Entstehung und Entfaltung von Schulen für Körperbehinderte


Seminararbeit, 2000

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Zur Geschichte des Sprachgebrauchs der Bergriffe „Krüppel“ und „Körperbehinderter“

2. Historischer Rückblick der Einstellung gegenüber Körperbehinderten
2.1 Das Altertum
2.2 Der Einfluß des Christentums bis zur Epoche der Aufklärung

3. Erste Ansätze der Erziehung und Beschulung Körperbehinderter

4. Der Beitrag der Orthopädie in der Neuzeit

5. Die Entwicklung der Körperbehindertenpädagogik und der Schule für Körperbehinderte

6. Berufswahl und berufliche Eingliederung Körperbehinderter

7. Literatur

1. Zur Geschichte des Sprachgebrauchs der Begriffe „Krüppel“ und „Körperbehinderter“

Der Begriff des „Körperbehinderten“ begegnet uns erstmals im Jahre 1925, um den mit negativen Vorurteilen besetzten Terminus „Krüppel“ abzulösen. Das Wort „Krüppel“ stammt von dem Wort „crupel“ ab, das im 11. Jahrhundert am Mittelrhein zur Beschreibung körperlich Behinderter entstand.

Bereits um 1500 wurde der Begriff des Krüppels mit dem eines Minderwertigen gleichgesetzt.

Laut des Deutschen Wörterbuches der Gebrüder Grimm aus dem Jahre 1873 war ein Krüppel ein Mensch mit „gekrümmten, verwachsenen oder gelähmten Gliedern“.

Dietrich referierte 1908:

„Ein Krüppel ist ein körperlich Gebrechlicher oder wie Biesalski auf dem Orthopädenkongreß 1908 unter allgemeiner Zustimmung erklärte, >ein infolge eines angeborenen oder erworbenen Nerven- oder Knochen- und Gelenkleidens in dem Gebrauch seines Rumpfes oder seiner Gliedmaßen behinderter Kranker<.“

Da die Behinderten und deren Angehörige sich dem Begriff des Krüppels widersetzten, wurde nach einem anderen Terminus zur Beschreibung Körperbehinderter gesucht. Vorschläge waren „Gebrechlicher“, „Knochen- und Gliederkranker“, „orthopädisch Kranker“, „Gelähmter“, „Brestling“ und „Hilfling“. Trotz aller Bemühungen fand man jedoch keinen anderen Terminus, welcher den Menschen mit einer Körperbehinderung besser hätte bezeichnen können als der Begriff „Krüppel“.

Nach Ende des Ersten Weltkrieges, als die Behinderten selbst das Wort ergriffen, tauchte der Begriff des „Körperbehinderten“ auf. Jedoch wurde der Terminus des Krüppels in der Wissenschaft und der breiten Öffentlichkeit bewußt weiter verwendet:

„Stoße sich niemand an dem Wort >Krüppel<; die Fachleute haben sich vergeblich bemüht, einen Ersatz zu finden. >Kriegsbeschädigt< klingt besser, aber es deckt nicht den Begriff, den man meint; denn auch ein Mann, der ein Auge oder sein Gehör verloren oder sich ein dauerndes inneres Leiden zugezogen hat, ist beschädigt und doch nicht verkrüppelt. Hierunter versteht man eine schwere Beeinträchtigung der Bewegungsmöglichkeiten und der Körperhaltung. Es gibt nur ein Mittel, über dieses Wort hinwegzukommen, nämlich umzulernen und nicht unter einem Krüppel ein abschreckendes Jammerbild zu verstehen.“ (Biesalski 1915).

Würtz erklärte 1934:

„Alle bisher vorgeschlagenen Ersatzworte bezeichnen nicht das, was in dem Kraftwort >Krüppel< steckt. Die Buchstaben >Kr< sind krachend, aufreizend, hart und weisen Sentimentalität zurück. Das Doppel-P unterstreicht mit einem Zug von verschmitzter Keckheit das Trotzige des >Kr<. Der Ausdruck Krüppel kennzeichnet treffend die Seele des Krüppels!“

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Terminus „Körperbehinderter“ schließlich anerkannt und auch in der Wissenschaft akzeptiert.

Im Jahre 1957 wurde das „Gesetz über die Fürsorge für Körperbehinderte und von Körperbehinderung bedrohter Personen“ erlassen, in dem ein Mensch mit Körperbehinderung in §1 wie folgt definiert wurde:

„Körperbehindert sind Personen, die durch eine Fehlfunktion oder Fehlform des Stütz- oder Bewegungssystems oder durch Spaltbildungen des Gesichts oder des Rumpfes dauernd in ihrer Erwerbsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt sind oder in Zukunft voraussichtlich sein werden.“

Der Deutsche Bildungsrat definierte im Jahre 1974:

„Als körperbehindert gilt, wer infolge einer zentralen oder peripheren Schädigung des Stütz- und Bewegungssystems oder wesentlicher Funktionsbeeinträchtigungen seines Bewegungssystems so beeinträchtigt ist, daß die motorische Umwelterfahrung nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist. Als körperbehindert kann ferner gelten, wer durch Mißbildungen des Gesichts oder des Rumpfes sowie durch Entstellungen im äußeren Habitus auffällig wird.“

2. Historischer Rückblick der Einstellung gegenüber Körperbehinderten

2.1 Das Altertum

Bereits in einer der ersten Gesetzgebungen, dem babylonischen „Codex Hammurabi“ um 1700 v. Chr. wurde dem Vater eines mißgebildeten Kindes das Recht zugeteilt, „(...)sein Neugeborenes in den Brunnen zu werfen oder den wilden Tieren zum Fraß zu geben.“ Der Vater eines missgebildeten Kindes war zudem verpflichtet, sein Kind zu kastrieren, damit es keine weiteren Nachkommen mit Mißbildungen produzieren konnte.

Die Einstellungs- und Verhaltensweise gegenüber Körperbehinderten in der Zeit der alten Ägypter war zwiegespalten. Auf der einen Seite gab es eine schon damals sehr hoch entwickelte staatliche Fürsorge für Alte und Körperbehinderte, die zum Teil der in den Tugendreden geforderten Rücksicht und Hilfsbereitschaft gegenüber behinderten entsprach: „Verhöhne keinen Zwerg und schädige nicht die Glieder eines Verstümmelten.“ Auf der anderen Seite jedoch durften Schwächlinge, Verkrüppelte und Mißgeburten, allerdings unbemerkt von der Mutter, erstickt werden. (Josef, 1967).

Nach griechischem und römischem Recht besaßen „körperlich verkrüppelte und mißgestaltete junge Erdenbürger“ keine Daseinsberechtigung.

Im römischen Recht hatte der Vater die Verfügungsgewalt über das Leben seiner Kinder. Dieses Recht, das „Patria Potestas“, beinhaltete das Recht der Tötung; es war niedergelegt im XII-Tafel-Gesetz von 450 v. Chr.:

„Der Hausvater hat das mit auffallender Verkrüppelung geborene Kind sofort zu töten.“ Später wurde die väterliche Verfügungsgewalt mit der Maßgabe, alle Jungen und die erstgeborenen Mädchen am Leben zu erhalten sowie mißgebildete oder verstümmelte Kinder erst dann auszusetzen, wenn fünf Nachbarn ihre Zustimmung erteilt hatten, eingeschränkt. Die Aussetzung körperbehinderter Kinder wurde allerdings in großem Maße weiter betrieben. Trotz dieser Sitten fand jedoch auch eine Versorgung für Kriegsverletzte und durch den Krieg verstümmelte Menschen für die nichtversklavte Bevölkerung unter den Bedingungen militärischer Expansion statt. Schon von Cäsar wurden in Novaesium am Rhein und in Carnuntum bei Wien Lazarette für jeweils 600 bis 800 Kriegsversehrte errichtet. (Merkens, 1974). Zudem gab es Sanitätsversorgung für die Heere und Hilfe für die Wiedereingliederung der Veteranen. Insgesamt blieb für die Römer jener Epoche jedoch folgende Einschätzung Platos prägend:

„Ich denke, es hat für den Menschen keinen Nutzen zu leben, wenn er körperlich elend ist; denn wer so lebt, muß notwendig auch ein elendes Leben führen.“ (Jaspers, 1957).

In der antiken griechischen Kultur wurden minderwertige Kinder von Sokrates als größtes Übel betrachtet. Er hielt „(...) nur moralisch und körperlich hervorragende Menschen zur Erzeugung von Nachkommenschaft berechtigt.“ Missgebildet geborene Kinder sollten an einem unzugänglichen und unbekannten Ort verborgen und, wenn es die Lebenssitte erlaubte, beseitigt werden. Aristoteles forderte schließlich, dass die Aussetzung verkrüppelter Kinder gesetzlich verordnet werde. In Athen war unter Solon (um 600 v. Chr.) die Tötung Neugeborener erlaubt und die Hebammen gesetzlich dazu verpflichtet, zu bestimmen, „(...) ob das Neugeborene ein Kind sei oder nicht.“ Dennoch wurde auch aus dem klassischen Griechenland von der Pflege Schwerkranker, Verwundeter und Kriegsversehrter berichtet, wenngleich es sich dabei in der Regel um die Angehörigen der herrschenden Schichten gehandelt haben wird.

Aus Indien berichtete man von einer altindischen Heilpädagogik, die in viele Jahrhunderte v. Chr. zurückreichende „Pantschatantra“. Diese befaßte sich mit der körperlichen Normenlehre. Anomalien wurden beschrieben und streng festgelegt. (Dursch, 1853). Kindesaussetzungen hat es bei den Indern nicht gegeben, die „Krüppelhaften und Mißgeburten“ wurden jedoch als erbunfähig erklärt. (Schumann, 1940).

Auch im Militärstaat Sparta wurde entsprechend der Staatsverfassung (nach der auf Lykurg um 900 v. Chr. zurückgeführten Verfassung) ein von Geburt an schwacher und gebrechlicher Mensch sowohl als Last für sich selbst als auch für den Staat begriffen. Daher tötete man körperbehinderte Kinder, indem man sie in die Abgründe des Taygetogebirges warf. (Merkens, 1974; Josef, 1967).

Nur in Theben wurde die Kindesaussetzung unter Androhung der Todesstrafe verboten.

In Seneca war es üblich, die mißgebildeten Kinder zu ertränken: „(...) das Ertränken der Kinder, insbesondere der Mißgeburten und Krüppel, ist nichts anderes als das Ersäufen toller Hunde oder kranken Viehs.“ Wurden sie nicht ertränkt, so wurden die hilflosen Alten, Blinden und Krüppel, sobald sie zu lästig wurden, auf den Tiberinseln ausgesetzt und verhungerten dort. Einige Mißgebildete wurden auch als Sklaven aufgezogen und als Bettler zugerichtet. (Schumann, 1940).

Nicht nur im alten Rom sondern auch bei den Griechen und Germanen traf man, wie vormals bei den Pharaonen, auf eine Vorliebe für körperliche Absonderheiten. Die Körperbehinderten wurden als morio, als Narr bezeichnet und dienten zur Belustigung auf den Marktplätzen und Narrenmärkten. (Kirmsse, 1911).

2.2 Der Einfluss des Christentums bis zur Epoche der Aufklärung

Mit dem Einfluß des Christentums änderte sich die bei den Griechen, Römern und Germanen die nachgewiesene Sitte des väterlichen Rechts, über Tod oder Leben des Neugeborenen entscheiden zu können. Da das Christentum an die Gleichheit aller Menschen vor Gott sowie an das Gebot der Nächstenliebe glaubte, rückte der behinderte Mensch bereits zu Beginn des Christentums in ein neues Licht und galt nicht mehr allein als „nutzloser Ballast“. Jedoch verlief die durch die Ausbreitung des Christentums veränderte Einstellung gegenüber Behinderten nicht geradlinig und ungebrochen. Konstantin der Große verbot zwar die Aussetzung körperbehinderter und anderweitig behinderter Kinder, dennoch war bis über das Mittelalter hinaus die Tötung und Aussetzung dieser Kinder üblich , denn sie trugen „nichts Menschliches“ an sich und zeigten nicht das „Bild Gottes“. Im Zweifelsfalle wurde sogar der Rat des Bischofs eingeholt, welcher dann über Leben oder Tod des Kindes beriet. Selbst die Taufe, die jedes Kind vor Kindesaussetzung schützen sollte, wurde bei behinderten Kindern nicht beachtet.

Krankheit und Leid wurden im Christentum als von Gott gegeben betrachtet; als Prüfung oder als Strafe für Schuld und Sünde. Nachdem Jesus durch Zeichen und Wunder Kranke geheilt und Tote erweckt hatte, sowie auch öffentlich erklärt hatte, dass behinderte Kinder nicht durch die eigenen oder die Sünden seiner Eltern behindert seien, sondern dass es die Werke Gottes seien, die an jenen Kindern offenbar gemacht wurden, begann die Christenheit, die „Werke Gottes“ zu akzeptieren und sich durch das Gebot der Nächstenliebe den Behinderten und Kranken anzunehmen. Die Armen, Behinderten und Geächteten fanden ihren Platz in den sich bildenden christlichen Gemeinden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Entstehung und Entfaltung von Schulen für Körperbehinderte
Hochschule
Universität zu Köln  (Seminar für Geschichte und Philosophie)
Veranstaltung
Die Entfaltung der Heilpädagogik: Trends und Beispiele in der neuesten deutschen Geschichte
Note
1,7
Autor
Jahr
2000
Seiten
22
Katalognummer
V13740
ISBN (eBook)
9783638193085
Dateigröße
560 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entstehung, Entfaltung, Schulen, Körperbehinderte, Entfaltung, Heilpädagogik, Trends, Beispiele, Geschichte
Arbeit zitieren
Kathrin Ziesemann (Autor:in), 2000, Entstehung und Entfaltung von Schulen für Körperbehinderte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13740

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