Meine Arbeit untersuchte ausgewählte Filme aus der Zeit des Dritten Reiches im Hinblick auf die Arbeitskultur dieser Epoche sowie deren Beziehung zum Holocaust, obwohl dieser in den NS-Filmen nicht explizit sichtbar wurde. In der Filmwissenschaft mangelt es bisher an geeigneten Ansätzen für einen „Point of View“ im nationalsozialistischen Film, der Hinweise auf den Holocaust aus der außerfilmischen Realität liefern könnte. Durch diesen fehlenden „Point of View“ ergeben sich bei der Analyse von Filmmaterial aus dem Nationalsozialismus Ergebnisse, die kaum von denen unterscheiden, die man beispielsweise bei der Untersuchung von Filmen aus der DDR-Kultur erhält.
Ohne einen Betrachtungsansatz, der das singuläre Ereignis – den Holocaust – im NS- Film berücksichtigt, lässt sich dessen Besonderheit nicht aufzeigen: Das Spezifische des NS-Films bleibt unerkannt und seine Filmkultur kann kaum von derjenigen anderer totalitärer Gesellschaften unterschieden werden. Daher möchte ich im weiteren Verlauf einen geeigneten strukturalistischen Betrachtungsansatz entwickeln, um den Zivilisationsbruch und die gesellschaftlichen Aspekte, die zu seiner Entstehung beitrugen, im Filmmaterial aus dem Dritten Reich herauszuarbeiten. Dabei liegt mein Fokus nicht auf der Definition des Zivilisationsbruchs, stattdessen versuche ich Unterschiede in den ausgewählten Filmen festzumachen. Diese stelle ich in Bezug zur Zäsur von 1941/1942 (der Zeit, in der die Gesetze zur Errichtung der Vernichtungslager verabschiedet wurden).
Hierbei habe ich deshalb die analysierten Filme in zwei Kategorien eingeteilt: diejenigen, die vor 1941 produziert wurden, und solche, die nach 1941 entstanden sind.
Der oben genannte Begriff „Zivilisationsbruch“ geht auf Dan Diner zurück. Mit diesem bezeichnet er das Handeln der Täterschaft im Holocaust. Ein Teil der Filme wurde produziert während in der außerfilmischen Realität die Deutschen mit der Errichtung und dem Betrieb der Vernichtungslager tätig waren. Hier möchte ich das Wirken dieser Filme vor dem Verhältnis ihres Zeitgeistes untersuchen und von fort an den Begriff „Zivilisationsbruch“ von Dan Diner für die Thesis übernehmen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Forschungsfrage
1.2 Zum Material in der Thesis
2. Die Gesellschaft des Holocausts im NS-Film sichtbar machen
2.1 Herangehensweise
2.2 Das Jahr
2.3 Ordnen und Morden als Praxis
3. Die Aspekte zum Sichtungspunkt
3.1 Das NS-Kino vor dem Jahr
3.2 Der Kommunikationsakt, der den Dritten nicht ausschliesst
3.3 Antisemitismus im NS-Film vor
3.4 Antisemitismus und Wirtschaft im Film DIE VIER GESELLEN
3.5 Antisemitismus und Wirtschaft im Film MUTTERLIEBE
3.6 Das Kino nach dem Machtbestreben
3.7 Imperialistische Begehren im NS-Kino nach
3.8 Zur Inszenierung von Liebe und Verliebtsein im NS-Kino nach
3.9 Konklusion des Kapitels
4. Weibliche Erwerbstätigkeit im Nationalsozialismus
4.1 Weibliche Erwerbstätigkeit und politische Betätigung im Dritten Reich
4.2 Frauen als Aufseherinnen in Konzentrationslagern
4.3 Zwischen Zwangsvergemein¬schaftung und Zivilisationsbruch: Weibliche Erwerbs-, Berufs- und Arbeitstätigkeit im NS-Film
4.4 Die Suche nach Arbeit und der erste Arbeitsauftrag
4.5 Selbstverständnis der Protagonistinnen über ihre Erwerbstätigkeit
4.6 Weibliche Erwerbstätigkeit als Verzicht von Selbstverwirklichung im NS-Film
4.7 Zeitgeist und Gemeinschaft: Einflüsse auf weibliche Erwerbs¬arbeit im Dritten Reich
4.8 Gemeinschaftsromantik als Hürde für beruflichen Erfolg der Frau in der NS-Zeit
Fazit
1. Einleitung
Die Darstellung arbeitender Frauen im Kino des Dritten Reiches wirkte auf den ersten Blick paradox, da die nationalsozialistische Propaganda Frauen vorwiegend im Kontext von Ehe und Mutterschaft platzierte und sie aus dem Berufsleben nahezu vollständig entfernte. Dennoch waren berufstätige Frauen in Filmen aus dieser Zeit präsent. Meine Arbeit untersuchte neben dem Bild berufstätiger Frauen auch die Arbeitskultur und deren Entwicklung im Nationalsozialismus. Hier zeigte sich erneut ein Paradox: Während die NS-Propaganda Arbeit hauptsächlich als Beitrag zur Volksgemeinschaft betonte, diente sie in den analysierten Filmen vor allem zur Selbstverwirklichung der weiblichen Hauptfiguren. Die propagierte „Deutsche Volksarbeit“ hatte eine starke Wirkung auf das Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Bevölkerung.
Die Arbeitskultur des Dritten Reiches war jedoch auch durch ihre bizarre Seite gekennzeichnet: Es gibt keine andere Kultur in der Weltgeschichte, die einen Zivilisationsbruch1 wie den Holocaust verursachte, der nur mithilfe der spezifischen Arbeitskultur der Deutschen umgesetzt werden konnte.
Meine Arbeit untersuchte ausgewählte Filme aus der Zeit des Dritten Reiches im Hinblick auf die Arbeitskultur dieser Epoche sowie deren Beziehung zum Holocaust, obwohl dieser in den NS-Filmen nicht explizit sichtbar wurde.
In der Filmwissenschaft mangelt es bisher an geeigneten Ansätzen für einen „Point of View“ im nationalsozialistischen Film, der Hinweise auf den Holocaust aus der außerfilmischen Realität liefern könnte. Durch diesen fehlenden „Point of View“ ergeben sich bei der Analyse von Filmmaterial aus dem Nationalsozialismus Ergebnisse, die kaum von denen unterscheiden, die man beispielsweise bei der Untersuchung von Filmen aus der DDR-Kultur erhält.
Ohne einen Betrachtungsansatz, der das singuläre Ereignis - den Holocaust - im NS- Film berücksichtigt, lässt sich dessen Besonderheit nicht aufzeigen: Das Spezifische des NS-Films bleibt unerkannt und seine Filmkultur kann kaum von derjenigen anderer totalitärer Gesellschaften unterschieden werden. Daher möchte ich im weiteren Verlauf einen geeigneten strukturalistischen Betrachtungsansatz entwickeln, um den Zivilisationsbruch und die gesellschaftlichen Aspekte, die zu seiner Entstehung beitrugen, im Filmmaterial aus dem Dritten Reich herauszuarbeiten. Dabei liegt mein Fokus nicht auf der Definition des Zivilisationsbruchs, stattdessen versuche ich Unterschiede in den ausgewählten Filmen festzumachen. Diese stelle ich in Bezug zur Zäsur von 1941/1942 (der Zeit, in der die Gesetze zur Errichtung der Vernichtungslager verabschiedet wurden). Hierbei habe ich die analysierten Filme in zwei Kategorien eingeteilt: diejenigen, die vor 1941 produziert wurden, und solche, die nach 1941 entstanden sind.
Der oben genannte Begriff„Zivilisationsbruch“ geht auf Dan Diner zurück. Mit diesem bezeichnet er das Handeln der Täterschaft im Holocaust. Ein Teil der Filme wurde produziert während in der außerfilmischen Realität die Deutschen mit der Errichtung und dem Betrieb der Vernichtungslager tätig waren. Hier möchte ich das Wirken dieser Filme vor dem Verhältnis ihres Zeitgeistes untersuchen und von fort an den Begriff „Zivilisationsbruch“ von Dan Diner für die Thesis übernehmen. Diners Begriff referenziert auf dem irrationalen Handeln der Nazis. Diner stellt die Frage: wie können Menschen anderen Menschen so etwas antun? In dieser bisher nicht im Ganzen von der Forschung beantworteten Frage, begründet sich auch die Einmaligkeit des Holocausts. Die Motivation zur Massenvernichtung wurde bis dahin in der Menschheit als nicht möglich angesehen: hier offenbart sich nämlich der Verzicht auf die Selbsterhaltung der TäterInnen vor dem Hintergrund einer sinnlosen Vernichtung des Menschen.
1.1 Forschungsfrage
Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit werden folgende Fragestellungen behandelt: Wie werden arbeitstätige Frauen im NS-Kino inszeniert? In welcher Weise werden ihre Berufe und Berufsrollen auf der Leinwand thematisiert? Welche Rolle spielte der Nationalsozialismus für die Darstellung von arbeitstätigen Frauen? Inwiefern beeinflusste er das Bild von Weiblichkeit und Arbeitskultur in der Kinematographie seiner Zeit? Im zweiten Teil der Arbeit werden darüber hinaus folgende Aspekte untersucht: Welche Strukturen der deutschen Geschichte führten die Gesellschaft zum Zivilisationsbruch und welche Anhaltspunkte dazu bietet der NS-Film? Inwiefern beeinflussten die Strukturen den NS-Film? Und wie entwickelte sich dieser inhaltlich im Verlauf der NS-Zeit?
1.2 Zum Material in der Thesis
Zu Beginn dieser Thesis wird ein Überblick über das gewählte Sichtungsmaterial gegeben und das Konzept der Analyse vorgestellt.
Folgendes Filmmaterial wurde zur Sichtung ausgewählt:
Für die Untersuchung des NS-Kinos wurden zunächst Filme aus den Jahren 1933 bis 1942 berücksichtigt. Insgesamt wurden fünf Filme für die vorliegende Analyse ausgewählt. Alle untersuchten Filme haben zwei gemeinsame Hauptkriterien: die Hauptfigur ist weiblich und erwerbstätig (dabei sind auch die Begriffe „berufstätig“ und „arbeitstätig“ inbegriffen). Die ausgeübten Berufe der Protagonistinnen unterscheiden sich jedoch.
Die Analyse konzentriert sich bewusst auf verschiedene Formen der Arbeitstätigkeit. Dennoch kann festgestellt werden, dass bei der Darstellung weiblicher Erwerbstätigkeit im Kino häufig künstlerische Berufe auf der Leinwand präsentiert wurden. In den untersuchten NS-Filmen ergibt sich folgende Verteilung: drei der Berufe, die von den Protagonistinnen ausgeübt werden, sind dem künstlerischen Bereich zuzuordnen, einer dem Dienst-leistungsbereich und eine Protagonistin ist selbstständige Unternehmerin.
Für den ersten Teil der Arbeit wurden zudem keine Filme untersucht, die sich kritisch mit der Politik und Ideologie des NS-Staates auseinandersetzen oder solche, die zur sogenannten „entarteten Kunst“ gehören, also keine Filme, die von der Reichsfilmkammer zensiert wurden.
In der Kategorie des Third Reich Cinema standen folgende Filme zur Sichtung
DIE VIER GESELLEN (1938; Reg.: Carl Froelich)
MUTTERLIEBE (1939; Reg.: Gustav Ucicky)
AUF WIEDERSEHEN, FRANZISKA (1941; Reg.: Helmut Käutner)
ZWEI IN EINER GROßEN STADT (1942; Reg.: Volker von Collande)
GROßSTADTMELODIE (1943; Reg.: Wolfgang Liebeneiner)
2. Gesellschaft des Holocausts im NS- Film sichtbar machen
Kulturelles Material ist in die Zeit eingebettet, in der es entstanden ist. Diese historische Einbettung ermöglicht dem kulturellen Material, auf „seine“ Zeit diskursiv zu verweisen. Daher ist es sinnvoll, den historischen und kulturellen Kontext des hier untersuchten Filmmaterials aus der NS-Zeit hinsichtlich seiner Besonderheiten zu analysieren. Es wurde bereits festgestellt, dass das Spezifische des NS-Kinos in Bezug auf einen Sichtungspunkt des Zivilisationsbruchs sein muss. Die NS-Kultur ist insbesondere durch die Entstehung von Täter-Subjekten gekennzeichnet, die zum Zivilisationsbruch fähig waren.
Die Herausarbeitung eines Blickwinkels, der das Spezifische der deutschen Kultur in der NS-Zeit erfasst, ist von Bedeutung. Bisher hat der Mangel an diesem Aspekt in der Filmwissenschaft verhindert, das Einzigartige des NS-Films zu erfassen. Es war bisher üblich, Filmmaterial aus dem Nationalsozialismus so zu behandeln, dass der Zivilisationsbruch nicht unbedingt bei der Fragestellung für die Analyse berücksichtigt wird, obwohl erst dieser Punkt darauf hinweist, was Filmmaterial aus dem Nationalsozialismus auszeichnet und von Filmmaterial anderer Kulturen unterscheidet. NS-Filme wurden bisher nach Kriterien untersucht, ohne den Analyseprozess vorab auf den Aspekt des Zivilisationsbruchs hin zu prüfen. Wenn die Analyse jedoch durch Themen wie „Weiblichkeit im NS-Film“ bestimmt ist, besteht die Gefahr einer unzureichenden Erschließung des Blickwinkels. Die Ergebnisse unterscheiden sich dann kaum von denen einer Analyse zum kommunistischen Film oder zum Film des italienischen Faschismus, beispielsweise. Die Filmwissenschaft hat es bisher versäumt, den NS-Film hinsichtlich seines Alleinstellungsmerkmals - des Zivilisationsbruchs - zu definieren.
Wie also kann der Holocaust im NS-Film sichtbar gemacht werden, obwohl die Filmschaffenden ihn nicht bewusst darstellten? Zusammenfassend wird in diesem Kapitel ein angemessener Zugang zur Analyse des nationalsozialistischen Films gesucht, der sich vorwiegend durch einen Blickwinkel erschließt, der den im Hintergrund stattfindenden Zivilisationsbruch in Deutschland berücksichtigt. Dabei sollte der Blickwinkel unabhängig vom Hauptthema der Analyse - also als Vorbedingung - eingenommen werden.
2.1 Herangehensweise
Bei der Untersuchung des nationalsozialistischen Films aus der Perspektive des Holocausts bleibt zunächst unklar, worauf genau im Film geachtet werden sollte, um dem Hauptanliegen gerecht zu werden. Es erscheint sinnvoll, die ausgewählten Filme auf ihr Produktionsjahr zu fokussieren und sie in zwei Kategorien einzuteilen: Filme aus dem Dritten Reich, die vor und nach 1941 produziert wurden. Diese Kategorisierung soll mögliche Unterschiede zwischen den Filmen des „Third Reich Cinema“ aufzeigen, die vor und nach 1941 entstanden sind. Im nächsten Schritt soll überlegt werden, warum diese Unterschiede existieren.
Dabei wird angenommen, dass dieser Ansatz Aspekte des Zivilisationsbruchs in einem NS-Film sichtbar macht, obwohl sie von den Filmproduzenten nicht bewusst dargestellt wurden. Neben der Untersuchung der unterschiedlichen Eigenschaften in Bezug auf diese Kategorisierung ist ein weiterer Schritt von Bedeutung. Hier versucht die Analyse, den Beginn der Vernichtung im Nationalsozialismus zu markieren. Das bedeutet, dass es in der NS-Zeit strukturell ein erstes Ereignis geben muss, das in anderen faschistisch regierten Staaten - wie Italien oder Japan - nicht vorkam.
Zusammenfassend geht dieser Abschnitt davon aus, dass das Jahr 1941 für die Nationalsozialisten eine Wendepunkt darstellte und ihr verändertes Handeln strukturell das Spezifische des Zivilisationsbruchs zeigte.
2.2 Das Jahr 1941
Im vorherigen Abschnitt wurde ein Ansatz präsentiert, der es erlaubt, einen Blickwinkel zu entwickeln, der in Filmen der NS-Zeit mögliche Bezüge zum Holocaust aufzeigt. Dabei ist das Jahr 1941 als Kriterium für diesen Ansatz von Bedeutung. Die ausgewählten NS-Filme wurden daher - abhängig von ihrem Produktionsjahr - in Kategorien vor und nach 1941 eingeteilt.
Das Jahr 1941 wurde aus folgenden Gründen gewählt: Zum einen stellte 1941 für die Nationalsozialisten eine Zäsur dar. Der Plan zur Eroberung Osteuropas, der mit dem Angriff auf Polen begann, konnte von den Deutschen nicht erfolgreich fortgesetzt werden. Der Einmarsch in Russland war von Schwierigkeiten geprägt. Monat für Monat wurde die Niederlage offensichtlicher - das Verhalten der deutschen Kriegstruppen in Russland wurde in dieser Zeit zunehmend brutaler.2
Die Misserfolge in der Kriegsführung führten bei den Deutschen offenbar zu einer Umorientierung ihrer Pläne von der Eroberung des Ostens hin zur Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Das Massaker von Babi Jar, das am 29. und 30. September 1941 stattfand,3 zeigte ein spezifisches Muster mörderischen Verhaltens, dessen rechtlicher Rahmen und praktische Umsetzung später auch Gegenstand der Wannseekonferenz wurden. In Babi Jar exekutierte das Sonderkommando 4a zusammen mit dem Gruppenstab und zwei weiteren Kommandos insgesamt 33.771 Juden.
Die Nationalsozialisten trieben die Menschen zusammen, zwangen sie, ihre Kleidung und Wertgegenstände abzulegen, und drängten sie in eine 150 Meter lange und 15 Meter tiefe Schlucht. Anschließend befahlen sie den Menschen, sich auf die bereits erschossenen Juden zu legen.4 Angesichts dieser Umstände erscheint es plausibel, dass die Nationalsozialisten in dieser Zeit einen Übergang von einem faschistischen Zeitgeist, wie er sich auch in Italien und Japan zeigte, zum Zivilisationsbruch vollzogen. In diesem Zusammenhang lässt sich anhand der genannten Aspekte eine Verlagerung der Aufmerksamkeit als Reaktion der Deutschen auf die Niederlage gegen Russland erkennen. Allerdings ist es keineswegs so, dass die kulturelle beziehungsweise gesellschaftliche Entwicklung, die zum Holocaust fähig war, erst im Nationalsozialismus begann, sondern sie entwickelte sich bereits in der Zeit Preußens.
Wahrscheinlich spielt die preußische Fundamentaldisziplinierung eine Rolle, die im Kaiserreich anstelle einer Revolution eintrat. Eine solche Revolution, wie sie zur gleichen Zeit während der Industrialisierung in Frankreich, den USA oder Großbritannien stattfand, gab es in Preußen nicht.
2.3 Ordnen und Morden als Praxis
Das Jahr 1941 im Dritten Reich enthält, wie zuvor diskutiert, Aspekte, die für den Zivilisationsbruch charakteristisch sind. Am Beispiel des Massakers von Babi Jar5 aus dem Jahr 1941 lässt sich ein spezifisches Handlungsmuster der Täter erkennen, das die einzigartige Verbindung von Ordnung und Mord zeigt. Die Frage nach dem Besonderen der NS-Gesellschaft führt zu diesem Punkt, der im Zweiten Weltkrieg bei den Nationalsozialisten während des Holocausts deutlich wurde.
Möglicherweise entstand dieses Muster, wie im vorherigen Kapitel am Beispiel von Babi Jar erläutert, als die Nationalsozialisten ihre Niederlage in Russland immer mehr eingestehen mussten. Zu dieser Zeit ist auch eine Verlagerung der Ziele von der Eroberung Osteuropas zur Verfolgung und Ermordung der Juden festzustellen. Dabei ist zu beachten, dass die Enteignung, Verfolgung, Ermordung und Plünderung der Juden nicht nur aus ideologischen Gründen durchgeführt wurde, sondern auch das Motiv der Bereicherung verfolgte.
Die Vermutung liegt nahe, dass die systematische Schichtung der Besitztümer der Opfer dazu diente, diese Güter zu entwenden. Auch der Aspekt der Rache sollte nicht ausgeschlossen werden. Die Raubpraxis könnte eine Kompensationstaktik der Deutschen gewesen sein, um die mit Rache verbundene Wut über die Niederlage zu lindern.
Um den Holocaust als Untersuchungspunkt hervorzuheben, ist es notwendig, seine Besonderheiten herauszuarbeiten. Dazu gehört, das Spezifische der Täter zu erkennen sowie das Verhältnis zwischen der Praxis des Ordnens und Mordens und den im NS- Film erarbeiteten Aspekten, die mit dem Zivilisationsbruch als thematischem Blickwinkel in Zusammenhang stehen.
Zusammengefasst ging es hier um die sich seit etwa 1941 verändernde Mordpraxis, der eine Ästhetisierung der Ordnung zukam.
3. Zum Sichtungspunkt
Das folgende Kapitel benennt die herausgearbeiteten Aspekte, die sich während des Sichtungsprozesses zu der Frage nach den Markierungen des Zivilisationsbruchs, der zur gleichen Zeit in der Gesellschaft des Dritten Reiches stattfand, im NS-Kino nach 1941 gezeigt haben.
3.1 NS-Kino vor dem Jahr 1941
Aus dem im vorherigen Kapitel dargestellten Phänomen „Ordentlichkeit“ lässt sich schließen, dass es als Ästhetisierung der Täterschaft im barbarischen Kontext fungierte und Erfolg sowie Freude nach außen hin signalisieren sollte. Es ist sinnvoll, zu untersuchen, was dieses Ästhetisierungsphänomen bei der Analyse von Filmen vor 1941 offenbart.6
Spezifische Aspekte aus dem NS-Kino nach 1941 werden erwähnt, weil sie in den Filmen vor 1941 nicht auftreten. Zum Beispiel taucht die Mutterfigur in einem NS-Film vor 1941 auf. Auffällig während der Analyse ist ein Punkt, der in den Filmen DIE VIER GESELLEN und MUTTERLIEBE ersichtlich ist.
Im Gegensatz zur unbeschwerten „Gisela“ aus ZWEI IN EINER GROßEN STADT oder der durchsetzungsstarken Protagonistin des Films GROßSTADTMELODIE „Renate“ sind die Frauen in DIE VIER GESELLEN zwar motiviert und karriereorientiert, scheitern jedoch an ihren Lebensumständen. Im Film DIE VIER GESELLEN können sich die Frauen mit ihrem Grafikunternehmen wirtschaftlich kaum halten, obwohl sie die Firma enthusiastisch gründen. Die Rettung der in Not geratenen Frauen kommt im Film von Männern in Form von Romanzen mit Heiratsoption, woraufhin die Frauen die Firma auflösen. In MUTTERLIEBE muss Marthe - zuvor im unbekümmerten Wohlstand ihres Ehemannes lebend - nach dessen Tod als Wäscherin die Familie erhalten. Marthe hält sich als selbstständige Wäscherin in der Großstadt, ihr Selbstverlust wird im Film glorifiziert.
Die Protagonistin in AUF WIEDERSEHN, FRANZISKA strebt zu Beginn des Films nach Selbstständigkeit. Als Franziska es schafft, aus dem Familienunternehmen in die Selbstständigkeit zu wechseln, sehen wir in einer Szene, wie sie sich von einer Freundin Geld leiht. Kurz erwähnt, erlebt das Drama der weiblichen Protagonistin einen Wandel: Je später die Filme des NS-Kinos produziert wurden, desto sorgenloser werden die Protagonistin und ihre Lebensumstände dargestellt.
Es ist bemerkenswert, dass die Frauenfiguren in NS-Filmen vor 1941 in bestimmten Kontexten inszeniert werden und Hintergründe präsentieren, die in Filmen nach 1941 von der Leinwand verschwinden.7 Im Film DIE VIER GESELLEN durchquert die verstörte Protagonistin die Hauptstadt nach einem gescheiterten Auftrag, während im Hintergrund ein lebhaftes Berlin mit vielen Bankgebäuden erscheint, darunter auch ein Leihhaus. In MUTTERLIEBE spielt ebenfalls ein Leihhaus eine Rolle. Der Familienvater kann den Wohlstand der Familie nur durch Kredite aufrechterhalten, was Marthe nach seinem Tod in Schwierigkeiten bringt.
Das Leihhaus gehört zum semantischen Raum des Zinskapitalismus, der einen bedeutenden Teil der NS-Propaganda ausmachte. Die Nazis machten Juden für wirtschaftliche Fehlleistungen in einer zunehmend globalisierten Welt verantwortlich. Die Gegenüberstellung des „schaffenden Deutschen“ und des „raffenden Juden“ war ein zentraler Bestandteil des deutschen Denkens. Das in DIE VIER GESELLEN beschriebene Phänomen ist bemerkenswert, weil es das politische Element in einem Genre zeigt, das dies normalerweise ausschließt - dem Unterhaltungsfilm.
Sowohl die Figur der gescheiterten, wirtschaftlich in Not geratenen jungen Frau als auch der Diskurs über den Zinskapitalismus verschwinden im NS-Film nach 1941. Insbesondere unterscheidet sich der NS-Film nach 1941 dadurch, dass das Zeigen solcher Notsituationen, in denen die filmischen Charaktere stehen, nicht mehr stattfindet.
Der Verzicht auf „Weltuntergangsszenarien“ ist überraschend, da in Zeiten hoher Kriegsverluste Angst und Sorge in der deutschen Bevölkerung verbreitet gewesen sein müssen. Dennoch schufen Filmschaffende keine Rollenmodelle oder Identifikationsmöglichkeiten für das NS-Publikum. Dies könnte daran liegen, dass NS-Filme auch für ausländische Zuschauer produziert wurden und im cineastischen Wettbewerb, vornehmlich gegenüber Hollywood, bestehen sollten.
Möglicherweise war das NS-Kino aus Scham während der Kriegsverluste nicht bereit, verängstigte oder depressive Protagonistinnen zu inszenieren. Die Analyse der Kriterien gibtzudem Hinweise auf die Bedeutung des Antisemitismus in der Bevölkerung. Die Furcht und Dämonisierung, die sich auf jeden bezog, schien für die Deutschen in der früheren Phase des NS-Films zurückgehalten oder nicht präsent zu sein.
3.2 Der Kommunikationsakt, der den Dritten nicht ausschliesst
Die hier gesichteten Filme MUTTERLIEBE und DIE VIER GESELLEN, die vor dem Jahr 1941 produziert wurden, weisen hinsichtlich eines Kommunikationsaktes eine Besonderheit auf, weshalb auch in den Sichtungen der Filme, die nach 1941 produziert wurden, die Aufmerksamkeit, neben dem Fokus auf auffällige Unterschiede, die sich im NS-Kino vor 1941 ergeben, auf das Vorhandensein des Kommunikationsaktes, gerichtet wurde.
Doch was hat es mit dem bei den Sichtungen entdeckten Kommunikationsakt genauer auf sich? Das wird im nächsten Kapitel erläutert.
Die hiesige Sichtungsanalyse zum NS-Kino vor 1941 brachte die These ein, dass Antisemitismus in der Kommunikation der NS-Bevölkerung nicht auf der inhaltlichen Ebene seinen hauptsächlichen Sinn besaß, sondern als Funktion wirkte.
Die in diesem Kommunikationsakt kommunizierte Ablehnung der Juden meinte zugleich ihre Abgrenzung. Letztere disponiert „das hauptsächliche Element“ für den Kommunikationsakt im strategischen Sinne, denn zugleich definiert er das Gegenüber als das Gegenteil der Abgrenzung. Nämlich in seiner Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, der In-Group, den Herren-Volk. Der Antisemitismusbegriff selbst hatte seit der Zeit der Entstehung im 19. Jahrhundert in seiner Konnotation einen Wandel durchlebt, doch stets hatte er seine Existenzberechtigung gemeinschaftlichen Interessen zu verdanken. Er brachte dem Begründer „Wilhelm Marr“ im wissenschaftlichen Feld und der deutschen Öffentlichkeit viel Anerkennung, denn mit der Begriffsgründung strebte Marr anfangs die Erzeugung und Formulierung einer neuen Weltanschauung an.
Marr behauptete, dass sich der Begriff „Antisemitismus“ nicht auf Juden oder das Judentum konzentrierte. Anstelle dessen vermochte er ihn auf die semitische Rasse und ihre Eigenschaften zu beziehen. Im wissenschaftlichen Feld - führt Shulamit Volkov aus - waren sich alle Autoritäten jedoch darin einig, dass die wissenschaftlichen Kenntnisse von „semitischen“ Eigenschaften dürftig genug war, um dem neuen Begriff ein Höchstmaß an Mehrdeutigkeit zu sichern.
Obwohl der neue Begriff im öffentlichen Raum sich beständig Aufmerksamkeit verschaffen konnte, versuchte sich Marr 1879 von seinen bisherigen Definitions- versuchen zu distanzieren: „Mich beseelt nicht der entfernteste Judenhaß und ebenso wenig ein confessioneller Hass gegen die Juden, nicht einmal ein Nationalhaß oder Racenhaß.“ Marr hat sich von dem Begriff „Antisemitismus“ im Ganzen aber nie distanziert, obwohl er diesen weder einem wissenschaftlichen Fundament unterstellen, noch diesen exakt konkretisieren konnte.
Es fällt auf, dass es dem Autor auf seinen renommierten Stellung in der Öffentlichkeit ankam und die Diskussion um die inhaltliche Ebene der von Mahr ins Leben gerufene philosophischen Strömung, nur begrenzt wichtig war.
Aber Antisemitismus ermöglichte, einen Anderen als solchen zu markieren, ihn abzugrenzen und zugleich das Eigene, die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft zu markieren, Antisemitismus war, nachdem Mahr diesen als Begriff konstituierte, gesellschaftlich tragend, weil er eine Funktion erfüllte.
Hinsichtlich dessen definiert Shulamit Volkov Antisemitismus als kulturellen Code.8 9 Das bedeutet, dass aus der eigenen kulturellen Sozialisation heraus die Subjekte wissen, was sie über Juden und das Judentum sagen können und sollen - was also gesellschaftlich als legitim gilt. Der Standpunkt über Juden ist so gesehen an das gebunden, was Niklas Luhmann als Erwartungs-Erwartungen65 bezeichnet. Der kulturelle Code ist von Volkov ferner definiert als ein „Symbol, ein Kürzel für ein ganzes System von Ideen und Einstellungen, die mit der direkten Schätzung oder Nichtschätzung von Juden wenig bis gar nichts zu tun hatten“, sowie als der „Bestandteil einer moralischen Perspektive “ 10.
Durch die Filme wird offen gelegt, dass Antisemitismen sich zwar an die Juden richten. Primär aber wendet sich das antisemitisch handelnde und sprechende Subjekt an die eigene Gemeinschaft. Durch den antisemitischen Akt soll eine Überzeugung kommuniziert und infolgedessen gemeinschaftliche Zugehörigkeit signalisiert werden. Dementsprechend bezieht sich - in Anlehnung an Jürgen Habermas - der Kommunikationsakt, dem der Antisemitismus immanent ist, auf die soziale Welt der interpersonalen Beziehungen. Nachfolgend soll hier das vorliegende Filmmaterial aus der Filmkultur der NS-Zeit nach 1941 unter anderem auf das Vorhandensein des „Kommunikationsaktes“ überprüft werden. Im Folgenden soll der „Kommunikations- akt, der den Dritten nicht ausschliesst“ anhand von den hier ausgewählten Filmen markiert werden können. Anschliessend geht es darum zu überprüfen, ob und wie sich das NS-Kino inhaltlich in der Phase des Nationalsozialismus verändert hat. Die daraus folgenden Ergebnisse sollen mit der hauptsächlichen Sichtungsanalyse ins Verhältnis gesetzt werden.
3.3 Antisemitismus im NS-Film vor 1941
Im Kontext des hiesigen Vorhabens, Hinweise im NS-Film auf den Holocaust zu finden, stellt sich die Frage, wie man am besten anfängt. An welchem Punkt setzt man an?
Doch was kann eines der wesentlichen Punkte sein, aus dem heraus der Nationalsozialismus in seiner Entwicklung bis zum Zivilisationsbruch, den die Täter anhand des Holocausts, vollzogen haben, markiert werden kann?
Eines dieser ersten Spuren, die Ergebnisse für unseren Point of View liefern, ist der Antisemitismus im NS-Film vor 1941, der als ideologischer Antrieb für die TäterInnen fungierte und die Funktion hatte, durch gemeinsame Akte der Dämonisierung und der Ausgrenzung Gemeinschaftsgefühle der Deutschen zu stärken. Eine Spur ist dieser deswegen, weil er im NS-Kino nach 1941 in dieser Weise von der Leinwand getilgt wird.
In den hier zur Sichtung vorliegenden Filmen, die vor 1941 produziert wurden (DIE VIER GESELLEN; MUTTERLIEBE) fällt jedoch erst einmal auf, dass politische Inhalte auf der Leinwand kaum zur Inszenierung kommen.
Angesichts des Vorhabens, den Holocaust als „Point of View“ aus dem heraus NS- Filme gesichtet werden, zu etablieren, um ihr Verhältnis zu dem außerfilmischen Geschehen in der Zeit der Vernichtungslager zu beschreiben, stellt sich also die Frage nach der Politik im Film. Was können uns die Filme, die aus dem hiesigen Point of View gesichtet werden, zeigen?
3.4 Antisemitismus und Wirtschaft im Film DIE VIER GESELLEN
Die Nationalsozialisten dämonisierten die Zinswirtschaft, weil die daraus gewonnene Unabhängigkeit für die Subjekte eine Bedrohung für die Diktatur darstellte.
Bezüglich dessen, erweist sich die Kapitalismuskritik im Film DIE VIER GESELLEN als aufschlussreich, um das politische Moment in einem Genre zu markieren, das jenes eigentlich ausschliessen müsste - nämlich den Unterhaltungsfilm. Dementsprechend sehen wir, dass die NS-Propaganda in jedem Lebensbereich des Dritten Reiches zur Wirkung kam. Die Gegenüberstellung vom „schaffenden Deutschen“ und dem „raffenden Juden“ war Kernbestandteil des deutschen Denkens. 1873 - nach dem Börsenkrach - manifestierte sich durch Autoren wie Otto Glagau etwa, das Narrativ über ein „ internationales Finanzkapital“, in welchem die Juden für die Fehlentwicklungen im Wirtschaftsleben verantwortlich gemacht wurden.11
Der Film DIE VIER GESELLEN in (min. 00:40:33) behandelt eine Szene, die in diesem Kapitel Erwähnung findet, weil sie eine Kapitalismuskritik birgt, die der NS- Propaganda ebenbürtig scheint.
In dieser Szene sucht die Protagonistin Marianne das Büro von Stefan Kohlund auf, der ihr Lehrer zuvor war und nun sich als Chef eines Zigaretten-Unternehmens entpuppt. Vor kurzem hat das Unternehmen einen Werbeauftrag ausgeschrieben. Die Protagonistin hat sich mit den Kolleginnen ihrer Firma auf diese Ausschreibung beworben. Weil der Erfolg Mariannes und der drei anderen Gründerinnen bisher jedoch ausblieb, sieht Marianne in dem Auftrag nun die große Chance. Sie sucht bittet Kohlund in seinem Büro persönlich auf um Informationen zum Stand der Ausschreibung zu erhalten. Kohlund teilt ihr jedoch mit, dass der Auftrag schon vergeben wurde.
Nach dem Gespräch verlässt Marianne das Büro (min. 00:46:30). In der nächsten Szene des Films sehen wir Marianne im Zentrum von Berlin schlendern, dessen Einkaufsstraßen von Banken und Neonschildern dominiert werden. Eine Szene weiter rennt Marianne an einem Leihhaus vorbei.
Primär haben Leihhäuser den Zweck, Armut im Privathaushalten kurzfristig zu verringern. Zugleich sollte die doppelte Bedeutung des Leihhauses aufgelistet werden: einerseits haben wir es mit einem Symbol für wirtschaftliche Not zu tun, andererseits findet sich das Leihhaus im semantischen Raum der Zinswirtschaft wieder. Im Film ist das Pfandleihhaus Teil der Armutsszenerie, der Marianne und die anderen Hauptfiguren nach und nach erliegen, denn die mit der Existenzgründung einhergehenden Träume der Frauen von Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit sind voller Hindernisse.
Insofern geht es in dieser Szene des Films um die Unmöglichkeit der Verwirklichung individuell gesetzter Ziele zunächst einmal. Allerdings stellt der Film nicht die NS- Ideologie als hierfür schuldig das, weil sie die Frauen in bestimmte Konventionen zwingt, sondern bedient ein antisemitisches Narrativ. Insofern impliziert die Szene, dass die Armut der jungen Frau von der Globalisierung und der internationalen Wirtschaft verschuldet wurde.
Mit dieser Inszenierung von Armut schliesst der Film der Ideologie sich an, in die er kulturell und zeitlich eingebettet ist.
Die Kompatibilität der Hauptfiguren mit dem nationalsozialistischen Frauenbild bleibt erhalten. Über jenes als möglichen Grund für das Scheitern der Frauen, verhandelt der Film nicht. Insofern ist dieser sich im Bild zugetragene Code auch ein Akt der Auslagerung von Schuld und Verantwortung. Selbigen Code sehen wir auch in einem weiteren Werk, nämlich MUTTERLIEBE.
3.5 Antisemitismus und Wirtschaft in MUTTERLIEBE
Man könnte zuerst meinen, es sei Zufall, dass auch in MUTTERLIEBE (ein Wiener Film, der nach dem Anschluss Österreichs gedreht wurde), eine Szene mit einem Leihhaus dargeboten wird, das der Vater der Familie Pirlinger zum Anfang des Films besucht.
Noch deutlicher als im Film DIE VIER GESELLEN wird das Leihhaus in MUTTERLIEBE im Kontext der Zinswirtschaft erzählt. Eine andere Interpretation der szenischen Darstellung des Leihhauses im Film Die VIER GESELLEN, nämlich die der Inszenierung einer Lösung für Mariannes wirtschaftliche Probleme, eröffnet sich nicht -hier haben wir es bei dem Leihhaus mit einem wiederkehrenden Symbol zu tun.
Doch wieso ist das Symbol des Leihhauses im NS-Film als Ablehnung der Zinswirtschaft zu verstehen? In einer Szene in (min. 00:03:03) des Films sehen wir, wie Herr Pirlinger im Leihhaus einen Pelzkragen verleihen möchte: „Also geben sie mal her, los, dalli“. Der Mitarbeiter an der Theke wendet ein: „Dann kommt der Wechsel über 350 Kronen und ich habe Angst, dass sie nicht das Geld zusammenkriegen werden“. Der Mitarbeiter an der Theke zeigt sich hier besorgt und rät Vater Pirlinger zur Vorsicht. Unbeschwert antwortet Herr Pirlinger darauf: „Sie verstehen die Ökonomie nicht, der anständige Mensch lebt vom Kredit“ (ab min. 00:03:13) .
Hier haben wir auf der einen Seite also eine Leichtfertigkeit (weil die Figur des Herrn Pirlinger leichtfertig mit Geld umgeht), auf der anderen Seite wird mit der Figur des Thekenmitarbeiters Vorsicht transportiert. Die Zinswirtschaft bedingte wohl auch die Entstehung eines neuen Subjekts.
In Herr Pirlingers affirmativen Verhältnis zu Krediten, erweist sich der Familienvater als das Gegenteil zum deutschen Herrschaftsmenschen. Der Thekenmitarbeiter hingegen verbildlicht das Ideal des deutschen Bürgers der NS-Zeit. Von Berufswegen ist dieser nämlich Teil der Zinswirtschaft, affirmiert aber die Pragmatik des Kredits nicht. In seiner Haltung ist der Thekenmitarbeiter der
NS-Ideologie angepasst. Sein besorgter Ausdruck im Hinblick auf Vater Pirlingers Verhalten zeigt sich hier als Bremse des ansonsten mit schnellen Rhythmus konnotierten Geldhandels in der Zinswirtschaft. Schon zuvor wurde das Thema Antisemitismus im Narrativ der Deutschen über die Wirtschaft hier aufgegriffen.
Im Nationalsozialismus spielte der Begriff Arbeit ebenso eine dominierde Rolle. In der Ideologie galt sie vordergründig als eine Leistung, die das Subjekt für die Volksgemeinschaft erbringt. Die individuellen Interessen und Neigungen des Einzelnen waren bei der Berufswahl hingegen nichtig. Das nationalsozialistische Bild von Arbeit bedingte anstelle individueller Sinnsetzung, das Entstehen einer als selbstverständlich angesehenen Entfremdung, in der täglichen Arbeit, der die Subjekte der NS- Gesellschaft unterstellt waren.
Für die NS-Diktatur im Nationalsozialismus war der Aspekt der Entfremdung allerdings vorteilhaft, weil sie zugunsten einer homogenen Gesellschaft in Deutschland eine individuelle Entwicklung für den Einzelnen verunmöglicht sehen wollte.
Entfremdung war eine Vorbedingung für den Erfolg der Macht, welche die Nationalsozialisten über die Gesellschaft ausüben konnten zum einen, zum anderen hatten sie die Garantie, dass die auf die homogene Gemeinschaft hin sozialisierten Subjekte durch ihre Entfremdung wohl weniger am politischen Geschehen und damit auch weniger am politischen Widerstand interessiert sind. Herr Pirlinger wird hier als ein Gegensatz zum deutschen Herrschaftsmenschen inszeniert.
Das brachte der Arbeit Entfremdung, anstelle von Sinn ein. Nicht weniger war dieser Aspekt für die völkisch strukturierte Gesellschaft, den die Nazis an das Volk stellten, wichtig. Wichtig deswegen, weil die Arbeitstätigkeit, die als Leistung zur Gemeinschaft verstanden wird, homogene statt individuelle Subjekte schaffte. Die Arbeitswahl der Subjekte im Nationalsozialismus hing nicht vordergründig von Interessen und Neigungen ab. Insofern scheint das aus dem Zinskapitalismus entstandene freie - das heißt - vorübergehend von der Lenkung des Staates unabhängiges Subjekt - ein Gegensatz zum Menschenbild der NS-Kultur zu sein.
Ebenso kritisiert der Film, dass Herr Pirlinger mit dem privaten Wirtschaften nicht zurechtkommt. Die Option eines Zinskredits also, ist die Ursache in dieser filmischen Erzählung, die Herr Pirlingers leichtsinniges Handeln erst möglich zu machen scheint. Insofern bietet die Figur des Vaters Pirlinger einen Kontrast zu dem fleißigen deutschen Arbeiter der NS-Propaganda. So fungiert Wirtschaft hier auch als Nährboden der Zerstreuung.
Zum anderen wird Wirtschaft im Film MUTTERLIEBE noch mit einer anderen Bedeutung erzählt. Denn trotz der prekären Umstände, die Marthe umgeben, verspricht sie ihren Kindern für sie zu sorgen und deren exquisite Schulbildung zu finanzieren. Obwohl hier die Wirtschaft als bedrohlicher Umstand zur Inszenierung kommt, wird die Protagonistin - im Gegensatz zu den Frauen aus dem Werk DIE VIER GESELLEN - gegenüber diesem als widerstandsfähig und selbstwirksam dargestellt.
Die hier analysierten Szenen zeigen auch, dass das im Kino thematisierte Narrativ von Wirtschaft eine bestimmte Funktion hat, die als Kommunikationsakt bezeichnet werden kann. Der Kommunikationsakt, der auf der inhaltlichen Ebene das antisemitische Narrativ beinhaltet, ist nicht primär darauf ausgerichtet, Inhalte zu transportieren, sondern besitzt die Funktion, die Gemeinschaft zusammenzuhalten, indem die verschiedenen Mitglieder den Kommunikationsakt regelmäßig betätigen.
Es stellt sich somit die Frage, wie und ob sich dieser Kommunikationsakt in den NS- Filmen nach 1941 verändert hat?
3.6 Das Kino nach dem Machtbestreben
In der Sichtung zu Helmut Käutners GROßSTADTMELODIE aus dem Jahre 1943 erweist sich eine erste Auffälligkeit, die sich von den NS-Filmen vor dem Zivilisationsbruch unterscheidet. Schon allein die Farbkomposition impliziert durch ihren High-Key-Charakter: jede Rückzugsmöglichkeit für das Subjekt scheint verunmöglicht. Das sichtlich Offensichtliche, nämlich das Panoptische, zeigt sich ebenso in der Mise-en-scène, es ist die Weite der Felder, der Lärm der Straßen und die Enge der Räume, die den Film fortwährend charakterisieren. Ob an der Kaffeetafel oder beim Fotografieren, der Körper der Subjekte im Film ist ebenso nie auf das Zurücklehnen ausgerichtet, die Körperhaltung scheint ungewöhnlich steif und diszipliniert. Im Zuge der Inszenierung von Disziplin scheint der Film strategisch Hoffnung auf den Gewinn des Krieges vermitteln zu wollen, dessen Erfolg eben durch jene, wie auch durch Standhaftigkeit der BürgerInnen realisiert werden soll. Ferner betrifft der Aspekt die Protagonistinnen selber: waren in DIE VIER GESELLEN (1938) die Frauen noch chaotisch und kindlich inszeniert, zeigt uns GROßSTADTMELODIE eine zielstrebige und selbstsichere Protagonistin. Eine kennzeichnende Komponente in Käutners Werk ist der regelmäßige Diskurs auf das Kosmopolitische. So treffen wir häufig auf Figuren, die in kurzen Dialogen lakonisch auf andere Länder hinweisen: „Wo wohnen die Italiener?“ (min. 00:03:36) oder auch: „In Berlin, in Rom, in Tokio - überall starren die Menschen auf die Bilder“ (min. 00:03:50). In AUF WIEDERSEHN, FRANZISKA erleben wir ebenso das kosmopolitische Moment in der Figur des „Michael“, der im späteren Verlauf des Films zum Ehemann der Protagonistin wird. Ihre Ehe zeichnet sich durch Distanz aus. Michael ist als Pressefotograf oft unterwegs und hat sein Hauptbüro in einer New Yorker Redaktion. Mitnichten denkt er jedoch - trotz Ehe - daran, seine Arbeit dauerhaft nach Deutschland zu verlegen. Dabei scheint die imperialistische Geste im Kommunikationsakt lakonisch und für die filmische Erzählung ebenso nicht relevant, wie schon im NS-Kino vor 1942 der diskursive Verweis.
3.7 Imperialistische Begehren im NS-Kino nach 1941
Die folgenden Aspekte wurden bei der Sichtung des hier ausgewählten Kinomaterials auffällig, da sie nur in den NS-Film-Produktionen nach 1941 erscheinen. In den Filmen des NS-Kinos, die vor 1941 produziert wurden, sehen wir von diesen Aspekten noch nichts also. So weisen zum Beispiel die Charaktere in dem Film AUF WIEDERSEHN, FRANZISKA (1941) vermehrt auf andere Länder hin. Zum Beginn des Werkes unterhalten sich Leute aufder Strasse, dabei fällt der Satz: „In Berlin, in Rom, in Tokio - überall starren die Menschen auf die Bilder“ (min. 00:03:50). In der darauffolgenden Sequenz in (min. 00:03:36) stellt jemand die Frage: „Wo wohnen die Italiener?“.
Ähnlich international gibt sich der Charakter “Michael” in AUF WIEDERSEHN, FRANZISKA. Der Ehemann der Protagonistin, der als gefragter Pressefotograf arbeitet, agiert von Berufswegen kosmopolitisch. Bald nach der Hochzeit erweist sich die Ehe Michaels und Franziskas als Hürde: das Leben des Paares wird nämlich von Michaels Auslandsreisen bestimmt, mehr als das, zieht Michael gänzlich in die USA, denn der Hauptsitz seiner Agentur befindet sich in New York. Während Franziska, die zuvor im Unternehmen ihres Vaters tätig war, die Karriere aufgibt, denkt Michael mitnichten daran, seinen Wohnsitz und seine Arbeit wieder zurück nach Deutschland zu verlegen.
Das Phänomen “Kosmopolitismus” kam in den vor 1941 produzierten Filmen so noch nicht vor, mehr noch als das, verpönten die Nazis das international ausgerichtete Leben. Kosmopolitismus wurde in der Reichspropaganda primär gegen Juden verwendet, nicht weniger war der Kosmopolitismus für die Nazis auch eine Möglichkeit, die USA zu dämonisieren. Der Kosmopolitismus in der NS-Propaganda war nicht weniger Inspiration zur oppositionellen Haltung und konstiuierte Identitäten durch den Akt der Abgrenzung von dem Gegner, vor dessen Hintergrund das Subjekt stets sich als Anderer wahrnehmen und sich in der Gruppe - von einer anderen Gruppe abgrenzend - als Mitglied verstehen konnte.12
Mit der aufkommenden Niederlage gegen Russland veränderte sich das Bild der Deutschen über das eigene Deutschsein: die Niederlage hatte die Helden- und Kriegsromantik der Nationalsozialisten geschmälert.13
Die Filmschaffenden verschoben vermutlich im NS-Kino nach 1941 die Kriterien, welche der deutschen Ideologie und der Kultur in der nationalsozialistischen Zeit immanent waren.
Die Filmschaffenden bedienten sich der amerikanischen Kultur, was möglicherweise eineForm der Identitätsflucht gewesen sein könnte, die als Abwehr einer befürchteten Identitätsauflösung fungierte.
Die Verweise auf andere Länder im NS-Film nach 1941 lassen zwei Schlussfolgerungen zu: zum einen erfüllen sie die Funktion von Kritik, in dem sie auf den Kosmopolitismus hinweisen, der im Film einerseits affirmativ dargestellt wird, andererseits scheint er eine Warnung zu sein.
In AUF WIEDERSEHN, FRANZISKA zeigt er nicht nur Szenen von Michaels Reisen und seiner Arbeit in der Presseagentur im Übersee, zugleich wirkt Michaels Leben sich auf seine Ehe mit Franziska zerstörerisch aus.
Auch handelt es sich, ähnlich wie beim Ordnen und Morden, bei den imperialistischen Begehren, um eine Praxis, die wesentlich zu der NS-Kultur gehörte und ihre Funktion in der Gesellschaft zum Beginn des Industriellen Massenmords anfing zu wirken.
3.8 Zur Inszenierung von Liebe und Verliebtsein im NS-Film nach 1941
Ausgerichtet auf den Point Of View, aus dem heraus der Holocaust im NS-Film markiert wird, kommt hier ein weiterer Aspekt zur Erwähnung, der parallel zu der Zeit des Dritten Reiches ab der Errichtung der Vernichtungslager im nationalsozialistischen Kino zur Tage trat.
Sichtbar wurde neben den imperialistischen Begehren hier ein einzigartiges Verständnis von Liebe: in den vor 1941 produzierten NS-Filmen standen die weiblichen Charaktere vor dem Problem, zwischen Berufskarriere und der romantischen Liebe sich entscheiden zu müssen. Die romantische Liebe war auch ein Umstand, der im NS-Film vor 1941 mit den Akten der Eheschliessung und Familiengründung verbunden war. Hier zeigt das NS-Kino, das man bei dem Aspekt “Liebe” kaum von Leichtigkeit sprechen kann. Wir haben es mit einem eng gefassten konservativen Verständnis von Liebe zu tun. Die Subjekte gestalten die Liebe nicht individuell von ihren Vorstellungen aus, sondern folgen den gesellschaftlichen Normen.
Der NS-Film nach 1941 verzichtet auf Entscheidungskonflikte, die sich bei den Protagonistinnen der Filmproduktionen vor 1941 zwischen Liebe und Berufstätigkeit aufgetan haben. Nun kann die Protagonistin zu Beidem locker gelangen. Doch neu scheint die Inszenierung von Liebe trotzdem, weil auf den Akt des Begehrens, als üblicher Teilaspekt in der Erzählung über romantische Liebe, das Kino plötzlich verzichtet.
Die Verfilmung ZWEI IN EINER GROßEN STADT von Regisseur Volker von Collande aus dem Jahre 1942 bringt Charaktere zur Inszenierung, die bei der Liebe im Hinblick auf die Kriterien zur “Liebeswahl” und der “Beziehungsanbahnung” eher wahllos reagieren.
Die Beziehung zwischen Held und Heldin lässt das Publikum im Unklaren über deren Zukunft: ob das hier als Urlaubsflirt oder eine ernsthafte Liebe endet, verrät das Agieren der filmischen Charaktere nicht, dafür verhalten sie sich - auch als der Urlaub endet - beim Verabschieden, zu fröhlich, zu unabhängig und neutral.
Romantische Liebe im NS-Kino nach 1941 begrenzt sich in den hier gesichteten Filmen zusammengefasst betrachtet, auf die Kennenlernphase. Zugleich wird romantische Liebe eher durch plakative Bilder inszeniert: zum Beispiel fahren Gisela und Bernd auf ihrem Rendezvous in einer Pferdekutsche durch die Hauptstadt). Hier wird durch den semantische Raum der romantischen Liebe (eine Frau, ein Mann, eine Kutsche) das Gefühl des Verliebtseins gezeigt, ohne, dass der Film vertiefter auf die Liebesgeschichte eingeht. Die romantische Liebe er fährt in ZWEI IN EINER GROßEN STADT, anders als in AUF WIEDERSEHN, FRANZISKA, keine Entwicklung, wie der Film auch auf das Gefühlsleben der Charaktere „Gisela“ und „Bernd“ keinen großen Fokus legt. Anders als in AUF WIEDERSEHN, FRANZISKA bleibt die Komponente “Leidenschaft” in der filmischen Erzählung ebenfalls aus.
Die Wahllosigkeit wird auch durch eine zweite Frau im Film markiert, die ebenfalls den Namen Gisela trägt. Bei dieser handelt es sich um Bernds Bekannte, gleichzeitig ist sie der Grund für Bernds Reise nach Berlin gewesen. Die Bekannte ist jedoch schwer erreichbar. So zeigt sich hier die Wahllosigkeit im Rahmen der Liebesgeschichte schon zum Beginn des Films, denn Bernd lenkt seine Aufmerksamkeit auf die RotkreuzSchwester, als seine Bekannte für ihn nicht verfügbar bleibt.
Irritierend ist die Gleichnamigkeit der beiden Frauen, weil sie in der filmischen Erzählung sinnlos erscheint. Im Laufe des Werkes entwickelt sich aus dem Aspekt keine Pointe, auch erleben wir weder zwischen den beiden Frauen einen Konflikt, noch zwischen Bernd und einer der Frauen. Das Beziehungsverhältnis zwischen den ProtagonistInnen erweist sich darüber hinaus als unverbindlich und oberflächlich. Besonders zu hervorheben ist im Film die Gleichnamigkeit der Frauen trotdem. Folglich verweist sie auf den ideologisch anschlussfähigen Verzicht auf die Einzigartigkeit des Menschen in Zeiten des Krieges, die als Dialektik zwischen den Lebenden und den Toten interpretiert werden könnte.
Desweiteren haben wir es im NS-Kino nach 1941 mit einem Liebesprinzip zu tun, der zeigt, dass Liebe selbst nicht maßgeblich für eine Liebesbeziehung sei. Je später die Filme der NS-Zeit, so zeigt es hier das Beispiel, produziert wurden, desto weniger kommen hier mit der Liebe auch Gefühle, wie Leidenschaft zur Inszenierung: im Film AUF WIEDERSEHN, FRANZISKA von 1941 haben wir es mit einer Protagonistin zu tun, die sehnsuchtsvoll nach ihrer Beziehung Ausschau hält und auf ihren im Ausland berufstätigen Ehepartner wartet.
In den darauffolgenden Filmen ZWEI IN EINER GROßEN STADT und GROßSTADTMELODIE erleben wir von so einem passionierten Umstand so gut wie nichts.
Hinsichtlich dessen erscheint es sinnvoll auf Niklas Luhmanns Liebe als Passion zu verweisen. Hier tätigt Luhmann eine Definition von Liebe, deren wesentliches Element es ist, dass die zwei Verliebten oder Liebenden in ihrer Kommunikation den Dritten ausschliessen.14 Die Exklusivität zweier Liebender vermag eine “erhebliche Rolle in der Liebes-Semantik zu spielen'”, so Luhmann.15 Im NS-Film nach 1941 wird bei der Darstellung des Umgangs zweier Liebenden, der Dritte aber nicht ausgeschlossen. Das sieht man auch an der Irritation, der das Publikum ausgesetzt ist.
Dieser Punkt ist deswegen hervorzuheben, weil die Rolle des Dritten in der NS- Gesellschaft, wie auch in der Kommunikation der Subjekte untereinander ein erheblicher Punkt ist, wie sich im Laufe dieser Thesis noch zeigt.
Entlang der hiesigen Betrachtungen über die “Beliebigkeit der Subjekte im Rahmen der romantischen Partnerwahl” in den Filmen, die im Dritten Reich nach 1941 produziert wurden, scheint auffällig, dass die ProtagonistInnen aus ZWEI IN EINER GROßEN STADT und GROßSTADTMELODIE hinsichtlich des Verhaltens in der Liebe an die ideologische Komponente der NS-Kultur anschlussfähig sind. Das betrifft primär den Aspekt der Verschiebung der Ordnung des menschlichen Körpers in eine andere Ordnung.16 Der Zivilisationsbruch macht sich in den beiden Filmen also durch diese Ordnungsverschiebung bemerkbar, obwohl von den Filmschaffenden in keinster Weise etwas ähnliches bewusst zur Darstellung gebracht werden will.
3.9 Konklusion des Kapitels
Bisher war in der Arbeit Darlegung des antisemitischen Narrativs von Wirtschaft deswegen vom Belang, weil durch die Kategorisierung sich eine Besondereit ergab: während in den Filmen, die in Deutschland zwischen 1933 und 1941 produziert wurden, antisemitische Propaganda den Filmen immanent ist, fehlt sie im NS-Kino nach 1941. Genauso ist die Inszenierung von Armut im NS-Kino nach 1941 seltener.
So gilt hier anscheinend die Regel: je schwieriger es für die Bevölkerung wurde - in den Zeiten des Krieges nach der Niederlage der Deutschen gegen Russland etwa - desto weniger wurden Aspekte wie Armut als Inhalte der Propaganda im NS-Film behandelt, wie auch die Dämmonisierung der Juden als diejenigen, welche man für den Ruin der Volkswirtschaft verantwortlich machte, in den Filmen des NS-Kinos nach 1941 abnahm.
Insofern erweist sich das Thema „Armut“ eher als Teil eines propagandistischen Bühnenspiels, als Identifikationsangebot des Publikums, welches sich mitten in einen immer wahrscheinlicher aussichtslos werdenden Krieg befand. Für jenes hielt man Eskapismus als sinnvolleres Angebot bereit, welches das Kino dem Publikum zu machen vermochte.
4. Weibliche Erwerbstätigkeit im Nationalsozialismus
Wenige Facetten der NS-Ideologie offenbaren die Verpflichtung sich dem eigenen Schicksal unterzuordnen so deutlich, wie das Frauenbild und die damit einhergehenden Forderungen an Frauen, die von der NS-Partei verbreitet wurden.
Seit ihren Anfängen versuchte die NSDAP nämlich gegen die emanzipatorischen Strömungen der 20er Jahre ihr reaktionäres, sexistisches Frauenbild zu etablieren.
Diesen Punkt versuchte abermals die NS-Regierung mit staatlich organisierten Konzepten durchzusetzen. So machte die NS-Partei etwa Werbung gegen Doppelverdiener-Familien.
Neben diversen Kampagnen, änderte sich im Hinblick auf die Gesetze für erwerbstätige, arbeitende Frauen auch weiteres: Beamtinnen etwa, wurden nach ihrer Heirat entlassen. Weibliche Angestellte und Arbeiterinnen wurden hingegen auf wenig gut bezahlte Stellen und niedrigere Positionen versetzt. Das Ansehen von Hausfrauen und Müttern dagegen wurde öffentlichkeitswirksam mit Feierlichkeiten und Festtagen aufgewertet. Hierin lag wahrscheinlich die Idee der NSDAP, Frauen in prekäre Umstände zu lenken, um sie letztendlich in die Unselbstständigkeit zu sozialisieren. Die Auslegung des Frauenbildes durch den NSDAP, machte die Frauen nicht zuletzt auch abhängig von den Männern und dem eigenen Umfeld, weil zu dem Frauenbild die Schwäche des weiblichen Geschlechts von der Partei ideologisch angemessen herbei konstruiert wurde.
Insofern wird hier deutlich, wie fremdbestimmt dieser vorweg geplante Lebensentwurf für die Frauen war. Vorbestimmt war ihr Dasein als Teil eines Volkskörpers - im Gegensatz zu den filmischen Darstellungen im NS-Kino hatte die Frau keine Option, sich als Individuum privat und beruflich zu verwirklichen. Wie jedes Leben, war auch das Leben von Frauen radikal auf die Gemeinschaft ausgerichtet.
Gemeinschaften deren Zugehörigkeit durch Abstammung geregelt waren, ermöglichten zunächst auch ein Gefühl der Sicherheit bei den Subjekten. Die Beziehungen zueinander werden durch keine anderen Kriterien reguliert: wer dazu gehörte, stand von vornherein fest: Hitler schuf hierbei eine vereinfachte Antwort auf die Angst der Bevölkerung vor den Globalisierungs- und Modernisierungsprozessen, die auch den Bereich der Arbeit und der Leistung umfassten.
Dabei fokussierte sich Hitler in seinen Reden mehr auf die historische Entwicklung der Arbeitskultur der Deutschen, bei der er eine „ alte, gemütlichen Arbeitsfreudigkeit “17 ausmachen zu können meinte.18
Vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Verständnisses von Arbeit, erscheint der Begriff , „gemütliche Arbeitsfreudigkeit“ wie ein Widerspruch. Ihm ist der Kern der Freiheit und Autonomie immanent. Der Begriff „gemütliche Arbeitsfreudigkeit“ signalisiert eine Arbeitskultur ohne Entfremdung, obwohl jene im Nationalsozialismus genau das Gegenteil darstellte. Es wurde also in den politischen Reden atmosphärisch ein Bild des „Für-sich-Arbeitens“ geschaffen, dass frei von Erwartungen, das heißt frei von Kontrolle, Vermessung und Korrektur ist - jenen Umstand den zum Beispiel FabrikarbeiterInnen in der Zeit des sich entwickelnden Fordismus international aber ausgesetzt waren.
Durch den erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt, insbesondere in die Arbeitsbereiche die eine höhere Qualifizierung erforderten, war es für Frauen nicht üblich, ein Gehalt zu verdienen, welches ihnen ermöglichte, für ihr Dasein selbstständig zu sorgen. Insbesondere Mädchen wurde in der Erziehung vermittelt, dass sie von der Gemeinschaft bedingt sind. Am allerwenigsten war die Erziehung von Mädchen also auf Selbstbestimmung ausgerichtet.
So war es eine große Angst von vielen jungen Frauen, nicht heiraten zu können, beziehungsweise auf dem Heiratsmarkt nicht erfolgreich zu sein.
In ihren Reden ist die NSDAP aber auch hoch anschlussfähig an die Ängste der männlichen Bevölkerung gewesen, die sich darauf gründeten, die eigene (zukünftige) Familien etwa, finanziell nicht erhalten zu können. So war für viele junge Männer ihre Erwerbstätigkeit und finanzielle Sicherheit ein primäres Kapital, dass ihre Position auf dem Heiratsmarkt bestimmte.
Das wirtschaftliche Auskommen, Erwerbstätigkeit wie auch berufliche und wirtschaftliche Sicherheit waren nicht losgelöst von der Privatheit der Menschen und den zwischenmenschlichen Beziehungen, die sich zu Anderen pflegten - im Gegenteil: die Lebensbereiche standen miteinander in enger Verbindung.
In einem dieser Bereiche graduell zu scheitern, bedingte auch die Folge, in den anderen Bereichen des Lebens zu scheitern und somit war die schamverbundene Angst vor einem gesellschaftlichen Ausschluss von einem Abgehängt-Sein weit verbreitet in vielen Teilen der Bevölkerung.
Der Nationalsozialismus lieferte den Deutschen die kompensatorische Sicherheit, in der Welt zu bestehen und zwar unabhängig davon mit welchen individuellen Strategien die Subjekte sich in dieser bewegten, denn in der völkisch-strukturierten Gesellschaft gab es kein folgenreiches Versagen: wer deutscher Abstammung war, und diese auch nachwies, wähnte sich in lange Sicherheit.
Es gab auch zahlreiche Mitgliedschaften für Frauen, die Sicherheit durch permanente Vergemeinschaftung signalisierten und den Fokus von Existenzängsten auf Ideologie und auratisch aufgeladene Feierlichkeiten, wie auch andere gemeinschaftsstiftende Ereignisse lenkten. Hierzu gehörten etwa der „Ring Deutscher Studentinnen“, gegründet 1929, und der „Ring nationaler StudentInnen“.19
Arbeit war aber nicht für die radikale Vergemeinschaftung, sondern bot auch Möglichkeiten der Institutionalisierung der Subjekte aus der Bevölkerung, wie man an dem Beispiel der hier aufgelisteten Frauenbünde sehen kann. Beides - sowohl die Vergemeinschaftung, wie auch die Institutionalisierung des Menschen - waren grundlegend für die Kontrolle und Lenkung des Staates über den Einzelnen. Insofern war der florierende Begriff „Volksgemeinschaft“ eine Ästhetisierung und eine Romantisierung für die Entfremdung und die Auslieferung der Subjekte in den Bereich der Dauervergemeinschaftung im NS-Alltag.
4.1 Weibliche Erwerbstätigkeit und politische Betätigung im Dritten Reich
Frauen waren wider der Erwartung auch nicht immer nur MitläuferInnen. Viele von ihnen waren seit der Anfangsphase der NSDAP aktiv mit dabei. Auf der aktivistischen Ebene etablierte der Nationalsozialismus für viele von ihnen einen neuen Lebenssinn.
Selbst hatten Frauen seit '33 die Möglichkeit sich zahlreichen Kaderformationen anzuschliessen, die der Dachverband des Deutschen Frauenwerkes im Dritten Reich anbot. Herausgebildet haben sich diese Ortsgruppen aber schon in den zwanziger Jahren, und konnten zuerst größtenteils durch das Engagement der Ehefrauen und Schwestern, wie den Töchtern von SA-Männern erhalten werden.
Dabei fungierte Arbeit und politische Betätigung in der institutionalisierten Freizeit nicht nur Pflichterfüllung auch als didaktisches Mittel. Hier sollten die Subjekte das Leben in der Volksgemeinschaft kennenlernen zu etwas routiniertem ausbauen.
Die Betätigung in den Frauenbünden, die später auch mit dem Arbeitsdienst von Frauen einherging war aber nicht weniger auch eine Strategie der Ästhetisierung, um die prekäre Entlohnung der Frauen zu legitimieren, oft war die Tätigkeit in den Arbeitsdiensten etwa, unentgeltlich. Hitler begründete die Existenz des Reichsarbeitsdienstes mit der wirtschaftlichen Not und der daraus resultierenden Arbeitslosigkeit, deren Verantwortung er dem ersten Weltkrieg und der Weimarer Regierung zueignete.
Zahlreiche Beschäftigungsmaßnahmen für junge, ledige Frauen dienten so offiziell als Erziehung zur Vergemeinschaftung und nicht als Form einer Arbeitsaufnahme und waren schon gar nicht als Lohnarbeit gehandelt worden.
Das RAD war nicht das einzige Konzept mit dem versucht wurde, Frauen landesweit zu organisieren. Neben dem Bund der Deutschen Mädel, der den weiblichen Nachwuchs im Sinne der NS-Ideologie zu sozialisieren plante, und dem Arbeiterinnen - Bund, der für erwerbstätige Frauen offen war, gab es auch die NS - Frauenschaft, die vor allem Frauen aus der Landwirtschaft und Hausfrauen anzusprechen vermochte.20
Neben Zusammentreffen und Gemeinschaftsevents, etablierte letzteres auch Mutterschulungs- und Haushaltskurse.21
Dabei war es ebenso Ziel der NSDAP, die Haus- und Reproduktionsarbeit zu professionalisieren um sie für den Krieg nutzbar zu machen. Als der Krieg begann, stationierte man die NS-Frauenschaft an der Front, um sie dort die Soldaten verarzten und pflegen zu lassen.
Das ideologische Bild der Nationalsozialisten von der Frau als gebärfreudige Mutter, deren Natur es sei, sich der Kinderpflege zu widmen und dem Ehemann zu dienen, wurde zunächst durch die wirtschaftlichen Bedingungen verunmöglicht und später durch die Kriegsrealität. Die deutsche Frau im Nationalsozialismus war also so gut wie nie „nur“ Ehefrau und Mutter.
4.2 Frauen als Aufseherinnen in Konzentrationslagern
In diesem Abschnitt soll thematisch das herausgearbeitet werden, was in der heutigen historischen Allgemeinbildung zum Symbol des Nationalsozialismus erachtet wird: die Konzentrationslager. Denn in dem NS-Kino sucht man vergeblich nach ihrer Inszenierung.16 Umso zentraler erweist sich in dieser Arbeit die Aufgabe diesen Themenpunkt außen vor zu lassen und ihn in der Diskussion über Erwerbstätigkeit und Arbeit von Frauen richtig einzuordnen. Wie „normal“ waren die Konzentrationslager in der Hegemonie der Bevölkerung? So stellt sich auch die Frage nach den Normen und Selbstverständlichkeiten im NS-Alltag: wie „normal“ waren die Konzentrationslager in der Hegemonie der Bevölkerung?
Schon junge Frauen, die Mitglied des BDM waren, wurden als KZ-Aufseherinnen rekrutiert.22 Andere erhielten solche Stellenangebote von der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung überliefert. Heinz Bauer berichtet über eine Frau Namens Margarete Freiberger - “Gretl“ von allen genannt: 23 Jahre ist Gretl jung und auf der Suche nach Arbeit. Ihr Anliegen führt sie wegen des Stellenangebots zum Lenzinger Lager, welches im KZ-Mauthausen in den 30er-Jahren als Außenstelle für weibliche Insassinnen fungierte. In der Stellenanzeige ist von erforderlichen „Tätigkeiten“23 die Rede, die keine beruflichen Kenntnisse erfordern. Die Motive, die Gretl dazu bringen, am ersten Tag nicht gleich aufzuhören, sind folgende: aus der elterlichen Wohnung wegziehen, das Leben in einer Großstadt führen können und das Bedürfnis nach Orientierung und nach Selbstbestätigung. Geworben wird in der Stellenanzeige mit gutem Gehalt, sowie mit einem Apartment.24 Die Identifikation mit der Autorität (und um demnach ein Teil von dem zu werden), erweist sich so als ein weiteres Motiv für Gretl, sich für das Lenzinger Lager zu entscheiden.
Bauer schreibt in dem Artikel weiter: „Die auf Hochglanz polierten Stiefel verleihen ihrer feldgrauen Uniform ein elita res Aussehen, das Ka ppi in Schiffchenform sitzt schmissig auf ihrem gefo hnten Haar, ein unter dem Arm geklemmter Ochsenziemer dient als Schlagstock und äußeres Zeichen ihrer uneingeschra nkter Autorita t.25 Heinz Bauers hiesige Beschreibung ist die Anverwandlung einer Collage sich widersprechender Merkmale. So zeigt sich Gretl in dem Bericht „schmissig“ und in einer „Käppi“, die hier eine „Schiffchenform“ besitzt. Zu dieser Erscheinung kommt ihre elitäre Kleidung dazu. Ihr anmutend jugendlich-unschuldiges Äußeres, dass den Hauch Rebellischen anmutet, wird von der Sorglosigkeit getragen, denn wer zur Elite gehört, kann unbekümmert sein. Gretl trägt unter dem Arm einen Ochsenziemer. So sitzt der Schlagstock dort, wo sonst die Frauenmode-Handtasche ist. Das Bild „uneingeschränkte Autorität“, komplettiert mit dem Symbol verhältnißmäßig subtil Gretls Erscheinung. Das Grausame verdeckt ihre Kostümierung aber keineswegs, ganz im Gegenteil, soll es Gretl vermutlich wohl helfen, ihre Arbeit zu tätigen, ohne mental dem nahezukommen, was sie als Handlung tatsächlich vollzieht. Das Bild von Jugendlichkeit, Conventions of Coolness, Unbeschwertheit und Sadismus, dass sich hier zeigt, schafft es keineswegs zu einer erlösenden Dialektik, aber erzeugt eine Spaltung, die ermöglicht, dass sich Gretl in ihrem Beruf hineinfindet. Von der Banalität des Bösen zu sprechen, kann wohl indessen nicht genug sein, denn zu umittelbar erweist Gretl sich in ihrer Tätigkeit.
In der Arbeit der Aufseherinnen, sieht Wolfram Lavern eine doppelte Überschreitung: Frauen als Täterinnen übertreten nicht nur Normen der Rechtsordnung, sondern auch die der Geschlechterordnung26. Hier soll aber deutlich werden, dass Frauen nicht nur Mitläuferinnen, und Opfer des nationalsozialistischen Systems gewesen sind, sondern sie auch als Mittäterinnen fungierten.
In diesem Zusammenhang ist neben den von Lavern aufgezeigten Aspekten von Geschlechterordnung und Rechtstaatlichkeit, wie auch der mit seinen kulturübergreifenden Prinzipien ausgestattete humanistische Aspekt, hier erwähnenswert. Auch die Scham-Grenzen können wir als überschritten interpretieren. Vermutlich ermöglichte der Umstand einer psychische Spaltung den Aufseherinnen, jeden Ansatz von Selbstre flexion zu verhindern.
In der Eigenwahrnehmung verstanden im Nachhinein viele der Aufseherinnen sich als passives Organ der Politik: „Dass ich in das Lager nach Lenzing kam, ist nicht mein Verschulden, da ich dorthin verpflichtet wurde“[31], so die ehemalige Aufseherin Elisabeth König - ihre Erinnerungen schildernd - bei einer Vernehmung.
In Anbetracht verzehrender Wahrnehmungen dieser Art, erscheint es als wenig verwunderlich, dass Historikerinnen die Forschung bisher, wie auch die Dokumentation über damalige Täterinnen als unzureichend deklarieren. So ist bislang der Fokus auf das „Frausein“ vordefiniert gewesen: so werden die Täterinnen primär durch ihre Geschlechtszugehörigkeit von den Tätern unterschieden.27 28 29 Deswegen müsste man ohnehin zunächst von der Konstruktion einer „„psychischen Andersheit“[2] sprechen, anstatt eine solche reflexhaft zu übernehmen. Erstens führt das im Forschungsfeld automatisch und unreflektiert zur Trennung zwischen den Täterinnen und Tätern und zweitens lösen ehemalige NS-Täterinnen noch heute Befremdung aus, obwohl nicht ansatzweise eine solche begründet ist - so als ob Frauen schon allein wegen ihrer Körperlichkeit zu Gewaltakten keineswegs fähig wären.
Indessen war auch im Dritten Reich die binäre Geschlechterordnung zentraler Bestandteil der Geschlechterideologie, was die übernommen Überzeugungen hinsichtlich der Aufteilung von Männern und Frauen mindestens diskussionswürdig macht, diese werden unreflektiert übernommen. Die Forschung weist ebenso weitere Mängel auf, etwa in der mündlichen Überlieferung von persönlichen Erfahrungen, diese erweisen sich in den Interviews im Bereich der Oral-History als deswegen problematisch, weil die Täterinnen dazu tendieren, sich an Erwartungs-Erwartungen zu orientieren, die der Zeitgeist, in dem die Interviews entstanden, mit sich brachte . Für die
Forschung ist dieser Umstand eine Herausforderung, denn sie müssen die Sprache der ehemaligen Nationalsozialistinnen zuerst dekonstruieren und können sich nicht einfach der Dokumentation der überlieferten Erfahrungen widmen.
4.3 Zwischen Zwangsvergemeinschaftung und Zivilisationsbruch: Weibliche Arbeits-, Berufs-, und Erwerbstätigkeit im NS-FIlm
Bislang wurde der Kommunikationsakt, der Dritte nicht ausschließt, als Kriterium einer strukturellen Linie im Nationalsozialistischen Film diskutiert. Die These dieser Arbeit besagt, dass dieser Kommunikationsakt das Spezifische des NS-Films ausmacht. Das Thema „Markierung des Zivilisationsbruchs“ soll als erster Punkt in der Analyse der Sichtung behandelt werden. Das Filmmaterial wurde abhängig vom Produktionsjahr in zwei Kategorien eingeteilt:
Das Thema „Markierung des Zivilisationsbruchs“ wird als Punkt in der Sichtungsanalyse hier behandelt. Hierzu haben wir das Filmmaterial - abhängig von seinem Produktionsjahr in zwei Kategorien eingeteilt: vor und nach dem Jahr 1941 (im Zuge des Massakers von Babi Jar und den darauf folgenden Ereignissen wie der der Wannseekonferenz).
In der nun folgenden vertiefenden Analyse wird der Fokus unter Beibehaltung der chronologischen Einteilung auf Filmszenen gelegt, die in Zusammenhang mit dem Aspekt „Arbeit“ stehen. Zunächst wird das Bild von „Arbeit“ hinsichtlich seiner ideologischen und gesellschaftlichen Aspekte dargestellt.
In Anlehnung an das vorherige Kapitel "Den Zivilisationsbruch im nationalsozialistischen Film sichtbar machen" wird nun der Begriff der Arbeit aufgegriffen, der dem historischen Kontext und den Umständen des Nationalsozialismus, insbesondere seiner Zeit nach 1941, zugrunde liegt. In diesem Kapitel soll die Arbeitsideologie des Dritten Reiches skizziert werden. Das Bild von Arbeit wird folgenderweise eingeteilt:
- in das Bild von Arbeit im Nationalsozialismus
und
- in das Bild von Arbeit in der Zeit nach 1941, also in der Zeit des Zivilisationsbruchs.
Diese Einteilung erfolgt, um zu zeigen, dass mit dem zeitlichen Einbruch der Gesetzesverabschiedung zur Errichtung der Vernichtungslager der Nazis ein einzigartiger historischer Einschnitt entstanden ist, der nicht mit den Theorien über den Faschismus, die der Interpretation des Nationalsozialismus oft zugrunde liegen, zu erklären ist.
Im Wesentlichen wurde im Rahmen von Arbeit- und Erwerbstätigkeit und Berufstätigkeit für Nationalsozialisten Arbeit als ein zentrales Praxisfeld gemeinschaftlichen Handelns verstanden, das den „VolksgenossInnen“ von der politischen Führungsebene auferlegt wurde.
Arbeit wurde im Nationalsozialismus als zentrales Praxisfeld gemeinschaftlichen Handelns verstanden, das den "Volksgenossen" von der politischen Führung auferlegt wurde. Körperliche Arbeit wurde besonders glorifiziert, da sie als wertvoller für die Gemeinschaft angesehen wurde als intellektuelle Arbeit. Öffentliche Anerkennung der arbeitenden Subjekte war wichtiger als materielle Entlohnung. Arbeit im Nationalsozialismus unterlag zahlreichen Facetten: „Ob sie nach protestantischen Ethos adelte, ob sie als Instrument der Erziehung oder des Terrors diente, hing dabei von zwei Faktoren ab: erstens den sich wandelnden wirtschaftlichen, sozialen und militärischen Rahmenbedingungen und zweitens der Stellung der Arbeitskräfte innerhalb der nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung, welche strikt nach militarisierten und rassistischen Kriterien sich hierarchisierten“ 30
Es ist wichtig zu betonen, dass Arbeit im Nationalsozialismus einem Wandel unterlag. Die Nationalsozialisten fokussierten sich auf die Gemeinschaft: Arbeit sollte primär dieser zugutekommen und als Dienst an ihr propagiert werden.
Dies machte eine individuelle Arbeitswahl und Zielsetzung für die Subjekte unmöglich. Mit der wirtschaftlichen Destabilisierung Deutschlands wurden die Konzentrationslager immer wichtiger. Trotz der absehbaren Niederlage Deutschlands im Krieg, bauten sie die Kriegsproduktion weiter aus und hielten sie beständig. Hier kann man hinsichtlich der Errichtung und der anschliessenden Inbetriebnahme der Vernichtungslager von Rache und Zynismus, die als Motive die Täterschaft antrieben, sprechen.
4.4 Die Suche nach Arbeit und der erste Arbeitsauftrag
Anhand der Szenen zum ersten Arbeitsauftrag soll beleuchtet werden wie unterschiedlich und wie ähnlich die Protagonistinnen an neue Erfahrungen herangehen, die im beruflichen Rahmen situiert sind. Auch ist interessant, von welchen Einflüssen abhängt, ob die Protagonistinnen ihr Stellengesuch oder den ersten Arbeitsauftrag eben, bewältigen können (oder auch nicht können).
Exemplarisch dafür haben wir die Protagonistin Marianne aus dem Film DIE VIER GESELLEN.Die erste Suche nach Arbeitsaufträgen führt die ausgebildete Grafikerin zu dem ehemaligen Lehrer Stefan Kohlund ins Büro eines großen deutschen Unternehmens, das Zigaretten herstellt (min. 00:43:33).
Dass Marianne und Kohlund aufeinandertreffen, ist ein Zufall. Kohlund, der seine überrascht-sein mit rascher Fassung überspielt, begutachtet mit einem väterlichen Mariannes Dasein: „Lassen Sie sich mal anschauen, Marianne, die kleine Marianne“ (min. 00:44:26). Als Marianne ihm entgegnet, sie sei nur geschäftlich hier bei ihm (min. 00:44:28), beschwichtigt Kohlund sie in neckend: „Ganz die Alte, geschäftlich und kratzbürstig“ (min. 00:44:35).
In der Szene haben wir es mit einer vertikalen Machtkommunikation zwischen Stefan Kohlund und Marianne zu tun. Kohlund will nicht mit Marianne geschäftlich arbeiten und behandelt sie bisweilen auch weiterhin wie seine Schülerin.
Interessant ist an den Szenen der Arbeitssuche in DIE VIER GESELLEN, dass sie den semantischen Raum der Großstadt streifen: das imposante Gebilde der städtischen Großbauten, die in der Mise-en-scène mit der Schnellbahn und eleganten Automobilen im belebten Straßenverkehr erscheinen begleitet von vielen Passanten und radelnden Fahrradfahrern, welche die schlendernde Marianne begleiten. Marianne hebt sich von der strassenbevölkernden Menschenmenge insofern ab, weil sie diesem Tempo nicht so einfach standhält.
In den Szenen über die Arbeitssuche sind die meisten der Objekte dem semantischen Raum der Geschwindigkeit zuzuordnet. Hier zeigt die Szene eines: Marianne ist bedroht abgehängt zu werden, sie kann mit der Geschwindigkeit körperlich nicht mithalten. Ihr Gang wird immer langsamer, weil sie im Laufe der Suche nach einem Auftrag, immer müder erscheint. Sie schafft es kaum - so zeigt es die Stene - den modernen Metropolen-Alltag zu bewältigen. Bald hat sie kaum den Ansporn, ihre erträumte Zukunft zur Realität zu machen, bei ihrem Nachhausekommen erscheint die Protagonistin antriebslos und pessimistisch (min. 00:15:00).
Ähnlich gestalten sich im Film GROß STADTMELODIE die Versuche der Protagonistin sich auf dem Arbeitsmarkt einzufinden. Auch ihr schauen wir dabei zu, wie sie vor dem Hintergrund der hochgradig belebten Metropole „Berlin“ ihre erste Arbeitssuche bewältigt. Allerdings herrscht hier statt einer Anonymität, eine rücksichtsvolle Umgangsweise zwischen den PassantInnen der Stadt und ihr: ein Polizist zum Beispiel hilft Renate in einer Szene, die viel befahrene Straße zu überqueren. An der Haltestelle helfen drei wartende Männer der jungen Frau wiederum mit Auskünften, als sie nach dem Weg fragt.
Im Deutschen Verlag bittet Renate darum, „Dr. Bergmann“ zu sprechen, den sie schon zuvor in Wasserburg kennengelernt hat (min. 00:18:43). Doch schon hier erscheint die erste Hürde für Marianne kaum zu überwinden, nämlich sich zu der flüchtigen Bekanntschaft Zugang zu verschaffen. An der Rezeption - die des Zigarettendunst und dem Low Key-Charakter wegen - dem semantischen Raums der Männlichkeit zuzuordnen ist, wird Renate darauf hingewiesen, dass sie warten müsste. Eine andere Besucherin - die einzige Frau neben Renate, die im Foyer erscheint - informiert den Rezeptionisten darüber, dass sie „nachher nochmal vorbei kommt“. Die Szene macht die Verzichtbarkeit der Frauen sichtbar, allein durch die Geschlechterrolle impliziert das Geschehen, dass Marianne sich vor ihrem Schritt in den Beruf nun fürchten sollte.
Als Renate ob des langen Wartens fast schon einschlafen will, erscheint unversehens Dr. Bergmann. Nach dem er mit dem Rezeptionisten kurz geplaudert hat, nimmt er einen Anruf von Dr. Springer entgegen. So markiert die Szene eines: Renate hat es mit den ganz Wichtigen aus der Branche hier zu tun. Dennoch hat sie Glück: mit der Vertrautheit eines Bekannten erkennt er Renate wieder und lädt sie unmittelbar in sein Büro ein (min. 00:20:30). Auch hier strukturiert sich die Kommunikation zwischen ihnen mit dem Fokus auf die Geschlechterzuordnung: als „rau aber ehrlich“ bezeichnet Dr. Bergmann die Stadt Berlin und meint damit eigentlich die Branche der primär männlichen Medienschaffenden, aus der er Renate ausschliesst, indem Bergmann ihr den Rat gibt, nach Wasserburg zurückzuziehen.
Der Unterschied zu der Kommunikation zwischen den männlichen Kollegen ereignet sich in der Ausblendung der beruflichen Profession, die Renate mitbringt. Allein die Situation, die ihr als Frau anhaftet, bedingt das Ausschliessen, Dr. Bergmanns Rat in das Heimatdorf zurückzuziehen, geht aus der Annahme hervor, dass das Leben in der Metropole zu rau und gefährlich für eine Frau sei. Das Warnen vor den Gefahren, welche die Öffentlichkeit einer Metropole mit sich zu bringen vermag, ist hier dem semantischen Raum der Weiblichkeit zuzuordnen. Diese Art der Warnung markiert einen geschlechterabhängigen Unterschied auf, weil sie in Gesprächen zwischen Männern nicht vorkommt.
Auch finden wir sowohl bei Marianne, wie auch bei Renate ein grundlegendes Muster vor: trotz hoher Motivation und Kompetenz, scheitern die Frauen zum einen, und zum anderen ist die Kommunikation mit den vorwiegend männlichen Arbeitgebern durch die Fokussierung auf die Weiblichkeit der Bewerberinnen vorstrukturiert. Ein Unterschied zeigt sich allerdings im Ergebnis der Arbeitssuche, die bei Renate letztendlich zum Erfolg und bei Marianne zum Misserfolg führt. Nach zahlreichen Absagen in (min. 00:21:30) und (min. 00:21:39), sowie (min. 00:21:46) und (min. 00:21:59), trifft sie auf den Chef der Berolina - Press Dr. Pauske. Nachdem dieser gerade in einem Streit den Pressefotografen gekündigt hat.
Im Vergleich zu Dr. Bergmann gründet sich die Kommunikation zwischen Dr. Pauske und ihr mit einem Fokus auf den Berufsbereich, den Renate anzustreben versucht: so verpflichtet er sie dazu, ein Radrennen zu fotografieren. Hier dient Renate ihm als Ersatz für den Berolina-Fotografen Klaus Nolte, so geht es also nicht primär um Renates berufliche Qualifikation. Zudem wurde zuvor von dem gekündigten Mitarbeiter Klaus Nolte, seines Zeichens renommierter wie auch stadtbekannter Pressefotograf, ihr bescheinigt, von Fotografie nichts zu verstehen. Vor diesem Hintergrund wird die Irrelevanz der beruflichen Qualifikation Renates noch einmal unterstrichen: ihre Stelle gründet sich darin, den Platz von Nolte zu belegen, und nicht primär die Stelle einer Fotografin zu besetzen und sie mit Eigensinn und individueller Arbeitsweise auszufüllen. So vermittelt der Film im Ansatz auch: das Genie ist männlich.
Im Laufe des Geschehens sind es nämlich die Männer in GROßTADTMELODIE - allem voran Klaus Nolte - denen Können bescheinigt wird, vor allem durch Anerkennung und
Popularität über die Klaus Noltes Charaker im Film verfügt.
Die Männer sind auch diejenigen, die strebsam ihren Karrieren nachgehen und den öffentlichen Raum besetzen, dies nicht zuletzt durch das Reisen. Auch in DIE VIER GESELLEN wird die Frage nach Genie relevant. Die künstlerische Tätigkeit wird nicht als Arbeit im Film vermittelt, sondern als Verunmöglichung diese auf die Ebene der Erwerbstätgkeit zu hieven. Die Frauen können ihre Firma nicht aufrecht erhalten und als Grafikerinnen ihren Lebensunterhalt bestreiten. Nur Franziska kann ihre Kunst in einem Museum ausstellen, aber der semantische Raum des Genies, der ihr anheim wird, bedingt nicht, dass sie zugleich den semantischen Raum der Erwerbsarbeit betreten kann, mit anderen Worten gesagt: man sieht Franziska nicht im Film mit ihrer Kunst Geld verdienen. Hier lässt sich so auch schlussfolgern: der Mann kann Genie und Geld haben und mit seinem Genie auch Geld verdienen, während die Frau - auch dann, wenn ihr Genie zuerkannt wird - vieles entbehren muss. Im Falle von der Figur Franziska sehen wir nicht nur, wie sie ihr Frausein einbüsst, sondern auch ihre Rolle als Erwerbstätige von der Frage nach Gehalt (und folglich nach Wohlstand) ausgeblendet wird.
4.5 Selbstverständnis der Protagonistinnen über ihre Erwerbstätigkeit
Mit dem semantischen Raum des Haushalts und der Verwaltung führten Frauen Tätigkeiten aus, die dem Frauenbild der NS-Ideologie entsprachen. So handelt es sich in den hier gesichteten Filmen oft um Emanzipationsversprechen31, die Frauen eine vermeintlich echte Partizipation in dem Feld der Kunstproduktion und folglich in einem hochwertigen Berufsfeld zu ermöglichen scheinen.
Es ist es bei den Protagonistinnen im Film DIE 4 GESELLEN, das lästige Haushalten und Verwalten, welches sie aber übernehmen müssen und somit das Denken, die Geistige Arbeit des Genies, welches Kontinuität beansprucht, nicht sichern können, nicht zuletzt weil sie das Sichern der eigenen Gedanken, welche Ausdruck in der Verschriftlichung oder in der Kunst finden würden, aufgeben. Man könnte auch sagen, sie führen offensichtlich Befehle aus, wobei jene auf indirekten Wege an sie herangeführt werden, nämlich im Sinne von „Erwartungs-Erwartungen“32 und infolgedessen im Sinne eines Selbstverständnisses darüber, dass diese Befehle ausgeführt werden müssen.
Ähnlich ergeht es der Protagonistin aus GROßTADTMELODIE: in der zweiten Hälfte des Films sehen wir Renate zwar schon beruflich etabliert, zugleich deutet diese Szene auf die bevorstehende Abweichung der Zukunftspläne der jungen Frau hin: auf dem Balkon sich sonnend, denkt Renate über Dr. Bergmann nach (min. 01:01:21). Zu sehr - so Renates Meinung - ist dieser auf seine Erwerbstätigkeit und seine Karriere konzentriert (min. 01:01:54). Sie dagegen ist zwar der gleichen Pläne wegen wie er nach Berlin gezogen, dennoch scheint Renate den Kollegen nicht als Konkurrenz, sondern als Schwärmerei anzusehen, womit auch hier wieder der semantische Raum von Arbeit und Karriere mit dem semantischen Raum der romantischen Liebe konkurriert. So bringt auch sie sich selbst um ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit.
Denn - wie bei der Karriere der Frauen in DIE VIER GESELLEN - leidet auch diese unter dem Mangel an Kontinuität. Nicht zuletzt weil Renates Kontinuität sich von dem anfänglichen Berufs- und Karrierebereich auf andere Bereiche verschoben hat. Plötzlich scheint sie hin- und hergerissen zwischen Steuererklärungen, Angelegenheiten hinsichtlich des Mietzins und der romantischen Liebe. So kann man von einer Verflechtung zwischen Kontinuität und dem Selbstbild ausgehen, welches der Heldin im Film fehlt. Das Selbstbild der Frauen in den Filmen GROßSTADTMELDIE und
DIE VIER GESELLEN ist keines, dass auf berufliche Zukunft sich ausrichtet, obwohl sie zum Anfang eines besassen, sie werden nicht zu denjenigen, die sie anfangs planten sein zu wollen. Ihre Bestrebungen verlaufen sich im Werden und im Wollen , welches aber durch die Dauerunterbrechungen in der Konti-nuität nicht mehr zum Ziel führen.
4.6 Weibliche Erwerbstätigkeit als Verzicht von Selbstverwirklichung im NS-Film
Wer hat der hat und zur jener Zeit hatten es nicht viele, das Privileg ihren Traumberuf zu ergreifen, schon gar nicht junge Frauen: Renate aber versucht ihr Glück, aus der Künstlerischen Tätigkeit einen Traumberuf zu machen. Zuerst als Selbstzweck und dann als Selbstverwirklichung. Obwohl sie in der Kammer, in der sie die Bilder entwickelt, alleine zu sein scheint, erweist sie sich als quirlig und kollegial. Sie ist abenteuerlustig, anstatt in sich zu gehen. In dem Zimmer, in dem sie die Bilder entwickelt, hängt ebenso eine Wäscheleine, was zeigt: die Protagonistin ist sowohl Fotografin, wie auch Hausfrau zugleich. Das Ziel der Metropole, der angestrebte Beruf im Glamour - und Medienbereich erscheint in dem Zeitgeist, in der GROßSTADTMELODIE produziert wurde, vor allem für eine Frau irrational. Das Bestreben Amerika sein zu wollen, was sich durch Eigenschaften auszeichnet, die im semantischen Raum Berlins in dem Film wir gezeigt bekommen ist hier primäres Motiv gewesen, trotzdem das NS-Kino in Zeiten des Zivilisationsbruchs damit zu bereichern. Die Selbstverwirklichungsbestreben der Protagonistin scheinen ebenso den amerikanischen Filmen entlehnt worden zu sein.
Die Arbeitsideologie der Deutschen verzichtete auf die Frage nach individuellen Neigungen und Begabungen in der Arbeitswahl.Im Nationalsozialismus war nicht nur für die Praxis von Arbeit, sondern auch für die Berufswahl der Aspekt der Gemeinschaft wesentlich. Das mag schon in der damaligen Zeit im internationalen Vergleich rückständig gewesen sein. Die Wahl des Berufsfeldes nach Neigungen ist im Talmud etwa verankert. Man kann davon ausgehen, dass die Deutschen Kultur seit der Zeit der Fundamentaldisziplinierung im preußischen Staat, dem Subjekt eine radikale Homogenität und Zwangsvergemeinschaftung abverlangte.
Insofern hatte das in die Deutsche Geschichte eingebettete Arbeitsbild mit all seinen Aspekten im Sinne der Berufswahl und der Berufspraxis nicht erst im Nationalsozialismus sein Spezifisches gezeigt, sondern hatte seine Entstehungszeit wahrscheinlich schon lange Zeit zuvor.
4.7 Zeitgeist und Gemeinschaft: Einflüsse auf weibliche Erwerbsarbeit im Dritten Reich
Wie im vorigen Kapitel schon hervorgehoben, findet der Kommunikationsakt, der den Dritten nicht ausschliesst, seinen Verwendungszweck in der Ausrichtung auf das Gemeinschaftliche.
Hier soll in Verbidnung erläutert werden, was Gemeinschaft im Rahmen der nationalsozialistischen Arbeitskultur bedeutet hatte: das Menschenbild wurde im national-sozialistischen Rechtssystem nach Verwendbarkeit und Nutzen für die (Volks-)Gemeinschaft bemessen, was sich auch in der Arbeitskultur des Dritten Reiches widerspiegelte. Die explizite Ausrichtung auf das Gemeinschaftliche förderte das Bedürfnis der Deutschen nach Anerkennung, ermöglichte aber auch die Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen. Die Arbeitskultur verdeutlicht, dass das Attribut des Gemeinschaftlichen als Dispositiv alle Lebensbereiche durchdrang, einschließlich der Sprache, die sich mehr und mehr an die NS-Ideologie anpasste.
In den untersuchten Filmen zeigt sich, dass der Kommunikationsakt sich veränderte: In den Filmen, die nach 1941 produziert wurden, ersetzte der Kommunikationsakt den antisemitischen Diskurs durch die Thematisierung postkolonialistischer Begehren. Es stellt sich die Frage, warum der Kommunikationsakt, der den Dritten nicht ausschließt, nach 1941 einer solchen Veränderung unterlag. Wie im vorherigen Kapitel hervorgehoben, dient der Kommunikationsakt der Ausrichtung auf das Gemeinschaftliche, indem er die gegenseitige Bestätigung gemeinsamer Überzeugungen der Mitglieder fördert und somit den Zusammenhalt stärkt. Die Thesis vermutet, dass sich das Bild der eigenen nationalen Gemeinschaft in der NS-Bevölkerung im Laufe der Geschichte gewandelt hat: Der Feldzug gegen Russland schwächte das Vertrauen der Deutschen in einen siegreichen Kriegsausgang. Das bis dahin als unbesiegbar geltende Deutschland musste seine Unterlegenheit fürchten
Mit der zunehmend offensichtlichen Niederlage gegen die UdSSR sank der Nationalstolz der Deutschen, ebenso wie das Bedürfnis der Partizipation und Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft, die nicht mehr als attraktiv galt. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, auf die Studien zum autoritären Charakter zu verweisen, dessen libidinöses Bedürfnis nach Auflösung in der Masse nicht zuletzt auch mit der Attraktivität der Masse selbst zu tun hat. T.W. Adorno verwendet hier den Begriff der In-Group.33
Die Subjekte konnten darüber hinaus keine Belohnungen für ihre Arbeit erwarten. Im Kontext der zahlreichen Arbeitsdienste, die im dritten Kapitel aufgelistet und beschrieben wurden, wird deutlich, dass neben der sozialen Anerkennung kaum weitere Belohnungen für die Arbeitenden bestanden. Daher liegt die Vermutung nahe, dass die Motivation der arbeitenden Subjekte mit der abnehmenden Beliebtheit der Volksgemeinschaft ebenfalls sank. Dies trägt dazu bei, die Veränderung des Kommunikationsakts in Bezug auf seinen Inhalt nach 1941 im Verhältnis der NS- Bevölkerung zum Nationalsozialismus nachzuvollziehen.
Im Lexikon der Psychologie wird Arbeit begriffen als die „Bearbeitung von Aufgaben, [...] die für andere Personen oder sie selbst finanziellen oder anderen Nutzen erwarten lässt“[34].
Um das Verhältnis des arbeitenden Subjekts zu seiner Arbeit zu beschreiben, ist es entscheidend, auf seine Motivation einzugehen. Arbeit bietet in der Regel eine Belohnung, sei sie intrinsischer oder extrinsischer Natur. Die Besonderheit der nationalsozialistischen Arbeitskultur besteht darin, dass sie von den arbeitenden Subjekten völlige Entsagung individueller Interessen und Ziele in Bezug auf ihre Arbeit verlangte, mit der Ausnahme, dass Arbeit als Leistung für die völkische Gemeinschaft verstanden und den Subjekten soziale Anerkennung versprach. Dieser Aspekt ist entscheidend für das Verhältnis der NS-Bevölkerung zum Nationalsozialismus, das sich - laut einer These dieser Arbeit - im Laufe des Dritten Reiches veränderte. Sowohl der dargestellte Kommunikationscode, der den Dritten nicht ausschließt, als auch der Akt des Arbeitens waren im nationalsozialistischen Narrativ eng mit der nationalsozialistischen Vorstellung von Gemeinschaft verknüpft.
Im Film DIE VIER GESELLEN trifft die Protagonistin Marianne auf Stefan Kohlund, ihren ehemaligen Lehrer, der ihr bei der Abschlussfeier einen Heiratsantrag macht. Der Film beginnt mit dem Graduiertenball der vier Hauptfiguren, symbolisch wird so der Einstieg in ihren beruflichen Werdegang markiert.
Dies ist ungewöhnlich, da es sich um Frauen handelt, die diesen Schritt unternehmen, genauer gesagt um vier Oberstufenschülerinnen eines Grafikdesign-Jahrgangs. Die Abschlussfeier verzeichnet nicht nur das Ende der Bildungsphase, sondern befördert ihre AkteurInnen auch ins Berufsleben.
Dabei ist „Beruf ‘ die Bezeichnung für eine Tätigkeit, die in erster Linie einen Nutzen für andere vorsieht. Hier zeigt sich der öffentliche Charakter der Arbeit durch den primären gemeinschaftlichen Nutzen. Im Arbeitsfeld ist das Subjekt dadurch ein öffentliches Subjekt mit einer öffentlichen Funktion.
Die Graduiertenfeier, die als selbstverständliches Attribut am Ende einer fachlichen oder beruflichen Ausbildungszeit stattfindet, markiert hier den Übergang zwischen dem öffentlichen Bereich und dem Privaten, insbesondere durch das Verhalten von Stefan Kohlund gegenüber Marianne. Die von Kohlund wiederholten und für Marianne potenziell belästigenden Begegnungen werden im Film ironisiert und romantisiert, ohne die Grenzüberschreitungen zu problematisieren. Stattdessen verlagert sich der Fokus auf Flirten und Romantik. Dieses Bild von Arbeit, das den öffentlichen Raum mit dem privaten verbindet, zeigt auch die für die Arbeitsideologie der NS-Zeit typische Verbindung zur Gemeinschaft.
Der „Kommunikationsakt, der den Dritten nicht ausschließt“, kann im Folgenden anhand dieser Szene dargelegt werden. Kohlunds Vereinnahmung führt im Laufe des Films sowohl zum Scheitern von Mariannes beruflichen Erfolg als auch zu einer mangelnden Vernetzung im beruflichen Bereich.
Die Protagonistinnen im Film erhalten ihre Anerkennung hauptsächlich in ihrer Rolle als Frauen. Obwohl sie Hilfe von männlichen Figuren erhalten, ist diese nicht für sie als Karrieristinnen und Gründerinnen vorgesehen. Die Hilfe stellen männliche Akteure. Am Ende verlagern drei der vier Frauen ihren Lebensweg in die Rolle von Hausfrauen und Müttern. Der Film verzichtet somit auf jede ideologische Abweichung des Zeitgeistes in die er eingebettet ist. Der mit diesem Umstand verflochtene „Kommunikationsakt, der den Dritten nicht ausschliesst“ adressiert seine ideologische Loyalität an die NS- Gemeinschaft, statt 1938 sich an die von dieser Ideologie Benachteiligten zu wenden. Die Problematik des beruflichen Scheiterns wird im Film ferner nicht ausgetragen, wodurch der Film seine ideologische Loyalität zur NS-Gemeinschaft ebenfalls signalisiert.
Mariannes Vereinnahmung durch Stefan Kohlund wird nicht als Konflikt dargestellt, sondern in die Kategorie von Romantik und Komödie verschoben. Hier zeigt sich der Kommunikationsakt, der den Dritten nicht ausschließt, durch die verschobene Konnotation der Beziehung: nicht mit Belästigung und Vereinnahmung, sondern mit der Anbahnung einer Beziehung, um die Stefan Kohlund hier kämpft, haben wir es zu tun. Wie in der Leihhaus-Szene zu sehen ist, sucht die Ideologie im Film die Zustimmung des Publikums und der Reichsfilmkammer auf Kosten einer kritischen Sichtweise auf den Zeitgeist. Trotz des Bestrebens der deutschen Filmschaffenden, qualitativ an Hollywood anzuknüpfen, durchdrang bewusst zur Darstellung gebracht, wie in zahlreichen Szenen auch unbewusst die Ideologie des Dritten Reiches den deutschen Film. Die filmischen Charaktere des NS-Kinos waren geprägt von Eigenschaften, die stets von der Ideologie determiniert waren.
Die Szene bietet auch einen Einblick in das nationalsozialistische Bild von Arbeit, welches zeigt, dass der Arbeitsplatz für die Deutschen im Nationalsozialismus stets ein Ort der Beziehungen und der Verwirklichung von Gemeinschaft war. Arbeit trug ebenso wie nationale Feste und politische Veranstaltungen im Dritten Reich zur Praxis der „Aura“ bei, ein Konzept, das auf den Autor Walter Benjamin zurückgeht. Deshalb war Arbeit ein wirksamer Verstärker für die NS-Propaganda. Da die Motivation für das Zusammenkommen der Individuen keiner rationalen Begründung folgte und nur durch Manipulation erreicht werden konnte, wurden „Kult“ und „Aura“ zu zentralen Begriffen in Walter Benjamins Verständnis des Faschismus.35
Die Praxis des Kults bestand aus regelmäßigen Ritualen, wie politischen und nationalen Feierlichkeiten, bei denen Massenversammlungen stattfanden. Die Analyse der Szene zeigt jedoch, dass es für die Etablierung des völkischen Gemeinschaftsgefühls in der Propaganda keinen bewussten Plan geben musste: Die Orientierung und Ausrichtung auf die Gemeinschaft und der Wunsch, Teil davon zu sein, lenkten die Individuen unbewusst - sowohl in ihrem Alltag als auch biografisch. "Gemeinschaft" stellte im Nationalsozialismus ein Dispositiv dar und fand sich, wie wir hier am Beispiel des Aspekts „Arbeit“ sehen, im Kult wieder.
Durch den Protagonisten Stefan Kohlund erleben wir auch die Entstehung des Ortes der wiederkehrenden Überwältigung - in den wiederholten Begegnungen zwischen Marianne und ihm im beruflichen Umfeld. Dieser Bereich wird für Marianne zu einem Feld, in dem sie Kohlunds schmeichelhaften, aber auch herabsetzenden Annäherungen hinnehmen muss.
Die Szene der oben beschriebenen Abschlussfeier der vier Frauen zu Beginn des Films zeigt eindrucksvoll, dass diese weiblichen Figuren nicht als Genies dargestellt werden. Die verschiedenen Überwältigungen der Frauen verhindern eine Entwicklung des Genies. Zudem konterkarieren äußere Zuschreibungen das Selbstverständnis als Genie. Hier verhindert das nationalsozialistische Bild der Gemeinschaft die Entstehung eines voyeuristischen und kontemplativen Raums.
Dies zieht eine Parallele zu ihren Kolleginnen im Film, die heiraten und Familien gründen, aber dafür ihre beruflichen Laufbahnen aufgeben. Eine weitere Überwältigung stellt die Fremdzuschreibung Kohlunds dar, der Marianne zu unterwerfen vermag.
Ferner ist interessant, dass der Film DIE VIER GESELLEN sich anscheinend in einer Übergangszeit situiert, in einer Gesellschaft nämlich, in der höhere Frauenschulen noch als selbstverständlich galten. Die vier Frauen, die gerade ihren Abschluss als Grafikerinnen machen, scheinen aus der Zeit der Weimarer Republik entsprungen zu sein. Dementsprechend situieren sie sich in die Berufsbiographien, auf sie in ihrer Erziehung vorbereitet wurden: diese scheinen mit individueller Wahl und Befähigung einherzugehen, denn wie wie mit dem Charakter der Franziska erleben, spielt das Genie in der beruflichen Tätigkeit eine wesentliche Rolle, Franziska schafft den Erfolg, an den die Freundinnen scheitern. Das schnell hegemonial gewordene Zukunftsbild der außerfilmischen Realität, das der Nationalsozialismus mit in die Gesellschaft einbrachte, hinterlässt im Film eine Doppelbödigkeit: einerseits folgen die Frauen dem nationalsozialistischen Frauenbild und verlassen die Berufslaufbahn für Ehe und Mutterschaft, andererseits bleiben Marianne und Franziska außen vor. Während die Zukunft Mariannes von dem Film nicht mehr weiter erzählt wird, verhilft Franziska künstlerische Begabung ihr zum Erfolg.
So ist hier die Schlussfolgerung zu ziehen, dass der Film sich nicht entscheiden kann, welchen ideologischen Weg er - situiert zwischen der Weimarer Vergangenheit und der nationalsozialistischen Zukunft - nun gehen soll. Hier zeigt sich hinsichtlich der ideologischen Anschlussfähigkeit eine Art Spaltung.
4.8 Gemeinschaftsromantik als Hürde für beruflichen Erfolg der Frau in der NS-Zeit
In GROßSTADTMELODIE beobachten wir die Protagonistin Renate auf dem Weg zum Bewerbungsgespräch. Häufig sind es Männer, die den Protagonistinnen helfen. An einem sonnigen frühen Vormittag führt beispielsweise ein Polizist Renate über die Straße, und an der Haltestelle helfen ihr drei Männer bei einer Wegbeschreibung. Ähnliche Szenen finden sich im Film "Die vier Gesellen", in dem der Protagonistin Marianne ein Sitzplatz in der Bahn angeboten wird. Angesichts dieser Aspekte können wir von einer Verknüpfung von Bürgerlichkeit und Gemeinschaftsromantik sprechen, die für den Nationalsozialismus charakteristisch war.
Die filmische Inszenierung von gemeinschaftlicher Hilfe hat oft eine doppelte Ebene: Hilfe kommt für die Frauen meist von männlichen Akteuren, und gleichzeitig folgt darauf in der filmischen Erzählung eine Kennenlernphase und die Anbahnung einer Beziehung. Hilfe für die Protagonistinnen ist somit stets im Rahmen der romantischen Liebe verankert.
Barbara Schrödl betont, dass insbesondere die Inszenierung künstlerischer Arbeit im NS-Zeit-Film, wenn es um Frauen geht, nicht das Leiden des Genies in den Vordergrund stellt, sondern die "Situierung im Bereich der Kunstproduktion". Der Fokus auf die Umstände weiblicher Kunstschaffender signalisiert demnach, dass es um die Inszenierung großer gemeinschaftlicher Gefühle geht. Neben Filmen wie GROßSTADTMELODIE nennt Schrödl MAN REDET MIR NICHT VON LIEBE (Friedrich Engel; 1942) und VERSPRICH MIR NICHTS (Walter Reisch, 1937). Im ersten Werk handelt es sich um eine Liebeserzählung, in der ein erfolgreicher junger Maler einer jungen Frau einen Auftrag vermittelt, mit dem die aufstrebende Künstlerin jedoch scheitert. Schrödl schlussfolgert, dass solche Filme ein Emanzipationsversprechen in das Bild setzten, jedoch „unter der Bedingung der Unterstellung unter einen männlichen Meister“ 36.
Insofern wird das Wohl der Gemeinschaft dem Wohl des Einzelnen vorgezogen. Dies zeigt auch die auf die Gemeinschaft ausgerichtete Erziehung der Subjekte, die durch die fordernde Vergemeinschaftung nicht nur soziale Kontrolle und Entindividualisierung verlangte, sondern gleichzeitig das Bedürfnis nach Anerkennung der Subjekte zu stillen vermochte. Daher geht es zunächst um die Frage nach dem Verständnis von Arbeit selbst in den untersuchten Filmen, das dem Publikum der 30er und 40er Jahre im NS- Kino vermittelt wurde.
Fazit
In Bezug auf das Thema Berufs- oder Erwerbstätigkeit erscheint es nicht neu, dass die Arbeit von Frauen im Nationalsozialismus vorwiegend von Entfremdung geprägt war. In der Kultur und Ideologie des nationalsozialistischen Staates wurde Entfremdung jedoch nicht kritisch diskutiert. Im Gegenteil: Entfremdung diente als Strategie, den Einzelnen dauerhaft aus der Geborgenheit des privaten Rückzugsraums in eine permanente Vergemeinschaftung zu führen. Die verlorene Privatheit, die aus der Entfremdung resultierte, hatte das Aufgeben von Heimlichkeit und Geborgenheit des Einzelnen zur Folge und verhinderte so die Selbstreflexion, Kontemplation und Planbarkeit der eigenen Selbstverwirklichung des Individuums.
Sinnstiftung ging nicht von beruflichen Aspekten aus. Allerdings war der Freizeitraum ebenfalls nicht auf individuelle Interessen ausgerichtet, sodass die Identität des Menschen nicht durch Handeln konstituiert werden konnte. Sinnstiftung erhielten die Subjekte der NS-Gesellschaft vorwiegend aus der gemeinschaftlichen Zugehörigkeit und den daraus resultierenden Ereignissen. Anerkennung regulierte Lebenslust und Todessehnsucht. Sowohl der Geist der Gemeinschaft als auch die als nihilistisch empfundene Privatheit wurden zu wichtigen Motivatoren für den Krieg.
Das weibliche Subjekt, das aus der Verflechtung von national soziali sti scher Arbeitsideologie und dem reichsdeutschen Frauenbild resultierte und im cineastischen Feld sichtbar wurde, ist umso interessanter: Überwiegend erzählt das Kino von einem Frauentyp, der unabhängig und widerständig den Arbeitsmarkt meistert. Selten wird im Film die Berufswahl als Akt der Entfremdung behandelt, trotz der Ideologie und in jeder Phase des Dritten Reiches versucht die deutsche Protagonistin, ihren Traumberuf Realität werden zu lassen. Ideologisch widersinnig ist im NS-Kino nicht nur die Frau, die in der Vollzeitarbeit zu sehen ist, oft bewegt sie sich im beruflichen Feld aus dem glamourösen Bereich der Künste und der Medien.
In den Filmproduktionen vor 1941 sind die Karrieren der Protagonistinnen von Unsicherheit geprägt oder scheitern im Laufe des Films. In allen hier betrachteten Werken thematisiert die Protagonistin im Laufe des Films Mutterschaft und Ehe, sodass die Filme dem Publikum nicht ohne Aussicht lassen, dass die Frau doch noch in den ideologisch angemessenen Rahmen findet.
Das im Rahmen dieser Arbeit untersuchte Filmmaterial aus dem nationalsozialistischen Kino wurde - bevor das Hauptthema „Weibliche Erwerbstätigkeit im nationalsozialistischen Film“ analysiert wurde - hinsichtlich der Besonderheiten des Films im Nationalsozialismus untersucht.
Die Einzigartigkeit der Zeit, in der sich diese Filmkultur verankert, ergibt sich aus der Bereitschaft der Subjekte zum industriellen Massenmord, einem Akt der Vernichtung, der durch den nationalsozialistischen Begriff von Arbeit realisiert wurde und von Dan Diner als Zivilisationsbruch bezeichnet wurde. Die vorliegende Arbeit widmete sich diesem Thema im Vorfeld. So entstand die Idee, den Holocaust ab Ende 1941 durch einen strukturalistischen Zugang im NS-Film anhand der inhaltlichen Veränderungen in den Filmen sichtbar zu machen und dabei die Frage zu stellen: Warum tauchen im NS- Film nach 1941 plötzlich bestimmte Aspekte auf und was sagen diese Aspekte über die Gesellschaft aus, die zu dieser Zeit zum industriellen Massenmord fähig war?
In Bezug darauf wurden Ergebnisse aus den Filmuntersuchungen gewonnen, die hier zusammengefasst werden: Das gesichtete Material, das in die Kategorien vor und nach 1941 (bezogen auf die Produktionsjahre) eingeteilt wurde, wies eine Besonderheit hinsichtlich der Nutzung von Antisemitismen auf. Eines der markantesten Elemente im Zusammenhang mit Antisemitismus zeigt sich in Verbindung mit der Wirtschaft: Carl Froelich inszeniert im Film DIE VIER GESELLEN die Armut der Frauen, die in den Filmszenen durch Bilder von Banken und einem Leihhaus dargestellt wird. Die in der Arbeit untersuchten NS-Filme, wie etwa MUTTERLIEBE, verweisen nicht nur diskursiv auf wirtschaftliche Macht, sondern durch die szenische Darstellung des Leihhauses auch auf das antisemitische Narrativ der Zinswirtschaft, in dem Juden für Fehlentwicklungen im Wirtschaftsleben verantwortlich gemacht wurden.
Gleichzeitig wurde im Rahmen der Untersuchungen vor dem Hintergrund des Holocausts ein Kommunikationsakt identifiziert. In der Arbeit wird er als der Kommunikationsakt bezeichnet, der den Dritten nicht ausschließt. Dieser antisemitische Kommunikationsakt schien eine Strategie in der Bevölkerung des Dritten Reiches zu sein. Die antisemitische Bevölkerung richtete sich zwar an die Juden, um sie zu demütigen, zu quälen und auszugrenzen, jedoch richtete sich die Kommunikation durch solche Handlungen nicht an die Opfer, sondern war an die eigene Gemeinschaft adressiert, die antisemitische Ansichten teilte und durch diese Kommunikation in ihrem Gemeinschaftsgeist gestärkt wurde. Antisemitismen waren also an die eigene Gemeinschaft gerichtet und versprachen den Tätern Zugehörigkeitsgefühl zur deutschen Gemeinschaft und Anerkennung.
Insofern erweist sich die verarmte Protagonistin vor dem Hintergrund der Metropole mit imposanten Bankgebäuden und Leihhäusern als Strategie der Filme, um Anschlussfähigkeit an den Geist des deutschen Publikums zu erreichen.
Die Tatsache, dass öffentliche Politisierung und Kunst, die auf den Gemeinschaftsgeist ausgerichtet waren, primär ein kontemplativer Akt der Täter war, zeigt sich darin, dass im NS-Kino ab 1941 Szenen mit antisemitischen Narrativen nicht mehr vorkommen. Die bewusste Darstellung von Antisemitismus im semantischen Raum der Wirtschaft verschwand von der Leinwand des NS-Kinos. Inszenierungen von Bedrohungen wie Armut und beruflichem Scheitern wurden ersetzt. Ab 1941 erzählte der Film das Dritte Reich als Idylle, in der zufällig - aber wirklich nur nebenbei - der Krieg stattfand.
Der Zustand der Entfremdung vom Zeitgeist des Krieges zeigt sich im Akt der Ersetzung. Er wird nicht bewusst inszeniert, sondern konstituiert sich in dem Verzicht auf Identifikations-angebote. Vermutlich lag die Intention der Filmschaffenden darin, zu zeigen, dass der Film überhaupt fertig produziert wird, um im cineastischen Feld gegenüber den marktführenden US-Amerikanern als konkurrenzfähig zu gelten. Insofern kann das NS-Kino nach 1941 als ein Kino der früheren selbstreferentiellen Phase bezeichnet werden, in der Technik und Form anstelle der filmischen Inhalte Priorität erfahren. Die Sprache im nationalsozialistischen Kino war also nicht maßgeblich: Obwohl die Charaktere im Film Sprache verwendeten, nutzten sie diese anders als in anderen Filmkulturen.
Nicht nur zeigt der NS-Film Frauen, die der Ideologie unterworfen sind, gleichermaßen fügt sich das Thema „Karriere“ und „Selbstverwirklichung“ - auch im NS-Kino nach 1941 - in die Kategorie „Weibliche Erwerbstätigkeit“ ein, wie etwa bei der Fotografin Renate in GROßSTADTMELODIE. Es scheint das deutsche Bestreben zu sein, den US- Amerikanern auf der Ebene der Filmkultur ebenbürtig zu sein. Diese Beobachtung zeigt die Erkenntnis, dass auch in Kriegszeiten die Deutschen sich darin ergingen, kulturell den Amerikanern nachzueifern. Die tiefe Auseinandersetzung mit Ländern wie Frankreich oder den USA scheint in ähnlicher Weise ein eskapistisches Bedürfnis gewesen zu sein, wie es auch durch Szenen der Idylle im NS-Kino nach 1941 offenbart wird. In den Filmen nach 1941 geht es den Filmhelden gut, alles ist leicht, sie müssen nicht mehr so sehr kämpfen wie die Protagonisten aus DIE VIER GESELLEN oder MUTTERLIEBE. Die Hürden in der filmischen Erzählung scheinen nicht mehr so groß, dass Leid und Scheitern überhaupt noch Themen wären.
Die Charaktere im NS-Kino nach 1941 weisen eine geringere Tiefe auf. Ihr Wesen wird darauf reduziert, entweder ein Mann oder eine Frau zu sein. Nichts semantisiert den filmischen Charakter im NS-Kino nach 1941 stärker als die Geschlechterzuordnung. In Bezug auf die Bedeutung des Holocausts nimmt die Arbeit eine Betrachtung von Dietrich Schwanitz auf, in der vom Holocaust als einer Verschiebung der Ordnung die Rede ist. Es handelt sich dabei um die Verschiebung der Ordnung des menschlichen Körpers in die Ordnung des tierischen Körpers. Daraus lässt sich ableiten, wie die Gesellschaft des Zivilisationsbruchs das NS-Kino nach 1941 strukturierte.
Das Verhältnis der Charaktere zu den Umständen und zum Krieg bleibt oberflächlich. Ähnliches gilt für das Beziehungsverhalten der Protagonistinnen und Protagonisten in „Zwei in einer großen Stadt“ (1942) und „Großstadtmelodie“ (1943). Zwar sind in beiden Werken Aspekte der romantischen Liebe eingeschrieben, die Filme zeigen jedoch nur die Protagonistinnen und Protagonisten in der Kennenlernphase. Sowohl bei den geplanten Karrierezielen als auch in der Liebe stoßen sie auf wenig Hindernisse.
Die befürchtete Niederlage in der Kriegsführung nach 1941 mag einerseits ein Grund für die Idylle auf der Leinwand gewesen sein, weil das Kino für die deutsche Bevölkerung eine eskapistische Funktion hatte. Andererseits plant der NS-Film nach 1941, über die Aspekte „Liebe“ und „Beruf“ zu verhandeln, ohne auf die Zukunft ausgerichtet zu sein. Das aus der Zeit des Zivilisationsbruchs auf der Seite der Täterschaft herausgebildete Subjekt - wie es das NS-Kino nach 1941 zeigt - agierte auf die Gegenwart ausgerichtet, eine Idee über eine Zukunft als Einzelner besaß es nicht.
Hier stellt sich auch die Frage, ob das sich zur Homogenität hinbewegende Subjekt aus der NS-Bevölkerung historisch durch die Fundamentaldisziplinierung in Preußen, die anstelle einer Revolution wie in Frankreich durch den Kaiser konstituiert wurde, ein anderes Subjekt war als jene Menschen in der Bevölkerung Frankreichs oder Großbritanniens. Ein Mensch der Zukunft war es jedenfalls nicht.
Literaturliste
Filme
DIE VIER GESELLEN (1938; Reg.: Carl Froelich)
MUTTERLIEBE (1939; Reg.: Gustav Ucicky)
AUF WIEDERSEHEN, FRANZISKA (1941; Reg.: Helmut Kautner)
ZWEI IN EINER GROßEN STADT (1942; Reg.: Volker von Collande)
GROßSTADTMELODIE (1943; Reg.: Wolfgang Liebeneiner)
Literatur
Adorno, Theodor W.: Kulturkritik und Gesellschaft. Frankfurt am Main. Suhrkamp Verlag 1951.
Arbeiten fur das Reich: Ehre, Ausbeutung, Vernichtung. Fritz-Bauer-Institut (Hg.). Berlin. Metropol Verlag 2012.
Buggeln, Marc; Wildt, Michael: Arbeit im Nationalsozialismus. Munchen. Oldenburg Verlag 2014.
Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. (2. Aufl.). Frankfurt am Main. Suhrkamp Verlag 1977.
Diner, Dan: Gegenlaufige Gedachtnisse. Uber Geltung und Wirkung des Holocaust. Gottingen. Vandenhoeck und Ruprecht 2007.
Frietsch, Elke; Herkommer, Christina: Nationalsozialismus und Geschlecht. Zur Politisierung und Asthetisierung von Korper, „Rasse“ und Sexualitat im „Dritten Reich“ und nach 1945. Bielefeld. Transcript Verlag 2009.
Gutmann, Thomas: Ideologie der Gemeinschaft und die Abschaffung des subjektiven
Rechts - Recht und Rechtswissenschaft im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 1996.
Hacker, Hartmut (Hg.), Stapf, Kurt H.: Dorsch Psychologisches Worterbuch.
Bern. Verlag Hans Huber 2004.
Hochscherf, Tobias; Winkl, Roel; Vande: Third Reich Cinema and Film Theory. In: Historical Journal of Film, Radio and Television. (36/2). Abingdon. Routledge Verlag 2016.
Hoffmann, Carl (Hrsg.): Cinegraph - Lexikon zum deutschsprachigen Film.
Munchen. Edition Text und Kritik 1984.
Luhmann, Niklas: Einfuhrung in die Systemtheorie. Heidelberg.
Carl-Auer-System-Verlag 2002.
Rentschler, Eric: Ministry of Illusion. Nazi Cinema and its Afterlife.
Harvard University Press. Cambridge 1996.
Schwanitz, Dietrich: Das Shylock-Syndrom. Oder die Dramaturgie der
Barbarei. Munchen. Heyne Verlag 1997.
Sepp, Arvi: Diaristik und Alltagsgeschichte. Victor Klemperers Tagebucher 1933 - 1945 als periphere Geschichtsschreibung des Nationalsozialismus. In: Revista de filologia alemana. (18/2010). Madrid. Ediciones Computerlense 2010.
Volkov, Shulamit: Antisemitismus als kultureller Code. Munchen. C.H. Beck 2000.
Zima, Peter V.: Theorie des Subjekts. Tubingen. UTB Verlag 2017.
Zeitschriften
Wagner, Jens-Christian: Arbeit und Vernichtung im Nationalsozialismus.
Ökonomische Sachzwange und das ideologische Projekt des Massenmords. In: Einsicht 12. Bulletin des Fritz Bauer Instituts (2012).
Internetquellen
Chou, Yong Chan: Inszenierungen der volkischen Filmkultur im Nationalsozialismus. Der internationale Filmkongress in Berlin 1935. In: https://depositonce.tu-berlin.de/handle/11303/1587 (abgerufen am 20.12.2012).
Kater, Michael H.: Frauen in der NS-Bewegung.
In: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1983_2.pdf
Ullrich, Wolfgang: Die Wiederkehr der Schonheit. Uber einige unangenehme Begegnungen.
In: https://pop-zeitschrift.de/2017/11/07/die-wiederkehr-der-schoenheit- ueber-einige-unangenehme-begegnungenvon-wolfgang-ullrich07-11-2017/
[...]
1 Diner, Dan: Gegenläufige Gedächtnisse. Über Geltung und Wirkung des Holocaust. Göttingen. Vandenhoeck und Ruprecht 2007.
2 Was im Essay Kulturkritik und Gesellschaft von T.W Adorno mit dem Begriff des Barbarischen codiert ist. Vgl.: Adorno, T.W: Prismen. Springer Fachmedien. Wiesbaden S. 240.
3 Harran, Marilyn; Kuntz, Dieter; Lemmons, Russel; Ashley Michael, Robert; Pichus, Keith; Roth, John K.; Edelheit; Abraham: Die Holocaust Chronik. H. F Ullmann Verlag. 2010 Potsdam. S. 211.
4 Ebd.
5 Ebd.
6 Anlehnend auf T.W Adornos Bezeichnung „barbarisch“ aus dem Essay Kulturkritik und Gesellschaft.
7 1873 - nach dem Börsenkrach - manifestierte sich durch Autoren wie Otto Glagau etwa, das Narrativ über ein „internationales Finanzkapital“, in welchem die Juden für die Fehlentwicklungen im Wirtschaftsleben verantwortlich gemacht wurden. Hier haben wir es mit dem Aspekt der Gewinnmaximierung in der Wirtschaft und der Angst vor der Globalisierung zu tun, welche sich mit Antisemitismus mischt. In: Wildt, Michael; Buggeln, Marc: Arbeit im Nationalsozialismus. Dienst an der Volksgemeinschaft. Oldenburg Verlag. 2014 München.
8 Volkov, Shulamit: Antisemitismus als kultureller Code. München. C.H. Beck 2000. S. 27.
9 Ebd.
10 Ebd.
11 Buggeln, Marc; Wildt, Michael: Arbeit im Nationalsozialismus. Oldenbourg Verlag. München 2014. S. 12.
12 Hier ist es sinnvoll den Philosophen Carl Schmitt anzuführen, dessen Betrachtungen im Nationalsozialismus einen großen Teil der Weltanschauung konstituierten. Schmitt ist der Meinung, dass es nicht vieler Freunde bedarf, sondern ein Feind erstrebenswert sei, mit dem man sich kämpfend auseinandersetzen müsste. Vgl. in Ullrich, Wolfgang: Die Wiederkehr der Schönheit. Über einige unangenehme Begegnungen. In: https://pop-zeitschrift.de/2017/11/07/die-wiederkehr-der-schoenheit- ueber-einige-unangenehme-begegnungenvon-wolfgang-ullrich07-11-2017/ (abgerufen am 08.04.2023).
13 Mit der aufkommenden Befürchtung der Deutschen Bevölkerung über eine Niederlage schwindete die Faszination und Hoffnung über die Ära des Nationalsozialismus. Sowohl die Kategorie des Eros, wie auch die der Aura, die charakteristisch für den Faschismusbegriff eigentlich sind, wurden aus der Kultur zu der Zeit getilgt. Die mit der Niederlage aufkommenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme lenkten den Fokus der Deutschen weg von der geistigen Idee über einen „neuen Menschen“, der in der NS-Gesellschaft jeder Deutsche hätte werden sollen. Solch ein Untergang der Omnipotenzphantasien und auf die Gemeinschaft ausgerichteten Gefühle ist für gewöhnlich das Ende eines Volkes im Faschismus, umso interessanter ist es für die Wissenschaft, warum an einem Punkt (als sich die Niederlage des Krieges auftat), die Italiener zum Beispiel kapitulierten, die Deutschen aber als einziges Volk in die Zeit des industriellen Massenmords übergingen. Steven Spielberg hat den Unterschied zwischen Faschismus und dem Nationalsozialismus in SCHINDLERS LISTE in einer bestimmten Szene markiert. Von den Autorinnen Elke Frietsch und Christina Herkommer im Werk Nationalsozialismus und Geschlecht wird diese Szene folgenderweise interpretiert: “Ma nnliche KZ-Ha ftlinge erscheinen meist ausgezehrt und enterotisiert, wa hrend weibliche Ha ftlinge erotisiert dargestellt werden. So wird in der Szene vor dem >Duschen< - der vermeintlichen Vergasungsszene - eine sich ausziehende Frau in Großaufnahme pra sentiert. Die Sexualisierung des weiblichen Ko rpers verweist auf die dem Film immanente ma nnliche Perspektiv” e (S. 379) Was aber Fritsch und Herkommer übersehen, ist die unmögliche Verbindung von Sexualität (im Rahmen des Eros) und dem Holocaust. Die Szene zeigt also durch die Verunmöglichung dieser Verbindung eine Grenze auf: nämlich die zwischen dem Faschismus (dessen Ende mit dem Untergang des Eros sich konstituiert) und dem Nationalsozialismus, beziehungsweise dem Zivilisationsbruch. In: Frietsch, Elke; Herkommer, Christina: Nationalsozialismus und Geschlecht. Zur Politisierung und Asthetisierung von Körper, „Rasse“ und Sexualität im „Dritten Reich“ und nach 1945. Bielefeld. Transcript Verlag 2009.
14 Luhmann, Niklas: Liebe als Passion. Suhrkamp Taschenbuch Verlag. 15. Auflage. Frankfurt am Main 2022. S. 34.
15 Ebd.
16 Schwanitz, Dietrich: Das Shylock-Syndrom. Oder die Dramaturgie der Barbarei. Heyne Verlag. München 1997.
17 Vgl. mit Buggeln, Marc; Wildt, Michael: Arbeit im Nationalsozialismus. Oldenburg Verlag. München 2014.
18 Ebd.
19 Kater, Michael H.: Frauen in der NS-Bewegung. In: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1983_2.pdf
20 Ebd.
21 Ebd.
22 Bauer, Heinz: Traumberuf: KZ-Aufseherin - Psychogramm einer Grieskirchner Verbrecher-Karriere. In: https://www.tips.at/nachrichten/grieskirchen/land-leute/381380-traumberuf-kz-aufseherin- psychogramm-einer-grieskirchner-verbrecher-karriere (abgerufen am 09.04.23).
23 Ebd.
24 Ebd.
25 Ebd.
26 Lavern, Wolfram: Weibliches SS-Personam in Konzentrationslagern: überzeugte Parteigängerinnen der NSDAP oder ganz normale Deutsche Frauen. In: Frietsch, Elke (Hg.); Herkommer, Christina (Hg.): Nationalsozialismus und Geschlecht. Transcript Verlag. Bielefeld 2009.
27 Bauer, Heinz: Traumberuf: KZ-Aufseherin - Psychogramm einer Grieskirchner Verbrecher-Karriere. In: https://www.tips.at/nachrichten/grieskirchen/land-leute/381380-traumberuf-kz-aufseherin- psychogramm-einer-grieskirchner-verbrecher-karriere (abgerufen am 09.04.23).
28 Lavern, Wolfram: Weibliches SS-Personam in Konzentrationslagern: überzeugte Parteigängerinnen der NSDAP oder ganz normale Deutsche Frauen. In: Frietsch, Elke (Hg.); Herkommer, Christina (Hg.): Nationalsozialismus und Geschlecht. Transcript Verlag. Bielefeld 2009.
29 Ebd.
30 Wagner, Jens-Christian: Arbeit und Vernichtung im Nationalsozialismus. Ökonomische Sachzwänge und das ideologische Projekt des Massenmords. In: Einsicht 12. Bulletin des Fritz Bauer Instituts (2012). S. 20.
31 Schrödl, Barbara: Bilder partieller Emanzipation. Künstlerpaare im NS-Film. In: Frietsch, Elke (Hg); Christina (Hg.): Nationalsozialismus und Geschlecht. Zur Politisierung und Ästhetisierung von Körper, „Rasse“ und Sexualität im „Dritten Reich“ und nach 1945. Bielefeld. Transcript Verlag 2009. S. 245.
32 Der Begriff geht auf Niklas Luhmann zurück.
33 In: Zima, Peter V.: Theorie des Subjekts. Tübingen. UTB Verlag 2017. S. 160.
34 Häcker, Hartmut (Hg.), Stapf, Kurt H.: Dorsch Psychologisches Wörterbuch. Verlag Hans Huber. Bern 2004. S. 62.
35 Vgl. mit Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Gesammelte Schriften. Band 1; Teil 2. Frankfurt am Main. Suhrkamp Verlag 1977.
36 Schrödl, Barbara: Bilder partieller Emanzipation. Künstlerpaare im NS-Film. In: Frietsch, Elke (Hg); Christina (Hg.): Nationalsozialismus und Geschlecht. Zur Politisierung und Ästhetisierung von Körper, „Rasse“ und Sexualität im „Dritten Reich“ und nach 1945. Bielefeld. Transcript Verlag 2009. S. 245.
- Arbeit zitieren
- Elin Gronhaug (Autor:in), 2023, Gegen die großen Träume. Weibliche Erwerbstätigkeit im nationalsozialistischen Kino, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1373610