Pilates-Slings-Lektionen und ihr Einfluss auf das Wohlbefinden. Die Auswirkung unterschiedlicher Lektionsabschlüsse auf das Befinden der Teilnehmenden


Masterarbeit, 2023

95 Seiten, Note: 1.3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anlagenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung und Relevanz dieser Masterthesis
1.2 Zielsetzung der Masterthesis
1.3 Abgrenzung des Themas
1.4 Überblick über das weitere Vorgehen

2 Theorie
2.1 Einführung in den Theorieteil
2.2 Embodiment
2.2.1 Das Konzept Embodiment
2.2.2 Power Posing
2.3 Faszien
2.3.1 Aufbau der Faszien
2.3.2 Funktionen von Faszien
2.3.3 Die vier Faszientypen
2.3.3.1 Oberflächliche Faszien
2.3.3.2 Lockere Faszien
2.3.3.3 Tiefe Faszien
2.3.3.4 Muskelfaszien
2.3.4 Einflüsse auf die Faszien und Veränderungen in den Faszien
2.3.4.1 Auswirkungen von Stress auf die Faszien
2.3.4.2 Auswirkungen von Alkohol und Medikamenten auf die Faszien
2.3.4.3 Auswirkungen von Sauerstoff und Bewegung auf die Faszien .
2.3.4.4 Auswirkungen von Wetter und Temperatur auf die Faszien
2.3.5 Wahrnehmungsarten
2.3.5.1 Interozeption
2.3.5.2 Exterozeption
2.3.5.3 Propriozeption
2.3.6 Pilates-Slings und Anatomy Trains
2.3.6.1 Das Tensegrity-Modell
2.3.6.2 Oberflächliche Rückenlinie
2.3.6.3 Oberflächliche Frontallinie
2.3.6.4 Laterallinie
2.3.6.5 Spirallinie
2.3.6.6 Armlinien
2.3.6.7 Tiefe Frontallinie
2.3.6.8 Funktionelle Linien
2.4 Neurologie
2.4.1 Neuroendokrinologie und Neurobiologie
2.4.2 Schmerzen
2.5 Körperhaltungen während der Lektionsabschlüsse
2.5.1 H usner-Standard-Abschluss
2.5.2 Abschluss mit Wirbelsäulen-Extension
2.5.3 Abschluss in der Ki ndsposition
2.5.4 Abschluss mit Rotation
2.6 Einflüsse auf das menschliche Befinden
2.6.1 Äussere Einflüsse
2.6.2 Selbstwirksamkeit
2.6.3 Gewohnheit
2.7 Zusammenfassung und Ableitung der Hypothesen

3 Methode
3.1 Beschreibung der Husner GmbH und relevanter Personen
3.2 Beschreibung der Dauer und des Ablaufs der Umfrage
3.3 Beschreibung der Stichprobe (deskriptiv)
3.4 Beschreibung der statistischen Verfahren
3.4.1 t-Test für abhängige Stichproben
3.4.2 t-Test für abhängige Stichproben für ausgewählte Fälle
3.4.3 Einfaktorielle Varianzanalyse und Bonferroni-Post-Hoc-Test
3.4.4 Beschriftung der Variablen

4 Ergebnisse
4.1 vorher-nachher-Statistiken der einzelnen Gruppen
4.1.1 Mittelwert-Vergleich über alle Gruppen hinweg
4.1.2 Mittelwert-Vergleich der Gruppe mit dem Husner-Standard-Abschluss..
4.1.3 Mittelwert-Vergleich der Gruppe mit dem Extensions-Abschluss
4.1.4 Mittelwert-Vergleich der Gruppe mit dem Flexions-Abschluss
4.1.5 Mittelwert-Vergleich der Gruppe mit dem Rotations-Abschluss
4.1.6 Mittelwert-Vergleich bezüglich der Frage «Wie hat dir die Lektion gefallen?»
4.2 Analyse der vorher-nachher-Statistiken - Wer hat signifikant höhere Werte im vorher-nachher-Vergleich?
4.3 Varianzanalyse - Welche Gruppen unterscheiden sich signifikant in den nachher-Werten?
4.3.1 Psychisches Befinden
4.3.2 Physisches Befinden
4.4 Überprüfung der Hypothesen

5 Diskussion
5.1 Interpretation der Ergebnisse
5.1.1 Interpretationen bezüglich des Mittelwert-Vergleichs über alle Gruppen hinweg
5.1.2 Interpretationen bezüglich der Gruppe mit dem Husner-Standard- Abschluss
5.1.3 Interpretationen bezüglich des psychischen Befindens
5.1.3.1 Psychisches Befinden: Rotation im Verhältnis zu Flexion
5.1.4 Interpretationen bezüglich des physischen Befindens
5.1.4.1 Physisches Befinden: Rotation im Verhältnis zu Flexion
5.1.4.2 Physisches Befinden: Husner-Standard-Abschluss im Verhältnis zu Flexion
5.1.5 Die Bedeutsamkeit von Rotationen
5.1.6 Der Einfluss einer flektierten Körperhaltung auf Körper und Psyche
5.1.7 Stress und die Auswirkungen auf Körper und Psyche
5.2 Kritische Reflexion des eigenen Vorgehens
5.3 Diskussion der praxisbezogenen Gütekriterien
5.4 Inhaltliches Gesamtfazit
5.5 Empfehlungen für die Praxis
5.5.1 Allgemeine Empfehlungen
5.5.2 Empfehlungen für Psychotherapeuten, Agogen, Betreuer, Physiotherapeuten
5.5.3 Empfehlungen für die Husner GmbH
5.5.3.1 Allgemeine Empfehlungen
5.5.3.2 Empfehlungen betreffend Lektionsabschluss
5.6 Implikationen für die weitere Forschung

Literaturverzeichnis

Anhänge

Abstract

Die vorliegende Masterthesis bewegt sich im Oberthema Embodiment und untersucht, ob unterschiedliche Lektionsabschlüssen in Pilates-Slings-Lektionen der Husner GmbH in Zofingen einen Einfluss auf das Befinden der Teilnehmenden haben. Dazu wurden in einem Zeitraum von 4 Monaten Kunden befragt, wie es ihnen vor und nach der Pilates- Slings-Lektion geht, sowohl psychisch als auch physisch. Die Lektionen wurden mit unterschiedlichen Körperhaltungen / Power Poses abgeschlossen, und zwar mit einer expansiven, geöffneten Körperhaltung, mit einer flektierten, zusammengesunkenen Position, mit einem rechts-links-rotierenden Abschluss und als Kontrollgruppe mit dem gewohnten Husner-Standard-Abschluss. Die Mittelwertvergleiche ergaben Unterschiede zwischen den Lektionsabschlüssen: bezüglich des psychischen Befindens geht es den Teilnehmenden nach einem Lektionsabschluss mit Rotation besser als nach einem Abschluss mit Flexion; bezüglich des physischen Befindens ergeben sich ebenfalls Unterschiede zwischen Rotations- und Flexions-Abschluss und auch zwischen Rotation und dem Husner-Standard-Abschluss. Obwohl die Unterschiede nicht signifikant sind, verdeutlichen die Resultate die Relevanz von Rotationen, welche einen grossen Einfluss auf den Brustkorb und die darin befindlichen Organe haben. Ein uneingeschränkt in alle Dimensionen frei bewegbarer Brustkorb ist die Basis für psychische und physische Gesundheit, weil die Organe ihre Funktionen gut wahrnehmen können, die Hydration des Bindegewebes gewährleistet ist und als Folge davon der Sauerstoffaustausch optimal funktioniert, der Elektrolyt- und Wasserhaushalt sowie das endokrine und das Nervensystem optimal zusammenarbeiten können. Es wird eingegangen auf die weitreichenden Folgen von Stress und von flektierten Körperhaltungen, zum Beispiel durch häufiges Sitzen, welche einen negativen Effekt auf die psychische und physische Gesundheit haben. Basierend auf Theorien über Embodiment, Neurologie und Faszienforschung wird die Empfehlung abgegeben, das Bewusstsein zu stärken, dass sich Körper und Psyche gegenseitig beeinflussen. Im psychotherapeutischen Bereich sollte dieser Effekt bewusst eingesetzt werden; Personen, die im Bewegungs- oder Manualtherapiebereich tätig sind, sollen sensibilisiert werden, dass es Einfluss auf die Psyche hat, wenn man mit dem Körper arbeitet; die Bevölkerung soll über die Wechselwirkung von Bewegung und psychischem Wohlbefinden aufgeklärt werden.

Schlüsselwörter

- Embodiment »Pilates-Slings der Husner GmbH - Lektionsabschluss - flektierte Körperhaltungen - Rotationen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Einbettung Geist/Gehirn in Körper und Umwelt

Abb. 2: Aufbau der Faszien

Abb. 3: Oberflächliche Faszien

Abb. 4: Lockere Faszien

Abb. 5: Tiefe Faszien

Abb. 6: Muskelfaszien

Abb. 7: Tensegrity-Modell

Abb. 8: Oberflächliche Rückenlinie

Abb. 9: Oberflächliche Frontallinie

Abb. 10: Laterallinie

Abb. 11: Spiralllinie

Abb. 12: Tiefe Rückwärtige Armlinie und Oberflächliche Rückwärtige Armlinie

Abb. 13: Oberflächliche Frontale Armlinie und Tiefe Frontale Armlinie

Abb. 14: Tiefe Frontallinie

Abb. 15: Die Ballone der Tiefen Frontallinie

Abb. 16: Funktionelle Rückenlinie

Abb. 17: Funktionelle Frontallinie

Abb. 18: Funktionelle (Ipsi-)Laterallinie

Abb. 19: Husner-Standard-Abschluss

Abb. 20: Lektionsabschluss mit Extension

Abb. 21: Lektionsabschluss im Päckli

Abb. 22: Lektionsabschluss mit Rotation

Abb. 23: Das biopsychosoziale Model nach Engels

Abb. 24: Zeitplan der Lektionsabschlüsse

Abb. 25: Mittelwerte des psychischen Befindens vor und nach der Lektion

Abb. 26: Mittelwerte des physischen Befindens vor und nach der Lektion

Abb. 27: Standardabweichungen über alle Gruppen hinweg

Abb. 28: Mittelwerte bezüglich psychischen Befindens - Husner-Standard-Abschluss

Abb. 29: Mittelwerte bezüglich physischen Befindens - Husner-Standard-Abschluss .

Abb. 30: Standardabweichungen beim Husner-Standard-Abschluss

Abb. 31: Mittelwerte bezüglich psychischen Befindens - Extensions-Abschluss

Abb. 32: Mittelwerte bezüglich psychischen Befindens - Extensions-Abschluss

Abb. 33: Standardabweichungen bei Extensions-Abschluss

Abb. 34: Mittelwerte bezüglich psychischen Befindens - Flexions-Abschluss

Abb. 35: Mittelwerte bezüglich physischen Befindens - Flexions-Abschluss

Abb. 36: Standardabweichungen bei Flexions-Abschluss

Abb. 37: Mittelwerte bezüglich psychischen Befindens - Rotations-Abschluss

Abb. 38: Mittelwerte bezüglich physischen Befindens - Rotations-Abschluss

Abb. 39: Standardabweichung bei Rotations-Abschluss

Abb. 40: Mittelwertvergleich bezüglich der Frage: «Wie hat dir die Lektion gefallen?»

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Variablenbeschriftung

Tab. 2: Kreuztabelle bezüglich psychischen Befindens

Tab. 3: Kreuztabelle bezüglich physischen Befindens

Anlagenverzeichnis

Anhang 1: Fragebogen

Anhang 2: t-Test für verbundene Stichproben über alle Gruppen

Anhang 3: t-Test für Mittelwert-Vergleich der Gruppe mit Husner-Standard-Abschluss

Anhang 4: Mittelwert-Vergleich der Gruppe mit Extensions-Abschluss

Anhang 5: Mittelwert-Vergleich der Gruppe mit Flexions-Abschluss

Anhang 6: Mittelwert-Vergleich der Gruppe mit Rotations-Abschluss

Anhang 7: Mittelwertvergleiche / Bonferroni «Wie hat dir die Lektion gefallen?»

Anhang 8: Mittelwerte vorher und nachher

Anhang 9: Post-Hoc-Tests

1 Einleitung

1.1 Problemstellung und Relevanz dieser Masterthesis

Psychische Erkrankungen machen nach Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems den höchsten Anteil aus bei der Betrachtung der Arbeitsunfähigkeitstage in Deutschland im Jahr 2021. Im letzten Jahrzehnt stieg das Arbeitsunfähigkeitsvolumen auf Grund psychischer Erkrankungen um knapp 70% und ist somit eine der auffälligsten Entwicklungen der letzten Jahre (DAK, 2022). Über ein Drittel der Schweizer Bevölkerung berichtete im Jahr 2017 von psychischen Symptomen (BAG, 2022b) und diese Zahlen haben durch die Pandemiejahre zugenommen, vor allem bei jungen Menschen (Jäggi, Liechti, Künzi, Stocker, Schläpfer, 2022, S. 3). Internationale Forschungen haben gezeigt, dass psychische Beschwerden zu den häufigsten Symptomen von Long-Covid-Erkrankungen gehören, deren Prävalenz auf rund 20% geschätzt wird, was sich mittel- und langfristig auf den psychiatrisch­psychotherapeutischen Behandlungsbedarf auswirken wird (Jäggi, Liechti, Künzi, Stocker, Schläpfer, 2022, S. 4). Diese Zahlen sind nur ein kleiner Ausschnitt aus zahlreichen Daten zu psychischen Erkrankungen und zeigen bereits deutlich, wie stark verbreitet psychische Krankheiten sind. Weil zudem im psychotherapeutischen Gesundheitswesen bereits heute lange Wartezeiten bestehen, kann man davon ausgehen, dass sich die Situation künftig weiter zuspitzen wird (Lohmann, 2022; Deschenaux, 2021). Neue Ansätze, die über die Kostenabwicklung zwischen Psychotherapeuten und Krankenkassen hinausgehen, sind gefragt, um die Gesundheit der Gesellschaft langfristig zu verbessern. Einer dieser Ansätze ist es, das Thema Embodiment einem Grossteil der Bevölkerung näher zu bringen.

Embodiment, die Wechselwirkung zwischen Körper und Seele, war bereits in der Antike ein Thema und ist in den letzten Jahren vermehrt wieder in den Vordergrund wissenschaftlicher Forschung gerückt. In unterschiedlichen Formen und unter unterschiedlichen Namen wird der Körper und der Bezug des Körpers zur Psyche in die Psychotherapie integriert (Tschacher & Storch, 2020, S. 2-3). Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, zu welchem ein Mensch meistens bereits eine grosse Leidenszeit hinter sich hat und sich zu einer Therapie entschlossen hat. Embodiment hilft aber nicht erst in einer Therapie, sondern bereits in der Prävention. Gesunde Menschen, die Hintergrundwissen bezüglich Embodiment haben und sich entsprechend bewegen und verhalten, haben gute Chancen gesund zu bleiben. Der Hirnforscher LeDoux schreibt: «Es ist also vielleicht gar keine so schlechte Idee, ein fröhliches Gesicht aufzusetzen, wenn einem traurig zumute ist» (LeDoux, 2001, S. 317). Diese Arbeit möchte einen Beitrag leisten zur Verbreitung des Wissens, dass vielschichtige Zusammenhänge zwischen Körper und Psyche bestehen, welche präventiv genutzt werden können.

1.2 Zielsetzung der Masterthesis

Das konkrete Ziel dieser Masterarbeit ist es, herauszufinden, ob und wie sich Pilates- Slings-Lektionsabschlüsse psychisch und physisch auf die Teilnehmenden auswirken. Weiter ist - unabhängig vom Resultat, ob und wie sie sich auswirken - spannend herauszufinden, wieso sich die Kunden nach unterschiedlichen Lektionsabschlüssen anders fühlen oder eben nicht. Die Arbeit soll aufzeigen, ob das sogenannte Power Posing als Lektionsabschluss einen Einfluss auf das Befinden der Pilates-Slings- Teilnehmenden der Husner GmbH hat. Dazu werden drei unterschiedliche Positionen eingenommen, nämlich Extensionen, Flexionen und Rotationen, also Drehbewegungen. Diese dritte Körperhaltung ist nach aktuellem Erkenntnisstand bisher nicht untersucht worden. Ausgehend von bisherigen Erfahrungen als Bewegungstherapeutin und diversen Weiterbildungen im Bereich der Faszienforschung und zeitgenössischen Bewegungskonzepten wird davon ausgegangen, dass Effekte eintreten werden. Als Kontrollgruppe dient der vierte Abschluss, der Husner-Standard-Abschluss (vgl. Kapitel 2.5.1).

Spannend ist die Frage, ob sich das Bild, dass eine zusammengesunkene Körperhaltung sich negativ auf den Zustand der Probanden auswirkt, eine betont expansive Körperhaltung im Sinne des Power-Posing jedoch keine Hinweise auf positive Effekte erbringt (Mommert-Jauch, 2022, S. 88) in den Untersuchungen im Rahmen dieser Arbeit widerspiegeln wird und wie es sich mit dreidimensionalen Bewegungen, also Rotationen, verhält. Im Kleinen - für die Husner GmbH Sportbegleitung und -beratung - gibt es Aufschluss, ob die Lektionsabschlüsse wie sie bis jetzt sind, sinnvoll sind oder ob es besser wäre, das Ende der Lektion anzupassen, um so einerseits den positiven Effekt der Bewegungseinheit nicht zu mindern und andererseits den Leuten ein noch besseres Gefühl nach der Lektion mit nach Hause zu geben. Im Grossen - für Therapeuten und Agogen und viele betreuende Berufe, aber auch für die ganze sitzende Arbeitswelt - ist es spannend zu wissen, ob High Power Posing wirklich keinen Effekt hat, ob Rotationen eine stimmungsaufhellende Wirkung haben und ob eine vorübergebeugte Haltung, wie man sie auch im Sitzen hat, wirklich negative Auswirkungen hat. Zu diesem Thema gibt es wie erwähnt bereits einige Studien, es besteht aber auch noch viel Forschungsbedarf. Hierzu möchte diese geplante Masterthesis einen kleinen Beitrag leisten, vor allem auch in Bezug auf die bisher noch nicht untersuchten Rotationsbewegungen.

1.3 Abgrenzung des Themas

Ob und in welchem Ausmass Bewegung gut tut und einen positiven Einfluss auf die Psyche und die Stimmung hat, ist ein sehr spannendes, aber zu umfangreiches Thema für eine Masterthesis. Daher wurde das Thema dahingehend eingeschränkt, dass nur die Abschlüsse von Bewegungslektionen, speziell Pilates-Slings-Lektionen1, betrachtet werden und herausgefunden werden möchte, ob bestimmte Körperhaltungen am Ende der Lektion einen Einfluss haben auf das Befinden der Teilnehmenden. Auf externe Einflüsse, die das Befinden der Teilnehmenden mitbeeinflussen, kann ebenfalls aus Gründen des Umfangs nur am Rande eingegangen werden.

1.4 Überblick über das weitere Vorgehen

Der Theorieteil umfasst Grundlagen zu den Themen Embodiment (Kapitel 2.2), Faszien (Kapitel 2.3) und Neurologie (Kapitel 2.4), um darauf aufbauend die unterschiedlichen Körperhaltungen während der Lektionsabschlüsse (Kapitel 2.5) vorzustellen. Abgeschlossen wird der Theorieteil mit einem kurzen Exkurs über weitere Einflüsse auf das menschliche Befinden (Kapitel 2.6) und einer kurzen Zusammenfassung und der Ableitung der Hypothesen (Kapitel 2.7). Der Methodikteil beschreibt die Husner GmbH und deren wichtigste Personen (Kapitel 3.1), die Dauer und der Ablauf der Umfrage (Kapitel 3.2), die Stichprobe (Kapitel 3.3) sowie die angewandten statistischen Verfahren (Kapitel 3.4). Der Ergebnisteil zeigt zuerst vorher-nachher-Statistiken (Kapitel 4.1) und analysiert diese (Kapitel 4.2). Mit Hilfe einer Varianzanalyse wird untersucht, welche Gruppen sich in den nachher-Werten unterscheiden (Kapitel 4.3), damit die Hypothesen überprüft werden können (Kapitel 4.4). Die Diskussion befasst sich mit der Interpretation der Ergebnisse (Kapitel 5.1), reflektiert kritisch das eigene Vorgehen (Kapitel 5.2), diskutiert praxisbezogene Gütekriterien (Kapitel 5.3) und zieht ein inhaltliches Gesamtfazit (5.4). Empfehlungen für die Praxis (Kapitel 5.5) und für die weitere Forschung (5.6) schliessen die Masterthesis ab.

2 Theorie

2.1 Einführung in den Theorieteil

Da diese Masterthesis das psychische wie auch das physische Befinden nach einer Bewegungslektion mit unterschiedlichen Abschlüssen untersucht, werden im Folgenden die zu Grunde liegenden theoretischen Grundlagen behandelt. Die Grundlagen umfassen das Thema Embodiment (Kapitel 2.2.), welches die Zusammenhänge zwischen Körper und Geist/Gehirn näher betrachtet. Der körperlichen Seite des Themas Rechnung getragen, folgt eine detaillierte Betrachtung der Faszien, deren Aufbau und Funktionen. Auch Einflüsse auf die Faszien und Auswirkungen von Bewegung auf die Faszien werden näher beleuchtet (Kapitel 2.3) und dafür die anatomischen Grundlagen dargestellt. Um den Zusammenhang zwischen Körper und Gehirn abzuschliessen, folgt ein Exkurs in die Neurologie (Kapitel 2.4).

2.2 Embodiment

Der Begriff Embodiment hat sich in der deutschen Wissenschaftssprache eingebürgert und meint nicht nur die wortwörtliche Übersetzung aus dem Englischen «Verkörperung», sondern geht weit darüber hinaus. Die Embodiment-Perspektive «fordert, psychische und kognitive Variablen ausdrücklich mit Bezug auf den Körper zu sehen und zu untersuchen.» (Tschacher & Storch, 2012, S. 259).

2.2.1 Das Konzept Embodiment

Der oft als Synonym zu Embodiment verwendete Begriff «embodied cognition» betrachtet also Geist/Gehirn und Körper alseinbiologisches System. Mentales und Körperliches, Handlung und Wahrnehmung werden nicht mehr klassisch getrennt (Fuchs, 2009, S. 1-2). Kaluza (2018, S. 15) bemüht sich in seinen Stressforschungen ebenfalls, den Menschen als «Körper und Seele in einer Umgebung» zu betrachten und sieht die komplexen körperlichen Antworten des Organismus auf psychosoziale Belastungen als wichtiges Forschungsfeld.

Embodiment in der Psychotherapie berücksichtigt, dass die Psyche immer in einen Körper eingebettet ist (Tschacher & Storch, 2012, S. 259). Diese an sich triviale Ansicht wurde in der sehr «kognitivistischen» Psychologie lange ignoriert; sowohl in der klinischen Psycholgoie, in welcher die Körperlichkeit nicht gewürdigt wird, als auch in der kognitiven Verhaltenstherapie, in welcher man sich auf kognitive Verzerrungen beschränkt (Tschacher & Storch, 2012, S. 260). Kognition wurde lange Zeit als unabhängig vom Körper, einzig im Gehirn stattfindend, betrachtet (Gjelsvik et al., 2018, S. 3). Das Konzept Embodiment bedeutet, dass der Geist (Verstand, Denken, kognitives System, die Psyche) mit seinem Organ, dem Gehirn, immer in Bezug zum gesamten Körper steht. Geist/Gehirn und Körper wiederum sind in die restliche Umwelt eingebettet. Ohne diese Einbettung in den Körper und die Umwelt, kann der Geist / das Gehirn nicht intelligent arbeiten (Tschacher, 2017, S.15). Diese Einbettung lässt sich grafisch wie

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Einbettung Geist/Gehirn in Körper und Umwelt Quelle: Storch, Cantieni, Hüther, Tschacher, 2017, S.15

Die zentrale Annahme des Embodiment-Ansatzes ist die Bidirektionalität von körperlichen und psychischen Vorgängen (Storch & Weber, 2015, S. 1). Dies bedeutet, dass sowohl der Körper die Psyche als auch die Psyche den Körper beeinflusst, also eine Wechselwirkung, eine sogenannte zirkuläre Kausalität, besteht. Die Wirkung der Psyche auf den Körper ist ein gängiges Bild in der Alltagspsychologie: Das Sprichwort «Der Körper ist der Spiegel der Seele» ist hinlänglich bekannt und beobachtbar: man denkt, verarbeitet Informationen, hat Gefühle und dies wird anschliessend in körperliches Verhalten, Mimik und Kommunikation übersetzt. Viele Untersuchungen ergeben jedoch genau das Gegenteil, nämlich, dass die Körperhaltung Kognition und Emotion bestimmt, also «Die Seele ist der Spiegel des Körpers» (Tschacher, 2017, S.15­16). Wenn eine gewisse Körperhaltung eingenommen wird - beispielsweise in einem Experiment unter einem Vorwand oder unbemerkt, also aus nicht emotionsrelevanten Gründen - kann sich eine der Körperhaltung entsprechende psychisch-emotionale Reaktion dennoch einstellen (Niedenthal et al., 2005, S. 191). Diese Richtung der Wechselwirkung nennt man Body-Feedback. Body-Feedbacks sind Rückmeldeprozesse, die Geist/Gehirn aus dem Körper erhalten (Storch, 2017, S.39). Diese Rückmeldungen aus dem Körper an das Gehirn werden in zwei Arten unterschieden (Stangl, 2022):

1) Facial Feedback, die Rückmeldung der Gesichtsmuskulatur
2) Postural Feedback, die Rückmeldung der Körperhaltung

Zum Facial Feedback gibt es zahlreiche Studien (Strack, Martin & Stepper, 1988, Levension et al. 1990, Ekman, 1992), die belegen, dass die Rückmeldung der Gesichtsmuskulatur in Zusammenhang steht mit dem Erleben einer Emotion. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Gesichtsmuskulatur einen direkten Einfluss auf die Stimmung haben kann (Storch, 2017, S. 40-43). Auch zum Postural Feedback gibt es Studien (Wells & Petty, 1980, Riskind & Gotay, 1982, Bloch, 1986, Stepper, 1992) die untersucht haben, wie man den Zusammenhang von Body-Feedback und der Entstehung von Emotionen erklären kann. So mussten beispielsweise Testpersonen unter einem Vorwand in einer bestimmten Körperhaltung für 8 Minuten verharren und nachher knifflige Puzzle-Aufgaben lösen. Die Personen, die aus der gekrümmten Position heraus Puzzles zusammensetzen mussten, gab viel früher auf als die Personen, die vor dem Puzzlen in eine völlig aufgerichtete Position gebracht wurden. Die Selbstwahrnehmung der Gekrümmtheit der Versuchspersonen hat prädisponiert, um in der frustrierenden Puzzle-Situation Hilflosigkeit und Versagensgefühle zu entwickeln. Im psychischen System wurden Themen wie Depression, Aufgeben und Mutlosigkeit und damit eine kognitive Voreinstellung aktiviert, die schneller zur Mutlosigkeit in einer schwierigen Situation führte (Storch, 2017, S. 45-47).

2.2.2 Power Posing

Oben beschriebenes Studiendesign, Personen, die unbewusst in einer bestimmten Position verharren mussten und danach eine Aufgabe lösen, nennt sich Power Posing. Es stellt die Frage, ob die Art und Weise wie man steht oder sitzt, Effekte darauf hat, wie man sich fühlt, verhält und wahrgenommen wird. Power Poses werden unterschieden in high power poses, also extendierte, raumeinnehmende Körperhaltungen und in low power poses, also verkürzte, gebeugte, flektierte Körperhaltungen (Körner, Schütz, 2022). Eine aktuelle Metaanalyse mit über 70 Studien hat ergeben, dass eine zusammengesunkene Körperhaltung sich negativ auf den Zustand der Probanden auswirkt, eine betont expansive Körperhaltung im Sinne des Power-Posing jedoch keine Hinweise auf positive Effekte erbringt (Mommert-Jauch, 2022, S. 88). Elkjær et al. (2020, S. 5) halten dabei fest, dass Effekte eher durch die Abwesenheit von zusammengesunkenen Körperhaltungen, als durch Vorhandensein von expansiven Körperhaltungen auftreten und dass zukünftige Forschungen neutrale Kontrollgruppen einschliessen sollten. Forschende der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg untersuchten in einer Metaanalyse Daten aus rund 130 Experimenten mit total ca. 10'000 Probanden. Sie wollten wissen, ob die Körperhaltung einen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung, das Verhalten und die Hormone der Probanden haben. Sowohl bezüglich Selbstwahrnehmung (signifikant und robust) als auch bezüglich Verhalten (weniger zuverlässig) ergaben sich Effekte, dass sich die Teilnehmenden beispielsweise selbstbewusster, stärker und besser fühlten und eine Aufgabe besser bearbeiteten. Auf die Hormone konnte kein statistisch signifikanter Einfluss bewiesen werden (Körner, Röseler, Schütz, Bushman, 2022).

2.3 Faszien

Der Begriff «Faszien» ist ein Synonym für Bindegewebe. Das Erforschen der Faszien ist ein neueres wissenschaftliches Forschungsgebiet. Führend in diesem Bereich sind Robert Schleip, Direktor der Fascia Research Group, Division of Neurophysiology an der Universität Ulm, Thomas Myers, Begründer der «Anatomy Trains», Andry Vleeming von der Erasmus Universität in Rotterdam und Carla Stecco, Chirurgin und Professorin an der Universität in Padova, um nur einige der bekannten und grossen Namen dieses Forschungsgebiets zu nennen. Faszien wurde lange Zeit als passives Gewebe charakterisiert, welches keinen grossen Einfluss auf den Bewegungsapparat hat. Mittlerweile ist das myofasziale Kontinuum besser erforscht und seine Auswirkungen auf Gesundheit, Krankheit und Verletzungen immer detaillierter untersucht (Wilke, Schleip, Yucesoy, Banzer, 2017, S.234).

2.3.1 Aufbau der Faszien

Als Einstieg in das komplexe Gebiet der Faszien soll folgende Grafik dienen, die die Bestandteile der Faszien darstellt, welche im Anschluss erklärt werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Aufbau der Faszien

Quelle: eigene Darstellung

Die Extrazellulärmatrix, synonym verwendbar für den Begriff «Faszien», bildet das Gerüst, an dem sich Zellen anheften und bewegen können. Sie befindet sich also ausserhalb der Zellen, ist aber deren Lebensraum (Gurtner, 2015, S. 23). Die extrazelluläre Matrix hält ein geeignet durchlässiges, hydriertes, ionisiertes Milieu aufrecht, durch welches Metaboliten und Nährstoffe frei diffundieren können (Myers, 2014, S. 15). In der extrazellulären Matrix finden sich viele verschiedene Zellarten, wie Fibroblasten, Adipozyten und multipotente Stromazellen, die sich in Osteoblasten, Chondrozyten, Adipozyten, Myozyten und Neurone differenzieren können. Fibroblasten sind die Hauptzellen und für den Erhalt der strukturellen Integrität des Bindegewebes zuständig. Ausserdem sind sie am Umbau der Matrix beteiligt, in dem sie diese abbauen und neue Fasern und Proteine synthetisieren (Stecco, 2015, S. 5-7). Dieser Umbau auf Molekularebene basiert auf zahlreichen Interaktionen zwischen Zellen und der extrazellulären Matrix - mit Hilfe von nichtkollagenen Verbindungsproteinen - welche Anpassung und Erneuerung des Bindegewebes erlaubt (Zügel et al., 2018, S. 2). Die Extrazellulärmatrix verteilt mechanische Belastung auf das Gewebe und besteht aus einer Grundsubstanz und Fasern, wobei Kollagen- und Elastinfasern vorherrschen. Die Grundsubstanz ist eine gelartige Substanz und für das Abstützen und die Nährstoffversorgung der Zellen verantwortlich (Stecco, 2015. S. 2). In der Grundsubstanz enden die vegetativen Nervenfasern. Über Kapillaren und das vegetative Nervensystem ist auch das Hormonsystem eingebettet. So ergeben sich durch Rückkoppelung engste Verbindungen der Faszien mit dem endokrinen System und dem zentralen Nervensystem (Nazlikul, 2010, S. 436). Die Grundsubstanz besteht hauptsächlich aus Wasser und Zuckermolekülen (Hyaluronsäure), die das Wasser binden (Schleip, 2015, S. 21-22). Im Wasser spielen sich die Grundfunktionen des Lebens ab, wie der Sauerstoffaustausch, der Elektrolythaushalt, der Säure-Basen­Haushalt und die unspezifischen Abwehrleistungen des Immunsystems. Die zwei Haupt­Fasertypen, sezerniert durch die Bindegewebszellen, sind Kollagenfasern und elastische Fasern. Kollagenfasern bestehen aus Strukturproteinen und besitzen eine hohe Zugfestigkeit und sind dennoch flexibel. Sie stellen den häufigsten Fasertyp dar. Sie richten sich in der Regel entlang der mechanischen Hauptbelastungslinien aus. Elastische Fasern sind dünner als Kollagenfasern, verzweigt angeordnet und bilden ein dreidimensionales Netz. So ermöglichen sie dem Gewebe die Anpassung an Dehnung und Zug. Um die Dehnbarkeit zu beschränken und Risse zu verhindern, sind die elastischen Fasern mit Kollagenfasern durchwoben (Stecco, 2015, S. 3-4). Grundbaustein von elastischen Fasern ist Elastin, dessen Vorläufer Tropoelastin wird von Fibroblasten synthetisiert. Elastische Fasern werden gebildet, in dem sich Elastin auf dem Glykoprotein Fibrillin ablagert, welches sich in der Folge in die Fasern einbaut. Elastische Fasern kommen in grossen Mengen in Strukturen vor, die häufig ihre Form ändern müssen, wie beispielsweise in Blutgefässwänden, im Lungengewebe, in der Haut und in der Harnblase (Abdusalamova, 2022). Nimmt im Alter der Anteil an Wasser ab und die Degeneration der Fasern zu, kommt es zu einer verminderten Resistenz der Kollagenfasern gegen Zugkräfte und damit zu einer reduzierten Dehnbarkeit der elastischen Fasern (Ziemer, 2016). Mit faszienorientiertem Training kann entgegengewirkt werden, um Fibrosen und Sklerosen (Gewebeveränderung respektive -verhärtung durch Vermehrung von Bindegewebszellen und Kollagenfasern) zu verhindern.

2.3.2 Funktionen von Faszien

Faszien haben wie erwähnt einen hohen Flüssigkeitsgehalt, der sie anpassungsfähig macht, Spannkraft im ganzen Körper verteilt und zum Transport von Nährstoffen und zum Abbau von Schadstoffen beiträgt. Das Fasziennetz ist ein Spannungs-, Gleit- und Kommunikationssystem (Gurtner, 2016, S. 24- 26).

Das Bindegewebe hat zahlreiche Funktionen, welche zum Teil schon erwähnt wurden im Zusammenhang mit dem Aufbau der Faszien (Kapitel 2.3.1) und hier der Übersichtlichkeit und Vollständigkeit halber (nochmals) aufgeführt werden:

- Stützfunktion (Stützendes Gerüst für den Körper)
- Verbindungen (Bänder, Sehnen und Faszien verbinden unterschiedliche Körpergewebe)
- Schutz für Organe (Polsterung und Trennung von umgebenden Strukturen als Schutz vor Stössen, Druck und Reibung)
- Metabolische Funktionen (Metaboliten aus dem Blut diffundieren durch das angrenzende Bindegewebe zu den Zellen, umgekehrt gelangen Abfallprodukte aus Zellen und Gewebe zu den Blutkapillaren. Dieser Austausch wird durch das Bindegewebe vermittelt.)
- Energiespeicherung (im Fettgewebe, einem spezialisierten Bindegewebe)

- Bildung von Narbengewebe (Grundlegend an der Heilung von Gewebeverletzungen beteiligt) (Stecco, 2015, S. 2).

2.3.3 Die vier Faszientypen

Das Fasziennetz als Spannungs-, Gleit- und Kommunikationssystem besteht aus Hunderten von flachen und seilartigen Verdichtungen und Tausenden von Taschen, die mit strapazierfähigen Scheidewänden (Septen) sowie losen Bindegewebsschichten verbunden sind. Das fasziale Netz ist ein ganzheitliches System mit globalen Funktionen sowie lokalen Spezialisierungen. Aus den Spezialisierungen ergeben sich die verschiedenen Faszientpyen, die sich durch ihre Funktion, Dichte, Lage und der Ausrichtung der Kollagenfasern unterscheiden. Folgende Faszientypen werden gemäss Gurnter (2016, S. 18-22) unterschieden und in den darauffolgenden Unterkapiteln genauer erläutert:

- Oberflächliche Faszien
- Lockere Faszien
- Tiefe Faszien
- Muskelfaszien

2.3.3.1 Oberflächliche Faszien

Oberflächliche Faszien werden auch Fascia superficialis, aeroläres Bindegewebe oder subkutane Schicht genannt. Sie befinden sich direkt unter der Haut (Dermis und Epidermis) und verbinden sich auch mit den tiefen Faszien. Sie beinhalten dichtes, jedoch mehrheitlich lockeres Bindegewebe und Körperfett. Die lockere Textur ist ideal für die Beherbergung von Blutgefässen und Nerven (Gurtner, 2020, S. 358). Die oberflächlichen Faszien sind sehr gut innerviert, wobei sich der grösste Teil der Nervenfasern in den Wänden der Blutgefässe und im Körperfett befinden (Fede et al., 2022. S. 6). Hauptsächliche Fasern der oberflächlichen Faszien sind Kollagen, Elastin und Retikulin. Kollagen gewährleistet die Zugbelastbarkeit und Widerstandsfähigkeit, wenn die darüberliegende Haut gedehnt wird und verbindet zudem die Haut mit den tiefen Faszien. Elastinfasern sind für die Flexibilität und den elastischen Rückzug der Haut wichtig. Nebst den fettspeichernden Zellen (Adipozyten) sind Fibroblasten die wichtigsten Zellen in den oberflächlichen Faszien. Fibroblasten tragen zum Aufbau, Erhalt und Abbau von (unter anderem) Kollagen und Elastin bei und sind wichtige Kommunikatoren, die auf Spannung im Gewebe reagieren (Gurtner, 2016, S. 18-19).

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Abb. 3: Oberflächliche Faszien

Quelle: Hedley, 2022

2.3.3.2 Lockere Faszien

Lockere Faszien kennt man auch unter den Begriffen intermuskuläre oder interfasziale Faszien, Gleitgewebe oder dem englischen Ausdruck „Fuzz“, was so viel wie flauschiges Gewebe bedeutet. Sie umgeben Muskeln und sind sehr anpassungsfähige, dreidimensionale Schichten und Verbindungen, die Gleitbewegungen zwischen Muskeln, Sehnen und anderen Strukturen zulassen, wie ein „fasziales Gelenk“ (Gurtner, 2016, S. 19).

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Abb. 4: Lockere Faszien

Quelle: Hedley, 2022

2.3.3.3 Tiefe Faszien

Tiefe Faszien, Fascia profunda oder echte Faszien sind die dichten, faserigen Faszien, die Muskeln oder Muskelgruppen durchdringen und umgeben. Zu den tiefen Faszien gehören dichte, faserige Bindegewebsschichten wie Septen (Scheidewände), Aponeurosen (Sehnenplatten), Retinacula (Haltebänder) und Gelenkkapseln, die sich miteinander und mit anderen Systemen (wie dem Periost der Knochen) verbinden. Ebenso dazu gehören lokale Verdichtungen wie Sehnen und Bänder und die Muskelfaszien (Epimysium, Perimysium und Endomysium). Sehnen sind lokale Verdichtungen und als Einheit mit korrespondierenden Muskeln und Muskelfaszien ein grundlegender Teil des kommunizierenden, kraftübertragenden myofaszialen Kontinuums. Sehnen verbinden oftmals Muskeln (einschliesslich Muskelfaszien) mit angrenzenden Knochen und Knochenhaut und haben einen hohen Anteil an Kollagenfasern sowie Elastin. Sie sind Kraftüberträger, die elastische Kraft / potenzielle Energie speichern und wieder freisetzen können. Bänder verbinden Knochen mit Knochen und haben eine stabilisierende Wirkung. Sie sind aktiver Teil des myofaszialen Kontinuums, in Serie verbunden und übertragen Kräfte (Gurtner, 2016, S. 20-21).

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Abb. 5: Tiefe Faszien

Quelle: Hedley, 2022

2.3.3.4 Muskelfaszien

Muskelfaszien oder auch intramuskuläre Faszien oder Myofaszien umgeben und durchdringen Muskeln, Muskelbündel und Muskelfasern. Sie bestehen aus Epimysium (um Muskeln), Perimysium (um Faserbündel) und Endomysium (um Fasern). Sie bestehen generell aus Kollagen- und Elastinfasern und befinden sich in der gelartigen Substanz der extrazellulären Matrix, die die Fasern miteinander verbindet. Muskelfaszien arbeiten als Einheit mit den Muskelzellen zusammen und sind entscheidend für koordinierte Kraftübertragung innerhalb und ausserhalb der Muskeln sowie für fliessende und ergonomische Bewegungen. Sie passen sich fortlaufend den Anforderungen der arbeitenden Muskulatur an, um Haltungs- und Bewegungsansprüchen gerecht zu werden (Gurtner, 2016, S. 21-22), ähnlich den in Kapitel 2.4.2 besprochenen neuronalen Netzwerken organisieren sie sich laufend um, um den meistnötigen Anforderungen der jeweiligen Person gerecht zu werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6: Muskelfaszien

Quelle: Stecco, 2022, S. 73

Die epimysialen Faszien, also die Faszien, die als dünne Schicht einen Muskel umgeben, enthalten zwar freie Nervenendigungen, aber keine Vater-Pacini-Körperchen wie die subkutane Schicht. Sie haben eine enge Beziehung zu den Muskelspindeln und spielen daher eine wichtige Rolle bei der Propriozeption und der peripher-motorischen Koordination (Stecco, 2015, S. 94). Eine Muskelfaszie besteht aus bis zu fünf verschiedenen Schichten von Kollagenfasern, zwischen denen jeweils eine Schicht lockeren Bindegewebes liegt. Dieses sorgt dafür, dass die Kollagenschichten, welche verschieden angeordnete Faserrichtungen für unterschiedliche mechanische Zugbelastungen haben, sich zueinander verschieben können (von Heymann & Stecco, 2016, S. 303)

2.3.4 Einflüsse auf die Faszien und Veränderungen in den Faszien

Es gibt zwei unterschiedliche Arten von Veränderungen in den Faszien, die ungünstig sind:

1. Veränderung innerhalb der Kollagenfaserschicht
2. Veränderung der zwischen den Kollagenfaserschichten liegenden Bindegewebsschichten

Eine Veränderung innerhalb der Kollagenfaserschicht führt zu einer Fibrosierung, einer Verkürzung, Verklumpung oder Verfilzung der Kollagenfasern und somit zum Verlust der gerichteten Faserstruktur. Es werden grosse Mengen von ungerichtetem Kollagenmaterial abgelagert, welche die Funktion des ursprünglichen Gewebes stören. Eine Veränderung des zwischen den Kollagenfaserschichten liegenden lockeren Gewebes hingegen führt zu einer Verdichtung des Gewebes und somit zu einer höheren Viskosität (Zähflüssigkeit) und einer Verschlechterung der Verschiebefähigkeit der Faszienschichten untereinander (von Heymann & Stecco, 2016, S. 303). Eine Auswahl an Faktoren, welche auf Faszien einwirken und sie verändern, werden in den folgenden Unterkapiteln dargestellt.

2.3.4.1 Auswirkungen von Stress auf die Faszien

Stress setzt biochemische Vorgänge im Gehirn im Gang, aktiviert den Sympathikus und schüttet Hormone aus, die beispielsweise den Muskeltonus erhöhen, um der Situation (Flight or Fight) gewachsen zu sein. Dieser Mechanismus ist in einer lebensbedrohlichen Situation hilfreich, blockiert im Alltag aber verschiedene kognitive Funktionen (Ludyga, 2016, S. 286). Wenn der Stress chronisch wird, bleibt der Muskeltonus erhöht, es entsteht eine Dauerspannung im Gewebe und die kontraktilen Elemente der Faszien bleiben zusammengezogen (vgl. Kapitel 2.3.5.3). Das führt zu einer Veränderung innerhalb der Kollagenfaserschicht, einer Fibrosierung («Veränderung 1. Art»), die dazu führt, dass das Gewebe verfilzt und sich somit die Funktion des Gewebes verschlechtert. Auch die Blut-, Nerven- und Lymphbahnen werden in ihrer Aufgabenwahrnehmung beeinträchtigt. So kommt es zu typischen Stresssymptomen wie Nackenverspannungen oder Rückenschmerzen (Meyer, 2021, S. 7). Diese Symptome können auch durch physischen Stress ausgelöst werden, wenn beispielsweise jemand in gebückter Haltung arbeiten muss und so eine Art mechanische Überbeanspruchung zu einer inadäquaten Veränderung der Kollagenfasern führt (von Heymann & Stecco, 2016, S. 305). Durch eine Harmonisierung von Spannungszuständen, sei es durch faszienspezifisches Training oder manuelle Techniken, lässt sich möglicherweise der Neurotransmitterfluss in Richtung Gehirn optimieren, was zu einer Beeinflussung der psychischen Stimmung führen kann (Pluns, 2007, S.37).

2.3.4.2 Auswirkungen von Alkohol und Medikamenten auf die Faszien

Die Einnahme entwässernder Medikamente oder von Alkohol führt dazu, dass dem Körper Wasser entzogen wird und zwar nicht nur an erwünschten Punkten, sondern überall. Auch wenn zu wenig Wasser getrunken wird, führt dies zu Wasserentzug im Bindegewebe. Die Hyaluronsäure, die das Wasser bindet (vgl. Kap. 2.3.1) agiert auf Grund ihres chemischen Verhaltens ohne Wasser nicht mehr als Gleitstoff, sondern als Klebstoff. Dies führt zu einer «Veränderung 2. Art», nämlich dass die Viskosität nachlässt, weil die dazwischenliegenden Schichten austrocknen und dünner werden und sich somit die Kollagenschichten zueinander weniger gut bewegen können. Medikamente, die cannaboidhaltig sind und zum Beispiel für Schmerztherapien eingesetzt werden, wirken hingegen positiv, weil sie bestimmte Rezeptoren aktivieren und so beispielsweise Entzündungen entgegenwirken. (von Heymann & Stecco, 2016, S. 305).

2.3.4.3 Auswirkungen von Sauerstoff und Bewegung auf die Faszien

Alle Zellen, egal ob im Bindegewebe, in Organen oder im Blut, verbrauchen Sauerstoff (Oberleithner, 2010, S. 4). Damit sie ihre Funktion und Struktur beibehalten können, müssen sie kontinuierlich mit Sauerstoff versorgt werden. Kommt es auf Grund einer Störung der Atmung oder der Durchblutung zu einem Energiemangel in den Zellen, werden deren Funktionen beeinträchtigt. Erhält beispielsweise eine Nervenzelle zu wenig Sauerstoff, nimmt ihre Erregbarkeit ab, sie gibt also weniger Signale zurück ins Gehirn (Pohl, 2010, S. 764-765). Erhalten Fibroblasten zu wenig Sauerstoff wachsen sie unkontrolliert und lagern faseriges Bindegewebe ab (Stockmann, 2022). Durch eine derartige «Veränderung 2. Art» leidet die Gleitfähigkeit der Faszie und so auch die davon umhüllten Muskeln oder das entsprechende Organ. Werden die entsprechenden Schichten nicht durch Bewegung hydriert, beispielsweise durch Pilates-Slings oder ein anderes faszienspezifisches Training, ziehen sie sich zusammen, werden dünner und verkleben vollständig. Es ergibt sich das Bild eines zu stark geschnürten Schnürsenkels, der einschneidet. Dieses Bild kann sowohl auf ein einzelnes Organ als auch beispielsweise auf den ganzen Brustkorb angewendet werden. Statt des Schnürsenkels können zur Verdeutlichung auch die in Kapitel 2.3.6.7 verwendeten Schnüre der Ballone (Abb. 15) verwendet werden, die zu viel Spannung haben und sich in die Ballone «reingraben».

2.3.4.4 Auswirkungen von Wetter und Temperatur auf die Faszien

Da Bindegewebe zu einem Grossteil aus Wasser besteht, wirkt sich Wassermangel dramatisch aus. Dies nicht nur, wenn dem Körper zu wenig Wasser in Form von Trinken zugefügt wird (vgl. 2.2.4.2), sondern auch wenn die Luftfeuchtigkeit abnimmt. Nimmt die relative Luftfeuchtigkeit von 95% auf 5% ab (unter Laborbedingungen), ziehen sich die Kollagenfasern derart stark zusammen («Veränderung 1. Art»), dass eine 300-mal stärkere Spannung entsteht als sie Muskeln auslösen könnten (Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, 2015). Ein Grund mehr, auch im Winter, wenn die Räume durch das Heizen ausgetrocknet werden, regelmässig zu lüften. Auch die Temperatur beeinflusst die Faszien. Oft ziehen Menschen, die frösteln, die Schultern hoch, um sich vor der Kälte, einem physischen Stressor, zu schützen. Diese Fehlhaltung führt zu mehr Verspannungen, welche oftmals mit Wärme gelindert werden können. Wärme wirkt auf die Molekülstruktur der Hyaluronsäure und erhöht die Verschiebefähigkeit der Faszienschichten («Veränderung 2. Art»).

2.3.5 Wahrnehmungsarten

Nebst den Einflüssen auf die Faszien, welche in den Kapiteln 2.3.4.1 bis 2.3.4.4 soeben vorgestellt wurden, spielen der Mensch und insbesondere die Faszien eine besondere Rolle im Wahrnehmen dieser Einflüsse, weshalb in den folgenden Kapiteln (2.3.5.1 bis 2.3.5.3) näher darauf eingegangen wird.

2.3.5.1 Interozeption

Mit Interozeption ist alles gemeint, was der Mensch aus körpereigenen Systemen wahrnimmt, wie beispielsweise ein schneller schlagendes Herz bei Angst, eine veränderte Atmung oder Schwitzen. Der Begriff kann gleichgesetzt werden mit den somatischen Markern aus Kapitel 2.4.1. Nur ein Teil der Interozeption wird bewusst wahrgenommen (Mommert-Jauch, 2022, S. 71-72). Passt der Körper das vom Herzen geförderte Blutvolumen an einen wechselnden Bedarf des Körpers an, zum Beispiel beim Sporttreiben, aber auch bei starker psychischer Anspannung, ist die Tätigkeit der dafür verantwortlichen Sensoren nicht wahrnehmbar; hingegen ist wahrnehmbar, dass das Herz schneller schlägt. Besteht eine schlechte Interozeption kann dies gefährliche Folgen haben, wie beispielsweise den stillen Herzinfarkt, wenn die betreffende Person nicht spürt, dass sie ständig einen erhöhten Puls hat. Die Person nimmt dann nicht wahr, dass die als Drucksensoren fungierenden Vater-Pacini-Körperchen, welche sich im zellreichen Bindegewebe des oberflächlichen Fettgewebes befinden, Alarm schlagen, weil sie einen veränderten Druck oder die mit der erhöhten Herztätigkeit verbundene Erschütterungen des Brustkorbs wahrnehmen (Stecco, 2015, S. 42). Ein Wahrnehmungstraining kann Abhilfe schaffen, um den eigenen Körper (wieder) besser wahrzunehmen (Birbaumer & Schmidt, 2010, S. 337).

2.3.5.2 Exterozeption

Exterozeption meint die Aussenwahrnehmung eines Menschen, also die Aufnahme und Verarbeitung externer Reize und Sinneseindrücke (Antwerpes & Graf von Westphalen, 2022). Auch hier sind die Vater-Pacini-Körperchen als sogenannte Exterozeptoren beteiligt. Exterozeptoren sind Rezeptoren, die Vibrationen, Druck und Druckunterschiede wahrnehmen und die entsprechenden Informationen an das Gehirn weiterleiten, nämlich an den somatosensorischen Cortex (Schleip, Calsius, Jäger, 2022, S. 169), den gleichen Teil der Grosshirnrinde, der auch aus einer «Schmerz-Mücke» einen «Schmerz-Elefanten» macht (vgl. Kapitel 2.4.2).

2.3.5.3 Propriozeption

Die Propriozeption ist die unbewusste Wahrnehmung der eigenen Bewegung, Stellung, Haltung und Lage im Raum, also alle Empfindungen, die den Körper im Raum betreffen (Gurtner, 2016, S.70). Ähnlich definiert Björklund (2004, S. 14): «...the perception of positions and movements of the body segments in relation to each other, without the aid of vision, touch or the organs of equilibrium.» Propriozeption ist nur dank den Faszien möglich, genauer gesagt dank der sich in den (Muskel-)Faszien befindlichen Muskelspindeln, der Golgi-Sehnenorgane und den freien Nervenendigungen. Vereinfacht gesagt geht einer Kontraktion eines Muskels eine Kontraktion der Muskelspindeln voraus, welche die Länge des Muskels erfassen. Dieser Mechanismus erhöht die Gelenkstabilität bei Bewegungen (Stecco, 2015, S. 95-96). Umgekehrt entladen sich bei Dehnung (entgegengesetzt der Kontraktion) eines Muskels die Golgi- Sehnenorgane, welche die Spannung des Muskels erfassen (Birbaumer, 2010, S. 273). Wenn die epimysiale Faszie steif, verkürzt oder überdehnt ist, beispielsweise durch eine fehlerhafte Körperhaltung, Überlastung oder eine Operation, können die Muskelspindeln und Golgi-Sehnenorgane ihre Länge nicht mehr oder zu wenig stark ändern, so dass die Kraft und/oder die Bewegung des Muskels eingeschränkt wird. Dies führt einerseits zu veränderten Krafteinwirkungen auf die Gelenke, unkoordinierten Bewegungen oder gar Schmerzen. Andererseits verändert sich das Feedback zum zentralen Nervensystem, womit sich die Propriozeption verschlechtert (Stecco, 2015, S. 96-97). Diese neuronale Verschlechterung findet statt, weil sich die zu wenig genutzten neuronalen Netzwerke zurückbilden (vgl. Kapitel 2.4.2).

2.3.6 Pilates-Slings und Anatomy Trains

Pilates-Slings, wie es bei Husner Sportbegleitung und -beratung unterrichtet wird, hat das Ziel einer körperweiten, dynamischen Stabilität. Es basiert auf «Slings Myofasziales Training®», welches von Karin Gurtner entwickelt wurde. Slings ist das englische Wort für Schlingen und meint im Pilates-Kontext die Verkettung von Muskeln und Faszien, welche immer als Einheit agieren und so in verschiedenen Schlingen den ganzen Körper umspannen (Husner, 2022). Wie oben erwähnt, ist das Ziel im Pilates-Slings eine körperweite, dynamische Stabilität für möglichst alle Teilnehmenden zu erreichen. Dies geschieht durch aufeinander abgestimmte Übungen, die auch berücksichtigen, dass es unterschiedliche Faszientypen gibt, wie beispielsweise die Wikingerin mit eher stabilem, nicht sehr geschmeidigem Bindegewebe und den Tempeltänzer mit weichem, sehr flexiblem Bindegewebe. So werden in den Lektionen unterschiedliche Trainingstechniken wie Kräftigen, Stossen, Ziehen, Entgegenwirken, Gleiten, Schmelzen, Spannkraft und Schwung, hydrierende Wechselspiele und Selbstmassagen eingebaut (Gurtner, 2016, S. 89). Um die theoretische Basis für die Umfrage-Auswertung zu erweitern, erfolgt hier eine theoretische Abhandlung über die Schlingen, respektive Slings, myofaszialen Leitbahnen oder Anatomy Trains® gemäss Tom Myers. Myers ist Manualtherapeut und Faszienforscher und Autor des bahnbrechenden Buchs Anatomy Trains (2015), in welchem er die myofaszialen Leitbahnen ausführlich erklärt. Die folgenden Unterkapitel erklären den Grundgedanken des Anatomy-Train-Konzepts an Hand des Tensegrity-Modells (Kapitel 2.3.6.1) und den einzelnen myofaszialen Linien (Kapitel 2.3.6.2 bis 2.3.6.8).

2.3.6.1 Das Tensegrity-Modell

Der Grundgedanke von Myers Konzept ist, dass nicht die Knochen den Körper halten, wie lange Zeit angenommen wurde, sondern ein dynamisches Spannungsnetzwerk von Faszien und Muskeln. Gut zeigt dies das Tensegrity-Modell, welches aus der Architektur bekannt ist (Schleip, 2015, S. 62).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7: Tensegrity-Modell

Quelle: Motro, 2011, S. 31

Konstruktionen gemäss dem Tensegritäts-Modell haben folgende Merkmale:

- Sie bestehen aus stabilen und elastischen Elementen.
- Die elastischen Elemente stehen unter Spannung und stellen Spannung im ganzen System her.
- Die stabilen Elemente sind nur durch elastische Elemente miteinander verbunden und berühren sich nicht (Schleip, 2015, S. 62).

Bezogen auf den menschlichen Körper ergibt sich ein Modell, in welchem Druck und Zug gleichmässig verteilt sind, ein Fliessgleichgewicht (Ausgleich) zwischen allen Zellkompartimenten und eine hohe Stabilität bei Krafteinwirkung besteht. Die stabilen Elemente sind die 206 Knochen des Körpers, welche von Muskeln, Sehnen und Faszien im Gleichgewicht gehalten werden. Eine Spannungszunahme in einem Punkt wirkt sich immer auch auf alle anderen Strukturen des Körpers aus(Siemen, 2006, S. 3).

2.3.6.2 Oberflächliche Rückenlinie

Die Oberflächliche Rückenlinie (ORL) gehört zusammen mit der Oberflächlichen Frontallinie und der Laterallinie zu den Kardinallinien. Es gibt zwei Oberflächliche Rückenlinien, eine auf der rechten und eine auf der linken Körperseite. Sie zieht sich vom Augenbrauenbogen über die Rückseite des Körpers bis zu den plantaren Oberflächen der Zehen(Myers, 2015, S. 79).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 8: Oberflächliche Rückenlinie

Quelle: Myers 2015, S. 80)

Die Oberflächliche Rückenlinie verbindet, stabilisiert und bewegt die Rückseite des Körpers von den Zehenballen bis zu den Augenbrauen. Sie steht für Erdung, Offenheit, Ausdauer und Courage. Die ORL erzeugt:

- Extension (Streckung) des Kopfes, der Wirbelsäule und der Hüfte
- Flexion (Beugung) des Knies und des Fusses (point)

Während der frühkindlichen Entwicklung richtet sich die Oberflächliche Rückenlinie auf, von einer fötalen in eine aufrechte Position. Sie arbeitet gegen die Schwerkraft, daher sind viele fasziale Strukturen stark ausgebildet. Der myofasziale Fluss strömt nach unten, das heisst, die schwersten Körperteile wie Becken, Brustkorb und Kopf werden durch Zug nach unten unterstützt (durch Hüftstrecker (Teil der Hamstrings), Rückenstrecker und tiefe Nackenstrecker (Teil der Rückenstrecker)). (Ver-) Spannungen in den tiefen Nackenmuskeln wirken sich auf Grund ihrer intrinsischen Verbundenheit auch auf die Augen aus und umgekehrt. Die wichtigste Haltungsfunktion der Oberflächlichen Rückenlinie ist die Unterstützung einer offenen, aufrechten Haltung; sie richtet auf und hält aufrecht.

Folgende kompensatorischen Haltungsmuster werden oft mit der ORL in Verbindung gebracht:

- Eingeschränkte Dorsalextension (flex) der Fussgelenke
- Überstreckung der Knie
- verkürzte Hamstrings
- Verschiebung des Beckens nach vorne
- Kreuzbein-Nutation (Verschiebung nach vorne und unten)
- Überstreckung oder auch Beugung der Brustwirbelsäule
- ventrale Verschiebung und Rotation des Hinterhaupts auf dem Atlas
- Unterbrechung der Augen-Wirbelsäulen-Bewegungsverbindung
- posteriore (rückwärtige) Kippung des Beckens (Gurtner, 2015, S.24-31)

2.3.6.3 Oberflächliche Frontallinie

Die Oberflächliche Frontallinie (OFL) gehört zusammen mit der Oberflächlichen Rückenlinie und der Laterallinie zu den Kardinallinien. Die beiden OFL verbinden die ganze anteriore Körperoberfläche von der Oberseite der Füsse bis zu den Seiten des Schädels (Myers, 2015, S. 108).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 9: Oberflächliche Frontallinie

Quelle: Myers 2015, S. 106)

Der untere Teil der OFL läuft von der Oberseite der Zehen über das Knie zum Becken. Der obere Teil zieht vom Schambein hinauf zur fünften Rippe, über das Brustbein und diesem entlang bis zur Seite des Kopfes. Die OFL balanciert die ORL aus und hat einen höheren Anteil an phasischen, schnell zuckenden Muskelfasern. Sie dient dem Schutz und der „Verteidigung“ der sensiblen Bereiche der Körpervorderseite und der Organe der Bauchhöhle. Gleichzeitig steht sie für Selbstbewusstsein, Proaktivität, Mut und Verletzlichkeit. Sie kann den Körper wortwörtlich aufrichten oder herunterziehen (Schreckstarre, angriffslustige Haltung). Die OFL erzeugt:

- Flexion in der unteren Halswirbelsäule, in der Brustwirbelsäule, in der Lendenwirbelsäule und in der Hüfte
- Extension in der oberen Halswirbelsäule, den Knien und des Fusses (Dorsalextension = flex)
- posteriore Beckenkippung
- Fussgelenkstabilisation (v.a. beim Aufsetzen der Ferse)
- Supination des Fusses (Hebung des inneren und gleichzeitige Senkung des äusseren Fussrandes)

Die OFL hebt (im Idealfall) die schweren Teile des Körpers an: das Schambein durch den Rectus abdominis, den Brustkorb durch den Sternalis (längs am Brustbein verlaufender Muskel), seine Faszie und den Sternocleidomastoideus (Teil der
Halsmuskulatur). Der myofasziale Fluss strömt nach oben, im Gegensatz zur ORL, bei welcher er nach unten fliesst.

Folgende Kompensationsmuster werden oft mit der OFL in Verbindung gebracht:

- Eingeschränkte Plantarflexion (point) der Fussgelenke
- Überstreckung (Hyperextension) der Knie
- ventrale (nach vorne) Beckenkippung
- ventrale Rippen- und Atmungseinschränkungen
- Kopfhaltung nach vorne und unten (Geierhals) (Gurtner, 2015, S. 32- 38).

2.3.6.4 Laterallinie

Die zwei Laterallinien (LL) klammern beide Körperaussenseiten ein und sind die dritte Kardinallinie (Myers, 2015, S. 127).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 10: Laterallinie Quelle: Myers 2015, S. 126)

Die Laterallinie balanciert die rechte und linke Körperseite aus und überträgt Kräfte auf alle anderen myofaszialen Meridiane. Sie agiert vorwiegend in der Frontalebene (rechts­links), aber auch Spiralen und gegenläufige Rotationen im Oberkörper sind wichtiger Teil ihres Bewegungsrepertoires. Die Hauptsächlichen Bewegungen der LL sind:

[...]


1vgl. https://www.husner-training.ch/indoor/pilates-slings

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Pilates-Slings-Lektionen und ihr Einfluss auf das Wohlbefinden. Die Auswirkung unterschiedlicher Lektionsabschlüsse auf das Befinden der Teilnehmenden
Hochschule
SRH Hochschule Riedlingen  (Gesundheitspsychologie und Prävention)
Note
1.3
Jahr
2023
Seiten
95
Katalognummer
V1361907
ISBN (eBook)
9783346886897
ISBN (Buch)
9783346886903
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Embodiment, Pilates, Slings, Pilates-Slings, Lektionsabschluss, flektierte Körperhaltung, Prävention, Husner GmbH, Husner Sportbegleitung und -beratung, Einfluss von Rotationen, Brustkorbvolumen
Arbeit zitieren
Anonym, 2023, Pilates-Slings-Lektionen und ihr Einfluss auf das Wohlbefinden. Die Auswirkung unterschiedlicher Lektionsabschlüsse auf das Befinden der Teilnehmenden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1361907

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