Die politische Rolle des Staatspräsidenten im postkommunistischen Polen


Hausarbeit, 2005

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALT

I. EINLEITUNG

II. HAUPTTEIL
1. Die Stellung des Präsidenten im Verfassungsgebungsprozess der III. Republik
1.1. Die Runder-Tisch-Verfassung von 1989
1.2. Die Kleine Verfassung von 1992
1.3. Die Neue Verfassung von 1997
2. Der Präsident im semipräsidentiellen Regime Polens
3. Zwischen persönlicher und institutioneller Macht

III. SCHLUSS

IV. ANHANG

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

I. EINLEITUNG

Zurzeit wird in Polen ein neuer Staatspräsident gewählt. Das postkommunistische Lager des noch amtierenden Präsidenten Aleksander Kwaśniewski spielt dabei keine Rolle mehr, die Wahl entscheidet sich vielmehr zwischen zwei Kandidaten aus dem Lager der ehemaligen Oppositionsbewegung Solidarność, die „nach 1989 in Dutzende kurzlebiger Parteien und Gruppierungen zersplitterte und mehrere Politikergarnituren verschliss“[1]. Das politische Geschehen in Polen erfreut sich bei auch bei seinem westlichen Nachbarn seit einiger Zeit einer gestiegenen Aufmerksamkeit. Die politische Rolle des polnischen Staatsoberhauptes ist hingegen noch nicht allen Interessierten ein Begriff. Diese Arbeit widmet sich daher der Untersuchung dieser Rolle, wobei die institutionellen Weichenstellungen der Dritten Republik und deren Auswirkungen im Vordergrund stehen.

Dabei wird zunächst der Verfassungsgebungsprozess in chronologischer Reihenfolge unter die Lupe genommen. Das Augenmerk gilt der Erklärung der den Präsidenten betreffenden Bestimmungen in den drei Verfassungsdokumenten. Besonders das Verhalten der jeweiligen Amtsinhaber und dessen Niederschlag in der Verfassungsgebung sind hierbei von Interesse. Im systematischen Teil rückt anschließend die Rolle des Präsidenten im semipräsidentiellen Regime Polens in den Blickpunkt. Zuletzt soll geklärt werden, wie sich persönliche Autorität und institutionelle Machtbefugnisse auf den Einfluss des Staatspräsidenten auf die polnische Politik auswirken.

Da sich der Bestand an verfügbarer Fachliteratur zu diesem Thema noch in Grenzen hält, ist diese Arbeit nicht sehr ausführlich geworden. Hoffentlich gelingt es ihr dennoch, einen interessanten Einblick in den Untersuchungsgegenstand zu vermitteln.

II. HAUPTTEIL

1. Die Stellung des Präsidenten im Verfassungsgebungsprozess der III. Republik

1.1. Die Runder-Tisch-Verfassung von 1989

In den ersten Monaten des Jahres 1989 kamen die oppositionelle Gewerkschaft Solidarność und die „Reformkommunisten“ der PZPR, darunter auch der spätere Präsident Aleksander Kwaśniewski, am Runden Tisch in Warschau zusammen. Nach zähen Verhandlungen einigte man sich darauf, das Institutionsgefüge zu verändern, um einen schrittweisen Übergang in ein demokratisch-parlamentarisches System einzuleiten. Die polnische Verfassungstradition[2] spielte dabei kaum eine Rolle. Gesucht war vielmehr ein Verfassungssystem, das einerseits die Integration der bisherigen Opposition in das politische System ermöglichte und andererseits die PZPR an der Macht belassen sollte. Dem bisherigen Parteivorsitzenden, General Wojciech Jaruzelski, sollten die wichtigsten Kompetenzen, die er zuvor als Parteichef besessen hatte, auch in der neuen Ordnung erhalten bleiben. Daher bot sich eine Anleihe beim Verfassungssystem der V. Französischen Republik an.[3] Der Sejm, das polnische Unterhaus, ratifizierte die am Runden Tisch beschlossenen Verfassungsrevisionen am 7. April 1989.

An die Stelle des Staatsrates trat ein mit umfassenden Kompetenzen ausgestatteter Staatspräsident. Er wurde zum höchsten Repräsentanten des polnischen Staates in nationalen und internationalen Angelegenheiten, der über die Einhaltung der Verfassung und die Unverletzlichkeit des Territoriums wachte[4]. Die Zuordnung der präsidialen Befugnisse blieb durch Begriffe wie „achtet“ oder hütet“ aber vage. Auch die Abgrenzung seiner Befugnisse zum Regierungschef war nicht klar formuliert. Darüber hinaus besaß der Staatspräsident das Initiativrecht bei der Ernennung und Entlassung des Premierministers[5], der in Polen dem Ministerrat vorsitzt. Bei der Regierungsbildung war der Premierminister auf die Zustimmung des Präsidenten angewiesen. Im selben Artikel wurde jedoch auch dem Parlament das Recht zugewiesen, die Regierung oder einzelne Minister zu entlassen: „Sodann wurde die ausschließliche Kompetenz des Sejm beibehalten, die Regierung einzuberufen, doch es wurde die Möglichkeit ausgeschlossen, eine Regierung zu berufen, deren politische Orientierung und personelle Zusammensetzung vom Präsidenten nicht akzeptiert worden wären.“[6]

Der Präsident konnte zudem sein Veto gegen ein vom Sejm verabschiedetes Gesetz geltend machen, das der Sejm nur mit einer Zweidrittelmehrheit überstimmen konnte. Damals kritisierten die mit der Solidarność verbundenen Rechtsexperten diese Hürde, die höher war als im Frankreich der V. Republik, wo eine absolute Stimmenmehrheit genügt.[7] Ebenso umstritten waren die Regelungen, die die Vollmachten des Präsidenten in Krisensituationen definierten. So fungierte er als Oberbefehlshaber der Streitkräfte und erhielt das Recht, für drei Monate den Ausnahme- bzw. Kriegszustand zu verhängen. In dieser Zeit durfte der Sejm jedoch nicht aufgelöst und die Verfassung sowie das Wahlrecht nicht verändert werden[8]. Auf ähnliche Art wird beispielsweise in der spanischen Verfassung vom Dezember 1978 eine Verfassungsänderung während des Kriegs-, Alarm-, Ausnahme- und Belagerungszustandes ausdrücklich ausgeschlossen. Die Verfassung der französischen Fünften Republik oder das Bonner Grundgesetz verbieten wiederum jede Verfassungsnovelle, die die als unverzichtbar geltenden Grundlagen der staatlichen Ordnung verändern würde.[9]

Als ein Organ der Legislative hat der Staatspräsident seit 1989 das Recht, selbst Gesetzentwürfe in das Parlament einzubringen, für weitere Aktivitäten muss er jedoch die Gegenzeichnung des Premierministers einholen. Außerdem konnte der Präsident laut Runder-Tisch-Verfassung nach eigenem Ermessen das Parlament auflösen, wenn es dem Sejm innerhalb von drei Monaten nicht gelang, eine Regierung zu bilden sowie einen Wirtschafts- und Sozialplan oder den Staatshaushalt zu verabschieden. Er konnte auch zum Mittel der Auflösung greifen, wenn der Sejm Gesetze beschließen sollte, die den Präsidenten an der Ausübung seiner Rechte hindern würden. Dieser Fall war bewusst unpräzise formuliert worden, damit die Parteiführung über den Staatspräsidenten, der aus den Reihen der PZPR kommen sollte, die weitere politische Entwicklung unter Kontrolle behalten konnte.[10]

Die Wahl des Präsidenten erfolgte im Juli 1989 indirekt durch die Nationalversammlung, bestehend aus dem Sejm und dem Senat, dem polischen Oberhaus. Seine Amtsdauer wurde am Runden Tisch auf sechs Jahre festgelegt, mit der Möglichkeit einer einmaligen Wiederwahl.[11] General Jaruzelski profitierte allerdings nicht mehr davon, er trat 1990 zurück.

1.2. Die Kleine Verfassung von 1992

Im selben Jahr wurde der ehemalige Gewerkschaftsführers Lech Wałęsa zum Präsidenten gewählt, der die präsidialen Zuständigkeiten bei der Regierungsbildung sehr extensiv auslegt. Daraufhin begann unter polnischen Verfassungsrechtlern und Politikern ein Streit, wie diese genau zu interpretieren seien.[12] Nachdem diese Konflikte in der Praxis die Regierungsbildung blockierten, wurde in der Kleinen Verfassung vom 17.10.1992 eine neue Regelung getroffen. Der Staatspräsident behielt das Recht, einen Premierminister zu designieren. Wenn diesem aber vom Sejm kein Vertrauen ausgesprochen wurde, wechselte das Nominierungsrecht zum Sejm und pendelte dann ggf. zwischen Präsident und Parlament, wobei dem Staatspräsidenten die letzte Entscheidungsbefugnis zufiel. Sein Recht, die Ablösung der Regierung aus politischen Gründen zu beantragen, wurde aufgehoben, und bei der Ernennung von Ministern reduzierte sich sein faktisches Mitspracherecht auf die drei Ministerien der Verteidigung, des Inneren und des Äußeren. Dazu musste nur noch seine „Meinung eingeholt werden“[13], was eine Schwächung im Vergleich zu der vorherigen Formulierung bedeutete. Allerdings wurde nicht definiert, wer im Streitfall das letzte Wort haben sollte, der Premierminister oder der Präsident. Die Folge war, dass Wałęsa dieses Mitspracherecht instrumentalisierte und es häufig zu Ministerwechseln kam oder deren Ernennung sich über mehrere Monate hinzog.[14]

[...]


[1] Krzeminski, Echt kaschubisch, S. 1.

[2] Am 3. Mai 1791 verabschiedete Polen die erste moderne Verfassung Kontinentaleuropas und die nach Cromwells „Instrument of Government“ zweite europäische Verfassung überhaupt; siehe dazu: Steffani, Gewaltenteilung und Parteien im Wandel, S. 90, Anm. 3.

[3] Vgl. Ziemer u.a., Das politische System Polens, S. 188.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. Maćków, Verfassungsnorm und -praxis, S. 665.

[6] Mołdawa, Legislative und Exekutive, S. 206.

[7] Vgl. Ciemniewski, Ponad Parlamentem.

[8] Vgl. Maćków, Verfassungsnorm und -praxis, S. 666.

[9] Vgl. ebd.

[10] Vgl. Maćków, Verfassungsnorm und -praxis, S. 667.

[11] Vgl. Ziemer u. a., Das politische System Polens, S. 192.

[12] Vgl. ebd., S. 191.

[13] Vgl. Maćków, Verfassungsnorm und -praxis, S. 668.

[14] Siehe dazu: Matthes, Polen und Ungarn, S. 199-213. Zitiert nach: Ziemer, Das politische System Polens, S. 191.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die politische Rolle des Staatspräsidenten im postkommunistischen Polen
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Übung "Regierungssysteme in Ostmittel- und Südosteuropa: Zwischen Transformation und europäischer Integration"
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
14
Katalognummer
V137458
ISBN (eBook)
9783640457601
ISBN (Buch)
9783640457397
Dateigröße
488 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rolle, Staatspräsidenten, Polen
Arbeit zitieren
M.A. Piotr Grochocki (Autor:in), 2005, Die politische Rolle des Staatspräsidenten im postkommunistischen Polen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137458

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