Abbau von Ungleichheit durch die Bildungsexpansion?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

27 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die geschichtliche Entwicklung des Bildungssystems in Deutschland
2.1 Der Stellenwert der Bildung
2.2 Die Bildungsexpansion

3. Ungleichheit bei Bildungschancen?
3.1 Theoretischer Ansatz von Pierre Bourdieu
3.2 Raymond Boudon und weiterführende Ansätze
3.3 Empirische Untersuchungen
3.3.1 Ungleichheiten nach Geschlecht
3.3.2 Soziale Herkunft
3.3.3 Beruf der Eltern
3.3.4 Bildung der Eltern
3.3.5 Einkommen der Eltern
3.3.6 Region
3.3.7 Ausländische Schüler/innen

4.Fazit

5. Anhang

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der in den 1950er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland einsetzende Prozess der Bildungsexpansion stellte einen grundlegenden strukturellen Wandel innerhalb des deutschen Bildungssektors dar. Zwar wurde das seit dem 19. Jahrhundert bestehende dreigliedrige Schulsystem in seinem Aufbau nicht grundlegend geändert, weshalb auch nicht von einer Bildungsreform gesprochen werden sollte. Die „leistungsorientierte Auslese“ nach der Grundschule[1], und die damit verbundene Verteilung der Schüler auf die Hauptschule, die Realschule oder das Gymnasium bestand fort. Dennoch hat die Bildungsexpansion signifikante Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland gehabt. Zum einen auf den Stellenwert, den Bildung innerhalb einer Gesellschaft zugesprochen bekommt. Zum anderen auf die gesamtgesellschaftliche Bildungsaspiration bzw. auf die Zugangschancen zu Bildung. Ziel dieser Seminararbeit soll es sein, einen nachvollziehbaren Einblick in den Prozess der Bildungsexpansion zu ermöglichen. Gemeint sind hiermit die Ursachen und insbesondere die Folgen bzw. Ergebnisse jenes Prozesses. In einem ersten Abschnitt wird daher näher auf die Entwicklung der Bedeutsamkeit von Bildung, sowie auf die Bildungsexpansion in Deutschland eingegangen. Davon ausgehend stellen sich unweigerlich folgende Fragen: Welche konkreten Auswirkungen / Veränderungen hat die Bildungsexpansion mit sich gebracht? Welchen Einfluss hatte die Bildungsexpansion auf die Bildungsbeteiligung? Haben sich soziale Chancenungleichheiten im Zugang zu Bildung verringert? Im sich anschließenden Kapitel werden zur Beantwortung jener Fragen bekannte Erklärungstheorien[2], sowie einige empirische Ergebnisse aufgeführt. Hierbei werden unter anderem die Ergebnisse der Analysen von Bernhard Schimpl-Neimanns (2000), U. Henz / I. Maas (1995) und W. Müller / D. Haun (1994) herangezogen. Der Verständlichkeit halber werden die empirischen Ergebnisse nicht nach den einzelnen Analysen, sondern nach inhaltlichen Gesichtspunkten gegliedert. Im Kern handelt es sich um die Untersuchungsergebnisse hinsichtlich der Bildungschancen in Abhängigkeit des Geschlechtes, der sozialen Herkunft, des Berufes, der Bildung und des Einkommens der Eltern, sowie der Region und des eventuellen Migrationshintergrundes. Jeden einzelnen Aspekt der im Zuge der Bildungsexpansion stattgefundenen Veränderungen zu analysieren, würde jedoch bei weitem den begrenzten Umfang dieser schriftlichen Arbeit überschreiten. Deshalb wird auf die vermeintlich bekanntesten empirischen Forschungsergebnisse zurückgegriffen. Zum Ende dieser Arbeit folgt ein abschließendes und zusammenfassendes Fazit.

2. Die geschichtliche Entwicklung des Bildungssystems in Deutschland

In diesem Kapitel soll nicht etwa die Entstehung und Entwicklung des deutschen Bildungssystems von den Anfängen bis zur Gegenwart im Einzelnen erläutert werden. Vielmehr ist der Bedeutungswandel von Bildung und die damit verbundene Bildungsexpansion Gegenstand dieses Kapitels. Vor allem der Zeitraum von den 50er bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Bezüglich der Erläuterung des Begriffs der Bildungsexpansion werden Theorien angeführt, die versuchen den Prozess der Expansion des Bildungswesens mit gesellschaftlichen Faktoren zu begründen. Zu nennen sind einerseits die Funktionalistischen Integrationstheorien, sowie andererseits die Konflikttheorien.

2.1 Der Stellenwert der Bildung

Zur Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich der Stellenwert der Bildung weltweit grundlegend geändert. Insbesondere der wirtschaftliche Wandel innerhalb der postindustriellen Gesellschaften veränderte die Bedeutung und die Tragweite der Bildung weitgehend.

Im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Bildung lediglich den höheren sozialen Klasen zugänglich gemacht, um die Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Klassenverhältnisse zu sichern. Bildung für alle wurde nicht nur als überflüssig, sondern teilweise sogar als gefährlich interpretiert. Man nahm an, dass eine zu hohe Bildungsbeteiligung der unteren Schichten zur „Züchtung eines staatsgefährdenden Proletariats Gebildeter“ und somit zu einer Zersetzung der bestehenden Klassenordnung führen könnte. Als charakteristisch für die damalige Zeit, kann der Leitanspruch „Schuster bleib bei deinen Leisten“ angeführt werden. Jeder sollte gemäß seines geerbten Habitus´ eine bestimmte Bildung genießen dürfen.[3] Dementsprechend besuchte die überwiegende Mehrheit der Schüler/innen die „Volksschule“ bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres. Nur einem geringen auserlesenen Teil der Schülerschaft wurde der Zugang zu höheren Bildungseinrichtungen gewährt. Weiterführende und höhere Bildung blieb ein Privileg der oberen Klassenschichten. Dieses Bild sollte sich jedoch - wie schon angedeutet – zur Mitte des 20. Jahrhunderts modifizieren. Mit den sozio-ökonomischen Veränderungen gewann Bildung einen immer größer werdenden Stellenwert. Durch die fortschreitende Industrialisierung, die immer komplexer werdenden technischen, gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge, die Durchdringung vieler Lebensbereiche mit wissenschaftlichen Neuerungen und der vermehrte Einsatz von modernen Technologien, ließ die Nachfrage nach höher qualifizierten Arbeitnehmern ansteigen. Um den immensen volkswirtschaftlichen und strukturellen Bedarf an hoch qualifizierten Arbeitskräften zu decken, sollte - im Gegensatz zu den damaligen Ansichten - der Zugang zu Bildung auf rein meritokratischen Prinzipien beruhen. Gemäß den Prinzipien eines modernen demokratischen Staates, würden demnach nicht mehr Status oder andere soziale Aspekte, sondern individuelle Fähigkeiten und Leistungen den Zugang zu Bildung bestimmen. Wer gute Leistungen erbringt, soll auch die Chance zu höherer Bildung erhalten, völlig unabhängig von Geschlecht oder sozialem Status. Diese Richtlinie wurde letztendlich auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahre 1949 fest verankert. So heißt es in Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden [].“[4] Neben der ökonomischen Nutzenfunktion (Bildung als Humankapital)[5], war und ist Bildung allerdings in gleichem Maße für alle anderen gesellschaftspolitischen Prozesse unabdingbar. Bildung dient demnach neben den wirtschaftlichen, auch den gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Werten eines Staates. Im Gegensatz zu den vorindustriellen Gesellschaften konnte das „neue“ Wissen allerdings nicht mehr ausschließlich in den Familien und Betrieben vermittelt werden. Um den Wohlstand einer modernen Gesellschaft und den wirtschaftlichen Wachstum zu sichern, erfolgte eine grundlegende Ausweitung und Ausdifferenzierung des Bildungswesens. „Die Vermittlung von Wissensbeständen, Einstellungen und Fertigkeiten wurde immer mehr aus der Familie und Arbeit ausgegliedert und vollzog sich zunehmend in eigenen Einrichtungen“.[6] Bildung wurde somit zu einem wichtigen Investitionsgut für spätere Berufspositionen und dem damit verbundenen Einkommen, Status und Ansehen.[7] Schon in den [50] er Jahren bezeichnete Helmut Schelsky die Institution Schule als wichtigste soziale Dirigierungsstelle für die zukünftige individuelle sozio-ökonomische Positionierung innerhalb einer Gesellschaft.[8] Der von der Politik initiierte Ausbau des Bildungswesens, die zusätzliche Vermehrung der vermittelten Bildungsinhalte, die Verlängerung der Bildungsdauer, sowie mehrerer unterschiedlicher Neuregelungen im Bildungssystem wird allgemein auch als Bildungsexpansion bezeichnet.[9]

2.2 Die Bildungsexpansion

Der von Ralf Dahrendorf postulierte Grundsatz „Bildung als Bürgerrecht“ aus dem Jahr 1965 wurde nicht nur als notwendige Bedingung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die weiterführende Modernisierung der Gesellschaft angesehen, sondern auch als Prinzip der Chancengleichheit verstanden.[10] Aus theoretischer Perspekti]ve sind an dieser Stelle die Funktionalistischen Integrationstheorien und die Konflikttheorien zu nennen. Die Funktionalistische Schichtungstheorie von Kingsley Davis und Wilbert E. Moore geht davon aus, dass dem Bildungssystem eines Staates die Aufgabe obliegt, alle möglichen Bildungskapazitäten auszuschöpfen, um alle vorhanden Positionen besetzen zu können. Um die entsprechenden Bildungsreserven – auch aus den unteren sozialen Schichten – mobilisieren zu können, wurde das gesamtdeutsche Bildungssystem weitläufig ausgebaut. Dieser Ausbau betraf insbesondere Realschulen, Gymnasien, Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten. Der Funktionalismus basiert auf der Annahme meritokratischer Prinzipien, in dem eine Verbindung zwischen Begabung / Leistung, Schule und Beruf hergestellt wird. Personen die viel in Ausbildung investieren, werden dafür später mit entsprechend hohen Positionen innerhalb der Gesellschaft belohnt Dieser Interpretation steht die Konflikttheorie gegenüber. Diese wendet sich gegen meritokratische Prinzipien und vertritt die Auffassung, dass die Bildungsexpansion letztendlich nur der Reproduktion der bestehenden Klassenstruktur dienlich ist. Da durch die Öffnung des Bildungssystems die bekannten Mechanismen der „Statusvererbung“ nicht mehr umsetzbar sind, wird es zu einer Statuskonkurrenz unter den einzelnen Klassen kommen. Letztendlich geht die Konflikttheorie davon aus, dass die Oberschicht mit Hilfe der Legitimation des Bildungssystems ihren Status beibehalten kann. Eine Folge wäre die Erhöhung des Bildungsstandards und somit der Fortbestand der Bildungsungleichheit nach sozialer Herkunft.[11] Die Folgen der Bildungsexpansion liegen – im Gegensatz zu den Auswirkungen auf die Chancengleichheit – auf der Hand. Wie den Abbildungen 1 und 2 im Anhang zu entnehmen ist, führte der Ausbau des sekundären Bildungsbereichs zu der angestrebten Höherqualifizierung bzw. zu einem Anstieg des Bildungsniveaus der Bevölkerung. Einen weiteren Beitrag zu diesem Effekt lieferten sicherlich auch die Abschaffung des Schulgelds, die Lockerung der Auslesebestimmungen an weiterführenden Schulen, die Stärkung des Mitspracherechts der Eltern bei der Bildungsentscheidung, die Einführung des Jahrgangsklassensystems an Hauptschulen, sowie die Schaffung neuer Weiterbildungsmöglichkeiten. Während von 1952 bis 1995 die Hauptschule in Existenznöte geriet und zur Restschule verkam (Abnahme der Schülerschaft von 87 % auf 25 %), nahmen die Schülerzahlen an den Realschulen (von 7 % auf 27 %) und Gymnasien (von 15% auf 31 %) deutlich zu.

Allgemein werden solche Verschiebungen auch als Niveaueffekte bezeichnet.[12]

„Schichtungssoziologisch lässt sich die Höherqualifizierung der Bevölkerung als ´Umschichtung nach oben´ interpretieren: untere Bildungsschichten schrumpfen, mittlere und höhere Bildungsschichten dehnen sich aus.“[13] Des Weiteren verlängerten sich durch die beschriebenen Niveauverlagerungen die Schulzeit: höhere Bildung verlangt einen längeren Verbleib im Bildungssystem. Zudem wurde durch das nun reichlich vorhandene Bildungsangebot das Erlangen eines möglichst hohen Bildungsabschlusses immer entscheidender für die zukünftige Berufsposition, weshalb auch nicht unbedingt von einer Bildungsinflation gesprochen werden kann.[14]

[...]


[1] in der Regel nach der 4. Klasse, dementsprechend mit ca. 10 bzw. 11 Jahren.

[2] gemeint sind die Theorien von Pierre Bourdieu und Raymond Boudon

[3] Vgl. Allmendinger, Jutta / Silke, Aisenbrey: „Soziologische Bildungsforschung“, in: Tippelt, Rudolf (Hrsg.): „Handbuch Bildungsforschung“, Leske + Budrich, Opladen, 2002, S. 42

[4] Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“, Bonn, 2002, S. 13.

[5] capital scolaire

[6] Hradil, Stefan / Jürgen, Schiener (Hrsg.): „Soziale Ungleichheit in Deutschland“, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 8. Auflage, Wiesbaden, 2001, S. 149.

[7] Vgl. ebd. S. 151 f.

[8] Vgl. Geißler, Rainer: „Die Sozialstruktur Deutschlands“, Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Westdeutscher Verlag GmbH, 3. Auflage, Bonn / Wiesbaden, 2002, S 342.

[9] Vgl. Hradil, Stefan, 2001, S. 151 f.

[10] Vgl. Hadjar, Andreas / Rolf, Becker (Hrsg.): „Die Bildungsexpansion – Erwartete und unerwartete Folgen“, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 1. Auflage, Wiesbaden, 2006, S.28.

[11] Vgl. Allmendinger, Jutta / Silke, Aisenbrey, 2002, S. 44.

[12] Vgl. ebd. S. 45.

[13] Vgl. Geißler, Rainer, 2002, S. 340.

[14] Vgl. Hradil, Stefan, 2001, S. 173.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Abbau von Ungleichheit durch die Bildungsexpansion?
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Bildungsungleichheiten
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
27
Katalognummer
V137188
ISBN (eBook)
9783640457120
ISBN (Buch)
9783640457281
Dateigröße
1605 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Abbau, Ungleichheit, Bildungsexpansion
Arbeit zitieren
Florian Aurisch (Autor:in), 2009, Abbau von Ungleichheit durch die Bildungsexpansion?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137188

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