Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Theorie der Lebensweltorientierung nach Hans Thiersch. Um sich der Theorie zu nähern, erfolgt zunächst eine Auseinandersetzung mit den Merkmalen von Professionen und welche Kriterien sich dazu im Kontext der Sozialen Arbeit ergeben. Daraufhin wird, zum besseren Verständnis, auf die Notwendigkeit von Theorien in der Sozialen Arbeit und ihren Umgang in der Praxis eingegangen. Damit wird deutlich, dass stetige Diskurse zwischen Theorie und Praxis für die Profession Soziale Arbeit neue Chancen ermöglichen könnten.
Bei der Recherche zu Theorien der Sozialen Arbeit galt das besondere Interesse der Theorie der Lebensweltorientierung von Hans Thiersch, da sich unter dem Begriff ein praxisnaher Ansatz vermuten lässt, der auf den Arbeitsalltag übertragbar scheint. Um dies zu prüfen, werden vorab die Konzeptentstehung, das wissenschaftliche Konzept und die Dimensionen der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit in den Fokus gerückt. Infolgedessen soll die Theorie der Lebensweltorientierung auf das Praxisfeld der stationären Kinder- und Jugendhilfe übertragen werden, da Konzepte solcher Einrichtungen oftmals den lebensweltorientierten Ansatz beinhalten.
Das Beispiel der Heimeinrichtungen unterliegt bestimmten Rahmenbedingungen und lässt sich in der Regel nicht grundlegend an einzelnen Personen ausrichten. Deshalb ist es interessant, inwieweit es tatsächlich möglich ist, für die Betroffenen den Ansatz der Lebensweltorientierung in diesem Bereich in der Realität umzusetzen. Das abschließende Fazit fasst die Ergebnisse zusammen und greift noch einmal die Bedeutung der Theorie der Lebensweltorientierung im Bereich der stationären Kinderund Jugendhilfe auf.
Inhalt
1. Einleitung
2. Theoretischer Hintergrund der Profession „Soziale Arbeit“
3. Wozu braucht es Theorien?
4. Der Lebensweltorientierte Theorieansatz
4.1 Abriss zur Konzeptentstehung
4.2 Lebensweltorientierung als wissenschaftliches Konzept
4.3 Dimensionen der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit
4.4 praktischer Ansatz der Lebensweltorientierung
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Rahmen dieser Hausarbeit besteht die Aufgabe, sich mit einer Theorie der Sozialen Arbeit ausführlicher auseinanderzusetzen. Um sich der Theorie zu nähern, erfolgt zunächst eine Auseinandersetzung mit den Merkmalen von Professionen und welche Kriterien sich dazu im Kontext der Sozialen Arbeit ergeben. Einen wichtigen Aspekt beschreibt weiterführend die Kritik an den klassischen Methoden der Sozialen Arbeit in den 1960er Jahren. Im Folgenden wird zum besseren Verständnis auf die Notwendigkeit von Theorien in der Sozialen Arbeit und ihren Umgang in der Praxis eingegangen. Damit wird deutlich, dass stetige Diskurse zwischen Theorie und Praxis für die Profession Soziale Arbeit neue Chancen ermöglichen könnten.
Bei der Recherche der Theorien der Sozialen Arbeit galt das besondere Interesse der Theorie der Lebensweltorientierung von Hans Thiersch, da sich unter dem Begriff ein praxisnaher Ansatz vermuten lässt, der auf den Arbeitsalltag übertragbar scheint. Um dies zu prüfen, werden vorab die Konzeptentstehung, das wissenschaftliche Konzept und die Dimensionen der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit in den Fokus gerückt. Infolge dessen soll die Theorie der Lebensweltorientierung auf das Praxisfeld der stationären Kinder- und Jugendhilfe übertragen werden, da Konzepte solcher Einrichtungen oftmals den lebensweltorientierten Ansatz beinhalten. Das Beispiel der Heimeinrichtungen unterliegt zudem bestimmten Rahmenbedingungen und lässt sich in der Regel nicht grundlegend an einzelnen Personen ausrichten. Deshalb ist es interessant, inwieweit es tatsächlich möglich ist, für die Betroffenen den Ansatz der Lebensweltorientierung in diesem Bereich in der Realität umzusetzen.
Das abschließende Fazit fasst die Ergebnisse zusammen und greift noch einmal die Bedeutung der Theorie der Lebensweltorientierung im Bereich der stationären Kinder- und Jugendhilfe auf.
2. Theoretischer Hintergrund der Profession „Soziale Arbeit“
Anhand bestimmter Merkmale, die als konstitutiv für Professionen angenommen wurden, wird ermittelt, ob und wieweit überhaupt von einer Professionalisierung ausgegangen werden kann. An diesen Kriterien wurde auch die soziale Berufsarbeit gemessen (vgl. Galuske 2013: 126). In der Profession der Sozialen Arbeit gibt es viele verschiedene Sichtweisen und Theorien darüber, was Probleme verursacht und wie diese gelöst werden können. Häufig klingen die Belange eher banal und die Lösungsansätze nach Alltagswissen. Es gibt meist unterschiedliche Beschreibungen und Erklärungen über die vorliegenden Probleme und wie diesen abgeholfen werden kann. So können die verschiedenen Beteiligten unterschiedliche Theorien zu Situation entwickeln und auch wenn sich Mitarbeitende der Sozialen Arbeit dessen oftmals nicht bewusst sind, so arbeiten sie dennoch mit Theorien oder besser formuliert mit Theorieansätzen (Herwig-Lempp 2003: 4).
Ende der 60er Jahre gerieten jedoch die klassischen Methoden der Sozialen Arbeit ins Kreuzfeuer fachlicher Diskussionen und in zunehmende Kritik. Der verlagerte Blickwinkel auf die Frage „‚Wie machen wir’s?‘ zu der eher analytischen Frage ‚Warum ist es so?‘“ (C. W. Müller 1996c, S. 20; zit. n. Galuske 2013: 115) entstand durch Politisierung sowie Theoretisierung und nahm die klassischen Methoden (bspw. Einzelfallhilfen, soziale Gruppenarbeit, wohlfahrtsstaatliche und integrative Ansätze der Gemeinwesenarbeit) aus neuen, anderen Perspektiven wahr. Aufgrund der veränderten Betrachtungsweise konnten die bisherigen Methoden als Instrumente einer zutiefst ungerecht gedachten Klassengesellschaft identifiziert werden (vgl. Galuske 2013: 115). Dies bezog sich insbesondere auf die folgenden vier Kriterien:
a) fehlende theoretische Fundierung – diffuse Mischung aus Techniken und Werten, welche überwiegend durch die kritiklose Übernahme mittelstandsorientierter Werthaltungen gekennzeichnet ist
b) Differenz zwischen gesellschaftlicher Funktion und Selbstwahrnehmung – unzureichende Wahrnehmung des sogenannten „doppelten Mandats“, mangelnde Partizipation, Beeinflussung der Klientel im Sinne einer „normalen“ Lebensführung
c) Pathologisierung der Klientel – Notlagen der Klient*innen werden vorrangig als psycho-soziale Probleme und Erkrankungen wahrgenommen und somit auch zum Gegenstand der Intervention
d) Entlastung der Gesellschaft von strukturellen Problemlösungen – Verschleierung der Mängel unserer Gesellschaftsordnung, Herrschaftsstrukturen dienen zur Anpassung der Klientel an bestehende Sozialstrukturen, Diskriminierung der pathologisierten Opfer (vgl. Galuske 2013: 115 - 119.).
Um Prozess der Professionalisierung der Sozialen Arbeit dennoch weiter voranzutreiben, mussten neue Methoden gesucht werden. „Unter den Stichworten Professionalisierung und später Handlungskompetenz setzte ab Anfang der 1970er Jahre eine intensive Diskussion um Rahmenbedingungen, Chancen, Möglichkeiten und Grenzen der Professionalisierung Sozialer Arbeit ein, die mit schwankender Konjunktur bis zum heutigen Tag weitergeführt wird“ (Galuske 2013: 123).
Im Zuge der Demokratisierung und Realisierung des Sozialstaatsprinzips entstand unter anderem das Konzept der Lebensweltorientierung und verfolgte einen generellen Neuansatz in der Sozialen Arbeit (vgl. Grunwald/Thiersch 2016: 25). Soziale Arbeit ist hierbei ein Glied in der weiten Reihe „der gesellschaftlichen und institutionellen Zuständigkeiten, sie agiert gleichsam im Team anderer Zuständigkeiten. In dieser Reihe hat sie aber einen eigenen und spezifischen Auftrag: Sie ist zuständig für Probleme, die Menschen im Alltag mit sich selbst und ihrer Lebensplanung, in ihrer Familie, in ihrem Freundeskreis haben. Sie tritt ebenso in Aktion, wenn Menschen Probleme mit der Schule, bei der Arbeit, in der Klinik oder der Justiz haben. Sie sucht Menschen dabei zu unterstützen, dass sie in ihrem Alltag der täglichen Bewältigungsaufgaben zurande kommen“ (Thiersch 2017: 3).
Doch trotz erheblicher Fortschritte bedarf das Forschungsprogramm der Sozialen Arbeit in weiten Teilen noch steter Bearbeitung. Bis zum heutigen Tage dauert die Auseinandersetzung mit der Frage an, ob Soziale Arbeit eine Profession ist oder nicht (vgl. Galuske 2013: 134).
3. Wozu braucht es Theorien?
Theorien finden in der Praxis der Sozialen Arbeit auf Nachfrage kaum Anerkennung. Sie werden für den Arbeitsalltag von Sozialarbeiter*innen oftmals als „unbrauchbar“ eingestuft und haben somit hauptsächlich für die Wissenschaft Bedeutung. Das vermittelt den Eindruck, als ob Praktiker*innen aber auch Wissenschaftler*innen der Sozialen Arbeit nicht in der Lage sind, einen Diskurs herzustellen, den sie für ein sinnvolles Zusammenspiel benötigen (vgl. Herwig-Lempp 2003: 7). „Dies ist bedauerlich – denn die PraktikerInnen, […], könnten eine praxisnahe Theorie – oder besser mehrere – tatsächlich gut gebrauchen bzw. einen pragmatischeren Umgang mit Theorie (und manchmal könnten sicher auch die WissenschaftlerInnen eine praxisnahe Theorie gut gebrauchen)“ (Herwig-Lempp 2003: 7).
Um jedoch die Funktion wissenschaftlicher Theorien besser einordnen zu können, bedarf es zunächst einer Unterscheidung der Begrifflichkeiten Arbeit und Beruf. Arbeit bezieht sich auf allgemeine Tätigkeiten, die keiner speziellen Ausbildung bedürfen und welche im Prinzip jeder Mensch durchführen kann (bspw. Hausputz, Einkauf zum Lebensbedarf, Zubereitung von Mahlzeiten, Kindererziehung). Ein Beruf hingegen muss erlernt werden und beinhaltet eine Bezahlung für die erbrachte Leistung. Es handelt sich hierbei um eine arbeitsteilige, spezialisierte Tätigkeit, welche bestimmte Kenntnisse, Methoden und Techniken erfordert (bspw. Handwerksberufe wie Maurer*innen, Elektriker*innen oder Bäcker*innen). Des Weiteren gibt es die sogenannten ‚gehobenen Berufe’ mit besonderen Ausprägungen in Einkommen, gesellschaftlicher Stellung, Ansehen und Einfluss, die ein hochspezialisiertes, theoretisches Studium erfordern (bspw. Professionen wie Recht, Medizin oder auch Soziale Arbeit), welches auf systematisiertem (wissenschaftlichem) Wissen basiert (vgl. Galuske 2013: 124).
Mithilfe von Theorien lassen sich gewisse Zusammenhänge herstellen, indem bestimmte Elemente miteinander verbunden und Wirkzusammenhänge erklärt werden. Theorien bieten folglich Begriffe, Definitionen und Kategorien, mit denen uns Menschen bereits erforschte und somit erklärbare Zusammenhänge unserer (Arbeits-) Welt verständlich und zugänglich gemacht werden sollen. In Theorien wird also das Fachwissen der jeweiligen Profession dargestellt. Sie sind als Werkzeuge bzw. Instrumente zu betrachten, mit denen sich Zusammenhänge beschreiben sowie erklären lassen und sollen eine Grundlage über angemessene Handlungsoptionen bieten. Die Orientierung an der Metapher des Werkzeugs macht deutlich, dass für unterschiedliche Aufgaben verschiedene Werkzeuge zur Verfügung stehen sollten, um adäquat und zielführend handeln zu können. Dazu ist es wichtig, die einzelnen Werkzeuge kennenzulernen, sich mit ihrem Gebrauch vertraut zu machen und ihre Einsatzmöglichkeiten bzw. Grenzen abwägen zu können. Daraus schlussfolgernd braucht auch die Profession der Sozialen Arbeit nicht eine, sondern mehrere Theorien. In diesem Sinne sollten Theorien verständlich, vielfältig und leicht umsetzbar sein, um sie schnell und nutzbringend anwenden zu können. Dennoch sollen Theorien auch stets weiter zum Nachdenken und besserem Verstehen anregen, weitere Sichtweisen sowie neue Erkenntnisse wahrnehmen und für Diskurse offenbleiben (vgl. Herwig-Lempp 2003: 4 f.).
„Wir brauchen Theorien, die Lust machen auf Theorie – sowohl, weil sie als nützlich wahrgenommen werden für die Praxis und für den Alltag, als auch, weil wir als SozialarbeiterInnen durchaus auch Spaß haben können an der „abgehobenen“, theoretischen Diskussion“ (Herwig-Lempp 2003: 14).
4. Der Lebensweltorientierte Theorieansatz
4.1 Abriss zur Konzeptentstehung
Wie bereits beschrieben, bedingte die zunehmende Kritik der klassischen Methoden Sozialer Arbeit neue Ansätze. Eine große Rolle ist hier der Methodenentwicklung zuzuschreiben. Unter den vier bedeutsamen Entwicklungen dieser Zeit des Umbruchs wird unter anderem auch das Konzept der alltags- und lebensweltorientierten Sozialen Arbeit aufgeführt (vgl. Galuske 2013: 146).
Der lebensweltorientierte Theorieansatz wurde in den 1970er Jahren von Hans Thiersch in Tübingen entwickelt und hat es sich seither in ganz Deutschland sehr verbreitet. Der theoretische Rahmen lässt sich anhand der Arbeitsprinzipien und Grundhaltungen sowie der spezifischen Ausgestaltung der Sozialen Arbeit begründen. Dabei ist zu beachten, dass in dem heutigen Begriff der Sozialen Arbeit die zwei unterschiedlichen Traditionen der Sozialpädagogik (SP) und der Sozialarbeit (SA) zusammengefasst werden. Generell hat das Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit mit Menschen zu tun, die vielschichtige Probleme haben, bei denen sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Schwierigkeiten ineinandergreifen (vgl. Thiersch 2017: 2).
Soziale Arbeit wurde bis in die sechziger Jahre durch Strategien der Anpassung, der Disziplinierung und Stigmatisierung beeinflusst und oftmals von der Ideologie der Mildtätigkeit und Großzügigkeit mitbestimmt. Nachdem der Nationalsozialismus Soziale Arbeit zur Rassen- und Nationalpolitik funktionalisiert und degradiert hatte, ermöglichten die sechziger Jahre einen Umbruch der Profession. Somit konnten die pädagogischen und sozialpolitischen Reformdiskussion der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sowie soziale Arbeitsansätze aus der Tradition der Aufklärung neu zugänglich gemacht werden. Ziel war es, Soziale Arbeit sozialwissenschaftlich, institutionell und professionell neu- und weiterzufassen und so eine neue Soziale Arbeit tendenziell flächendeckend zu realisieren (vgl. Grunwald/Thiersch 2016: 25). Das Konzept Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit verweist darauf, dass die Alltagserfahrungen der Adressat*innen nicht umgangen werden können und ihre Erfahrungen sowie (ablehnende) Eigensinnigkeiten in den Prozess einzubeziehen sind. Die bisher disziplinierende und stigmatisierende Macht des fachlichen und institutionellen Apparats wurde kritisiert und darauf gedrungen, dass bei einer Neukonstitution die Adressat*innen von Grund auf partizipiert werden müssen (vgl. Grunwald/Thiersch 2016: 25).
4.2 Lebensweltorientierung als wissenschaftliches Konzept
Bei der Auseinandersetzung mit Theorien der Sozialpädagogik/Sozialarbeit (SP/SA) ist stets der Hintergrund einer skeptisch-gleichgültigen Öffentlichkeit, einer unwillig-abweisenden Praxis und kritisch-konkurrierender Nachbardisziplinen mit einzubeziehen. Soziale Arbeit hat immer wieder mit dem Vorwurf zu kämpfen, selbst die Probleme zu erzeugen, die sie zu lösen vorgibt und den Betroffenen ihre eigene Verantwortung zu entziehen, um die Notwendigkeit sozialpädagogischen Handelns aufzuwerten und durchzusetzen. Zudem werden die verfügbaren Theorien in der Praxis als unbrauchbar denunziert. Praktiker*innen fühlen sich in ihrem Tun oftmals alleingelassen und berufen sich auf die situative Machbarkeit, pragmatische Kenntnisse von Handwerkszeug und Handlungsregeln sowie auf ihre eigenen Erfahrungen (vgl. Thiersch[2] 2015: 17 f.). Theoriediskussionen wirken einseitig, unproduktiv und ergebnislos. Um gleichwohl die gesellschaftstheoretischen Konstitutionsmerkmale ihrer Handlungsimperative wie die Situation der Adressat*innen in gegebenen Lebensverhältnissen reflektieren, gilt es die folgenden Aspekte zu berücksichtigen (vgl. Thiersch[2] 2015: 19 f.). Eine „Theorie der SP/SA fragt:
- nach der gesellschaftlichen Funktion, wie sie sich in konkreten Problemlagen, Institutionen und Handlungsformen und im Verbund unterschiedlicher institutioneller Möglichkeiten äußert;
- nach den eigenen Arbeitsansätzen, wie sie sich in den vielfältigen Institutionen und Handlungsmustern darstellen und wie sie nur im Kontext der modernen Sozial- und Verhaltenswissenschaften rekonstruiert und analysiert werden können,
- nach den Lebensperspektiven von Adressaten, wie sie sich jenseits und vor dem sozialpädagogisch-institutionalisierten Zugriff für die Betroffenen darstellen, nach deren gegebenen Lebenslagen“ (Thiersch[2] 2015: 20).
Der wissenschaftliche Charakter der theoretischen Konzepte der Sozialen Arbeit bezieht sich somit zunächst auf die gesellschaftliche Funktion sowie die Bestimmung von Status und Definition der Unterstützungsbedürftigkeit der Adressat*innen. Dazu werden spezifische Handlungsmuster und die organisationale Gestaltung der Sozialen Arbeit in den Fokus gerückt und aus verschiedenen spezifischen Perspektiven (bspw. subjektbezogen, bildungs-, professions- oder systemtheoretisch) analysiert. Im Theoriekonzept der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit wird das spezifische, organisierende Leitinteresse an der Lebenswelt der Adressat*innen ausgerichtet. Es versteht sich als Rahmenkonzept, welches - aus seiner spezifischen Perspektive heraus - anderen Ansätzen gegenüber offen ist (vgl. Grunwald/Thiersch 2016: 29 f.).
„Grundlage für eine Theorie SP/SA ist eine Gesellschaftstheorie. die die Erzeugung und Definition von sozialen Problemen und Lernproblemen ebenso thematisiert wie die spezifischen Interventionsformen als gesellschaftliche Reaktion auf sie, eine Gesellschaftstheorie also, die das Komplementärverhältnis von gesellschaftsbedingten Lebensverhältnissen und gesellschaftlichen Antworten thematisiert. Die Pädagogik bei Pestalozzi etwa hat diesen Zusammenhang in philosophierend-gesellschafts-theoretischem Zugriff erörtert. Nach den pädagogischen und kulturkritischen Verengungen der hermeneutisch-pragmatischen Diskussion der 20er Jahre wird der gesellschaftliche Ort der SP/SA in jüngster Zeit wieder zentral diskutiert, allerdings, der gewandelten gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Situation entsprechend, in unterschiedlichen Paradigmen, beispielsweise dem historischen Materialismus, der modernen Systemtheorie oder der kritisch-emanzipatorischen Gesellschaftstheorie. So unabdingbar aber solche notwendigerweise über die spezifischen Probleme der SP/SA hinaus-greifenden Konzepte für die sozialpädagogische Diskussion auch sein mögen, so werden diese für eine Theorie der SP/SA nur dann ergiebig, wenn sie sich im Zugang zu sozialen Problemen und Lernproblemen in entsprechenden Institutionen, also als ein Mechanismus staatlicher Steuerung von sozialen Problemen konkretisieren lassen.“ (Thiersch[2] 2015: 38)
4.3 Dimensionen der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit
Lebensweltorientierte Soziale Arbeit wirkt in institutionell geregelten Zuständigkeiten. Sie agiert in professionellen Programmen sowie methodisch transparenten Organisations-und Interventionskonzepten. Ihre Hauptaufgabe liegt in der kritisch-reflexiven Vermittlung von wissenschaftlicher Fundierung und von Aufgaben, welche sich aus der Praxis ableiten. Hier liegt allerdings auch die Gefahr, sich in ihrer Selbstbezüglichkeit und Selbstreferentialität zu verfestigen, was zu Folge haben kann, dass sich der Bezug zur Lebenswelt ihrer Adressaten verkürzt oder ganz abhandenkommt. Dieser grundsätzliche Zwiespalt kennzeichnet das Konzept und verweist darauf, dass sich lebensweltliche Verhältnisse in der Arbeit nicht hintergehen lassen. Es stellt sich somit prinzipiell institutionskritisch dar. Trotz allem versucht das lebensweltorientierte Konzept diese Kritik abzuwenden und nutzt institutionelle und professionelle Möglichkeiten, die sich auf die spezifischen, heutigen lebensweltlichen Verhältnisse beziehen lassen (vgl. Thiersch/Grunwald/Köngeter 2012: 186). Sie orientiert sich an den „Erfahrungen in Zeit, Raum, sozialen Bezügen, auf Pragmatik und Lebensbewältigung, wie sie sich in den heutigen gesellschaftlichen Konstellationen in der Spannung von Ressourcen und Optionen, Gegebenem und Aufgegebenem zeigen. In der Profilierung in diesen alltäglichen Zugängen, in der Betonung ihrer besonderen Bedeutung und in ihrer Konkretisierung in institutionellen und methodischen Arrangements liegt der spezifische Beitrag des Konzepts und sein Unterschied zu anderen ebenfalls theoretisch verorteten und methodisch ausgewiesenen Ansätzen, wie etwa dem psychoanalytischen, systemischen oder dienstleistungstheoretischen“ (Thiersch/Grunwald/Köngeter 2012: 186). Lebensweltorientierte Soziale Arbeit agiert folgenden Dimensionen:
1) Sie betrachtet die erfahrene Zeit, in welcher die Bezüge zwischen den Lebensphasen im Lebenslauf gleichermaßen unzulänglich sind wie Zukunftsperspektiven.
In Situationen gesellschaftlichen Wandels werden Bezüge in Übergängen und Abschieden zunehmend schwierig. Für die Gegenwart bedarf es angesichts von Vergangenheit und Zukunft eine gewisse Offenheit sowie Kompetenzen und Mut, um sich weiterentwickeln zu können. Lebensweltorientierung richtet sich an den Bewältigungsaufgaben der jeweiligen Gegenwart und der Gleichaltrigenkultur aus, an welcher sich Heranwachsende ihres Lebensstils und Möglichkeiten vergewissern.
2) Sie orientiert sich am individuell erfahrenen Raum, in dem die Menschen eingebettet sind. Dieser ist individuell zu betrachten, da er sich bspw. für Heranwachsende, für Frauen (mit Kindern) oder für alte Menschen sehr unterschiedlich darstellt. Um bornierte, unattraktive und depravierende Strukturen eines verengten Lebensraums für Neues öffnen zu können, müssen zunächst mögliche Ressourcen aufgedeckt, zugänglich gemacht bzw. auch neue inszeniert werden. Neben der Arbeit am Fall beinhaltet die Arbeit an der sozialen Infrastruktur eines Sozialraums und seinen sozialen Bezügen einen eigenständigen Aufgabenbereich.
3) Ressourcen und Spannungen der sozialen Bezüge werden involviert. Personen sind im Kontext des sozialen Geflechts von Familien und Freundschaften zu sehen. Elternarbeit ist bspw. ein Bestandteil in Kindereinrichtungen aber auch Gegenstand der Erziehungshilfen. Sie dient der Kooperation mit Eltern, aber auch zur Bearbeitung von Problemen, die Heranwachsende mit ihren Eltern haben.
4) Lebensweltorientierung bezieht sich auf Zeit, Raum und soziale Beziehungen und meint insbesondere die alltäglichen und eher unauffälligen Bewältigungsaufgaben zu respektieren. (Familien-) Hilfe bedeutet Überschaubarkeit und Ordnung in den oftmals „verwahrlosten“ räumlichen und zeitlichen Strukturen zu finden und auch in den kleinen Aufgaben das „Nebenher“ für Beziehungsklärungen zu nutzen. Es geht vorrangig um die Transparenz und Klarheit in den Alltagsvollzügen, z.B. beim Aufstehen, Essen und in der Freizeit, also um die pädagogische Strukturierung elementarer Regeln im Umgang mit Raum, Zeit, mit anderen und mit sich.
5) In Bezug auf Zeit, Raum, soziale Bezüge und pragmatische Erledigung richtet die lebensweltorientierte Soziale Arbeit ihre Unterstützungen an hilfsbedürftigen Menschen so aus, dass diese sich dennoch als Subjekte ihrer Verhältnisse erfahren können. Ihr Ziel ist Hilfe zur Selbsthilfe, Empowerment und Identitätsarbeit. Menschen werden mit ihren Stärken gesehen, auch wenn diese aus der Zumutung von Bewältigungsaufgaben resultieren. Sie sieht sie in Auseinandersetzungen um politische Partizipation oder um die ehrenamtliche oder bürgerschaftliche Übernahme von Aufgaben. Sie erkennt Aversionen gegen Zwänge und Zumutungen, sich auf Lebensentwürfe einzulassen, die nur äußerlich sind und keine Bedeutung für die eigene Lebensgestaltung haben. Menschen sollen sich gegen Ressentiment, Verzweiflung oder Ausbrüche in Gewalt und Sucht behaupten können und trotz der Widersprüche und Offenheiten der heutigen Verhältnisse (Belastungen und Überforderungen heutiger Situationen) Sicherheit in ihrem Lebenskonzept finden.
6) Lebensverhältnisse sind gesellschaftlich geprägt. Die Analyse der die Lebenswelt bestimmenden gesellschaftlichen Probleme erfordert die Kooperationen und Koalitionen mit anderen Politikbereichen. Unterschiedlichen Facetten einer weit verstandenen Sozialpolitik wie Jugend-, Familien-, Alten- und Behindertenpolitik, aber auch vor allem Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Wohnbaupolitik sind erforderlich. Im Prinzip der Einmischung macht sie ihre Expertise in der politischen und öffentlichen Auseinandersetzung geltend. Ihrem gesellschaftlichen Auftrag entsprechend tritt sie für gute und gerechte Lebensverhältnisse ihrer Adressaten sowie auch für einen angemessenen Gestaltungsraum für die Arbeitsbedingungen in der sozialen Arbeit (besonders in der regionalen Szene) ein. Die Defizite einer argumentativ (und wissenschaftlich empirisch) gestützten Arbeit (vor allem auch Öffentlichkeitsarbeit), wie sie von Verbänden aber auch von Kommunen zu leisten wäre, sind gerade hier besonders groß (vgl. Thiersch/Grunwald/Köngeter 2012: 187-188).
4.4 praktischer Ansatz der Lebensweltorientierung
Jeder Mensch wird in bestimmte Strukturen hineingeboren, mit denen er aufwächst und die er als seinen Alltag erfährt. Diese Alltäglichkeit ist – ob gut oder schlecht – ein fester Bestandteil im Leben, der – wie auch immer geartet – eine gewisse Vertrautheit an damit verbundene Personen, Beziehungsgestaltung, Raum, Zeit etc. beinhaltet (vgl. Thiersch[1] 2015: 288). Jedoch stellt eine Unterbringung in der stationären Kinder- und Jugendhilfe die Betroffenen (Kinder, Jugendliche aber auch die [Groß-] Eltern sowie Geschwister) vor eine Exklusion, welche ihr Leben entscheidend verändert. Die Gründe einer solchen Entscheidung sind vielfältig und müssen in ihrer Gesamtheit immer individuell betrachtet werden, um einen möglichst guten Zugang zu den Betroffenen zu bekommen.
Das Konzept der Lebensweltorientierung setzt genau in dieser persönlichen Lebenswelt an. Es bezieht sich auf die alltäglichen Deutungs- und Handlungsmustern der Adressat*innen und ihren Bewältigungsanstrengungen. In diesem Alltag sollen persönliche Stärken, Problemsituationen aber auch eigene Ressourcen für einen gelingenderen Alltag stabilisiert, verändert und neu strukturiert werden und zur sozialen Gerechtigkeit beitragen. Lebensweltorientierung ist ein Versuch, die Eigensinnigkeit der Lebenserfahrung und Bedürftigkeit der Adressat*innen mit den Möglichkeiten institutionell und professionell gefasster Sozialer Arbeit zu verbinden. Dies beinhaltet gewisse Potenziale und Gefährdungen und kann zu Spannungen führen, die einer gelingenden Gestaltung bedürfen. Soziale Arbeit muss dabei ihre sozial-wissenschaftlich gestützten institutionellen und methodischen Konzepte evaluieren, um diesen Ansatz anzupassen bzw. zu optimieren (vgl. Grunwald/Thiersch 2016: 24).
Doch inwieweit lässt sich das Konzept der Lebensweltorientierung in der stationären Kinder- und Jugendhilfe tatsächlich umsetzen?
Es gilt zu bedenken, dass bei einer Heimunterbringung verschiedene Lebenswelten aufeinandertreffen, die unter einem Dach zusammengeführt und geregelt werden müssen. Dies sind zum einen die sozialen Milieus der Kinder und Jugendlichen, zum anderen aber auch die der Mitarbeiter*innen der Einrichtung. Somit müssen unterschiedliche Werthaltungen, Mentalitäten, Interaktionen und Prinzipien der Lebensführung (also eine kulturelle Vielfalt bestimmter Muster) in Einklang gebracht werden, um innerhalb der alltäglichen Lebensführung einer Wohngruppe die soziale Einbindung der/des Einzelnen in diese neue Lebenswelt sowie die individuelle soziale Partizipation an den Funktionssystemen zu ermöglichen. Dies erfordert den Aufbau eines festgelegten Koordinationssystems, um die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Anforderungen durch einen verlässlichen Ablauf zu gewährleisten. Für die wechselseitige Akzeptanz und einen Beziehungsaufbau sind deshalb Regeln, Strukturen sowie feste Handlungsmuster und -routinen unerlässlich. Innerhalb einer Einrichtung soll allen Beteiligten eine annehmbare alltägliche Lebensführung ermöglicht werden und diese kann somit nicht auf allen Ebenen individualistisch erfolgen. Es geht zunächst darum, strukturelle gesellschaftliche Ungleichheiten im Sinne von Milieuungleichheiten zu reduzieren und den Kindern und Jugendlichen Entwicklungs- und Lernräume zur Verfügung zu stellen, die ihnen die Teilhabe an der Gesellschaft aufzeigen.
„Lebensweltorientierung nimmt den Alltag der Adressaten, d.h. den Ort, wo Probleme entstehen, wo Leben gelebt wird, wo die Adressaten selbst mehr oder minder angemessene Strategien der Lebensbewältigung praktizieren, als originären Ort sozialpädagogischen Handelns in den Blick“ (Galuske 2013: 146). Doch eine Person, die aus ihrem normalen Lebensumfeld gerissen wird, sieht sich plötzlich mit einer anderen Lebenswelt konfrontiert. Kommt es zu einer stationären Heimunterbringung, wird das Kind, der/die Jugendliche zunächst eine gewisse Ambivalenz empfinden. Hat sich das Individuum bisher in seinem (für sich „normalen“ bekannten) Lebensalltag bewegt, so empfindet der/die Neue vorerst Schwierigkeiten, sich mit den Attributen der anderen verbinden zu können. Mit der Aufnahme im Heim werden dem Kind durch den Kontakt zu den anderen Klient*innen Prozesse vermittelt, mit denen es nun zu tun hat und an die es sich anzupassen hat. Es wird zu einem Leidensgefährten/einer Leidensgefährtin gemacht und instruiert, wie sein/ihr Dasein zu bewältigen ist (vgl. Goffman 1975: 50 f.).
Es gehört zu den fachlichen Aufgaben, zunächst die Rahmenbedingungen für ein beteiligungsfreundliches Klima zu schaffen, indem Eltern sowie Kinder einbezogen werden sollen. Um eine Verbesserung der Lebenssituation des Kindes zu erzielen, sollen Eltern gleichermaßen mit Blick auf ihre Erziehungsverantwortung in die Pflicht genommen werden. Hier ist der Respekt gegenüber den hilfesuchenden Personen und der Deutung ihrer Lebenssituation von Seiten der Fachkräfte absolut notwendig (vgl. Grunwald/Thiersch 2016: 517). Denn dieser Satz: „Die schlechteste Familie ist immer noch besser als ein Heim“ ist weit bekannt und findet noch immer seine Zustimmung. Wohl auch aus diesem Grund bezeichnen sich Wohngruppen zunehmend als „familienähnlich“ oder auch lebensweltorientiert, um die Vorstellung zu etablieren, dass auch Heimkinder an einem guten Ort aufwachsen und ihnen vielfältige Entwicklungschancen ermöglicht werden. Und dennoch bedingt sich eine Beziehung zwischen Betreuer*innen und Kindern immer in einer professionellen Begrenzung der Berufsrolle (vgl. Hanke 2011: 46 f.). Es geht nicht darum, den Kindern Ersatzeltern zu sein, sondern ihnen durch übergeordnete feste Strukturen eine Lebensorientierung zu ermöglichen. Die Kinder unterliegen einer Fremderziehung von mehreren Betreuern und erleben schichtbedingt wechselnde Ansprechpartner vor Ort. Meist gel-ten festgelegte Rahmenbedingungen für alle Betreuer*innen der Einrichtung, so dass familienorientierte Standards als Richtlinien dienen, auch wenn diese heute in vielen Familien keine Anwendung mehr finden und von den Kindern/Jugendlichen entsprechend häufig erst einmal verinnerlicht werden müssen. Dazu gehören bspw. die gemeinsame Einnahme der Mahlzeiten, Spielangebote, vertrauensvolle Gespräche, Unterstützung im schulischen Bereich, Gesundheitsfürsorge aber auch Ausflüge oder andere gemeinsame Erlebnisse (vgl. Hanke: 47 ff.).
Damit jedoch ein Zusammenleben in der Gruppe stattfinden kann, müssen sich die Kinder zunächst den Alltagsstrukturen der jeweiligen Einrichtung unterordnen und deren Regeln und Normen erwerben. Dementsprechend zeigt sich die Notwendigkeit, eine möglichst passende Einrichtung für den/die Betroffene/n zu finden, indem auch die individuellen Bedürfnisse der/des Einzelnen beachtet werden. Dennoch unterliegt das Leben in der Gesellschaft (sowie auch in einer Gemeinschaft) bestimmten Normen. Diese Standards stellen mittels der jeweils anerkannten Kultur entsprechende Anforderungen an die Persönlichkeit des/der Einzelnen und legen damit fest, wie ein/e ideale/r Bürger/in zu sein hat. Anerkannte Werte einer Gesellschaft können zu Normen werden. Diese allgemeinen Regeln und Maßstäbe sollen ein geordnetes Zusammenleben erleichtern. An diesen Normen haben sich auch die Mitarbeiter*innen der stationären Kinder- und Jugendhilfe zu orientieren, um ihren Klient*innen das Leben in der Gesellschaft zu erleichtern.
Bereits in der Kindheit werden (insbesondere durch die Eltern) Werte vermittelt, die einen Menschen sein Leben lang prägen. Die Erziehung sowie das Umfeld eines Kindes beeinflussen das zukünftige Werteempfinden und legen somit eine bestimmte Grundeinstellung fest, was im Leben zu schätzen ist und als wichtig empfunden wird Bestimmte Wertvorstellungen (materieller und immaterieller Güter) bilden die Grundlage für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft und sind für ein soziales Zusammenleben in der Gesellschaft unverzichtbar. Diese allgemein geltenden Werte und Anweisungen sind in keinem Katalog zu finden. Dennoch werden gewisse Werte bestimmt, welche innerhalb einer Gesellschaft als wünschenswert und erstrebenswert angesehen werden und somit die Basis konstitutiver staatlicher Elemente zur Partizipation in der Gesellschaft bilden. Weit verbreitete immaterielle Werte stellen bspw. Verantwortung, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Fleiß, Gerechtigkeit, Tradition, Beständigkeit, Liebe, Treue, Freundschaft, Hilfsbereitschaft und viele weitere soziale Vorstellungen für ein harmonisches Miteinander dar. Mittels erworbener Wertekompetenzen definiert sich die Fähigkeit der/des Einzelnen autonom, sachbezogen und situationsgerecht zu entscheiden (vgl. Adamska 2017: 1). Während einer Heimunterbringung werden den Kindern und Jugendlichen allgemeine Regeln und Maßstäbe für ein geordnetes Zusammenleben vermittelt. Indem die Betreuer*innen als verlässliche Bezugspersonen an ihrer Seite stehen, sollen Werte und Normen aufgezeigt werden, die ihnen die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen.
Mitarbeiter*innen in stationären Hilfen müssen sich dennoch die notwendige Offenheit gegenüber anderen Lebenswelten bewahren und diese im Sinne der Kinder und Jugendlichen als Herkunftsmilieu anerkennen. Ein Heim kann ein Zuhause niemals im vollen Umfang ersetzen, zumal durch Beurlaubungen an den Wochenenden und in den Ferien eine stete Rückführung in das vertraute soziale Milieu erfolgt.
Ein respektvoller Umgang, Wertschätzung, Akzeptanz, Authentizität sowie Verlässlichkeit sind unerlässlich und tragen wesentlich zu einem guten Beziehungsaufbau bei. Aber auch die Kinder und Jugendlichen sind gefordert, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen und andere Lebenswelten zu akzeptieren. Dies ist in Gruppengefügen unerlässlich, um für alle Beteiligten möglichst eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, die einer positiven Entwicklung zuträglich ist. Förderlich sind dabei insbesondere Einzelgespräche mit den Fachkräften, in denen die Kinder und Jugendlichen sich ernst genommen fühlen aber auch ihr Fehlverhalten reflektieren lernen. Weiterhin haben Gruppengespräche meist eine positive Wirkung auf das Klima innerhalb der Wohngruppe. Durch das angeleitete Gespräch ist der/die Einzelne in der Lage sich zu öffnen und seine Meinung zu äußern. Vorkommnisse werden einzeln vorgebracht und anschließend wird gemeinsam nach Lösungen gesucht. Nur wenn sich das Kind, der/die Jugendliche als Individuum an- und ernst genommen fühlt, kann es sich öffnen und im weiteren Verlauf der Gesellschaft stellen.
„Lebensweltorientierte Soziale Arbeit ist nur im Kontext theoretischer Annahmen und Konzepte zu verstehen, die die spezifische Sicht von Lebenswelt und der darauf bezogenen Sozialen Arbeit bestimmen“ (Thiersch/Grunwald/Köngeter 2012: 182). Mit der Intention dieses Konzepts, sich auf die Lebenswelt einzulassen, kommt es immer wieder zu der Annahme, dass hier nur die Selbstverständlichkeiten des Alltagswissens wiederholt und somit theoretische Vorrausetzungen dieser Anschauungsweise unterschlagen werden. Lebensweltorientierte Soziale Arbeit greift auf unterschiedliche Wissenschaftskonzepte zurück und verbindet sie im Zeichen ihres spezifischen Arbeitsauftrags miteinander. (vgl. Thiersch/Grunwald/Köngeter 2012: 182).
5. Fazit
Die Ausarbeitung zeigt auf, dass die Theorie der Lebensweltorientierung in der stationären Kinder- und Jugendhilfe nur bedingt umsetzbar ist. Kinder und Jugendlichen einer Heimunterbringung sind mit Situationen konfrontiert sind, die ihnen ihren Lebensweg erschweren. Sie stehen somit anderen Herausforderungen gegenüber als Gleichaltrige. Es ist notwendig, dass bei der Einrichtungssuche bestimmte Kriterien beachtet werden, um die Kinder und Jugendlichen in ihrem Lebensalltag stärken zu können und sie nicht noch zusätzlich zu belasten. Ziel der Sozialen Arbeit in Heimeinrichtungen ist es, den betroffenen Kindern- und Jugendlichen Zukunftsperspektiven aufzuzeigen, welche sie für ihr eigenes Leben erkennen und dann entsprechend für sich nutzen können!
Zudem ist unsere Gesellschaft zunehmend herausgefordert, die Vielfalt der Entwicklungsmöglichkeiten (also auch das Aufwachsen in einer Heimunterbringung) endlich zu akzeptieren und auch schätzen zu lernen. Die Gesellschaft muss sich den Gegebenheiten der Vielfältigkeit sozialen und individuellen Lebens öffnen und anpassen.
Um den Kindern und Jugendlichen zu einer Chancengleichheit in einer von Diversity geprägten Gesellschaft zu verhelfen, müssen Fachkräfte der Sozialen Arbeit strukturelle Phänomene in ihrer Tätigkeit reflektieren können. Mithilfe des lebensweltorientierten Theorieansatzes nach Thiersch soll eine Sensibilisierung seitens der Profession erfolgen, die Klientel (der stationären Kinder- und Jugendhilfe) individuell zu stärken und erfolgreich begleiten zu können.
Die Profession Soziale Arbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, starre Grenzen aufzuweichen. Steigende Fallzahlen in der Kinder- und Jugendhilfe machen deutlich, dass bestehende Grenzen geöffnet werden müssen, um derzeit vernachlässigte Ressourcen der Klientel noch nutzbarer zu machen. Eine Verschmelzung bestehender Systeme oder die Neuerschaffung eines Systems bestehend aus Komponenten der alten Systeme ist notwendig, um diese Kinder und Jugendlichen zu integrieren und ihnen dadurch ihren (ohnehin erschwerten) Lebensweg zu ebnen und ihnen somit weiterführend ihren Platz in der Gesellschaft aufzuzeigen.
Im praktischen Kontext zeigt sich, dass die tägliche sozialpädagogische Arbeit keinem absoluten Standard entspricht und Mitarbeiter*innen dieses Tätigkeitsbereichs professionellen Verunsicherungen unterliegen, mit denen sich der/die Einzelne im Berufsfeld selbstredend – also auch im eigenen Interesse - stets auseinandersetzen muss. Nicht nur schwierige oder wechselnde Klientel oder auch Wechsel im Betreuerteam, sondern generell alle Alltagsprobleme im Berufsfeld, egal ob Interaktions-, Beziehungs-, Persönlichkeits- und Institutionsprobleme, liefern Themen, die es zu bearbeiten gilt. Ein besserer Diskurs zwischen Theorie und Praxis ist folglich gerade auch für Praktiker*innen absolut wünschenswert!
6. Literaturverzeichnis
Adamska, Agnieszka (2017): Kinder.de - das Familienportal Werteerziehung in der heutigen Gesellschaft, Bad Dürkheim; abgerufen am: 28.08.2021 unter:
Werteerziehung in der heutigen Gesellschaft | kinder.de.
Galuske, Michael (2013): Methoden der Sozialen Arbeit, Eine Einführung, 10. Auflage, Beltz Verlagsgruppe, Weinheim und Basel, ISBN: 9783779951575.
Goffman, Erving (1975): Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität, Suhrkamp-Verlag Frankfurt/M, ISBN 3-518-27740-5.
Grunwald, Klaus / Thiersch, Hans (Hrsg.) (2016): Praxishandbuch Lebensweltorientierte Soziale Arbeit, Beltz Verlagsgruppe, 3., vollständig überarbeitete Auflage, 69 469 Weinheim, ISBN: 9783779944683.
Hanke, Josefine (2011): „Darf ich Mama zu Dir sagen?“ Die Chancen und Risiken einer professionellen Bindungsgestaltung in der stationären Erziehungshilfe in Anlehnung an die Bindungstheorie, Hochschule Hamburg; abgerufen am: 28.08.2021 unter: http://edoc.sub.uni-hamburg.de/haw/volltexte/2011/1181/pdf/WS.Soz.BA.AB11.1.pdf.
Herwig-Lempp, Johannes (2003): Welche Theorie braucht Soziale Arbeit? erschienen in: Sozialmagazin 2/2003, S. 12-21, PDF; abgerufen am 04.08.2021 unter: http://www.herwig-lempp.de/daten/veroeffentlichungen/0302TheorieSozArbJHL.pdf.
Thiersch, Hans / Grunwald, Klaus / Köngeter, Stefan (2012): Lebensweltorientierte Soziale Arbeit, In W. Thole (Hrsg.), Grundriss Soziale Arbeit, VS Verlag für Sozialwissenschaften/Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, DOI 10.1007/978-3-531-94311-4_7.
[1]Thiersch, Hans (2015): Soziale Arbeit und Lebensweltorientierung: Handlungskompetenz und Arbeitsfelder, Gesammelte Aufsätze, Band 2, Beltz Verlagsgruppe, 69 469 Weinheim, ISBN: 9783779942894.
[2]Thiersch, Hans (2015): Soziale Arbeit und Lebensweltorientierung: Konzepte und Kontexte, Gesammelte Aufsätze, Band 1, Beltz Verlagsgruppe, 69 469 Weinheim, ISBN: 9783779942733.
Thiersch, Hans (2017): Das Konzept Lebensweltorientierte Soziale Arbeit, für meine Enkel skizziert; abge ebenswelt Enkelfassung 2019_07_27_def_TFG (hans-thiersch.de).
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