Das französische Feindbild in Deutschland vor und während des Krieges von 1870/71


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

31 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 1813- 1871: Tendenzen der Feindschaft im Überblick

2 Verbreitete Deutungsansätze als Faktoren der Feindbildausprägung
2.1 Die napoleonischen Kriege als nationaler Deutungsrahmen
2.2 Die Sehnsucht nach Einigkeit
2.3 Die deutsche Opferrolle
2.4 Das Konzept objektiver Nationszugehörigkeit
2.5 Die kulturelle Dimension der Feindschaft

3 Zusammenführende Betrachtung: Das Feindbild in Frieden und Krieg
3.1 Das Feindbild in Friedenszeiten
3.2 Das Feindbild im Krieg

Literatur

Quellen

Zeitungen u. Zeitschriften

Forschungsliteratur

Einleitung

Im Zusammenhang der Erforschung des Phänomens ‚Nationalismus’ ist das Augenmerk auch immer wieder auf die Rolle von Feindbildern gelegt worden. Als Kernpunkt jener Analysen findet sich das Prinzip, gemeinschaftliche Kohäsion durch den Ausschluss Dritter herzustellen. Diese konstituierende Rolle der Feindschaft zur Ausbildung eines nationalen Gemeinschaftsgefühls lässt sich sehr deutlich am Beispiel des deutsch-französischen Antagonismus im 19. Jahrhundert betrachten. Frankreich blieb über eine lange Zeit der Bezugspunkt deutscher Anfeindungen, wenn es darum ging, innerdeutschen Gegensätzen zugunsten erwünschter ‚nationaler’ Homogenität an Gewicht zu nehmen.[1] Ihre nationale Einigkeit erlangten die Deutschen sogar infolge des Sieges über die Franzosen im Krieg von 1870/71.

Das Bild erscheint zunächst simpel: der Nationalismus beschwor die Feindschaft, die ihren Höhepunkt im Krieg fand, welcher die vereinte Stärke der Deutschen forderte und Einigkeit bewirkte. War der Krieg dabei nun das erwünschte und beschworene Mittel der Nationalisten oder eine praktische Fügung? Tatsächlich nehmen sich die hier wirksamen Dynamiken weit komplexer aus; damit die Kriegserklärung gegenüber Preußen 1870 überhaupt als Kampfansage an ‚die Deutschen’ verstanden werden konnte, mussten zuvor einige gemeinschaftsbildende Deutungsansätze ausgebildet werden und ihre massenwirksame Überzeugungskraft erst im Laufe der Zeit entwickeln.

Um einen detaillierten Blick auf diese Prozesse zu ermöglichen, widmet sich diese Hausarbeit deshalb folgender Fragestellung:

In welchem Verhältnis und Wirkungszusammenhang stand die Ausprägung feindschaftlicher deutscher Haltungen gegenüber Frankreich zum jeweiligen Zustand von Krieg oder Frieden? Inwieweit sind diese Ausprägungen als Ergebnis gesellschaftlicher Bedürfnisse erklärbar, und inwieweit hatten Feind- und in deren Zusammenhang stehende Selbstbilder wiederum Auswirkungen auf die Bereitschaft der Deutschen zu Krieg oder zu Frieden mit Frankreich?

Die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft dazu sind weitestgehend abgerundet, der Beitrag dieser Hausarbeit besteht darin, die Beobachtungen und Erklärungsansätze unterschiedlicher Historiker zusammenzufügen und in kleinschrittigerer Darstellung überschaubar zu machen.

Die Ausprägungen der französischen Feindbilder jener Zeit sind am ausführlichsten von Michael Jeismann und Nikolaus Buschmann erforscht worden, die ihre Erkenntnisse zum großen Teil aus der Untersuchung zeitgenössischer Publizistik gewannen. Sie erklären Ressentiments und antifranzösische Meinungsmache jener Zeit als Ergebnis vielfältiger Dynamiken. Wichtige Faktoren sind dabei zumeist Deutungsmuster auf deutscher Seite, die das Verhältnis zum Feind als Teil historischer oder anthropologischer Ordnung begreifen, und daraus begründete Selbst- und Fremdzuschreibungen. Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, die als dominant erkennbaren Deutungsansätze der Feindschaft zu sortieren und einzeln darzustellen, um einen detaillierten Blick auf die sich überschneidenden Wirkungslinien zu ermöglichen.

Für die Untersuchung soll im ersten Schritt (Kapitel 1) zunächst ein Überblick darüber gegeben werden, welche Tendenzen feindschaftlicher Haltungen in Deutschland vor und während des Krieges von 1870/71 beobachtbar waren. Es soll dargestellt werden, im Zusammenhang welcher politischer Ereignisse sich Höhepunkte antifranzösischer Rhetorik in Deutschland feststellen ließen.

Im darauf folgenden Schritt (Kapitel 2) soll es um die einzelnen Deutungsansätze und damit die Gründe für die zuvor skizzierten Ausprägungen der Feindbilder gehen. Betrachtet werden der Deutungsrahmen der napoleonischen Kriege, die deutsche Sehnsucht nach nationaler Einigkeit, die gegenüber Frankreich oft eingenommene Opferrolle, das Konzept der objektiven Nationszugehörigkeit und die kulturelle Dimension der Feindschaft.

Im letzten Schritt (Kapitel 3) soll die Bedeutung jener Faktoren in den Zeiten des Friedens und des Krieges zusammenfassend erläutert werden.

Die Arbeit stützt sich vor allem auf die Forschungen von Michael Jeismann, Nikolaus Buschmann, Hans Fenske und Karl Georg Faber, die ihren Blick auf die deutsche Publizistik konzentrierten, sowie auf die Auswertungen deutscher Soldatenbriefe durch Frank Kühlich und die Berichte evangelischer wie katholischer Feldgeistlicher, die von Christian Rak zusammengetragen worden sind. Auch die Darstellung von Feindstereotypen in Karikaturen in der Betrachtung durch Michael Siebe soll Eingang in die Arbeit finden.

1 1813- 1871: Tendenzen der Feindschaft im Überblick

Für diese Untersuchung der französischen Feindbilder und ihrer Bedeutung in Kriegs- und Friedenszeiten sollen sowohl die Zeitspanne zwischen den großen deutsch-französischen Waffengängen des 19. Jahrhunderts, also von 1813 bis 1871, als auch der Krieg von 1870/71 selbst in den Blick genommen werden.

Die politisch nationale Feindschaft der Deutschen gegenüber Frankreich oder den Franzosen, lässt sich als solche erstmals im Zusammenhang der sogenannten Befreiungskriege beobachten. Die Erfahrung der Fremdherrschaft teilten die Deutschen überregional. Auf ihrer Grundlage ließ sich mit Konzentration auf den gemeinsamen Feind langsam ein Gemeinschaftsgefühl stärken und das ‚Deutschtum’ literarisch feiern. Der aufkommende Nationalismus bescherte dem Blick auf den Kriegsfeind eine neue Qualität. Dieser wurde zur Negativschablone im Prozess eigener nationaler Selbstfindung.[2] So galt der Kampf im Verständnis jener Meinungsmacher nicht allein Napoleon sondern ebenso den Franzosen an sich. Während der aus der Tagespresse klingende Franzosenhass als wesentlicher Bestandteil der Kriegspropaganda, wohl vornehmlich die Kampfmoral der Deutschen steigern sollte,[3] galt es vereinzelten Nationalisten wie Theodor Körner, Max von Schenkendorf oder Ernst Moritz Arndt offenbar als Ziel, über die Kampfhandlungen hinaus den Hass wach zu halten und den Wert des Deutschtums anhand der vermeintlichen Dekadenz Frankreichs zu betonen.[4] Wenngleich das französische Feindbild in jener extremen Form nur von Wenigen propagiert wurde und auf deutscher Seite viele Gegenstimmen fand,[5] verhalf gewiss auch die Tatsache, dass Arndt oder Körner ihren Hass in lyrische Verse brachten, ihrer Rhetorik und ihren Feindbildern, den Krieg zu überdauern und weiteren Anklang in der noch jungen deutschen Nationalbewegung zu finden. Ihre liberalen Vertreter kamen nach dem Kriegsende zwar auch ohne ein französisches Feindbild aus, doch erhielt es sich der extreme Flügel der ‚Deutschtümler’ und entwickelte infolge der Juli-Revolution 1830 erneute Invasionsängste.[6]

Die deutsch-nationalistisch motivierte Abgrenzung nach außen und gegen Frankreich stellt auch Dieter Langewiesche als zwar immer präsentes, allerdings während der ersten Hälfte des Jahrhunderts noch nicht dominantes Prinzip dar.[7]

Eine neue Bezugsfläche erhielten Ängste und Vorbehalte gegenüber dem Nachbarn Frankreich ab 1851 mit dessen neuem Kaiser Napoleon III. Diese wurden allerdings zunächst nur in der Unterhaltungspresse offenkundig. Ob deren Warnungen nun politisch begründet waren, wie im Kladderadatsch, der den Kaiser in die Rolle des Unterdrückers der Franzosen und ärgsten Feindes der Republik setzte,[8] oder sich schlicht auf Rollenerwartungen stützten und Napoleon III. aufgrund der Gleichheit von Namen und Titel wie schon seinen Onkel als ehrgeizigen Verführer eines wankelmütigen Volkes verstanden,[9] sie konkurrierten in den 50ern zumeist mit einem pro-französischen Enthusiasmus der politischen Tagespresse. Auch wenn die liberale Kölnische Zeitung einräumen musste, dass die bürgerlichen Freiheitsrechte des französischen Volkes „für den Augenblick“ etwas eingeschränkt seien,[10] genügte der innenpolitische Antagonismus zur Konservative, um über dessen antirepublikanischen Geist hinweg Hoffnungen in das neue Frankreich als Repräsentant der Moderne und möglicher Gegenkraft zum System der Reaktion zu setzen. Der Krimkrieg ließ Frankreich zudem als akzeptablen Bündnispartner im Kampf gegen das russische Expansionsbestreben erscheinen. Das Kriegsbündnis zwischen Frankreich und Österreich, und damit zweier katholischer Kaiser, brachte auch das katholische Lager auf Frankreichs Seite und machte Napoleon III. für die „Historisch Politische[n] Blätter“ zum Kämpfer für die Religion und gegen die Revolution. Einzig die preußisch-evangelische Orthodoxie tat sich in jener Zeit schon aufgrund ihrer eigenen Werteorientierung am konservativen Russland mit Anklagen an ein vermeintlich unsittliches Frankreich hervor.[11]

Doch die außenpolitischen Erfolge Frankreichs ließen in Deutschland zunehmend Sorgen um ein mögliches Bestreben des Nachbarn nach europäischer Vormacht aufkommen. Die einst positiven Einschätzungen der deutschen Presse änderten sich endgültig 1859, als Frankreich sich mit Piemont-Sardinien verbündete und nun gegen Österreich und die Interessen der Habsburger eintrat, deren oberitalienische Besitztümer durch die italienische Nationalbewegung gefährdet waren. Der neue antifranzösische Konsens speiste sich sowohl aus nationaler Loyalität vieler zu Österreich als auch aus der vermeintlichen Bestätigung jener Ängste, die die französische Außenpolitik als Ausdruck der Expansionsziele Napoleons III. deuteten. Zahlreiche deutsche Zeitungen befürchteten im Falle einer österreichischen Niederlage eine französische Offensive am Rhein.[12]

Analogien zum Kampf gegen Napoleon I. wurden in der Presse gezogen, und gingen einher mit der Forderung nach deutscher Einigkeit, deren Wichtigkeit sich aus dem selben historischen Deutungsrahmen erklären ließ. Das Anfang Mai 1859 präsenteste Feindbild war das, eines cäsaristischen Napoleon III., der das Friedensversprechen auch gegenüber seinem eigenen Volk brach und es, seinem Onkel nacheifernd, in einen Krieg führte, um seine eigene Herrschaft zu sichern. So fühlte sich die „Gartenlaube“ sogar dazu angehalten, das französische Volk in einem „Offene[n] Sendschreiben an Ludwig Napoleon“ über die Verlogenheit seines Kaisers aufklären zu wollen;[13] zunächst erlaubte die verbreitete Deutung noch, die Franzosen selbst als Opfer herrschaftlicher Kriegstreiberei in Schutz zu nehmen, wenn auch nicht losgelöst von Diffamierungen, die einen oberflächlichen Nationalcharakter und vermeintlichen kulturellen Niedergang Frankreichs zur Voraussetzung für den Aufstieg eines schurkischen Kaisers erklärten.[14]

Die Vorstellung eines zum Krieg verführten Volkes ließ sich mit Beginn der Kampfhandlungen im Mai 1859 nicht mehr aufrecht erhalten. Es lässt sich am Beispiel des Jahres 1859 gut die Konkurrenz zweier Hauptdeutungsansätze erkennen, die entweder die Bedrohung Deutschlands durch die Interessen französischer Machthaber oder alternativ eine nationale Feindschaft, eine Feindschaft der Völker ins Zentrum der Konflikte stellten. Der entschiedenen Propagierung einer Variante folgte nun ebenso entschiedene Revision. Der Topos der Erbfeindschaft wurde entgültig wiederbelebt, und mit der Umdeutung des Feindbildes ließ sich außerdem eine stärkere Verlagerung von politischer zu kultureller Argumentation in der antifranzösischer Rhetorik beobachten, wie sie bis dahin eher in der Unterhaltungs- kaum aber in der politischen Tagespresse aufgetreten war.[15]

Weitere Bestätigungen für die als charakteristisch französisch angesehenen Eroberungsgelüste fand man mit der Annexion Nizzas und Savoyens durch Frankreich im Frühjahr 1860, der Intervention in Mexiko ab 1862[16] oder den 1867 bekundeten Ansprüchen Frankreichs auf Luxemburg.

Mehr und mehr etablierte sich bereits über die 60er Jahre hinweg in den deutschen Landen die Erwartung einer baldigen militärischen Konfrontation mit dem westlichen Nachbarn. Dies geschah durchaus auch aus einer hoffnungsvollen Perspektive, denn in den Jahren der innenpolitischen Reaktion, des sich verschärfenden Gegensatz der beiden größten deutsche Mächte, Preußen und Österreich, erlaubte allenfalls die Vorstellung eines ‚brüderlichen’ Kampfes gegen den gemeinsamen ‚Erbfeind’ noch Einigungsoptimismus.[17] Das an die Einigungsappelle geknüpfte Erbfeindschaftsmotiv wurde zunehmend aus einer deutschen Opferrolle beschworen, bis die weitgehend mit Empörung aufgenommene Kriegserklärung Frankreichs an Preußen1870 die Deutung aus deutscher Perspektive abrundete. So wurde es vielfach als Angriff auf die deutsche Nationalehre gesehen. Wo kurz vor Kriegsbeginn von antipreußischer Seite, vor allem in den südlichen deutschen Ländern, Kritik am verbreiteten Bündnisenthusiasmus laut wurde, erlaubte der Bezug auf eine gesamtdeutsche Bedrohung bald das Plädoyer für ehrenvolle Solidarität. Die Einigkeit zum Kampf vollzog sich schließlich schnell.[18]

Erstaunlicherweise wiederholten sich in der Tagespresse ganz ähnliche Deutungen, wie sie

bereits 1859 aufgekommen und rasch verworfen worden waren. Wieder galten 1870 vielen

wichtigen deutschen Zeitungen Napoleon III. und sein Kabinett als Feinde.[19] Für die Kreuzzeitung sah es erneut so aus, dass ein ehrgeiziger französischer Kaiser seine Nation „mit erlogenen Vorwänden irre führ[e]“[20] Entsprechend dem Ansatz eines politischen und nicht von Volkshass genährten Konfliktes gab auch Wilhelm I. am 19. Juli den Hinweis, dass

„das deutsche wie das französische Volk, beide die Segnungen christlicher Gesittung und

steigenden Wohlstandes gleichmäßig genießend und begehrend,... zu einem heilsamen

Wettkampf berufen“

seien und der Kriegsgrund allein in den „[p]ersönliche[n] Interessen und Leidenschaften der Machthaber Frankreichs“ liege.[21] Die „Historisch Politische[n] Blätter“ fügten hinzu, dass die deutsche Treue es verlange, daß das Wort, wonach der Krieg nur gegen den Kaiser, nicht gegen das französische Volk geführt werden sollte, auch eingelöst werde.“[22]

Doch die nationale Verachtung im Blick nach Frankreich war nachweislich längst aufgebaut.

Die starke Betonung des preußischen Königs, keinen Volkskrieg führen zu wollen, mag eventuell sogar gerade aus der Wahrnehmung des präsenten Hasses erklärbar sein. Auffällig ist, wie, jenseits politischer Stellungnahmen, Appelle an die Kampfmoral über völkische Abgrenzungen geschahen, wenn etwa die Feindschaft zu den französischen Truppen unterschieden wurde von der achtungsvollen österreichisch-preußische Begegnung im Krieg von 1866,[23] oder wenn in der Verherrlichung deutscher Geschützleistung der Tod französischer Soldaten, in zynischer Detailfülle beschrieben, auf eine andere Anatomie verwies, als sie im Sterben deutscher Soldaten sichtbar würde.[24]

Für Michael Jeismann begann der Krieg äußerlich als Kampf gegen Napoleon und sein Kabinett, wurde im Inneren jedoch von Anfang an als Nationalkrieg empfunden.[25]

Die deutliche Wende in der öffentlichen Deutung brachte der deutsche Sieg in der Schlacht bei Sedan mit der Gefangenname Napoleons III. am 1.9.1780. In Paris bildeten die Franzosen jedoch drei Tage später eine „Regierung der nationalen Verteidigung“ und proklamierten die Dritte Republik. Obwohl die deutschen Truppen maßgebliche Siege errungen und bald Paris belagerten, setzten sich die Kampfhandlungen noch weitere Monate fort, denn es bedurfte Zeit, zu klären, mit wem sich von preußischer Seite aus in Frankreich über den Frieden verhandeln ließ. Auch losgelöst von der Führung des einstigen Kaisers und seines für so kriegstreiberisch befundenen Kabinetts leisteten die Franzosen den deutschen Soldaten erbitterten Widerstand. Bewaffnete Zivilkämpfer, die sogenannten ‚Franktireure’, setzten den deutschen Soldaten, fern anerkannter militärischer Vorgehensweisen, meist aus dem Hinterhalt zu.

Die neue Situation passte gar nicht mehr in das Bild eines Kabinettskrieges und prägte nun auch in der Presse eine starke Nationalisierung der Feindschaft. Napoleon sei nur „Rüstzeuge“ der unleugbaren Erbfeindschaft gewesen[26], er habe nur den schlimmen Neigungen seines Volkes nachgegeben,[27] hieß es nun. „Das deutsche Volk führt gegen das französische Volk Krieg, nicht gegen eine Verfassungsform“, betonte die „Vossische Zeitung“.[28]

Bis zum Ende des Krieges wurde die antifranzösische Rhetorik maßvoller, was Hans Fenske mit dem zähen Widerstand der französisch-republikanischen Truppen begründet, der sowohl deutscher Kriegsmüdigkeit Vorschub leistete als auch dazu drängte, die Negativzuschreibungen eines sich selbst überschätzenden Feindes zu relativieren.[29]

2 Verbreitete Deutungsansätze als Faktoren der Feindbildausprägung

2.1 Die napoleonischen Kriege als nationaler Deutungsrahmen

Eines der auffälligsten Elemente der deutschen Feindschaft oder zumindest des Misstrauens gegenüber Frankreich ist der Bezugspunkt der sogenannten ‚Befreiungskriege’.

Die Erinnerung an die antinapoleonischen Kämpfe wurde zum Einen bis 1871 von der ältesten Generation wachgehalten. Der deutsche Nationalismus hatte sich in jener Zeit begonnen, auszubilden und stellte über seine Rhetorik und Gedankenbilder fortwährend Bezüge her. Nicht zuletzt lud auch die Gemeinsamkeit der Kampfschauplätze zu Vergleichen ein.[30]

Der historisch meist zurechtgebogene Verweis auf die ‚Befreiungskriege’ stellte im Vorfeld des deutsch-französischen Krieges das Exempel dafür dar, welche Stärke die Deutschen aufbringen konnten, solange sie vereint kämpften. Von besonderer Bedeutung zeigte sich die Erinnerung an die Überwindung Napoleons jedoch in den 1871 schon gängigen Topoi der ‚Vollendung’ und der ‚Wiedergeburt’. Die Einheit der Nation war gerade errungen, doch hatte man ihren ‚Geburtstag’ schon vor dem Krieg in Gedenken an die Völkerschlacht zu Leipzig gefeiert.[31]

Dieser Deutung nach, waren die Deutschen 1814/15 im Wienerkongress durch die ‚Feder’ darum betrogen worden, was das ‚Schwert’ längst errungen hatte.[32]

„Und ist es Talleyrand einmal gelungen, Deutschland durch die Unterscheidung Frankreichs

und der Bonaparten um die Früchte seines Sieges zu betrügen, - lassen wir uns durch dasselbe

Kunststück nicht zum zweiten Mal dupieren“

So hieß es etwa in der „Neuen Preußischen Zeitung“ im Vorfeld des Italienfeldzuges 1859 und auch im „Oesterreichischen Volksfreund“ wurde vor den „Pariser Finessen“ gewarnt.[33]

Jeismann wertet diese Angst davor, „dass es der französischen Diplomatie [...] gelingen könnte, trotz des verlorenen Krieges eine Position der Stärke in Europa zu behaupten, von der aus die Deutschen langfristig um die ‚Früchte des Sieges’ gebracht werden sollten“, noch als kennzeichnendes Element der Nachkriegsstimmung im Jahr 1871.[34] Die Erfahrung der Jahre 1814/15 schien das Misstrauen gegenüber dem Nachbarstaat noch über den Krieg von 1870/71 hinaus in besonderer Weise zu prägen. Das Bild des Feindes musste dem eines listigen Stehaufmännchens gleichen. Praktische Relevanz hatte diese Einschätzung in der Frage der Kriegsziele, wo sie das Plädoyer für hohe Reparationsforderungen und eine Annexion des Elsass schon allein aus Sicherheitsgründen stärkte.[35]

Die Wahrnehmung, nach harter Bewährung in den Kämpfen gegen Napoleon, nicht zu der erhofften nationalen Stärke gefunden zu haben, das besiegte Frankreich jedoch neu erstarken zu sehen, schien auch ein Gefühl der Bedrohung hervorzurufen, als schließlich die Außenpolitik Napoleons III. für die deutsche Presse erstes Machgebaren erkennen ließ.[36] Schon der Name des neuen französischen Kaisers ließ nicht zu, sich vom Deutungsrahmen der ‚Befreiungskriege’ zu lösen und bedingte die Erwartung großer Gefahr für die deutschen Länder.

Die Erinnerung an die napoleonischen Kriege und damit auch an die Feindschaft gegenüber Frankreich war Kraftquelle und Trauma zugleich und aufgrund beider Wirkungskräfte im ungeeinten Deutschland kaum überwindbar.

[...]


[1] Rak: Krieg, Nation und Konfession. [...], S. 215 / Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa. S. 51 f.

[2] Hagemann: „Mannlicher Muth und Teutsche Ehre“. [...]. S. 242 / Jeismann: Das Vaterland der Feinde. [...], S. 93. Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa. S. 98.

[3] Hagemann: „Mannlicher Muth und Teutsche Ehre“. [...]. S. 246

[4] Kühlich: Die deutschen Soldaten im Krieg von 1870/71. S. 112.

[5] Hagemann: „Mannlicher Muth und Teutsche Ehre“. [...]. S.251 ff.

[6] Poidevin/Bariéty: Frankreich und Deutschland. [...]. S. 52.

[7] Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa. S. 199f.

[8] Siebe: Von der Revolution zum nationalen Feindbild. [...], S. 132 ff.

[9] Buschmann: Einkreisung und Waffenbruderschaft. [...], S. 224.

[10] Kölnische Zeitung, Nr. 1, 1.1.1854, zit. nach Buschmann: Einkreisung und Waffenbruderschaft. [...], S. 222 ff.

[11] Buschmann: Einkreisung und Waffenbruderschaft. [...], S. 222 ff.

[12] Poidevin/Bariéty: Frankreich und Deutschland. [...], S. 84.

[13] Offenes Sendschreiben an Ludwig Napoleon. In: Gartenlaube, 1859, Nr.21. zit. nach Buschmann: Einkreisung und Waffenbruderschaft. [...], S. 227

[14] Buschmann: Einkreisung und Waffenbruderschaft. [...], S. 230 ff.

[15] Buschmann: Einkreisung und Waffenbruderschaft. [...], S. 230 ff.

[16] infolge hoher Verschuldung Mexikos intervenierte die französische Regierung 1862 und versuchte, durch Einsetzung Maximilians I. eine von Frankreich abhängige Monarchie zu etablieren.

[17] Buschmann: „Im Kanonenfeuer [...]. S. 110f. / Faber: Die nationalpolitische Publizistik Deutschlands 1866-1871. [...], S. 641.

[18] Buschmann: „Im Kanonenfeuer [...]. S.109 ff.

[19] Fenske: Die Deutschen und der Krieg von 1870/71.[...], S. 174.

[20] Kreuzzeitung 17.7.1870. zit. nach Jeismann: Das Vaterland der Feinde. [...], S. 263.

[21] Politischer Tagesbericht. Berlin 18.7.1870. In: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 20.7.1870. zit. nach Jeismann: Das Vaterland der Feinde. [...], S. 263.

[22] Historisch-Polit. Blätter Bd. 66 1870. S. 596. zit. nach Buschmann: Einkreisung und Waffenbruderschaft. [...], S. 239.

[23] Buschmann: Einkreisung und Waffenbruderschaft. [...], S. 236.

[24] Buschmann: Einkreisung und Waffenbruderschaft. [...], S. 237 f.

[25] Jeismann: Das Vaterland der Feinde. [...], S. 268.

[26] Kreuzzeitung 6.9.1871 zit. nach Jeismann: Das Vaterland der Feinde. [...], S. 273.

[27] Fenske: Die Deutschen und der Krieg von 1870/71.[...], S. 190.

[28] Vossische Zeitung., 6.9.1870 zit. nach Jeismann: Das Vaterland der Feinde. [...], S. 275.

[29] Fenske: Die Deutschen und der Krieg von 1870/71.[...], S. 190.

[30] Kühlich: Die deutschen Soldaten im Krieg von 1870/71. S. 129f. / S.134.

[31] Buschmann: „Im Kanonenfeuer [...]. S. 105 ff.

[32] Kühlich: Die deutschen Soldaten im Krieg von 1870/71. S.134.

[33] Kreuzzeitung, Nr. 63, 16.3.1859 / Oesterreichischer Volksfreund, Nr. 22, 28.1.1859 zit. nach Buschmann: Einkreisung und Waffenbruderschaft. [...], S. 231.

[34] Jeismann: Das Vaterland der Feinde. [...], S. 251.

[35] Faber: Die nationalpolitische Publizistik Deutschlands 1866-1871. [...], S. 649.

[36] Fenske: Die Deutschen und der Krieg von 1870/71.[...], S. 167.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Das französische Feindbild in Deutschland vor und während des Krieges von 1870/71
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1
Autor
Jahr
2008
Seiten
31
Katalognummer
V137315
ISBN (eBook)
9783640459346
ISBN (Buch)
9783640459407
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutsch-französischer Krieg, 1870/71, Feindbild, nationaler Mythos
Arbeit zitieren
Toni Ziemer (Autor:in), 2008, Das französische Feindbild in Deutschland vor und während des Krieges von 1870/71, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137315

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