Der Mensch wird täglich von einer Masse an Information überflutet. Digitalisierung, Individualisierung, Demokratisierung und Globalisierung sind für das Ansteigen dieser Datenflut mit verantwortlich. Alleine in Deutschland werden über 50.000 Marken aktiv beworben, der Supermarkt „um die Ecke“ führt durchschnittlich 10.000 Artikel, jedes Jahr kommen 26.000 Produkte neu auf den Markt und 500 Millionen Websites wollen besurft werden. Dazu kommen jährlich über 3.000 Pro-Kopf-Werbebotschaften durch Printanzeigen, Werbespots, Mailings, Plakate, Online-Banner und Events, welche um die Gunst des Kunden buhlen. Dies wird häufig als „Informations-Overload“ bezeichnet oder es wird von Reizüberflutung gesprochen. Folglich wird die Aufmerksamkeit des Konsumenten zu einem knappen Gut. Der heutige Konsument nimmt weit über neunzig Prozent der gebotenen Informationen nicht wahr. Kundenorientierung ist zwar Maxime des Marketings, doch was will der Kunde? Was sind seine wahren Bedürfnisse? Was treibt ihn an? Wie nimmt er Werbebotschaften wahr? Wie und vor allem warum entscheidet er so, und nicht anders? Seit einiger Zeit beschäftigt sich der Bereich des Neuromarketing mit dieser Frage. Durch neurowissenschaftliche Untersuchungen wird versucht, Motive und Antriebskräfte, welche vom Gehirn ausgehen, besser zu verstehen. Eine der wichtigsten Fragen dabei: Was für eine Rolle spielen die Emotionen? Gibt es den homo oeconomicus, der ausschließlich rational handelt oder werden wir von Emotionen geleitet?
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Relevanz des Themas und Status Quo
1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise dieser Arbeit
2 Neurowissenschaft als neuer verhaltenswissenschaftlicher Ansatz
2.1 Abgrenzung der Begriffe Neuroökonomie und Neuromarketing
2.2 Vom Behaviorismus zum Neobehaviorismus - Neuromarketing öffnet die Tür der „Black Box“
3 Neurobiologische Grundlage
3.1 Aufbau des menschlichen Gehirns
3.2 Funktionsweise des menschlichen Gehirns
3.3 Die psychische Wahrnehmung des Menschen
4 Emotionen und Gefühle
4.1 Definition und Bedeutung von Emotionen/Gefühle
4.2 Emotionstheorien zur Klärung der Entstehung von Emotionen
4.2.1 Evolutionsbiologische Emotionstheorie
4.2.2 Behavioristische-lernpsychologische Emotionstheorie
4.2.3 Psychophysiologische Emotionstheorie
4.2.4 Kognitiv-physiologische Emotionstheorie
4.3 Bedeutung des Emotionsbegriffs aus neurowissenschaftlicher Sicht
5 Ansätze zur Messung von Emotionen
5.1 Psychophysiologische Verfahren
5.2 Bildgebende Verfahren
6 Das Emotions- und Motivsystem des Konsumenten
6.1 Limbic Map - Ein Ansatz zur Emotions- und Wertewelt des Konsumenten
6.2 Die Emotionssysteme: Balance, Stimulanz und Dominanz
6.3 Emotionale Segmentierung - die Limbic Types
7 Neuromarketing in der Praxis
7.1 Kommunikation ist mehr als Sprache
7.1.1 Die vier Bedeutungsträger der Kommunikation: Sprache, Geschichte, Symbole und Sensorik
7.1.2 AIDA-Formel und ihre Gültigkeit
7.1.3 Nutzbare Emotionen in der Werbung
7.2 Beeinflussbarkeit des Konsumenten am Point of Sale
7.2.1 Einsatz von Emotionen bei der Preisschildgestaltung
7.2.2 Emotional aufgeladene Bilder am PoS
7.2.3 Erfolgsformel im Einzelhandel: Less Is More
7.3 Anwendungsmöglichkeiten für die Markenführung
7.3.1 Die Wirkung von Marken auf den Konsumenten
7.3.2 Möglichkeiten für das strategische Markenmanagement
7.3.3 Emotionale Markenpositionierung
8 Zusammenfassung und Ausblick
Anhang A: Überblick über Forschungsarbeiten im Bereich Neuromarketing
Anhang B: Entwicklung der Anzahl wissenschaftlicher Beiträge zum Thema Emotionen
Anhang C: Überblick über relevante neurophysiologische Messverfahren
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Die Neuroökonomie an der Schnittstelle versch. Wissenschaften
Abbildung 2: Der interdisziplinäre Ansatz von Neuroökonomie und Neuromarketing ...
Abbildung 3: Aufbau des menschlichen Gehirns
Abbildung 4: Zusammenhang zwischen expliziten und impliziten System
Abbildung 5: Die zwei „Lager“ der Emotionstheorien
Abbildung 6: Die Limbic Map
Abbildung 7: Nutzbare Emotionen in der Werbung
Abbildung 8: Das Phänomen der kortikalen Entlastung
Abbildung 9: Emotionale Positionierung von Milchmarken
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Überblick über die Basisemotionen verschiedener Autoren
Tabelle 2: Überblick über Forschungsarbeiten im Bereich Neuromarketing
Tabelle 3: Überblick über relevante neurophysiologische Messverfahren
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Der Mensch wird täglich von einer Masse an Information überflutet. Digitalisierung, Individualisierung, Demokratisierung und Globalisierung sind für das Ansteigen dieser Datenflut mit verantwortlich.[1] Alleine in Deutschland werden über 50.000 Marken aktiv beworben, der Supermarkt „um die Ecke“ führt durchschnittlich 10.000 Artikel, jedes Jahr kommen 26.000 Produkte neu auf den Markt und 500 Millionen Websites wollen besurft werden. Dazu kommen jährlich über 3.000 Pro-Kopf-Werbebotschaften durch Printanzeigen, Werbespots, Mailings, Plakate, Online-Banner und Events, welche um die Gunst des Kunden buhlen.[2] Dies wird häufig als „Informations Overload“ bezeichnet oder es wird von Reizüberflutung gesprochen. Folglich wird die Aufmerksamkeit des Konsumenten zu einem knappen Gut. Der heutige Konsument nimmt weit über neunzig Prozent der gebotenen Informationen nicht wahr.[3] Kundenorientierung ist zwar Maxime des Marketings, doch was will der Kunde? Was sind seine wahren Bedürfnisse? Was treibt ihn an? Wie nimmt er Werbebotschaften wahr? Wie und vor allem warum entscheidet er so, und nicht anders?[4] Seit einiger Zeit beschäftigt sich der Bereich des Neuromarketing mit dieser Frage. Durch neurowissenschaftliche Untersuchungen wird versucht Motive und Antriebskräfte, welche vom Gehirn ausgehen besser zu verstehen. Eine der wichtigsten Fragen dabei: Was für eine Rolle spielen die Emotionen? Gibt es den homo oeconomicus, der ausschließlich rational handelt oder werden wir von Emotionen geleitet?
1.1 Relevanz des Themas und Status Quo
In der Marketing-Forschung ist man sich schon längere Zeit darüber bewusst, dass Emotionen und Gefühle einen sehr hohen und oft unterschätzten Einfluss auf das Konsumentenverhalten haben. Produkte werden nicht ausschließlich wegen ihres Produktnutzens gekauft, sondern wegen ihres zusätzlichen emotionalen Erlebniswerts.[5]
Auf Grund dieser Erkenntnis rückt ein neuer Bereich in den Blickwinkel des Marketings, die so genannte Neurowissenschaft. Implementiert man die Neurowissenschaft in das Marketing, so ergibt sich dadurch das neue und interessante Gebiet des Neuromarketings. Darüber hinaus die Hirnforschung in den letzten zehn Jahren mehr über die Funktionen des Gehirns gelernt, als in den 100 Jahren zuvor. Somit muss ein Teil der bekannten Paradigmen anhand neuer Erkenntnisse verworfen bzw. überdacht werden.[6] In gesättigten Märkten kann sich ein Produkt oder eine Marke nur durch einen emotionalen Zusatznutzen etablieren. Die berühmte Coca-Cola/Pepsi-Studie von McClure et al. (2001) ebnete den Weg der Hirnscanner in das Marketing. Gemäß dieser Studie erhielt Pepsi bei Blindverkostungen bessere Bewertungen als Coca-Cola. Dagegen erhielt Coca-Cola bei offenen Verkostungen deutlich bessere Bewertungen, wobei hier ganz andere Hirnbereiche als bei der Blindverkostung aktiv waren. CocaCola wurde im Gegensatz zu Pepsi mit positiven Assoziationen verknüpft. Aufbauend auf dieser Studie haben andere große Unternehmen wie Daimler-Chrysler und Procter & Gamble ihre Produkte auf Hirnaktivitäten von Probanden testen lassen.[7]
In der Zwischenzeit haben weitere Studien im Bereich des Neuromarketing gezeigt, das Emotionen sowohl bei der Werbung (Ambier et al., 2000; Ioannides et al. 2000) als auch bei der Kaufentscheidung und Markenwahl (Deppe et al., 2005a; Plassmann et al. 2006b) eine entscheidende Rolle spielen. Einen Überblick zu Forschungsarbeiten im Bereich des Neuromarketing wird im Anhang A gegeben.
1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise dieser Arbeit
Im Rahmen dieser Arbeit wird die Bedeutung der Neurowissenschaft und die aus den neurowissenschaftlichen Untersuchungen resultierenden Erkenntnissen der Emotionsforschung für das Marketing dargestellt. Im Wesentlichen wird der Einfluss und die Wirkung von Emotionen auf das Konsumentenverhalten untersucht. Ziel dieser Arbeit ist es, einen aktuellen Stand der Entwicklungen im Bereich des Neuromarketing speziell der Emotionsforschung darzulegen.
In Kapitel 2 wird der Bereich der Neuroökonomie vom Bereich des Neuromarketing abgegrenzt. Darüber hinaus wird dargelegt, in welcher Art und Weise das Neuromarketing die Konsumentenverhaltensmodelle beeinflusst.
Im 3. Kapitel werden die neurobiologische Grundlagen erklärt, worunter der Aufbau und die Funktionsweise des menschlichen Gehirns, sowie die psychische Wahrnehmung zählen.
Das 4. Kapitel beschäftigt sich mit den Begriffen „Emotion“ und „Gefühl“. Gemäß verschiedener Definitionsansätzen werden die Entstehungstheorien von Emotionen beschrieben und anschließend der Emotionsbegriff aus neurowissenschaftlicher Sicht untersucht.
Kapitel 5 befasst sich mit der Messung von Emotionen, worunter die psychophysiologischen und bildgebenden Verfahren fallen.
Das 6. Kapitel geht auf die Emotions- und Motivsysteme des Konsumenten ein, wobei hier der Ansatz der Limbic Map und dessen Emotionssysteme erläutert werden.
In Kapitel 7 werden Anwendungsmöglichkeiten aus dem Neuromarketing für das Marketing aufgezeigt. Anhand durchgeführter Studien und neurowissenschaftlichen Untersuchungen werden die wesentlichen Erkenntnisse, für die Bereiche Kommunikation, Point of Sale-Gestaltung und der Markenpolitik dargestellt.
Das letzte Kapitel fasst diese Arbeit zusammen, und gibt einem Ausblick auf mögliche Weiterentwicklungen in diesem Bereich.
2 Neurowissenschaft als neuer verhaltenswissenschaftlicher Ansatz
Der Dalai Lama schickt acht seiner Mönche in ein Hirnlabor in den USA, um sie dort meditieren zu lassen. Er erhoffte sich dadurch herauszufinden, was in einem Gehirn geschieht, wenn der Moment der spirituellen Einkehr erreicht wird.[8] Schließlich wurde auch für das Marketing das Potenzial der neurowissenschaftlichen Forschung entdeckt. Wirkungsweisen von Marketing-Stimuli sowie Entscheidungs- und Handlungsprozesse können durch Hirnforschungsmethoden direkt am Gehirn untersucht werden.[9] Das Neuromarketing eröffnet damit neue Wege, den Konsumenten und die Wirkung von Marken, die Kommunikation und Produkte zu verstehen.[10] „Der Wunschtraum aller Hersteller und Händler und der Albtraum aller Verbraucherschützer, nämlich dem Konsumenten direkt ins Gehirn zu schauen, [...] scheint inzwischen zum Greifen nahe.“[11] So soll das Konsumentenverhalten die s.g. „Black Box“, die zwischen Marketing-Stimuli und beobachtbarer Reaktion liegt endgültig aufgebrochen werden.[12]
2.1 Abgrenzung der Begriffe Neuroökonomie und Neuromarketing
ln der Literatur haben sich die Begriffe „Neuromarketing“ und „Neuroökonomie“ etabliert, welche neurowissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden zur weiteren Durchdringung ökonomisch relevanter Fragenstellungen nutzen.
Wesentliches Merkmal des Neuromarketing-Ansatzes ist das interdisziplinäre Vorgehen, welches Marketing bzw. Wirtschaftswissenschaft, Psychologie sowie Neurowissenschaft miteinander vernetzt.[13] Während die Neurowissenschaften untersucht, wie das Gehirn funktioniert und die Nervenzellen bei menschlichem Verhalten zusammenwirken, beschäftigt sich die Psychologie und Ökonomie mit dem wirtschaftlichen Verhalten von Individuen und Organisationen.[14] Die Psychologie und Ökonomie definieren das theoretische Problem und bieten Hilfestellung bei ihrer Interpretation. Die Neurowissenschaft stellt dagegen den empirischen Lösungsansatz bereit.[15] Der Versuch diese Wissenschaften miteinander zu verbinden, liegt nahe da bei diesen Disziplinen die menschliche Informationsverarbeitung im Mittelpunkt des Interesses steht. Das menschliche Verhalten wird durch das Gehirn gesteuert bzw. durch die Erforschung der entsprechenden Hirnfunktionen kann eine Brücke zu den verschiedenen Disziplinen gebaut werden.[16] Mit der Überschneidung der drei Fachgebiete Ökonomie, Psychologie und Neurowissenschaften lässt sich, wie in Abbildung 1 dargestellt, ein Überblick über diese und weitere Disziplinen abbilden, Kognitionswissenschaft, Marketingforschung und Neuromarketing. An der gemeinsamen Schnittstelle bildet sich der interdisziplinäre Forschungszweig der Neuroökonomie.[17]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Die Neuroökonomie an der Schnittstelle verschiedener Wissenschaften, eigene Erhebung in Anlehnung an Ceranic 2007, S.3.
Die Neuroökonomie wird in den meisten Ausführungen als übergeordneter Begriff vom Neuromarketing abgegrenzt. In den Ausführungen von Bauer et al., wird die Neuroökonomie in drei Teilbereiche auf gesplittet. Die Neuroökonomie im weiteren Sinne, erforscht die neuronale Grundlagen ökonomisch relevanter Verhaltens mittels neurowissenschaftlicher Methoden.[18] Im engeren Sinne untersucht die Neuroökonomie klassische, mikroökonomische Forschungskomplexe wie Entscheidungen unter Unsicherheit, Interaktionen zwischen Individuen und dem Verhalten von Institutionen wie z.B. Märkten. Da das Marketing ebenfalls auf mikroökonomische Modelle zurückgreift, sind die Übergänge zwischen Neuroökonomie und Neuromarketing fließend.[19] In der Neuroökonomie werden auch finanzwirtschaftliche Fragestellungen untersucht, wobei im Bereich „Neurofinance“ neuronale Prozesse während fiktiven Finanztransaktionen analysiert werden. Ziel hierbei ist, Motivation, Denkvorgänge und emotionale Einflüsse bei erfolgreichen und weniger erfolgreichen Investitionen zu erkunden, siehe hierzu Abbildung 2.[20]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Der interdisziplinäre Ansatz von Neuroökonomie und Neuromarketing, in Anlehnung an Bauer u.a. 2006, S.4.
Esch und Möll beziehen in ihrem Definitionsansatz noch weitere Wissenschaften mit ein, sie bezeichnen die Neuroökonomie als „neues, interdisziplinäres Forschungsfeld der Bereiche Neurologie, Physik, Ökonomie, Radiologie und Psychologie. Untersuchungsgegenstand ist die Beziehung zwischen Umweltreizen, Hirnfunktionen und menschlichem Verhalten bei Kaufentscheidungen, Markenwahl, Bildung von Markenpräferenzen usw.“[21]
Eine Definition von Kenning bezeichnet Neuromarketing als die „Analyse der neuronalen Wirkung (absatz-)marktpolitischer Maßnahmen“[22] Untersuchungsgegenstand des Neuromarketing ist die Beziehung zwischen Marketing-Stimuli, Gehirnaktivitäten und Konsumentenverhalten bezogen auf Sachverhalte wie Kaufentscheidung oder Markenpräferenzen.[23] Es werden die neuronalen Vorgänge im Gehirn identifiziert, welche das Handeln und Verhalten maßgeblich prägen und steuern. Hierzu werden neuroöko- nomische Methoden aus der modernen Gehirnforschung sowie der Psychologie herangezogen.[24] Auf Basis dieser Methoden können unbewusste und emotionale psychische Vorgänge durch die Messung neurobiologischer Gehirnaktivitäten identifiziert und analysiert werden.[25]
2.2 Vom Behaviorismus zum Neobehaviorismus - Neuromarketing öffnet die Tür der „Black Box“
Bei der Erforschung des Konsum- und Kaufverhaltens wird zwischen Total- und Partialmodellen unterschieden. Bei Totalmodellen wird versucht, das komplexe System des Konsumverhaltens als Ganzes abzubilden. Partialmodelle analysieren das Verhalten in einem situationsspezifischen Kontext.[26] Zu den Partialmodellen gehören die zwei Forschungsansätze des Behaviorismus und des Neobehaviorismus. Der Behaviorismus befasst sich mit der Messung und Analyse des Reizes (S - Stimulus) und der drauf folgenden Reaktion (R - Response) des Käufers; in diesem Zusammenhang wird auch oft von Black-Box-Modellen (S-R-Modellen) gesprochen. Zu den Stimuli gehören alle Sinnesreize und damit alle Marketingaktivitäten, so kann beispielsweise die bunt gestaltete Packung einer Süßigkeit (Stimulus) zu einem Impulskauf (Response) führen.[27] Die Problematik dieses Modells liegt darin, dass der interne Prozess im menschlichen Organismus keinerlei Beachtung findet.[28] Dies ist ein Grund warum der Neobehaviorismus an Bedeutung gewinnt. Er befasst sich, neben der Messung von Reizen und Reaktionen, auch mit dem vom Reiz ausgelösten, internen, bisher als „nicht beobachtbaren“ Prozessen, dem Organismus (S-O-R-Modelle).[29] So kann beispielsweise die Wirkung einer Werbeanzeige (Stimulus) durch die Einstellung, wie ein Konsument (Organismus) einem Produkt gegenübersteht, positiv oder negativ verstärken bzw. ihn zum Kauf (Response) animieren oder abhalten.[30] Diese internen Prozesse sind von großer Bedeutung, da Kaufentscheidungen häufig bereits im Unterbewusstsein getroffen werden, wobei hier insbesondere Emotionen Einfluss ausüben. Die Verfahren der neurowissenschaftlichen Hirnforschung erlauben eine Messung dieser inneren Prozes- se.[31] Somit kann das Adjektiv „nicht beobachtbar“, welches bislang zur Beschreibung des Organismus voraus ging, in Klammer gesetzt werden.
3 Neurobiologische Grundlage
Wie werden Entscheidungen im Kopf tatsächlich getroffen? Offenbar nicht so, wie wir und der Konsument diesen Ablauf bewusst erleben.[32] Um zu verstehen, was im Gehirn bei einer bestimmten Handlung abläuft, bzw. was für Hirnareale zusammen wirken und aktiviert werden, wird nachstehend der Aufbau und die Funktionsweise des Gehirns beschrieben. Denn erst nach Verstehen grundlegender Funktionen der verschiedenen Gehirnareale und der anschließenden psychologischen Interpretation der Gehirnaktivitäten können verwertbare Ergebnisse für das Marketing abgeleitet werden.[33]
3.1 Aufbau des menschlichen Gehirns
Das menschliche Gehirn wiegt etwa 1.400g und besteht aus Milliarden von Nervenzellen (Neuronen). Dabei ist das Gehirn von Männern, auf Grund des höheren Körpergewichtes, etwas schwerer als das von Frauen.[34] Das Gehirn kann vereinfacht in vier Hauptbereiche eingeteilt werden: das Kleinhirn, das Zwischenhirn, der Hirnstamm sowie das Großhirn mit seiner Hirnrinde (sie werden als Neocortex bezeichnet). Eine wichtige Gehirnstruktur die teilweise zum Zwischenhirn, und teilweise zum Großhirn gehört, ist das limbische System siehe hierzu Abbildung 3.
Das Großhirn, der Neocortex ist Sitz von Verstand und Vernunft.[35] Er wird in sogenannte Hirnlappen (Frontlappen, Scheitellappen, Schläfenlappen und der Hinterhauptlappen) unterteilt, denen wiederrum bestimmte Funktionen zugeordnet werden. Im hinteren Teil des Frontallappens werden motorische Funktionen gesteuert und der vordere Teil des präfrontalen Cortex ist bei der Planung von Handlungen hauptsächlich bei rational-kognitiven Aktivitäten aktiv. Unterhalb des präfrontalen Cortex sitzt der orbi- rontale Cortex, welcher bei der Bewertung von Entscheidungen involviert ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Aufbau des menschlichen Gehirns, eigene Erhebung.
Den Scheitellappen sind sensorische Funktionen zugeteilt. Für die Verarbeitung akustischer Reize ist der auditive Cortex im Schläfenlappen zuständig. Am Hinterhauptlappen befindet sich der visuelle Cortex, welcher am hinteren Ende des Gehirns sein Sehzentrum hat.[36]
Das Kleinhirn ist für die räumliche und zeitliche Koordination motorischer Handlungsabläufe, der Körperhaltung sowie das unbewussten Lernen verantwortlich.[37] Das Zwischenhirn besteht aus Thalamus, Hypothalamus, Subthalamus und Epithalamus. Diese Bereiche sind für verschiedene Aufgaben, wie das Weiterleiten von Informationen an die Sinnesorgane, die Steuerung der Stoffwechselvorgänge und Reizempfindungen zuständig, und sind Bindeglied zwischen Hormon- und Nervensystem. Ganz unten und entwicklungsgeschichtlich sehr alt liegt der Hirnstamm, hier wird das Herz- Kreislaufsystem und die Atmung reguliert.[38]
Unterhalb des Neocortex befindet sich eine ringförmige Ansammlung von stammesgeschichtlichen alten Gehirnstrukturen das limbische System. In diesem System sind jene Verhaltensprogramme verankert, die sich in Millionen Jahren fortwährender Evolu- tion als erfolgreich erwiesen haben.[39] Bezeichnend ist dieses limbische System für Hirnstrukturen, die wesentlich an der Verarbeitung von Emotionen beteiligt sind.[40] Dieses emotionale System der Informationsverarbeitung, umfasst unterschiedliche Gehirnbereiche, welche teilweise zum Großhirn und teilweise zum Zwischenhirn gehören. Der oben erwähnte orbitofrontale Cortex des Neocortex gehört ebenfalls dazu.[41] [42] Eine wichtige Rolle in diesem System nimmt die Amygdala ein, welche nahezu alle Angstzustände des Menschen steuert. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung und Wiedererkennung von Situationen sowie der Analyse möglicher Gefah-ren
Auffällig ist hierbei, dass vom limbischen System deutlich mehr Nervenbahnen zum Neocortex, dem Ort für bewusste Prozesse (z.B. Planen, Denken, Analysieren, Lernen, etc.) führen als in die andere Richtung. Dies ist ein neurobiologischer Hinweis, wie die wahren Befehlswege im Gehirn verlaufen.[43] Das limbische System kann somit zusammen mit dem präfrontalen Cortex als das „Zentrum bewusster Handlungsplanung“[44] angesehen werden. In der neurowissenschaftlichen Forschung ist noch unklar, wo Emotionen im menschlichen Gehirn entstehen. Ihre Entstehung kann nicht auf einzelne Regionen im Gehirn zurückverfolgt werden, sondern muss als Zusammenspiel verschiedener Gehirnareale angesehen werden.[45]
3.2 Funktionsweise des menschlichen Gehirns
Zum besseren Verständnis der Vorgänge im menschlichen Gehirn wird die Arbeitsweise des Gehirns näher betrachtet. Mit gerademal zwei Prozent Masse, die das Gehirn in unserem Körper ausmacht, ist es für nahezu 30% des Energieverbrauchs verantwortlich.[46] Wie bereits erwähnt, besteht das menschliche Gehirn aus 100 Milliarden einzelner Nervenzellen, die jeweils mit tausend anderen Neuronen zu einem riesigen Netz- werk verbunden sind.[47] Grundsätzlich sind die Neuronen für die Informationsverarbeitung verantwortlich, also auch wie ein Konsument etwas erkennt, denkt, lernt, sich bewegt, Emotionen empfindet oder Entscheidungen trifft.[48] Sobald ein ankommender Reiz eine Nervenzelle trifft, leitet sie einen elektrischen Impuls an ihre Nachbarzellen weiter. Denken wir beispielsweise an eine bestimmte Marke, so werden die über diese Marke aus verschiedenen Bereichen des Gehirns verfügbaren Informationen abgerufen. Dieser Abruf entspricht einer speziellen Kombination von Nervenzellen, welche in einem bestimmten Rhythmus Impulse weitergeben.[49] Einfach ausgedrückt heißt dies, ein Gegenstand oder ein sensorischer bzw. motorischer Vorgang oder eine Marke, ist nichts anderes als die Gesamtheit gespeicherter synaptischer Verbindungen zwischen einer Vielzahl von Neuronen.[50] Bei einer neuronalen Informationsverarbeitung eines Vorgangs (z.B. dem Sehen) sind viele verschiedene Bereiche des Gehirns beteiligt.[51]
Gehirnaktivitäten und der damit verbundene Stoffwechsel sind sehr energieintensiv. Innerhalb einer Minute normaler Gehirnaktivität finden zwischen 100 Tausend und 1 Million verschiedener chemischer Reaktionen statt.[52] Bewusste Aktionen und neuartige Situationen in denen viele Details verarbeitet werden müssen sind besonders energieaufwendig.[53] Um hierbei Energie zu sparen, versucht das Gehirn daher möglichst viel zu automatisieren. So läuft bei Handlungen, welche zu wiederholt positiven Ergebnissen geführt haben, ein automatisiertes Programm ab, ohne dass das Bewusstsein in den Bewertungsprozess mit einbezogen wird.[54] „Ohne Nachzudenken“ greift das Gehirn auf bewährte Lösungen zurück, somit sind Vorgänge, die aus Routine unbewusst ablaufen, energietechnisch gesehen billiger und schneller. Daher greift das Gehirn vor allem bei schnell erforderlichen Reagieren und Handeln auf diese automatischen Programme zurück, um energie-effizienter zu arbeiten.[55]
Wie bereits beschrieben ist das limbische System die entscheidende Handlungs- und Bewertungsstruktur im Gehirn, welches das menschliche Verhalten maßgeblich beeinf- lusst.[56] Wie ein Produkt, eine Marke oder ein Angebot beurteilt und wie eine Meinung gegenüber diesem gebildet wird, erfolgt im limbischen System auf Basis emotionaler Kriterien.[57]
3.3 Die psychische Wahrnehmung des Menschen
Das Konsumentenverhalten lässt sich nicht allein durch die physische Struktur des Gehirns erklären, es muss genauso die Psyche des Menschen betrachtet werden. Die menschliche Psyche verhält sich anders als körperliche Strukturen und umfasst die Gesamtheit von Bewusstsein und Unbewusstsein.58 Das Bewusstsein kann nur einen geringen Anteil der eingehenden Informationen verarbeiten, der Großteil wird unbewusst verarbeitet.59 Die Inhalte des Bewusstseins werden somit im Unbewusstsein vorbereitet. Lediglich die Endprodukte dieser unbewus sten Prozesse erreichen das Bewusstsein, wobei über 99 Prozent der Gehirnprozesse im Unbewusstsein stattfinden.60 Schon die Experimente von Dijksterhuis (2006) zeigten, dass ein Problem im Gehirn bearbeitet wird, ohne das es dem Individuum bewusst ist. Versuchspersonen zweier Gruppen wurden Autos mit verschiedenen (positiven oder negativen) Attributen vorgestellt. Danach sollte eine Gruppe der Versuchspersonen bewusst eine Rangfolge hinsichtlich der Qualität abgeben, die andere Gruppe musste verschiedene Rätsel lösen und sollte nach den Ablenkungsaufgaben eine Bewertung abgeben. Das Ergebnis zeigte, dass unter schwierigeren Versuchsbedingungen häufiger die richtige Lösung gefunden wurde.61
Erkenntnisse aus Neurowissenschaft und moderner Psychologie haben zu einem grundlegenden Umdenken geführt. Die Sichtweise, bei der ausschließlich zwischen emotionale und rationale Vorgänge unterschieden wurde, entspricht nicht mehr dem aktuellen Stand der Forschungen. Viel mehr wird zwischen zwei grundverschiedenen Systemen unterschieden, dem expliziten und impliziten System.62
[...]
[1] Vgl. Fuchs 2007, S.35.
[2] Vgl. Scheier und Held 2006, S.151f.
[3] Vgl. Fuchs 2007, S.36.
[4] Vgl. Häusel 2009, S.9.
[5] Vgl. Möll 2007, S.2.
[6] Vgl. Scheier und Held 2007, S.30.
[7] Vgl. Hermes 2005, S.15. / Bauer et al. 2006 b, S.46.
[8] Vgl. Scheier und Held 2006, S.13.
[9] Vgl. Bauer et al. 2006, S.1.
[10] Vgl. Scheier und Held 2006, S.13.
[11] Häusel 2009, S.9.
[12] Vgl. Bauer et al. 2006, S.1.
[13] Vgl. ebd. S.3.
[14] Vgl. Koschnick 2006, S.14.
[15] Vgl. Bauer et al. 2006, S.3.
[16] Vgl. ebd.
[17] Vgl. Ceranic 2007, S.3.
[18] Vgl. Kenning 2004, in Bauer et al. 2006, S.3.
[19] Vgl. Bauer et al. 2006, S.3.
[20] Vgl. ebd. S.3f.
[21] Esch und Möll 2009, S25.
[22] Kenning 2004, in: Bauer et al. 2006, S.3.
[23] Vgl. Ceranic 2007 S.3.
[24] Vgl. ebd.
[25] Vgl. ebd. S.3f.
[26] Vgl. Zimmermann 2006, S.13.
[27] Vgl. Meffert et al. 2008, S.101.
[28] Vgl. Möll 2007, S.5. / Kenning 2007, S.56.
[29] Vgl. Möll 2007, S.5.
[30] Vgl. Meffert et al. 2008, S.101.
[31] Vgl. Möll 2007, S.5.
[32] Vgl. Häusel 2007, S.63.
[33] Vgl. Ceranic 2007, S.4.
[34] Vgl. ebd. S.9.
[35] Vgl. Häusel 2007, S.64.
[36] Vgl. Ceranic 2007, S.10ff.
[37] Vgl. Möll 2007, S.81.
[38] Vgl. Häusel 2007, S.64.
[39] Vgl. Traindl 2007 a, S.15.
[40] Vgl. Häusel 2007, S.64.
[41] Vgl. Zimmermann 2006, S.18.
[42] Vgl. Traindl 2007 a, S.15. / Zimmermann 2006, S.19.
[43] Vgl. ebd. S.15f.
[44] Korczak-Hecker 2002 in Zimmermann 2006, S.19.
[45] Vgl. Möll 2007, S.83.
[46] Vgl. ebd., S.8.
[47] Vgl. Möll 2007, S.8.
[48] Vgl. Ceranic 2007, S.5f.
[49] Vgl. Möll 2007, S.8.
[50] Vgl. ebd. S.8.
[51] Vgl. Ceranic 2007, S.5.
[52] Vgl. Franzen und Bouwman 2001, in Zimmermann 2006, S.21.
[53] Vgl. Zimmermann 2006, S.21.
[54] Vgl. Häusel 2009, S.87.
[55] Vgl. Zimmermann 2006, S.22.
[56] Vgl. Zimmermann 2006, S.20.
[57] Vgl. ebd.
[58] Vgl. Behrens und Neumaier 2004, in Felix 2008, S.18.
[59] Vgl. Kroeber-Riel 2009, S.295.
[60] Vgl. Behrens und Neumaier 2004, in Felix 2008, S.18.
[61] Vgl. Kroeber-Riel 2009, S.294.
[62] Vgl. Felix 2008, S.18.
- Arbeit zitieren
- Christoph Elsser (Autor:in), 2009, Ansprache von Emotionen und Gefühlen im Neuromarketing, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137375
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