
Gliederung
1 Einleitung
2 Europäisierung
2.1 Ebenen der Europäisierung
2.2 Vektoren der Europäisierung
3 Die kommunale Ebene im europäischen Kontext
3.1 Das kommunale Selbstverwaltungsrecht und seine Schranken
3.2 Zur Stellung der Kommunen in der Europäischen Union
4 Folgen der Europäisierung auf kommunaler Ebene
4.1 Öffentliches Auftragswesen
4.2 Umweltpolitik
4.3 Kommunale Wirtschaftsförderung und EU-Beihilferecht
5 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
„In Vielfalt geeint“
Der offizielle Leitspruch der Europäischen Union soll nicht nur die Einigkeit der Mitgliedsstaaten in ihrer Unterschiedlichkeit ausdrücken – vielmehr soll es den Kern der europäischen Kultur definieren. Genau jene Kultur der gemeinsamen Unterschiedlichkeiten stellt nicht nur eine Bereicherung dar, sie stellt die Gesetzgebung, welche durch die Europäische Kommission, das Europäische Parlament sowie den Rat der Europäischen Union erfolgt, oftmals vor schwierige Aufgaben.
Die europäische Rechtsetzung, festgeschrieben in dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), erfolgt mittels Richtlinien, Verordnungen und Entscheidungen. Die nationalen Gesetzgeber müssen diese dann im Nachgang innerstaatlich umsetzen und beeinflussen so direkt das Leben der Menschen in den Kommunen.
Das geeinte Europa beschert den in ihr lebenden Bürgern1eindeutig erkennbare und greifbare Vorteile im alltäglichen Leben – in persönlichen und wirtschaftlichen Belangen. So dürften die Reisefreiheit, der Wegfall von Pass- und Zollkontrollen, die Niederlassungsfreiheit sowie die Abschaffung von Roaming-Gebühren bei Nutzung des Mobilfunks zu den bekanntesten Vorzügen gehören.
Weniger im Fokus der Bürger ist die Bedeutung, die der Europäischen Union auf lokaler Ebene zukommt – hier besonders im Bereich der Kommunalpolitik. Im Zuge der Europäisierung hat sich die Bedeutsamkeit der Europapolitik für die kommunale Ebene sukzessive gewandelt. Rund zwei Drittel der EU-Rechtsakte werden auf lokaler bzw. regionaler Ebene umgesetzt. Die Europäische Union determiniert bzw. beeinflusst damit erheblich kommunalpolitische Fragen. Dieser steigende Einfluss stellt zunehmend ein Spannungsfeld dar: Gegenüber stehen sich auf der einen Seite unter anderem die kommunale Daseinsvorsorge, als Ausfluss der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz). Auf der anderen Seite stehen beispielsweise das europäische Wettbewerbsrecht, die Umweltpolitik und das EU-Beihilferecht.
Vor diesem Hintergrund soll die Frage geklärt werden, welche Rolle die Europäisierung für die Kommunen in Deutschland hat. Dabei wird der Fokus auf die Kommunen, als unterste Ebene im politischen System in der Europäischen Union, gesetzt. Neben der Bedeutung der Europäisierung sollen ebenfalls positive wie negative Auswirkungen des europäischen Integrationsprozesses auf die kommunale Ebene aufgezeigt werden.
Um die Fragestellung zu klären, folgt die Arbeit der anschließend dargestellten Struktur: In Kapitel 2 werden hierzu zunächst der Europäisierungsbegriff definiert und die Europäisierung als methodisches Konzept beleuchtet. In Kapitel 3 erfolgt ein Blick auf die kommunale Ebene, die im Grundgesetz verankerte Selbstverwaltungsgarantie und der Versuch der wachsenden Einbindung der Kommunen in die Europapolitik. Im Anschluss wird auf drei ausgewählte Politikfelder eingegangen, bei denen die europäische Rechtssetzung den Handlungsrahmen der Kommunen im Wesentlichen mitbestimmt (Kapitel 4), bevor am Ende ein Fazit gezogen wird (Kapitel 5).
2 Europäisierung
Zur Heranführung an die Thematik der Europäisierung soll zunächst die Begrifflichkeit definiert werden. Eine in der Literatur oftmals zitiere Begriffsbestimmung des Wortes „Europäisierung“ ist die von Claudio Radaelli. Er definiert diese als:
“Process of (a) construction, (b) diffusion, and (c) institutionalization of formal and informal rules, procedures, policy paradigms, styles, ‘ways of doing things’, and shared beliefs and norms which are first defined and consolidated in the making of EU public policy and politics and then incorporated in the logic of domestic discourse, identities, political structures, and public policies.” (Radaelli 2000: 4)
Europäisierung kann insofern vereinfacht als eine Form des „Europa-Werdens“ verstanden werden. Es ist ein Anpassungsprozess der EU-Mitgliedsstaaten an die Veränderungen von innerstaatlichen Strukturen, hervorgerufen durch die erlassenen Normen und Standards der Europäischen Union. Auf die betroffenen Strukturen wird detaillierter in Kapitel 4 eingegangen.
2.1 Ebenen der Europäisierung
Der Stand der Europäisierungsforschung weist eine vielfältige Bandbreite auf. Um den Begriff der Europäisierung auch inhaltlich zu fassen, ist eine Einteilung in die drei Politikdimensionen vorzunehmen. Nachfolgend soll komprimiert aufgezeigt werden, welche Bereiche der nationalen Politik der EU-Mitgliedsstaaten europäisiert werden.
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Abbildung 1: Dimensionen der Politik (eigene Darstellung)
Im polity-Bereich werden vor allem die Auswirkungen auf der strukturellen Ebene betrachtet. Dies können Strukturen der Verwaltung sowie deren Arbeitsabläufe sein. Im Prozessbereich der politics finden Untersuchungen zu den Auswirkungen auf Interessengruppen bzw. politischen Institutionen und deren Agieren unter europäischem Einfluss statt. Im Bereich policies werden die Auswirkungen der Implementierung europäischer Normen auf die kommunale Ebene beleuchtet (Vorholt 2012: 10 f.).
2.2 Vektoren der Europäisierung
Neben den voran genannten Dimensionen der Wechselwirkung soll nun die vertikale Perspektive der Europäisierung näher betrachtet werden. Dieser Prozess kann sowohl „top-down“ als auch „bottom-up“ erfolgen. Der Einfluss europäischer Politik auf die nationale Ebene wird als „top-down“-Europäisierung bezeichnet. Die durch die Europäische Union erlassenen Richtlinien, Verordnungen oder Entscheidungen müssen durch die Mitgliedsstaaten in ihr nationales Recht implementiert werden – die Vorgaben werden „von oben nach unten“ delegiert. Im umgekehrten Fall, der „bottom-up“-Europäisierung, erfolgt die Einflussnahme von den Mitgliedsstaaten „nach oben“ auf die Europäische Union (Crepaz 2017: 28 f.; Auel 2012: 254).
3 Die kommunale Ebene im europäischen Kontext
Die kommunale Ebene erfährt in den Publikationen der Europäischen Union eine große Bedeutung. In den regelmäßig erscheinenden „EU-Nachrichten“, welche über aktuelle Entwicklungen in der Europäischen Union informiert, wurde im Themenheft Nr. 16 mit dem Titel „Die Kommunen – Partner Europas“ des Jahres 2006 die Kommunen als Basis der EU bezeichnet (EU-Kommission 2006: 1).
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Abbildung 2: Das viergliedrige europäische Mehrebenensystem (eigene Darstellung – in Anlehnung an Vorholt 2012: 18)
Im hierarchischen Gefüge des europäischen Mehrebenensystems nimmt die „Kommune“ die unterste Stufe – die „Basis“ – ein. Hierbei ist, im Hinblick auf die Aufgabenerfüllung, folgendes Spannungsfeld erkennbar: Einerseits regeln die Gemeinden nach Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz im Rahmen der Gesetze eigenverantwortlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (Reiners 2019: 3). Daneben übernehmen Sie in weiten Teilen staatlichen Aufgaben wie z. B. in der Bau- oder Sozialverwaltung (Auftragsangelegenheiten bzw. Weisungsaufgaben). Dem gegenüber stehen die Kommunen als Weisungsempfänger im europäischen Mehrebenensystem (Vorholt 2012: 14). In dem nachfolgenden Kapitel wird zunächst vertieft auf das kommunale Selbstverwaltungsrecht eingegangen. Im Anschluss erfolgt eine Betrachtung der über die Jahre gewachsenen Rolle der kommunalen Ebene in der Europäischen Union (Kapitel 3.1). Die Stellung der Kommunen in der Europäischen Union erfolgt in Kapitel 3.2.
3.1 Das kommunale Selbstverwaltungsrecht und seine Schranken
Deutschlands Kommunen haben eine bedeutungsvolle Stellung inne: Die im Grundgesetz verankerte Selbstverwaltungsgarantie ermöglicht die gemeindlichen Aufgaben in eigener Zuständigkeit wahrzunehmen (Sabathil 2006: 10). Kernbereiche dieser kommunalen Selbstverwaltung sind unter anderem die Finanz-, Organisations-, Planungs- und die Satzungshoheit. Im Rahmen der Ausgestaltung dieser Kompetenzen beeinflussen die Kommunen den Lebensraum ihrer Bürger. Doch welche Rolle spielt die kommunale Selbstverwaltung auf der europäischen Ebene? Die Mitgliedsstaaten haben schließlich bereitwillig umfänglich nationale Kompetenzen an die Europäische Union abgegeben, verknüpft mit der Pflicht europäische Rechtsvorschriften umzusetzen.
Die Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung werden durch mehrere Schranken erkennbar, „einerseits durch die Einbindung in den deutschen Föderalismus und andererseits durch die Einbindung in das europäische Mehrebenensystem sowie in europäische Mehrebenengesetze“ (Reiners 2019: 4). Letztere Punkte werden durch europäische Rechtsvorschriften sichtbar. Es gibt zwei Kategorien von europäischen Vorgaben: das Primärrecht, also die von den Mitgliedstaaten unterzeichneten und ratifizierten Verträge und Sekundärrecht, also von der EU erlassene Richtlinien, Verordnungen Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen (Europäische Kommission (o. J.)).
Das nachfolgende Kapitel soll einen Überblick über die fortschreitende Einbindung der Rolle der Kommunen und des kommunalen Selbstverwaltungsrechts in der Europäischen Union geben.
3.2 Zur Stellung der Kommunen in der Europäischen Union
Um die heutige Stellung der Kommunen auf europäischer Ebene besser nachvollziehen zu können, erfolgt ein kurzer historischer Rückblick. Mit derEinheitlichen Europäischen Aktewurde im Jahr 1987 der Europäischen Gemeinschaft Kompetenzen in den Bereichen Umwelt, Binnenmarkt, Verkehr und Regionalpolitik übertragen (Witte / Nutzenberger 2006: 154). Auf diesen Reformvertrag folgten später unter anderem die Vertragswerke von Maastricht und Lissabon. Sechs Jahre später, am 07. Februar 1992, wurde der Vertrag über die Europäische Union (EUV), welcher oft als „Vertrag von Maastricht“ benannt wird, vom Europäischen Rat in Maastricht unterzeichnet. Wichtige Vertragsbestandteile waren unter anderem die Währungs- und Wirtschaftsunion, Unionsbürgerschaft, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik. Im Kontext des Themas dieser Arbeit ist das erstmals verankerte Subsidiaritätsprinzip besonders hervorzuheben. Auf Grundlage dieses Prinzips wird entschieden, in welchen Fällen und Umständen die Europäische Union befugt ist, vor den Mitgliedsstaaten tätig zu werden. Im Umkehrschluss soll ein Tätigwerden auf europäischer Ebene verhindert werden, wenn „eine Angelegenheit auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene wirksam durch die Mitgliedsstaaten geregelt werden kann“ (Europäisches Parlament 2019a). Erstmals wird in einem Regelwerk die kommunale Ebene ausdrücklich genannt (vgl. Art. 4 Abs. 2 S. 1 und Art. 5 Abs. 3 EUV). Danach erfolgt eine Anerkennung der Kommunalverfassungen und ein Schutz der kommunalen Kompetenzen. Im Jahr 1994 erfolgte die Gründung des Ausschusses der Regionen (AdR). Dieser Schritt war eigentlich eine logische Konsequenz: Wie eingangs erwähnt wird eine bedeutende Anzahl der EU-Rechtsvorschriften auf kommunaler Ebene umgesetzt. Durch die Einbeziehung der Vertreter aus eben diesen regionalen Ebenen bei der Entwicklung neuer Gesetze können Erfahrungen und Interessen der Regionen unmittelbar in den europäischen Entscheidungsprozess einfließen. Das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und der Rat der EU müssen den Ausschuss anhören, wenn sie Rechtsvorschriften in Bereichen formulieren, welche Einfluss auf lokale bzw. regionale Gebietskörperschaften haben. Der Europäische Ausschuss der Regionen setzt sich aus den gewählten Vertretern, der lokalen oder regionalen Behörden, aller 28 Mitgliedsstaaten zusammen (Vorholt 2012: 18).
Die sukzessive Einbindung der kommunalen Ebene in das Gefüge der Europäischen Union und die gesteigerte institutionelle Einflussmöglichkeit verdeutlichen daher die erkannte Wichtigkeit der Kommunen für ein bürgernahes und demokratisches Europa, denn nur so kann „örtliche Gemeinschaft“ auf Dauer im europäischen Geflecht verwurzelt werden. Sie spielen zudem eine bedeutende Rolle bei der Vermittlung des europäischen Gedankens gegenüber den Bürgern.
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1Gemeint sind stets beide Geschlechter. Aus Gründen der Lesbarkeit wird auf die Nennung beider Formen verzichtet.